Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Kant zeigt in der Kritik der reinen Vernunft: man kann die Existenz Gottes weder beweisen noch widerlegen. So schreibt er bei der Kritik am ontologischen Gottesbeweis:

Der Begriff eines höchsten Wesens ist eine in mancher Absicht sehr nützliche Idee; sie ist aber eben darum, weil sie bloß Idee ist, ganz unfähig, um vermittelst ihrer allein unsere Erkenntnis in Ansehung dessen, was existiert, zu erweitern.

...ein Mensch möchte wohl ebensowenig aus bloßen Ideen an Einsichten reicher werden, als ein Kaufmann an Vermögen, wenn er, um seinen Zustand zu verbessern, seinem Kassenbestande einige Nullen anhängen wollte.

Nach Kant ist also der Name "Gott" nur eine Idee, ein Gedankengebilde, dem keine reale Existenz eines oder mehrerer Götter entspricht.

Ich folgere daraus: der Glaube an Gott ist ein Irrtum. Denn Glaube setzt ja, obwohl es Glaube und eben nicht Wissen ist, immer im Stillen die gegenständliche Existenz des Objektes an das man glaubt voraus. Ohne die tiefe Überzeugung von der gesicherten Existenz Gottes wäre jeder Glaube sinnlos. Ein Glaube ohne Überzeugung ist kein Glaube. Da wir aber gerade diese Existenz nie beweisen können, ist der Glaube tatsächlich sinnlos. Was sinnlos ist, kann nur ein Irrglaube, also ein Irrtum sein.

Kants Fragestellung in der Kritik der reinen Vernunft geht also weit über akademisches Philosophieren und Metaphysik hinaus, wie etwa die berühmte Diskussion, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz finden, sondern sie trifft eine der ältesten und wichtigsten Fragen der Menschheit:

Gibt es einen Gott oder nicht - und wenn ja, wie ist dessen Name?

Über diese Frage wurden und werden immer noch die blutigsten aller Kriege mit Feuer und Schwert ausgetragen, obwohl es genügen würde, einige Seiten bei Immanuel Kant nachzulesen um die Frage endgültig und für immer zu beantworten.

Die allgemein übliche Unterscheidung zwischen Glauben und Wissen, Religion und Wissenschaft ist ein leicht durchschaubares Täuschungsmanöver der Priester und Theologen. So behaupten sie, seit ihnen die Aufklärung1) und vor allem Kant die Grundlage der Metaphysik entzogen hatte, der Glaube unterliege nicht den Kriterien der Wissenschaft, könne also unabhängig von dieser, ja sogar auf einer höheren Ebene als diese existieren. Diese Frage hat Kant nicht näher untersucht, wahrscheinlich weil ihm die Theologie wesensfremd war. Dies macht auch die folgende Anekdote aus seinem Leben deutlich:

Wenn Lehrkörper und Studentenschaft der Königsberger Universität am "dies academicus" in feierlicher Aufstellung von der Aula zur Kirche zogen, um bei dieser Gelegenheit die Einheit von akademischer und religiöser Gemeinde vorzugeben, dann pflegte Kant vor dem Kirchenportal demonstrativ aus der Reihe zu treten und um die Kirche herum den Weg nach Hause einzuschlagen (2).

Kant vermeidet es auch - wahrscheinlich aus Rücksicht auf die zu seiner Zeit immer noch übermächtige Theologie in Kreisen der Politik und Wissenschaft - den in seinen Schriften schlau versteckten Atheismus offen zu thematisieren und diesbezüglich Klartext zu sprechen. Vielleicht ist dies ein Grund dafür, dass allgemein die Meinung entstanden ist, Kants Sprache sei antiquiert und in ihrer Kompliziertheit unverständlich. Das Gegenteil ist richtig! Kant versteht es, komplizierte Gedanken in kristallklaren Formulierungen auf den Punkt zu bringen und vor allem Irrtümer, Täuschungen und verschwommene Ausdrücke zu enttarnen. Er ist kein "Zertrümmerer" von gängigen Überlieferungen, sondern der geniale, vielleicht sogar genialste Wegbereiter in eine neue Welt des klaren Denkens.

Der Glaube kann auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass man sich einfach immer so verhält, als würde ein Gott existieren. Also ohne die Existenzfrage zu entscheiden, die Hypothese der Existenz als Voraussetzung des praktischen Lebens einfach anzunehmen. Diesen "pragmatischen" Ausweg vom Atheismus hatte sogar Kant selbst in seiner "Kritik der praktischen Vernunft", vielleicht im Gedanken an seinen ohne einen Gott unglücklichen Diener Lampe vorgeschlagen, so wie es Heinrich Heine in dessen Gedanken zur Geschichte der Religion und Philosophie treffend parodiert hat. Seit Martin Luther wissen wir aber, dass nicht die Werke, also das praktische Verhalten den Menschen vor Gott rechtfertigen, sondern einzig und allein der Glaube.

Anmerkung

Alle Quellenangaben (Kindle Locations) beziehen sich auf das folgende eBook:

Immanuel Kant. Kritik der reinen Vernunft / Zweite hin und wieder verbesserte Auflage (1787)

http://gutenberg.net

Damit weicht dieses Buch bewusst von der in der Kant-Literatur bisher üblichen Quellen-Definition mittels Band, Seiten, Absatz oder Zeilennummer in irgendwelchen bestimmten historischen gedruckten Ausgaben ab.

Schließlich sind wir heute im Zeitalter des Internet, welches die Recherche ja revolutioniert und damit sehr erleichtert hat!

Texte des Autors sind durch größere Schrift (14 pt) und Fettdruck von den Originaltexten Kants, wie sie hier in der Fassung des genannten eBooks wiedergegeben werden, abgegrenzt. Literaturhinweise sind durch Doppelklammern () gekennzeichnet und verweisen auf das Literaturverzeichnis am Ende des Buches.


1) „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. (Abhandlung „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ 1784)

Transzendenz

Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, insofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt. Ein System solcher Begriffe würde Transzendental-Philosophie heißen.

(Kindle Locations 664-665).

Zur Kritik der reinen Vernunft gehört demnach alles, was die Transzendental-Philosophie ausmacht, und sie ist die vollständige Idee der Transzendental-Philosophie, aber diese Wissenschaft noch nicht selbst; weil sie in der Analysis nur so weit geht, als es zur vollständigen Beurteilung der synthetischen Erkenntnis a priori erforderlich ist.

(Kindle Locations 692-694).

Antinomien

Kants Genie zeigt sich bei der Auflösung der Antinomien in großartiger Form, diese vier Antinomien sind der eigentliche Kern und das Resultat der Kantschen Kritik. Antinomien sind widersprüchliche Sätze, bei denen aber nicht ohne weiteres entschieden werden kann, welcher der Sätze wahr und welcher falsch ist. Kant gibt für beide Aussagen auch den Beweis, aber dann zeigt er nun, dass es weder wahr noch falsch geben kann, weil die in diesen Sätzen verwendeten Begriffe überhaupt nicht korrekt definiert werden können.

Ich nenne alle transzendentalen Ideen, sofern sie die absolute Totalität in der Synthesis der Erscheinungen betreffen, Weltbegriffe, teils wegen eben dieser unbedingten Totalität, worauf auch der Begriff des Weltganzen beruht, der selbst nur eine Idee ist, teils weil sie lediglich auf die Synthesis der Erscheinungen, mithin die empirische, gehen, da hingegen die absolute Totalität, in der Synthesis der Bedingungen aller möglichen Dinge überhaupt, ein Ideal der reinen Vernunft veranlassen wird, welches von dem Weltbegriffe gänzlich unterschieden ist, ob es gleich darauf in Beziehung steht.

(Kindle Locations 4458-4462).