ISBN: 978-3-944257-17-4
1. Auflage 2013, Altenau (Deutschland)
© 2013 Hallenberger Media GmbH, Altenau
Umschlagabbildung unter Verwendung des Bildes 37889371 (Andre Helbig) von Shutterstock.
Liebe Leserin, lieber Leser,
Sie sind dabei, sich mit einem Drama der Aufklärung auseinanderzusetzen. Mit „Emilia Galotti“ haben Sie sich Lessings „bürgerliches Trauerspiel“ vorgenommen, ein nicht ganz einfaches Stück. Wir müssen gestehen, es ist nicht ganz einfach, dieses Stück als Stück der Aufklärung zu begreifen. Was hat, werden Sie sich fragen, ein Vater, der despotisch seine Familie beherrscht, der seine Tochter am Ende umbringt, um irgendeine „Tugend“ durchzusetzen, mit Aufklärung zu tun?
Wir wollen Sie dabei unterstützen, den Figuren des Stückes näher zu kommen, und die eigentliche Problematik des Dramas zu durchschauen. (Zugegeben: Ganz werden wir die Probleme nicht lösen können. Aber das hat große Literatur immer so an sich.)
Sie werden zunächst mit dem Inhalt zusammengebracht, wobei Schritt für Schritt gezeigt wird, welche Bedeutung die einzelnen Auftritte im Gesamtrahmen des Dramas haben.
Die Handlung wird von Figuren getragen. Da macht es uns Lessing einfach, die Figuren zu gruppieren. Wir haben es zunächst mit einer Gruppe, die dem höfischen Adel zuzurechnen ist, und dann mit einer Gruppe, die sich von diesem höfischen Bereich abgrenzt, zu tun. Der Einfachheit halber sprechen wir von der „bürgerlichen Gruppe“, sind uns aber bewusst, dass diese Bezeichnung nicht ganz zutrifft. Schließlich gehört auch Graf Appiani zu dieser Gruppe. (Besser würde man deshalb einfach sagen: Die nichthöfische Gruppe.) Wir werden uns mit dem Prinzen und seinem Höfling Marinelli beschäftigen, aber auch Gräfin Orsina, die frühere Mätresse des Prinzen berücksichtigen. Aus der Gegengruppe werden Odoardo, Claudia und Emilia Galotti sowie Graf Appiani uns beschäftigen. Nachdem wir die Figuren, ihre Eigenschaften und Handlungsmotive genauer untersucht haben, werden wir sie in ihrer Zuordnung am Ende der Exposition sowie ihr Zusammenspiel im Konflikt beschreiben. Im nächsten Kapitel werden zentrale Strukturen des Dramas behandelt. Dabei geht es im Grunde um den Kontrast, der sich darstellt als Gegensatz zwischen Adel und Hof einerseits und dem privat- familiären Bereich um Odoardo Galotti andererseits. Die Strukturzusammenhänge bei Hof werden den Familienstrukturen gegenübergestellt. So wird der Kontrast herausgearbeitet. Daraus ergeben sich die Grundlagen, die im nächsten Kapitel den tragischen Konflikt und seine Lösung erklären. Schließlich legen wir noch eine Beispielklausur in Ansätzen vor, die der Frage nach der Tugend und deren Rolle in der „Emilia“ nachgeht und sich etwas ausführlicher mit Fragen nach Tragik und politischer Dimension auseinandersetzt.
Ich hoffe, ich kann Sie ein wenig bei der Auseinandersetzung mit dem Drama unterstützen und wünsche Ihnen dabei viel Erfolg!
Friedel Schardt
In einem Brief an Herder schreibt Goethe über Lessings „Emilia“:
Im Juli 1772„...Es ist alles nur gedacht. Das ärgert mich genug. Emilia Galotti ist auch nur gedacht, und nicht einmal Zufall oder Caprice spinnen irgend drein. Mit halbweg Menschenverstand kann man das Warum von jeder Scene, von jedem Wort, mögt' ich sagen, auffinden. Drum bin ich dem Stück nicht gut, so ein Meisterstück es sonst ist,...“
Ein auf den ersten Blick doch hartes Urteil, das Goethe da fällt. Alles nur gedacht... Aber: kann das als Vorwurf gedacht sein? Schließlich nimmt Goethe seinen Vorwurf selbst zurück und spricht vom Meisterstück. Genau in diese Richtung wollen wir uns bewegen, wenn wir dem Stück und seinen Intentionen nachspüren. Alles nur gedacht... Ein gedankliches Experiment also? Das könnte das Stück vielleicht auch für uns attraktiv machen.
Natürlich fällt es dem heutigen Menschen nicht ganz leicht, nachzuvollziehen, wie ein Mädchen, nur um seine „Unschuld“ zu bewahren, seinen Vater auffordert, es zu töten. Für so viel „Moral“ hat der heutige Zeitgenosse kaum noch Verständnis, wenigstens in unserem Kulturkreis nicht. Wenn wir uns nun mit einem Stück auseinandersetzen sollen, das eine solche Moral verherrlicht, werden wir doch etwas nachdenklich. Aber: geht es in dem Stück tatsächlich nur um das Bewahren der jungfräulichen Unschuld oder ist diese „Tugend“ nur anschauliches Exempel für mehr? Es könnte auch für uns heutige Menschen bedenkenswert sein, welche Möglichkeiten man angesichts bestimmter Machtstrukturen noch hat, wenn man eine als richtig angesehene Moral wenigstens für sich selbst behaupten möchte.Und: Wie soll man sich verhalten, wenn das eigene Wollen in Konflikt gerät mit denjenigen, die die Macht haben, ihren Willen durchzusetzen? Natürlich wird heute kaum noch ein Marinelli auftreten, der jemanden umbringt, um die Braut einem moralisch maroden Mächtigen zuzuführen. Aber: Finden sich nicht auch heute noch Belege dafür, wie wenig der Wille des einzelnen noch gilt, wenn sogenannte „höhere Interessen“ ins Spiel kommen?
Natürlich wird heute kaum noch die Frage nach einer Legitimation des Adels Aktualität beanspruchen können. Aber geraten nicht auch heute noch Maximen, die man sich setzt, ins Wanken, wenn stärkere Interessen oder die Interessen der Stärkeren in Konflikt zu geraten drohen?
Fragen wir noch etwas intensiver nach den Konflikten, die auftreten, wenn der öffentliche und der private Raum aufeinanderprallen, dann wird klar, dass auch heute noch von Aktualität gesprochen werden kann.
Ist es nun möglich, private Moralvorstellungen im öffentlichen Raum durchzusetzen oder wenigstens für sich zu reklamieren, oder ist der Druck der Öffentlichkeit so groß, dass man seine Setzungen doch lieber schnell aufgibt? In der Verlängerung wäre dann zu fragen: Welche Normen kann man überhaupt noch reklamieren und durchsetzen? Wo macht es welchen Sinn, sich für eine Norm einzusetzen? Und schließlich: Wie sollten die Normen inhaltlich gefüllt werden, die Geltung beanspruchen können?
Das Stück gibt zwar keine Antworten, aber es bietet Modelle an, die unser Nachdenken unterstützen könnten. Abgenommen wird uns das Nachdenken nicht.