Kapitel I
Jahreswechsel 1300/1301 Burg Waldenstein –
Der Teufel soll dich holen und dir bei lebendigem Leibe die Eier abreißen“, brüllte Richard von Breydenbach seinen jüngsten Sohn an. Anschließend schlug er mit seiner linken Faust auf den schweren Eichenholztisch, an dem er gewöhnlich seine Abgabeerklärungen als Lehensnehmer für den Kurfürsten und Erzbischof von Trier verfasste.
Gero stand vor der erkalteten Feuerstelle, aufrecht wie eine Basaltsäule, und rührte sich nicht. Sein Blick ging an seinem cholerischen Vater vorbei, hinaus zum halb geöffneten Fenster, wo es unentwegt schneite.
„Wie konntest du nur?“, zischte der Alte und bedachte seinen Sohn mit einem Blick, der noch kälter war als der Winter, der das Land seit Wochen mit Eis und Schnee überzog. Richard von Breydenbach war anzusehen, dass er seinen Sohn am liebsten auf der Stelle zermalmt hätte.
Zwei Tage war es nun her, dass Lissys Schwangerschaft – und Geros Anteil daran – ans Tageslicht gekommen war. Und nun stand er vor seinem vor Wut schnaubenden alten Herrn, den es keinen Deut interessierte, was er für das Mädchen empfand. Geros Haltung gegenüber dem tobenden Alten hatte indes nichts von einem reuigen Büßer. Er stand dem gleich großen Edelfreien Auge in Auge gegenüber, jederzeit bereit, einen Kampf zu führen, wenn auch nicht körperlich, so doch mit Worten. Schließlich wurde er in ein paar Monaten einundzwanzig, war also kein kleiner Junge mehr, der sich vor den cholerischen Ausbrüchen seines Vaters fürchtete.
„Wenn der Teufel mir die Eier abreißen würde, würde es Euch nun auch nichts mehr nützen“, erwiderte Gero und setzte ein fatalistisches Lächeln auf.
„Und was würde etwas nützen? Dass ich dich zu ihm in die Hölle schicke, dorthin, wo du hingehörst?“, erwiderte sein Vater barsch. Während er immer noch auf und ab wanderte, nahm seine dunkle Stimme, die Geros Stimme so verblüffend ähnlich war, einen gefährlich leisen Ausdruck an. „Ich habe Elisabeth an Kindes statt angenommen, damit sie eines Tages in einem Kloster ein gottgefälliges Leben führt und nicht, damit du sie zur Hure machst!“
Gero spürte Wut ihn sich aufwallen. Nicht, weil der Alte sich über seine Unverfrorenheit erboste, mit Lissy das Lager geteilt zu haben, sondern weil er sie als Hure beschimpfte.
„Sie ist keine Hure“, widersprach er mit Nachdruck in der Stimme. „Und ich habe mich ihr nicht in sündhafter Absicht genähert. Ich liebe sie, seit ich sie das erste Mal gesehen habe. Und ich will sie zur Frau, und das nicht nur, damit das Kind einen Vater hat!“
„Bis du vom Teufel besessen?“, schrie der Alte zurück, wobei sein Gesicht so rot anschwoll wie der Kamm eines Hahns, was ihn mit den weißblonden, schulterlangen Haaren und den eisblauen Augen geradezu dämonisch aussehen ließ. „Wie kannst du es wagen, an so etwas auch nur zu denken? Heißt das etwa, du hast mich über all die Jahre hin betrogen, indem du mir nur vorgemacht hast, dass du dem Templerorden beitreten willst, während du in Wahrheit deiner eigenen Schwester hinterhergestiegen bist?“
„Erstens ist sie nicht meine leibliche Schwester“, korrigierte er seinen Vater, „und zweitens war es nicht mein Wunsch, dem Orden beizutreten, sondern Eurer.“ Gero war bemüht, ruhig zu bleiben. „Es war einzig und allein Euer Wille, und ich habe aus Achtung vor Euch nicht widersprochen. “
„Achtung nennst du das?“ Obwohl Richard von Breydenbach sich gebärdete, als ob er ihn meucheln wollte, wich Gero keinen Schritt zurück, als der auf ihn losstürmte und ihm mit seiner verbliebenen linken Hand eine gewaltige Ohrfeige verpasste. Geros Kopf schleuderte so sehr zur Seite, dass ihm die schulterlangen blonden Haare ins Gesicht flogen, und als er sich wieder fing und in die zornigen Augen seines Gegenübers schaute, schmeckte er Blut. Was er nicht nur der Wucht des Schlages, sondern vor allem dem silbernen Siegelring zu verdanken hatte, den sein Vater wie alle männlichen Nachkommen der Breydenbacher seit dem achtzehnten Lebensjahr trug.
Unbeirrt hob er sein Haupt mit stolzem Blick und leckte sich das Blut von den Lippen. Groß, breitschultrig und breitbeinig stand er da, die Hände demonstrativ an die Seite gelegt, wie ein Soldat, der keinen noch so aussichtslosen Kampf scheut.
„Von mir aus soll sie das Kind gebären“, zischte der Alte und schnaubte verächtlich. „Aber danach wird sie wie vereinbart zu den frommen Schwestern nach Sankt Thomas ziehen. Wenn auch ein bisschen später als gedacht. Da der Balg ja, wie ihr beide bei eurer Ehre versichert habt, deinem Samen entsprungen ist und nicht dem eines dahergelaufenen Knechts, haben deine Mutter und ich beschlossen, das Kind zu behalten. Wir werden es hier auf der Burg großziehen, bis es das rechte Alter hat. Danach werden wir es nach Himmerod zu den Zisterziensern oder auch nach Sankt Thomas geben, falls es ein Mädchen wird. Und du, mein Lieber“, fügte sein Vater mit hasserfüllter Stimme hinzu, „wirst für deine ungezügelte Lust Buße tun, indem du wie geplant deinen Weg zu den Templern antrittst. Und das schon ein bisschen früher. Bereits morgen wirst du dein Bündel packen und zum Ordenshaus nach Trier aufbrechen. Dort erhältst du weitere Instruktionen.“
„Bei allem Respekt, Seigneur“, bemerkte Gero erstaunlich gelassen. „Das werde ich mit Gewissheit nicht tun. Ich will bei meiner Frau sein, wenn das Kind zur Welt kommt, und ich will ihm ein guter und lehrreicher Vater werden.“
„So?“ Der Alte lachte spöttisch. „Was soll es denn von dir lernen? Wie man in teuflischer Absicht seine noch minderjährige Schwester verführt? Oder wie man auf Gott den Herrn spuckt und sich wider den heiligen Willen seines Vaters stellt?“
„Was an Eurem Willen heilig sein soll, habe ich noch nie begriffen“, erklärte Gero frei heraus. „Ich denke, dass es ebenso wenig recht ist, ein Gelübde auf dem Rücken seiner unmündigen Kinder abzulegen.“
Richard von Breydenbach schnellte herum und drohte, endgültig die Beherrschung zu verlieren. „Was weißt du schon!“, schmetterte er Gero entgegen. „Warst du in Akko dabei? Hast du mit eigenen Augen gesehen, was dort geschehen ist? Nein, einen Dreck hast du. Denn dann wüsstest du, welchem Mysterium wir es zu verdanken hatten, dass wir dort lebend herausgekommen sind.“
„Onkel Gerhard ist tot“, stellte Gero unverblümt fest. „Ihm scheint das von Euch so viel gelobte Mysterium ebenso wenig genützt zu haben wie Euch. Und Eure rechte Hand ist seitdem genauso verloren wie das Heilige Land. Wofür also solltet Ihr Gott noch danken? Dafür, dass Ihr Euch in die Irre habt führen lassen?“ Gero war sich bewusst, dass er zu weit ging, aber sein störrischer Vater hatte es in seinen Augen einfach nicht besser verdient.
„Was bist du nur für ein unbelehrbarer Narr“, erwiderte sein Vater mit einem leisen sarkastischen Lachen. „Du weißt nichts von der Welt. Und du weißt nichts von den Templern. Denn wenn du wüsstest, was hinter deren Geheimnissen steckt, würdest du dich danach sehnen, ihnen als Ordensritter anzugehören. Mut, Ehre und ein unergründliches Geheimnis würden im Handumdrehen einen ganzen Kerl aus dir machen und nicht so ein verweichlichtes Waschweib, wie du es vorziehst zu sein.“
„Und warum seid Ihr dann nicht selbst zu den Templern gegangen“, entgegnete Gero kühn. „Wieso sitzt ihr noch hier und tyrannisiert Eure Familie, die ohnehin längst keine mehr ist?“
„Weil ich immer noch die Verantwortung für meine Frau trage und für Hunderte Menschen rundherum in den Dörfern.“
„Aber das wird doch bald Eberhard übernehmen, da könnt ihr Euch ohne Rücksicht auf Eure Leibeigenen bei den Templern einkaufen und Euch als Ehrenbruder den Traum eines keuschen Lebens erfüllen.“
„Denkst du ernsthaft, ich würde mich so mir nichts, dir nichts von deiner Mutter lossagen, nach allem, was sie in den vergangenen Jahren durchmachen musste?“
Gero überlegte, ob er den Satz ergänzen sollte: … was Ihr nicht selten selbst verschuldet habt. Doch dann besann er sich, weil er nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen wollte. Sein Vater hatte wohl eher auf den frühen Fiebertod von Geros leiblichen Schwestern angespielt oder auf seine eigene leidvolle Rückkehr aus dem Outremer und die zahlreichen Fehlgeburten, die seine Mutter danach wie eine Heimsuchung gequält hatten.
„Na wunderbar“, erwiderte Gero nicht weniger sarkastisch. „Dann sind wir uns ja einig. Ich bin ebenso wenig bereit, wie Ihr es seid, meine Frau und mein Kind im Stich zu lassen, nur um ein unsinniges Keuschheitsgelübde abzulegen. Außerdem halte ich es inzwischen für aussichtslos, für etwas zu kämpfen, das so unerreichbar ist wie das Ende der Welt.“
„Redest du etwa von Jerusalem?“, fragte sein Vater scharf. „Willst du das Heilige Land tatsächlich auf immer und ewig den Heiden überlassen? Das kann nicht dein Ernst sein!“
„Ich habe lange über Euer früheres Ansinnen nachgedacht, Jerusalem zurückerobern zu wollen, Vater“, bekannte Gero und lächelte müde. „Es kann nicht Gottes Wille sein, uns in einen neuen Kreuzzug zu entsenden und in seinem Namen ein ganzes Volk auszurotten, und das nur, um den hehren Zielen christlicher Machthaber zu genügen. Denn auf andere Weise werden sich die Mameluken und ihre Anhänger von uns nicht vertreiben lassen. Schon gar nicht werden wir sie bekehren und davon überzeugen können, die Heimat unseres Herrn freiwillig an uns abzutreten. Das ist uns früher nicht gelungen und wird uns auch in Zukunft nicht gelingen.“ Er schüttelte den Kopf. „Solange die Heiden dort bleiben, wo sie sind, sehe ich keine Notwendigkeit, es mit ihnen aufzunehmen. Gott der Herr ist überall. Wozu brauchen wir Jerusalem, wenn Er, wie der Papst behauptet, in jeder christlichen Kirche wohnt?“
„Du bist wirklich ein Narr.“ Richard von Breydenbach grinste abfällig. „Und es interessiert mich auch nicht, ob du meine Argumente verstehst. Ich befehle dir, gehorsam zu sein und unverzüglich bei den Templern um Aufnahme zu ersuchen. Wenn du erst einmal dort bist, werden sie dir den Sinn ihrer Mission schon beibringen. Sie verfügen über Geheimnisse, von denen du noch nicht einmal zu träumen wagst und über deren Existenz selbst ich nur vage Kenntnis besitze. Ich habe bei Gott dem Herrn geschworen, dass du einer der ihren wirst, und so soll es sein!“
„Und was wird geschehen, wenn ich Eurem Aufruf nicht folge? Abgesehen davon, dass Ihr zukünftig kein Wort mehr mit mir wechseln werdet, wie ich Euch kenne.“
„Abgesehen davon, dass ich dich als meinen Sohn verstoßen werde, wenn du dich mir widersetzt, wird der Allmächtige uns allen mit einem furchtbaren Fluch bestrafen“, orakelte Richard düster. „Außerdem“, bemerkte er herablassend, „wo wolltest du denn überhaupt hin, wenn ich dich von dieser Burg verbanne?“
„Daran solltet Ihr keine überflüssigen Gedanken verschwenden“, entgegnete Gero gelassen. „Ich habe vorgesorgt und weiß bereits, wo ich mit Elisabeth und dem Kind unterkomme.“
„Und wo, wenn ich fragen darf?“ Richard bedachte seinen Sohn mit einem argwöhnischen Blick.
„Tante Margaretha hat uns eine Zuflucht geboten“, log Gero dreist. Sein Vater musste ja nicht wissen, dass sie ihm lediglich die Übernahme der Burg in Aussicht gestellt hatte, nicht aber die Aufnahme einer ganzen Familie, schon gar nicht, wenn der Segen seiner Eltern fehlte.
„Ich hätte es mir denken können“, rief Richard boshaft. „Diese alte Hexe hat überall ihre Finger im Spiel. Aber gut“, entschied er mit verächtlicher Miene, „ich gebe dir einen Tag Zeit, deine Sachen zu packen und von hier zu verschwinden. Wobei ich dir keinesfalls erlaube, Elisabeth mitzunehmen. Sie ist immer noch meine Tochter, und solange ihr nicht verheiratet seid, was niemals geschehen wird, hast du keine Verfügungsgewalt über sie, auch wenn sie deinen Balg in sich trägt.“
„Ist das Euer letztes Wort, Vater?“
Obwohl er die Antwort schon kannte, sah Gero es als seine Pflicht an, die Entscheidung des Vaters noch einmal zu hinterfragen. Allein schon seiner Mutter zuliebe und auch wegen Elisabeth, in deren tiefer Schuld er stand und der es wichtig war, dem Vater gehorsam zu sein. Aber auch sich selbst zuliebe. Es würde ihm leichter fallen, seine Loyalität als Sohn aufzukündigen, wenn sein Vater bei seinen grausamen Absichten blieb.