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Choderlos de Laclos

Gefährliche Liebschaften - Band 2

Deutsch von Franz Blei

Einundneunzigster Brief

Frau von Tourvel an den Vicomte von Valmont.

Ich wünsche, mein Herr, dieser Brief möge Ihnen keinen Schmerz bereiten, oder, wenn er es doch tun sollte, dieser Schmerz dann wenigstens gelindert werde durch den, den ich empfinde, während ich Ihnen schreibe. Sie werden mich jetzt zur Genüge kennen, um zu wissen, daß es nicht in meiner Absicht liegt, Sie zu kränken. Aber auch Sie möchten mich doch auch nicht in ewige Verzweiflung stürzen. Ich beschwöre Sie also, im Namen der zärtlichen Freundschaft, die ich Ihnen versprochen habe, im Namen der vielleicht stärkeren, aber sicher nicht aufrichtigeren Gefühle, die Sie für mich haben – vermeiden wir es, uns zu sehen; reisen Sie ab; und bis dahin lassen Sie uns alle diese gefährlichen Unterhaltungen unter vier Augen meiden, bei denen ich durch eine mir unbegreifliche Macht Ihnen nie sagen kann, was ich will, sondern nur die ganze Zeit darauf höre, was ich nicht hören sollte.

Gestern noch, als Sie mich im Parke einholten, hatte ich wirklich keinen anderen Zweck, als Ihnen zu sagen, was ich jetzt – schreibe, und was habe ich getan? Mich mit Ihrer Liebe beschäftigt – mit Ihrer Liebe, die ich nie erwidern darf! Barmherzigkeit! Meiden Sie mich. Glauben Sie ja nicht, daß meine Abwesenheit meine Gefühle für Sie schwächen könnte; wie sollte ich sie besiegen, wenn ich den Mut nicht mehr habe, gegen sie zu kämpfen? Sie sehen, ich sage Ihnen alles, denn ich fürchte mich weniger davor, meine Schwäche zu bekennen, als ihr zu unterliegen. Aber wenn ich auch die Herrschaft über meine Gefühle verloren habe, so werde ich sie doch über meine Handlungen behalten, ja, ich werde sie behalten und bin dazu entschlossen, und wenn es mich mein Leben kostete!

Mein Gott, die Zeit ist nicht ferne, da ich ganz fest glaubte, daß ich nie solche Kämpfe zu bestehen haben würde. Ich beglückwünschte mich dazu und war vielleicht zu stolz darauf. Der Himmel hat diesen Stolz grausam bestraft; aber voller Barmherzigkeit noch im Augenblick, da er uns züchtigt, warnt er mich noch vor dem Fall; und ich wäre doppelt schuldig, wenn ich es weiter an Vorsicht fehlen ließe, jetzt, da ich gewarnt bin, daß mir die Kraft ausgeht.

Sie haben mir hundertmal gesagt, daß Sie kein Glück möchten, das mit meinen Tränen erkauft ist. Ach, sprechen wir nicht mehr von Glück, aber lassen Sie mich meine Ruhe wiederfinden.

Wenn Sie meiner Bitte – nachgeben, was für neue,Rechte erwerben Sie sich dann nicht über mein Herz! Und die wären auf die Tugend gegründet, und ich brauchte mich nicht dagegen zu wehren. Wie würde ich mir in der Dankbarkeit nicht genug tun! Ich würde es Ihnen dann verdanken, ohne Reue ein köstliches Gefühl zu genießen. Jetzt bin ich erschrocken über meine Gefühle und Gedanken und fürchte, mich mit Ihnen wie mit mir zu beschäftigen. Schon der Gedanke an Sie entsetzt mich; wenn ich ihn nicht fliehen kann, bekämpfe ich ihn; ich kann ihn nicht bannen, aber ich stoße ihn von mir.

Wäre es nicht für uns beide besser, diesem Zustand der Angst und Verwirrung ein Ende zu machen? O Sie, dessen gefühlvolle Seele auch inmitten der Irrungen für die Tugend schlägt, Sie werden Achtung vor meinem Schmerz haben und werden meine Bitte nicht abschlagen. Ein ruhigeres, aber nicht weniger zärtliches Interesse wird diesen stürmischen Erregungen folgen; dann werde ich dank Ihrer Güte aufatmen, dann werde ich mein Dasein wieder lieben, und in meiner; Herzensfreude sagen: Die Ruhe, die ich empfinde, verdanke ich meinem Freunde.

Wenn Sie sich einigen leichten Entbehrungen unterwerfen, die ich Ihnen nicht aufdringe, aber um die ich Sie bitte – glauben Sie denn damit das Ende meiner Qual zu teuer zu erkaufen? Ach, wenn, um Sie glücklich zu machen, es nur nötig wäre, in mein eigenes Unglück zu willigen, dann, Sie können mir's glauben, würde ich keinen Augenblick zögern .. . Aber schuldig werden!. . . Nein, mein Freund, nein, lieber tausendmal sterben.

Schon niedergedrückt durch die Scham, am Vorabend meiner Reue, fürchte ich die andern und mich selbst. Ich erröte in Gesellschaft und zittere in der Einsamkeit. Ich habe nur noch ein Leben, das des Schmerzes. Ruhe kann ich nur durch Sie erlangen. Meine besten Entschlüsse genügen nicht, um mich zu beruhigen; ich habe diesen schon gestern gefaßt und habe doch diese Nacht in Tränen verbracht.

Sehen Sie Ihre Freundin, die, die Sie lieben, verwirrt und bittend, von Ihnen Ruhe und Unschuld bittend. Ach Gott, ohne Sie, wäre sie jemals zu dieser demütigenden Bitte verurteilt worden? Aber ich werfe Ihnen nichts vor. Ich fühle zu gut an mir selbst, wie schwer es ist, einem herrischen Gefühl zu widerstehen. Eine Klage ist kein Murren. Tun Sie aus Edelsinn, was ich aus Pflichtgefühl tue, und zu allen Gefühlen, die Sie mir eingeflößt haben, werde ich das einer ewigen Dankbarkeit fügen.

Adieu. Adieu.

den 27. September 17..

Zweiundneunzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Frau von Tourvel.

Noch ganz bestürzt durch Ihren Brief, gnädige Frau, weiß ich wirklich nicht, wie ihn beantworten. Ohne Zweifel, wenn zwischen Ihrem Unglück und dem meinen gewählt werden muß, so ist es an mir, mich zu opfern, und ich zaudere nicht. Aber so wichtige Dinge verdienen, scheint mir, vor allem besprochen und aufgeklärt zu werden, aber wie das erreichen, wenn wir uns weder sehen noch sprechen sollen?

Wie? Während uns die zärtlichsten Gefühle vereinen, soll eine eingebildete Furcht uns vielleicht für immer voneinander trennen? Vergebens sollen die zärtliche Freundschaft, die glühendste Liebe ihre Rechte verlangen und ihre Stimmen sollen nicht gehört werden? Und warum? Was ist denn das für eine Gefahr, die Sie bedroht? Ach, glauben Sie mir, solche Furchtanfälle, die so leicht kommen, sind, scheint mir, nur ein hinreichender Grund, sich sicher zu fühlen.

Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen sage: ich finde hier wieder die Spur der ungünstigen Meinungen, die man Ihnen über mich gegeben hat. Man zittert nicht in der Nähe des Mannes, den man schätzt; man vertreibt besonders nicht den, den man einiger Freundschaft würdig hielt; einen gefährlichen Menschen, den fürchtet und flieht man.

Wer aber war je respektvoller und ergebener als ich? Schon, Sie sehen es, beherrsche ich mich in meiner Sprache; ich erlaube mir nicht mehr jene süßen Worte, die meinem Herzen so lieb sind, und die es Ihnen im Geheimen immer weiter gibt. Es ist nicht mehr der treue und unglückliche Geliebte, der von der zärtlichen und gütigen Freundin Ratschläge und Tröstungen erhält, es ist der Angeklagte vor dem Richter, der Sklave vor dem Herrn! Diese neuen Titel erfordern ohne Zweifel neue Pflichten. Ich verpflichte mich, sie alle zu erfüllen. Hören Sie mich an, und wenn Sie mich verurteilen, werde ich zu Boden blicken und abreisen. Ich verspreche noch mehr: ziehen Sie den Despotismus vor, der verurteilt, ohne zu hören! Haben Sie den Mut zur Ungerechtigkeit! Befehlen Sie und ich gehorche auch dann noch.

Aber dieses Urteil oder diesen Befehl, ich will ihn aus Ihrem Munde hören. Warum? werden Sie fragen. Ach! wenn Sie so fragen, wie kennen Sie die Liebe und mein Herz wenig! Ist es denn nicht, Sie noch einmal zu sehen? Und wenn Sie die Verzweiflung in meine Seele bringen, wird vielleicht ein tröstender Blick sie davor bewahren, zu brechen. Wenn ich schon auf Liebe verzichten muß und auf Freundschaft, für die allein ich lebe, so werden Sie wenigstens Ihr Werk sehen, und Ihr Mitleid wird mir bleiben. Diese geringe Gunst, wenn ich sie selbst nicht verdiente, bezahle ich wohl und bereitwillig teuer genug, um zu hoffen, sie zu erlangen.

Wie! Sie wollen mich aus Ihrer Nähe entfernen! Sie lassen es zu, daß wir einer dem andern fremd werden! Was sage ich? Sie wünschen es! Und während Sie mir versichern, daß meine Abwesenheit Ihre Gefühle nicht verändern wird, beschleunigen Sie meine Abreise nur, um leichter an die Zerstörung dieser Gefühle gehen zu können.

Schon sprechen Sie mir davon, daß Sie diese Gefühle durch Dankbarkeit ersetzen wollen. Also ein Gefühl, das ein Fremder von Ihnen für eine kleinste Gefälligkeit bekäme, ja selbst Ihr Feind, wenn er aufhörte, Ihnen zu schaden, das ist es, was Sie mir bieten! Und Sie wollen, daß mein Herz sich damit begnügt! Befragen Sie das Ihrige. Wenn Ihr Geliebter, Ihr Freund, eines Tages zu Ihnen käme, Ihnen von Dankbarkeit reden wollte, würden Sie dem nicht entrüstet sagen: »Gehen Sie, Sie sind undankbar« –?

Ich schließe und rufe Ihre Nachsicht an. Verzeihen Sie den Ausdruck des Schmerzes, den Sie hervorrufen. Er wird meine treue Unterwerfung nicht hindern. Aber ich beschwöre Sie meinerseits, im Namen dieser süßen Gefühle, auf die Sie selbst sich berufen, weigern Sie sich nicht, mich anzuhören! Und aus Barmherzigkeit wenigstens für den tödlichen Zustand, in den Sie mich gestürzt haben, schieben Sie den Augenblick nicht auf. Adieu, gnädige Frau.

den 27. September 17.. Abend.

Dreiundneunzigster Brief

Der Chevalier Danceny an den Vicomte von Valmont.

O Freund! Ihr Brief hat mich erstarren machen. Cécile – Gott, ist es möglich? Cécile liebt mich nicht mehr. Ja, ich sehe diese entsetzliche Wahrheit durch den Schleier hindurch, mit dem Ihre Freundschaft sie verhüllt. Sie wollten mich auf den tödlichen Schlag vorbereiten – ich danke Ihnen für Ihre Bemühung; aber läßt sich die Liebe täuschen? Sie läuft allem entgegen, was sie beschäftigt; sie erfährt ihr Geschick nicht, sie errät es. Ich zweifle nicht mehr an dem meinen; sprechen Sie ohne Umschweife, Sie können es, und ich bitte Sie darum. Sagen Sie mir alles: was hat die Zweifel in Ihnen erregt, was sie bestätigt. Die kleinsten Einzelheiten sind wichtig. Trachten Sie vor allem, sich ihrer Worte zu entsinnen. Ein Wort statt eines andern kann einen ganzen Satz verändern; ein Wort ist oft doppelsinnig ... Können Sie sich nicht getäuscht haben? Ach, ich versuche mir es noch auszureden! Was hat sie Ihnen gesagt? Wirft sie mir etwas vor? Verteidigt sie sich nicht wenigstens wegen ihres Unrechtes? Ich hätte die Änderung voraussehen müssen, aus den Schwierigkeiten, die sie seit einiger Zeit in allem findet. Die Liebe kennt nicht so viel Hindernisse.

Was soll ich tun? Was raten Sie mir? Wenn ich versuchte, sie zu sehen! Ist dies denn unmöglich? Das Fernsein ist so grausam, so unheilvoll . . . Und sie hat ein Mittel ausgeschlagen, mich zu sehen. Sie sagen mir nicht, was es für eins war; wenn wirklich zuviel Gefahr dabei war, so weiß sie sehr wohl, daß ich nicht wünsche, daß sie zuviel wagt. Aber ich kenne auch Ihre Vorsicht, und kann, zu meinem Unglück, nicht an ihr zweifeln.

Was soll ich jetzt tun? Wie ihr schreiben? Wenn ich sie meinen Argwohn sehen lasse, betrübt sie das vielleicht; und wenn er ungerecht ist, würde ich mir je verzeihen, sie betrübt zu haben? Wenn ich ihn ihr verberge, dann betrüge ich sie, und ich kann mich bei ihr nicht verstellen.

O! wüßte sie, was ich leide, meine Pein würde sie rühren. Ich weiß, sie hat ein Herz, und ich habe tausend Beweise ihrer Liebe. Zu schüchtern ist sie, zu umständlich und verlegen – aber sie ist noch so jung! Und ihre Mutter behandelt sie so streng! Ich will ihr schreiben; ich will an mich halten; ich werde sie nur bitten, ganz auf Sie zu vertrauen. Wenn sie selbst dann noch sich weigert, so kann sie mir doch meine Bitte nicht übelnehmen; und vielleicht wird sie einwilligen.

Sie, mein Freund, bitte ich tausendmal um Verzeihung, für sie und für mich. Ich versichere Ihnen, sie fühlt den Wert Ihrer Sorge und ist dankbar dafür. Es ist nicht Mißtrauen, es ist Schüchternheit. Haben Sie Nachsicht mit ihr, das Schönste an der Freundschaft. Die Ihrige ist mir sehr wertvoll, und ich weiß nicht, wie ich mich für alles dankbar zeigen soll, was Sie für mich tun. Adieu, ich will sofort schreiben.

Ich fühle alle meine Befürchtungen wiederkommen; wer mir gesagt hätte, daß es mir je Mühe kosten würde, ihr zu schreiben! Ach, gestern noch war es meine süßeste Freude.

Adieu, lieber Freund; fahren Sie in Ihrer Mühe um mich fort und beklagen Sie mich.

Paris, den 27. September 17..

Vierundneunzigster Brief

Der Chevalier Danceny an Cécile Volanges. (Dem vorhergehenden Briefe beigelegt.)

Ich kann Ihnen nicht verbergen, wie sehr ich betrübt war, als ich von Valmont hörte, wie wenig Vertrauen Sie immer noch zu ihm haben. Wo Sie doch wissen, daß er mein Freund ist, daß er der einzige Mensch ist, der uns beide zusammenbringen kann, – ich glaubte, dies würde Ihnen genügen; nun sehe ich schmerzlich, daß ich mich getäuscht habe. Kann ich hoffen, daß Sie mich wenigstens über Ihre Gründe aufklären werden? Werden Sie nicht auch hier Schwierigkeiten finden, die Sie daran hindern? Denn ich kann ohne sie den Grund dieses Ihres Verhaltens nicht erraten. Ich wage es nicht, Ihre Liebe zu bezweifeln, und auch Sie dürften doch von der meinen überzeugt sein. Ach! Cecile . . .

Es ist also wahr, daß Sie ein Mittel, mich zu sehen, zurückwiesen, ein einfaches, bequemes und sicheres Mittel? So lieben Sie mich? Eine so kurze Trennung hat Ihre Gefühle sehr verändert.

Aber warum mich täuschen? Warum mir sagen, daß Sie mich immer noch lieben, und mehr als je? Hat Ihre Mama, als sie Ihre Liebe zerstörte, auch Ihre Aufrichtigkeit zerstört? Wenn sie Ihnen wenigstens einiges Mitleid gelassen hat, so werden Sie nicht ganz ohne Kummer von den entsetzlichen Qualen hören, die Sie mir verursachen. Ach! Sterben ist weniger schmerzhaft.

Sagen Sie doch, ist Ihr Herz mir unwiderruflich verschlossen? Haben Sie mich ganz vergessen? Dank Ihrer Weigerung weiß ich nicht einmal, ob Sie meine Klagen hören werden oder darauf erwidern. Die Freundschaft Valmonts hatte unsere Korrespondenz gesichert, aber Sie, Sie wollten nicht; Sie fanden es peinlich und mühsam und haben dieses unser einziges Verkehrsmittel selten gebraucht. Nein, ich kann nicht mehr an die Liebe glauben, an den guten Willen. Ach! an was kann man noch glauben, wenn Cecile mich betrog?

Antworten Sie mir doch! Ist es wahr, daß Sie mich nicht mehr lieben? Das ist doch nicht möglich, das meinen Sie nur und betrügen Ihr Herz. Eine vorübergehende Furcht, ein Augenblick der Mutlosigkeit, den die Liebe bald wieder verscheucht; nicht wahr, meine Cécile ? Ja, ja, so ist es und ich habe unrecht, Sie anzuklagen. Wie froh werde ich sein, unrecht zu haben! Und wie will ich Sie zärtlich um Verzeihung bitten und diesen Augenblick der Ungerechtigkeit wieder gut machen durch eine ewige Liebe!

Cécile, Cécile, erbarmen Sie sich! Willigen Sie ein, mich zu sehen, und in alle Mittel, die es möglich machen! Sie sehen, was die Trennung aus mir macht: Angst, Zweifel, Verdacht, vielleicht sogar Kälte! Ein einziger Blick, ein Wort, und wir werden glücklich sein. Aber kann ich noch von Glück sprechen? Vielleicht ist es für mich verloren, auf immer verloren. Von Angst geplagt, zwischen ungerechte Zweifel und noch grausamere Wahrheit gedrängt, kann ich nicht denken; ich bewahre nur deshalb mein Leben, um zu leiden und Sie zu lieben. Ach, Cécile! Sie allein haben das Mittel, mir dieses Leben lieb zu machen, und ich erwarte vom ersten Wort, das Sie aussprechen, die Rückkehr des Glücks, oder die Gewißheit ewiger Verzweiflung.

Paris, den 27. September 17..

Fünfundneunzigster Brief

Cécile Volanges an den Chevalier Danceny.

Ich begreife nichts in Ihrem Briefe als den Schmerz, den er mir bereitet. Was hat Ihnen denn Herr von Valmont geschrieben, und was konnte Sie denn auf den Glauben bringen, daß ich Sie nicht mehr liebte? Das wäre vielleicht ein Glück für mich, denn ich hätte sicher weniger Kummer; und es ist, wo ich Sie so liebe, sehr hart, zu sehen, daß Sie immer glauben, ich sei im Unrecht und wo, statt mich zu trösten, mir gerade von Ihnen die Schmerzen kommen, die mir am meisten Kummer bereiten. Sie glauben, daß ich Sie täusche und daß ich Ihnen sage, was nicht so ist! Sie haben da eine schöne Meinung von mir! Aber wenn ich eine Lügnerin wäre, wie Sie mir vorwerfen, welches Interesse hätte ich denn daran? Wenn ich Sie nicht mehr liebte, brauchte ich es doch nur sagen, und alle Welt würde sich darüber freuen; aber zu meinem Unglück ist das stärker als ich; und noch dazu für einen, der mir gar keinen Dank dafür weiß!

Was habe ich denn getan, um Sie so zu ärgern? Ich habe mich nicht getraut, einen Schlüssel anzunehmen, weil ich fürchtete, daß Mama es bemerken würde, und weil dies wieder Ihnen und mir neuen Kummer bereiten würde; und dann noch, weil mir scheint, daß es ein Unrecht ist. Herr von Valmont allein war es auch, der mir davon sprach, und ich konnte nicht wissen, ob Sie es wollten oder nicht, weil Sie nicht davon wußten. Jetzt, da ich weiß, daß Sie es wünschen, widersetze ich mich denn, den Schlüssel zu nehmen? Ich werde ihn morgen nehmen; und dann werden wir sehen, was Sie noch zu sagen haben.

Herr von Valmont hat leicht Ihr Freund sein; ich glaube, daß ich Sie mindestens ebenso liebe, wie er Sie lieben kann; und trotzdem ist immer er es, der Recht hat, und ich habe immer unrecht.

Ich muß Ihnen sagen, daß ich sehr böse bin. Das ist Ihnen natürlich gleichgültig, weil Sie wissen, daß ich immer wieder bald gut bin, aber jetzt, wo ich den Schlüssel bekomme, werde ich Sie sehen können, wenn ich will; und ich versichere Ihnen, daß ich nicht wollen werde, wenn Sie so sind. Ich will lieber Kummer haben, der von mir kommt, als von Ihnen: richten Sie sich danach.

Wenn Sie wollten, würden wir uns so lieben und hätten nur den Kummer, den man uns antut! Glauben Sie mir, wäre ich meine eigene Herrin, Sie würden sich nie zu beklagen haben. Aber wenn Sie mir nicht glauben, werden wir immer sehr unglücklich sein, und es wird meine Schuld nicht sein. Ich hoffe, daß wir uns bald sehen, und daß wir keine Gelegenheit mehr haben werden, uns so zu kränken wie jetzt.

Wenn ich das hätte vorhersehen können, hätte ich diesen Schlüssel sofort genommen, aber ich glaubte wirklich, ganz richtig zu handeln. Nehmen Sie es mir also nicht übel, ich bitte Sie, und seien Sie nicht mehr traurig, und lieben Sie mich immer so, wie ich Sie liebe – dann werde ich zufrieden sein. Adieu, mein Lieber.

Schloß . . ., den 28. September 17..

Sechsundneunzigster Brief

Cécile Volanges an den Vicomte von Valmont.

Ich bitte Sie, mir gütigst den Schlüssel zuzustellen, den Sie mir gaben, um ihn an Stelle des andern zu legen; weil man es will, muß ich wohl auch.

Ich weiß nicht, warum Sie Herrn Danceny schrieben, daß ich ihn nicht mehr liebe – ich glaube nicht, Ihnen je Ursache gegeben zu haben, dies zu denken; das hat ihm viel Kummer bereitet und mir auch. Ich weiß wohl, daß Sie sein Freund sind, aber das ist doch kein Grund, ihm Kummer zu bereiten, und mir auch nicht. Sie würden mir Freude machen, wenn Sie ihm das Gegenteil sagten, das nächste Mal, wenn Sie ihm schreiben, und daß Sie davon überzeugt seien; denn zu Ihnen hat er das größte Vertrauen; ich, wenn ich etwas gesagt habe und man glaubt mir nicht, so weiß ich nicht mehr was tun.

Was den Schlüssel betrifft, so können Sie ganz ruhig sein; ich habe alles behalten, was Sie mir in Ihrem Briefe anempfohlen haben. Wenn Sie ihn noch haben und ihn mir gleichzeitig geben wollten, verspreche ich Ihnen, daß ich sehr acht darauf geben werde. Wenn es morgen sein kann, wenn wir zum Diner gehen, würde ich Ihnen den andern Schlüssel übermorgen nach dem Frühstück geben; und Sie würden ihn mir auf dieselbe Art wie das erstemal wiedergeben. Ich möchte wohl, daß es nicht länger wäre, denn es wäre weniger Zeit riskiert, in der Mama darauf kommen könnte.

Und dann, wenn Sie schon diesen Schlüssel haben, würden Sie wohl so gut sein, sich seiner zu bedienen, um meine Briefe zu holen? Auf diese Art würde Herr Danceny öfters Nachrichten von mir erhalten. Es ist wahr, es wird das so viel bequemer sein als bisher; anfangs hat es mir nur so viel Angst gemacht – ich bitte Sie, mich zu entschuldigen, ich hoffe, daß Sie deshalb nicht weniger nett gegen mich sein werden als wie bisher. Ich werde Ihnen immer dankbar dafür sein. Ich bin Ihre sehr ergebene Dienerin.

Schloß . . ., den 28. September 17..

Siebenundneunzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil.

Ich wette, seit Ihrem Abenteuer erwarteten Sie täglich meine Komplimente und Glückwünsche, ja ich zweifle nicht einmal, daß mein langes Schweigen Sie in schlechte Laune gebracht hat. Aber was wollen Sie, ich war immer der Meinung, wenn man eine Frau nur noch zu loben braucht, kann man es ihr allein überlassen und zu was andern gehen. Indes danke ich Ihnen, was mich, und gratuliere Ihnen zu dem, was Sie betrifft. Ich will selbst, um Sie ganz glücklich zu machen, zugeben, daß Sie dieses Mal meine Erwartungen übertroffen haben – nun wollen wir sehen, ob ich meinerseits die Ihrigen wenigstens zum Teil erfüllt habe.

Nicht von Frau von Tourvel will ich Ihnen erzählen; ihr zu langsamer Gang mißfällt Ihnen; Sie lieben nur fertige Tatsachen. Das langsam sich Abspinnende langweilt Sie; und ich habe noch niemals so viel Vergnügen erlebt, als bei diesem vermeintlich langsamen Vorrücken.

Ja, ich liebe es, diese vorsichtige Frau zu studieren, wie sie, ohne es zu merken, in einen Pfad einlenkt, auf dem es kein Zurück gibt, und dessen gefährliche schiefe Neigung sie fortreißt und zwingt, mir gegen ihren Willen zu folgen. Da möchte sie, erschreckt über die Gefahr, den Schritt aufhalten und kann nicht. Ihre Mühe und ihre Geschicklichkeit können ihre Schritte wohl etwas verlangsamen, aber es muß doch einer auf den andern folgen. Zuweilen wagt sie nicht, der Gefahr ins Gesicht zu sehen, schließt die Augen, läßt sich gleiten, ergibt sich dem, was ich mit ihr tun will. Öfter aber belebt frische Furcht ihre Kraft, und in tödlicher Angst versucht sie es nochmals, umzukehren. Erschöpft ihre Kräfte, um ein kleines Stück Weg mühsam zu ersteigen – und gleich bringt sie wieder eine magische Kraft der gefährlichen Stelle näher, die sie eigentlich fliehen wollte. Da hat sie dann niemanden andern mehr als mich zu Führer und Stütze, denkt nicht mehr daran, mir den unvermeidlichen Sturz länger vorzuwerfen, fleht mich an, ihn aufzuhalten. Heißes Bitten, demütiges Flehen, alles was die Sterblichen in ihrer Angst der Gottheit darbringen, das empfange ich von ihr. Und Sie wollen, daß ich, taub ihren Bitten, selber diesen Kultus zerstöre, den sie mir weiht, und daß ich sie zu stürzen die Macht anwende, die sie zu ihrer Stütze anruft! Ach! Lassen Sie mir wenigstens Zeit, diesen Kampf zwischen Liebe und Tugend zu beobachten.

Was denn! Dasselbe Schauspiel, deswegen Sie ins Theater laufen, dem Sie wütend Beifall klatschen – halten Sie das für weniger anziehend im wirklichen Leben? Diese Gefühle einer reinen und zärtlichen Seele, die das Vergnügen nicht kennt, das sie begehrt und nicht aufhört, sich zu verteidigen, selbst wenn sie schon nicht mehr widersteht, Sie hören sie begeistert an; sollten sie wertlos sein für den, der sie verursacht? Das aber sind die köstlichen Genüsse, die diese himmlische Frau mir täglich bietet, und Sie werfen mir vor, daß ich ihre Süßigkeit auskoste! Ach! die Zeit wird nur zu schnell kommen, wo sie im Rang durch ihren Fall erniedrigt für mich nur mehr eine gewöhnliche Frau sein wird – wie alle andern.

Aber ich vergesse, während ich von ihr spreche, daß ich nicht von ihr sprechen wollte. Ich weiß nicht, welche Macht mich immer wieder zu ihr zurück führt, selbst wenn ich sie beschimpfe. Setzen wir die gefährlichen Gedanken an sie beiseite und kommen wir, ich will wieder ich sein, auf was Heiteres. Es handelt sich um Ihre Schülerin, die jetzt die meine geworden ist, und ich hoffe, hier werden Sie mich wiederkennen.

Da ich seit einigen Tagen von meiner zärtlichen frommen Frau etwas besser behandelt und deshalb etwas weniger mit ihr beschäftigt war, hatte ich bemerkt, daß die kleine Volanges wirklich sehr hübsch ist; und wenn es auch eine Dummheit ist, in sie verliebt zu sein wie Danceny, so wäre es vielleicht nicht weniger dumm von mir, bei ihr nicht jene Zerstreuung zu suchen, die ich in meiner Einsamkeit so nötig hätte. Es schien mir auch nur billig, mich für die viele Mühe zu entschädigen, die ich mir ihretwegen gab. Ich erinnerte mich zudem, daß Sie sie mir angeboten hatten, bevor Danceny etwas darein zu sagen hatte, und ich betrachtete mich für berechtigt, einige Abgaben zu verlangen von einer Ware, die er nur dank meiner Abweisung und Preisgabe besaß. Das hübsche Gesicht der kleinen Person, ihr frischer Mund, ihre kindliche Art, selbst ihre Ungeschicklichkeit bestärkten diese meine weisen Überlegungen, und ich beschloß, danach zu handeln: der Erfolg hat das Unternehmen gekrönt.

Schon suchen Sie zu erraten, durch welche Mittel ich den geliebten Liebhaber ausgestochen habe, welche Verführung diesem Alter, dieser Unerfahrenheit angemessen ist? Sparen Sie sich alle Mühe, ich habe gar keine Mittel angewandt. Während Sie mit Geschicklichkeit die Waffen Ihres Geschlechtes gebrauchten und triumphierten durch die Schlauheit, ließ ich dem Manne seine unverjährten Rechte und siegte durch die ihm zustehende Gewalt. Sicher, meine Beute zu fassen, wenn ich nur an sie heran konnte, brauchte ich List nur, um mich nähern zu können, und die List, deren ich mich bediente, verdient fast nicht diesen Namen.

Ich profitierte vom ersten Brief, den ich von Danceny für seine Schöne bekam, und nachdem ich sie durch das zwischen uns verabredete Zeichen aufmerksam gemacht hatte, verwandte ich meine Geschicklichkeit statt auf die Abgabe des Briefes darauf, die Gelegenheit dazu zu verpassen. Die Ungeduld, die ich dadurch erreichte, teilte ich scheinbar, und nachdem ich das Übel gestiftet hatte, verschrieb ich das Gegenmittel.

Das junge Fräulein bewohnt ein Zimmer, dessen eine Tür auf den Gang führt; aber, wie es sich schickt, hatte die Mutter den Schlüssel dazu bei sich. Es handelte sich nun darum, diesen Schlüssel zu kriegen. Nichts leichter als das; ich verlangte nur, ihn für zwei Stunden zu haben, und verbürgte mich, einen ähnlichen zu beschaffen. Dann würden Korrespondenz, nächtliche Zusammenkünfte und alles das leicht und bequem. Aber würden Sie es glauben, das schüchterne Kind hatte Angst und weigerte sich. Ein anderer wäre darüber verzweifelt gewesen; ich sah darin nur die Gelegenheit zu einem reizvolleren Vergnügen. Ich schrieb an Danceny und beklagte mich über sie, und machte das so gut, daß unser leichtsinniger Herr nicht nachgab, bis er selbst von seiner furchtsamen Geliebten erreicht hatte, daß sie meiner Bitte nachgab und sich ganz meinem Belieben anvertraute.

Ich war recht froh, ich gestehe es, auf diese Weise die Rolle gewechselt zu haben, und daß nun der junge Mann für mich tat, was ich nach seiner Rechnung für ihn tun sollte. Dieser Gedanke verdoppelte in meinen Augen den Wert des Abenteuers; ich beeilte mich darum auch, sobald ich den kostbaren Schlüssel hatte, davon Gebrauch zu machen. Das war die vorige Nacht.

Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß alles ruhig war im Schloß, habe ich, bewaffnet mit meiner Blendlaterne und in einer Toilette, die der Stunde und den Umständen angemessen war, Ihrem Mündel meine erste Visite gemacht. Ich hatte alles vorbereiten lassen (und das durch sie selbst), um ohne Geräusch eintreten zu können. Sie war im ersten Schlaf und in dem ihrer Jahre, so daß ich bis an ihr Bett kam, ohne daß sie erwachte. Erst versuchte ich noch weiter zu gehen und als Traum zu gelten. Aber ich füchtete die Überraschung und das Geräusch, das diese mit sich bringt, und so zog ich es vor, die schöne Schläferin vorsichtig zu wecken, und es gelang mir wirklich, den gefürchteten Schrei zu verhindern.

Nachdem ich ihre erste Furcht beruhigt hatte, erlaubte ich mir – ich war ja nicht zum Plaudern gekommen – einige Freiheiten. Zweifellos hat man ihr im Kloster nicht beigebracht, wie vielen Gefahren die schüchterne Unschuld ausgesetzt ist und was alles sie zu schützen hat, um nicht überrumpelt zu werden: denn während sie alle Aufmerksamkeit und alle Kräfte darauf verwandte, einen Kuß abzuwehren, der nur ein Scheinangriff war, blieb alles übrige ohne Verteidigung. Wie hätte ich davon nicht profitieren sollen! Ich änderte also meine Route und faßte Posto. Da glaubten wir uns beide verloren. Denn das kleine Mädchen wollte, ganz erschreckt, allen Ernstes schreien. Glücklicherweise erstickte ihre Stimme in Tränen. Sie war auch schon zur Klingel gesprungen, aber meine Geschicklichkeit hielt ihren Arm noch beizeiten auf.

»Was wollen Sie tun?« sagte ich. »Sich auf immer ins Verderben stürzen? Wenn jemand käme, was läge mir daran? Wen könnten Sie überzeugen, daß ich nicht mit Ihrem Willen hier bin? Wer anderer als Sie selbst könnte mir die Mittel geschaffen haben, hier herein zu kommen? Und dieser Schlüssel, den ich von Ihnen habe, nur durch Sie haben konnte, werden Sie sagen wollen, zu welchem Zweck Sie ihn mir gaben?« Diese kurze Rede hatte weder beruhigend auf ihren Zorn noch auf ihren Schmerz gewirkt, aber sie führte zur Unterwerfung. Ich weiß nicht, ob mein Ton so beredt war, – meine Gebärden waren es sicher nicht. Eine Hand war mit dem Zorn beschäftigt, die andere mit der Liebe, – welcher Redner könnte in einer solchen Lage Anspruch auf Anmut machen? Wenn Sie sich die Situation vorstellen, werden Sie zugeben, daß sie für einen Angriff günstig war; aber ich, ich verstehe von dem allen nichts, und, wie Sie sagen, führt die einfachste Frau, ein Schulmädel, mich wie ein Kind am Bande.

Dieses Schulmädchen fühlte inmitten ihrer Trostlosigkeit, daß irgend etwas geschehen und daß sie in Unterhandlung treten müsse. Da ihr Bitten nicht erhört wurde, mußte sie sich auf Anerbietungen einlassen. Sie glauben, daß ich den wichtigen Posten recht teuer verkauft habe, aber nein: ich habe alles für – einen Kuß versprochen. Zwar habe ich, als ich den Kuß hatte, mein Versprechen nicht gehalten, aber ich hatte gute Gründe. Hatten wir ausgemacht, daß er gegeben oder genommen werden sollte? Wir einigten uns auf einen zweiten, den ich bekommen sollte. Ihre Arme legten sich um meinen Leib, und ich drückte sie mit den meinen, und ich bekam den süßesten Kuß, richtig und tadellos: die Liebe hätte es nicht besser machen können.

So viel Ehrlichkeit verdiente eine Belohnung, und ich gewährte alsbald die Bitte. Die Hand zog sich zurück, aber ich weiß nicht durch welchen Zufall befand ich mich selber an ihrer Stelle. Sie vermuten mich da nun sehr eifrig und tätig, nicht wahr? Aber ich war's durchaus nicht. Ich habe einmal Geschmack an der Langsamkeit gewonnen, sage ich Ihnen. Einmal sicher hin zu kommen, warum dann die Reise beschleunigen?

In allem Ernst – ich war sehr froh, einmal die Macht der Gelegenheit zu beobachten, und hier fand ich sie, bar von jeder fremden Hilfe. Sie hatte nun doch gegen die Liebe zu kämpfen, gegen die Liebe, die von Scham und Angst vor der Schande gehalten, aber gestärkt ward durch die schlechte Laune, die ich erregt hatte und von der genug da war. Die Gelegenheit war allein da, aber da war sie, immer geboten, immer gegenwärtig, und die Liebe war abwesend.

Um meine Beobachtungen zu sichern, hatte ich die Bosheit, nur so viel Gewalt anzuwenden, daß man sich dagegen wehren konnte. Nur wenn meine schöne Gegnerin, meine Güte mißbrauchend, mir entschlüpfen wollte, hielt ich sie durch dieselbe Furcht, deren glückliche Wirkung ich schon erprobt hatte, fest. Nun: Die zärtliche Verliebte hat ohne Sorgen um ihre Eide zuerst nachgegeben und schließlich ... Nicht etwa, daß nach dieser ersten Niederlage Vorwürfe und Tränen nicht wieder kamen. Ich weiß nicht, ob sie echt oder gemacht waren, aber, wie es immer geht: sie hörten auf, sobald ich wieder anfing, Grund zu neuen Tränen zu geben. Kurz, von Schwäche zu Vorwürfen, und von Vorwürfen zu Schwäche haben wir uns erst getrennt, als wir sehr zufrieden miteinander waren und beide im Reinen über das Rendezvous von heute abend.

Erst bei Tagesgrauen kam ich wieder in mein Zimmer und war ganz kaputt von Ermattung und Schlaf. Und doch habe ich beides der Begier geopfert, heute morgen beim Frühstück zu erscheinen. Ich liebe bis zur Leidenschaft die Mienen des nächsten Tages. Sie können sich von diesen keine Vorstellung machen. War das eine Verlegenheit in der Haltung! Und ein behinderter Schritt! Und die Augen immer niedergeschlagen und so umrändert! Das sonst so runde Gesicht war ganz lang geworden! Es war sehr spaßhaft. Und zum erstenmal bezeugte ihr ihre Mutter eine wirklich zärtliche Teilnahme, erschreckt durch diese außerordentliche Veränderung. Auch die Präsidentin war mit viel Eifer um sie her. Oh! Was diese Sorgfalt betrifft, so war sie nur geliehen. Es wird ein Tag kommen, wo man sie ihr wird zurückerstatten können, und dieser Tag ist nicht fern. Adieu, meine schöne Freundin.

Schloß . . ., den 1. Oktober 17..

Achtundneunzigster Brief

Cécile Volanges an die Marquise von Merteuil.

Ach, mein Gott, liebe gnädige Frau, wie bin ich betrübt! Wie bin ich unglücklich! Wer wird mich in meinem Schmerz trösten? Wer wird mir in meiner Verwirrung raten? Dieser Herr von Valmont ... und Danceny! Nein, der Gedanke an Danceny bringt mich zur Verzweiflung ... Wie soll ich es Ihnen nur erzählen? Wie es sagen? ... Ich weiß nicht, wie es tun. Und mein Herz ist so voll ... Ich muß mit jemandem sprechen, und Sie sind die einzige, zu der ich es kann, der ich mich anzuvertrauen wage. Sie sind so gut gegen mich! Aber seien Sie es jetzt nicht, denn ich bin es nicht wert: – was sage ich, ich wünsche es gar nicht. Alle waren heute gut zu mir – und alle haben meinen Schmerz noch vermehrt. Ich fühlte zu sehr, daß ich es nicht verdiente. Zanken Sie mich aus, zanken Sie mich ordentlich aus, denn ich bin sehr schuldig; nachher aber retten Sie mich. Wenn Sie nicht die Güte haben mir zu raten, so sterbe ich vor Kummer.

Erfahren Sie also ... meine Hand zittert, wie Sie sehen, ich kann fast nicht schreiben, ich fühle mein Gesicht ganz in Feuer ... Ach! es ist Schamröte. Ja, ich will sie leiden, das ist die erste Strafe für meinen Fehltritt. Ich will Ihnen alles sagen.

Sie sollen also wissen, daß Herr von Valmont, der mir bisher die Briefe Herrn von Dancenys zustellte, plötzlich fand, es sei dies zu schwierig. Er wollte einen Schlüssel zu meinem Zimmer haben. Ich kann Ihnen versichern, daß ich nicht wollte; aber er schrieb es Danceny, und Danceny wollte es auch; und mir macht es so viel Kummer, wenn ich ihm etwas abschlage, besonders seit meiner Abreise, die ihn so unglücklich macht, so daß ich endlich nachgab. Ich sah das Unglück nicht voraus, das daraus entstehen sollte.

Gestern benutzte Herr von Valmont diesen Schlüssel, um in mein Zimmer zu kommen, als ich schlief. Ich erwartete das so wenig, daß ich sehr erschrak, als er mich weckte. Da er aber gleich mit mir sprach, habe ich ihn erkannt und nicht geschrien. Und dann kam mir der Gedanke, daß er mir villeicht Briefe von Danceny bringt. Aber es war was ganz anderes. Etwas später wollte er mich küssen; und während ich mich wehrte, wie es ganz natürlich ist, hat er es so gut angestellt, – ich wollte nicht um alles in der Welt . . . aber er wollte zuvor einen Kuß. Ich mußte wohl, was sollte ich tun? Um so mehr, als ich schon versucht hatte zu rufen. Aber abgesehen davon, daß ich nicht konnte, wußte er mir auch klarzumachen, daß, wenn jemand käme, er die ganze Schuld leicht auf mich schieben könne, und das war auch wirklich sehr leicht, wegen dieses Schlüssels. Dann ist er aber noch immer nicht gegangen. Er wollte einen zweiten Kuß, und ich weiß nicht, wie es mit dem war, aber er hat mich ganz verwirrt gemacht, und dann kam es noch schlimmer als zuvor. Oh! Nein, nein, es ist ganz schlimm. Kurz, nachher . . . Sie ersparen mir's wohl, das übrige zu sagen, aber ich bin so unglücklich, wie man nur sein kann. Was ich mir am meisten vorwerfe, was ich Ihnen noch sagen muß, daß ich fürchte, ich habe mich doch nicht genug verteidigt, so wie ich es hätte tun hönnen. Ich weiß nicht, wie es geschah. Sicher liebe ich Herrn von Valmont nicht, ganz im Gegenteil; nur es gab Momente, wo mir war, als liebte ich ihn ... Sie können sich denken, daß mich das nicht abhielt, ihm immer noch nein zu sagen, aber ich fühlte wohl, daß ich nicht tat, was ich sagte; nur das war wie gegen meinen Willen; dann war ich auch so schrecklich verwirrt! Wenn es immer so schwer ist, sich zu wehren, muß man sehr daran gewöhnt sein. Es ist ja wahr, Herr von Valmont hat eine Art, die Dinge zu sagen, daß man nicht weiß, wie man ihm antworten soll. Und wieder würden Sie glauben, als er endlich gegangen war, tat es mir förmlich leid, und ich hatte die Schwäche gehabt, einzuwilligen, daß er heute abend wiederkomme. Das macht mich noch verzweifelter als alles andere.

Aber trotzdem verspreche ich Ihnen, daß er nicht kommen soll. Er war noch nicht draußen, als ich schon fühlte, daß ich unrecht getan hatte, es ihm zu versprechen. Drum habe ich auch die ganze übrige Zeit durch geweint. Es war besonders Danceny, der mir leid tat; jedesmal, wenn ich an ihn dachte, flössen meine Tränen stärker, so daß es mich fast erstickte ... und ich dachte immer an ihn ... Jetzt noch, sehen Sie es – das ganze Papier ist naß. Nein, ich werde mich nie trösten, und wäre es auch nur seinetwegen ... Endlich konnte ich nicht mehr, und ich habe doch keinen Augenblick schlafen können. Und diesen Morgen, wie ich aufstand und in den Spiegel sah, konnte ich einem Angst machen, so verändert sah ich aus.

Mama hat es gleich gemerkt, wie sie mich sah, und mich gefragt, was ich hätte. Ich fing gleich an zu weinen. Ich glaubte, sie würde mich schelten, und das hätte mir vielleicht weniger Schmerz gemacht; aber im Gegenteil, sie sprach so sanft zu mir! Und ich verdiene es doch nicht! Sie sagte, ich solle mich nicht so betrüben, und sie wußte gar nicht, warum ich's war, und daß ich mich krank machen würde! Es gibt Augenblicke, wo ich tot sein möchte. Ich hab' nicht mehr an mich halten können. Ich warf mich schluchzend in die Arme und sagte:»Ach, Mama, Ihre Tochter ist sehr unglücklich« Mama konnte sich nicht enthalten, auch ein wenig zu weinen; und alles das vermehrte noch meinen Schmerz. Glücklicherweise fragte sie mich nicht, warum ich so unglücklich sei, denn ich hätte nicht gewußt, was ihr antworten.

Ich bitte Sie, gnädige Frau, schreiben Sie mir sobald als möglich, und sagen Sie mir, was ich tun soll. Denn ich habe nicht den Mut, an irgend etwas zu denken, und tue nichts, als mich immer grämen. Wollen Sie mir bitte Ihren Brief durch Herrn von Valmont zukommen lassen; aber ich bitte Sie, wenn Sie ihm gleichzeitig schreiben, sagen Sie ihm nichts davon, daß ich Ihnen etwas gesagt habe.

Ich habe die Ehre, gnädige Frau, mit stets großer Freundschaft zu sein Ihre ganz untertänige und gehorsame Dienerin. Ich trau mich nicht, den Brief zu unterzeichnen.

Schloß . . ., den 1. Oktober 17..

Neunundneunzigster Brief

Frau von Volanges an die Marquise von Merteuil.

Es sind wenige Tage her, meine liebe Freundin, daß Sie es waren, die mich um Rat und Trost bat. Heute ist es an meiner Reihe, und ich richte dieselbe Bitte an Sie, die Sie für sich taten. Ich bin wirklich recht betrübt und fürchte, nicht die rechten Maßnahmen getroffen zu haben, um den Kummer zu vermeiden, den ich empfinde.

Meine Tochter bereitet mir diese Sorge. Seit unserer Abreise war sie wohl immer traurig und bekümmert; aber das hatte ich erwartet und hatte mein Herz mit einer Strenge gewappnet, die ich für nötig hielt. Ich hoffte, die Trennung und die Zerstreuung würden eine Liebe bald zerstören, die mir eher wie eine kindliche Verirrung erschien, denn als eine wirkliche Leidenschaft. Indes ist es seit unserem Hiersein durchaus nicht besser geworden, im Gegenteil bemerke ich vielmehr, daß das Kind sich mehr und mehr einer gefährlichen Melancholie hingibt, und ich fürchte allen Ernstes für ihre Gesundheit. Insbesondere seit einigen Tagen verändert sie sich sichtlich. Gestern besonders fiel mir das auf, und alle hier waren darüber ganz erschrocken.

Ein weiterer Beweis dafür, wie sehr sie noch darunter leidet, ist, daß ich sie bereit sehe, die Schüchternheit zu überwinden, die sie immer mir gegenüber hat. Gestern morgen warf sie sich auf die einfache Frage hin, ob sie krank wäre, in meine Arme und sagte dabei, daß sie sehr unglücklich wäre; und weinte dabei schrecklich. Ich kann Ihnen den Schmerz nicht schildern, den ich empfand; mir kamen gleich die Tränen in die Augen, und ich hatte nur noch Zeit, mich abzuwenden, daß sie es nicht sähe. Zum Glück war ich vorsichtig genug, sie nichts zu fragen, und sie wagte auch nicht, mir weiter was zu sagen. Aber es ist mir nun um so klarer, daß es diese unglückliche Leidenschaft ist, die sie quält.

Was soll ich nun tun, wenn das so fort geht? Soll ich meine Tochter unglücklich machen? Soll ich die kostbarsten Eigenschaften der Seele, die Empfindung und die Beständigkeit, zu ihrem Schaden wenden? Bin ich deshalb ihre Mutter? Und wenn ich dieses so natürliche Gefühl erstickte, das uns das Glück der Kinder so wünschenswert macht; wenn ich als eine Schwäche betrachtete, was, glaube ich, das Gegenteil ist, nämlich die erste und geheiligtste unserer Pflichten; wenn ich ihre Wahl zwinge, bin ich dann nicht für die etwaigen verhängnisvollen Folgen verantwortlich? Welchen Gebrauch hieße es von der mütterlichen Autorität machen, wenn man seine Tochter zwischen Sünde und Unglück stellte!