Simone Dark, Jahrgang 1982, ist in der Nähe von Freiburg aufgewachsen, studierte Italienisch und Französisch im Raum Mainz. Seit 2008 lebt sie in Südtirol und verdient ihre Brötchen mit dem Übersetzen. Sie bezeichnet sich selbst als buchstabensüchtig – sowohl im Beruf als auch in der Freizeit. Ihr Debüt „Das zweite Leben“ zeigt uns unmissverständlich: Für die große Liebe ist es nie zu spät, genießt sie, falls Ihr sie findet!

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

©2014 Simone Dark

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7357-5178-2

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen ist rein zufällig.

I

Es ist alles geplant. Bis ins letzte Detail. Seit Monaten. Nun sitze ich neben ihm im Auto und lasse mein altes Leben hinter mir. Zumindest für drei Tage. Die Landschaft rennt an uns vorbei, als wir mit hundertneunzig Sachen über die Autobahn Richtung Süden brettern, er beschleunigt und mich in den Vordersitz drückt. Heftiges Kribbeln erfasst mich. Ich denke zurück an den Abend vor seinem Geburtstag, als er mich im fahlen Licht der Laterne, im Auto sitzend, leise gefragt hat: „Wann hauen wir ab?“. Es war keine wirkliche Frage, es war vielmehr eine Aufforderung, die kein Nein akzeptiert hätte. „Jetzt!“ war meine Antwort und ich meinte sie ernst.

Das war vor fünf Monaten. Ich sehe ihn von der Seite an. Er ist konzentriert, bemerkt aber meinen Blick und grinst. Sieht mich an, sagt: „Jetzt hab ich dich.“, nimmt meine Hand und drückt sie. „Ja du Schwerverbrecher“, antworte ich, „Schau nur zu, dass sie mich dir nicht mehr wegnehmen!“

Ich bin glücklich. Anders kann ich es wirklich nicht beschreiben. Das Leben rockt. Mein Blut kocht und ich fühle mich ähnlich aufgeregt wie vor dem allerersten Kuss. Ich drehe die Musik lauter, öffne das Fenster und kann nicht anders, ich muss das Glück herausschreien. Er lacht über mich und bezeichnet mich als eine arme Irre, nein, als eine verliebte Irre. Jetzt endlich ist alles egal, ich darf sein wie ich bin, muss mich nicht mehr verstecken, muss meine Gefühle für ihn nicht mehr unterdrücken, kann mich entspannen und darf die Frau an seiner Seite sein.

Nach zwei Stunden Fahrt und viel Gelächter kommen wir am Hotel an. Es liegt am See. Wir checken ein, gehen auf unser Zimmer, ich habe gerade die Tür geschlossen und den Koffer abgestellt, da drückt er mich an die Wand. Er küsst mich so heftig und leidenschaftlich, dass mir die Luft wegbleibt. „Wir haben es geschafft, mein Schatz, endlich…“. Ich schaffe es nicht, ihm zu antworten. Ich weine bereits. Ich bin völlig überwältigt von all diesen Gefühlen, viel zu aufgeregt um noch einen klaren Gedanken zu fassen, der Tatsache, dass ich endlich viele Stunden, Nächte mit dem Mann verbringen darf, den ich wirklich liebe, und den ich bisher immer teilen und vor andern verstecken musste. Ein wenig irritiert über meinen plötzlichen Gefühlsausbruch führt er mich zum Bett, versucht, mich zu beruhigen, streichelt mich, redet mit leiser Stimme auf mich ein. Ich liege in seinen Armen, seine Hand unter meinem Kinn und er küsst sanft meine erhitzten Wangen, meine Stirn, meinen Mund. Er streichelt mich mit sanften Fingern und langsam kriege ich mich wieder ein. Unendlich zärtlich legt er seine Hand auf meinen Bauch, streichelt und massiert meinen Unterleib. Langsam wandern seine Finger zum Hosenbund, öffnet Knopf und Reißverschluss und schiebt die Finger hinein. Ich reagiere sofort, mir wird heiß und zwischen den Beinen wird es feucht. Er hält mich weiter fest, ich suche seinen Mund und küsse ihn innig, als seine Finger mich berühren, reiben und in mich eindringen. „Bitte… bitte lass mich kommen…“ flehe ich ihn an, ich suche Halt in seinen Armen, „Ja mein Schatz, gleich, nur ein wenig Geduld…“ flüstert er und befriedigt mich gnadenlos. Ich bäume mich auf, mit einem leisen Schrei und seinem Namen auf den Lippen komme ich. Der Cocktail aus Angst, Aufregung, Orgasmus und Glück benebelt mich dermaßen, dass ich nicht einmal bemerke, wie er sich auszieht und sich nackt auf mich legt. Er sieht mir in die Augen, während er langsam in mich eindringt, ich denke einen Augenblick zurück an den berühmten 20. Dezember, als wir uns so intensiv und zärtlich in dem kalten Proberaum geliebt haben. Der Abend hatte alles andere in den Schatten gestellt und tagelang hatte ich nur noch seinen Blick, seinen Körper, seine Zärtlichkeit vor Augen.

So ist es auch jetzt. Wir lieben uns langsam, kosten den Körper des anderen, riechen und schmecken uns, seine Lippen suchen immer wieder die meinen, unsere Hände geben sich gegenseitig Halt. Wir wühlen uns durch die weichen, weißen Decken und Kissen, verlieren uns, spielen wie kleine Kinder, necken uns, lachen, sind verrückt und dann wieder todernst. Er dreht mich auf den Bauch und streichelt sanft meinen Nacken und Rücken. Seine Hände jagen mir Schauer über den Körper. Er legt sich erneut auf mich, nimmt meine Hände und hält sie sanft über meinem Kopf fest. Dann nimmt er mich noch einmal, dieses Mal mit mehr Bestimmtheit, ich kann mich unter seinem Körper kaum bewegen, als er immer wieder zustößt. Er raunt mir ins Ohr, ich sei seine Liebe, die, die er immer gesucht habe, und dass ich nur ihm gehöre. Dass er mich nie wieder gehen lassen werde, dass wir nicht mehr nach Hause zurückkehren werden, dass wir gemeinsam abhauen werden, dass wir… den Rest verstehe ich nicht mehr, weil mich ein zweiter Orgasmus schüttelt. Auch er kommt, er stöhnt, und sein Herz schlägt so stark, dass ich es auf meinem Rücken spüre.

Ich muss eingeschlafen sein. Weiß Gott, wie lange ich geschlafen habe, es ist bereits Abend, als er mich mit einem Kuss auf die Schläfe weckt. Schlaftrunken blinzle ich ihn an. „Aufstehen, Langschläferin. Ich hab Hunger!“ Essen klingt gut… fast zur Bestätigung knurrt im selben Moment mein Magen. Ich ziehe mich an und wir verlassen das Hotel, spazieren am See entlang, Hand in Hand, dann Arm in Arm. Zielstrebig führt er mich in eine kleine Gasse, noch ein paar Ecken weiter, eine steile Treppe hinauf. Wir werden hineingebeten, er begrüßt den Kellner mit Handschlag, als kenne er ihn seit Jahren. Er begleitet uns auf die Dachterrasse, nur Kerzenlicht und der sternenbedeckte Abendhimmel erhellen das Szenario. Wow. Und ich hatte gerademal mit einer Pizza gerechnet… da hatte ich seine Planung wohl sehr unterschätzt, als er von einem gemütlichen Essen am ersten Abend sprach.

Es schmeckt köstlich. Die Vorspeise, der erste und zweite Gang, alles perfekt aufeinander abgestimmt. Der Wein ist leicht und kühl, doch ich habe schon nach zwei Schlucken einen Schwips und lasse lieber die Finger davon. Wir stoßen auf uns und unsere Flucht an. Kurz vor dem Nachtisch nimmt er sein Handy und tut genau das, was ich nie zu Hoffen gewagt hätte. Ich traue meinen Ohren nicht, als er sie tatsächlich am Telefon verlässt. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, als ich ihr Heulen am anderen Ende der Leitung höre und er nach ein paar Minuten das Gespräch beendet und aufgelegt. Ich starre ihn an. Bin sprachlos. „Ich bin jetzt frei. Frei für dich.“ Er verzieht keine Miene. Er sieht mir in die Augen und hält mir das Telefon hin. „Willst du dasselbe tun? Es ist deine Entscheidung. Aber wenn, dann tu es jetzt. Hier kann er dich zumindest nicht umbringen.“ Ein Anflug von einem Lächeln, dann ist er wieder ernst. Wie in Trance nehme ich mein eigenes Telefon und wähle die Nummer. Sehe ihm dabei in die Augen. Sie leuchten. Ich schlucke die Angst herunter, als er abnimmt. Dann rutscht es aus mir heraus. Ich erkläre ihm alles. Mein komisches Verhalten in den letzten Monaten, die Lügen, meine Flucht. Ich entschuldige mich nicht dafür. Das letzte was ich höre, ist ein Fluchen. Dann fliegt mir das Handy aus der Hand. Ich schwitze und zittere. Ich hebe das Handy auf, stelle es aus und zerstöre die Sim-Karte. All das geschieht, ohne dass ich es wirklich wahrnehme. Tränen laufen mir über die Wangen, als er aufsteht, um den Tisch herumgeht und mich an sich zieht. „Ist ja schon gut… alles wird gut, hab keine Angst… jetzt können wir endlich zusammen sein… so wie wir es immer wollten...“ Er streichelt mich und gibt mir sein Taschentuch, trocknet die vielen, angestauten Tränen. Ich bin fertig mit den Nerven und möchte mich verkriechen. Lange bleiben wir auf dem Dach stehen, schweigend, immer wieder die Nähe des anderen suchend. Wir versprechen uns die Welt, die uns in diesem Moment zu Füßen liegt. Reden von unserem neuen Leben, das wir gemeinsam verbringen werden. Ich sage ihm all das, was er noch nicht von mir wusste. Es soll ein Neuanfang ohne Lügen sein. Er spricht über sich, warnt mich im Spaße vor seinen Macken, erzählt von seiner Familie, seinem Sohn, und seiner Vergangenheit. Wir stellen uns ein bisschen ängstlich vor, wie wir es schonend unseren Familien beibringen werden. Sie werden es verstehen, irgendwann.

Die nächsten Tage verbringen wir zwischen Essen, kurzen Spaziergängen am See und im Bett. Wir lieben uns immer und immer wieder und nehmen uns die Zeit, dem anderen zuzuhören, reden über unsere Vorstellungen und Ängste, erreichen eine Vertrautheit, die alles bisher Dagewesene übertrifft. Wir werden zu einer Seele. Ich habe keine Angst, ihn zu enttäuschen oder ein falsches Wort zu benutzen, ich habe keine Angst mehr davor, dass er mich verlassen könnte. Wir erkunden uns, verstehen und genießen uns.

So gerne würde ich ihm für all das danken, was er in diesen Tagen und Monaten für mich getan hat. Für diese großen Schritte, dafür, dass er sich für mich befreit hat. Dafür, dass er mich vor eine Wahl gestellt hat, die ich schon längst hätte treffen sollen. Ich weiß, ich stehe nicht in seiner Schuld. Es war eine gemeinsame Entscheidung, die uns leichter gefallen ist, als wir gedacht hatten. Ich will ihm für seine bedingungslose Liebe, seine Kraft, das alles mit mir durchzustehen, danken. Dafür, dass er immer da war und an uns geglaubt hat, bis die Träume endlich wahr wurden. Dafür, dass er nicht lockergelassen hat. Für seinen ersten Kuss in dem Restaurant, dass es nicht mehr gibt. Für die vielen kleinen, wunderschönen Augenblicke, die Worte, sein Flüstern, die Blicke aus seinen braunen, warmen Augen, für die intimsten Momente, für den Spaß den wir hatten, die abgrundtiefen Gespräche, die mir eine neue Welt gezeigt und ein neues Leben geschenkt haben.

Inhaltsverzeichnis

II

„… Gut, dann sehen wir uns am Wochenende. Ich hab euch lieb… Macht‘s gut.“ Puh, es ist raus. Meine Eltern wissen Bescheid. Und sie freuen sich. Sie freuen sich für mich, für uns, sie schienen fast erleichtert. Nie zuvor hatten sie mir gesagt, was sie von meinem Exmann hielten. Haben ihn nie kritisiert, doch jetzt, wo ich nicht mehr bei ihm bin, haben sie mir endlich ihre Meinung zu unserer kaputten Ehe gestanden. Doch dies ist nun passé. Vergangenheit ade, Zukunft, wir sind bereit! Ich gehe auf ihn zu und blicke in zwei skeptische braune Augen. „Was haben sie gesagt?“ „Sie wollen dich kennenlernen…“, antworte ich und küsse ihn sanft auf den Mund. „Oh Gott… jetzt schon?“ „Schatz wir haben das halbe Leben ohne einander verbringen müssen, jetzt wird es Zeit, oder nicht?“ „Ja sicher, hast recht, Augen zu und durch!“

Seit Mai, als wir so völlig spontan unsere damaligen Partner per Telefon verlassen haben, habe ich auf diesen Moment gewartet. Die Trennung war nicht einfach, aber sie ist auf beiden Seiten irgendwie über die Bühne gegangen. Ich habe meinen Mädchennamen wieder angenommen, die Ringe sind verkauft und das Geld dafür liegt auf meinem Konto. Ich wollte sie nicht behalten, ich brauchte keine Andenken an schlechte vergangene Zeiten. Ich habe mein altes Leben gründlich ausgemistet und nur das Nötigste und Schönste davon mitgenommen. Ohne den Überfluss an Erinnerungen fühle ich mich unbeschwert und kann das Neue genießen. Ich sehe alles in einem neuen Licht. Purer, intensiver und so ganz ohne Vorschriften. Wir tun, was uns glücklich macht.

Nach fünf Stunden Fahrt kommen wir mit platten Hintern auf dem Parkplatz neben dem Haus meiner Eltern an. Ich schreie vor Freude leise auf, als ich zwei weitere Autos in der Einfahrt stehen sehe. Meine Geschwister sind ebenfalls angereist. „Was ist los?“, fragt er mich während er parkt. „Ähm… das sind die Autos meiner Geschwister… ich wusste nicht dass sie kommen… sorry…“. Na das kann ja heiter werden.

Die Haustür wird geöffnet und in der Einfahrt versammelt sich eine kleine Menschentraube. Meine Eltern, Anna, ihr Mann Stefan, Alex, seine Frau Christina und fünf kleine Kinder, aufgereiht wie die Orgelpfeifen, betrachten uns neugierig, als wir aus dem Auto steigen und ihnen entgegenkommen. Ich hole tief Luft und falle meinem Vater in die Arme. Er flüstert mir ins Ohr: „Geht’s dir jetzt besser?“ Ich nicke und bin schon fast den Tränen nahe. Meine Mutter drückt mich fest und küsst mich. „Ok, so, darf ich vorstellen: Chris. Mein bester Freund und Liebe meines Lebens.“ Sie lachen und sehen glücklich aus. Sie umarmen sich, geben sich die Hand. In diesem Moment geht mein Traum in Erfüllung.

Wir dürfen mein altes Kinderzimmer beziehen. „Und, wie fühlst du dich?“, fragt er und nimmt mich liebevoll in den Arm. „Ich bin so glücklich wie selten zuvor. Wirklich, allein wie sie dich begrüßt haben… ich hatte Angst davor, dass sie mich wegen der ganzen Sache verurteilen würden. Weißt du, Scheidungen stehen bei uns nicht gerade hoch im Kurs. Ich kann mich nicht mal an eine in der Familie erinnern.“ „Ja, aber ich denke das Glück ihrer Tochter ist wichtiger als die Unterschrift auf der Heiratsurkunde, oder?“ Ich nicke. „Und wie geht es dir?“ „Gut, wirklich gut. Sie sind wie du: sie lachen ständig und sind sehr herzlich. Das macht es einfacher. Ich fühle mich sehr willkommen.“ „Das bist du. Und du wirst sehen wie herzlich sie erst nach ein paar Gläsern Wein sein werden!“ „Haha, oh Gott, dann sollte ich wohl mit saufen um das auszuhalten.“ „Ja, genau, trink dir deine neue Familie schön!“ „Das hast du schön gesagt.“ „Was denn?“, frage ich. „Das mit meiner neuen Familie. Und gleich so eine große!“

Wenig später werden wir zum Essen gerufen. Es ist Ende August, die heißeste Zeit in der Gegend. Wir essen im Garten, meine Mutter hat aufgetischt, als gäbe es kein Morgen. Immer, wenn Besuch kommt, übertrifft sie sich selbst und kocht nicht für zwölf, sondern für vierzig. Nun, zufriedene und satte Mienen danken es ihr. Wir sitzen lange zusammen und natürlich bleiben die Fragen nicht aus. Wie wir uns kennengelernt haben, wo wir jetzt leben, wann wir uns entschieden hatten, wirklich zusammen sein zu wollen. Ich entscheide mich bei jeder Frage für die Wahrheit. Gelogen habe ich oft genug, manchmal aus Egoismus, manchmal, weil ich es musste. Nun bin ich grundehrlich und es fühlt sich gut an. Wir erzählen ihnen, dass wir uns heimlich trafen, dass wir uns eines Abends sogar zum Kino verabredet hatten und während des gesamten Films Händchen hielten, ohne dass meine Freundin es mitbekam. Meine Schwägerin grinst mich an und ist beeindruckt, wie geschickt wir uns in all diesen Monaten angestellt hatten. Wir erzählen ihnen von unserer Flucht, die am Ende zu zwei Scheidungen geführt hat. Ich erzähle ihnen von diesem Tag im Oktober, als Chris in mein Büro gekommen war und ich aus einer spontanen Laune diese E-Mail schickte, die mein Leben verändern sollte. Ich wollte nur einen Kaffee mit ihm trinken, dann folgte ein Mittagessen, dann der erste Kuss. Ich erzähle ihnen, wie wir alle Welt belogen hatten, um den Abend der Weihnachtsfeier miteinander verbringen zu können. Er erzählt von seinem kleinen Sohn, den ich inzwischen kennengelernt habe und den ich vom ersten Moment an ins Herz geschlossen habe. Mein Vater, der sonst so still war, fragt direkt heraus: „Wieso habt ihr uns eigentlich nicht von Anfang an gesagt, was los war? Glaubt ihr denn, ich hätte es nicht seit Weihnachten gemerkt, dass da was nicht stimmt? Ich hatte meine Tochter nie so verliebt und abwesend erlebt.“ Und der alte Mann hat nie etwas gesagt. Wie sehr ich meinen Vater liebe. So schlau, so diskret. So anwesend und gleichzeitig zurückhaltend. Wir erzählen ihnen von unserem ersten Streit. Wie schlecht es uns im Januar ging, als ich im von einer verflossenen Liebe erzählt hatte und über Nacht der viele Schnee und die Angst kamen. Wie ich am nächsten Tag unter einer Sehnsucht litt, die mich beinahe umgebracht hätte. Wie ich abends um sechs den Zug nahm um zu ihm zu fahren und eine geschlagene Stunde vor seiner Tür kauerte, ohne den Mut zu finden, an seiner Tür zu klingeln. Meine Schwester sieht mich mit feuchten Augen an und streichelt mir zärtlich über die Wange. Als ich davon berichte, wie er mich hineinließ und nicht nur meine Füße sondern auch meine Seele wärmte, berührt sie seinen Arm und lächelt. Sie ist sprachlos und hingerissen. Alex prostet uns zu. „Ich sehe schon, Ihr habt euch gefunden. Schade, dass du ihn uns nicht vorher vorgestellt hast, Schwesterherz. Ich wünsch euch alles Gute. Wirklich, das passt ja wie die Faust aufs Auge.“

Nach diesen treffenden Worten steht mein Vater auf und schickt die Familie ins Bett. Wie vor langer Zeit. Als alle den Weg ins Bett antreten, halte ich ihn fest. „Bleib hier. Bitte. Wir machen noch einen Spaziergang.“ „Wohin willst du nachts um eins?“ „Die Nachbarn haben ein Schwimmbad.“, erkläre ich grinsend. „Du willst doch nicht…“ „Doch…“ Ich lächle verschmitzt.