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BEN BAUHAUS
Blutschach
Ein Johnny Thiebeck Thriller
Ein tödliches Spiel …
Seit Hauptkommissar Johannes „Johnny“ Thiebeck vom Dienst suspendiert ist, widmet er sich mit Leidenschaft dem Schachboxen. Als in seinem Auto eine Leiche auftaucht, wird Johnny in eine Mordserie verstrickt. Der Täter hat es auf Johnnys Freunde und Verwandte abgesehen. Aber was ist sein Motiv, und wie kann man ihn stoppen? Während Johnny versucht, den Mörder zu finden, eröffnet dieser eine perfide Partie Schach – denn jede verlorene Figur bedeutet ein weiteres Opfer …
eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung.
Während ich die wenigen Stufen zur Haustür hinaufstieg, konnte ich zwei Gestalten erkennen, die aus dem Hinterhof in die Tordurchfahrt und auf mich zu traten. Ihre Umrisse wurden von der gleißenden Sonne im Hof scharf gezeichnet, aber in ihren gesichtslosen Silhouetten konnte ich unschwer einen Mann und eine Frau erkennen. Ohne die beiden weiter zu beachten, steckte ich den Schlüssel ins Schloss.
Es war der Mann, der mich ansprach.
»Johannes Thiebeck?«
Diese Stimme erkannte ich sofort, und mit ärgerlich verzogenem Gesicht blaffte ich die Frau an: »Was soll der Scheiß, Jana?« Den Kerl ignorierte ich.
Trotzdem war er es, der weiter mit mir redete.
»Herr Thiebeck, Sie erinnern sich sicherlich an mich. Mein Name ist Kriminalhauptkommissar Mirko Densch von der Mordkommission. Meine Kollegin Frau Kleidermann kennen Sie ja. Wir müssten Ihnen ein paar Fragen stellen, Herr Thiebeck.«
Ich schloss auf und trat in das kühle Treppenhaus. Bevor die Tür zuschwingen konnte, folgten mir die beiden Kommissare und gingen hinter mir die Treppe hinauf.
»Wäre es Ihnen lieber, wenn wir Sie mit aufs Präsidium nähmen?«
Ich drehte mich ruckartig um. Densch stand zwei Stufen tiefer und zuckte erschrocken zusammen. Nicht nur, dass ich ihn um fast zwanzig Zentimeter überragte und seine Körpermasse um knappe dreißig Kilo übertraf, jetzt stand ich auch noch höher als er und sah auf ihn herab. Er schluckte.
Ich ließ mir meine Befriedigung nicht anmerken und sagte grollend: »Lassen Sie das Theater, Densch. Ich nehme Sie mit hoch, biete Ihnen und Jana einen Kaffee an, oder Tee, falls Ihr Kreislauf kein Koffein verträgt, und gebe Ihnen fünf Minuten. Dann schmeiße ich Sie raus. Bis dahin verzichten wir auf den Klamauk, in Ordnung?«
Densch starrte mich an. Ich nickte, und wir gingen hoch. Gemeinsam, schweigend, hintereinander.
Oben betraten wir meine Wohnung. Mit einem Nicken deutete ich in Richtung der sonnendurchfluteten Küche, deren Tür weit offen stand. Ich folgte den beiden, und während sie sich auf zwei der Küchenstühle setzten, machte ich mich daran, den Kaffeeautomaten zu bestücken. Nacheinander holte ich drei große Kaffeetassen aus dem Regal und schüttete neue Bohnen in die Maschine.
»Wo waren Sie gestern zwischen zehn und zwölf Uhr abends, Herr Thiebeck?« Densch hatte offenbar nicht vor, den formellen Quatsch zu lassen.
Ich hatte keine Ahnung, warum die beiden hier waren, und noch weniger verstand ich, warum Jana nicht allein gekommen war. Sie hätte mir den Idioten vom Hals halten müssen, das wäre sie mir nach unserer gemeinsamen Zeit schuldig gewesen.
Ich betrachtete Densch, der am Tisch saß und die Hände gefaltet hatte, als würde er beten. Er besaß lockiges Haar, das bereits schütter zu werden drohte – anders als meine eigenen, immer noch dichten Haare, die ich halblang trug. Jana hatte mich öfter gedrängt, sie mir kurz schneiden zu lassen.
»Die werden langsam grau«, hatte sie gesagt. »Das sähe toll aus, kurz. Jetzt siehst du aus wie ein Zuhälter aus Moa-
bit.«
»Zuhälter ist gut. Das nehme ich«, hatte ich damals geantwortet.
Das Mahlwerk des Automaten dröhnte. Ich schüttete Kekse aus einer Tüte auf einen Teller und reichte ihn Jana. Mit einem Lächeln strich sie sich die glatten, blonden Haare aus dem Gesicht und stellte den Teller auf den Tisch.
»Gebäck. Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut, Herr Thiebeck.«
Ich ignorierte Denschs Spitze und starrte hinaus auf den betonierten Hinterhof, den jede Menge Risse durchzogen, als hätte ihn jemand aus großer Höhe in den Wedding geworfen. Mein Fenster wurde von dichten Kletterpflanzen umrahmt, die mit ihrem satten Grün einen Gegensatz zu der Betonwüste unten bildeten. Zusammen mit dem direkten Sonnenlicht machten sie die Küche zu einem der behaglichsten Plätze in einer ansonsten spartanisch eingerichteten Wohnung. Jana hatte es früher geliebt, hier zu sitzen. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn sie bei mir zu Hause gewesen war. Es musste auch für sie komisch sein, jetzt hier zusammen mit Densch als Ermittlerpärchen zu sitzen.
»Noch mal: Wo waren Sie gestern zwischen zehn und zwölf Uhr abends, Herr Thiebeck?«
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Wo ist Ihr Auto?«
Ich runzelte die Stirn. Langsam verwandelte sich mein Ärger in Sorge. Densch kam mir vor wie ein Gegner in einer meiner zahlreichen Schachpartien, die ich online spielte. Einer, der sich langsam, aber bestimmt in einer Eröffnung vortastete, die ich unruhig zu lesen versuchte, um zu verstehen, wo genau der eigentliche Angriff erfolgen wird.
»Sie wissen doch, dass ich es als gestohlen gemeldet habe, Densch.« An Jana gewandt fügte ich hinzu: »Warum interessiert sich die Mordkommission für mein gestohlenes Auto?«
»Sagen Sie es uns.«
»Mann, Densch, Sie können es nicht lassen, oder?« Ruhiger fragte ich: »Was ist mit meiner Karre?«
Jana antwortete: »Wir haben deinen Wagen gefunden.«
»Sie haben das Fahrzeug vor drei Tagen abends um halb sechs als gestohlen gemeldet, richtig?« Densch sah in seine Aufzeichnungen.
»Richtig. Es ist unten an der Flughafenstraße in Neukölln geklaut worden.«
Densch nickte, das stimmte offenbar mit seinen Angaben überein. Er blätterte mehrere Zettel seines Notizblocks vor und zurück. Ich seufzte und setzte mich auf den freien Stuhl am Kopfende, stützte die Ellbogen auf den Tisch und rieb mir mit beiden Händen übers Gesicht. Durch die Finger sagte ich: »Und wenn ihr zwei Hübschen jetzt hier bei mir sitzt, heißt das messerscharf gefolgert, dass jemand gestorben ist, korrekt? Und dass das irgendwas mit meinem Wagen zu tun hat.« Ich ließ die Arme sinken. »Wer ist es?«
»Gestern zwischen zehn und zwölf? Wo waren Sie da?«
»Der Kerl geht mir echt auf die Eier, Jana.«
»Beantworte einfach seine Frage, Johnny.«
Ich zögerte. Die Tatsache, dass Jana das Ganze offenbar ebenfalls ernst nahm, verunsicherte mich. Normalerweise nannte sie mich nicht Johnny. Damit wollte sie mir vermutlich klarmachen, dass sie sich nicht vollständig auf der Gegenseite befand. Was immer das heißen mochte. Ihre verkrampfte Haltung dort am Tisch zeigte mir, wie gerne sie jetzt woanders gewesen wäre.
Ich sah sie einen Augenblick lang an und traf dann eine Entscheidung. Für den Moment würde ich ihr Spiel mitspielen, egal wie absurd es mir erschien. »Im Box-Gym, beim Training.«
»Um die Uhrzeit? Ach richtig, Sie gehen ja keiner geregelten Arbeit mehr nach.«
Ich ignorierte den Hieb unter die Gürtellinie und zuckte mit den Schultern. »Fragen Sie meinen Partner, meinen Coach und noch ein halbes Dutzend anderer Kerle. Wir sind um zehn vor zwölf oder so aus dem Gym weg. Das heißt, bis auf die paar Minuten vor Mitternacht habe ich ein Alibi.«
»Sagt Ihnen der Name David Kierran etwas?« Densch sprach den Nachnamen englisch aus, er führte weiterhin durch die Befragung.
War Jana bloß mitgekommen, um zu verhindern, dass Densch und ich uns an die Gurgel gingen? Ich verdrängte den Gedanken.
»Ist das der Tote? Kierran? Wie ist er gestorben?«
»Beantworten Sie einfach die Frage, in Ordnung?«
Ich seufzte. »Nein, der Name David Kierran sagt mir nichts. Nie gehört von dem Mann. Wo haben Sie den Wagen gefunden?« Mein Tonfall wurde dunkler, drohender. Viel von meiner ohnehin sparsamen Geduld war nicht mehr übrig. Jana kannte meine kurze Leitung, sie hatte oft genug unter meinem Temperament zu leiden gehabt.
»In Treptow. Direkt am Park, in der Nähe des Sowjetischen Ehrenmals.«
Ich stand auf und sah nach dem Kaffee. Wechselte die Tasse aus, blieb neben der Maschine stehen. Nach und nach stellte ich die drei Kaffees auf den Tisch. Jana bedankte sich, Densch ignorierte seine Tasse. Mit intensivem Blick musterte er weiter mein Gesicht, als könnte er mich auf diese Weise zu einer unüberlegten Äußerung veranlassen, die seinen Fall möglichst schnell abschloss. Ich setzte mich wieder. Jana beobachtete mich mit zusammengezogenen Augenbrauen, wartete ebenfalls auf eine Reaktion.
Ich schüttelte unwillig den Kopf. »Die Sache mit dem Wagen hat von Anfang an keinen Sinn gemacht. Ich meine, das ist ein uralter Ford, den klaut keiner. Jedenfalls keiner, der nicht Gelegenheit gehabt hat, unter die Haube zu schauen.«
Jana nickte. Sie kannte meine Faszination für das Schrauben an Autos. Zusammen mit Robert, dem Maschinenbauer aus dem Hinterhaus, hatte ich endlose Stunden unter, in und über der Karre verbracht.
»Was genau meinen Sie?« Densch warf seiner Kollegin einen irritierten Blick zu. Er verstand den stummen Dialog zwischen uns nicht.
»Das Auto sieht nach nichts aus. Nach einer alten Kiste, ein 74er Ford Granada. Aber wer Bescheid weiß, wer eine Ahnung davon hat, was ich mit dem Wagen alles gemacht habe … der weiß, was er wert ist.«
Densch schien endlich zu verstehen. »Sie haben sich Sorgen gemacht, dass Sie den Täter kennen? Den, der das Fahrzeug entwendet hat?«
Ich nickte. »Wenn Sie mir jetzt erzählen, dass da jemand drin gestorben ist, ergibt das Ganze plötzlich einen Sinn. Für einen Mord ist scheißegal, wie die Karre aussieht. Oder wie schnell sie noch fährt. Da ist bloß wichtig, dass man sie fix aufbekommt.« Ich sah Densch an. »Kierran … was war das für ein Kerl?«
Densch zögerte. Er schien zu überlegen, ob er überhaupt antworten sollte. Dann sah er Jana an. Diesmal raffte ich den wortlosen Austausch nicht.
Langsam sagte er: »Ein Controller. Ende zwanzig, mit einem kleinen Kind.«
»Ein was?«
»Controller. Erbsenzähler. Buchhalter.«
»Ah.« Ich zögerte. »Wie schlimm ist es?«
Densch verstand nicht. Er verzog bloß verwirrt das Gesicht. Es war Jana, die antwortete: »Nichts Wildes. Keine Sauerei.«
»Macht der Kerl sich etwa Sorgen um sein Auto?« Densch stutzte. Sein Kopf zuckte herum, starrte mich an. »Sie sind wirklich das ignorante und abgestumpfte Arschloch, von dem mir alle erzählt haben. Da wird ein Mensch umgebracht, und Sie sorgen sich um die Kunstlederbezüge in Ihrer Macho-
Karre.«
»Kunstleder?« Ich schnaubte. »Mann, Densch, machen Sie hier nicht einen auf Gutmensch. Ich kannte den Kerl nicht. Möglicherweise hatte er es sogar verdient.« Ich hob hilflos die Hände. »Vermutlich nicht. Ist aber auch egal, es spielt keine Rolle, verstehen Sie? Sein Tod ergibt nicht mehr oder weniger Sinn, nur weil mir dabei mein Auto versaut wurde. Schlimm genug, dass Sie das Teil jetzt ewig in der Verwahrung haben werden und dass die Tür vermutlich aufgehebelt wurde.« Ich machte eine Bewegung mit beiden Händen, Arme offen ausgestreckt, die mein Bruder italienische Geste nannte. »Entschuldigen Sie bitte, wenn sich mein Mitgefühl für einen mir komplett unbekannten, kleinen Buchhalter in Grenzen hält.«
Die beiden Kommissare starrten mich an.
»Was?«, wollte ich ungehalten wissen. Das Getue ging mir auf die Nerven.
Diesmal war es Jana, die antwortete: »David Kierran war …«
Densch fiel ihr grob ins Wort. »Wie heißt Ihr Trainer, Thiebeck? Ihr Box-Coach?«
Mein Blick wanderte von ihr zu ihm. »Emil-Schlemihl.« Ich verzog das Gesicht zu einem Lächeln. »Emil Bremer. Oder einfach Coach«, fügte ich hinzu.
Keiner der beiden lächelte zurück.
»Weißt du, wie sein Sohn heißt? Mit Nachnamen?«, wollte Jana wissen.
Ich zögerte. »Keine Ahnung. Nicht Bremer?« Ein ungutes Gefühl breitete sich in meinem Magen aus, als sich Densch aufstützte und nach vorne lehnte. Ich konnte die Befriedigung, die aus dem geleckten Penner pulsierte, förmlich spüren.
»Der Sohn Ihres Trainers, Herr Thiebeck, hieß vor seiner Heirat Bremer. David Bremer. Genau wie sein Vater.«
Ich reagierte nicht sofort, hatte es allerdings kommen sehen: Ab dem Moment, als Densch angefangen hatte, langsam zu sprechen und mich mit seinem Blick zu fixieren, hatte ich geahnt, dass er zum Schlag ansetzte.
Manchmal im Ring passiert einem so ein Ding. Da sieht man das Zucken des anderen, den Ansatz der Bewegung, und weiß, welchen Weg seine Faust nehmen wird. Man weiß, dass man die Arme hochbringen muss, die Deckung. Aber man ist nicht schnell genug, und lange bevor der Handschuh am eigenen Kiefer oder der Schläfe einschlägt, ahnt man bereits, was passieren wird. Ich hasste diese Momente, diese Hilflosigkeit.
»Bremer?« Meine Stimme schob sich merkwürdig fremd zwischen trockenen Lippen hindurch. Ich unterdrückte den Reflex, sie mit der Zunge zu befeuchten. »Sie haben seinen Sohn umgebracht?«
Ich kannte David – Davie, wie ihn der Coach genannt hatte. Und ich hatte auch bereits den Enkel von Emil-Schlemihl kennengelernt, an einem Sonntagnachmittag im Gym. Da hatte der Alte uns, seinen Schützlingen, offiziell den Nachwuchs vorgestellt. ›Stolz wie Oskar‹, hatte Schmolli festgestellt. Vage erinnerte ich mich daran, dass Davie eine Amerikanerin geheiratet hatte, Susan.
Davie kümmerte sich im Gym um die Strategie. Er war derjenige, der ausarbeitete, welcher von unseren Boxern gegen wen antreten würde. Der sich darum kümmerte, eine möglichst lückenlose Analyse des Gegners zu erarbeiten. Sein Vater war die Praxis, er die Theorie.
»Fuck!«, drückte ich heraus. In mir begannen sich Hilflosigkeit, Verwirrung und Frustration über das Gespräch mit den beiden in Wut zu verwandeln. »Was für eine abgewrackte Scheiße!« Meine geballte Faust knallte auf den Tisch.
Densch zuckte ebenso zusammen wie Jana. Ich schob beide Hände, die Finger ineinander verschränkt, hinter den Kopf und zog daran. Als könnte ich mir auf diese Weise den eigenen Kopf abreißen. Um nicht mehr denken zu müssen.
»Was ergibt das alles für einen Sinn?«, fragte ich schließlich. Hilflos. Mir war es egal, dass Densch mich so sah. Ich war in der Lage, den Idioten aus Hannover komplett auszublenden. Als gäbe es ausschließlich mich und Jana in meiner sonnendurchfluteten Küche.
Sie schüttelte den Kopf. Hatte keine Antworten für mich.
»Sie verstehen sicherlich, dass uns das Ganze ebenfalls merkwürdig vorkommt. Emil Bremer hat seinen Sohn das letzte Mal gestern Nachmittag gesehen. Von seiner Frau hat David sich morgens auf dem Weg zur Arbeit verabschiedet. Sie hat ihn zum Abendessen zurückerwartet. Als er nicht kam, hat sie erst in der Firma, dann beim Vater und schließlich bei der Polizei angerufen.«
»Wann hat man ihn gefunden?« Meine Stimme klang so matt, als befände ich mich in der zwölften Runde und würde bloß noch auf den Gong hoffen.
»Heute Morgen, gegen halb sieben. Es waren zwei Arbeiter, die an dem Wagen vorbeigekommen sind.«
Meinem Wagen, dachte ich, sagte aber nichts und nickte bloß. Im Nachhinein zerrte das Spielchen von Densch noch mehr an meinen Nerven. Warum war der Arsch nicht gleich mit der Sprache herausgerückt, statt mich so herumeiern zu lassen?
Densch griff in seine Jacke. »Vielen Dank, Herr Thiebeck. Falls …«
Ich unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Ich weiß, ich weiß. Falls mir noch etwas einfällt, wende ich mich sicher nicht vertrauensvoll an Sie, sondern rede mit Jana. Ihre Karte können Sie behalten, Densch, ich brauche Ihre Nummer nicht. Und ja, ich halte mich ›zu Ihrer Verfügung‹. Ist das alles?«
Der Hauptkommissar zögerte, nickte und warf Jana einen Blick zu. Die beiden erhoben sich. Densch wollte um den Tisch herum, aber ich versperrte ihm den Weg. Für einen Augenblick starrte er bloß auf meine Brust und weigerte sich, aufzusehen. Ich hatte kein schlechtes Gewissen wegen solch pubertärer Machtspielchen – dafür hatte er sich in meiner Küche zu sehr als King aufgespielt.
Als ich keine Anstalten machte, den Weg freizugeben, sah er schließlich hoch. Endlich schob ich mich zur Seite und ließ ihn durch.
Draußen im Treppenhaus zögerte Jana. Sie sah Densch an, der bereits ein paar Stufen hinuntergestiegen war, und sagte: »Ich komme gleich. Geh schon vor, Mirko, ja?«
Densch schien zu überlegen, den Unterkiefer mürrisch vorgeschoben. Offenbar würde er nichts lieber tun, als ihr genau das zu untersagen. Schließlich nickte er und ging.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf die Frau, die fünf Jahre lang meine Partnerin beim LKA gewesen war. Genauso, wie sie jetzt Denschs rechte Hand war. Sie sah müde aus. Nicht so strahlend und frisch wie sonst.
Ich hatte ihr früher oft Komplimente gemacht, all die Jahre, die wir zusammengearbeitet hatten. Nicht, weil ich etwas von ihr wollte, sondern weil sie es gebrauchen konnte. ›Johnny Thiebeck macht keine selbstlosen Komplimente‹, sagte man mir nach. ›Bloß, wenn er damit etwas erreichen will.‹
Nicht bei Jana. Sie sah umwerfend aus, aber sie selbst kam sich oft unscheinbar und langweilig vor. Deswegen wehrte sie Komplimente meist ab, als würde sie keine verdienen. Das war mir damals immer ungerecht vorgekommen.
»Alles in Ordnung?«, wollte sie unvermittelt wissen.
Ich nickte. »Im Moment schon. Aber frag mich noch mal, wenn ich mit dem Coach gesprochen habe. Scheiße.«
»Wenn dir noch was einfällt, gibst du mir Bescheid, ja?«
»Klar.«
»Kann ich mich darauf verlassen, Johannes? Wirklich?«
Ich verzog das Gesicht, machte Anstalten, die Arme auszubreiten, als hätte sie mich in meiner Ehre gekränkt. Italienische Geste.
»Entschuldigung.« Sie sah zu Boden. »Reiner Reflex«, fügte sie mit einem Lächeln hinzu, als sie erneut aufsah. »Du bist eifersüchtig, oder?«
Eigentlich wollte ich lachen und sagen: ›Ach Quatsch, auf den Affen?‹ Aber das konnte ich nicht. Ich konnte Jana nicht belügen. Deswegen nickte ich bloß. Ich war eifersüchtig auf die Vertrautheit zwischen den beiden, auf ihre Zusammenarbeit und die Zeit, die sie gemeinsam verbrachten. Früher waren es Johnny und Jana gewesen. Heute dann wohl Mirko und Jana.
Jetzt zogen sich ihre Brauen ärgerlich zusammen. »Ich kann nichts dafür, dass ich mit Mirko zusammenarbeite. Er hat dich nicht ans Messer geliefert, und ich auch nicht. Ich bin nicht dafür verantwortlich, dass sie ihn mir vor die Nase gesetzt haben. Also hör verdammt noch mal auf, mir deswegen böse zu sein.«
»Densch. Der Penner heißt Densch, Jana. Nicht Mirko.«
Sie lächelte wieder. »Für ihn haben sie noch keinen Spitznamen.«
Jetzt musste ich ebenfalls grinsen. Für mich hatten sie sofort ein halbes Dutzend gehabt: Johnny Thiebeck. Das Tier. Der Berg. King Kong. Und ich hatte Dienstaufsichtsbeschwerden gesammelt wie andere Leute Flugmeilen. Beschwerden, die zu meinen Spitznamen passten.
»Er ist ein guter Polizist. Mirko weiß, was er tut. Ich arbeite gern mit ihm zusammen.«
»Aber nicht so gern wie mit mir, oder?«
Noch ein Lächeln, diesmal leicht tadelnd. »Er ist nicht halb so anstrengend wie du.«
»Genau.« Ich grinste breit. »Ich Tarzan, du Jana.«
Sie musste lachen, wurde aber gleich wieder ernst. »Johannes, ich hab ein ganz mieses Gefühl bei der Sache. Nimm das nicht auf die leichte Schulter, okay? Nicht wie sonst alles. Irgendwas stimmt bei der Geschichte nicht.«
Ich unterdrückte den Reflex, noch einen Witz zu machen, weil ich wieder an Davie dachte. Stattdessen fragte ich: »Wie hat man ihn umgebracht?«
Jana sah nach unten, die Treppe hinunter. Das war nicht die selbstbewusste, kompetente Frau, mit der ich zusammengearbeitet hatte.
Sie schien sich zu einer Entscheidung durchzuringen, atmete tief durch und sagte: »Man hat ihn betäubt. Es ist keine äußere Gewalteinwirkung zu erkennen.« Ein Zögern. »Und dann wurde sein Kopf in Lack getaucht.«
Ich verzog das Gesicht. »In Lack ersäuft?«
Jana zuckte mit den Schultern. »Sieht so aus. Genaueres wissen wir erst nach der Obduktion.« Sie wandte sich ab, um zu gehen.
Als sie sich bereits auf dem nächsten Absatz befand, rief ich ihr nach: »Welche Farbe?«
»Schwarz!«
Damit war sie verschwunden. Tief in Gedanken versunken, schob ich die Wohnungstür zu und lehnte mich kurz mit der Stirn gegen das Holz. Der kleine Davie! Fassungslos ging ich zurück in die Küche, um drei volle Tassen Kaffee in die Spüle zu schütten, und warf einen weiteren Blick nach draußen in den unbelebten Innenhof. Ich hatte keine Ahnung, mit wie vielen Mordopfern ich im Laufe der Jahre zu tun gehabt hatte, aber Davie war das erste von ihnen, das ich persönlich gekannt hatte.
Welchen Sinn ergab das? Wer hatte einen Grund, einen frischgebackenen Familienvater zu töten? Fassungslosigkeit drohte, mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen, mich dort unten auf den zersprungenen Beton stürzen zu lassen. Mit zusammengepressten Augen drückte ich die Handflächen gegen das warme Glas, als wollte ich die Scheiben nach außen stemmen. Die Mixtur tief in mir drin konnte ich nicht richtig deuten – was war das? Trauer, Sorge, Verzweiflung? Oder einfach bloß Wut?
Ich betrachtete das Box-Gym von außen. Nichts deutete darauf hin, dass es sich nicht um ein weiteres heruntergekommenes und leer stehendes Gebäude hier im Wedding handelte. Bis auf das gesprühte Graffiti-Logo, das Eingeweihten mit viel Fantasie vom Gym kündete: Es zeigte den Schlemihl aus der Sesamstraße mit zwei dicken Boxhandschuhen. Miro, einer der Schützlinge des Coachs, hatte es vor zwei Jahren dort oben über den Eingang gesprüht.
Ursprünglich war ich damals hergekommen, weil die Boxhalle bloß fünf Minuten zu Fuß von meiner Wohnung entfernt lag. Dann hatte mich Coach Emil Bremer nicht nur im Boxen unterrichtet, sondern mich auch in die Welt des Schachboxens eingeführt. Seitdem hatte ich mich dem Alten mit ganzer Seele verschrieben.
Kraftlos hob ich die Hände und rieb mir übers Gesicht. Dann gab ich mir einen Ruck – scheißegal, wie lange ich hier draußen herumhing, der Gang nach drinnen würde mir nicht erspart bleiben. Ich konnte es genauso gut sofort hinter mich bringen. Mit einem Blick zur Seite überquerte ich die Straße und betrat das Gebäude.
Die Halle lag vollkommen verlassen da. Durch blinde Fenster in vier, fünf Metern Höhe presste sich diffuser Sonnenschein herein, und überall in der Luft schien Staub zu tanzen, träge und in Zeitlupe, wie vorzeitig gealterte und vollgefressene Ballerinen, denen die Männer, die hier sonst trainierten, an diesem Tag den Raum überlassen hatten. In der Mitte befanden sich zwei große Boxringe, darum herum große Freiflächen. An der linken Wand hingen das halbe Dutzend Boxbirnen, direkt dahinter die massiven Aufhängungen mit ihren Sandsäcken. Rechts die Schränke mit Hanteln, Sprungseilen und Gewichtsmanschetten. Dann der Durchgang zu den Umkleiden, den Duschen und dem Büro des Coachs.
Ich konnte niemanden sehen. Langsam ging ich auf den Durchgang zu und horchte. Kurz darauf stand ich im Eingang des leeren Büros. Ich überlegte. Die Außentür war unverschlossen gewesen, also musste sich jemand im Gebäude befinden. Emil-Schlemihl. Der Coach war immer hier.
Ich ging langsam den Gang hinunter, bis ich in die Umkleide sehen konnte. Der Coach hockte auf einer der Bänke, vornübergebeugt, das Gesicht auf die Hände gestützt.
Ich kam langsam näher, behutsam, um ihn nicht aufzuschrecken, und setzte mich neben ihn. Ich sagte nichts. Für eine ganze Weile hockten wir einfach da. Der alte Mann zeigte keinerlei Reaktion.
Endlich richtete er sich langsam auf, drehte sich zu mir um und starrte mich an. Seine Augen waren blutunterlaufen. »Ich habe die anderen weggeschickt.«
Ich nickte.
»Hätte ihnen heute nichts beibringen können. Das verstehst du, oder?«
Noch ein Nicken.
Der Coach redete weiter wie benommen, als wüsste er nicht mehr, wem er gegenübersaß. Oder wo er sich befand.
»Das ist der erste Tag seit fünfzehn Jahren, dass das Gym still ist.« Er schnaubte. »Meine Frau hat mir nie verziehen, dass ich nicht mal zu Davies Hochzeit und zur Geburt vom kleinen Joey zugemacht habe.« Der Coach richtete erneut den Blick auf mich. Er sah aus, als müsste er sich konzentrieren. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er mich wirklich wahrnahm.
»Ich meine, ich war da. Nicht hier. Schmolli hat das Training geleitet.« Langsam schüttelte er den Kopf. »Aber nicht heute. Nicht heute.« Den letzten Satz flüsterte er bloß noch.
Zögernd legte ich ihm die Linke auf die Schulter. Sein Kopf ruckte zur Seite, um mich intensiv anzustarren.
»Davie ist nicht mehr da, Johnny. Er ist weg. Einfach so.«
Irgendwie hatte ich nicht damit gerechnet, dass der Coach mich überhaupt erkennen würde. Vorsichtig klopfte ich meinem Mentor auf den Rücken. Wie man das eben macht, unter Männern. Was zum Teufel hätte ich sonst tun sollen?
»Ich weiß, Coach. Die Bullen waren bei mir.«
Die Brauen über den blutunterlaufenen Augen zogen sich zusammen, er musterte mich. »Was wollten die von dir?«
Ich räusperte mich. »Die haben Davie in meinem Wagen gefunden.«
Emil Bremer schüttelte träge den Kopf, als käme der Gedanke überhaupt nicht bei ihm an. »In deinem Auto? Wieso?«
»Der Ford ist vor ein paar Tagen gestohlen worden. Ich habe das gemeldet. Und vorhin war das LKA bei mir. Sie haben mir erzählt, dass sie den Wagen in Treptow gefunden haben. Mit Davie drin.«
Mit schimmernden Augen sah der Coach mich an. »Was noch?«, wollte er heiser wissen. »Was haben sie noch gesagt?«
»Nichts.«
Er schüttelte den Kopf. »Sie haben dir gesagt, wie er gestorben ist, oder?«
Ich antwortete nicht, sondern starrte auf ihn hinunter. Mit gebeugtem Kopf saß er neben mir, und ich betrachtete die kahle Stelle mitten in seinen wirren Haaren. Plötzlich schob er sich zur Seite, auf mich zu, und ich erschrak, weil ich das Gefühl hatte, er würde stürzen. Stattdessen lehnte er sich gegen mich, seine Schulter an meinem Unterarm, und sein Kopf drückte gegen meine Rippen. Mit einem trockenen Schlucken hob ich hilflos die Hände.
Scheiße, Coach, und was mache ich jetzt? Ich packte ihn, nachdem ich erneut den Arm um ihn gelegt hatte. Als könnte ich ihn so festhalten. Mit der anderen fasste ich erst den Kragen seines Hemds an, legte aber kurz darauf meine Hand an seine Wange. Ich konnte seine Tränen auf meiner Haut spüren. Lautlos schüttelte es ihn, und für einen kurzen Augenblick zuckte Panik durch mein Hirn. Als hätte der Coach hier und jetzt, in meinen Armen, auseinanderbrechen und in kleine Stücke zerfallen können.
Für eine Weile saßen wir einfach nur da. Ich hielt ihn, und er ließ sich halten.
Endlich sagte er mit erstickter Stimme: »Versprich mir etwas, Johnny.«
Ich wusste bereits, was er von mir wollte.
»Versprich mir, dass du das Schwein findest. Du spürst ihn auf, und er kommt hinter Gitter. Schwörst du das?« Er hielt immer noch den Kopf gesenkt, sprach dumpf in meinen Bauch.
Ich konnte die Bewegung seines Kiefers beim Sprechen spüren.
»Ich bin kein Polizist mehr, Coach«, sagte ich mit belegter Stimme. »Die haben mir die Marke weggenommen und reden nicht mehr mit mir. Thiebeck ist ein böser Cop, haben sie gesagt.«
Der Coach schüttelte sanft den Kopf in meiner Hand. »Du findest ihn, Johnny. Lass das Schwein nicht davonkommen. Bitte.« Langsam hob er den massigen Schädel.
Er schaute mich mit viel zu kleinen Augen an und sah aus, als hätte er eine Woche durchgesoffen. Wahrscheinlich war es das erste Mal in seinem Leben, dass der Coach weinte.
»Versprich es mir, Johnny.« Er klang heiser, und seine Stimme hatte einen verzweifelten Ton angenommen.
Ich musste plötzlich an ein anderes Versprechen denken, dass ich einmal geleistet hatte. Ebenfalls, um einen Mörder zu fassen und vor Gericht zu bringen. Dieses Versprechen hatte ich mir damals selbst gegeben, aber ich hatte es brechen müssen. Am Ende hatte ich nicht genug Beweise gehabt.
›Ich glaube eher an die Unschuld einer Hure als an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz‹, hatten Slime damals gesungen. Inzwischen musste ich ihnen wohl recht geben.
»Versprich es mir!«
Ich sah auf den alten Mann hinunter und überlegte kurz. Scheiß drauf! Mit einem Nicken sagte ich: »Ich kriege den Wichser.«
Langsam richtete sich der Coach neben mir auf und rollte die Schultern, als würde er sich aufwärmen. Schließlich klopfte er mir mit seiner warmen, weichen Hand auf den Oberschenkel. »Gut.«
Konzentriert strich ich mir mit Daumen und Zeigefinger über die Mundwinkel, während ich den Hintereingang des LKA beobachtete: Das automatische Tor und den fetten Bullen in Uniform dahinter, eingesperrt in seinem kleinen Häuschen wie eine Bulldogge in einem Cartoon.
Knirschend bewegte sich das Metall, und Zentimeter für Zentimeter schob sich das Tor zur Seite, um den Weg aus dem Innenhof freizugeben. Die ersten Wagen meiner früheren Kollegen rollten vom Hof. Schichtwechsel. Hinten am Hauptgebäude, oben an der kleinen Treppe, konnte ich Jana stehen sehen. Sie sprach mit jemandem im Gebäudeinneren. Einen Augenblick später tauchte Densch auf. Mit zusammengezogenen Brauen beobachtete ich, wie er sich immer wieder beim Sprechen vorlehnte und ihr sanft die Hand auf den Unterarm legte, als müsse er einen Punkt unterstreichen. Wie sie plötzlich beide lachten! Ich kam mir so armselig vor: Ein liebeskranker Teenager, der mit wütendem Blick zusehen musste, wie seine Prinzessin mit einem anderen Kerl zum Abschlussball ging. Dabei ist es das gar nicht, zuckte es mir durchs Hirn. Es ging um Denschs Aufgeblasenheit und Selbstverliebtheit – nur darum. Meine Antipathie hatte nichts mit Jana zu tun, rein gar nichts. Nur diesen arroganten Pudel konnte ich nicht leiden.
Ich seufzte, als die beiden sich verabschiedeten. In der Hand hielt Densch noch einen Pappbecher. Wahrscheinlich mit entkoffeiniertem Kaffee. Jana ging zu ihrem Wagen, dem mitternachtsblauen Kombi, ließ die Verriegelung aufspringen und stieg ein. Einen kurzen Augenblick später fuhr sie auf das Tor zu, grüßte den Wachmann und nutzte eine Lücke im Verkehr, um in die Straße einzubiegen. Ich zog mich etwas hinter eine Ecke zurück, um nicht von ihr gesehen zu werden. So sehr es mich auch drängte, mit ihr über den Fall zu sprechen, das wollte ich ihr nicht antun. Die gespaltene Loyalität, die Tatsache, dass sie sich entscheiden müsste, auf wessen Seite sie stand. Und um die Wahrheit zu sagen, war ich mir nicht sicher, ob sie sich wirklich für meine Seite entscheiden würde. Das Metalltor schob sich wieder zu, und ich wartete wei-
ter.
Knapp eine Viertelstunde später – der Uniformierte hatte seinen stählernen Schließmuskel noch drei Mal betätigt – sah ich endlich das Auto, auf das ich gewartet hatte: einen mitgenommenen Passat Variant aus den Neunzigern in Grünmetallic.
Ich löste mich von der Ecke und trabte an der Häuserfront entlang auf die große Ampel zu. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie der Passat am Tor warten musste und dann in den Verkehr einbog. Die Ampel stand auf Rot. Der Wagen wechselte auf die mittlere Spur, dann auf die rechte. Ich wurde langsamer, als ich das Ende der wartenden Autos erreicht hatte, und blieb stehen, als ich die Kühlerhaube in Grünmetallic links neben mir auftauchen sah, mit ihrem hektischen Blinker vorne rechts.
Abrupt drehte ich mich zur Seite, griff nach der Tür und zog sie auf. Mit einer schnellen Bewegung ließ ich mich ins Innere auf den Kunstledersitz fallen, während die Stoßdämpfer des alten Wagens ächzend protestierten. Arne Hegert, Kommissar bei der Kriminaltechnik, starrte mich mit aufgerissenen Augen an.
»Verdammt noch mal!«, stieß er hervor, nachdem er mich erkannt hatte. »Scheiße, hast du mich erschreckt. Mann, Johnny, Herzkasper!«
»Was hast du gedacht? Ich mops deine Handtasche?« Ich deutete mit dem Kinn nach vorn. »Fahr zu, Meister, es ist grün.«
Hegert brauchte noch einen Moment, um sich zu fangen, aber als die ersten Hupgeräusche hinter uns erklangen, kloppte er den Gang rein und fuhr an. Sein Brustkorb hob und senkte sich immer noch heftig.
»Alter!« Er schüttelte mehrmals den Kopf und steuerte den Wagen Richtung Zoologischer Garten. »Wohin?«, fragte er, während er mir einen kurzen Seitenblick zuwarf.
Ich rechnete ihm hoch an, dass er bereit war, einfach weiterzufahren. Hegert war nicht gerade das, was man einen Draufgänger nennen würde. Daher war er auch im Labor der KTU, der Kriminaltechnischen Untersuchung, ganz zufrieden. ›Kein Schimanski-Typ‹, hatte Jana immer gesagt. In diesem Augenblick stellte er keine Fragen, machte mir keine Szene. Andere aus dem Dezernat hätten vermutlich eine Vollbremsung hingelegt, die Tür aufgerissen und mir bedeutet, auszusteigen. Andere, die sich nicht mit Densch anlegen wollten.
»Egal. Fahr einfach. Es geht mir bloß darum, dass Densch dir nicht an den Karren fährt, wenn er uns zusammen sieht. Wir müssen reden.«
Noch ein Seitenblick zu mir. »Ist es klug, mit dir gesehen zu werden? Ich meine, werde ich gefragt?«
Ich antwortete nicht direkt, sondern sah aus dem Seitenfenster. Im Hintergrund konnte ich die Goldelse sehen, die sich am Großen Stern in den dunkler werdenden Himmel erhob. »Was sagt die KTU über den Bremer-Mord, Arne?«
Er zögerte. »Hör zu, Johnny, ich weiß nicht viel über die Hintergründe. Aber ich weiß, dass es sich um deinen Wagen gehandelt hat. Densch ist ausgeflippt, als er das gehört hat.«
»Mit Jana kann ich nicht reden. Die ist zu dicht an Densch dran und ermittelt selbst. Du musst mir helfen. Es gibt sonst niemanden.«
»Hast du eine Ahnung, was Densch mit mir macht, wenn er das erfährt? Der reißt mir dermaßen den Arsch auf, dass ich einen Barhocker drin verstecken könnte.«
»Das ist mir klar.« Ich sah ihn mit einem langen Blick an, um ihm deutlich zu machen, wie ernst es mir war.
»Scheiße, Johnny, du fragst Jana bloß nicht, weil du sie niemals Densch opfern würdest.«
Ich lächelte, als hätte er einen Witz gemacht, aber wir wussten beide, dass er recht hatte.
»Densch meinte, man hätte Davie in einer Art Lack ersäuft?«
»Davie? Ist das sein Name?«
Ich nickte.
Hegert wechselte die Spur, um sich ganz links einzureihen. »Schwarzer Lack.« Sein Blick zuckte zu mir herüber.
Ich kannte den Ausdruck. So hatte ich Verwandte und Bekannte von Opfern angesehen, um zu entscheiden, wie viel Details ich ihnen zumuten konnte.
»Sag schon. Ich kannte David flüchtig. Er war der Sohn meines Coachs.«
Hegert nickte, als würde ihm das helfen, meine psychische Stabilität einzuordnen. Er räusperte sich. »Soweit wir wissen, ist er mit irgendwas betäubt, dann gefesselt und anschließend in flüssigem Lack ertränkt worden. Er hat zu dem Zeitpunkt vermutlich noch gelebt.«
»Womit betäubt?«
»Du musst die Obduktion abwarten.«
Wir fuhren geradewegs auf die Siegessäule zu, und Hegert bog in den Kreisverkehr ein. Ich schob mich etwas zur Seite, als die Fliehkraft anfing, mich nach außen zu schieben.
»Und der Lack?«
»Da wissen wir noch nichts zu. Den Tatort kennen wir auch noch nicht, falls du das als Nächstes fragen wolltest.« Er schnaubte. »Weißt du, irgendwie hat sich nichts verändert. Du stellst immer noch die gleichen ungeduldigen Fragen, und die KTU vertröstet dich auf später. Es tut mir leid, aber wir erstellen immer noch keine Laborberichte direkt am Tatort.« Er blickte zur Seite, wahrscheinlich um zu sehen, ob ich ihm die Bemerkung übelnahm. Tat ich nicht – ich war tief in Gedanken versunken.
»Warst du am Tatort dabei?«
»Du fragst jetzt nicht nach deinem Wagen, oder?«
Ich schüttelte den Kopf, biss nicht an. Stattdessen kniff ich die Augen zusammen, als könnte ich so besser denken. Oder die aufkeimenden Kopfschmerzen unterdrücken. »Wie schlimm sah er aus?« Ich musste Hegert nicht sagen, dass ich von Davie sprach.
Er zuckte mit den Schultern, was ihm nicht leichtfiel, weil er mit beiden Händen fest das Steuer im Griff halten musste. Wir hatten die riesige Statue bereits komplett umrundet und befanden uns immer noch auf der Innenbahn.
»Ziemlich gruselig. Ich meine, der Lack war wie eine Maske. Sah aus wie so ein Scheiß, den die sich für einen Film ausdenken würden.« Noch ein schneller Seitenblick auf mich. »Sein Mund war aufgerissen. Ich vermute, dass er entweder langsam wieder zu Bewusstsein kam oder bereits wach
war. Es tut mir leid, Johnny, aber das war kein schöner, leiser Tod.«
Ich nickte. »Kannst du rausfahren? Mir wird langsam schlecht.« Rechts rauschte permanent die grüne Bahn des Tiergartens an uns vorbei. Ich fühlte mich wie damals, als ich auf dem Schützenfest meinen Eltern weggelaufen und fast eine Stunde lang Kettenkarussell gefahren war.
»Ich habe dich gefragt, wohin du willst. So lange du dich nicht entscheidest, fahre ich halt im Kreis, dachte ich mir.«
»Sehr witzig.« Ich deutete nach vorn. »Fahr da raus, Richtung Hansaplatz. Ich lad dich auf ein Eis ein.«
»Ein Eis?«
Jana hatte uns damals, als wir uns kennengelernt hatten, ein paar Mal gemeinsam auf ein Eis eingeladen. Knüpfen, hatte sie das genannt. Sie wollte, dass wir uns anfreundeten. Ihre Freunde sollten ebenfalls miteinander befreundet sein, schien ihre Philosophie zu sein. Besonders, wenn es sich um Kollegen handelte.
Mit einem Schulterblick setzte Hegert den Blinker, zog rüber, und kurz darauf fuhren wir Richtung Westen. Wir suchten einen Parkplatz auf dem Mittelstreifen und überquerten die Straße des 17. Juni, deren normalerweise dichter Verkehrsteppich um diese Zeit bereits einige Lücken aufwies. Nicht mehr lange und die Ausschwärmer für Kino und Abendessen werden ihn wieder flicken, dachte ich, nachdem eine silberne C-Klasse an uns vorbeigezogen war und wir auf den Eispavillon zugingen.
Ein paar Minuten später standen wir an den Passat gelehnt, leckten am Eis und hatten die untergehende Sonne direkt in unserem Rücken. Das Gold der Siegessäule strahlte.
»Haben sie dir schon gesagt, wann du deine Karre von der KTU wiederbekommst?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Du hattest aber mal irgendwann noch einen anderen Wagen, oder?«
»Das ist ziemlich lange her.« Damals war ich einen schwarzen Audi TT gefahren. Die Kaulquappe, hatte Jana ihn liebevoll genannt.
»Was ist mit dem passiert?« Hegert leckte sich Eis von der Oberlippe.
Ich zuckte mit den Schultern. »Den haben sie mir weggenommen, als sie mir den Geldhahn zugedreht haben.« Ich sah geradeaus auf das glitzernde Gold der Siegessäule am Großen Stern. Aus dem Augenwinkel heraus konnte ich sehen, wie Hegert mich ansah. Wie seine Gedanken mühlsteinartig knirschten.
»Was war mit dem Geld damals?«
»Auf dem Schweizer Konto?«
Er nickte.
Ich zuckte erneut mit den Schultern und biss von der Waffel ab. »Das wurde eingefroren. Weil nie einwandfrei geklärt werden konnte, wem es gehörte.«
Er schwieg. Das Geld hatte sich damals auf einem Konto unter meinem Namen befunden. Ich hatte bloß nichts davon gewusst – bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Staatsanwaltschaft es mir gesagt hatte.
»Du glaubst nicht, dass es das Geld von Wegelow war, oder?«
»Er hat das immer bestritten.«
Sascha Wegelow hatte damals eine Belohnung auf den Kopf des mutmaßlichen Mörders seines Sohnes ausgesetzt. Genau die Summe, die man später auf jenem Konto mit meinem Namen gefunden hatte. Direkt nachdem der einzige Verdächtige, Georg Lammert, bei einer heftigen Auseinandersetzung mit mir zu Tode gekommen war. Verständlicherweise hatte die Staatsanwaltschaft Zweifel gehegt, dass ich mit der Kohle nichts zu tun hatte.
»Komm schon, Thiebeck, hast du nie versucht herauszufinden, wer dafür verantwortlich war?«
Ich drehte mich so schnell zu ihm um, dass Hegert zurückzuckte. Als er meinen Gesichtsausdruck sah, murmelte er eine Entschuldigung. Ich brauchte ein paar Sekunden, um meinen Zorn einzudämmen. Containment, hatte die Psychologin das damals genannt.
Ich ließ mich wieder gegen den Wagen sinken. »Natürlich habe ich. Es gab keine Spur. Meinst du, ich hatte Bock darauf, dass sie mich rausschmeißen? Mir die Pension wegnehmen? Scheiße, die wollten mir sogar einen Totschlag oder gar Mord anhängen. Der kleine, blonde Wichser von der Staatsanwaltschaft war sich sicher, dass er sich mit mir richtig schön profilieren kann.« Ich lächelte schief. »Bloß, dass es dann am Ende nur für ein Dienstaufsichtsverfahren und meine Kündigung gereicht hat.« Als hätte ich damit irgendwas gewonnen.
»Würdest du zurückkommen, wenn du könntest?«
Ich überlegte kurz. »Glaub nicht. Wenn du mit genug Scheiße beworfen wirfst, bleibt immer was kleben, egal wie oft du dich wäschst. Gibt ein paar unter euch, die mir glauben. Das rechne ich euch hoch an. Aber der Rest? Arbeitet sich schlecht in so einem verzahnten Haufen, wenn die eigenen Leute dir nicht mehr vertrauen.«
»Das verstehe ich.«
»Ich muss los.« Mit sanftem Schwung drückte ich mich vom Auto weg und warf den Rest der Waffel in einen Mülleimer. »Du meldest dich bei mir, wenn ihr was habt?«
Er zögerte. »Ich versuch’s, okay? Wenn ich das Gefühl habe, dass das einigermaßen klargeht. Keine brisante Kacke, in Ord-
nung, Johannes?«
»Geht klar.« Ich bot ihm die Rechte an, nachdem er sich das letzte Stück Waffel in den Mund geschoben hatte.
Während wir uns kurz die Hände schüttelten, fragte er mit vollem Mund: »Soll ich dich noch ein Stück mitnehmen?«
Ich verneinte stumm. Er musste tief nach Charlottenburg rein, während ich zurück in den Wedding wollte. Mit dem Kinn Richtung S-Bahn deutend, antwortete ich: »Ich nehm die Bahn. Passt schon. Bis bald.«
Er nickte und öffnete die Wagentür. »Danke fürs Eis«, sagte er mit einem Lächeln, bevor sein Kopf verschwand und er die Tür hinter sich zuknallte.
Ich wartete noch, bis der Motor lief, und verabschiedete ihn mit erhobener Hand.
Susan, Davies Frau, öffnete mir die Tür. Davids Witwe, korrigierte ich mich gedanklich. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, ihr Make-up war vom Weinen ruiniert und ihre Augen rot. Aber offenbar hatte sie sich bereits wieder gefasst, schniefte bloß unwillkürlich ab und zu. Als sie mich sah, biss sie sich auf die Lippe. Da kommt alles erneut hoch, nahm ich
an.
»Es tut mir so leid«, sagte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. Bevor sie etwas sagen konnte, machte ich einen Schritt nach vorn und nahm sie in den Arm.
Erst als das Schütteln und Schluchzen etwas nachgelassen hatte, wagte ich, sie wieder loszulassen.
»Komm rein«, sagte sie mit kratziger Stimme. Sie besaß einen kaum hörbaren amerikanischen Akzent.
Ich folgte ihr in das moderne Einfamilienhaus. Wir setzten uns ins Wohnzimmer, den Blick durch die Scheiben auf den Garten. Mitten in dem frisch angesäten Gras gab es einen kleinen Sandkasten und jede Menge Buddelspielzeug.
»Wo ist der Kleine?«
»Schläft.«
Ich nickte. Susan starrte wie benommen durch das Glas. Ich wusste nicht viel über sie. Wie ich auch kaum etwas über Davie gewusst hatte. Wir hatten im Gym miteinander zu tun gehabt, uns ab und zu bei Grillfesten gesehen, und dort war mir auch Susan begegnet. Nicht mehr als ein halbes Dutzend Mal.
»Susan, sie haben Davie in meinem Wagen gefunden«, sagte ich.
Sie schien mir nicht zuzuhören. Immer noch abgewandt, sagte sie: »Er ist einfach nicht nach Hause gekommen. Ich wusste, dass er länger arbeiten wollte, aber ich habe mir solche Sorgen gemacht, als er nachts immer noch nicht da war.« Sie drehte sich zu mir um. Frische Tränen quollen ihr aus den Augen. »Ich wusste, dass etwas passiert ist. Ein Unfall oder so, habe ich gedacht, verstehst du?«
Ich nickte. Ließ sie reden.
»Wer macht so etwas?«, fragte sie, das Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse verzerrt, und sah mich flehentlich an.
Ich beugte mich vor, um sie erneut in den Arm zu nehmen.
»Es tut mir leid, aber ich muss dich was fragen«, sagte ich, nachdem ihre Zuckungen etwas nachgelassen hatten und sie sich geschnäuzt hatte.
»Was?«, wollte sie wissen und putzte sich noch einmal lautstark die Nase.
»Ich weiß, das klingt dämlich, und die vom LKA haben dich das bestimmt auch gefragt, aber hast du irgendeine leise Ahnung, wer das getan haben könnte?«
Sie schüttelte den Kopf, die Nase immer noch im Taschentuch.
»Ob Davie Feinde hatte, muss ich nicht fragen, oder?«
Noch eine Verneinung.
Ich nickte. Davie war ein lieber Kerl gewesen. Mir kam eine andere Idee. »Hatte er in letzter Zeit irgendetwas mit Lack zu tun? Musstet ihr euer Auto umlackieren oder ausbessern? Oder Fenster streichen, irgendwas am Haus? Hattet ihr Ärger mit Handwerkern?«
Verwundert sah sie mich an. »Nein. Wieso?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich suche nach einer Spur, wo wir den Faden aufnehmen können. Etwas, das uns einen Hinweis geben könnte.«
»Wir? Uns? Ich dachte, du wärst kein Polizist mehr.«
»Davie war mein Freund. Und der Coach hat mich darum gebeten. Außerdem ist das LKA nicht mehr dasselbe, seit ich da weg bin«, sagte ich grimmig.
Sie nickte, als ob sie wüsste, wovon ich sprach.
»Hatte Davie ein Arbeitszimmer?«
Susan schaute verlegen. »Na ja, wir haben ein kleines Extrazimmer. Da stehen bloß ein Gästebett, ein Computer, den ich manchmal benutze, und ein kleiner Tisch drin. Dort hat David manchmal am Laptop gearbeitet, wenn er Arbeit mit nach Hause gebracht hat.«
»Ist der Rechner hier?«
»Nein, den hatte er mit auf der Arbeit. Und der Kommissar von der Polizei meinte, den hätten sie mitgenommen, um ihn zu untersuchen.«
»Densch?«
»So hieß der, ja. Die waren zu zweit hier.«
»Hatte er einen Terminkalender oder so?«
»Du meinst, nicht digital?« Sie schüttelte den Kopf. »Das hat er alles am Computer gemacht.«
Ich überlegte, ob es noch weitere Möglichkeiten gab, einen Einblick in Davies Leben zu bekommen, an die die Bullen vielleicht noch nicht gedacht hatten.
Susan unterbrach meine Gedanken. »Aber ich habe Zugriff auf seinen Kalender. Also beziehungsweise, wir haben den geteilt. Über das Internet. Da könnte ich nachschauen, ob er irgendwelche Termine hatte.«
Ich folgte ihr in den ersten Stock, wo sie eine kleine Kammer betrat und den Computer hochfuhr. Dort hatten wirklich nur das schmale Bett, ein Schrank und der Computertisch Platz. Susan loggte sich ein und rief ihren Onlinekalender auf. »Die grünen Einträge sind Davids. Die blauen meine, und alles, was orange ist, sind die gemeinsamen.« Sie machte mir Platz und trat umständlich zur Seite, damit ich an den Computer kam.
Ich fing an, nach Davies Terminen zu schauen. Der einzige Eintrag vom Abend zuvor lautete Call Tyler.
»Wer ist Tyler?«
»Mein Bruder. Er arbeitet als Broker in Frankfurt. Soweit ich weiß, wollte er David wegen irgendwas um Rat fragen.«
Ich schaute weiter in die Vergangenheit. Ein Mitarbeitergespräch mit seinem Chef, regelmäßige Trainings beim Karate und ein Kumpelabend in den letzten zwei Wochen. Jedenfalls nichts, was erklären würde, warum Davie in der Nacht in Lack ersäuft und in mein Auto gelegt worden war. Ich lehnte mich frustriert zurück.
»Da ist nichts, oder?«, fragte Susan unsicher von hinten. Ich hatte kurzzeitig vergessen, dass sie da war.
»Nein, nichts.« Ich drehte mich zu ihr um. »Kannst du mir die Adresse seiner Arbeit geben? Dann schaue ich dort mal vorbei.«
»Sicher.«
Knapp eine Stunde später stand ich vor dem Gebäude der Speditionsfirma Hartwig, bei der Davie gearbeitet hatte. Am Empfang begrüßte mich eine adrette Brünette mit strenger Brille.
»Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«
»Mein Name ist Thiebeck. LKA. Ich glaube, meine Kollegen waren schon bei Ihnen.« Ich holte meine Kriminaldienstmarke aus der Tasche und zeigte sie der beeindruckten Kleinen.
Obwohl man mir damals bei der Suspendierung Marke, Ausweis und Waffe abgenommen hatte, besaß ich noch ein paar dieser schweren, ovalen Metallstücke. Mehrfach hatte ich meine als verloren gemeldet, weil ich vermutet hatte, dass man sie mir zwischendurch wegnehmen würde. Dass das irgendwann permanent sein würde, damit hatte ich allerdings nicht gerechnet. Meine Erfahrung war, dass viele Menschen die Marken beeindruckender fanden als die Dienstausweise, die, ketzerisch gesagt, nicht so weit von Büchereiausweisen oder Impfpässen weg waren. Auch wenn die Marken auf der Rückseite bloß meinen Namen trugen und kein Bild. Diese hier besaß sogar schon einige Kratzspuren – verursacht durch die Bierflaschen, die ich mit ihr geöffnet hatte.
»Ich müsste einen Blick auf das Büro von Herrn Kierran werfen, wenn das möglich ist.«
»Sicher.« Sie stand auf, um aus einem Nebenraum eine zweite junge Frau an den Empfang zu holen, und brachte mich dann zum Fahrstuhl.
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