An den erhabenen, dick mit Perlen besäten, fußhoch von Edelsteinen bedeckten, an allen Ecken ausgiebig mit Gold beschlagenen
unter konvulsivischem Zittern seines ganzen schäbigen Leibes, mit bebenden Lippen, ehrfürchtig gesträubten Haaren und bedrückt von dem schmerzlichen Gefühle des Bedauerns, keinen Schweif zu haben, mit dem er wedeln könnte,
niedergelegt
von dem jammervollsten aller
rotborstigen Barbaren, dem zwar streb-
samen, aber leider noch recht
mangelhaften
Baccalaureo der schönen Künste
Bi-bao-mo
annoch Inhaber keines Mützenknopfes und keiner Rangklasse angehörig, aber ersterbend in der berauschenden Hoffnung, mit nächster Post nach Ankunft dieses Geschichtswerkes in China den Drachenorden mit Lotoslaub unter Erlassung der Sporteln zu erhalten.
Das ließen sich die drei prinzipienlosen Herren nicht zweimal sagen und sandten flugs Agenten durch das ganze Land, schöne Mädchen aufzutreiben.
Es dauerte nicht lange, und ein Mädchenschwärmen hub an durch das Reich der Mitte, daß man hätte glauben mögen, es sei unter den jungen Dirnen Chinas mobil gemacht worden. Was nur ein bischen hübsch war, ließ sich anwerben, und alle Landstraßen waren voll von zierlichen Jungfrauen, die, unter der Führung von Ministerialgesandten, zur Residenz zogen. Es gibt ein altes Duett darüber:
Fein Dirnlein du, fein Dirnlein du, Wo gehst du hin im Reiseschuh? Ich reise in die große Stadt, Ei, das ist ein gar feiner Ort; Dort eß ich von Golde, wie jetzt von Zinn, |
Aber so groß waren die sechs kaiserlichen Serails denn doch nicht, um all das willig flügge Jungfernvolk aufzunehmen. Auch fand der Kaiser, so oft er auch Parade über die nach Landschaften in Nationaldivisionen eingeteilten Mädchen abhielt, nicht eine einzige, die ihm besonders gefallen hätte. Ein paar hundert behielt er ja zurück, aber mehr aus landesväterlicher Huld und um nicht in den Ruf der Gefühllosigkeit zu kommen, als aus wirklichem Interesse.
– Etwas Besonderes möchte ich haben, meine Herren, nicht bloß gute Mittelware. Eine, in die ich mich mal richtig verlieben kann. Wie unser We-tê-king so schön singt:
Ich sah sie an: Da ward der Himmel klar, Und helle ward, was vorher dunkel war. Der schwarze Wald wuchs als ein Flammenmeer, Und um die Hüfte nahm ich sie und sprang |
So was möcht ich. Alles andere ist wie ein laues Bad. Und a propos, mein lieber We-tê-king: ich muß es sonderbar finden, daß Sie Ihre schönsten Genüsse für sich behalten. Es wäre loyaler, mir auch etwas abzugeben. Sie müssen doch derlei glühende Sachen erlebt haben. Warum verhelfen Sie mir nicht auch dazu?
Der Dichter We-tê-king machte ko-tao und lispelte: Majestät, ich bin bloß ein Dichter, Sie aber sind Kaiser von China. Wie könnte, was mich in Glühen bringt, auch Ew. Majestät genügen? Was mir schon Wunder ist, das ist dem Sohne des Himmels gemein. Jenes Lied machte ich auf eine – Köchin. Ew. Majestät würde sich von dieser Person nicht einmal eine Hühnerbrühe kochen lassen.
– Wunderlich! bemerkte der Kaiser. Eine Köchin! Wer hätte das gedacht! Aber wer weiß: vielleicht sind es gerade die Köchinnen? Die Liebe ist doch eine mysteriöse Sache . . . Aber gleichviel: es ist mir klar, daß niemand mehr dazu geeignet ist, mir diese Sensation zu verschaffen, als Sie, mein lieber We-tê-king. Und wenn es eine Köchin, eine Ausgeherin, eine Kuhmagd wäre: Sie müssen mir eine bringen. Gelingt es Ihnen, so berufe ich Sie in den Staatsrat mit dem Titel und dem Gehalt eines kaiserlichen Hausministers; gelingt es Ihnen nicht, so haben Sie am längsten Liebeslieder gesungen und kommen unter die Eunuchen. Dies ist mein unabänderlicher kaiserlicher Wille. Richten Sie sich darnach!
Der Hofliebesdichter hatte eine Empfindung, wie wenn er operiert würde, verwünschte seine sämtlichen Gedichte und erwog die Frage in sich, ob er nicht besser täte, sich gleich aufzuhängen. Schließlich aber dachte er sich: wer weiß! Suchen wir halt erst mal! Glückts nicht, so wird der Hanf bis dahin auch nicht aufgeschlagen sein.
Und so begab er sich auf die Mädchensuche.
Wie männiglich weiß, haben die Dichter in weiblichen Angelegenheiten durchschnittlich mehr Glück, als die Minister. Und so gelang es Herrn We-tê-king sehr bald allein, was den drei Ministern mit all ihren Agenten nicht gelungen war.
Er hatte sich gesagt: je weniger offiziell ich auftrete, um so mehr werde ich erreichen. Die Ministerialagenten haben den Fehler gemacht, daß sie zu sehr mit kaiserlichen Edikten operierten. Da sind dann natürlich nur Mandarinentöchter und höchstens noch Mädchen aus Literatenfamilien gekommen, denn das Volk, wenn es nur ein Edikt auf gelbem Papiere sieht, denkt gleich: das ist nichts für mindere Leute, da gibt es genug Mandarinenlöffel, den Rahm abzuschöpfen. So werd ich es also nicht machen. Denn grade im Volke wachsen die nettesten Pflanzen, und ein Bauernmädel wird am allergeeignetsten sein, Seiner Majestät besondere erotische Sensationen zu verschaffen. Alles andere kennt er ja mehr als genug. Aber Frische, Frische! Heublumenduft und Volkslied!
Meine Laute auf dem Buckel, ein baumwollenes Habit an, auf dem strohenen Vagantenhut ein paar Hahnenfedern, – so will ich von Dorf zu Dorf ziehen und die Dirnen am Ziehbrunnen zusammenklimpern. Ein Haderlumpenlied zieht mehr als zehntausend kaiserliche Edikte.
Und so tat er, der pfiffige Hofliebesdichter und gute Psychologe. Es machte ihm auch außerdem ein Heidenvergnügen und dünkte ihn besser, als an der kaiserlichen Tafelrunde sitzen und Zweideutigkeiten reimen oder gar die kaiserlichen Verse korrigieren.
Von Dorf zu Dorf sich durchsingend und manches hübsche Mädchen am Kinne fassend kam er schließlich in die Gegend von Pao. Ein großes Dorf lag in Mittagssonne. Männer und Weiber schnitten draußen den Reis, am Bache aber, der durch das Dorf floß, knieten die Mädchen und wuschen. Pitsch-patsch klang es, wie sie das Leinenzeug auf die glatten Steine schlugen.
Da setz ich mich irgendwohin, wo's schattig ist, und befingere die Laute, dachte sich der erfahrene Herr We-tê-king und tat auch so.
Erst bloß ein bischen Saitengerupf: ping-pang-pong-dewing, ping-pang-pong, dann ein paar kichernde Läufe, und nun los:
Heißer Himmel, Sonnenbrand, Weiß vom Staub die Stra-a-ßen, Ach, ich bin zu weit gerannt Über krumm und grades Land, Heißer Himmel, Sonnenbrand Macht durstig aus der Ma-a-ßen. |
Die Mädchen drehten sich schon rum und stießen einander an: Schaut da, Einer mit der Laute, und singt!
Jetzt machte es Herr We-tê-king recht zum Erbarmen:
Hätt ich nur ein bissel Wein, Würd ich balde hei-ei-ter, Bin ein armes Singerlein, Fahr landauf, landab, landein, Hätt ich nur ein bissel Wein! Laßt mich nicht durstig wei-ei-ter! |
– Der arme Bursch! Hört nur, wie kläglich er tut! Bringen wir ihm die Kürbisflasche! Nimm sie, Pao-Szö!
Der ganze Schwarm machte sich auf und kam nahe. Die Kleinste trug die Flasche und bot sie dem Sänger.
Himmel, was machte Herr We-tê-king für ein paar Augen, als er das Mädchen sah!
Die, die ist es! Bei allen kaiserlichen Ahnen: die und keine andre! Eine Blume aus dem Garten der Götter! Die Blume Wundergruß!
– Mädchen, wie heißest du?
– Pao-Szö, Herr!
– Wer ist dein Vater?
– Szö-ta, Herr!
– Führ mich schnell zu ihm.
– Warum, Herr?
– Weil du schön bist, Pao-Szö, schön und für den Kaiser gemacht!
– Warum spottet der Herr?
– Nicht Spott, du Lieblichste des Reiches! Nicht Spott! Laß dich anschaun, laß dich . . . oh! Wie sind deine Brauen fein! Feiner im Schwunge als die Bogen im Waffensaale des Himmelssohnes! Und deine Lippen, wie rot! Röter, als der Zinnober des kaiserlichen Namenzuges! Und weiß die Zähne wie das seidene Bett der Kaiserin, das für dich gerichtet ist! Für dich, du Allerholdseligste, deren Haar wie eine schwarze Wolke ist, hangend auf dem blühenden Gipfel des Pfirsichberges im Kaiserparke! Sind deine Finger nicht kunstvoll geschnittene Edelsteine? Aber dein Antlitz ist lieblich wie der klare Mond! Oh du Schönheit du! Du Schönheit du! Länder und Städte wird er für dich hinfallen lassen wie faule Brombeeren!
Die Mädchen griffen sich an die Stirnen und meinten: Du hast wohl Wind im Gehirn, oder bist du trunken, vor du noch getrunken hast?
– Schweigt, alberne Gänse! Ich bin der Hofdichter We-tê-king, und dieser da sollt ihr noch die Füße küssen, schnatterndes Volk: ehe eine Woche ins Land geht, sitzt sie dem Kaiser auf dem Schoße.
– Er ist besessen! Er ist besessen! kreischten die Mädchen auf und liefen davon. Herr We-tê-king aber kniete vor Pao-Szö nieder und sprach: Als Erster huldigt dir dein niedriger Sklave We-tê-king. Wolle dich in Gnaden dessen erinnern, wenn du das Kopfkissen des Kaisers hast. Und nun geruhe, mich zu deinem Vater zu führen.
Pao-Szö lachte: Ist das auch alles wahr?
– So wahr, als ich über ein kleines Hausminister sein werde. Schnell, schnell zu deinem Vater!
Der alte Szö-Ta war ein armer Bauer und ein bischen ungehobelt. Er stand gerade nacktbeinig im feuchten Reisfelde und sichelte, als Pao-Szö zu ihm lief und also sprach: Vater, der Herr da will mit dir reden!
– Reden? Was will er reden? Mein Reis ist schon verkauft.
– Nicht deinen Reis will ich, sagte Herr We-tê-king, sondern deine Tochter, alter Biedermann!
– Meine Tochter will er? Die brauch ich selber. Wenn sie auch faul ist wie eine genudelte Hochzeitsgans, 'n bischen hilft sie mir doch in der Wirtschaft.
– Nicht für die Wirtschaft will ich sie, nicht als Magd, Alter.
– Wozu denn?
– Ich will sie ausbilden lassen.
– Ist schon ausgebildet genug und eingebildet dazu. Soll sie etwa 's Tanzen lernen? Oder die Laute schlagen? Der schöne Herr ist wohl ein Lautenmeister?
– Ich bin Hofdichter Seiner Majestät.
– Äh! Was ist denn das?
– Ich mache Lieder für den Kaiser.
– Lieder? Die gibts ja schon so.
– Neue Lieder, Alter, nicht solche gewöhnliche, wie ihr sie singt.
– So! Meinetwegen. Heiß Wetter heute.
– Hört mal, mein guter Mann, macht keine Flausen: was ist's mit der Pao-Szö! Gebt ihr sie mir?
– Ich denke gar nicht dran.
– Was? Ich bin Beamter der dritten Rangklasse.
– Geht schon gut.
– Ich bin Vertrauter des Kaisers.
– Ich brauche nichts.
– Was soll das heißen!?
– Daß ich nichts brauche.
– Ihr gebt das Mädchen also nicht freiwillig?
– Unfreiwillig auch nicht. Was meine ist, ist meine.
– Nichts ist euer! Dem Kaiser gehört alles! Wißt Ihr das nicht?
– Dem Kaiser? Ja, das ist richtig. Das ist so. Freilich. Aber: seid Ihr der Kaiser?
– Nein, aber der Kaiser will Euere Tochter!
– Das kann jeder sagen.
– Es ist so, Alter.
– Zeig her!
– Was denn?
– Den Brief vom Kaiser, mit dem Drachen und der roten Unterschrift. Hähä! Nee, mein Lieber. Es heißt zwar:
Der Bauer und der Stier, Das sind zwei dumme Tier, |
aber so gescheidt wie ein abgerissener Bänkelsänger sind wir doch noch. Weg aus meinem Felde, Vagabund! denkst du, ich seh's deinem Rock nicht an, wie dein Beutel aussieht, du – Beamter der dritten Rangklasse?
Er hob einen Lehmkloß auf, ihn nach Herrn We-tê-king zu werfen.
In diesem Augenblick merkte der Hofdichter, woran er es hatte fehlen lassen. Er zog seinen Geldriemen, an dem an die fünfzig Kupfermünzen hingen und warf ihn dem Bauern vor die Füße: Da!
– Hä? Hat der Herr Münze? Laßt sehn!
Der biedere Szö-Ta zählte das Kupferzeug.
– Hm! Achtundvierzig Stück Große. Er kraute sich hinter den Ohren:
– Das wäre für die da?
– Ja, und später kommt noch mehr, viel mehr, wenn sie erst beim Kaiser . . .
– Ti-ti-ti-ti . . . Kaiser! Lassen Sie mich mit dem Kaiser zufrieden. Mit Ihnen handle ich. Mit dem Kaiser hat unsereins bloß zu tun, wenns ans Halsabschneiden geht . . . . Noch so ein Riemelchen voll!
Herr We-tê-king fuhr in den Brustbausch und zog eine Silberstange hervor.
– Ich hab kein Kleingeld, aber, damit Ihr seht, daß ich mich nicht lumpen lasse –: Da!
Die Silberstange flog dem Alten vor die Füße.
– Silber? Das kenn ich nicht. Silber? Nee! Das kann falsch sein. Und: wer solls wechseln? Gebt mir Kupfer, Herr!
– Das Silber da ist hundertmal so viel wert, als der Riemen! Seid nicht blöde!
Szö-Ta betrachtete die Stange, wog sie in der Hand, schlug sie auf einen Stein, machte Hum! machte Hem! rieb sie an seinem Kittel, schabte an ihr mit seinem Messer und schrie schließlich: Lao-Mu! Lao-Mu!
Aus dem Reisfelde kam eine alte Frau und rief: Was ist?
– Der Herr da will die Pao-Szö kaufen; kennst du Silber, Alte?
– Zeig her!
– Da!
– Das ist Silber. Sind ja Stempel drauf.
– Stempel!? Ja so! Ja dann!
Szö-Ta zog sich mit Lao-Mu etwas ins Reisfeld zurück. Nach einer Weile tauchten sie wieder auf, und Szö-Ta erklärte: Die Mutter will mit Euch handeln.
– Nun in Gottes Namen! Aber Ihr habt wahrhaftig genug jetzt!
– Nein, Herr, sprach Lao-Mu. Nein, Herr! Das Kind da, wahrhaftig, ist mehr wert. Wärs unser geborenes Kind, – ja, dann wärs schon zu viel, denn wir sind erbärmliche Leute. Aber, Herr (und nun flüsterte sie): Pao-Szö ist ein Kind der Wundervögel mit Perlmutterflügeln! Rote Schnäbel haben sie und gelbe Augen und am Bauche den Flaum, der genannt ist: Kaiserwiegenflaum, – schneeweiß und weicher, als Altweiberfäden, die im Spätjahr fliegen! Der Himmel weiß, was für ein Wunder an dem Mädchen ist! Als ich sie kriegte, da mein eigenes Kind gestorben war, und ich nahm sie in den Arm, da lief durch meinen Leib ein Zittern und seltsames Geriesel, und mir war, ich darf nicht sagen wie. Auch hat sie keine Milch von mir getrunken und auch nicht Milch von Kühen und Ziegen oder Eselinnen, und gedieh doch mehr, als alle anderen Kinder im Dorf. Und nachts habe ich an ihrer Wiege zwei rote Vögel stehen sehen, die Vögel Fung-Hoan; die sangen:
Es steigt der Mond! Die Sonne sinkt! Schlaf dich schön! Schlaf dich schön! Mädchen, das den Mondstrahl trinkt. |
Und wirklich: Der Mond kam an ihr Bett und legte sich über sie wie Mutterbrust, und Pao-Szö saugte an ihm. Das ist wirklich wahr!
– So? – Und ich soll nun die Mondamme bezahlen? Laßt mich doch mit solchen einfältigen Päppelkinds-Geschichten zufrieden, Alte. Kurz und gut: Wie viel wollt ihr noch?
– Noch so ein Stängelchen, Herr, noch so ein Silberstängelchen! Denkt doch: sie hat am Monde getrunken, das liebe Kind, das süße.
Sie wurde plötzlich sehr ergriffen und bedeckte Pao-Szö mit Küssen.
– Also gut! Hier!
We-tê-king produzierte noch eine Silberstange und gab sie hin:
– Dafür kriegte man die Tochter des Kultusministers, Verehrteste. Aber nun ist es genug! Bestellt mir eine Sänfte mit vier Trägern! Nehmet Abschied, Fräulein Pao-Szö!
Das ging sehr schnell. Die Sänfte war auch bald da, und der glückliche We-tê-king hatte das Vergnügen, in ein paar Stunden die Gegend von Pao hinter sich zu haben.
Es war erstaunlich, wie schnell und geschickt Pao-Szö auf alles einging, was der zukünftige kaiserliche Hausminister von ihr verlangte. Es schien, als habe sie nur darauf gewartet, nach den Sechs Serails abgeholt zu werden.
Natürlich brachte sie der glückliche Entdecker nicht sofort dorthin. Sie roch immerhin etwas nach Stall und war weder hinreichend equipiert noch vorgebildet, um alsogleich Seiner Majestät vorgestellt zu werden. Aber der erfahrene Liebesdichter wußte Bescheid.
Da war ein kleines Teehaus in der östlichen Vorstadt, dem eine ehedem sehr berühmte Kurtisane vorstand, von der es bekannt war, daß sie sich auf galante Manieren, Tanz, Musik und Dichtkunst, kurz auf alles, was man von einer chinesischen Grande amoureuse nur verlangen konnte, noch immer vortrefflich verstand. Sie galt allgemein als Dame von ungewöhnlichem Takt, Geschmack und Lehrvermögen, und ihr Haus war berühmt als die hohe Schule der Galanterie von China.
Zu ihr, die sich Wo-fu-ling nannte, von ihren Verehrern aber nur Ta-Wo genannt wurde, die große Wo (groß in dem Sinne, wie man Friedrich der Große sagt), begab sich Herr We-tê-king und sprach: Meine liebe Ta-Wo, ich habe eine außerordentliche Bitte an Sie, eine Bitte, die Sie mir durchaus nicht abschlagen dürfen, und es sollen auch ein paar sehr große Ballen Seide für Sie abfallen, wenn nicht gar der Titel einer kaiserlichen Seraillieferantin.
– Ihr Vertrauen ehrt mich, wertester Herr We, antwortete mit vielem Anstand die große Wo, aber ich habe augenblicklich nichts, was ich einem verwöhnten Kenner wie Ihnen anbieten könnte. Ein paar Elevinnen lassen zwar für die Zukunft Schönes hoffen, aber für den Augenblick sind sie noch grünes Obst und gerollte Knospen.
– Ihre Elevinnen, große Wo, so gewiß ich mir bin, daß sie unter Ihrer bewährten Hand die denkbar beste Entwicklung nehmen werden, interessieren mich zur Stunde nicht, wenngleich ich mich hiermit vorgemerkt haben will. Es handelt sich um eine viel wichtigere Sache. Da ich Ihrer Verschwiegenheit sicher sein kann, umsomehr, als jedes Wort Ihnen die Konzession kosten würde, will ich es Ihnen verraten.
– An meiner Schweigsamkeit gemessen sind die Karpfen im heiligen Tempelteiche geschwätzig wie die Agenten des Bundes zur Hebung der Sittlichkeit; das dürften Ew. Hochgeboren wohl wissen, entgegnete etwas pikiert die alte Dame.
– Ich weiß, große Wo, und so schenke ich Ihnen mein Vertrauen in einer Angelegenheit, die, wie ich wohl sagen darf, augenblicklich die wichtigste im ganzen Reiche ist.
– Politisches? Um Gott! Nein! Mein erstes Geschäftsprinzip ist: keine Politik! Ich bin schon einmal beinahe geköpft worden, damals, wie die rote Tai-ta dem dürren Staatsanwalt Ho-fing-gê das Lied vorsang:
Käm zu mir der Himmelssohn In dem goldnen Wagen, Wollte mich in sein Serail Auf den Händen tragen, Eine Nase dreht ich ihm, Und ich würde sagen: Lieber laß ich mich von Lung, Meinem Liebsten, schlagen, Eh ich mich einsperren ließ In den goldenen Schragen. |
– Genug! Genug, Madame, ich kenne die Geschichte; die rote Tai-ta bildete sich zuviel auf ihr bißchen Lyrik ein. Um derlei handelt es sich gar nicht. Ihr wißt wohl selber, daß Seine Majestät sich um Politik weniger kümmert als ein Hahn ums Eierlegen; schöne Mädchen will er, basta, und ich habe eine für ihn. Sie aber sollen sie mir vorher etwas polieren. Das ist alles.
– Ah, das ist etwas anderes! Aber: hat sie auch Talent?
– Ach was, sie ist schön, und wenn sie den Mund auftut, klingen alle Flöten des Himmels. Sie braucht gar nicht zu tanzen, und man sieht doch mehr als ein ganzes Ballett. Sie braucht nur die Augen aufzuschlagen, und alle Dichter der Welt ekeln sich ihrer eigenen Reime. Nur ein paar äußerliche Manieren, ein paar Redensarten, wie sie der Hof verlangt: nichts mehr. Um Gottes willen: nichts mehr! Putzt mir an dem Kleinod um Himmelswillen nicht zu sehr herum! Laßt ihr den Heublumenduft und den frischen Pfirsichhauch!
– Sie unterschätzen mich, Herr We, ich trete als Künstlerin an die lebendigen Blumen heran, die man mir anvertraut. Eher wollte ich in ein Kloster gehen, als daß ich Reize verwischte. Reize zu heben ist mein Geschäft: ich fasse Schönheiten, wie der Juwelier Perlen faßt, aber ich zerstöre sie nicht. Das überlaß ich jenen Dilettantinnen meines Berufes, die nichts wissen, als ein paar Schminkregeln und die Kapitel der chinesischen Poetik.
Madame Wo war offenbar beleidigt.
Aber Herr We-tê-king besänftigte sie schnell, indem er sprach: wüßte ich das nicht so sicher, verehrteste Ta-Wo, so würde ich mich nicht an Sie gewandt haben, die ich als Meisterin in der Pädagogik der Galanterie aufs Höchste schätze, und von der ich das Wort geprägt habe, das, wie ich mich getrauen darf, zu sagen, zu Ihrem Weltruf ein weniges auch mit beigetragen hat:
Wir armen Dichter! Unsre Kunst ist roh, Die Schönheit müssen wir aus Worten kneten; Viel edler schafft die herrliche Ta-Wo, Die unbestrittene Fürstin der Poeten, Die Reime rankt aus Mädchenarmen und Die schönste Strophe bildet: Mund auf Mund. |
Der Dichter machte eine tiefe Verbeugung und küßte dann Madame Wo-fu-ling auf die linke Schulter.
Die große Wo lächelte charmant und sprach: Unter den zehntausend schönsten Gedichten Eurer Herrlichkeit ist dies das schönste, wenngleich es meinen schwachen Fähigkeiten viel zu sehr schmeichelt. Indessen: ich bin Ew. Hochgeboren ergebenste Dienerin und werde es an nichts fehlen lassen, um Ihren Wünschen nach besten Kräften und mit allem Fleiße nachzukommen. Ich erwarte die zarte Blume, die mir Ihre unverdiente Güte anzuvertrauen gedenkt.
Sie sprach wie gedruckt, obwohl damals auch in China die Buchdruckerkunst noch gar nicht erfunden war.
Am nächsten Tage führte der Dichter das Mädchen aus Pao in das Haus von Madame Wo.
– Oh, sagte die, völlig betroffen von dieser Schönheit, was soll ich da noch viel tun? Es ist ja eine Gnade für mich, diese Blume betrachten zu dürfen. Schreiten wir gleich zur ersten Lektion!
– Oh, das ist interessant, meinte Herr We-tê-king und ließ sich in einen Sessel nieder.