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L. H. COSWAY UND PENNY REID

Irish Players – »Gefällt mir« heißt »Ich liebe dich«

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Annika Loose und Robert Lehnert

Zu diesem Buch

Als Annie Catrel Ronans Lippen auf ihren spürt und ihr Herz wie verrückt anfängt zu rasen, weiß sie sofort, dass das alles in einer großen Katastrophe enden wird. Schlimm genug, dass der irische Rugbyspieler Ronan Fitzgerald einer der wichtigsten Kunden der Medienagentur Davidson & Croft ist, für die Annie als Social-Media-Expertin arbeitet. Was Ronan nicht weiß: Annie ist insgeheim The Socialmedialite – die angesagteste Celebrity-Bloggerin New Yorks –, die ihn letztes Wochenende in einem unmöglichen Sportoutfit fotografiert und auf ihrem Blog einen bissigen Artikel darüberr veröffentlicht hat, als ob sein Image seit einem hässlichen Medienskandal nicht schon genug angekratzt wäre. In seiner Antwort machte Ronan Annie unmissverständlich klar, was er von Menschen hält, die ihr Geld mit dem Privatleben anderer Menschen verdienen. Annie ist eins sofort klar: Wenn sie ihren Job als Leiterin seiner Imagekampagne behalten will, darf Ronan auf keinen Fall von ihrer geheimen virtuellen Identität als Bloggerin erfahren. Doch wie schwer es ist, den unverschämt charmanten Rugbystar auf Abstand zu halten, hat Annie eben erst zu spüren bekommen …

Wir widmen dieses Buch – in zufälliger Reihenfolge –
Eclairs, Colin Farrells Augenbrauen und den Ober-
schenkeln von Rugbyspielern auf der ganzen Welt.

Und Edinburgh, wo eine Liebesgeschichte
das Licht der Welt erblickte.

1

Der E-Mail-Checker: Wenn man so tut, als würde man auf dem Smartphone seine Mails checken, aber in Wirklichkeit eine oder mehrere Personen direkt vor sich fotografiert.

Ideal für: Situationen, in denen Mails checken okay ist, z. B. in Cafés, während man allein in einem Restaurant isst oder auf die Bahn wartet.

Lieber lassen: An Orten ohne Mobilfunk- oder Internetempfang.

Annie

Ich werde nicht so tun, als hätte ich durchweg edle Absichten gehabt. Aber als er das Restaurant betrat, las ich wirklich gerade meine Mails.

Eigentlich sah ich erst von meinem Smartphone auf, als ich das Geschrei und Gequietsche aufgeregter Frauen hörte. Diese Laute – Kichern, Kreischen, Ohhhhhhs, Flüstern, Oh mein Gott! und Ist er das wirklich? – sind für gewöhnlich zu vernehmen, wenn ein männlicher Promi auftaucht. Ich kenne diese Anzeichen und Symptome aus zwei Gründen: mein Job und mein Hobby.

Ich bin Projektleiterin in der Social-Media-Marketing-Abteilung von Davidson & Croft Media. Mein Spezialgebiet ist das öffentliche Image von Prominenten. Gebt mir einen blamierten Promi, Politiker oder sonst eine Person, die in der Öffentlichkeit steht – Sexvideo-Skandal, Trunkenheit am Steuer, Festnahme, Ausbruch aus der Entzugsklinik, Sexting mit der Praktikantin (was ich »Schwanzwedeln« nenne) –, und ich bringe den Ruf dieser Person wieder auf Vordermann.

Ich bringe sie zum Strahlen. Zum Leuchten. Ich bin eine Legende auf meinem Gebiet. In dem, was ich mache, bin ich die Beste.

Und das sage ich ganz ohne Einbildung oder Eitelkeit, denn in fast allem anderen bin ich schlecht. Zum Beispiel Gehen oder Reden, ganz zu schweigen von Gehen und Reden. Oder Lächeln. Oder Nicht-seltsam-Sein. Oder Leute-nicht-Vergraulen. Oder Nicht-der-Grund-für-jedes-peinliche-Schweigen-im-Umkreis-von-fünf-Meilen-Sein.

Die einzigen Dinge im Leben, die ich hervorragend beherrsche, sind: 1) verantwortungsvolle Finanzplanung, 2) mein Hobby-Blog und 3) essen.

Was mich zurück zum Thema bringt, zu Tom’s Southern Kitchen, und zu der Horde von Frauen, die sich aufplusterten, um sich diesem höchst attraktiven Mann an den Hals zu werfen, der soeben das Lokal betreten hatte.

Ich spähte zu ihm und den Frauen hinüber und versuchte, ihn einzuordnen. Er stand im Profil, und sein schöner Mund formte ein geduldiges, höfliches Lächeln. Schwer zu sagen, ob er die Aufmerksamkeit genoss oder einfach nur ausgezeichnete Manieren hatte.

Auf jeden Fall sah er wie der irische Schauspieler Colin Farrell aus, eben nur wie ein zehn bis fünfzehn Jahre jüngerer Colin Farrell, der sein Leben lang trainiert und Beine wie Baumstämme hatte. Vielleicht ein Colin Farrell, der beim Schönheitschirurgen und im CrossFit Boot Camp gewesen war. Dieses atemberaubende Exemplar der männlichen Spezies hatte dunkelbraunes, kurzes Haar. Seine Nase war perfekt, beinahe entzückend, und passte zu seinem Gesicht. Sein Kiefer war kantig und breit. Sogar hohe Wangenknochen hatte er, dunkelbraune Augenbrauen, lange Wimpern und seelenvolle dunkle Augen, genau wie der Schauspieler.

Ich konnte wirklich nicht sagen, ob er ein Doppelgänger oder der echte war, aber das machte nichts. Er war perfekt für meinen samstäglichen Celebrity Stalker Post – den für gewöhnlich beliebtesten Post der Woche.

Was mich zu meinem größten und wohlgehüteten Geheimnis bringt. Ich, Annie Catrel, bin The Socialmedialite, die Betreiberin und Autorin des Blogs New York’s Finest.

Es stimmt.

Ich bin The Socialmedialite.

Ich bin die einflussreichste Infotainment-Bloggerin der Welt.

Und weil Sicherheit mein oberstes Gebot ist, weiß niemand, wer ich bin … dass ich sie bin … dass sie ich ist.

Wie auch immer. Ihr wisst, was ich meine.

Jedenfalls ist der samstägliche Celebrity Stalker mein allwöchentlicher Post, der sich mit Promis oder ihren Lookalikes beschäftigt und sie wie John Madden auseinandernimmt – John Madden, der berühmte amerikanische Footballtrainer und später auch -kommentator, der auf den Bildschirmen der Fernsehzuschauer zu Hause begeistert Kreise, Pfeile und irgendwelche Linien zeichnete, um die Fehler der Footballspieler zu erklären. Nur dass ich dasselbe mit Promis mache (fast ausschließlich männlichen Promis) und ihr Urteilsvermögen in Bezug auf Aussehen, Make-up (ja, Make-up!), Kleidung und Wahl der Accessoires kritisiere. Und wenn sie mit einem Hund Gassi gehen, dann mache ich das Gleiche auch mit ihrem Hund.

Wie sehr ich das fehlende Urteilsvermögen von Stars kritisiere, hängt von verschiedenen Faktoren ab, und ich gebe gern zu, dass ich Leuten mit Talent gegenüber deutlich milder und/oder wohlgesinnter bin als gegenüber Promi-Scheiß (Leute, die berühmt sind, weil sie berühmt oder reich sind, die der Gesellschaft jedoch nichts bringen) und Promi-Schrott (Promi-Scheiß in Kombination mit PR-Geilheit).

Trotzdem bemühe ich mich, nicht allzu viel zu Gesichtern oder Körpern zu schreiben. Ich persönlich finde, dass wir – die westliche Gesellschaft – zu körperfixiert sind, diese Hysterie muss man nicht noch verstärken. Vor allem, wo diese berühmten Leute mir doch schon genug Material liefern mit ihren lächerlichen, irre teuren Gürteltaschen (hergestellt in Sweatshops der Dritten Welt) und ihren vergoldeten Zahnseidehaltern.

Wozu braucht man bitte einen vergoldeten Zahnseidehalter? Kann mir das jemand sagen? Wozu?

Ich weiß es nicht. Ich kapier das nicht.

Die meisten Männer finden es toll, in meinem Blog erwähnt zu werden. Auf meine Posts folgen häufig Mails voller Lob und Dank von nach Publicity gierenden Agenten und Stars. Manchmal spenden sie sogar im Namen des Blogs für einen guten Zweck oder reagieren darauf mit einer selbstironischen Parodie auf YouTube.

Ich achte darauf, das Ganze satirisch und amüsant aufzuziehen, und mache diese Götter unter den Männern so zu reinen Objekten. Frauen, insbesondere bekannte Frauen, müssen in unserer Gesellschaft täglich Kritik an wirklich allem einstecken – zu fett, zu dürr, hat dasselbe Outfit zweimal in der Öffentlichkeit getragen, hat eine Meinung – und das aus dem Mund von Möchtegern-Moderatoren und Klatschreportern.

Im Gegensatz zu diesen Vampiren, die einem jede Selbstachtung aussaugen, leiste ich einen Dienst an der Allgemeinheit. Ich mache mich auf einem Blog, der von über zwanzig Millionen Menschen gelesen wird, über die Promi typischen Eigenarten lustig. Das ist völlig harmlos.

Der Lookalike lächelte weiter freundlich und signierte für seine Verehrerinnen Servietten. Vielleicht war er nicht der irische Schauspieler, aber definitiv jemand Bekanntes. Er hatte Glück: Um halb vier an einem Donnerstagnachmittag war Tom’s Kitchen praktisch menschenleer. Verstohlen neigte ich mein Smartphone leicht zur Seite, schloss meinen Posteingang und öffnete die Kamera.

Innerhalb der nächsten zwei Minuten schoss ich bestimmt vierzig oder fünfzig Fotos, bis ein Kellner mir die Sicht versperrte und mir mein Essen zum Mitnehmen brachte. Beim Bezahlen schaute ich ihn nicht an, suchte meinen Kram möglichst gelassen zusammen und verließ das Restaurant.

Blickkontakt fällt mir schwer. Ich weiß, das klingt seltsam. Es ist seltsam. Lange dachte ich, ich wäre einfach nur sehr schüchtern, bis ich online mit anderen Leuten in Kontakt trat. Da entdeckte ich, dass nur die Real-Life-Annie introvertiert ist. Sie ist einsiedlerisch und ruhig. Sie beobachtet. Sie redet wenig. Sie verabscheut jede Art von Aufmerksamkeit.

Aber The Socialmedialite, mein virtuelles Ich, ist gesellig und albern. Sie ist rechthaberisch. Sie giert nach Interaktion und Aufmerksamkeit. Sie ist schlau und witzig (vor allem, weil man nicht schnell schalten muss, um online witzig zu sein, während im echten Leben Schlagfertigkeit entscheidend ist).

Mit meiner Umhängetasche über der Schulter und der Tüte mit Essen in der einen, dem Handy in der anderen Hand lief ich zurück zu meiner Wohnung. Ich war gespannt auf die Bilder. Als ich im Restaurant gesessen und so getan hatte, als würde ich meine Mails checken, hatte ich nicht viel wahrgenommen, außer der Ähnlichkeit zu Colin Farrell.

Deshalb wollte ich seine Kleidung und jedes potenzielle äußere Zeichen von Exzentrik unbedingt genauer unter die Lupe nehmen. Ich bog um die Ecke – nur noch ein halber Block bis zu meiner Wohnung – und ging die Fotos durch.

Erst erkannte ich darauf nur einen Typen, der Colin Farrell ähnelte. Auf seinen Rücken war ein seltsames kleines Etwas geschnallt, und seine Füße steckten in scheußlichen Zehenschuhen, in denen sie an die eines Hobbits erinnerten. Das hellgrüne T-Shirt saß hauteng und betonte seinen muskulösen Oberkörper, anscheinend war es aus Lycra. Seine Oberschenkel waren sehnig und kräftig, was man gut erkennen konnte, denn er trug Stretch-Shorts, schwarze Stretch-Shorts, keine hellgrünen.

An 99,9 Prozent der Leute hätte dieses Outfit vollkommen bescheuert ausgesehen. Aber nicht an diesem Typen. Er sah heiß aus, wirklich heiß.

Trotzdem erkannte ich beim zweiten, dritten und vierten Blick – insbesondere auf den Fotos, wo er zum Fenster ins Tageslicht schaute – etwas Seltsames in seinem Gesicht: Obwohl sein Mund breit und freundlich lächelte, wirkten seine Augen traurig. Und damit meine ich, dass ich wegen dieser Augen langsamer ging und auf einmal tief Luft holen musste.

Da war dieser Mann mit seinem perfekten Körper und einem offenbar netten Leben … und lief mit diesen faszinierend traurigen Augen durch die Gegend. Solchen Augen, die einen magisch anziehen, packen, fesseln und komplett gefangen nehmen.

Sie raubten mir den Atem.

Irgendein absurder, tief schlummernder und lang unterdrückter Instinkt in mir wurde wach und wollte, dass ich zurück zum Restaurant lief und ihn in die Arme nahm. Mein Herz machte einen Satz. Ich wollte seine Traurigkeit mit Küssen verjagen … oder zumindest sein Leid ein wenig versüßen.

Ich riss mich zusammen und lief schnurstracks nach Hause, wo ich diese heftige, unpassende, instinktive Reaktion möglichst schnell vergessen wollte.

Die Kritikerin in mir nahm sich wieder das Foto vor und kam über die Zehenschuhe, das quietschgrüne Sportshirt und die Stretch-Shorts (Stretch!) nicht hinweg. Selbst die bestaussehenden Männer sollten wissen, dass solche Shorts außerhalb von Sportevents nichts zu suchen hatten.

Wirklich überhaupt nichts.

Trauer hin oder her, dieser Mann brauchte Hilfe.

Obwohl, dieser Stretch-Stoff betonte ganz gut …

Auf einmal wurde ich neugierig, und weil ich auch nur eine Frau bin, zoomte ich zwischen seine Beine.

Ja, schon gut, ich bin eine introvertierte Perverse, und ich entschuldige mich nicht dafür. Außerdem, wenn man mal drüber nachdenkt, ist eine introvertierte Perverse viel besser als eine extrovertierte Perverse. Vielleicht bin ich auch, weil ich jegliche physische Interaktion mit echten Menschen meide, ein kleines bisschen sexuell unterversorgt.

Aber nur ein kleines bisschen.

Ich lief am Portier vorbei in mein Wohnhaus, starrte weiter das Telefon an und musterte die Beule in den Laufshorts des Typen. Ich biss mir auf die Unterlippe, betrat den Aufzug und wählte ein anderes Foto an. Eines, auf dem er sich leicht zum Fenster drehte und nur halb in die Kamera blickte. Ich zoomte etwas näher heran.

»Was auch immer du dir da ansiehst, muss wirklich spannend sein.«

Ich schreckte auf, japste überrascht, balancierte die Essenstüte in meiner Hand und drückte das Smartphone an die Brust. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich nicht allein im Aufzug war.

Mein Mitfahrer betrachtete mich amüsiert, seine Lippen umspielte ein Lächeln. In den zusammengekniffenen blauen Augen lag Skepsis, aber von der gutmütigen Sorte. Es war mein sehr großer, sehr gut aussehender Nachbar, von dem ich nicht sicher wusste, ob er Single war – er hatte ständig Damenbesuch, aber nie war dieselbe Frau zweimal bei ihm.

Das konnte man ihm nicht verübeln, keineswegs. Ganz offensichtlich war er äußerst heiße Ware. Der tadellos geschnittene Designeranzug und die italienischen Lederschuhe zeugten von Erfolg und Kohle; er hatte ein kantiges Kinn und perfekt geschwungene Lippen, die strahlend weiße Zähne umrahmten, eine breite Nase, helle blaue Augen und stilvoll mit Gel in Form gebrachtes, kurzes blondes Haar. Er sah aus wie ein Typ, der in den Schönheitssalon geht. Ich war ziemlich sicher, dass seine Augenbrauen von einem Experten in Form gezupft worden waren.

Sein Alter schätzte ich auf Anfang dreißig; schwer zu sagen bei diesem metrosexuellen Äußeren. Körperlich erinnerte er mich an einen Radrennfahrer oder Marathonläufer – schlank und athletisch. Ein gepflegter Wolf im Wolfspelz, dem alle Schäfchen Manhattans hilflos ausgeliefert waren.

Nach zwei Sekunden Schockstarre brach ich den Bann seines leicht amüsierten Schlafzimmerblicks und blinzelte mehrmals, um mich in der mit Spiegeln verkleideten Liftkabine zu orientieren.

»Entschuldigung«, sagte er, klang aber nicht bedauernd. Ganz im Gegenteil, ich war mir recht sicher, dass er sich bemühte, nicht zu lachen. »Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe.«

Ich schüttelte den Kopf, drückte mein Telefon weiter an mich und starrte auf den Fußboden.

Wir schwiegen beide kurz, aber ich spürte seinen Blick auf mir. Ich sah zu der Anzeige über den vier Knöpfen, um zu erfahren, wie lange ich noch mit Mr Vielleicht-Single hier feststecken würde.

Zu meinem Entsetzen sprach er erneut. »Du bist Annie, oder?«

Ich nickte, schaute kurz zu ihm rüber und dann wieder auf die Anzeige.

»Ich bin dein Nachbar Kurt.« Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er sich ganz zu mir gedreht hatte und mir seine Hand entgegenstreckte.

Ich schaute ihn an, betrachtete sein freundliches, entspanntes Lächeln und seinen ebenso freundlichen, entspannten Blick. Dann schaute ich zu der Essenstüte in meiner rechten Hand und dem Smartphone an meiner Brust. Ich zog ernsthaft in Erwägung, einfach mit den Achseln zu zucken und nichts zu sagen.

Das Problem, wenn man ein Einsiedler ist, aber gut bezahlt wird, ist, dass man keinerlei Ansporn hat, sozialen Gepflogenheiten und Nettigkeiten nachzukommen. Meine Firma liebt mich (meistens jedenfalls), die Kunden lieben mich – sie lieben die Wunder, die ich vollbringe. Ich gehe selten in die Firma, nur mittwochs und freitags. Nicht, dass ich kein eigenes Büro dort hätte, ich arbeite nur eben lieber von zu Hause aus.

Ich habe keine Panikstörung oder so. Ich gehe raus, ich laufe jeden Tag fünf Meilen im Park, ich liebe das Naturhistorische Museum und gehe einmal pro Woche dorthin; außerdem halte ich mich an Orten auf, wo häufig Promis gesichtet werden, damit ich Bilder für meinen Blog schießen kann. Auf der Lauer zu liegen erfordert keine soziale Interaktion. Und ja, ich beobachte Menschen, aber ich habe früh gelernt, Neidgefühle beim Anblick von Szenen menschlicher Nähe – Grüppchen befreundeter Frauen, die innig vertraut den Nachmittag miteinander verbringen und Anteil am Leben der anderen nehmen, oder ein Liebespaar, das Händchen haltend durch den Park spaziert – zu unterdrücken.

Deshalb ist eine Woche, in der ich – persönlich – mit mehr als zehn Personen rede, eine überdurchschnittliche Woche.

Trotz allem gab es da einen Teil in mir, der sich gegen diese Form der Unhöflichkeit sträubte. Vielleicht zog ich es theoretisch in Betracht, eine schrullige Eremitin zu werden, aber in Wirklichkeit konnte ich mich nie mit dieser Rolle identifizieren. Also ordnete ich mein Zeug, steckte mein Smartphone – mit dem eindeutigen Bildausschnitt – in meine Tasche und reichte Kurt die Hand.

Doch es war nicht gerade ein kurzes Händeschütteln. Seine Finger schlossen sich fest um meine, bis ich zu ihm aufsah und meine Hand etwas entspannte. Sein Blick war erwartungsvoll, interessiert, sein Lächeln weich und überaus attraktiv. Ich war vorsichtig, weil beides offenbar mir galt.

»Freut mich sehr, Annie.« Es klang, als meinte er es ernst.

Ich erwiderte sein Lächeln, so gut ich konnte, und spürte, wie meine Augenbrauen die Stirn hinaufwanderten. »Ebenfalls, Kurt.«

»Wir sollten uns mal treffen. Einander kennenlernen.« Er sagte das ganz schnell, als befürchte er, ich könnte verschwinden, bevor er den Satz überhaupt beendet hatte.

»Ja.« Ich nickte und versuchte, ebenso aufrichtig zu klingen wie er. »Klar. Das sollten wir machen.«

Zum Glück öffnete sich der Aufzug. Ich nutzte diese Ablenkung, um meine Hand aus seiner zu lösen und aus der Kabine zu sprinten. Natürlich folgte er mir, wir wohnten auf der gleichen Etage.

»Weißt du, dass wir seit zwei Jahren nebeneinander wohnen und heute zum ersten Mal miteinander geredet haben?«, fragte er ganz locker mit einem Hauch Belustigung in der Stimme.

»Mhmm.« Das war alles, was ich darauf entgegnen konnte. Ich stellte mein Essen auf den Boden und suchte in meiner Tasche nach dem Schlüssel.

Ich wusste das. Aber ich hielt es nicht für so bemerkenswert. Er war ein attraktiver Playboy, der mehr Geld für eine Tube Feuchtigkeitscreme ausgab als ich für meine Jahresration an Pflegeprodukten.

Ich gab mir Mühe, eine unscheinbare, genügsame Einsiedlerin zu sein. Die Chancen, dass wir in den gleichen Kreisen verkehrten oder ähnliche Interessen hatten, standen schlecht. Grottenschlecht. Warum sollte man mit jemandem reden, mit dem man nichts gemeinsam hatte? Wozu würde das führen, wenn nicht zu einem schrecklich verkrampften Gespräch?

Endlich hatte ich die Tür aufgeschlossen, steckte den Schlüssel zurück in meine Tasche und nahm die Essenstüte in die Hand. Kurt glitt an meine Seite und lehnte sich an die Hauswand. Wieder lag sein Blick auf mir. Statt ihn zu ignorieren und in meine Wohnung zu flüchten, drehte ich mich leicht in seine Richtung und winkte ihm zu.

»Tja, ich werde jetzt reingehen und das hier essen.« Ich hielt die Tüte wie einen Beweis hoch. »Bis dann.«

»Wir sollten mal unsere Telefonnummern austauschen« – er strahlte mich an und griff in die Hosentasche, um sein Smartphone hervorzuholen – »damit wir uns zum Essen verabreden können.«

Mein Lächeln verzog sich zu einer skeptischen Grimasse, ich starrte ihn an, und bevor ich es mir verkneifen konnte, erwiderte ich: »Meinst du das ernst?«

Kurt grinste schief. »Klar meine ich das ernst. Wenn es ums Essen geht, mache ich keine Witze.« Das sagte er so sanft, wie es sich für einen Experten in Sachen Schäkern und Flirten gehört. Mein Herz machte einen abrupten Satz und galoppierte dann wild los. Es war eine Sache, im Aufzug mit meinem gut aussehenden Nachbarn zu plaudern, wenn ich sicher war, dass daraus nicht mehr wurde. Aber es war eine ganz andere Sache, meinem unverschämt gut aussehenden Nachbarn meine Nummer zu geben und somit auch die Erlaubnis, mich wegen eines gemeinsamen Essens zu kontaktieren.

Das konnte ich nicht machen.

Das ging nicht.

Meine Tischmanieren waren furchtbar. Mir hatte das nie jemand beigebracht.

Ich war eine Niete, wenn es um Small Talk ging, am Ende sagte ich dann meist gar nichts mehr, sondern wurde nur knallrot.

Häufig fluchte ich wie ein Bauarbeiter.

Mein herzförmiges Gesicht ist durchaus hübsch, das wusste ich. Als Kind hatte man mir das oft genug gesagt – alle erinnerten mich ständig daran, wie glücklich ich mich schätzen könne, so ein hübsches Gesicht zu haben. Meine Augen sind groß und hellbraun, eingerahmt von dichten Wimpern. Meine Nase ist süß und passt zu meinen Zügen, ich habe hohe Wangenknochen, volle Lippen, und mein Kinn ist so hinreißend wohlgeformt.

Deshalb bestand meine Garderobe aus schwarzen, grauen oder braunen Hosen, Röcken und Strumpfhosen sowie aus übergroßen schwarzen, grauen oder braunen Pullis.

Ich wollte mit dem Hintergrund verschwimmen. Das war Absicht. Die Kleidung, das fehlende Make-up, die unscheinbare Frisur, meine stille, zurückgezogene Art – all das reichte vollkommen aus, um jegliches Interesse an mir zu vermeiden.

Hilflos und überfordert starrte ich auf sein Smartphone, ich war ganz durcheinander und hatte Angst. Einen Augenblick lang hoffte ich, dass er »Nur Spaß!« sagen würde.

Aber das tat er nicht. Stattdessen schaute er mir in die Augen. Dann wanderte sein Blick über mein Gesicht und wieder zurück zu meinen Augen – er war immer noch genauso entspannt und freundlich wie vorhin – und ich war wie gelähmt.

Sein Lächeln wurde breiter. »Du bist echt zu süß …« Es klang, als spräche er mit sich selbst.

Ich setzte zu einer Antwort an, wich zurück, meine Wimpern zitterten angesichts dieses unerwünschten Kompliments, und ich wurde vollkommen panisch. Ich schaute überallhin, nur nicht zu ihm, stürmte in meine Wohnung und gab ihm nur schnell noch eine lahme Antwort: »Äh, mein Telefon ist kaputt oder muss repariert werden, oder ich hab’s verloren, also gebe ich dir meine Nummer später, wenn’s wieder funktioniert oder ich es gefunden hab. Aber war echt nett, dich kennenzulernen. Tschüss.«

Und mit diesen Worten schlug ich Kurt die Tür vor der Nase zu.

New York’s Finest

Blog von *The Socialmedialite*

8. März

Wenn Sporty Spice einen Hobbit heiratet, einen Dreier mit einem irischen Kobold hat und dann ein attraktives, aber irgendwie bizarres Kind gebärt (Vater unbekannt).

Ratet mal, wer diese Woche in sämtlichen Synthetikmaterialien gesichtet wurde, die uns die chemische Verfahrenstechnik geschenkt hat, und dabei ebenso heiß wie lächerlich ausgesehen hat? Niemand Geringeres als Colin Farrell (oder sein Doppelgänger), und zwar in der Nähe vom Village. Offenbar kann ihn niemand leiden. Denn Freunde würden einen Freund nicht so auf die Straße lassen (außer es geht um Rollenspiele oder um irgendwelche versauten Bettfantasien). Schaut euch die Bilder weiter unten an, dann versteht ihr mein Entsetzen angesichts der Tatsache, dass jemand freiwillig quietschgrüne Stretch-Laufshorts aus Lycra trägt. Die einzige Erklärung, die ich dafür habe, ist, dass er betrunken war (ihr wisst ja, wie sehr diese Iren an ihrem Whiskey hängen … und ihrem Bier … und jedem anderen alkoholischen Getränk).

Über die hautengen Lycrashorts hätte ich ja hinwegsehen können, nicht aber über die abgedrehten Schuhe. Zehenschuhe gehen gar nicht. Sie sind total seltsam und verstörend und wirklich, wirklich nur was für Wichtigtuer. Nur nebenbei: Falls ihr auch wie ein Hobbit aussehen wollt, dieses Zehenschuh-Modell kostet euch 635 $! Wirklich wahr! Für nur lächerliche sechshundertfünfunddreißig Dollar könnt auch ihr wie ein kleiner verschrobener Hobbit aussehen!!! What the fuck?

Und – der Vollständigkeit halber: Colin sollte in einen Hodenschutz investieren. Ja, ich sehe schon ab und an gern eine gewisse Wölbung, aber die hier kam eher einer versteckten Waffe gleich. Wenn er weiter in diesen Stretch-Shorts herumläuft, braucht er sich nicht wundern, wenn er ständig begrapscht wird. Herrje, wenn ich näher dran gewesen wäre, hätte ich bestimmt selbst einmal zugepackt. Oder nicht, Ladys? Ihr wisst ja, wie gern ich Würstchen mit Kartoffelbrei mag, und es gibt schließlich nichts Irischeres als Würstchen!

Booyah!

The Socialmedialite