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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74093-106-3
»Er ist ein verdammter…«
Und was Kay Logan danach sagt, das kann man gut hören. Er redet ziemlich laut. Und betrunken ist er auch. Manchmal vergißt Kay Logan dann, daß er eigentlich Sergeant ist und ein Vorbild sein soll. Es kommt vor, daß ihm die Nase eines anderen Mannes nicht gefällt, aber so wenig wie Kellys Nase hat ihm noch keine gefallen.
Chess Campbell, der noch halbwegs nüchtern ist, sieht die Katastrophe kommen. »Halt doch dein Maul, Kay!«
Kay Logan blickt über das Glas hinweg in die Augen des Corporal Campbell, stülpt die Lippen auf und sagt danach so laut, als hätte er den zweiten Zug der dritten Kompanie zu kommandieren:
»Und er ist ein elender Kriecher! Jawohl, Corporal.
Hast du gesagt, daß ich mein Maul halten soll?«
Es wird schlagartig still in der Bodega von Juan Alvarez. Selbst Fiedler, der Third Corporal, der seit zwei Wochen den Stockschnupfen hat, röchelt nicht mehr wie jemand, der jeden Augenblick zu ersticken glaubt.
Neun Männer sind in der Kneipe. Sie bilden zwei Gruppen. Die eine ist fünf Mann und die andere vier wackere Krieger stark.
Alvarez wird kreidebleich und vergißt seinen Bierhahn zu schließen. Das Bier rinnt über den Tresen und rieselt dann auf Juan Alvarez’ nackte Zehen. Wenn Juan schon gegen Wasser eine Abneigung hat, außer er tauft seinen Brandy damit, gegen Bier, das auf die Füße tröpfelt, hat er wirklich noch mehr. Er dreht den Zapfhahn zu, sieht Kay Logan erschrocken an und weiß ganz genau, daß Logan nur einen Mann mit seinem schönen Ausdruck gemeint haben kann.
Darum blickt Alvarez zu Kelly. Mag sein, daß der ein feiner Bursche ist, er sieht zumindest so aus. Daß er aber tatsächlich ein anständiger Kerl ist, das bezweifelt mancher. Nur hat es noch keiner laut gesagt, bis auf Kay Logan.
»Jeff!« zischt Alvarez nach dem ersten Schreck und stößt den zweiten Sergeant Jeff Baxter, über den Tresen hinweg an. »Jeff, tu’ was, sonst…«
Jeff Baxter, ein ruhiger Bursche, den nichts aufregen kann und der Nerven wie Stahltaue hat, zieht nur einmal die linke Augenbraue hoch.
»Was soll ich tun?« fragt er, als hätte er nicht gehört, was sein Freund und Mitkrieger Kay Logan gesagt hat.
»Mama mia!« jammert Alvarez. »He, du mußt Kay…«
Aber es ist längst zu spät. Wer immer mit Kay Logan zu tun gehabt hat, der weiß, daß Logan manchmal nur einen Grund sucht, eine Schlägerei anzuzetteln.
Kay Logan hat sich blitzschnell, obwohl er doch betrunken wie die ganze Haubitzenbatterie von Fort Bliss ist, etwas einfallen lassen.
Und Corporal Campbell, gewöhnlich sein Brandy-Freund, hat heute seinen Pechtag.
Logan, über sechs Zoll groß, dabei auch noch kräftig, starrt Campbell aus seinen glasigen Augen an und streckt dann jäh die rechte Hand aus.
»Sag noch mal deinem Sergeant, daß er das Maul halten soll!« faucht Logan heiser. »Na los, du schmutziger Feigling, sage es!«
Jeff Baxter zieht auch noch die andere Braue hoch. Ob es stimmt, daß Baxter alles sieht, vor allen Dingen Indianer und Yankees, das weiß Alvarez nicht genau, aber es wird erzählt. Baxter und Logan bilden ein unzertrennliches Gespann, wenn die Südstaatenarmee einmal einen Zug Kavallerie auf Patrouille schickt. Ohne Baxter ist Logan nur die Hälfte wert, heißt es. Aber ohne Logan soll Baxter nie losreiten, wenn es wirklich hart zu werden verspricht.
»A – aber, Kay«, erwidert Campbell, der plötzlich an Logans rechter Faust hängt, gurgelnd, weil ihm Logan die Luft abdreht und der oberste Knopf des Uniformhemdes durch die Gegend fliegt. »Ich hab’s nicht so gemeint – haarrr – Luuuuft!«
»Bekommst du«, sagt Kay Logan grimmig. »Hast du gleich, du mickriger Zwerg, dem die Stiefelschäfte bis an den Bauchnabel reichen. Du gibst deinem Vorgesetzten Befehle, du Affe?«
Alvarez hinter dem Tresen wird bleich und bekreuzigt sich heimlich, während er sich duckt.
Von der rechten Tresenkante aus setzte sich Sergeant Kelly in Bewegung. Er ist wirklich ein ganz prächtiger Bursche mit einem Benehmen, als sei er nicht Sergeant, sondern Lieutenant. Vielleicht wäre er nie Sergeant geworden, wenn er nicht ein sogenannter Kriecher wäre. Kelly, sagt man, verrät seine Kameraden manchmal. Vor zwei Wochen hatte Logan eine Brandyflasche in der Jacke und trank während des Dienstes. Am Abend, ehe sie vom Ausritt zurückkamen, kontrollierte Captain Forges Kay Logan vor Dienstende und stellte fest, daß Logan getrunken hatte. Er fand auch die Flasche – und Logan danach den Weg zum Jail, in dem er drei Tage steckte.
Seitdem behauptet Logan steif und fest, nur ein verdammter Hundesohn könne ihn verpfiffen haben: Ward Kelly.
Nun kommt Kelly, der keinen Zoll kleiner ist als Logan, an Baxter vorbei und bleibt an Logans rechter Seite stehen.
Es ist so still geworden, daß man das Herabtropfen des Bieres deutlich hören kann.
»Moment, Logan!« sagt Kelly scharf und stäubt sich ein Haar vom piksauberen Uniformärmel. »Hast du gesagt, ich sei ein Kriecher?«
Kay Logan wendet den Kopf. Er blickt Kelly so unschuldig und verwundert an, daß der einen Moment daran zweifelt, Logan richtig verstanden zu haben.
Aber er sollte Kay Logan besser kennen. Logan ist der geborene Trickser.
Das Wort geht im Fort um, daß Logan eine ganze Kiste voller Tricks hätte und immer etwas wüßte, um einen anderen zu überraschen.
Genauso kommt es.
Logan macht ein Gesicht, als habe er nichts vor, aber auch nicht die kleinste Teufelei. Dabei hat der schlaue Fuchs schon längst einen Plan.
»Genau das sagte ich«, erwiderte Logan, und sein breites Grinsen macht Kelly wütend. »Du bist der allerletzte und schmierigste Halunke, den unser Fort jemals gesehen hat. Dir sollte man Mokassins mit verstärkten Sohlen aus Pferdehaar schenken, damit du noch besser schleichen kannst, du Lump. Wer hat gemeldet, daß ich Brandy getrunken habe, he? Das warst du, verdammter Kriecher. Du hast es meinem Freund, Captain Forges, gesagt. Streite es ab, dann werde ich dich den lumpigsten Lügner der Armee nennen!«
Kelly verfärbt sich. Hat er einen Augenblick geglaubt, daß Logan erklären würde, ihn nicht gemeint zu haben, dann hat er sich geirrt. Im Gegenteil, Logan beschimpft ihn noch mehr und ganz offen vor aller Ohren.
»Das nimmst du zurück, Logan!« sagt er heiser und zornig. »Ich sage dir, du entschuldigst dich, sonst…«
»Was, sonst?« fragt Logan grinsend und sieht ihn nicht an, sondern schüttelt seinen Corporal Campbell ein wenig durch.
»Du bist nicht nur ein ganz gemeiner Lügner und Kriecher, der scharf darauf ist, First Sergeant zu werden, du bist auch ein Feigling, der es nicht wagen wird, gegen jemanden loszugehen, Kelly. Komm, hau ab, du Stinktier!«
Kelly wird kreidebleich, holt tief Luft und ballt die Hände.
»Wiederhole es draußen noch mal, Logan!« zischt er. »Komm vor die Tür, dann…«
»Verschwinde!« unterbricht ihn Kay Logan scharf. »Ich bin mit diesem windigen Corporal beschäftigt. Störe mich nicht, Kelly, du reibst dich am falschen Mann.«
Sergeant Kelly wirft einen kurzen Blick auf Jeff Baxter, aber der rührt sich nicht. Die Sache geht nur Logan und Kelly etwas an. Alle anderen halten sich heraus.
»Los, komm vor die Tür oder mit in den Hof, Logan!« sagt er heiser.
Kay Logan scheint ihn nicht zu hören, er beutelt Campbell weiter durch. Kelly ist wohl für ihn nicht mehr vorhanden.
»Zum Henker, jetzt ist es genug!« bellt Kelly ihn an. »Zum letztenmal, Logan. Komm mit in den Hof, sonst erlebst du was!«
Und dann, als Logan nicht reagiert, macht Kelly seinen ersten und letzten Fehler. Er streckt die Hand aus, legt sie auf Logans Schulter und will den Sergeant herumziehen.
In derselben Sekunde aber explodiert Logan auch schon. Und er muß Corporal Campbell in seinen Plan einbezogen haben.
Kay Logan dreht sich jäh. Kellys Hand rutscht von seiner Schulter. Campbell herumreißend, sagt Kay Logan: »Faß mich nicht an, du Skunk!«
Einer hat es die ganze Zeit gewußt und doch nur zugesehen. Es mußte kommen, es war unabänderlich für Sergeant Jeff Baxter. Wenn jemand Kay Logan genau kennt, dann ist es Baxter. Sicher hätte es einem rauhen, harten Burschen wie Kay Logan nichts ausgemacht, drei Tage in das Armee-Jail zu wandern. Dort sitzt Logan sehr oft und singt greuliche Lieder. Aber ihn hat man bisher immer auf frischer Tat erwischt. Und es gibt immer nur eine Tat: Die Trunkenheit im Dienst.
Zwar hat sich Kay Logan auch oft geprügelt und einige Male dafür im Bau gesessen, aber zumeist erwischte man ihn mit einer Flasche am Hals. Diesmal jedoch hat ihn einer seiner Kameraden denunziert.
Und genau das ist es, was Kay Logan wie die Pest haßt. Es gibt immer wieder Dinge, die sich beim Dienst ereignen: Da sind Rekruten, die meutern wollen, die sich drücken oder nach dem Zapfenstreich kommen. All diese Vögel, so nennt Kay seine Rekruten, greift er sich selbst. Es ist noch nie vorgekommen, daß Logan einen seiner Untergebenen gemeldet hat. Er bereinigt die Sache immer auf seine Weise und ohne großes Geschrei, das bis zu First Lieutenant John Long, seinem Squadron-Chief, dringen könnte.
Für Kay Logan gibt es keine größere Gemeinheit, als jemanden anzuschwärzen.
Genau das aber, und sämtliche Männer der zweiten Eskadron wissen es, hat Sergeant Kelly getan. In ihren Augen ist Kelly ein Lump, mag er auch noch so geschniegelt und gebügelt herumlaufen.
Als Campbell, der sofort erkannt hat, was Logan plante, losfliegt, zieht er den Kopf ein. Er rammt Kelly mit dem Schädel, klammert sich haltsuchend an Kellys Uniformrock fest und verschafft Kay Logan eine Chance. Er will Logan helfen, aber Logan hat sich noch nie von jemandem helfen lassen.
»Gib ihn frei, du Narr!« sagt Logan da auch schon knurrend, als er Campbells Klammergriff erkennt. »Laß ihn los, Mann!«
Er sagt es zu spät für Campbell, der sich in Kelly höllisch getäuscht hat. Niemand hätte Kelly zugetraut, daß er auch rauh werden könnte. Zu Kellys ständig hochnäsiger, dünkelhafter Art paßt es einfach nicht, kämpfen zu können. Aber Sergeant Kelly kann kämpfen.
Kaum hält Campbell sich fest, als Ward Kelly das rechte Knie hochreißt.
Der Stoß trifft den kleinen Campbell in die Seite. Für Sekunden glaubt der Corporal, keine Luft mehr zu bekommen. Wie durch einen ganzen Heuhaufen, in dem er sich verkrochen zu haben glaubt, hört er Kelly knirschend sagen:
»Du kleiner Wüstenfloh, den Trick landest du bei mir nicht!«
Danach stößt Kelly seine Fäuste vor.
Das wird härter, als der kleine Campbell schlucken kann. Der Schmerz durchzuckt seinen Körper, er will einknicken, als ihn die Faust erwischt und kerzengerade hochzieht.
Für Campbell beginnen sämtliche Glocken der Mauleselkompanie zu läuten. Danach hat er das Gefühl, von einem dieser störrischen Ziegenböcke getreten worden zu sein. Er fliegt genau auf Kay Logan zu.
Der überwindet blitzschnell die Schrecksekunde. Auch Logan erkennt, daß Kelly bei aller Geschniegeltheit doch ein harter, kampfgewohnter Bursche ist.
»Sieh an«, sagt Kay Logan, denn es hätte ihm keinen großen Spaß gemacht, einen Saloon-Sergeant wie Kelly zu Boden zu schmettern. »Der kann ja was. Dann wollen wir mal, hepp!«
Und ist schon zur Seite, als Campbell, der Glöckchen bimmeln und Maultiere schreien hört, auf ihn zufliegt. An seiner linken Seite vorbei tritt Campbell die Reise bis an den nächsten Tisch an. Dort landet der kleine Corporal rücklings, rutscht über die Platte und reißt zwei Flaschen nebst einigen Gläsern mit, ehe er selbst am Boden landet.
Kay Logan aber ist schon gesprungen, fixiert seinen Mann und holt links aus.
Für einen Burschen wie Logan, der voller Tricks steckt, ist Kelly vielleicht trotz aller kämpferischer Eigenschaften kein Gegner.
Logan hat kaum die Linke hoch, als er erkennt, wie Kelly den Hieb blockieren will. Kelly senkt den Arm. Er wird todsicher, von unten nach oben schlagen, um den Schlag zu parieren. Kelly versteht also eine ganze Menge von einem Faustkampf.
»Gut!« zischt Logan.
Statt einen Schwinger linkshändig zu schlagen, zieht Logan in letzter Sekunde die Rechte nach.
Er setzt den Hieb so kurz an, daß Kelly ihn nicht mehr blockieren kann. Und es ist Logan, als hätte er nun endlich die große Genugtuung, es keinem Kameradenanschwärzer heimzahlen zu können.
Kelly kann nichts mehr tun. Logans knochenharte Faust trifft ihn voll. Kellys kurzer Aufschrei geht in ein Gegurgel über.
Kaum schmeckt Kelly sein eigenes Blut, als er die Übersicht verliert. Er stürzt sich auf Kay Logan. Wie oft er zuschlägt und trifft, das weiß er nicht. Er kommt derart schnell und ungestüm, daß er sogar einen Kay Logan überrascht. Einen Moment ist Logan verstört. Er steckt einige Hiebe ein. Als Kelly aber nicht lockerzulassen scheint, springt Logan blitzschnell zurück. Er muß sich den wütenden Kelly vom Leibe schaffen.
Der Sprung bringt ihn für eine halbe Sekunde aus der Reichweite von Kellys Fäusten und gibt ihm Zeit genug, sich auf die Kampfweise des anderen einzustellen. Als Kelly ihm nachsetzen will, schießt Logan erst die Rechte und blitzschnell danach die Linke ab. Der erste Schlag schleudert Kellys Arme nach oben, der zweite sitzt wieder voll auf dessen Kinnspitze.
Ward Kelly stößt einen erstickten Laut aus. Einen winzigen Moment nimmt er die Linke zum Mund hoch. Während er mit der Rechten Logan wegstoßen will, duckt sich Kay und stößt die rechte Faust steil nach oben.
»Teufel«, sagt Logan überrascht, als Kelly nun schwankt und nicht umfällt. »Der Verräter verträgt einen Stiefel.«
Kay krümmt sich, macht einen Schritt zur Seite und schießt dann die Linke ab.
Der Schlag hat gesessen, Kelly geht aber immer noch nicht zu Boden.
»Mach es kurz, Kay«, sagt Baxter vom Tresen her. »Ich höre Hufschlag.«
Aber Logan kümmert sich nicht darum, ob draußen jemand reitet, ob die Streife kommt oder der Town-Marshal jeden Moment erscheinen kann. In Logans Augen ist es jemand nicht wert, einen Mann genannt zu werden, wenn er einen Partner verpfeift. Die Lektion, die Logan Kelly verpassen will, kann nicht hart genug sein.
Kay Logan setzt pausenlos mit seinen Schlägen nach. Er will diesen Mann zertrümmern und so schlagen, daß er diese Lehre nie vergessen wird. Kelly torkelt wie trunken von rechts nach links. Er versucht, sich an einem Tisch zu halten, starrt auf die Flasche, die jemand halb geleert hat, und streckt dann die Hand aus.
Sie sehen alle, daß Logan kaltblütig wartet, bis sich Kelly dreht und den Arm hochreißt, dann wirbelt Logan die Linke herum und triffts Kellys Ellbogen. Die Flasche fliegt im hohen Bogen zu Boden und zersplittert.
»Nicht doch!« sagt Kay Logan grimmig. »Mann, du wirst doch nicht unfair werden. Du mußt erst lernen, daß man seine Partner nie anschwärzt. Und du lernst es jetzt.«
Schon treten Logans Fäuste wieder in Aktion. Kelly schwankt wie ein junger Laubbaum im Herbststurm, er stolpert vorwärts, landet am Tresen und hält sich stöhnend an der Kante fest.
»Kay, die Patrouille!« stößt Baxter in diesem Augenblick heiser hervor. »He, draußen ist die Patrouille!«
Aber Kay Logan hört ihn nicht, er stürmt dem davongetorkelten Kelly nach, will ihn endgültig zur Raison bringen.
Selbst Campbell, der sich bis auf die Knie hochgestemmt hat, hört Baxters Warnung, aber auch er kann nichts mehr tun.
Draußen ist ein scharfer Ruf zu hören, dann das schwere Poltern von Stiefeln auf dem Vorbau.
Aber Logan feuert den nächsten Hieb ab.
Niemand begreift, warum Logan nicht reagiert, als die Schritte auf die Tür zukommen. Ist es Logans grimmiger Entschluß, gewachsen in drei Jailtagen, Kelly für alle Zeiten das Petzen abzugewöhnen, oder ist es Logans Wille, Kelly auf die langsame Art zu Boden zu bringen?
Logan setzt dem über einen Tisch fallenden Kelly nach.
Kaum aber hat er ihn erreicht, packt er den Sergeant am Kragen und reißt ihn herum. Da erscheint in der Tür von Alvarez’ Kneipe der Mann.
Er steht dort, hat die Beine gespreizt und hält beide Türflügel fest. Hinter ihm ist das graue Tuch einiger Uniformen zu sehen. Die sechs Mann der Nachtpatrouille sind zu früh für Kay Logan da.
Der Mann, der die Türflügel nun ausschwingen läßt, starrt Logan wild an.
Baxter sieht den Captain in der Tür und verfärbt sich. Und das will bei Baxter einiges heißen. So schnell wird ein Jeff Baxter nicht blaß.
Der Mann an der Tür macht nur noch einen Schritt. Captain Brad Forges ist nicht sehr groß und auch nicht breitschultrig. Captain Brad Forges hat schwarze Augen, dunkle Haare und auf der linken Wange eine Säbelnarbe. Vielleicht macht es seine geringe Körpergröße, vielleicht verachtet Forges Leute, die nicht hart genug im Dienst sind, Captain Forges ist der Satan von Fort Bliss. Wo immer er auftaucht und wann immer er einmal die Baracken inspiziert, die Furcht wandert vor ihm her wie eine düstere Wolke.
Forges kann einen Mann wegen einer Kleinigkeit so schwer wie einen Verbrecher bestrafen, er schwört auf bedingungslosen Gehorsam, auf eiserne Härte und Disziplin. Forges haßt Indianer, Nordstaatler und Leute, die ihm zu widersprechen wagen. Er kann einen Mann, der seine Meinung vertritt, bis zum Umfallen schinden. Strafexerzieren bei Forges gleicht einem Marsch durch die Hölle und zurück.
Seine Armeerfahrungen hat Forges nach und nach erworben. Als der Krieg begann, ging er, wie viele andere Texaner, zur Armee. Bis dahin war er Händler gewesen
Im gleichen Augenblick, als Logan schon mit der rechten Faust ausholt, sagt Forges mit solch schneidender Stimme, daß jeder Mann im Saloon wie unter einem Peitschenhieb zusammenfährt:
»Logan! Sergeant Logan, Sie sind festgenommen! Lassen Sie den Mann da sofort los!«
Nun hört es Logan endlich. Diese Stimme würde ihn noch aus dem Grab springen lassen.
Kay Logan zuckt zusammen, aber er sieht sich nicht um. Dort steht Brad Forges, sein spezieller Freund seit jenem Tag, an dem Logan für Forges als Späher ritt und seine Meinung zu sagen wagte. Damals hatte Forges eine ganz andere Meinung. Er war zu der Zeit noch First Lieutenant, ein Mann mit wenig Erfahrungen, aber einem unbändigen Haß auf alle Indianer. Statt auf Logans Rat zu hören, ließ Forges seine Squadron vorrücken, schickte zwei Züge aus, um ein paar lausige Apachen zu fangen, und verlor die Hälfte eines Zuges. Hätte er auf Logan gehört, wäre ihm das nicht passiert.
Seit jenem Tag haßt Forges Logan und versucht alles, um diesem Mann immer wieder eins auszuwischen. Nichts ist sicherer als das: Logan wandert wieder ins Armee-Jail
Und diesmal werden es 20 Tage sein.
Als Logan seinen Freund Forges erkennt und das Gesicht Kellys vor sich sieht, jenes Mannes, der ihn verraten hat, kommt die Wut wieder. Es ist der gleiche Haß, den die gesamte Erste Squadron des Forts empfindet, wenn Captain Brad Forges antreten läßt.
»Hund!« sagt Logan zwischen den Zähnen. Niemand weiß genau, ob er Kelly oder den Captain meint. »Jetzt bekommst du deinen Teil!«
Sein wilder, kurzer und trockener Haken läßt Ward zurück über den Tisch schießen. Sergeant Kelly, der das getan hat, was ein anständiger Soldat nie tun sollte, beschreibt einen regelrechten Salto rückwärts. Dann prallt er auf einen Stuhl, der unter seinem Gewicht in Stücke bricht. In das Bersten und Splittern des Holzes hinein kommt der schwere Aufschlag, mit dem Kelly am Boden landet.
»Sergeant Logan!«
Er hört ihn schreien, den kleinen, grausamen Mann mit der wilden, bösartigen Stimme. Und er wünscht sich, nicht Ward vor den Fäusten zu haben, sondern diesen kleinen Satan.
Sergeant Kay Logan macht einen Satz um den Tisch. Er erreicht Kelly wieder und will ihn hochziehen. Er hört die Schritte hinter sich zu spät.
Wenn er etwas an dem mit biblischer Strenge herrschenden Captain Forges bewundert hat, dann ist es dessen Art gewesen, sich an jemanden heranzuschleichen.
Er ist da, genau hinter Logan. Der aber hat Kelly, den besonderen Liebling von Forges, schon wieder am Kragen gepackt und will ihn hochziehen.
»Sie verdammter Wilder!« sagt Forges fauchend. »Sie wollen nicht hören? Nun gut, Mann.«
Er hat den alten Reitercolt, seine Privatwaffe, die er auch bei der Armee tragen darf, herausgerissen. Und er fordert Logan nicht noch einmal auf, den Mann loszulassen.
Captain Brad Forges holt aus. Seiner kaum mittelgroßen Gestalt würde man derartige Härte nicht zutrauen, aber er kann so hart wie ein Riese zuschlagen, und er macht es mit dem langen, sechskantigen Lauf des schweren Colts.
Als die Waffe nach unten saust und Logan zurückschaut, sieht er gerade noch den Arm und die Waffe in Forges’ Faust. Danach sagt Logan, während er Kelly fallen läßt und herumwirbelnd sich abducken will: »Du verdammter Schleicher!«
Mehr bekommt er nicht heraus.
Der sechskantige Lauf der Waffe trifft ihn. Sein Kopf schmerzt höllisch. Er sieht eine ganze Feuerwand, die über ihm zusammenschlägt.
Und dann liegt er still neben Kelly am Boden.
Vor ihm aber, die Beine gespreizt und das gefährliche Glitzern in den Augen, das seine Squadron verrückt macht, steht Captain Brad Forges.
»Corporal Dewitt!«
»Sir?«
Die Patrouille der First Squadron betritt in diesem Augenblick den Saloon, sechs Männer mit Gewehren und dem verwirrten Blick von Leuten, die gerade gesehen haben, wie Kay Logan zu Boden gegangen ist. Corporal Dewitt, der sie führt, salutiert wie ein Rekrut im zweiten Ausbildungsmonat. Er kennt Forges’ beißende Ironie, die sich über ihn ergießen würde, wenn Forges an seinem Gruß etwas auszusetzen haben sollte. Vielleicht übt Dewitt dann am nächsten Mittag zur Zeit der größten Hitze auf dem Exerzierplatz stundenlang das richtige Grüßen, wie?
»Corporal, binden und abführen! Nehmen Sie den Kerl in die Mitte und pflanzen Sie das Bajonett auf!«
Am Tresen steht Jeff Baxter und zuckt unmerklich zusammen. Unter Gewehr abführen wie einen Schwerverbrecher, das wird Kay Logans Haß noch mehr aufflammen lassen.
Aber er schweigt, als ihn der flüchtige und grimmige Blick von Forges trifft. Und wieder ist es Baxter, als könne er Forges’ Gedanken lesen.
»Etwas dagegen, Sergeant Baxter?« knurrt der Captain.
Es ist nackter Hohn. Forges kann unheimlich schnell seine Stimmung wechseln. Einer von den undurchsichtigen Typen, die mit größer Vorsicht zu genießen sind.
»Nichts, Sir«, erwidert Baxter kühl.
Als Forges sich umdreht und zwei der Soldaten den besinnungslosen Logan hochziehen, starrt Baxter zwei, drei Sekunden lang auf den Hinterkopf von Captain Forges.
Und vielleicht fragt er sich in dieser Sekunde genau das, was sich 120 Reiter seit Monaten fragen:
Wie bekommt man diesen Forges klein?
Es gibt Leute, die Forges den Tod geschworen haben, und es sind nicht wenige, die es schon laut gesagt haben. Ob aber einer von ihnen es jemals wagen würde, das bezweifelt Baxter stark. In diesem Augenblick aber fragt er sich, was Kay Logan tun wird, wenn er im Jail hinter den Gittern wieder erwacht. Vielleicht wird Kay dann schwören, daß er Forges bei der ersten Patrouille, die er mit dem Captain reiten muß und bei der es zum Kampf mit Nordstaatlern oder Indianern kommt, eine… Aber so was sollte man nicht zu Ende denken.
Kay Logan hält immer seine Versprechen. Das erste hat er erledigt, und den Mann, dem dieses Versprechen galt, auch. Kelly liegt am Boden, und Forges könnte eines Tages auch so am Boden liegen. Aber es würde einen Unterschied geben: Forges stände nie mehr auf.
*
Er bleibt stehen, den Blick auf das Jail gerichtet, das nur eine große und eine kleine Zelle besitzt. Auf der Vorderfront des Jails knallt die Mittagssonne, und in dem Kasten singt jemand laut und grölend, als befände er sich allein im Fort.
Baxter, der ihn beobachtet, rührt sich nicht, er sagt leise:
»Willie, unser Freund hat ihn gehört. Er steht drüben wie ein Greyhound, der eine Beute im Präriegras gewittert hat.«
Willie Ames, Corporal im ersten Zug der Zweiten Squadron und Freund von Logan, Baxter und Campbell, sieht vorsichtig aus dem Barackenfenster. Nun kann auch er Captain Forges sehen.
Forges’ Haltung ähnelt wirklich der eines Grayhounds. Der Captain steht, den Hals vorgestreckt und völlig erstarrt, hinter der Ecke des Pulvermagazins und starrt zum Jail. Im nächsten Augenblick gibt er sich einen Ruck und geht stocksteif los. Seine Bewegungen wirken wie die einer Marionette, die jemand an unsichtbaren Fäden auf das Jail zuzieht.
Willie sagt knirschend: »Jetzt geht es Kay an den Kragen, wetten? Dieser Hundesohn Forges!«
Während er spricht, marschiert Forges wie eine wütende Bulldogge auf das Jail zu. Der Posten, der ihn kommen sieht, zuckt zusammen und sagt heiser, denn noch kann der Captain ihn nicht hören:
»Sergeant, Forges kommt. Sergeant, leise, Forges ist da.«
Einen Moment schweigt Kay Logan, dann aber singt er um so lauter das Lied vom armen Mann, der im Jail sitzt und sich der verfluchten Fliegen nicht erwehren kann.
Das Lied schallt über den Vorplatz, dringt bis in die Offiziersmesse, aus der Forges gekommen ist, und hat dort zu Gelächter und einigen Seitenblicken auf Forges geführt. Der Captain ist auch bei den anderen Offizieren unbeliebt. Vor allen Dingen einige der jüngeren Lieutenants, die mit Logan und Baxter als Scouts geritten sind und besonders Logan schätzen, gönnen Kelly die Tracht Prügel und haben kein Verständnis für Forges’ eisenharte Maßnahmen.
Vielleicht hätte Forges Logan anders behandelt, wenn First-Lieutenant John Long im Fort gewesen wäre. Aber der ist nach Fort Selden unterwegs. Er führt eine Patrouille im Auftrag des Hauptquartiers, deren Ziel niemand genau kennt.
Forges bleibt, den zwei, drei der Lieutenants grinsend beobachten, vor dem Posten stehen, der mit verkrampftem Gesicht vor ihm salutiert.
»Name?« fragt Forges schneidend, obwohl er den Corporal kennt. »Welche Einheit, Corporal?«
»Corporal Hayes, dritter Zug, Zweite Squadron, Sir«, meldet Hayes, der genau weiß, was für ihn kommen kann, wenn Forges in der üblich schlechten Laune ist. »Auf Posten…«
Er kommt nicht dazu »auf Posten nichts Neues« zu sagen. Forges schnippt einmal mit den Fingern, starrt ihn durchbohrend an und hat den Gesang nun wie das Brüllen eines Löwen in den Ohren.
»Haben Sie diesem Kerl da drinnen gesagt, daß er das Maul zu halten hat, Corporal?«
»Jawohl, Sir!« erwidert Hayes gepreßt. »Ein dutzendmal habe ich es ihm gesagt, aber…«
Kay Logans Gesang bricht ab, und laut sagt er:
»Hau ab, Corporal, du stinkst!«
»Logan.«
Logan, der so getan hat, als könnte er nicht sehen und hören, was draußen geschieht, richtet sich bei Forges’ Anruf bedächtig auf. Dann tritt er ans Gitter und bringt Forges dazu, die Augen so weit aufzureißen, daß der Corporal zusammenzuckt.
Hayes kann Forges’ Gesicht von der Seite sehen.
Und er ist bereit zu beschwören, daß Captain Forges beim Anblick von Kay Logan seinem ersten Schlaganfall verdammt nahe ist.
Der Captain ringt nach Luft. Und alle, die Logan nun sehen, denn er steht direkt am Gitter der kleinen Zelle, beginnen zu grinsen. Einige Leute, die gerade aus der Küche kommen, brechen, als sie hinter dem Anbau der Kammer verschwunden sind, in wieherndes Gelächter aus.
Kay Logan steht dort wie eine wandelnde Vogelscheuche. Nicht nur, daß Logan sein Hemd und den Uniformrock ausgezogen hat, er ist auch aus den Hosen gestiegen. Da es Vorschrift ist, Unterhosen zu tragen und das Grau der Unterhosen ähnlich farblos wie die Mauer gestaltet ist, sieht es aus, als habe Logan keinen Unterleib. Zudem ist die billige Baumwollunterhose ausgebeult.
Captain Forges fallen um ein Haar die Augen heraus. Dazu kommt noch das Gelächter der Männer, das bis zu ihm schallt. In diesem Moment verliert der Captain fast die Beherrschung.
»Corporal Hayes!« donnert er mit sich überschlagender Stimme. »Haben Sie dem Mann erlaubt, sich auszuziehen?«
Hayes stehen die Haare zu Berge. Er hat nicht in die Zelle geblickt und Logans seltsamen Aufzug deshalb nicht erkennen können.
»Nein – nein, Sir!« erwidert er stockend. »Ich wußte nicht, daß er sich ausgezogen hatte, Sir.«
»Wußte er nicht, auf Ehre«, antwortet Logan heiter. »Mächtig warm heute, Captain, wie?«
Das ist zuviel! Erst dieser Anblick einer Vogelscheuche, dann noch Logans spöttische Stimme. Der Captain explodiert, aber wie immer, wenn er besonders wütend ist, äußert sich sein Zorn nicht laut.
»Sergeant Logan«, fragt er ganz leise und zischend, »wer hat Ihnen erlaubt, sich auszuziehen? Antworten Sie, Mann!«
»Niemand«, erwidert Logan grinsend. »Es war keiner da, den ich um Erlaubnis fragen konnte, Sir.«
Forges wird erst blaß, dann rot. Sein rechtes Augenlid, von dem aus die Säbelnarbe bis herab auf den Wangenknochen läuft, zuckt nervös.
»Anziehen, Sergeant! Das ist ein Befehl, verstanden?«
»Befehl!« erwidert Logan leiernd und grinst dennoch breit. »Ich soll mich anziehen. Befehl, Sir! Richtig, bei der Kälte.«
»Halten Sie den Mund, Sergeant!« faucht Forges wild. »Sie wiederholen jeden Befehl, nichts weiter. Verstanden?«
»Halten Sie den Mund!« wiederholt Logan und grinst noch breiter. »Sie wiederholen jeden Befehl, nichts weiter! Verstanden?«
Forges bleibt der Mund offenstehen, denn den ersten Satz brüllt Logan förmlich heraus.
In der Offiziersmesse, aus deren Fenster die beiden Lieutenants sehen, beginnt jemand schallend zu lachen, als Logan den Captain anbrüllt.
Baxter aber, der immer die Ruhe behält, sagt leise zu Ames:
»Willie, das hätte er nicht tun dürfen. Aber er kocht und würde Forges an den Hals fahren, wenn er es könnte. Mann, das geht nicht gut.«
Der Captain steht zwei, drei Sekunden ganz still. Hinter ihm lacht jemand.
Forges hört es und wird feuerrot vor Wut.
»Logan, Ihnen werde ich die Späße austreiben!« faucht er. Korporal, holen Sie den Schlüssel von der Wache und bringen Sie einen Tornister mit, dazu einen Spaten und ein entladenes Gewehr. Verstanden?«
»Verstanden, Sir!«
Corporal Hayes saust davon, kommt in die Wache und sieht dort Campbell neben der Tür lehnen.
»Mensch«, sagte Campbell wütend. »Das kann Forges doch nicht mit einem Sergeant machen, das doch nicht.«
»Hast du eine Ahnung, was Forges alles kann«, erwidert Hayes bissig. »Wenn ich mich nicht beeile, dann kann ich gleich mit Kay gemeinsam über den Hof sausen. Los, gib mir einen Tornister.«
Campbell knirscht mit den Zähnen, nimmt einen Tornister vom Regal, öffnet ihn und legt eine Decke hinein. Anscheinend weiß Campbell ganz genau, was im Jail gleich geschehen wird. Er trifft einige Maßnahmen, die es Kay Logan leichter machen sollen.
Nach zwei Minuten ist Hayes mit dem Tornister, dem Spaten und dem Gewehr wieder vor dem Jail. Aber er hat nicht mit der teuflischen Schlauheit von Captain Forges gerechnet. Als er das Gitter geöffnet hat und Sergeant Logan in voller Uniform herauskommt, deutet Forges auf den Tornister.
»Aufmachen, Logan!«
»Befehl, Sir, aufmachen«, wiederholt Logan ganz ruhig und starrt im nächsten Augenblick auf die Decke.
»Umdrehen! Ich will hineinsehen, Logan.«
Als er die Decke findet, blickt er Hayes fragend an und lächelt verstehend.
»Hayes, wie kommt die Decke da hinein, he?«
»Ich weiß es nicht, Sir.«
»Und Campbell weißt es auch nicht, was?« zischt Forges giftig los. »Aber gut, sehr gut. Die Decke habt ihr nicht umsonst in den Tornister gesteckt. Sergeant, schaufeln Sie den Tornister voll Sand!«
»Befehl, Sir, Tornister vollschaufeln.«
Logan muß das Ding füllen, es auf den Rücken schnallen und das Gewehr nehmen. Die Decke liegt noch am Boden.
»Und jetzt«, sagt Forges eiskalt, als er in den Schatten der Wand tritt und Logan schadenfroh ansieht, »legen Sie die Decke über den Kopf, Logan. Für Sie ist es Nacht, verstanden? Sie haben vor sich einen Berg, auf dem einige Apachen auf der Lauer liegen. Sie werden sich nun unter der Decke, das Gewehr in Vorhalte, kriechend auf die Apachen zubewegen.
Vorwärts, Sergeant! Hundert Yards sind es bis zur Kuppe des Berges. Kriechen Sie, Mann!«
Logan wirft ihm kurz einen verächtlichen Blick zu, dann hängt er sich wie befohlen die Decke über und sinkt in den Staub. Der Tornister ist voll Sand und fest zugeschnallt. Das Ding wiegt mindestens 40 Pfund.
»Kriechen!« Forges’ Stimme durchdringt gellend die kurz zuvor eingetretene Stille. »Vorwärts, Logan! Und vergessen Sie nicht, Sergeant, Sie singen so gern. Singen Sie, Mann!«
Logan, der unter der Decke kaum Luft bekommt, soll auch noch singen.
In der Wache stößt Campbell einen wilden Fluch aus und schlägt sich in seiner Wut beide Fäuste an den Kopf.
Ich verfluchtes Rindvieh, denkt Campbell. Jetzt habe ich es noch schlimmer gemacht. Das wird die Hölle für Kay Logan. Er steht es keine halbe Stunde durch. Bei der Hitze fällt ein normaler Mensch nach einer Viertelstunde um und regt sich nicht mehr. Forges ist der gemeinste Schinder, den dieses Fort jemals gesehen hat. Der Teufel soll ihn zu sich in die Hölle holen.
Aber er kann es so wenig ändern wie sonst jemand. Auch Major Gibson ist nicht im Fort. Das Kommando hat für die nächsten sechs Tage noch der Captain. Forges kann machen, was ihm gerade in den Sinn kommt.
Als Logan etwa 100 Yards gekrochen ist und sich bemüht, die Decke etwas anzuheben, brüllt Forges heiser:
»Wollen Sie gesehen werden, Sergeant? Die Decke herunter, Mann! Zurück zu mir, aber kriechend!«
Kay Logan schwitzt bereits so heftig, daß ihm das Hemd am Leibe klebt. Die Tortur beginnt erneut. Er muß kriechen, und er gibt es nun absichtlich auf, die Decke anzuheben. Logan ist sicher, es dann weniger lange aushalten zu müssen. Sein Zusammenbruch muß unweigerlich kommen. In der Sonne sind es bestimmt 50 Grad. Unter der Decke ist es wie in einer Hitzeglocke. Er kann kaum noch atmen. Bald wird er zusammenbrechen.
Kaum ist Logan bei Forges, der steht bewegungslos im kühlenden Schatten der Jailmauer, als der nächste Befehl kommt.
»Logan, jetzt liegen Bodenwellen vor Ihnen. Sie hüpfen über diese Wellen hinweg und ruhen sich kurz in jeder Rinne aus! Vorwärts, Mann, hüpfen Sie schon!«
»Hundesohn!« sagt Logan unter der Decke keuchend. »Eines Tages zahle ich es dir zurück, verlaß dich darauf! Ich trinke manchmal, das ist richtig. Aber ich habe noch nie einen Fehler gemacht, auch wenn ich im Dienst betrunken war. Der Major weiß es so gut wie John Long. Beide müssen mich, wenn ich erwischt werde, dafür bestrafen, weil die Disziplin es verlangt, aber so schinden wie du würde mich keiner. Forges, einmal erwische ich dich. Dann wirst du noch kleiner, als ich es jetzt bin.«
Er hüpft, aber es wird, obwohl er nun kauert, nicht besser für ihn. Er kann kaum atmen und spürt nach zwei Runden, die er um den Hof zurücklegen muß, daß ihn die Kräfte verlassen.
Schließlich kommt er ermattet wieder vor Forges an, der ihn erneut kriechen läßt.
An den Baracken hat Sergeant Baxter seine alte Großvateruhr gezogen und blickt wieder auf das Zifferblatt.
»Fünfundzwanzig Minuten«, sagt er halblaut zu Willie Ames. »Hätte ihn Forges noch fünf Minuten hüpfen lassen, wäre der arme Kay jetzt fertig, aber Forges macht es langsam. Ich wette, der Bursche läßt sich etwas einfallen.«
Und genauso kommt es.
Kaum ist Logan wieder auf seinen unsichtbaren Berg gekrochen, als Forges ihm befiehlt, aufzustehen und Haltung anzunehmen. Logan, der nun keinen trockenen Faden mehr am Leibe trägt, steht stramm in der prallen Sonne. Über den Hof weht kaum ein Windhauch.
Das dauert etwa fünf Minuten, dann muß Logan erneut hüpfen, dann wieder kriechen. Und als das vorbei ist und er keuchend am Boden liegt, läßt ihn Forges das Gewehr in Vorhalte nehmen und Halteübungen veranstalten.
Auch das steht Logan noch durch, aber mitten im nächsten Hüpfen um den Platz kippt er plötzlich um und bleibt reglos liegen.
»Sergeant Logan! Stehen Sie auf, Mann!«
Aber Logan rührt sich nicht mehr.
»Zweiundvierzig Minuten«, sagt Baxter zwischen den Zähnen, als Forges auf Logan zugeht und die Decke wegzieht. »Ich hätte es nicht so lange durchgehalten. Der verdammte Schinder! Jetzt möchte ich nicht wissen, wie es in Kay aussieht. Das vergißt er dem Captain nie, Willie. Ich kann es nicht mehr sehen, laß uns verschwinden, ehe mir die Galle überläuft und ich mir noch den Mund verbrenne. Du kannst darauf wetten: Der Major wird diese Sache erfahren.«
Er wirft voller Grimm einen Blick auf die Unterkünfte der Mannschaften und die Baracke, in der ein paar Pima-Scouts hausen. Die Indianer, die für die Armee arbeiten, rühren sich nicht. Sie haben die Schinderei Logans, der bei ihnen im hohen Ansehen steht, ohne jede Regung beobachtet. Als sich der erste Pima-Scout umwendet und ausspuckt, weiß Baxter, was die Indianer von Forges denken. Ein Indianer drückt auf diese Weise seine Verachtung aus.
Der Schinder-Captain aber ruft zwei Mann der Wache herbei und läßt Logan wieder ins Jail schaffen. Dann sieht er Corporal Hayes grimmig an und sagt schnarrend:
»Corporal, den Krug aus der Zelle! Einen Tag Essensentzug für Logan! Zieht er sich noch einmal aus, dann machen Sie sofort Meldung bei mir! Verstanden?«
»Befehl, Sir«, erwidert Hayes gepreßt. »Sofort melden, wenn sich Sergeant Logan noch einmal auszieht, Sir.«
Forges nickt zufrieden, und während er den schlaffen, zwischen den beiden Wachposten hängenden Logan keines Blickes würdigt, machte er einige Schritte und bleibt wiederum stehen.
Als er zu den Wagen blickt, die unter dem Schuppen stehen, scheint er zu lächeln.
»Campbell!«
»Sir?« fragt Campbell und tritt aus der Wache.
»Campbell, falls Logan noch mal singt, kommt er ans Rad. Vielleicht wird er unter der glühenden Sonne schneller heiser, wenn er nichts mehr zu trinken hat, wie? Lassen Sie einen Wagen mitten in den Hof bringen und Stricke an ein Hinterrad legen. Logan soll es sehen, sobald er aufwacht.«
Dann stiefelt er davon.
Campbell knirscht vor Wut mit den Zähnen.
Mann, jetzt hast du dir etwas eingebrockt. Ich wette, Logan haßt dich von dieser Stunde an. Am Ende, Forges, bist du tot, oder ich müßte Kay Logan nicht mehr kennen. Forges, diesmal hast du dir den falschen Mann ausgesucht, denkt er voller Grimm.
Genau das ist es. Aber Forges wird das nie einsehen, für den Captain gibt es nur Vorschriften und Befehle. Von diesem Tag an haßt ihn Sergeant Kay Logan wie das Fegefeuer. Es wird nicht lange dauern, dann soll Forges an diese Stunde erinnert werden.
*
John Long gleitet aus dem Sattel und blickt zurück zum Tor, das sich hinter ihm und den elf Mann geschlossen hat. Es ist seit drei Stunden Nacht, seine Männer sind hart am Rand der Erschöpfung und genauso fertig wie ihre Pferde.
Einen Augenblick mustert der First Lieutenant die zitternden, schaumbedeckten Pferde, dann schweift sein Blick hinüber zum Kommandantenhaus.
Longs große, hagere Gestalt mit dem scharfgeschnittenen Gesicht, den hellen Augen und dem immer beherrschten Mund wendet sich den Männern zu.
»Tony, zwei Tage Ruhe für Mann und Pferd!« sagt er knapp. »Ich breche noch vor dem Morgengrauen wieder auf.«
»Sir, Sie haben weniger geschlafen als wir. Sie werden unterwegs aus dem Sattel fallen«, antwortet Tony Banks, ein alter Sergeant. »Man kann sich auf viele Arten umbringen, eine davon…«
»Ich weiß, Tony, es ist gut«, unterbricht ihn Long lächelnd »Vier Augen für mich, dann kann ich auch im Sattel schlafen.«
Tony Banks nickt finster. Er weiß genau, was Long mit den vier Augen meint. Die Augen sind zwei Männer: Baxter und Kay Logan. Was die Patrouille entdeckt hat, das ist wichtig genug, um den First Lieutenant sofort zum Handeln zu zwingen. Und Long ist noch nie der Mann gewesen, der auch nur eine Sekunde gezaudert hat, wenn er sich oder seinen Leuten einen Vorteil verschaffen konnte.
John Long ist der dienstälteste First Lieutenant jener schwachen Sicherungskräfte, die die texanische Armeeführung in diesem Gebiet stationiert hat. Long hat bisher dreimal gegen einen ausdrücklichen Befehl gehandelt. Er hat zwar Erfolg gehabt, aber der Vorstoß gegen die Befehle seiner Vorgesetzten hat ihn noch nicht weiter als bis zum First Lieutenant kommen lassen. Manchmal handelt Long sogar auf eigene Faust. Es kommt vor, daß er dann wochenlang mit seinen Leuten verschwunden bleibt, aber er kehrt regelmäßig mit wichtigen Informationen über die Bewegungen der Nordstaatenkräfte in New Mexiko ins Fort zurück.
John Long ist erst nach Ausbruch des Krieges wieder zur Armee gegangen. Er hatte vorher seinen Dienst quittiert, um auf die Ranch seines Vaters am unteren Brazos River zurückzukehren. Sein Umgangston unterscheidet sich von dem anderer Offiziere völlig. Er verlangt nie etwas, was er nicht selbst seinen Leuten vormachen würde.
Als er nun von seinen vier Augen spricht, löst sich ein Schatten vom Barackenrand und sagt kühl: