Clive Cussler
& Dirk Cussler
Geheimcode Makaze
Roman
Aus dem Englischen von Oswald Olms
Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel
»Black Wind« bei Putnam, New York.
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Redaktion: Rainer Michael Rahn
HK · Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN: 978-3-641-15216-1
V002
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Im Gedenken an meine Mutter Barbara, deren Liebe,
Mitgefühl, Güte und Unterstützung allen schmerzlich fehlen,
die sie kannten.
D.E.C.
Das letzte U-Boot
12. Dezember 1944
Marinestützpunkt Kure, Japan
Kapitänleutnant Takeo Ogawa warf einen Blick auf seine Armbanduhr und schüttelte unwirsch den Kopf.
»Schon halb eins«, murmelte er besorgt. »Drei Stunden Verspätung, und wir warten noch immer.«
Ein junger, übernächtigt wirkender Fähnrich mit glasigen, vom Schlafmangel gezeichneten Augen nickte auf die Beschwerde seines Vorgesetzten hin kurz, sagte aber nichts. Die beiden Männer, die auf dem Kommandoturm der Unterseebootes I-403 der kaiserlichen japanischen Marine standen, blickten über das Hafengelände hinweg und hielten Ausschau nach der angekündigten Abordnung. Jenseits des weitläufigen Marinestützpunkts funkelte eine Unzahl von Lichtern über der malerischen japanischen Stadt Kure. Ein leichter Nieselregen fiel und sorgte zu dieser späten Stunde für eine geradezu unheimliche Ruhe, durch die von weitem Hammerschläge, das Surren der Kräne und das Zischen der Schweißbrenner drangen. Rund um die Uhr wurden in anderen Teilen der Werft auf Feindfahrt beschädigte Schiffe repariert und neue gebaut, ein vergebliches Aufbäumen gegen die zusehends trostlosere Situation der japanischen Truppen.
Kurz darauf hallte von weitem das Heulen eines Dieselmotors übers Wasser und wurde allmählich lauter, als sich das Fahrzeug den U-Bootkais näherte. Ein schiefergrauer Isuzu-Lastwagen kam hinter der Ziegelmauer eines Lagerhauses hervor und hielt auf den Kai zu. Vorsichtig tastete sich der Fahrer, der im schmalen Lichtstrahl der abgedunkelten Scheinwerfer kaum die Ränder des Piers erkennen konnte, zum Liegeplatz des U-Boots vor. Mit quietschenden Bremsen kam der Laster neben einer breiten Gangway zum Stehen.
Einen Moment lang kehrte Stille ein, dann sprangen sechs schwer bewaffnete Soldaten von der Ladefläche, umringten das Fahrzeug und sicherten nach außen ab. Als Ogawa vom Kommandoturm zum Kai hinabstieg, meinte er zu spüren, wie einer der Wachposten die Waffe auf ihn richtete. Es waren keine gewöhnlichen Soldaten der kaiserlichen Armee, stellte er fest, sondern Elitetruppen der gefürchteten Kempei Tai, der Militärpolizei.
Zwei Männer in Uniform stiegen aus dem Führerhaus des Lastwagens und kamen auf Ogawa zu. Als er erkannte, dass er es mit einem Vorgesetzten zu tun hatte, nahm Ogawa Haltung an und salutierte zackig.
»Ich habe auf Sie gewartet, Kapitän«, sagte Ogawa mit leicht säuerlichem Unterton.
Kapitän Miyoshi Horinouchi ging nicht darauf ein. Als Stabsoffizier der Sechsten Flotte war er mit ernsteren Angelegenheiten beschäftigt. Die japanische U-Bootflotte im Pazifik wurde allmählich dezimiert, ohne dass die kaiserliche Marine der von den amerikanischen Streitkräften eingesetzten Technologie zur Bekämpfung von Unterseebooten etwas entgegenzusetzen hatte. Die verzweifelten Gefechte, die sich die Flotte mit einem übermächtigen Feind lieferte, führten immer wieder zu zahlreichen Verlusten an Booten samt ihrer Besatzung, und das machte Horinouchi schwer zu schaffen. Seine kurz geschorenen Haare waren vorzeitig weiß geworden, und tiefe Sorgenfalten zogen sich wie trockene Flussbette durch sein Gesicht.
»Kapitänleutnant, das ist Dr. Hisaichi Tanaka von der Medizinischen Forschungsabteilung der Armee. Er wird Sie bei diesem Einsatz begleiten.«
»Sir, ich nehme für gewöhnlich keine Passagiere auf eine Patrouillenfahrt mit«, erwiderte Ogawa, ohne den kleinen Mann mit der Brille, der neben Horinouchi stand, eines Blickes zu würdigen.
»Ihr Einsatzbefehl wurde widerrufen«, versetzte Horinouchi und händigte Ogawa einen braunen Hefter aus. »Sie haben neue Befehle. Sie sollen Dr. Tanaka und seine Fracht an Bord nehmen und sich auf Anweisung der Flottenführung unverzüglich zu einem Einsatzgebiet unmittelbar vor der Haustür des Feindes begeben.«
»Das ist höchst ungewöhnlich, Kapitän«, wandte Ogawa mit einem kurzen Blick auf einen der Wachposten ein, der eine Maschinenpistole, eine deutsche Bergmann MP34, auf ihn gerichtet hatte.
Horinouchi neigte den Kopf kurz zur Seite und ging ein paar Schritte nach rechts. Ogawa folgte ihm. Als sie außer Hörweite von Tanaka waren, fuhr Horinouchi leise fort.
»Ogawa, unsere Hochseeflotte wurde im Leyte-Golf vernichtet. Wir wollten die Amerikaner mit einer alles entscheidenden Schlacht aufhalten, aber stattdessen wurden unsere Streitkräfte geschlagen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir alle Kräfte zur Verteidigung unseres Heimatlandes aufbieten müssen.«
»Wir werden den Amerikanern einen schweren Blutzoll abverlangen«, versetzte Ogawa grimmig.
»Wohl wahr, aber sie sind ohne jeden Zweifel zu einem Eroberungsfeldzug bereit, ohne Rücksicht auf Verluste. Unser Volk wird ein entsetzliches Gemetzel über sich ergehen lassen müssen.« Horinouchi dachte kurz an den Opfergang seiner Familie und schwieg einen Moment.
»Die Armee hat sich an uns gewandt und um unsere Unterstützung bei einem kühnen Unternehmen gebeten«, fuhr er fort. »Dr. Tanaka gehört zur Abteilung 731. Sie werden ihn und seine Fracht über den Pazifik bringen und einen Angriff auf das amerikanische Festland unternehmen. Sie haben unter allen Umständen darauf zu achten, dass Sie unterwegs nicht entdeckt werden und Ihr Boot unversehrt bleibt. Wenn Ihr Einsatz erfolgreich verläuft, Ogawa, werden sich die Amerikaner auf einen Waffenstillstand einlassen, und unser Heimatland wird verschont werden.«
Ogawa verstand überhaupt nichts mehr. Die meisten anderen U-Bootkommandanten waren fast ausschließlich in Abwehrgefechte verwickelt, um die Überreste der Hochseeflotte zu schützen, doch er sollte ganz allein den Pazifik überqueren und einen Angriff unternehmen, der den Krieg beenden würde. Normalerweise hätte er über so einen Befehl gelacht, wenn er ihm nicht von einem sichtlich verzweifelten Stabsoffizier mitten in der Nacht überbracht worden wäre.
»Ihr Vertrauen ehrt mich sehr, Kapitän Horinouchi. Ich versichere Ihnen, dass meine Offiziere und Besatzungsmitglieder dem Kaiser alle Ehre erweisen werden. Darf ich fragen, worum es sich bei Dr. Tanakas Fracht handelt?«, erkundigte sich Ogawa.
Horinouchi ließ den Blick ein paar Sekunden lang gedankenverloren über die Bucht schweifen. »Makaze«, murmelte er schließlich vor sich hin. »Ein garstiger Wind.«
Unter den aufmerksamen Blicken von Dr. Tanaka wurde ein halbes Dutzend rechteckiger Kisten von den Kempei-Tai-Wachen vorsichtig im vorderen Torpedoraum der I-403 verstaut und festgezurrt. Anschließend ließ Ogawa die vier Dieselmotoren des U-Boots anwerfen und die Vertäuleinen lösen. Um halb drei Uhr morgens schob sich das Boot langsam ins Hafenbecken, vorbei an etlichen anderen U-Booten der Flotte, die im Stützpunkt lagen. Ogawa stellte verwundert fest, dass Horinouchi schweigend in dem dunklen Lastwagen am Pier saß und nicht wegfuhr, bis die I-403 außer Sicht war.
Mit langsamer Fahrt lief das U-Boot an den Kais und Lagerhäusern vorbei und näherte sich bald darauf einem riesigen Schattenriss, der sich vor ihnen aus der Dunkelheit schälte. Wie ein Ungetüm ragte das gewaltige Schlachtschiff Yamato, das in einem Reparaturdock lag, über dem Unterseeboot auf. Mit seinen neun schweren 46-cm-Geschützen und der bis zu 80 Zentimeter starken Panzerung war die 283 Meter lange Yamato das meistgefürchtete Schiff der kaiserlichen Kriegsflotte. Ogawa bewunderte im Vorbeifahren die Linienführung und die Bewaffnung des größten Schlachtschiffes der Welt, aber mit einem Mal hatte er auch Mitleid mit ihm. Wie ihr Schwesterschiff, die unlängst bei den Philippinen gesunkene Musashi, war auch – so befürchtete er – die Yamato zum Untergang verurteilt, noch ehe der Krieg vorüber war.
Allmählich verblassten die Lichter von Kure, als das U-Boot, vorbei an mehreren großen Inseln, in das Seto-Binnenmeer gelangte. Ogawa ließ schnellere Fahrt machen, sobald die Bergkuppen der Inseln zurückwichen und das erste Morgengrau den Himmel im Osten färbte. Als er mit dem Navigator der I-403 im Kommandoturm den Kurs absteckte, kam sein Erster Offizier nach oben.
»Heißer Tee, Kapitän«, sagte Leutnant Yoshi Motoshita und hielt dem Kommandanten eine kleine Tasse hin. Motoshita, ein schlanker, stets freundlicher Mann, brachte sogar um fünf Uhr morgens ein Grinsen zustande.
»Ja, danke«, erwiderte Ogawa kurz angebunden, bevor er einen Schluck trank. Der heiße Tee war ein willkommenes Mittel gegen die frostige Dezemberluft, und Ogawa trank die Tasse rasch aus.
»Die See ist heute Morgen ungewöhnlich ruhig«, stellte Motoshita fest.
»Gutes Wetter für den Fischfang«, sagte Ogawa nachdenklich. Er war als Sohn eines Fischers in einem kleinen Dorf auf Kiuschu aufgewachsen, der japanischen Südinsel. Ogawa, der das harte Leben auf dem Wasser gewohnt war, hatte sich trotz seiner bescheidenen Herkunft mit einer ausgezeichneten Aufnahmeprüfung für die Etajima qualifiziert, die japanische Marineakademie. Nach der Ernennung zum Offizier hatte es ihn noch vor dem Krieg zu der immer stärker werdenden U-Bootwaffe gezogen. Er hatte auf zwei Booten gedient, bevor man ihm Ende 1943 das Kommando über die I-403 übertragen hatte. Unter seiner Führung hatte die I-403 ein halbes Dutzend Handelsschiffe sowie vor den Philippinen einen australischen Zerstörer versenkt. Ogawa galt als einer der besten U-Bootkommandanten, die der rasch schrumpfenden Unterwasserflotte geblieben waren.
»Yoshi, wir gehen auf Zickzack-Kurs, wenn wir die Meerenge erreichen, und tauchen dann, bevor wir das Binnenmeer verlassen. Wir dürfen uns mit keinem der feindlichen U-Boote anlegen, die vor unserer Küste patrouillieren.«
»Ich werde die Besatzung verständigen, Kapitän.«
»Und sehen Sie zu, dass Dr. Tanaka bequem untergebracht ist.«
»Ich habe ihm meine Kabine angeboten«, sagte Motoshita mit gequältem Blick. »Dem Stapel Bücher nach zu urteilen, die er mitgebracht hat, wird er meiner Meinung nach beschäftigt sein und uns nicht im Weg stehen.«
»Sehr gut«, erwiderte Ogawa, der sich insgeheim über seinen unerwünschten Passagier wunderte.
Als die Sonne rot am östlichen Horizont aufging, lief die I-403 in die Bungo-Straße ein, ein Schifffahrtsweg, der oberhalb der japanischen Südinsel Kiuschu in den Pazifik führte. Ein grauer Zerstörer, der nach einer unangenehmen Begegnung mit zwei Hellcats der US-Navy eine Unmenge klaffender Löcher aufwies, schleppte sich mit schwerer Schlagseite an dem U-Boot vorbei in Richtung Hafen. Mehrere Unteroffiziere versammelten sich auf dem Kommandoturm der I-403, um einen letzten Blick auf die grünen Inseln ihres Heimatlandes zu werfen, wussten sie doch nicht – wie alle Seeleute, die zum Kampfeinsatz ausliefen –, ob sie jemals wieder nach Hause zurückkehren würden.
Als der Ausguck die Einfahrt in den Pazifik erkennen konnte, erteilte Ogawa den Befehl zum Tauchen. Eine Glocke schrillte, worauf die Seeleute in aller Eile sämtliche Decks und Luken sicherten.
»Wir tauchen auf fünfzehn Meter«, befahl Ogawa von der Brücke aus.
Große Ballasttanks wurden mit Seewasser geflutet und die Tiefenruder nach vorn geneigt. Unter dem Rauschen des einströmenden Wassers senkte sich der Bug der I-403, und binnen kürzester Zeit wurde das ganze U-Boot von der trüben grünen See verschluckt.
In den tiefen pazifischen Gewässern vor der Bungo-Straße lauerten angriffslustige amerikanische U-Boote, die Jagd auf auslaufende Handels-, Nachschub- und Kriegsschiffe vom Marinestützpunkt Kure machten. Auch Unterseeboote waren schon attackiert worden, und Ogawa hatte nicht vor, eine leichte Beute für sie zu werden. Als die I-403 in den Pazifischen Ozean vorstieß, ging er daher auf Nordwestkurs, fort von den viel befahrenen Seewegen in Richtung Süden, zu den Philippinen.
Wie die meisten Unterseeboote ihrer Zeit wurde die I-403 von Diesel- und Elektromotoren angetrieben. Tagsüber ging die I-403 auf Tauchstation und schaltete die batteriebetriebenen Elektromotoren ein, die es mit lahmen sechs Knoten pro Stunde vorwärts bewegten. Im Schutz der Dunkelheit indessen tauchte das Boot auf und warf die Dieselmotoren an, mit denen die I-403 mehr als 18 Knoten Fahrt machte und gleichzeitig ihre Batterien auflud. Mit über 120 Meter Länge war die I-403 eines von einer Hand voll Unterseebooten der Sen-toku-Klasse, die größten, die seinerzeit gebaut wurden. Der schwere eiserne Schiffskörper hatte eine Wasserverdrängung von 5200 Tonnen und wurde von vier Dieselmotoren mit jeweils 7700 PS fortbewegt. Das Einzigartige an der I-403 aber waren die Flugzeuge, mit denen es bestückt war. Das Unterseeboot konnte drei Wasserflugzeuge vom Typ Seiran befördern, kleine, umgebaute Sturzkampfbomber, die mithilfe eines Katapults am Bug gestartet wurden. Während der Fahrt waren die Maschinen zerlegt und in einem 35 Meter langen wasserdichten Hangar verstaut, der sich unter dem Deck des U-Boots befand. Wegen des Mangels an Flugzeugen hatte Ogawa allerdings eines seiner Wasserflugzeuge an die Küstenaufklärung abtreten müssen, daher hatte sein Boot zurzeit nur zwei Seiran-Maschinen an Bord.
Sobald die I-403 in den Pazifischen Ozean vorgestoßen war, zog sich Ogawa in seine Kabine zurück und las noch einmal den kurzen Einsatzbefehl, den Horinouchi ihm gegeben hatte. Die knappen Anweisungen besagten lediglich, dass er auf nördlichem Kurs über den Pazifik fahren und auf den Aleuten Treibstoff fassen sollte. Anschließend sollte er die Nordwestküste der Vereinigten Staaten ansteuern, wo seine beiden Flugzeuge Luftangriffe auf die Städte Tacoma, Seattle, Victoria und Vancouver durchführen sollten.
Auf den ersten Blick wirkt das wie ein vergebliches Unterfangen, dachte Ogawa. Japan brauchte seine Unterseeboote eher zur Verteidigung der heimischen Gewässer als für einen ohnmächtigen Angriff mit zwei kleinen Flugzeugen. Aber immerhin war da noch die Frage, was es mit Dr. Tanaka und seiner unbekannten Fracht auf sich hatte.
Als er in Ogawas Kabine gerufen wurde, verbeugte sich Tanaka höflich, bevor er die enge Unterkunft betrat und an einem kleinen Holztisch Platz nahm. Der schmächtige Wissenschaftler wirkte mürrisch und missmutig. Durch den ausdruckslosen Blick und die dicke Brille, die er trug, wurde dieser düstere Eindruck noch verstärkt.
Ogawa verzichtete auf alle Förmlichkeiten und kam sofort zur Sache.
»Dr. Tanaka, laut meinen schriftlichen Befehlen soll ich mich zur Westküste von Nordamerika begeben und einen Luftangriff auf vier Städte unternehmen. Ihre Aufgaben und die Beschaffenheit Ihrer Fracht werden mit keinem Wort erwähnt. Ich muss Sie fragen, welche Rolle Sie bei diesem Einsatz spielen.«
»Kapitän Ogawa, ich darf Ihnen versichern, dass mein Auftrag von höchster Stelle genehmigt wurde«, erwiderte Tanaka mit leiser, monotoner Stimme. »Ich werde Ihnen beim Angriff technische Unterstützung leisten«, fuhr er fort.
»Dies ist ein Kriegsschiff. Mir ist nicht ganz klar, inwieweit mich ein Stabsarzt bei einem Seekriegseinsatz unterstützen soll«, entgegnete Ogawa.
»Kapitän, ich bin in der Forschungsgruppe für Seuchenprävention am militärmedizinischen Institut tätig. Wir haben von einem Laboratorium in China Materialien erhalten, die es uns ermöglichten, eine äußerst wirksame Waffe gegen den Feind zu entwickeln. Ihr U-Boot wurde dazu auserkoren, diese Waffe zum ersten Mal zum Einsatz zu bringen. Ich bin für die ordnungsgemäße Durchführung dieses Einsatzes verantwortlich.«
»Diese ›Materialien‹… werden die von meinen Flugzeugen abgeworfen?«
»Ja, in speziellen Kanistern, die von Ihren Bombern befördert werden können. Ich habe mit dem Bodenpersonal Ihrer Marineflieger bereits die entsprechenden Vorkehrungen getroffen.«
»Und die Männer auf meinem Boot – sind sie durch diese Waffe in irgendeiner Weise gefährdet?«
»Nicht im geringsten.« Tanaka schaute ihn mit ausdrucksloser Miene an.
Ogawa glaubte ihm nicht, aber seiner Ansicht nach drohte seinem Boot durch die Zerstörer der amerikanischen Marine mehr Gefahr als durch irgendetwas, das es an Bord hatte. Trotzdem versuchte er ein bisschen mehr in Erfahrung zu bringen, doch Tanaka gab sich zugeknöpft. Was es mit dieser geheimnisvollen Waffe wirklich auf sich hatte, behielt der Stabsarzt für sich. Der Mann hatte etwas Undurchsichtiges an sich, stellte Ogawa fest, und ihm war dabei ganz und gar nicht wohl zumute. Nachdem sie rasch eine Tasse Tee getrunken hatten, entließ er den unheimlichen Wissenschaftler. Ogawa verfluchte das Flottenkommando dafür, dass man sein Boot für diesen Einsatz ausgewählt hatte. Es war ein Auftrag, der ihm ganz und gar nicht gefiel.
Anfangs waren ihnen gelegentlich noch Handelsschiffe und Fischerboote begegnet, doch es wurden immer weniger, je weiter sich das U-Boot vom japanischen Mutterland entfernte und langsam im nördlichere Breiten vordrang. In den nächsten zwölf Tagen und Nächten gewöhnte sich die Besatzung allmählich an die Einsatzbedingungen, während das Boot weiter nach Nordosten steuerte und nur nachts auftauchte, um schnellere Fahrt zu machen. Im Nordostpazifik war die Gefahr, von einem alliierten Schiff oder Flugzeug entdeckt zu werden, eher gering, doch Ogawa ging kein Risiko ein und blieb den ganzen Tag über auf Tauchstation. Unter Wasser aber wurde es im Boot brütend heiß. Durch die Abwärme der Maschinen stieg die Innentemperatur auf weit über dreißig Grad, und die Atemluft wurde von Stunde zu Stunde stickiger. Daher wartete die gesamte Besatzung begierig auf den Abend, wusste doch jeder, dass das Boot mit Einbruch der Dunkelheit endlich auftauchen würde, worauf die Luken geöffnet wurden und kalte, frische Seeluft in die muffigen Innenräume strömen konnte.
In U-Booten herrschte ein auffallend lockerer Umgangston, selbst bei der japanischen Marine, und auf der I-403 war das nicht anders. Offiziere und Mannschaften verkehrten zwanglos miteinander, nahmen die gleichen Mahlzeiten zu sich und litten auf dem engen Boot unter den gleichen Entbehrungen. Die I-403 hatte schon drei Wasserbombenangriffe überstanden, und die gemeinsam erlebte Todesgefahr hatte die Besatzung zusammengeschweißt. Sie waren Überlebende eines mörderischen Katz- und-Maus-Spiels und hatten das Gefühl, dass die I-403 ein glückliches Boot war, das jedem Feind trotzen konnte.
In der vierzehnten Nacht tauchte die I-403 nahe der Aleuteninsel Amchitka auf und entdeckte binnen kurzer Zeit das Versorgungsschiff Morioka, das in einer kleinen Bucht vor Anker lag. Vorsichtig brachte Ogawa sein Boot längsseits neben das Mutterschiff, worauf die Vertäuleinen ausgeworfen und festgezurrt wurden. Während der Dieseltreibstoff in die Tanks des Unterseebootes gepumpt wurde, flachsten die Besatzungen beider Schiffe in der eisigen Kälte miteinander.
»Ist es in eurer Sardinenbüchse nicht ein bisschen zu eng?«, fragte ein dick eingemummter Maat, der an der Reling des Schiffes lehnte.
»Nein, wir haben jede Menge Platz für Obstkonserven, Kastanien und Sake!«, brüllte ein U-Bootfahrer zurück, der mit der besseren Verpflegung prahlte, die der Unterwasserflotte zuteil wurde.
Das Auftanken dauerte knapp drei Stunden. Unterdessen wurde ein Besatzungsmitglied des U-Boots, das an einer akuten Blinddarmentzündung litt, zur ärztlichen Behandlung auf das Mutterschiff gebracht. Nachdem man der Besatzung des Versorgungsschiffes zum Dank für ihre Dienste einen Karton Bonbons abgetreten hatte, legte die I-403 ab und ging auf östlichen Kurs, in Richtung Nordamerika. Der Himmel wurde immer schwärzer, und weiße Gischt brodelte auf dem graugrünen Ozean, als die I-403 in einen der ersten Winterstürme geriet. Drei Nächte lang wurde das U-Boot heftig von den Wogen durchgeschüttelt, die das tief liegende Deck überfluteten und sich am Kommandoturm brachen, während die Batterien aufgeladen wurden. Einmal wäre ein Ausguck beinahe in die eisige See gespült worden, und viele erfahrene Besatzungsmitglieder wurden seekrank. Der starke Westwind hatte allerdings auch sein Gutes, denn er schob das Boot mit flotter Fahrt durch die Dünung und verkürzte die Reise in Richtung Osten.
Dann ließ der Wind allmählich nach, und die See wurde wieder ruhiger. Zufrieden stellte Ogawa fest, dass sein Boot das Wüten von Mutter Natur unbeschadet überstanden hatte. Die durchgeschüttelte Besatzung kam wieder auf die Beine und fand zu ihrer alten Kampfmoral zurück, als sich das Wetter besserte und das U-Boot sich dem feindlichen Festland näherte.
»Kapitän, ich habe den Kurs zur Küste abgesteckt«, meldete Seiji Kakishita und rollte eine Seekarte des nordöstlichen Pazifischen Ozeans vor Ogawa aus. Der Navigator der I-403 hatte sich wie viele Besatzungsmitglieder seit dem Auslaufen nicht mehr rasiert und trug jetzt einen struppigen Kinnbart, durch den er aussah wie einem Comic entsprungen.
»Wie ist unsere derzeitige Position?«, erkundigte sich Ogawa, während er die Karte studierte.
»Wir sind genau hier«, erwiderte Kakishita und deutete mit einem Zirkel auf einen Punkt auf der Karte. »Ungefähr zweihundert Kilometer westlich von Vancouver Island. Wir haben noch zwei Stunden Dunkelheit vor uns, in denen wir Überwasserfahrt machen können. Auf unserem derzeitigen Kurs sind wir bei Tagesanbruch etwa 150 Kilometer vom Land entfernt.«
Ogawa studierte ein paar Minuten lang eingehend die Karte, bevor er das Wort ergriff. »Wir sind zu weit nördlich. Ich möchte den Angriff von einem Punkt aus unternehmen, der auf halber Höhe zwischen den vier Zielorten liegt, damit die Flugzeit möglichst kurz ist. Bringen Sie uns weiter südlich, dann stoßen wir etwa hier zur Küste vor«, sagte er und deutete mit dem Finger auf die Karte. Unter seiner Fingerspitze lag der nordwestliche Zipfel des Staates Washington, eine Halbinsel, die wie die Schnauze eines hungrigen Hundes in den Pazifischen Ozean ragte. Unmittelbar nördlich davon befand sich die Juan-de-Fuca-Straße, die Hauptschifffahrtsroute von Vancouver und Seattle in den Pazifischen Ozean, die eine natürliche Grenze zu British Columbia darstellte.
Kakishita steckte in aller Eile einen neuen Kurs ab und überschlug die Entfernungen. »Meinen Berechnungen zufolge können wir in vierundzwanzig Stunden fünfzehn Kilometer vor der mit ›Kap Alava‹ gekennzeichneten Stelle in Position gehen.«
»Ausgezeichnet, Kakishita«, erwiderte Ogawa zufrieden und warf einen Blick auf den Chronographen neben ihm. »Damit bleibt uns genügend Zeit, um den Angriff vor Anbruch der Morgendämmerung durchzuführen.« Der Zeitplan war gut. Ogawa wollte sich möglichst kurz in viel befahrenen Seegebieten aufhalten, in denen sie entdeckt werden könnten, bevor sie den Angriff unternahmen. Allem Anschein nach klappt die Sache, dachte er. Mit etwas Glück könnten sie in gut vierundzwanzig Stunden nach erfolgreich abgeschlossenem Einsatz wieder auf der Heimfahrt sein.
Auf der I-403 herrschte hektisches Treiben, nachdem das Boot an diesem Abend aufgetaucht war und die Vorbereitungen für den Luftangriff getroffen wurden. Mechaniker holten die Rümpfe, die Tragflächen und die Schwimmer der Maschinen hervor und setzten die Teile zusammen. Seeleute bauten das hydraulische Katapult auf und erprobten das Gerät, mit dem die Flugzeuge gestartet werden sollten. Die Piloten studierten aufmerksam die topographischen Karten der Region und steckten den Kurs zu den Abwurfgebieten und zurück ab. Und die für die Bewaffnung zuständigen Mannschaften befestigten unter Anweisung von Dr. Tanaka die Bombenhalterungen an den Seirans, an denen die zwölf silbernen Kanister aufgehängt werden sollten, die noch immer im vorderen Torpedoraum verstaut waren.
Um drei Uhr morgens hatte sich die I-403 unbemerkt zu ihrem Einsatzort vor der Küste von Washington vorgepirscht. Ein leichter Nieselregen fiel, sodass die fünf Männer, die Ogawa an Deck postiert hatte, um Ausschau nach anderen Schiffen zu halten, in der schlierigen Dunkelheit kaum etwas erkennen konnten. Ogawa selbst ging nervös auf der Brücke hin und her und wartete ungeduldig darauf, dass die Flugzeuge starteten, damit er mit seinem U-Boot auf Tauchstation gehen konnte.
Eine Stunde war vergangen, als ein gedrungener und sichtlich gehetzter Mann in einem ölverschmierten Overall zögernd auf Ogawa zukam.
»Sir, ich muss Ihnen leider melden, dass wir Schwierigkeiten mit den Maschinen haben.«
»Woran hapert es denn noch?«, versetzte Ogawa ungehalten.
»Bei Flugzeug Nummer eins funktioniert der Magnetzünder nicht. Wir müssen ihn austauschen, damit der Motor läuft. Bei Flugzeug Nummer zwei ist das Höhenruder beschädigt. Offenbar ist es im Sturm irgendwo angeschlagen. Aber auch das können wir reparieren.«
»Und wie lange wird die Reparatur dauern?«
Der Mechaniker blickte einen Moment lang zum Himmel und dachte über eine Antwort nach. »Etwa eine Stunde für die Reparaturarbeiten, Sir, und danach noch zwanzig Minuten für die Bewaffnung.«
Ogawa nickte grimmig. »Machen Sie sich schleunigst an die Arbeit.«
Aus einer Stunde wurden zwei, und die Maschinen waren noch immer nicht startbereit. Ogawa wurde zusehends ungeduldiger, als er die grauen Streifen am östlichen Himmel bemerkte, die die anbrechende Morgendämmerung ankündigten. Der Nieselregen hatte mittlerweile aufgehört, und stattdessen war ein leichter Nebel aufgezogen, der das Schiff umgab und die Sicht auf rund 500 Meter beschränkte. Möglicherweise sitzen wir hier wie auf dem Präsentierteller, dachte Ogawa, aber zumindest haben wir ein bisschen Deckung.
Dann hallte der laute Ruf des Horchpostens unter Deck durch die stille Morgenluft.
»Kapitän, ich habe ein Echo empfangen!«
»Diesmal hab ich dich, großer Bruder!«, schrie Steve Schauer in das Funkgerät, grinste dann und schob die beiden Gashebel bis zum Anschlag vor. Die beiden halbwüchsigen Besatzungsmitglieder, die erschöpft und nach totem Fisch stinkend neben ihm im Ruderhaus des Trawlers standen, schauten einander an und verdrehten die Augen. Schauer achtete nicht auf ihre Blicke, während er mit leichter Hand das hölzerne Ruderrad des stampfenden Fischerbootes drehte und ein altes Trinklied pfiff.
Die Brüder Steve und Doug Schauer, beide über vierzig, aber noch immer voll jugendlichen Ungestüms, hatten ihr Leben lang in den Gewässern im und um den Puget Sound Fische gefangen. Ihr durch Geschick und harte Arbeit verdientes Geld hatten sie in immer größere Fischerboote gesteckt, bis sie schließlich zwei nahezu baugleiche 15 Meter lange Trawler mit Holzrumpf erstanden hatten. Sie arbeiteten im Team und hatten einen geradezu unheimlichen Riecher, wenn es darum ging, große Heilbuttschwärme aufzuspüren. Wie zwei Jungs auf Rollschuhen lieferten sie sich jetzt, da die Frachträume nach dreitägiger Fahrt voller Fische und sämtliche Bierflaschen in den Kühlboxen leer waren, ein Wettrennen zum Heimathafen.
»Es ist erst vorbei, wenn die Bordwand an den Kai schrammt«, meldete sich Doug mit knisternder Stimme über Funk. Nach einem besonders ergiebigen Fischzug im Jahr 1941 hatten sie sich zwei Funkgeräte für ihre Boote geleistet. Eigentlich waren sie zur Verständigung beim Fang gedacht, aber meistens frotzelten die Brüder miteinander oder spornten sich gegenseitig an.
Während Schauers Boot mit seiner Höchstgeschwindigkeit von zwölf Knoten durchs Wasser pflügte, hellte sich der Himmel allmählich auf, und der Strahl des Suchscheinwerfers am Bug verlor seine Leuchtkraft. Im Dunst voraus meinte Schauer die undeutlichen Umrisse von etwas Großem, Schwarzem zu sehen, das tief im Wasser lag. Im nächsten Moment leuchtete in der Mitte des Dings ein orangefarbener Lichtblitz auf.
»Ist das ein Wal an Steuerbord voraus?« Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als irgendetwas mit schrillem Heulen am Ruderhaus vorbeirauschte, dann stieg neben dem Backbordbug eine hohe Wassersäule auf und ergoss sich über den Trawler.
Schauer war einen Moment lang wie vom Donner gerührt, konnte kaum fassen, was er soeben gesehen und gehört hatte. Erst als ein zweiter orangefarbener Blitz aufleuchtete, reagierte er.
»Hinlegen!«, rief er den beiden Männern im Ruderhaus zu und riss das Ruderrad des Schiffes hart nach Backbord. Der schwer beladene Trawler gehorchte nur langsam, aber es genügte, um der zweiten Granate aus der 14-cm-Deckskanone der I-403 auszuweichen, die mit lautem Heulen unmittelbar hinter dem Heck des Bootes ins Wasser schlug. Diesmal wurde der ganze Trawler von der Wucht der Explosion aus dem Wasser gehoben und prallte dann so heftig wieder auf, dass sein Ruder brach.
Während er das Blut wegwischte, das ihm aus einer Schramme an der Schläfe in die Augen lief, griff Schauer zum Mikrofon des Funkgeräts.
»Doug, da draußen ist ein japanisches U-Boot. Es macht uns die Hölle heiß. Kein Witz. Halt nach Norden und hol Hilfe.«
Er war noch auf Sendung, als die dritte Granate ihr Ziel traf, in den vorderen Frachtraum das Fischerboots einschlug und detonierte. Ein Hagel aus Holzsplittern, Glasscherben und zerfetztem Heilbutt fegte durch das Ruderhaus und schleuderte die drei Männer an die hintere Wand. Schauer rappelte sich wieder auf, blickte durch ein klaffendes Loch in der Vorderseite des Ruderhauses und sah, dass der ganze Bug des Trawlers auseinander barst. Instinktiv hielt er sich am Ruderrad fest und schaute ungläubig auf die Überreste des Bootes, das unter seinen Füßen wegsank.
Ogawa, der das Fernglas angesetzt hatte, verfolgte mit grimmiger Zufriedenheit, wie der Trawler inmitten eines Teppichs aus Treibgut unterging. Die Rettung der Überlebenden kam nicht in Frage, daher verschwendete er keine Zeit mit der Suche nach Schiffbrüchigen.
»Motoshita, haben wir noch weitere Geräusche empfangen?«, fragte er seinen Ersten Offizier.
»Nein, Sir. Der Sonarmann meldete ein mögliches zweites Ziel, bevor wir das Feuer eröffneten, aber das Signal ist abgerissen. Entweder waren es Hintergrundgeräusche, oder es handelte sich um ein sehr kleines Boot.«
»Lassen Sie ihn weiterhorchen. Bei dieser Sicht hören wir ein Schiff viel eher, als dass wir es sehen. Und schicken Sie die Chefmechaniker der Flugzeuge zu mir. Wir müssen die Maschinen starten.«
Als Motoshita davonstürmte, starrte Ogawa in Richtung der verhangenen Küste von Washington. Vielleicht haben wir Glück, dachte er. Der Trawler war höchstwahrscheinlich ein einsames Fischerboot, das kein Funkgerät hatte. Die Kanonenschüsse könnte man an der Küste gehört haben, aber auf diese Entfernung klangen sie vermutlich nur wie ein dumpfes, harmloses Grollen. Außerdem lebten seinen Informationen zufolge nur wenige Menschen an diesem Küstenstreifen. Vielleicht konnten sie den Auftrag dennoch durchführen, ohne entdeckt zu werden.
Gene Hampton, seines Zeichens Funker auf dem Zerstörer Theodore Knight, spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Die Stimme, die aus seinen Kopfhörern schallte, klang so eindringlich und überzeugend, dass er ihr einfach Glauben schenken musste. Nachdem er die Nachricht zweimal bestätigt hatte, sprang Hampton von seinem Stuhl auf und stürmte auf die Brücke.
»Sir, ich habe gerade einen zivilen Notruf empfangen«, stieß er aufgeregt hervor. »Ein Fischer sagt, da draußen vor der Küste ist ein japanisches U-Boot, das seinen Bruder beschießt.«
»Klang er glaubwürdig?«, erwiderte der bärtige, schwergewichtige Kommandant des Schiffes mit skeptischem Unterton.
»Ja, Sir. Er hat gesagt, er konnte das U-Boot wegen des Nebels nicht sehen, aber er hat einen Funkspruch von seinem Bruder erhalten, der in einem zweiten Fischerboot unterwegs war. Er hat zwei Schüsse aus einem schweren Geschütz gehört, dann ist die Verbindung zu seinem Bruder abgerissen. Ich habe einen Funkspruch von einem anderen Fischerboot empfangen, auf dem man ebenfalls Geschützfeuer hörte.«
»Haben sie uns eine Position übermittelt?«
»Ja, Sir. Neun Meilen südwestlich von Kap Flattery.«
»Sehr gut. Setzen Sie sich mit der Madison in Verbindung und sagen Sie Bescheid, dass wir wegen einer gemeldeten Feindberührung die Meerenge verlassen. Danach liefern Sie der Navigation eine Peilung. Mr. Baker«, fuhr er fort und wandte sich an den großen Lieutenant, der neben ihm stand, »lassen Sie gefechtsbereit machen.«
Als die Alarmglocke durch das Schiff schrillte, eilten die Besatzungsmitglieder der USS Theodore Knight zu ihren Kampfstationen, setzten die Helme auf und legten im Laufen ihre Splitterwesten an. Es war nicht das erste Mal, dass der Zerstörer der Farragut-Klasse ins Gefecht zog. Die 1931 bei Bath Iron Works in Maine vom Stapel gelaufene Theodore Knight hatte zu Beginn des Krieges erste Kampferfahrungen beim Schutz von Geleitzügen im Nordatlantik gesammelt. Nachdem der 103 Meter lange Zerstörer mehrere U-Bootangriffe auf Handelsschiffkonvois abgewehrt hatte, wurde er zum Patrouillen- und Geleitschutzdienst an die amerikanische Westküste beordert, wo er in den Gewässern zwischen San Diego und Alaska eingesetzt wurde.
Drei Meilen weiter hinten, in der Juan-de-Fuca-Straße, befand sich die Madison, die mit einer Ladung Bauholz und Lachskonserven nach San Francisco unterwegs war. Die Theodore Knight ließ das ihr zugewiesene Frachtschiff zurück und stieß auf Befehl ihres Kapitäns, Lieutenant Commander Roy Baxter, mit voller Fahrt in den Pazifik vor. Von seinen beiden Dieselmotoren angetrieben, pflügte das schnittige graue Schiff durch das Wasser wie ein Windhund, der ein Kaninchen hetzt. Die Besatzung war nach der eintönigen Routine des Patrouillendienstes ungemein kampflustig und brannte regelrecht darauf, den Feind zu stellen.
Selbst Baxter spürte, wie sein Herz einen Takt schneller schlug. Er war seit zwanzig Jahren bei der Navy und hatte zwar im Atlantik manches Gefecht erlebt, aber der Dienst an heimatlichen Gestaden hatte ihn zuletzt etwas gelangweilt. Er genoss die Aussicht, wieder Pulverdampf zu riechen, auch wenn er immer noch skeptisch war, was die Funkmeldung anging. Seit über einem Jahr waren keine japanischen U-Boote mehr vor der Westküste gesichtet worden, und er wusste, dass sich die kaiserliche Marine inzwischen eindeutig in der Defensive befand.
»Radar?«, fragte er mit lauter Stimme.
»Sir, ich habe drei kleine Boote gesichtet, die sich der Wasserstraße nähern, zwei von Norden, eins von Westen«, erwiderte der Radarbeobachter, ohne den Blick vom Sichtgerät zu nehmen. »Ich sehe ein weiteres, unbekanntes Ziel im Südwesten, das sich offenbar nicht von der Stelle bewegt.«
»Bringen Sie uns zu dem Echo im Südwesten«, rief Baxter. »Und halten Sie die vorderen Batterien bereit.« Der Kommandant musste sich ein aufgeregtes Grinsen verkneifen, als er seine Befehle erteilte. Vielleicht verdienen wir uns heute unseren Sold, dachte er, als er seinen Helm festschnallte.
Im Gegensatz zu ihren amerikanischen Widersachern waren die meisten japanischen U-Boote im Zweiten Weltkrieg nicht mit Radar ausgerüstet. Die Frühwarntechnik wurde von der kaiserlichen U-Bootwaffe erst Mitte 1944 eingesetzt, und auch dann wurden nur wenige Boote damit ausgestattet. Die meisten japanischen Unterseeboote verließen sich stattdessen auf ihr Sonar, um den Feind ausfindig zu machen. Das Sonar hatte zwar eine geringere Reichweite als das Radar, konnte aber unter Wasser eingesetzt werden und hatte schon manch ein Boot vor tödlichen Wasserbombenangriffen bewahrt.
Da die I-403 nicht über Radar verfügte, war es der Mann am Sonar, der den nahenden Zerstörer zuerst bemerkte.
»Schiff nähert sich von vorn… Lautstärke eins«, meldete er, als die erste Anzeige an seinem Gerät auftauchte.
Unterdessen waren beide Flugzeuge aus den Hangars geholt worden und standen mit montierten Tragflächen und Schwimmern an Deck, doch die Reparaturen waren noch nicht abgeschlossen. Genau das hatte Ogawa unter allen Umständen vermeiden wollen. Wenn die Maschinen zusammengebaut, aber nicht flugbereit waren, musste er sie opfern, wenn das Boot ein Alarmtauchmanöver durchführen musste.
»Deckskanone bereitmachen«, befahl er, hoffte aber immer noch, dass es sich nur um ein Fischerboot handelte.
»Lautstärke zwei, zunehmend«, meldete der Sonarposten ruhig. »Es ist ein größeres Schiff«, fügte er hinzu.
»Lassen Sie die Maschinen sichern und das Flugdeck räumen«, befahl Ogawa einem Fähnrich, der sich eilends hinab auf das große Deck begab und laut rufend auf die Mechaniker und die Piloten zurannte. Die Flieger vertäuten die beiden Maschinen, schnappten sich ihre Werkzeuge und stürmten zum Hangar. Die wasserdichten Hangartore wurden verschlossen und versiegelt, dann stiegen die Männer durch eine andere Luke und brachten sich im Rumpf des U-Boots in Sicherheit.
»Lautstärke drei, unmittelbar voraus. Möglicherweise ein Zerstörer«, meldete der Sonarmann, der die Geräusche der beiden Schrauben richtig deutete.
Wie auf ein Stichwort tauchte das graue Schiff in etwa einer halben Meile Entfernung aus dem Nebel auf und kam angeprescht wie ein stählernes Gespenst, den Bug in wirbelnde weiße Gischt gehüllt, während dunkler Rauch aus dem Schornstein quoll. Das schlanke Schiff jagte genau auf das U-Boot zu, wie ein Lanzenreiter, der sich durch nichts aufhalten lässt.
Im nächsten Moment brüllte die Deckskanone der I-403 auf, als die erfahrenen Geschützmannschaften des U-Boots versuchten, den anrückenden Derwisch abzuwehren. Doch das schlanke Schiff bot ein schlechtes Ziel, und die Granate flog seitlich vorbei, ohne irgendwelchen Schaden anzurichten. In aller Eile luden die Kanoniere nach und feuerten erneut.
Sobald er erkannte, dass er es mit einem Zerstörer zu tun hatte, wurde Ogawa klar, dass ein Überwasserduell mit diesem überlegenen Gegner aussichtslos war, und er gab den Befehl zum Alarmtauchen. Der Einsatz musste abgebrochen werden, wenn er Boot und Besatzung retten wollte, falls es dazu nicht schon zu spät war.
Als der Tauchalarm ertönte, feuerte die Geschützmannschaft einen letzten verzweifelten Schuss ab, bevor sie sich eilends in Sicherheit brachte. Diesmal stimmte die Schussrichtung fast genau, aber der Kanonier hatte die Geschwindigkeit des nahenden Schiffes überschätzt. Die Granate schlug knapp fünfzehn Meter vor dem Bug des amerikanischen Zerstörers ins Wasser, schleuderte eine Gischtfontäne empor, die sich über das Deck ergoss, aber keinerlei Schaden anrichtete.
Die beiden vorderen Batterien der Theodore Knight erwachten zum Leben und feuerten ihre 12,7-cm-Granaten auf das japanische U-Boot ab. Doch die unerfahrenen und aufgeregten Kanoniere zielten zu hoch, sodass die Geschosse hinter dem allmählich Fahrt aufnehmenden Boot einschlugen, ohne Schaden anzurichten.
Ogawa, der auf der äußeren Brücke der I-403 stand, zögerte einen Moment und warf einen letzten Blick auf den nahenden Angreifer, bevor er die Luke schloss. Er bemerkte eine Bewegung auf dem Vordeck und sah zu seiner Überraschung, dass sich ein Mitglied seiner Besatzung zu einem der Flugzeuge begab. Es war ein Pilot, der den Tauchbefehl missachtete und in seine Maschine stieg. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, sein Flugzeug zu verlieren, und wollte bei einem Kamikaze-Angriff mit ihm sterben. Ogawa verfluchte diesen törichten Heldenmut, dann stieg er hinab zur Brücke.
Die Ballasttanks wurden geöffnet, worauf ein Schwall Seewasser einströmte, der das Boot nach unten zog. Bei diesem Manöver war es besonders anfällig, denn es dauerte eine ganze Weile, bis es abgetaucht war. Während Ogawa wartete und das Boot quälend langsam tiefer ging, spielte er eine letzte Karte aus.
»Torpedos feuerbereit machen!«, befahl er.
Es war ein reines Glücksspiel, aber es könnte klappen. Da der Zerstörer unmittelbar voraus lag, konnte er dem Schiff einen Schuss in den Bug verpassen und dafür sorgen, dass der Jäger seiner vermeintlichen Beute zum Opfer fiel.
»Rohre geladen«, meldete der Torpedooffizier.
»Rohre eins und zwei bereithalten«, befahl Ogawa.
Der Zerstörer war nur noch knapp hundert Meter entfernt und feuerte noch immer aus seinen 12,7-cm-Kanonen. Erstaunlicherweise verfehlten die Schüsse nach wie vor ihr Ziel. Allmählich sank der Bug des U-Boots tiefer, und Seewasser spülte über das Vordeck, als der Rumpf langsam im Wasser verschwand.
»Rohr eins, Feuer!«, rief Ogawa. Lautlos zählte er drei Sekunden ab, hielt kurz inne und befahl dann: »Rohr zwei, Feuer!«
Von Pressluft getrieben, schossen die beiden Torpedos aus den vorderen Rohren und zogen ihre tödliche Blasenspur auf den Zerstörer zu. Die sieben Meter langen Torpedos, jeder mit einem 400 Kilogramm schweren Sprengkopf bestückt, wurden rasch schneller und rasten mit über 45 Knoten auf die Theodore Knight zu. Ein Fähnrich, der auf der Brückennock des Zerstörers stand, bemerkte die weißen Schaumstreifen, die auf das Schiff zuhielten.
»Torpedos an Steuerbord und Backbord voraus!«, schrie er, blieb aber wie erstarrt stehen und blickte gebannt auf die rasend schnell näher kommenden Sprengkörper.
Im nächsten Augenblick waren die Torpedos auf Höhe des Bugs. Aber aufgrund einer Fehlberechnung, vielleicht auch durch göttliche Fügung oder schieres Glück, verfehlten die tödlichen Aale ihr Ziel. Der reglose Fähnrich sah fassungslos zu, wie die beiden Torpedos links und rechts am Bug des Zerstörers vorbeischossen, in einem Abstand von allenfalls drei Metern den ganzen Schiffsrumpf entlangrasten und achteraus verschwanden.
»Sie tauchen, Sir«, stellte der Rudergänger des Zerstörers fest, als er sah, wie die Wogen über den Bug des U-Boots schwappten.
»Steuern Sie auf den Kommandoturm zu«, befahl Baxter. »Wir gehen ihnen an die Gurgel.«
Die vorderen Batterien hatten das Feuer eingestellt, da die Geschütze nicht mehr auf ein so tief im Wasser liegendes Ziel ausgerichtet werden konnten. Jetzt wurde das Gefecht zu einem Wettlauf, bei dem der Zerstörer wie ein anstürmender Widder auf die I-403 zuhielt und sie zu rammen versuchte. Doch das U-Boot tauchte immer tiefer, und einen Moment lang sah es so aus, als könnte es unter dem angreifenden Schiff hindurchgleiten. Die Theodore Knight fuhr über den Bug des Boots hinweg, doch ihr Kiel verfehlte das Oberdeck um wenige Zentimeter. Aber der Zerstörer stieß weiter vor, wild entschlossen, den Feind zu zermalmen.
Die hintereinander auf dem mittlerweile schräg stehenden Deck vertäuten Flugzeuge bekamen den scharfen Bug des Zerstörers zuerst zu spüren. Er erfasste sie in der Rumpfmitte, zerschnitt sie regelrecht und hinterließ lediglich verbogenes Metall, zerfetzte Bespannung und Trümmer. Der tollkühne Pilot, der ins Cockpit der vorderen Maschine gestiegen war, konnte nichts mehr ausrichten, bevor er mitsamt seiner Maschine von dem tödlichen Rammstoß erwischt wurde.
Die I-403 war jetzt halb untergetaucht und hatte bislang keine Schäden am Rumpf erlitten. Aber der Kommandoturm des U-Boots ragte zu hoch auf, als dass er dem wild voranpreschenden Schiff hätte entgehen können. Mit ungeheurer Wucht bohrte sich der Bug des Zerstörers in die Stahlplatten und zerschnitt sie wie eine Sense. Ogawa und seine Offiziere wurden auf der Stelle getötet, als das Schiff die Brücke zermalmte. Der gesamte Turm wurde abgerissen, doch der Zerstörer raste weiter und schlitzte das ganze hintere Oberdeck der I-403 auf. Die dem Untergang geweihte Besatzung hörte das Kreischen und Mahlen des geschundenen Metalls, bevor Unmassen von Seewasser einbrachen und sämtliche Abteile überfluteten. Die Männer starben rasch, aber dennoch qualvoll, als das Schiff zur Seite rollte und auf den Meeresboden sank. Aufsteigendes Öl und ein paar vereinzelte Luftblasen markierten die Position des Schiffsgrabes, dann war alles vorüber.
Die Mannschaften und Offiziere an Bord der Theodore Knight brachen in Jubel aus, als sie die Öl- und Treibstofflachen sahen, die sich wie eine Todeswolke über dem gesunkenen japanischen U-Boot auf dem Meer ausbreiteten und von der Vernichtung des Gegners kündeten. Obwohl ihr Widersacher tapfer gekämpft hatte, war es ein müheloser Sieg gewesen. Aber sie hatten Glück gehabt, dass sie ein feindliches Boot unmittelbar vor der heimischen Küste aufgespürt und zerstört hatten, ohne dass es auf ihrem Schiff Verluste gab. Die Männer würden wie Helden gefeiert werden, wenn sie in ihren Heimathafen zurückkehrten, und sie konnten ihren Kindern und Kindeskindern die Geschichte ihrer Ruhmestat erzählen. Keiner der Männer auf dem Zerstörer ahnte jedoch, welch unvorstellbares Grauen ihren Landsleuten widerfahren wäre, wenn die I-403 ihren Auftrag erfolgreich ausgeführt hätte. Und sie wussten auch nicht, dass dieser Horror noch immer in dem zerschmetterten Bootswrack am Meeresgrund lauerte.
ERSTER TEIL
Pesthauch des Todes