ADRIENNE BRAUN

Wer hoißt hier denn noch Häberle?

DIE GANZE WAHRHEIT ÜBER STUTTGART

Foto: Frank Paul Kistner

Adrienne Braun, 1966 in Wiesbaden geboren, war nach ihrem Germanistik- und Kunstgeschichtsstudium Regieassistentin an der Staatsoper Stuttgart sowie Redakteurin der Stuttgarter Zeitung. Seit 1996 arbeitet sie als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin, schreibt für das Kunstmagazin ART und die Süddeutsche Zeitung und hat seit vielen Jahren eine Kolumne in der Stuttgarter Zeitung.

1. Auflage 2019

© 2019 by Silberburg-Verlag GmbH,

Schweickhardtstraße 5a, D-72072 Tübingen.

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Silke Nalbach, Mannheim.

Satz und Layout: César Satz & Grafik GmbH, Köln.

Lektorat: Gertrud Menczel, Böblingen.

Printed in Slovenia by Florjancic.

ISBN 978-3-8425-2172-8

eISBN 978-3-8425-2301-2

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Inhalt

Statt eines Vorworts: Vom Bruddler zum Wutbürger

Wir lassen uns das Singen nicht verbieten

Ganz und gar durchschnittlich

Feng-Shui im Kessel

Aufbauen … Abreißen … Aufbauen … Abreißen …

Revierkampf mit dem lieben Vieh

Let’s putz!

Klangcocktail und süße Düfte

Vorsicht, Kamera!

Stillgestanden

Dialektfreie Zone

Zeigt her eure Tüten!

Schattenseiten

Auf der Couch

Kultur für alle

Ich glotz TV!

Düstere Abgründe

Auch nur Menschen

Voll im Trend

Rossbollen stinken nicht

Zukunftsmusik

Statt eines Vorworts: Vom Bruddler zum Wutbürger

Es war ein Schock. Schließlich wurde in meinem Elternhaus Wert auf gute Manieren gelegt. Wir Kinder sollten uns »comme il faut« benehmen. Als Mädchen machten wir selbstverständlich bei der Begrüßung einen Knicks. Wir mussten üben, wer wen wie korrekt vorstellt oder wie man bei Tisch versiert mit Schneckenzange, Hummergabel und Buttermesser hantiert. »Contenance«, pflegte die Frau Mama zu sagen und achtete auf eine kultivierte, distinguierte Sprache, um sich vom »Plebs« zu unterscheiden, wie sie es nannte. Schimpfwörter wurden mit Strafzöllen belegt. »Scheiße« war am teuersten und kostete stattliche fünfzig Pfennig, weshalb wir uns mit »Schitti«, »Scheibenkleister« oder »so ein elender Hühnerpups« behalfen.

Und dann der Umzug ins Schwabenland, wo der Dödel den Volltrottel von nebenan für einen Sempel hält und ihm deutlich zu verstehen gibt, was er für einen alden Käs rausschwätzt. Da ranzt der Vadder sein Jonger an, weil der gemault hat, dass die bleede Geiß von Mutter, also dem Vadder sei Weib, geifert, weil dr Bua de Kuttereimer els ned gleert hot. Dabei wär doch die Jonge dra gwese, die aber bloß in den Spiegel blöd neiglotzt, um dem Lole aus ihrer Klass schöne Augen zu machen. Heilandsack aber auch.

Fluchen ist ein elementarer Bestandteil des Schwäbischen. Thaddäus Troll hat ganze Bücher gefüllt mit der schwäbischen Schimpfwörterei. Noch heute finden sich in den Regalen der Stadtbibliothek Titel wie »Scheene gschempfte Beleidigonga«, »Wia mr am beschta Männer b’schempft« oder »Wie mr sich gscheit gega Fraua wehrt«. Da müsste man nur ein Kapitel laut vorlesen, und das ganze Taschengeld wäre im Schimpfwörtersparschwein verschwunden.

Nach dem ersten Schrecken schlich sich aber schneller als gedacht Interesse ein. Denn ist es nicht herrlich, im Land der Bruddler enthemmt seine Launen heraustrompeten zu können? Im Grunde ist es doch fantastisch erleichternd, den Grasdackeln zeigen zu können, wo der Bartl den Moscht holt. Es reinigt die Seele, wenn man mal so richtig ebber de Roschd ra tun kann. Allein die Vorstellung, mit Schmackes zur Sau naus zu können, ist unglaublich befreiend und letztlich eine ressourcenorientierte psychische Läuterung. Hin und wieder sollte man dringend auf einem fetten schwäbisch-hällischen Schwein reitend aus den gewohnten Bahnen ausbrechen, die Perspektive ändern und dem ganzen Schlamassel entkommen. Donderladdich, die Sproch hat’s in sich.

Der Klang des Schwäbischen kommt so freundlich daher, so weich und geschmeidig, dass selbst das Harsche harmlos klingt, weshalb man mit gutem Gewissen dicker auftragen kann. »Herrschaftszeiten, bei dir schafft auch nur der Moscht im Keller.« In anderen Dialekten klingen Flüche grob und schnell ordinär. Man will doch nicht wie die Hessen schimpfen: »Du ufgeblaseni Kellerwanze, du Trockebreetsche und Katzehänkä. Komm her, du Schlambe, zwei Schobbe, sonst knallts.« Im Norden klingen die Schimpfereien dagegen eher scharf und unangenehm: »Set nicht immer so en Schiet to mir. Bist en alter Grötsnuten, bist en Klappskati.«

Da lobt man sich die schwäbischen Lole und Allmachtsdackel. Oder Allmachtsseggl und Affendackel. Denn auf Schwäbisch lässt es sich enorm kreativ und spielerisch schimpfen. Granatendackel und Allmachtsbachel oder eher Allmachtsdödel, Granatenseggl und Grasdackel oder besser noch: Granatenallmachtsglockenseggl. Heidablitz, Hergottsblitz und Herrgottsdonder, des macht saumäßig Spaß.

Aber leider haben sich die Umstände geändert. Stuttgart hat sich in den vergangenen Jahren enorm gewandelt und ist zu einer zivilisierten Großstadt geworden. Auf dem Weg dorthin haben sich die Stuttgarter als Erstes das unflätige Fluchen abgewöhnt, zumal in einer multikulturellen Stadt niemand mehr verstehen würde, wenn man »Heilandsack, du Seggl, du liadricher« schimpfte oder seinen Mitmenschen »du Zibebe, du Bähmull, I schlag dir glei eine an de Ranze na« um die Ohren hauen würde. Stuttgart ist längst international, und die guten alten Zeiten der Bettbronzer sind damit endgültig vorbei.

Das ändert freilich nichts daran, dass die Stuttgarter immer noch reichlich zu schimpfen haben. So wird die Devise Motzen statt Glotzen neu ausgelegt und kanalisiert sich die Wut auf andere Weise: Man demonstriert. Statt zu bruddeln, schnappen die Stuttgart nun bei jeder Gelegenheit ihre Transparente und Fahnen und ziehen durch die Stadt, um ihrem Unmut Luft zu machen – für oder gegen den Bildungsplan der Landesregierung, für oder gegen die AfD oder den Militäreinsatz gegen die Kurden. Für bessere Arbeitsbedingungen oder mehr Vielfalt, gegen Rechts oder Feinstaub. Kaum ein Samstag, an dem nicht wieder jemand laut schimpfend durch die Innenstadt zieht, damit auch wirklich jeder hören kann, dass Stuttgart zur Hochburg des Protests geworden ist.

Schon in den Neunzigerjahren, als die Staatsgalerie Stuttgart die großformatigen Pornos des US-amerikanischen Künstlers Jeff Koons ausstellte, der sich mit der berühmten Politikerin und Pornodarstellerin Cicciolina sehr intim und direkt beim Sex fotografiert hatte, demonstrierte ein wackeres Grüppchen von Moralaposteln vor der Tür. Im Nachhinein könnte das die Initialzündung gewesen sein für eine gigantische Protestbewegung in der Stadt, bei der nun auch eine Klientel durch die Straßen zieht, die in früheren Jahren nicht zu den typischen Demonstranten gehörte: die Bildungsbürger.

So waren es vor allem ältere, gebildete und mitunter konservative Menschen, die ihre Stadt nicht zur Dauerbaustelle werden lassen wollten und deshalb pfeifend auf die Straße gingen, um gegen das Bahnhofsprojekt S 21 zu demonstrieren, von dem heute sogar die dafür Verantwortlichen einräumen, dass es eines der schlechtesten deutschen Verkehrsprojekte ist und obendrein ein Millionengrab. Über Monate hinweg schien es in Stuttgart kein anderes Thema als den Bahnhofsumbau zu geben. Ob am Kaffeetisch oder in der Kantine, in den Theatern und Straßenbahnen, allüberall wurde hitzig gestritten über Zuführungsstrecken und Denkmalschutz, Juchtenkäfer und Wasservorkommen. Es gab Sitzblockaden und Menschenketten, Dauermahnwachen und Schwabenstreiche, wohlhabende Damen vom Killesberg gingen morgens nicht mehr zum Friseur oder zur Pediküre, sondern lieber in den Schlossgarten, um den wackeren Parkschützern, die auf den Bäumen schliefen, ein leckeres Frühstück vorbeizubringen.

Der Protest, der immer wütender und blinder wurde, hat in manchen Familien tiefe Gräben gerissen. Freundschaften zerbrachen, Zeitungen verloren Abonnenten und Parteien Wähler. Am »Schwarzen Donnerstag« im September 2010 eskalierte das Drama, und es wurde weit über die Landesgrenzen bekannt, wie aufgeheizt die Stimmung war und welche enormen Ausmaße der Protest gegen den neuen Bahnhof angenommen hatte. Unterstützt von Kollegen aus Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen zogen zahllose Polizeieinheiten in den Stuttgarter Schlossgarten. Mit Schlagstöcken, Wasserwerfern und Pfefferspray gingen sie gegen die Demonstranten vor, die auf den Rasenflächen protestierten oder Sitzblockaden gebildet hatten, um gegen die Abholzung der grünen Lunge der Stadt zu protestieren. In der Nacht wurden trotzdem die ersten Bäume gefällt.

Die überregionale Presse verfolgte erstaunt die Protestwelle, die man nicht erwartet hätte in Stuttgart. Bisher hatten Externe Stuttgart für brav, bieder und borniert gehalten. Vor allem die Münchner und Berliner kultivierten voller Häme das Bild einer engstirnigen und konservativen Stadt, in der Bürgersteige gar nicht erst runtergeklappt werden und lustfeindliche Geizkragen Geld scheffeln und Kehrwoche machen. Stuttgart war für sie die Hauptstadt der Spätzleschaber, Daimlerfahrer und Putzteufel. Schaffe, schaffe, Häusle baue und ned nach de Mädle schaue.

Die unermüdlichen Montagsdemonstrationen mit ihren übrigens hochdeutschen Parolen wie »Oben bleiben« und »Lügenpresse« konnten den Bau des neuen Bahnhofs nicht verhindern. Eines haben die S21-Gegner aber erreicht: Ihnen ist es gelungen, das veraltete Stuttgart-Bild erfolgreich aus den Köpfen zu vertreiben und zu ersetzen durch ein neues Image des Stuttgarters, der keineswegs brav und bieder, sondern durchaus renitent ist und absolut unberechenbar. Deshalb wird die Stadt, die man auf ewig in CDU-Hand glaubte, inzwischen auch von den Grünen regiert.

So ist aus dem Bruddler von einst der Wutbürger von heute geworden. Auch wenn der Begriff inzwischen inflationär genutzt wird, kann Stuttgart stolz konstatieren, die eigentliche Wiege des Wutbürgers zu sein. Das zeugt von einem neuen Geist. Früher hat man hier über die alte Schell geschimpft und dort über den Halbdaggl. Heute sagt man niemandem mehr, dass er einen »Zenka«, eine dicke Nase im Gesicht hat, sondern man geht lieber gleich auf die Straße. Ob es die Stuttgarter Omas gegen Rechts sind oder Fridays for Future, die Stuttgarter nutzen jede Gelegenheit, um der Welt klarzumachen: Mit uns nicht! Get up, stand up, don’t give up the fight!

Deshalb ist es höchste Zeit, diese neu auferstandene Stadt ins Visier zu nehmen, in der inzwischen viele Fremdsprachen gesprochen werden und man immer seltener Schwäbisch hört. Die Kehrwoche wurde längst abgelöst von Gum-Walls für durchgekaute Kaugummis. Die Bordsteine werden bestenfalls noch hochgeklappt, um noch mehr Platz zum Chillen zu schaffen. Und der heutige Stuttgarter ist auch weder sparsam noch freudlos oder zurückgezogen, sondern verbringt seine Zeit am liebsten mit Kultur, Shoppen und Feiern.

Nur manchmal bricht das fast verschüttete schwäbische Bruddler-Gen noch durch: im Stau. Man muss nicht mal in Stuttgart geboren sein, um dann und wann hinterm Steuer so richtig schön fluchen zu können über die Allmachtsdackel, die die Straßen blockieren, die Bettbronzer, die nicht gescheit Auto fahren können, und die Sempel, die so en Käs zusammenfahren, jetzt au no abbiegen wollen oder einen so blödsinnig blockieren, dass man zur Sau nauswöllt. Donderlattich, wenn einem so ein Jenseitsbachl mit Furz im Hirn in die Quere kommt, dann muss man schon mal Dampf ablassen, Hergottsblitz und Donner! Das tut gut – und das Schönste daran: Weil’s keiner hört, werden nicht mal Strafgroschen fällig.

Wir lassen uns das Singen nicht verbieten

In Stuttgart, das ist hinreichend bekannt, werden am Abend die Bürgersteige hochgeklappt – allerdings längst nicht mehr im herkömmlichen Sinne. Inzwischen werden die Gehwege, Trottoirs und Fußgängerwege entfunktionalisiert, um noch mehr Tische und Bänke, Loungesessel, Hocker, Schemel, Daybeds und Tischchen rausstellen zu können, Riesenmonitore, Shishapfeifen und Liegestühle. Der Bedarf an Platz für Sessel und Stühle zum Abhängen und Rumlümmeln ist enorm, weshalb Fußgänger häufig sogar das Nachsehen haben.

Denn die Stuttgarter sind vergnügungssüchtig. Vermutlich haben sie ihre Sehnsucht nach Trubel, Suff, Geselligkeit im pietistischen Ländle jahrhundertelang so energisch unterdrücken müssen, dass die Feierwut eines Tages umso ungestümer und vehementer ausbrechen musste. Der Befreiungsschlag war von solcher Wucht, dass die Stuttgarter nun enthemmt von einer Sause zur nächsten jagen. Marienplatzfest, Henkersfest, Bohnenviertelfest, Feuerseefest, Heusteigviertelfest. Westallee in der Johannesstraße und Heslacher Hocketse. Ob in Mitte oder West, irgendwo gibt es immer etwas zu feiern. Und Prösterchen.

In früheren Zeiten haben Kirche und Obrigkeit zu Mäßigung aufgerufen, sie warnten das triebhafte Volk vor Wollust und Völlerei. Heute wird die Stadt mit Plakaten gepflastert, um daran zu erinnern, dass es höchste Zeit ist, mal wieder in Gladiator, Transformer und Infinity zu steigen – und also mit möglichst viel Geld in der Tasche auf den Cannstatter Wasen zu gehen. Es ist quasi des Stuttgarters erste Pflicht, sich zwei Mal im Jahr in Loopings auf sechzig Meter Höhe schleudern zu lassen oder beim Spinning Racer mit siebzig Stundenkilometern in drehenden Sitzen über die Schienen der Achterbahn zu rasen. Man jagt durchs Wildwasser, lässt sich auf dem Gyro-Drop-Tower in die Höhe schrauben, bevor die kreischende Meute mit Affenzahn auf die Erde zurückplumpst. Danach heißt es endlich: rein ins Zelt, saufen, was die Krüge hergeben – und selig auf den Tischen tanzen. Kommt, lasst uns singen, wir feiern heute Nacht … Resi, ich hol di mit meim Traktor ab … Hölle, Hölle, Hölle … Hey, kleines Luder, komm her und zieh dich nackig aus … Die Hände gehen hoch … Fühle, fühle, fühle … Der Kopf tut weh, die Füße stinken, höchste Zeit, ein Bier zu trinken. Hodi odi ohh di ho di eh.

Inzwischen ist es selbstverständlich, dass die Stuttgarterinnen und Stuttgarter mehrere Wochen im Jahr quasi nur in Dirndln und Lederhosen unterwegs sind, grad so, als würden sie ihr Geld im Kuhstall und auf der Weide verdienen. Das heißt aber keineswegs, dass man heimattümelnd wäre. Wenn es ums Feiern geht, sind die Stuttgarter im Gegenteil sogar herzlich wahllos. Beim Sommerfestival der Kulturen trinken sie Blue Hawaiian Colada und essen serbisches Reisfleisch zu ukrainischen Ganovenliedern. Beim Afrikafestival hängen sie Ketten über bunte Gewänder und probieren Couscous-Pfanne und gegrillten Fisch mit Fufu. Sie kaufen Schnitzkunst und lassen ihre Körper drei Tage lang im Takt der Trommelrhythmen wackeln. Could you be loved and be loved …

Tatsächlich sind die Stuttgarter sehr wandlungsfähig und so flexibel, dass man manchmal gar nicht mehr weiß, was ihr ureigenstes Wesen sein mag. Denn sind sie nicht eigentlich die besseren Hanseaten, sobald der Hamburger Fischmarkt auf dem Karlsplatz seinen Anker ausgeworfen hat? Moinmoin und Ahoi, schon strömen die Stuttgarter zu Aale-Dieter, Käse-Tommi und Bananen-Fred und lassen sich die Tüten vollstopfen mit allem, was die Hamburger importiert haben. Selbst bei Schietwetter zischen die Stuttgarter so viele Buddeln Alsterwasser, bis sie herrlich betütert sind und fröhlich mit allen möglichen Lüüd klönen und snacken. Bevor nicht zappenduster ist, geht keiner heim. Am nächsten Morgen holt man sich zum Frühstück auch schon wieder Matjes, zum Mittagstisch gibt’s Aal, zwischenrein Fischfritten und Fischburger, bevor man sich am Abend gepflegt Oktopus und Garnelen gönnt. Rund um die Uhr will man bei Tische von Fritz gefischte frische Fische.

Manchmal kann man schon ins Grübeln kommen, wie die Stuttgarter das nur machen, woher sie das Geld und die vielen freien Stunden nehmen. Denn die Scharen von Besuchern, die sich dann schon wieder beim Sommerfest vier Tage lang rund um den Eckensee vor der Oper durch die weißen Zelte schieben, können doch nicht nur aus Esslingen, Böblingen und Aalen kommen. Eine halbe Million Besucher, die keineswegs nur günstige Pizzaecken essen, sondern gern auch mal Austern schlürfen und sich Crevetten, Lachstatar, Pulled Pork und Steaks gönnen. Die vielen Champagnerflaschen werden die Gastronomen sicher auch nicht wieder verschlossen nach Hause tragen.

Das geht ins Geld. Und auf die Leber, sollte man meinen. Spätestens beim Stuttgarter Weindorf fließt der Alkohol schon wieder in Strömen. Da könnte es gut sein, dass bei einigen Besucherinnen und Besuchern die empfohlene Tagesdosis von 0,2 beziehungsweise 0,3 Litern eines mittelkräftigen Weins überstiegen wird. Die vielen verschiedenen Tröpfchen, die die Wengerter und Gastronomen aus Baden und Württemberg im Angebot haben, wollen schließlich getestet sein. Da fällt das Neinsagen schwer und muss schnell noch ein Viertele her. Trotzdem hat Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Regionen der Republik die wenigsten Todesopfer durch Alkohol, so schlimm kann es nicht sein.

Also werden die Weingläser flugs gespült und weggeräumt, da, hodi odi ohh di ho di eh, auch schon wieder Wasenzeit ist und endlich wieder atemlos auf den Tischen getanzt sein will. Hölle, Hölle, Hölle, der Kopf tut weh, die Füße stinken, höchste Zeit, ein Bier zu trinken.

Selbstverständlich zeigt man auch Präsenz auf dem Christopher-Street-Day, an dem sich die Parade wummernd und gut gelaunt durch die Tübinger Straße an der Meute vorbeischiebt, die tanzt und emsig Kondome und Bonbons sammelt. Ansonsten geht man zu den langen Einkaufsnächten und zum großen Flohmarkt, zur Langen Nacht der Museen, der Langen Nacht der Minimal Music, der Langen Ost Nacht und den Kriminächten und schaut selbstverständlich auch mal vorbei, wenn das Internationale Trickfilm-Festival und Weltstars beim Jazzopen am Schlossplatz Station machen, wenn das Stuttgarter Ballett zum Public Viewing lädt oder der neue Stuttgart-»Tatort« Open Air präsentiert wird.

Der Höhepunkt auf dem Festkalender ist aber der Stuttgarter Weihnachtsmarkt. Eben noch war Sommer in the City, wummerten Beats auf dem Marktplatz und wurden Cocktails geschlürft, von jetzt auf gleich aber badet die Stadt in süßer Seligkeit. Klingelingeling, jetzt kommt der Weihnachtsmann. Die Innenstadt ist gepflastert mit rustikalen Buden und Ständen. Stuttgart, ein Sternenmeer, ein funkelnder Diamant, die Stadt strahlt und leuchtet mit dem Firmament förmlich um die Wette.