
Über den Autor
Hinter dem Namen Erin Hunter verbirgt sich ein ganzes Team von Autorinnen. Gemeinsam konzipieren und schreiben sie die erfolgreichen Tierfantasy-Reihen WARRIOR CATS, SEEKERS und SURVIVOR DOGS.
Impressum
Dieses Buch ist erhältlich als:
ISBN 978-3-407-74920-8 Print (Taschenbuch)
ISBN 978-3-407-81162-2 Print (Hardcover)
ISBN 978-3-407-74445-6 E-Book (EPUB)
© 2017 Gulliver
in der Verlagsgruppe Beltz • Weinheim Basel
Werderstraße 10, 69469 Weinheim
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
© 2010 Working Partners Limited
Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel Warriors, Omen of the Stars, Fading Echoes, bei HarperCollins Children’s Books, New York
Aus dem Englischen von Anja Hansen-Schmidt
Lektorat: Susanne Härtel
Umschlaggestaltung/Artwork: © Johannes Wiebel, punchdesign, München
Landkarte: © Gary Chalk
Wort-Bild-Marke Warrior Cats: © Hauptmann & Kompanie, München
Gesamtherstellung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
Printed in Germany
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Weitere Informationen zu unseren Autoren und Titeln finden Sie unter: www.beltz.de
Für die echte Efeupfote und den gesamten WeiteReiseClan
Besonderen Dank an Victoria Holmes
Staffel I
In die Wildnis (Band 1)
Feuer und Eis (Band 2)
Geheimnis des Waldes (Band 3)
Vor dem Sturm (Band 4)
Gefährliche Spuren (Band 5)
Stunde der Finsternis (Band 6)
Staffel II – Die neue Prophezeiung
Mitternacht (Band 1)
Mondschein (Band 2)
Morgenröte (Band 3)
Sternenglanz (Band 4)
Dämmerung (Band 5)
Sonnenuntergang (Band 6)
Staffel III – Die Macht der drei
Der geheime Blick (Band 1)
Fluss der Finsternis (Band 2)
Verbannt (Band 3)
Zeit der Dunkelheit (Band 4)
Lange Schatten (Band 5)
Sonnenaufgamg (Band 6)
Staffel IV – Zeichen der Sterne
Der vierte Schüler (Bd. 1)
Fernes Echo (Bd. 2)
Stimmen der Nacht (Bd. 3)
Spur des Mondes (Bd. 4)
Der verschollene Krieger (Bd. 5)
Die letzte Hoffnung (Bd. 6)
Staffel V – Der Ursprung der Clans
Der Sonnenpfad (Bd. 1)
Donnerschlag (Bd. 2)
Der erste Kampf (Bd. 3)
Der leuchtende Stern (Bd. 4)
Der geteilte Wald (Bd. 5)
Der Sternenpfad (Bd. 6)
Staffel VI – Vision von Schatten
Die Mission des Schülers (Bd. 1)
Donner und Schatten (Bd. 2)
Special Adventure
Feuersterns Mission
Das Schicksal des WolkenClans
Blausterns Prophezeiung
Streifensterns Bestimmung
Gelbzahns Geheimnis
Riesensterns Rache
Brombeersterns Aufstieg
Short Adventure
Wolkensterns Reise
Distelblatts Geschichte
Die Welt der Clans
Das Gesetz der Krieger
Die letzten Geheimnisse
Alle Abenteuer auch als E-Books bei Beltz & Gelberg
www.warriorcats.de
DIE HIERARCHIE DER KATZEN
|
Anführer |
FEUERSTERN – attraktiver Kater mit rotem Fell |
Zweiter Anführer |
BROMBEERKRALLE – dunkelbraun getigerter Kater mit bernsteinfarbenen Augen |
Heiler |
HÄHERFEDER – grau getigerter, blinder Kater mit blauen Augen |
Krieger |
(Kater und Kätzinnen ohne Junge) GRAUSTREIF – langhaariger, grauer Kater
MILLIE – silbern getigerte Kätzin
BORKENPELZ – dunkelbraun getigerter Kater
SANDSTURM – kleine, gelbbraune Kätzin mit grünen Augen
FARNPELZ – goldbraun getigerter Kater
AMPFERSCHWEIF – schildpattfarbene Kätzin mit bernsteinfarbenen Augen
WOLKENSCHWEIF – langhaariger, weißer Kater mit leuchtend blauen Augen
LICHTHERZ – weiße Kätzin mit goldbraunen Flecken und vernarbtem Gesicht
DORNENKRALLE – goldbraun getigerter Kater; Mentor von WURZELPFOTE
EICHHORNSCHWEIF – dunkelrote Kätzin mit grünen Augen
BLATTSEE – hellbraun gestreifte Kätzin mit bernsteinfarbenen Augen und weißen Pfoten
SPINNENBEIN – langgliedriger, schwarzer Kater mit bernsteinfarbenen Augen
BIRKENFALL – hellbraun gestreifter Kater
WEISSFLUG – weiße Kätzin mit grünen Augen
BEERENNASE – sandfarbener Kater
HASELSCHWEIF – kleine, grau-weiße Kätzin; Mentorin von BLUMENPFOTE
MAUSBART – grau-weißer Kater; Mentor von HUMMELPFOTE
RUSSHERZ – grau getigerte Kätzin; Mentorin von EFEUPFOTE
LÖWENGLUT – goldgelb getigerter Kater mit bernsteinfarbenen Augen; Mentor von TAUBENPFOTE
FUCHSSPRUNG – fuchsbraun getigerter Kater
EISWOLKE – weiße Kätzin
UNKENFUSS – schwarz-weißer Kater
ROSENBLATT – dunkelcremefarbene Kätzin |
Schüler |
(über sechs Monde alt, in der Ausbildung zum Krieger) WURZELPFOTE – dunkelbraune Kätzin
BLUMENPFOTE – schildpattfarben-weiße Kätzin
HUMMELPFOTE – sehr hellgrauer Kater mit schwarzen Streifen
TAUBENPFOTE – hellgraue Kätzin mit blauen Augen
EFEUPFOTE – silberweiße Tigerkätzin mit dunkelblauen Augen |
Königinnen |
(Kätzinnen, die Junge erwarten oder aufziehen) RAUCHFELL – hellgraue Kätzin mit dunkleren Flecken und grünen Augen
MINKA – Kätzin mit langem, cremefarbenem Fell vom Pferdeort
MOHNFROST – schildpattfarbene Kätzin; Mutter von Kirschjunges und Maulwurfjunges |
Älteste |
(ehemalige Krieger und Königinnen, jetzt im Ruhestand) LANGSCHWEIF – Kater mit hellem Fell und schwarzen Streifen; früh im Ruhestand, weil fast blind
MAUSEFELL – kleine, schwarzbraune Kätzin
CHARLY – kräftiger Tigerkater mit grauer Schnauze; ehemaliger Einzelläufer |
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Anführer |
SCHWARZSTERN – großer, weißer Kater mit riesigen, pechschwarzen Pfoten |
Zweite Anführerin |
ROSTFELL – dunkle, goldbraune Kätzin |
Heiler |
KLEINWOLKE – sehr kleiner, getigerter Kater; Mentor von FLAMMENSCHWEIF |
Krieger |
EICHENFELL – kleiner, brauner Kater; Mentor von ILTISPFOTE
ESCHENKRALLE – goldbrauner Kater
RAUCHFUSS – schwarzer Kater
PILZKRALLE – dunkelbrauner Kater
KRÄHENFROST – schwarz-weißer Kater
RATTENNARBE – brauner Kater mit einer langen Narbe auf dem Rücken; Mentor von KIEFERNPFOTE
SCHNEEVOGEL – reinweiße Kätzin
BERNSTEINPELZ – schildpattfarbene Kätzin mit grünen Augen; Mentorin von STARENPFOTE
EULENKRALLE – hellbraun getigerter Kater
FLECKENPELZ – dunkelgrauer Kater
ROTWEIDE – braun und rostrot gescheckter Kater
TIGERHERZ – dunkelbraun getigerter Kater
LICHTFELL – cremefarbene Kätzin |
Königinnen |
KNOTENPELZ – getigerte Kätzin mit langem Fell, das nach allen Seiten absteht
EFEUSCHWEIF – Kätzin mit schildpattfarbenem und weißem Fell |
Älteste |
ZEDERNHERZ – dunkelgrauer Kater
MOHNBLÜTE – langbeinige, hellbraun gescheckte Kätzin |
|
Anführer |
KURZSTERN – braun gescheckter Kater |
Zweite Anführerin |
ASCHENFUSS – graue Kätzin |
Heiler |
FALKENFLUG – grau gescheckter Kater |
Krieger |
KRÄHENFEDER – rauchgrauer, fast schwarzer Kater mit blauen Augen
EULENBART – hellbraun getigerter Kater
HELLSCHWEIF – kleine, weiße Kätzin
NACHTWOLKE – schwarze Kätzin
RENNPELZ – roter Kater mit weißen Pfoten
HASENSPRUNG – braun-weißer Kater
BLATTSCHWEIF – dunkel getigerter Kater mit bernsteinfarbenen Augen
HEIDESCHWEIF – hellbraune Tigerkätzin mit hellblauen Augen
WINDPELZ – schwarzer Kater mit bernsteinfarbenen Augen; Mentor von BROCKENPFOTE
GRASBART – hellbraun getigerter Kater
SCHWALBENSCHWEIF – dunkelgraue Kätzin
SONNENSTRAHL – schildpattfarbene Kätzin mit weißer Blesse |
Älteste |
SPINNENFUSS – dunkelgrau getigerter Kater
FETZOHR – getigerter Kater |
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Anführerin |
LEOPARDENSTERN – ungewöhnlich getupfte, goldfarbene Kätzin |
Zweite Anführerin |
NEBELFUSS – graue Kätzin mit blauen Augen |
Heilerin |
MOTTENFLÜGEL – schöne, golden gestreifte Kätzin mit bernsteinfarbenen Augen; Mentorin von MAULBEERGLANZ |
Krieger |
SCHILFBART – rauchschwarzer Kater
GRAUNEBEL – hellgrau getigerte Kätzin
Eisflügel – weiße Kätzin mit blauen Augen
FISCHFLOSSE – dunkelgraue Kätzin
KIESELFUSS – grau gescheckter Kater
MALVENNASE – hellbraun getigerter Kater
BLÜTENFELL – grau-weiße Kätzin
WIESENFELL – hellbrauner Kater
REGENSTURM – blaugrauer Kater mit Tupfen |
Königin |
MOOSPELZ – schildpattfarbene Kätzin mit blauen Augen |
Älteste |
TUPFENNASE – grau getupfte Kätzin
SPRINGSCHWEIF – goldbraun-weißer Kater |
PROLOG
Über dem leblosen Waldboden flüsterten die Bäume von Zweig zu Zweig. Nebel wirbelte knochenbleich um die glatten Stämme und driftete durch den nachtdunklen Wald. Jenseits der Wipfel gähnte eine sternenlose, kalte Leere. Obwohl kein Mond am Himmel stand und seine Schatten warf, schimmerte ein geisterhaftes Licht durch die Bäume.
Pfoten stampften auf der toten Erde. Zwei Krieger bäumten sich auf und stürzten aufeinander los. Wie Geister schwankten und wanden sich ihre Körper in der Düsternis, der eine braun, der andere schwarz. Wind rüttelte in den Bäumen, als der braune Kater mit den breiten Schultern zu einem hinterhältigen Schlag gegen seinen schlanken Gegner ansetzte. Der schwarze Kater wich aus, den Blick unverwandt auf die Pfoten seines Feindes gerichtet, die Augen schmal vor Konzentration.
Der Schlag des braunen Kriegers ging ins Leere, und er landete schwer auf den Pfoten, zu langsam, um einem scharfen Biss des schwarzen Katers zu entgehen. Fauchend richtete er sich erneut auf, drehte sich geschickt auf einer Hinterpfote und griff an. Wie Steine fielen seine Vorderpfoten auf die Schultern des schwarzen Katers. Der brach unter der Wucht des Ansturms zusammen und krachte mit einem lauten Schnaufen auf den Boden. Der braune Krieger harkte mit dornenspitzen Krallen durch den Pelz seines Gegners, seine Nase zuckte, als grellrotes, salziges Blut aus den Kratzern quoll.
Schnell wie eine Schlange wand sich der schwarze Kater aus dem Griff des anderen und schlug mit beiden Vorderpfoten auf ihn ein, abwechselnd aus der einen und aus der anderen Richtung, bis der braune Krieger zurückfuhr. Bei diesem Zurückzucken – einem winzigen Moment der Ablenkung – stürzte der schwarze Kater vor und grub seine Zähne tief in die Vorderpfote des Kriegers.
Der Braune jaulte auf und stieß den Kater mit vor Wut lodernden Augen von sich. Ein Herzschlag verging, in dem sich beide Kater gegenseitig mit einem berechnenden Funkeln in den Augen musterten. Dann duckte sich der schwarze Kater und schob und krallte sich unter den schneeweißen Bauch des braunen Kriegers. Doch ehe er wieder entwischen konnte, ließ sich der Braune auf ihn fallen, schlug die langen, gebogenen Krallen in seinen Pelz und drückte ihn zu Boden.
»Zu langsam«, knurrte der braune Krieger.
Der schwarze Kater wehrte sich, Panik in den Augen, als sich die scharfen Zähne seines Gegners langsam um seine Kehle schlossen.
»Genug.« Ein dunkler Tigerkater trat aus dem Schatten und zerriss mit seinen riesigen Pfoten den Nebel.
Die beiden Kämpfer erstarrten und lösten sich voneinander. Der braune Krieger setzte sich auf die Hinterbeine und hob seine schmerzende Vorderpfote. Der Schwarze richtete sich mühsam auf und schüttelte sich, wobei kleine Blutstropfen auf den Waldboden regneten.
»Gut gekämpft, Habichtfrost.« Der Tigerkater nickte dem breitschultrigen Kater zu, bevor sein Blick zu dem schwarzen Kater huschte. »Schon besser, Windpelz, aber du musst noch schneller werden, wenn du stärkere Krieger besiegen willst. Wenn du einem Gegner an Gewicht unterlegen bist, solltest du dich auf deine Geschwindigkeit besinnen und sein Gewicht gegen ihn einsetzen.«
Windpelz neigte den Kopf. »Ich werde mich bemühen, Tigerstern.«
Ein vierter Kater glitt aus dem Schatten. Seine silbernen Streifen glänzten im Halbdunkel, als er um Tigerstern herumstrich. »Habichtfrost kann jeden Krieger besiegen«, schnurrte er weich wie Honig. »Es gibt nicht viele Katzen mit so viel Kampfgeschick und Kraft.«
Tigerstern fletschte die Zähne. »Still, Dunkelstreif!«, fauchte er. »Habichtfrost weiß selbst, wie stark er ist.«
Dunkelstreif blinzelte. »Ich wollte nicht …«
Tigerstern unterbrach ihn. »Es gibt immer Möglichkeiten, sich zu verbessern.«
Ein fünfter Kater schlüpfte hinter einem Baum hervor. Sein nachtschwarzer Pelz hob sich struppig vor der glatten, grauen Rinde ab. »Habichtfrost verlässt sich zu sehr auf seine Kraft«, murmelte er, »und Windpelz zu sehr auf seine Schnelligkeit. Gemeinsam würden sie einen großen Krieger ergeben. Getrennt voneinander sind sie verwundbar.«
»Braunstern«, begrüßte Habichtfrost den Tigerkater mit dem verfilzten Fell und bleckte die Zähne. »Sollen wir von einem Krieger Ratschläge annehmen, dem es nicht einmal gelungen ist, Häherfeder zum Schweigen zu bringen?«
Braunsterns Schwanzspitze zuckte. »Ich hatte nicht erwartet, dass der SternenClan so erbittert kämpfen würde, um ihn zu retten.«
»Unterschätze niemals deinen Feind.« Habichtfrost streckte seine Vorderpfote aus und zuckte vor Schmerz zusammen.
Windpelz leckte über die tiefen Kratzer an seiner Flanke und seine Zunge färbte sich rot von seinem eigenen Blut.
»Wir müssen bereit sein«, knurrte Tigerstern. »Es reicht nicht aus, einen Feind nach dem anderen schlagen zu können. Wir müssen so lange trainieren, bis jeder von uns mit einer Pfote eine ganze Patrouille besiegen kann.«
Mit blitzenden Augen sah Windpelz von seiner Wunde auf. »Ich kann Hasensprung und Blattschweif im Training schon besiegen.«
Tigersterns Augen wurden finster. »Ein Training ist kein echter Kampf. Krieger kämpfen härter, wenn sie ihr Leben verteidigen müssen.«
Windpelz grub seine Krallen in die Erde. »Ich kann auch härter kämpfen.«
Tigerstern nickte. »Du hast mehr Grund dazu als die meisten anderen.«
Ein Knurren rasselte in Windpelz’ Kehle.
»Dir wurde schweres Unrecht angetan«, miaute Tigerstern.
In der Dämmerung sah Windpelz’ Gesicht aus wie das eines Jungen. »Außer euch scheint das niemand zu begreifen.«
»Ich habe doch dir gesagt, dass du Rache nehmen musst«, erinnerte ihn Tigerstern. »Mit unserer Hilfe kannst du dich an jeder Katze rächen, die dich verraten hat.« Windpelz’ Blick wurde hungrig und der dunkle Krieger fuhr fort: »Und an jeder Katze, die untätig danebenstand, während andere das, was eigentlich dir gebührt, für sich beansprucht haben.«
»Angefangen mit Krähenfeder.« Windpelz fauchte den Namen seines Vaters.
Braunsterns gekrümmter Schwanz peitschte durch die Luft. »Was hat dein Vater getan, um dich zu verteidigen?« Seine Worte waren voller Bitterkeit, als würden eigene Erinnerungen darin mitschwingen.
Dunkelstreif schlich vor. »Er hat dich nie wirklich geschätzt.«
Tigerstern scheuchte den gestreiften Krieger mit einem Schwanzschnippen zurück. »Er hat versucht, dich kleinzumachen, dich zu schwächen.«
»Das ist ihm nicht gelungen«, zischte Windpelz.
»Aber er hat es versucht. Vielleicht sind ihm seine Donner-Clan-Jungen lieber gewesen. Diese drei Jungen hätten niemals geboren werden dürfen.« Mit glänzenden Augen tappte Tigerstern auf den jungen Krieger zu und fixierte ihn wie eine Schlange, die ihre Beute hypnotisiert. »Du wurdest mit Lügen und der Schwäche anderer gesäugt. Du hast gelitten, während andere gediehen. Aber du bist stark. Du wirst die Dinge wieder ins Lot bringen. Dein Vater hat seinen Clan verraten und er hat dich verraten. Und Blattsee hat den SternenClan verraten, indem sie sich einen Gefährten nahm.«
Windpelz’ Schwanz peitschte. »Ich werde sie für das, was sie getan haben, bezahlen lassen.« Kein Feuer brannte in seinen Augen, nur kalter Hass. »Ich werde mich an jedem Einzelnen von ihnen rächen.«
Braunstern drängte sich vor. »Du bist ein edler Krieger, Windpelz. Du kannst kein Leben führen, das auf Lügen beruht. Die Treue gegenüber dem Gesetz der Krieger fließt zu stark durch dein Blut.«
»Anders als bei diesen Schwächlingen«, stimmte Windpelz zu.
Habichtfrost erhob sich auf die Pfoten. »Trainieren wir weiter?«, schlug er vor.
Tigerstern schüttelte den Kopf. »Auf dich wartet eine andere Aufgabe.« Er schwenkte den breiten Kopf herum und sah den Krieger an.
Habichtfrosts Augen verengten sich zu eiskalten Schlitzen. »Welche?«
»Es gibt noch eine Schülerin«, erklärte Tigerstern. »Sie hat große Macht. Sie muss sich uns anschließen, damit der Kampf ausgeglichen ist.«
»Willst du, dass ich sie besuche?« Habichtfrosts Stimme klang bedrohlich.
Tigerstern nickte. »Wandle in ihren Träumen. Zeige ihr, dass unser Kampf ihr Schicksal sein wird.« Er schnippte mit der Spitze seines langen, dunklen Schwanzes. »Geh!«
Der breitschultrige Krieger wandte sich ab und eilte durch den Nebel davon. Tigerstern knurrte ihm nach: »Es wird dir nicht schwerfallen. Sie ist bereit.«
1. KAPITEL
Taubenpfote zitterte im Schlaf.
»Taubenpfote! Taubenpfote!« Stimmen heulten um sie herum, als sie gegen die Strömung kämpfte, die an ihrem Pelz zerrte und sie durch die Dunkelheit trudeln ließ. »Taubenpfote!« Die Schreie waren voller Angst. Bäume und Zweige wirbelten an ihr vorbei und schossen flussabwärts davon. Unter ihr klaffte die Dunkelheit in so endlose Tiefen, dass ihr der Schrecken die Kehle zuschnürte.
»Taubenpfote!« Kräuselschweifs verzweifeltes, einsames Gewimmer hallte ihr in den Ohren.
Sie schrak hoch und öffnete blinzelnd die Augen.
Neben ihr regte sich ihre Schwester Efeupfote. »Hast du geträumt?« Die silberweiße Tigerkatze hob den Kopf und sah Taubenpfote besorgt an. »Du hast gezappelt wie eine Maus.«
»Ein schlechter Traum.« Taubenpfote bemühte sich, ruhig zu klingen. Ihr Herz klopfte und Kräuselschweifs Schrei hallte in ihrem Kopf wider. Sie beugte sich vor und leckte Efeupfote über den Kopf. »Aber jetzt ist er verschwunden«, log sie.
Langsam schlossen sich Efeupfotes schläfrige Augen wieder und Taubenpfote atmete den süßen Duft ihrer Schwester ein. Ich bin zu Hause. Alles ist gut. Doch ihr Herz pochte immer noch. Sie reckte sich in ihrem Nest, während ihr ein Schauder bis in die Schwanzspitze fuhr, und kam dann auf die Pfoten. Vorsichtig tappte sie zwischen den Nestern hindurch aus dem Bau.
Mondlicht schien auf die verlassene Lichtung herab, und über der Felswand, die das Lager umgab, erhellte das milchweiße Licht der Morgendämmerung den Horizont. Das Maunzen von Mohnfrosts neugeborenen Jungen drang von der Kinderstube zu ihr und aus den Bauen rumpelten Schnarchlaute. Die Luft fühlte sich seltsam an, strich kühl und feucht über ihre Schnauze. Viele Monde lang hatte Taubenpfote nur den straubtrockenen Wind der Dürre gekannt, der ihr die Zunge ausdörrte. Doch nun konnte sie die grüne Frische des Waldes schmecken, so berauschend und köstlich.
Dünne Wolken zogen über den sternengesprenkelten Himmel und umhüllten das Silbervlies wie Spinnweben. Sie fragte sich, ob Kräuselschweif wohl zwischen ihren sternenhellen Vorfahren zu ihr hinabschaute.
Es tut mir leid. Die Worte hallten durch ihren Kopf wie der einsame Ruf einer Eule.
Obwohl die lange Reise den Fluss hinauf bereits einen Viertelmond zurücklag, schmerzte die Erinnerung daran noch in ihren Muskeln. Taubenpfote war mit Löwenglut und je zwei Katzen aus den drei anderen Clans losgezogen, um die Biber aufzuspüren, die den Bach gestaut und dem See das Wasser geraubt hatten. Gemeinsam hatten sie den Damm zerstört und eine Sturzflut entfesselt, die den See wieder aufgefüllt hatte. Nun kehrte das Leben in die Clan-Territorien zurück. Sie spürte es im Rascheln des Waldes, hörte es in den Bewegungen der Beute jenseits der Lagergrenzen.
Stolz stieg in ihr auf. Sie war es gewesen, die die Biber entdeckt hatte, als sie den Fluss blockierten. Sie hatte geholfen, ihren Damm zu zerstören, und nun würden alle Clans überleben.
Doch die Erinnerung lag bittersüß wie Schafgarbe auf ihrer Zunge. Der FlussClan-Krieger Kräuselschweif war im Kampf gegen die großen, braunen Tiere gestorben, deren schwere Körper stärker waren als Füchse, ihre zuschnappenden gelben Zähne tödlicher als Klauen.
Erinnerungen an die Reise drängten sich seit ihrer Rückkehr in Taubenpfotes Gedanken, und Kräuselschweifs Tod suchte sie in ihren Träumen heim. Empfand Löwenglut das auch so? Sie wagte nicht, ihn zu fragen. Und sie konnte auch Häherfeder nicht anvertrauen, wie sehr ihr die Reise noch im Kopf herumspukte. Die beiden könnten sie sonst für schwach halten. Dabei stand ihr ein großes Schicksal bevor.
Wie konnte sie der Prophezeiung nur gerecht werden, die Feuerstern vor so vielen Monden schon erhalten hatte? Drei werden es sein, Blut von deinem Blute. Sie halten die Macht der Sterne in ihren Pfoten.
Taubenpfote war eine dieser Drei, gemeinsam mit Löwenglut und Häherfeder. Diese Erkenntnis erschütterte sie immer noch zutiefst. Vor weniger als einem Mond erst war sie Schülerin geworden und doch trug sie bereits mehr Verantwortung auf ihren Schultern als ein älterer Krieger. Was konnte sie anderes tun, als die Macht, die ihr verliehen worden war, zu verbessern, die Macht, die sie zu den Drei gehören ließ? Sie übte jeden Tag und streckte ihre Sinne so weit wie möglich hinaus in den Wald, lauschte, schmeckte und spürte nach Geräuschen und Bewegungen, die selbst Häherfeder nicht wahrnehmen konnte.
Taubenpfote kauerte vor dem Bau, das Fell gekräuselt in der feuchten Luft, und schloss die Augen. Sie streifte das Gefühl der Erde unter ihren Pfoten von sich ab, verdrängte die Laute von Mohnfrosts Jungen, die in der Kinderstube zappelten, und ließ ihre Sinne wandern. Der Wald zitterte vor Leben und füllte ihren Kopf mit Gerüchen und Geräuschen: Vögel, die ihr Gefieder schüttelten, ehe sie ihr Morgenlied anstimmten, eine frühe SchattenClan-Patrouille, die verschlafen aus dem Lager trottete und deren Pfoten auf dem schlüpfrigen, nadelübersäten Boden rutschten. Der scharfe Geruch der Katzenminze neben dem verlassenen Zweibeinernest kitzelte ihre Zunge. Das Geräusch von Wasser, das über den steinigen Boden des Bachs an der WindClan-Grenze plätscherte, zauste ihr Ohrenfell.
Achtung!
Warum schlichen zwei Katzen so früh am Seeufer entlang?
Taubenpfotes Pelz prickelte besorgt. Sie öffnete die Augen. Das musste sie den anderen sagen. Aber wie sollte sie das erklären, ohne ihre geheime Macht zu offenbaren? Löwenglut? Nein. Zu ihrem Mentor konnte sie nicht gehen. Er schlief noch im Kriegerbau, und sie konnte ihn unmöglich wecken, ohne seine Baugefährten zu stören.
Häherfeder? Natürlich! Er schlief allein im Heilerbau, seit Blattsee sich den Kriegern angeschlossen hatte. Taubenpfote rannte über die Lichtung und schob sich durch die Flechten, die über dem Eingang der schattigen Höhle hingen.
»Häherfeder!« Sie riss die Augen weit auf, um sie dem Dämmerlicht anzupassen, eilte zu seinem Nest und stieß ihn mit der Nase an.
Sein grau getigertes Fell war zerzaust vom Schlaf und er hatte die Nase tief unter seine Pfote geschoben. »Geh weg«, grummelte er.
»Es ist aber wichtig!«, zischte Taubenpfote.
Die Heiler-Katze hob das Kinn und schlug die blinden, blauen Augen auf. »Ich habe geträumt!«, blaffte er.
Taubenpfote erstarrte. Hatte sie etwa eine Botschaft vom SternenClan unterbrochen?
»Ich war gerade dabei, eine Maus zu fangen.« Häherfeder hielt seine Pfoten eine Schnurrhaarlänge voneinander entfernt in die Höhe. »Sie war nur so weit von mir weg.«
Taubenpfote unterdrückte ein Schnurren. Sehr tröstlich zu wissen, dass Häherfeder wie alle anderen Katzen auch vom Mäusejagen träumte. »Entschuldige.«
»Das ist nicht lustig!« Häherfeder stand auf und schüttelte sein Fell. Taubenpfote wich zurück, als er aus seinem Nest sprang und leichtfüßig neben ihr landete.
»Was ist los?« Häherfeder leckte sich die Pfote und strich damit über seine Schnurrhaare.
»Zwei Katzen gehen um den See herum.«
Häherfeder ließ die Pfote sinken und sah sie an. Taubenpfote blinzelte. Sie war immer noch nicht daran gewöhnt, dass Häherfeder sich trotz seiner Blindheit so benahm, als könne er sehen.
»Sind sie auf dem Weg zum DonnerClan-Territorium?«
Taubenpfote nickte, erleichtert, weil er nicht fragte, ob sie sich sicher war. Er glaubte ihr einfach, vertraute ihr ganz und gar. Er hatte Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Sie gehörte wirklich zu den Drei.
Häherfeder stieß einen langen, nachdenklichen Atemzug aus. »Weißt du, aus welchem Clan sie stammen?«
Warum hatte sie das nicht längst überprüft? Taubenpfote aktivierte ihre Sinne und ließ sie bis zum Seeufer schweifen, bis zu den beiden gleichmäßig vor sich hin marschierenden Katzen.
»FlussClan«, hauchte sie, als sie den fischigen Geruch erkannte. Nun sah sie auch die Farben ihrer Pelze vor sich: Eine war golden gestreift, die andere grau.
Die gestreifte Katze war kleiner, eine Kätzin. »Mottenflügel.« Das Fell der Heiler-Katze roch stark nach Kräutern.
Die Graue war ebenfalls eine Kätzin, aber größer und mit den muskulösen Schultern einer erfahrenen Kriegerin. »Und Nebelfuß.« Die Zweite Anführerin des FlussClans.
Häherfeder nickte und seine Augen wurden trüb.
»Was ist?« Taubenpfote neigte sich näher zu ihm.
»Sie trauern«, murmelte er.
Nun erkannte auch sie die Traurigkeit in den langsamen, schleppenden Schritten der FlussClan-Katzen. Doch der Kummer in Häherfeders Stimme verriet ihr, dass er ihren Schmerz so deutlich spürte, als wäre es sein eigener. »Worum trauern sie?«
»Ich nehme an, Leopardenstern ist tot«, seufzte er.
»Tot?« Taubenpfote erstarrte. »Sie hat all ihre Leben verloren?«
»Sie hatte ihr neuntes erreicht. Es war nur noch eine Frage der Zeit.« Häherfeder stand langsam auf und ging zu einem Felsspalt im hinteren Bereich des Heilerbaus. »Nebelfuß und Mottenflügel sind sicher auf dem Weg zum Mondsee«, rief er ihr über die Schulter zu. »Damit Nebelfuß ihre neun Leben erhält.«
Er verschwand in dem Spalt und seine Stimme hallte aus dem Schatten. »Wenn wir schon so früh wach sind«, die Worte klangen vorwurfsvoll, »können wir uns auch nützlich machen.«
Taubenpfote hörte seine Worte kaum. Leopardenstern, tot? Sie ließ ihre Sinne auf die andere Seite des Sees schweifen, hinüber zum FlussClan-Lager. Bilder des trauernden Clans zogen in ihren Kopf. Katzen kreisten unruhig um einen Leichnam in der Mitte der Lichtung, während andere Rosmarin und Wasserminze in den getupften Pelz rieben, um den Geruch des Todes zu überdecken. Eine Königin scheuchte ihre Jungen hektisch in die Kinderstube.
Häherfeder trat mit einem Kräuterbündel im Maul aus dem Spalt. »Nebelfuß wird eine gute Anführerin sein«, miaute er, ließ die Kräuter fallen und verschwand wieder in seinem Vorratslager. »Sie ist gerecht und weise und wird von den anderen Clans respektiert.« Er kehrte mit einem weiteren Bündel zurück, das er neben das erste legte.
»Jagt Leopardenstern jetzt mit dem SternenClan?«
»Der SternenClan wird eine edle Kriegerin wie sie sicher gerne willkommen heißen.« Häherfeder teilte die streng riechenden Blätter in kleinere Haufen auf, Taubenpfote rümpfte die Nase.
Ihre Aufmerksamkeit kehrte zum Heilerbau zurück. »Was machst du da?«
»Wir müssen die Kräuter ausbreiten, damit sie trocknen.«
»Und was sollen wir wegen Leopardenstern tun?«
»Nichts.« Häherfeder schob ihr einen Kräuterhaufen zu. »In die Vorratshöhle ist Regenwasser eingedrungen, und ich will nicht, dass die Blätter vermodern«, erklärte er.
»Sollten wir es nicht Feuerstern sagen?«
»Willst du ihn wecken?«
Taubenpfote starrte auf den Blätterhaufen vor sich. Vermutlich spielte es wirklich keine Rolle, ob sie wartete, bis er wach war und aus seinem Bau kam.
Häherfeder pflückte bereits geschickt die Blätter seines Haufens auseinander und legte sie einzeln auf dem trockenen Boden aus. Vorsichtig zog Taubenpfote ein breites, schlaffes Blatt aus ihrem Bündel. »Wird eigentlich immer der Zweite Anführer zum Anführer ernannt?«
»Solange kein anderer Krieger glaubt, er könne den Clan besser anführen.«
Mit dem Blatt in der Pfote sah Taubenpfote ihn überrascht an. »Ist das schon mal vorgekommen?«
Häherfeder nickte. »Beim WindClan. Kurzstern musste um seine Herrschaft kämpfen.«
»Kämpfen?« Taubenpfote legte das Blatt neben die anderen und versuchte, ihre Pfote ruhig zu halten. Konnten Clan-Gefährten wirklich gegeneinander kämpfen?
»Moorkralle meinte, er wäre der bessere Anführer«, antwortete Häherfeder nüchtern. Seine Reihe getrockneter Blätter war bereits eine Schwanzlänge lang. Taubenpfote bemühte sich, schneller zu arbeiten.
»Vorsicht!«, warnte Häherfeder. »Wenn du sie zerreißt, verlieren sie einen großen Teil ihrer heilenden Säfte.«
Taubenpfote zögerte und zog dann ein weiteres Blatt aus dem durchnässten Haufen. »Kommt das oft vor?« Ihr Magen verkrampfte sich. »Ich meine, dass Clan-Gefährten kämpfen, weil sie Anführer sein wollen.«
Häherfeder schüttelte den Kopf. »Ganz selten. Und wenn Nebelfuß schon auf dem Weg zum Mondsee ist, hat offenbar auch niemand Einspruch erhoben.« Er rückte die Blätter zurecht, die Taubenpfote ausgelegt hatte. »Obwohl es allerdings mal eine Zeit gegeben hat, in der sie sicher auf Widerstand gestoßen wäre.«
»Wann denn?« Taubenpfote ließ ihre Sinne zurück zum FlussClan-Lager wandern und suchte besorgt nach peitschenden Schwänzen oder ausgefahrenen Krallen, die Unzufriedenheit anzeigten. Sie fand nichts, nur die langsamen Schritte und hängenden Schwänze eines trauernden Clans.
»Als Habichtfrost noch lebte.« Häherfeder spie den Namen förmlich aus. »Mottenflügels Bruder.«
»Habichtfrost?« Diesen Namen hatte Taubenpfote schon in den Geschichten der Ältesten gehört, wenn sie von den Tagen erzählen, in denen die Clans am See eine neue Heimat gefunden hatten.
»Er ist tot, dem SternenClan sei Dank.« Häherfeder sah nicht von seiner Arbeit auf, doch seine Pfoten wurden langsamer, als würden ihn die Erinnerungen ablenken.
»Hast du ihn im SternenClan gesehen?«, fragte Taubenpfote.
»Beeil dich.« Häherfeder ignorierte ihre Frage. »Ich will, dass alle Blätter bei Sonnenaufgang ausgebreitet sind, damit sie genügend Zeit zum Trocknen haben.«
Ob er Kräuselschweif gesehen hat? Langsam legte sie noch ein Blatt auf den Boden. Die Erinnerung an den toten FlussClan-Krieger stach ihr mitten ins Herz.
Häherfeder tappte zu seiner Felsspalte und holte ein weiteres Bündel feuchter Blätter heraus. »Haben Nebelfuß und Mottenflügel dich so früh aufgeweckt?«
Taubenpfote sah blinzelnd auf.
»Haben sie deine Träume gestört?«, drängte er.
Taubenpfote schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht über den Traum reden, der sie aus dem Schlaf gerissen hatte.
»Hast du von Kräuselschweif geträumt?«
Die Schülerin hob den Kopf, ebenso überrascht über die Frage wie über Häherfeders sanfte Stimme. War er in ihren Träumen gewandelt?
Die Heiler-Katze schüttelte den Kopf. »Ich war nicht in deinen Träumen.«
Kann er etwa meine Gedanken lesen?
Taubenpfote erschrak, doch Häherfeder fuhr fort: »Ich merke, dass du beunruhigt bist, und ich spüre deine Trauer. Sie steckt wie eine Nessel in deinem Herz und verbrennt jede Pfote, die sie herausziehen will.«
Taubenpfote holte weiter Blätter aus dem Haufen und legte sie aus, als wäre das die wichtigste Aufgabe, die sie je zu erledigen hatte.
Sie hatte sich so bemüht, ihre Gefühle zu verbergen. Was würde er nun von ihr denken, nachdem er wusste, wie weich sie war? War er enttäuscht, dass ausgerechnet sie zu den Drei gehörte?
Doch Häherfeder sortierte weiter ganz ruhig seine Blätter. »Vielleicht hast du das Gefühl, du wärst verantwortlich für seinen Tod, aber das bist du nicht«, sagte er zu ihr. »Du hast ein Schicksal, aber das gilt auch für jede andere Katze. Kräuselschweif war es immer schon vorherbestimmt, Teil der Gruppe zu sein, die den Fluss befreit. Er war schon von Geburt an sehr mutig und ohne ihn hättet ihr es niemals geschafft. Sein Tod hat euch geleitet und geholfen, eine Möglichkeit zu finden, um die Biber zu besiegen. Er ist gestorben und hat damit das Leben seiner Clan-Gefährten gerettet. Der SternenClan hat ihn in den Kampf geführt, in dem er getötet wurde, nicht du.«
Taubenpfote schaute tief in die blauen Augen der Heiler-Katze. »Ist das wirklich wahr?«
»Ganz bestimmt.« Häherfeder rollte ein zerrissenes Blatt zu einem festen Knäuel zusammen und wickelte es in ein anderes ein. Sein Miauen wurde wieder forsch. »Die Säfte des frischen Blattes sickern heraus und stärken so das beschädigte Blatt«, erklärte er.
Taubenpfote nickte, ohne wirklich zuzuhören. Häherfeder war es gelungen, die Nessel in ihrem Herzen zu berühren und ihr Brennen zu lindern. Zum ersten Mal seit Kräuselschweifs Tod spürte sie Frieden in sich. War es wirklich so einfach? Sollte sie einfach nur ihrem Schicksal folgen und alles andere dem SternenClan überlassen?
Aber eines Tages würde sie stärker als der SternenClan sein. Das hatte Löwenglut versprochen. Was dann?
Sie setzte sich auf die Hinterpfoten. Mittlerweile strömte Sonnenlicht durch die herabhängenden Brombeerzweige vor dem Höhleneingang. Vor ihr lagen lange Reihen von Blättern zum Trocknen aus. »Feuerstern ist jetzt bestimmt wach. Sollen wir ihm von Leopardenstern erzählen?«
Häherfeders Augen blitzten. »Und wie willst du ihm erklären, woher du das weißt?«
Taubenpfote stutzte. »Sollte Feuerstern nicht von meiner Gabe wissen?«
Feuerstern war davon ausgegangen, dass sie durch einen Traum, den ihr der SternenClan geschickt hatte, von den Bibern erfahren hatte, und Taubenpfote hatte nichts gesagt, um seinen Irrtum zu berichtigen. Doch dass sie vom Tod eines anderen Clan-Anführers träumen würde, war doch ziemlich unwahrscheinlich.
»Nein.« Häherfeder zupfte ein Blatt heraus, das bereits anfing zu modern, und warf es weg. »Es ist alles schon kompliziert genug.«
»Weiß er auch nichts von deiner Macht?«
Häherfeder fegte mit dem Schwanz den Staub von den Blättern. »Er weiß nicht mal, dass wir die Drei sind.«
Sorge sackte wie ein kalter Stein in Taubenpfotes Bauch. »Das weiß er nicht?« Warum nicht? Warum müssen wir unsere Gaben verstecken, wenn wir doch die Zukunft der Clans beschützen sollen? Immerhin war die Prophezeiung zuerst zu Feuerstern gekommen. »Aber der SternenClan hätte ihn doch nicht in die Prophezeiung eingeweiht, wenn er nicht will, dass Feuerstern …«
Häherfeder unterbrach sie. »Du solltest dich einer Patrouille anschließen«, miaute er. »Ich mach das hier fertig.«
Sie öffnete das Maul, wollte widersprechen, doch er fuhr fort: »Ich höre Brombeerkralle aus dem Bau kommen. Er mag es nicht, wenn man ihn warten lässt.«
Zögernd wandte sich Taubenpfote ab. Mehr Antworten konnte sie von Häherfeder nicht erwarten.
Als sie sich aus dem Bau schob, sah sie Brombeerkralle neben dem Steinfall sitzen, der zur Hochnase hinaufführte. Rußherz ging vor ihm auf und ab, während die anderen Krieger aus ihren Bauen traten, um zu hören, welche Pflichten heute auf sie warteten. Die Augen des Zweiten Anführers blitzten überrascht, als er Taubenpfote aus Häherfeders Bau tappen sah.
»Alles in Ordnung?«, rief er.
Taubenpfote zwang ihre zuckenden Ohren zur Ruhe. »Ich hatte nur ein bisschen Bauchweh«, log sie. »Ist schon viel besser.«
Brombeerkralle nickte. »Dann kannst du ja mit Löwenglut und mir auf Patrouille gehen.«
»Hab ich da meinen Namen gehört?« Löwenglut tauchte gähnend aus dem Kriegerbau auf.
»Du gehst mit der Morgenpatrouille«, sagte Brombeerkralle zu ihm.
Die Augen des goldenen Kriegers leuchteten auf. Dann erblickte er Taubenpfote und sah sie fragend an. Er schien zu spüren, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie schüttelte hastig den Kopf.
In der Kinderstube raschelte es und Mohnfrosts Junge purzelten mit ihrer Mutter ins Freie. Die Kätzin schüttelte müde den Kopf. »Warum müssen Junge immer nur so früh aufwachen?« Sie zog Kirschjunges und Maulwurfjunges mit dem Schwanz zu sich her, als sie zu den Kriegern hüpfen wollten, die sich vor den Felsen versammelt hatten. »Bleibt aus dem Weg«, ermahnte sie die beiden.
»Aber ich will Brombeerkralle zuhören«, beschwerte sich Kirschjunges.
»Wir stören auch nicht«, versprach Maulwurfjunges.
Taubenpfote sah die Jungen ausdruckslos an. Das Wissen von Leopardensterns Tod wühlte in ihr, während ihre Clan-Gefährten nichts anderes im Kopf hatten als die anstehenden Jagdpatrouillen. Auf einmal hatte sie das Gefühl, sie wäre hinter einem Wasserfall gefangen, durch den glitzernden Schwall von ihren Clan-Gefährten getrennt und ihre Stimme übertönt von seinem Brausen.
Efeupfote sprang auf sie zu. »Es ist noch so früh!«, beschwerte sie sich, aber ihre Augen funkelten vor Aufregung. »Riecht der Wald nicht wunderbar?« Sie holte tief Luft und leckte sich über die Lippen. »Die Luft schmeckt nach Beute.«
Brombeerkralle nickte der silberweißen Schülerin zu. »Du könntest dich mit Rußherz unserer Grenzpatrouille anschließen.«
»Ja, bitte!« Efeupfote sah ihre Schwester an. »Wetten, ich fange heute die erste Beute.«
Rußherz tappte mit schnippendem Schwanz an ihnen vorbei. »Wir werden erst dann jagen, wenn wir uns vergewissert haben, dass die Grenzen sicher sind«, ermahnte sie ihre Schülerin.
»Ja, aber danach dann bestimmt.« Efeupfote sprang der grau getigerten Katze hinterher. Taubenpfote folgte und holte Löwenglut vor dem Dornentunnel ein. Brombeerkralle, Rußherz und Efeupfote verließen bereits das Lager.
Soll ich Löwenglut von Leopardenstern erzählen?
»Komm schon, Taubenpfote!«, rief Efeupfote ihr zu.
Nein. Ich sag’s ihm später.
Sie schlüpfte an ihrem Mentor vorbei und zwängte sich hinter ihrer Schwester in das tropfnasse Unterholz. Die Unwetter hatten den Waldboden weich und geschmeidig gemacht, die Erde federte und duftete unter ihren Pfoten. Die Sonne schien schon warm auf sie herab und Dunstschwaden zogen die Zweige entlang.
Frisch gefallene Blätter, durch die Regenflut von den Ästen gerissen, lagen auf dem Boden. Taubenpfote schob sich durch das Laub zu ihrer Schwester und warf ihr laut schnurrend eine Pfote voll über den Rücken.
»He!« Efeupfote schüttelte sich die Blätter aus dem Fell und ließ ebenfalls ein Büschel auf Taubenpfote hinabregnen. Dann machte sie kehrt und preschte davon.
Taubenpfote flitzte hinterher. Ihre Schwester sprang auf einen umgestürzten Baum und wirbelte dabei mit den Krallen eine Wolke aus Rindenstückchen auf, die sich in Taubenpfotes Schnurrhaaren verfingen. Sie sprang zu Efeupfote hinauf, gab ihr einen Schubs, der ihre Schwester aus dem Gleichgewicht brachte, und beobachtete mit einem amüsierten Jaulen, wie sie schwankte und dann dramatisch auf der anderen Seite herabfiel. Mit einem Quieken plumpste sie in ein dichtes Farnbüschel und verschwand.
»Efeupfote?« Taubenpfote schnupperte an den Farnen und machte den Schwanz ganz steif, als sie keine Bewegung witterte. »Was ist mit dir?«
Die Farne explodierten, als Efeupfote hervorstürzte und Taubenpfote auf den Rücken rollte. Triumphierend drückte sie ihre Wurfgefährtin zu Boden. »Nicht mal Kirschjunges wäre auf so einen Trick reingefallen!«, schnurrte sie.
Taubenpfote stieß Efeupfote mit den Hinterpfoten beiseite und spürte, wie stark sie von der langen Reise zu den Bibern geworden war. Efeupfote rappelte sich auf und flitzte davon, als Taubenpfote sich auf sie werfen wollte.
»Ha! Daneben!«, triumphierte sie und raste den Abhang hinunter, der zum See führte.
Taubenpfote jagte ihr nach, bis der Wald bereits lichter wurde. Fast wäre sie voll gegen Efeupfote geprallt, die jäh stehen geblieben war.
»Guck mal!« Die silberweiße Schülerin starrte mit offenem Maul auf den See.
Das riesige, ausgetrocknete Seebett mit den wenigen seichten, schlammigen Pfützen, in denen sich, eifersüchtig beobachtet von den Clans, die Fische gedrängt hatten, war verschwunden.
Stattdessen kräuselte sich eine riesige Fläche glänzenden, silbernen Wassers im Sonnenlicht des frühen Morgens. Der randvolle See plätscherte friedlich unter den überhängenden Bäumen und Sträuchern und schwappte träge gegen das Ufer. Sein frischer, kühler Geschmack netzte Taubenpfotes Zunge, wie der feuchte Wald strotzend vor Versprechen von Leben.
»Komm!« Efeupfote rannte schon zwischen den Bäumen hervor.
Taubenpfote flitzte hinter ihr her, ihre Pfoten rutschten auf dem feuchten Gras und beinahe wäre sie kopfüber die schmale, sandige Böschung über dem Ufer hinuntergepurzelt. Kiesel klackerten, als sie hinter Efeupfote die Wasserkante erreichte.
»Ich habe noch nie so viel Wasser gesehen!« Wellen leckten an Efeupfotes Krallen.
Taubenpfote blieb etwas zurück. Plötzlich erinnerte sie sich an die Sturzflut, die aus dem Biberdamm hervorgeschossen war, Bäume umriss, Sträucher entwurzelte und wie ein Sturm um sie herumgewirbelt war, bevor die Wassermassen sie zurück in den Wald geschwemmt hatten. Damals war das Wasser beängstigend gewesen, ein schäumendes, wütend brüllendes Ungeheuer, nachdem es so lange hinter einem Damm eingesperrt gewesen war. Nun lag der See friedlich da, wie eine dicke, silberne Tigerkatze zusammengerollt unter dem blauen Himmel.
»Wo kommt das viele Wasser her?«, staunte Efeupfote. »Vom Himmel? Vom Fluss?«
Taubenpfote legte den Kopf schief und lauschte. Überall um den See herum hörte sie Wasserläufe sprudeln und plätschern, erfrischt von den jüngsten Regenfällen. »Die Bäche sind wieder da«, erklärte sie Efeupfote. »Nicht nur unserer, sondern alle, weil es so viel geregnet hat.«
»Gut«, nickte Efeupfote. »Hoffentlich geht der See nie wieder weg.« Sie senkte den Kopf, trank von dem funkelnden Wasser und sprang zurück, als eine Welle an ihre Nase spritzte.
Hinter ihnen erklang ein verärgertes Knurren. Taubenpfote wirbelte herum und sah Brombeerkralle, gefolgt von Rußherz und Löwenglut, auf sie zukommen.
»Das ist eine Patrouille, kein Ausflug für Junge!«, schimpfte er. »Mit eurem Radau habt ihr sämtliche Beute hier in der Gegend aufgeschreckt. Ich beneide die Jagdpatrouille nicht!«
Taubenpfote ließ den Kopf hängen und folgte Efeupfote, die die Böschung hinaufschlich und vor Brombeerkralle stehen blieb. »Es tut uns leid.« Ihre zuckenden Ohren brannten vor Scham.
»Ich weiß, es ist aufregend, dass der See wieder da ist«, miaute Löwenglut mit einem Hauch von Mitgefühl in der Stimme. »Aber ihr könnt später spielen.«
Brombeerkralles Blick blieb streng. »Habt ihr die Grenze hier neu markiert?« Er ließ den Schwanz hervorschnellen und deutete auf die Geruchslinie, die drei Schwanzlängen vom Wasser entfernt verlief. »Jetzt, da der See wieder voll ist, müssen wir die alten Markierungen erneuern.«
»Ich fang gleich an!« Efeupfote flitzte los. »Oh!« Sie bremste abrupt und hob mit vor Schmerz flach angelegten Ohren die Pfote.
»Was ist?« Rußherz eilte zu der Schülerin und untersuchte ihre Pfote.
Efeupfote zuckte zusammen und versuchte schnell, sie wegzuziehen.
»Halt doch still«, befahl die Kriegerin. Sie packte die Pfote der Schülerin, schnupperte an ihrem Ballen und zog dann mit den Zähnen an einem Splitter.
»Au-u-u!«, jaulte Efeupfote und versuchte wieder, sich loszureißen.
»Warte!«, schimpfte Rußherz durch ihre zusammengebissenen Zähne. »Ich hab ihn gleich.« Efeupfotes Pfote fest zwischen die Tatzen geklemmt, zog sie ein letztes Mal und holte einen langen, blutigen Splitter heraus.
»Bei allen Jungen des SternenClans, tut das weh!« Efeupfote hüpfte schimpfend im Kreis und saugte dann an ihrer Pfote.
Taubenpfote strich mitfühlend um sie herum. »Ist es schlimm?«
Langsam glättete sich Efeupfotes Fell wieder. Sie schüttelte die Pfote und untersuchte dann den kleinen Riss in ihrem Ballen, aus dem ein winziger Blutstropfen drang. »Fühlt sich schon viel besser an.«
Brombeerkralle schnupperte an dem Splitter, den Rußherz ausgespuckt hatte, und musterte dann das weiche Gras oben auf der Böschung. Seine Augen verdüsterten sich, als er die zwei Hälften eines zerbrochenen Stocks entdeckte, die in dem langen Gras vergraben lagen. »Der Splitter kommt bestimmt daher.«
Taubenpfote erkannte die beiden Teile sofort. »Auf den bin ich getreten, als wir das letzte Mal hier waren.« Sie zerrte die eine Hälfte heraus und legte sie vor Brombeerkralles Pfoten, dann zog sie auch die zweite Hälfte aus dem Gras.
Löwenglut starrte die Bruchstücke mit großen, erschrockenen Augen an. Er öffnete das Maul, um etwas zu sagen, doch Brombeerkralle kam ihm zuvor.
»Werft sie in den See«, befahl der zweite Anführer. »Ich will nicht, dass sich noch mehr Katzen daran verletzen.«
Taubenpfote hob die eine Hälfte auf und schleppte sie auf eine Anhöhe, wo das Wasser an der sandigen Böschung leckte. Sie warf den Stock so weit sie konnte und hörte vergnügt das laute Platschen, als er auf das Wasser traf. Dann kam sie zurück, um die andere Hälfte zu holen. Doch Efeupfote zog sie bereits über die Uferkante und schleuderte sie in das tiefe Wasser.
Als das zweite Holzstück auf den Wellen landete, hörte Taubenpfote durch die Bäume eine Katze schmerzerfüllt heulen. Sie erstarrte und lauschte. War noch eine Katze in einen Splitter getreten? Sie schaute zu ihren Clan-Gefährten, doch diese schauten nur ruhig zu, wie die zwei Stockhälften vom Ufer wegtrieben. Keiner von ihnen hatte einen Laut von sich gegeben.
Taubenpfote war verwirrt. Sie streckte ihre Sinne weiter aus und lauschte mit gespitzten Ohren, um herauszufinden, welche Katze dieses qualvolle Heulen von sich gegeben hatte. Ein leichter Geruch zog mit dem feuchten Wind zu ihr, mit einem Beigeschmack von Schmerz.
Häherfeder!
Sie konnte hören, wie seine raue Zunge über das Fell an seiner Flanke schabte. Seine Bewegungen waren drängend, als versuche er, die Quelle der Verletzung zu finden.
Furcht zog durch Taubenpfotes Pelz. Häherfeders Schrei hatte geklungen, als habe ihm jemand eine Kralle ins Herz getrieben. Nun stand Löwenglut neben ihr und starrte auf die Holzteile, die auf den See hinaustrieben. Sorge lag in seinem Blick, und Taubenpfote erzitterte, ohne dass sie den Grund dafür wusste.
2. KAPITEL
»Aaah!« Häherfeder schwankte. Ein Schmerz, scharf wie eine Habichtskralle, bohrte sich in seine Flanke. Er leckte wie wild daran, in der Erwartung, Blut zu schmecken. Doch sein Pelz war unversehrt.
Verwundert schnupperte er und roch nur die Kräuter, die vor ihm auf dem Boden des Heilerbaus ausgebreitet lagen. Dann streckte er zögernd die Pfote aus und tastete um sich herum nach Dornen.
Nichts.
Aber was hatte ihn dann gestochen?
Es musste Einbildung gewesen sein. Vielleicht hatte die Trauer des SternenClans über Leopardensterns Tod die Luft wie einen Stich durchdrungen. Vielleicht hatte ihn Nebelfuß’ Ernennungszeremonie auf irgendeine Weise getroffen, dass der Schock über die neuen Leben sich von ihren Gedanken auf seine übertragen hatte. Er verzog das Gesicht. Ein Wechsel in der Führung eines Clans war ein wichtiges Ereignis, da war es vielleicht unvermeidlich, dass er das zu spüren bekam.
Er tappte noch einmal an seinen Kräutern entlang und allmählich schwächte sich der stechende Schmerz in seiner Seite zu einem dumpfen Druck ab. Die Kräuterstängel trockneten rasch in der Brise, die durch die Zweige am Eingang drang, und es fiel genug Sonnenschein in den Felsenkessel und wärmte die Luft. Nun konnte er nur noch warten. Das ließ ihm genügend Zeit, um nach Mohnfrost und ihren Jungen zu sehen.
Häherfeder sprang über die Kräuter und schob sich durch die Brombeerranken, die angenehm über seinen Rücken strichen.
Feuerstern döste auf der Hochnase, hatte die Schnauze auf die Kante des zerklüfteten Gesteins gelegt. In der kühlen Luft wogte sein Atem wie eine Wolke um ihn herum. Sandsturm lag neben ihm. Häherfeder konnte hören, wie ihre Pelze aneinanderstrichen, wenn sich ihre Flanken leicht mit ihren Atemzügen hoben. Bestimmt waren sie heute Nacht wieder jagen gewesen. Häherfeder wusste, wie gern der DonnerClan-Anführer und seine Gefährtin sich aus dem Lager schlichen, wenn die anderen Katzen schliefen, und durch den Wald rannten. Bilder ihrer Jagd zogen durch Feuersterns Träume, und Häherfeder spürte die Freude des Anführers, wenn er die Freiheit des Waldes mit seiner Gefährtin genoss, die Sorgen des Clans weit weg hinter der Dornenbarriere.
Hastig zog Häherfeder seine Gedanken zurück. Es war ihm unangenehm, in die Köpfe seiner Clan-Gefährten einzudringen, auch wenn die Versuchung stets in ihm lauerte.
»Komm jetzt, Blumenpfote!«, rief Graustreif der Schülerin zu. »Du sollst helfen, nicht spielen.«
Blumenpfote erstarrte. Blätter trudelten aus dem feuchten Bündel, das sie in ihren Pfoten hielt.