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Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland

Erzählungen, Märchen und Gedichte zur Advents- und Weihnachtszeit

Band 7

Martina Meier (Hrsg.)

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchausgabe erschienen 2014.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Titelbild: © Heike Georgi

Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM

ISBN: 978-3-86196-407-0 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-324-8 - E-Book

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Inhalt

Hüpfer, Lena und Herr Wurstbrot

Der Apfelbaum, der ein Weihnachtsbaum sein wollte

Ziemlich super Freunde

Der verlorene Klöppel

Das kleine Tannenbäumchen5

Beinahe ganz gewöhnliche Weihnachten

Tina und der Flug mit dem Schlitten

Tigerles süße Weihnachten

Weihnachtswichteln

Einst im Russland zur Zeit des Zarenreiches …

Das Licht

Weihnachtszeit, Kostbarkeit

Das Versprechen der Weihnachtskatze

Der verlorene Brief

Weihnachtszeit

Weihnachten

Weihnachten für Kater Lode

In der Weihnachtsküche

Wenn der Dezember naht

Eine Weihnachtsfeier

Weihnachtsball

Theo Tannes sehnlichster Wunsch

Bei Ochs und Esel

O Tannenbaum, o Tannenbaum ...

Katze Mini und Maus Trude

Weihnachten daheim

Von Einbrechern und Rentieren

Snowys schönstes Weihnachtsfest

Die Weihnachtszauberformel

Ein neuer Küchenchef für den Weihnachtsmann

Mia und die Helfer des Weihnachtsmanns

Im Weihnachtswald

Milas Weihnachtswunsch

Wer glaubt denn noch an den Weihnachtsmann?

Happy Christmas? – Not for everyone!

Schneemann im Regen

Weihnachtsmaus Friedl

Brunos Weihnachten

Wo geht es denn nach Bethlehem?

Der Tanz mit den Sternen

Wenn Kindertränen Wunder schaffen

Melinda wartet auf das Christkind

Lieschens Weihnachtsnacht

Der Bär des Lebens

Die Wunschliste

Basti, der Weihnachtshund

Die Puppe

Die Weihnachtswunschpuppe

Edi wünscht sich einen Hund

Die zwei Engel

Mach mit!

Unser Buchtipp

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Hüpfer, Lena und Herr Wurstbrot

„Mir ist soooo kalt“, maulte Hüpfer und zog Lena kräftig am Ärmel.

„Dann mache einfach das, was du am besten kannst.“ Lena grinste ihren Bruder an und begann, wild umherzuspringen. „Siehst du, mir ist schon ganz warm“, rief sie.

Felix, den ja nicht umsonst alle Welt Hüpfer nannte, zeigte nun seinerseits, was er drauf hatte. Sprungdrehungen, die konnte keiner so gut wie er. Und wenn er besonders viel Schwung nahm, schaffte er es sogar, sich einmal komplett herumzudrehen. Doch heute schien sein Spezialsprung nicht klappen zu wollen. Egal, wie oft er auch springend herumwirbelte, die Superdrehung wollte einfach nicht gelingen. „Das liegt an der dicken Jacke“, murrte er und zog sie kurzerhand aus.

„Die Jacke bleibt an“, erwiderte Lena sofort streng, „außerdem war dir eben doch noch so furchtbar kalt!“

„Jetzt nicht mehr!“, schrie Hüpfer und vollführte seine Drehsprünge. Einer nach dem anderen glückte. Hüpfer war so in seinem Element, dass er nicht bemerkte, wie er in immer schneller werdendem Tempo auf einen knienden Mann zusteuerte.

„Hüpffeeer! Stopp!“, brüllte Lena.

Jedoch zu spät. Es knallte und schepperte. Ein Plastikbecher kullerte über den Asphalt, während einzelne Euromünzen um Hüpfer und den alten Mann kreisten, die mehr aufeinander als nebeneinander lagen. „Oh nein! Es tut mir ja so leid. Entschuldigen Sie bitte, aber mein kleiner Bruder …“ Lena kam in Windeseile herbei und half dem Mann, sich wieder aufzurichten.

„Danke, mein Kind“, krächzte er behäbig, streckte sich und hob nun auch Hüpfer zurück auf die Beine. „Du bist ja ein hervorragender Sprungmeister“, lächelte er. Hüpfer nickte und kniff die Lippen fest zusammen. Ihm war zum Weinen zumute, denn er schämte sich plötzlich sehr, dass er nicht besser aufgepasst hatte. „Aber, aber“, rief der Alte, „wer wird denn da ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter ziehen?“

Lena knuffte unterdessen Hüpfer auffordernd in die Seite. „Es tut mir leid, dass ich Sie umgesprungen habe“, flüsterte der kleine Unfallverursacher verlegen und erntete ein anerkennendes Nicken seiner großen Schwester.

„Kein Problem“, lachte der Mann, „und weißt du, was?“ Er beugte sich weit vor, ehe er sprach: „Ich konnte als Bub die eineinhalbfache Sprungdrehung!“

„Echt??“ Hüpfers Augen weiteten sich, schnell war die Traurigkeit vergessen.

„Sicher! Damals war ich der Meister der Sprünge.“

„Und heute?“ Der Alte lachte erneut. Jedoch weniger fröhlich als zuvor. „Heute bin ich ein armer, alter Mann.“

„Sitzen Sie darum auf der Straße?“, fragte Lena.

„Ja, mein Kind, darum sitze ich hier.“ Ein tiefes Seufzen folgte.

„Aber da vorne steht doch eine Bank!“ Hüpfer streckte den Arm aus und wies auf die Sitzgelegenheit hinter ihnen. „Warum setzen Sie sich nicht dort hin? Das ist doch viel bequemer.“

Der Alte fing auch jetzt an zu lachen. Ein noch traurigeres Geräusch. „Ich sitze nicht nur so auf der Straße. Ich bettle um Geld. Und das tut man nun einmal vom Boden aus“, erklärte er knapp.

„Das verstehe ich nicht!“ Lena sah ihren Bruder lange an. „Mir geht es genauso“, stimmte sie zu, „wenn man schon betteln muss, warum darf man dann nicht wenigstens auf einer Bank sitzen?!“

„Ja, das ist voll unfair!“, schrie Hüpfer und sprang wütend in die Höhe.

„Naja, ein Gesetz gibt es dafür nicht“, sagte der Mann, „demnach ist es auch nicht unfair. Leider ist es aber so, dass die Menschen den Leuten auf dem Boden Geld in ihre Büchsen werfen und nicht denen, die auf einer Bank sitzen.“

„Ich würde das anders machen“, entgegnete Lena.

„Ich auch, Lena, ich auch!“ Hüpfer, der gerade dabei war, die Euromünzen aufzusammeln, wurde plötzlich nachdenklich. „Warum betteln Sie überhaupt? Also wenn Mama und Papa Geld brauchen, dann gehen die mit so einer Karte zum Geldautomaten. Vielleicht wissen Sie das ja noch nicht, aber da ist ganz viel Geld drin, das reicht bestimmt auch für Sie!“ Der Mann strich dem Jungen über das strubblige Blondhaar.

„Weißt du, mein Kind, die Sache mit der Karte ist nicht für jedermann geeignet. Um so eine Karte zu bekommen, brauche ich zum Beispiel auch eine Wohnung“, erklärte er.

„Sie haben keine Wohnung?“ Lena war fassungslos. „Es ist Winter!“

„Und Heiligabend“, fügte Hüpfer hinzu.

„Genau! Und an so einem Tag solltet ihr rasch nach Hause gehen und euch auf das große Fest vorbereiten“, wiegelte der Alte schnell ab und reichte den beiden Kindern zum Abschied die Hand. Doch Hüpfer verschränkte die Arme vor der Brust. „Magst du mir nicht die Hand geben, Kleiner?“ Hüpfer sprang einmal auf den Boden auf. „Das heißt Nein“, folgerte der Mann.

„Woher wissen Sie das?“

„Na, ich sagte doch bereits, dass ich der Meister der Sprünge war. Die Fachsprache beherrsche ich immer noch“, zwinkerte er grinsend.

Lena legte gerade Hüpfer die Jacke über die Schultern, als dieser die Hand nach dem Bettler ausstreckte. „Ich heiße Hüpfer, also eigentlich Felix, aber alle nennen mich Hüpfer. Und wie heißen Sie?“

„Ich heiße Springer, also eigentlich Herr Wurstbrot, aber alle nennen mich Springer“, sprach der Alte und wünschte den Kindern ein frohes Fest.

Auch wenn die Kinder sich köstlich über den Namen, sowohl Springer als auch Herr Wurstbrot, amüsierten, bedrückte sie doch etwas, als sie heimkehrten. „Da seid ihr ja“, rief Mama aus der Küche. Es duftete herrlich nach Zimt und Lebkuchengewürz. Hüpfer sprang sofort auf die Theke und angelte sich ein Plätzchen vom Backblech. „He, die sind für heute Abend und die Weihnachtstage gedacht“, sagte Mama und hob lachend den linken Zeigefinger. „Und, wie war der Stadtbesuch im vorweihnachtlichen Einkaufsgerangel? Habt ihr trotzdem alles bekommen?“

„Nö!“

„Nein?“ Mama sah erst Hüpfer fragend an und drehte sich dann zu Lena. „Ihr wolltet doch unbedingt noch ein Geschenk für Knusper und Müsli besorgen.“

„Die Meerschweinchen haben doch alles“, sagte Lena und griff ebenfalls zum Backblech.

„Genau!“, rief Hüpfer, „aber der arme Springer hat nichts!“

„Springer?“

„Hüpfer meint Herrn Wurstbrot“, erklärte Lena.

Mama kratzte sich verwirrt am Kopf. „Ich glaube, ihr wollt mich auf den Arm nehmen.“

„Nein Mama! Springer, also Herr Wurstbrot, sitzt auf der Straße und bettelt.“ Hüpfer sprang hinab und zeigte, wie Herr Wurstbrot kniete und den Arm ausstreckte. Lena machte es nach. „Und dann werfen die Leute Geld in seine Büchse.“

„Aber nur ganz wenig“, warf Hüpfer aufgebracht ein, „da kann man sich nicht mal die coolen Sticker für kaufen!“

„Die braucht er doch auch gar nicht!“ Lena verdrehte die Augen.

„Nein, die benötigt er wirklich nicht“, sagte Mama nachdenklich. Dann hellte sich ihr Gesicht auf. Entschlossen stemmte sie die Hände in die Hüften und sprach: „Kinder, packt die Kekse ein und holt von den Nachbarn einige Thermoskannen. Wir werden jetzt Herrn Wurstbrot und den anderen armen Leuten eine Freude machen!“

Hüpfer wirbelte herum und setzte zum Sprung an … „Die eineinhalbfache Drehung“, rief Lena bewundernd und umarmte ihren Bruder.

Jetzt gab es kein Halten mehr. Innerhalb einer Stunde wurde alles organisiert. Die Nachbarn waren so begeistert von der Idee, dass sie sich spontan bereit erklärten, etwas zu spenden. Und so kamen vier bis an den Rand gefüllte Bollerwagen zusammen, die von einigen Helfern in die Innenstadt gezogen wurden.

„Springer! Springeeeer!“, brüllte Hüpfer, als er den Bettler erkannte, und raste freudestrahlend auf ihn zu. Dieses Mal bremste er aber gerade noch rechtzeitig ab.

„Na, das ist ja eine Überraschung“, sagte der Mann und wischte sich eine Freudenträne aus dem Auge. Die Helfer stellten die Bollerwagen ab und begannen, die Leckereien an die Armen zu verteilen. Immer mehr Menschen kamen zu ihnen und freuten sich über die Gaben. Mama schenkte fleißig Tee und Kaffee aus. Lena spielte auf ihrer Blockflöte Weihnachtslieder. Hüpfer wunderte sich, dass es so viele arme Menschen in seiner Stadt gab, und kuschelte sich irritiert an seine Mama. „Ich weiß, es ist traurig zu sehen, dass es dieses Elend gibt“, erklärte sie sanft, „ihr habt jedoch etwas gemacht, auf das ihr sehr stolz sein könnt!“

„Was denn?“

„Ihr habt die Augen nicht verschlossen“, lächelte Mama weise.

„Dann würde ich ja auch nix mehr sehen!“

„Genauso ist das, mein Kind. Und nun lauf“, sagte sie, als sie den winkenden Herrn Wurstbrot entdeckte. Überglücklich beobachtete sie ihren Jungen, wie er dem Mann seine eineinhalbfache Drehung präsentierte.

„Jetzt bist du auch ein Meister der Sprünge“, jubelte Herr Wurstbrot und sprang mit Hüpfer um die Wette. Es wurde ein ausgelassenes Fest, das noch bis in die Abendstunden andauerte. Und als Hüpfer und Lena später unter dem Tannenbaum saßen, um die Geschenke auszupacken, fragte Hüpfer: „Wie Herr Wurstbrot wohl gerade feiert?“

Mama und Papa sahen sich lange an, dann sprach Papa: „Ich habe noch eine Überraschung für euch!“

Im Türrahmen stand Springer, also Herr Wurstbrot, und hielt zwei Weidenkörbe in den Händen. In beiden lagen leckere Mohrrüben und Äpfel. „Ich dachte, Knusper und Müsli brauchen auch noch ein Weihnachtsgeschenk“, sagte er und zwinkerte Mama zu.

Hüpfer machte einen Freudensprung und Lena fiel dem alten Mann in die Arme. „Das ist das tollste Fest aller Zeiten!“, rief er. Und während Knusper und Müsli ihr Futter verschlangen, feierte die Familie mit dem Meister der Sprünge das Fest der Liebe …

Britta Ahrens wurde als Novemberkind des Jahres 1978 geboren. Mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern lebt sie in Lunestedt, einem kleinen Dorf nahe der Weser. Sie schreibt seit ihrer Kindheit und konnte bereits einige ihrer Geschichten veröffentlichen.

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Der Apfelbaum, der ein Weihnachtsbaum sein wollte

Es war einmal ein kleiner Apfelbaum, der wuchs langsam und mühsam im Schatten einer großen Tanne heran. Langsam und mühsam war das Wachsen, weil die große Tanne ihm nicht viel Wasser und Sonne übrig ließ, da sie alles für sich selbst brauchte. Doch der kleine Apfelbaum war zäh und wuchs stetig jedes Jahr ein bisschen. Eines Tages war er dann alt genug, um sprechen zu können. Doch weil er so schwach war, verstand er nur die Sprache der Bäume, die Sprachen der Tiere des Waldes blieben ihm unverständlich. Vor allem die zweibeinigen Tiere, die sich Menschen nannten, redeten viel zu schnell, als dass der kleine Apfelbaum auch nur ein Wort vom anderen hätte unterscheiden können.

Der kleine Apfelbaum aber war froh, endlich zumindest die Sprache der Bäume zu sprechen, und sobald er die Kraft dazu fand, sprach er die große Tanne an: „Du, Tanne“, fragte er, „hörst du mich?“ Die Tanne nickte knapp mit ihren Zweigen. Der kleine Apfelbaum freute sich so sehr, dass er vergaß weiterzusprechen.

„Nun mach schon“, drängte die große Tanne, „ich habe keine Lust, mit dir kleinem Pimpf zu sprechen.“

„Aber wieso denn nicht?“, fragte der kleine Apfelbaum verwirrt.

„Warum sollte ich mich mit einem wie dir abgeben“, erklärte die Tanne, „du wirst doch eh bald sterben.“

Der kleine Apfelbaum war entsetzt.

„Schau dich doch einmal an“, sprach die Tanne weiter, „wie mickrig du dort unten in meinem Schatten stehst. Du wirst niemals groß werden. Und weil Bäume nun aber einmal dafür gemacht sind, groß zu werden, sterben die, die es nicht können, irgendwann. So einfach ist das.“

„Aber das will ich nicht!“, rief der kleine Apfelbaum und schüttelte sich vor Angst.

„Da wirst du keine andere Wahl haben. Wenn du eine Tanne so wie ich wärst, dann sähe die Sache schon anders aus. Dann würdest du entweder so schön und groß wie ich sein oder von einer Menschenfamilie mitgenommen werden, die dich in ihre Stube holt, dir Lichter, bunte Kugeln und Zimtsterne ansteckt, so wie es jetzt der Brauch ist. Aber das gilt eben nur für Tannen. Ein Apfelbaum ist als Weihnachtsbaum nicht geeignet. Und nun schweige still und lass mich meine Wipfel im Wind schaukeln!“

Der kleine Apfelbaum hatte auch gar keine Lust mehr zu reden. Was sollte denn nur aus ihm werden? Er hatte sich so darauf gefreut, groß zu werden, und nun sollte er das nie erleben? Und alles nur, weil er keine Tanne war? Er dachte an Kugeln, Lichter und vor allem an Zimtsterne, die er sich besonders schön vorstellte. Und mit diesen Gedanken fiel er in einen unruhigen, aber tiefen Schlaf. So merkte er gar nicht, wie der erste Schnee des Winters langsam vom Himmel zu fallen begann.

Klara hingegen blickte begeistert aus dem Fenster der kleinen Wohnstube ihrer Eltern, die im oberen Geschoss eines großen, alten Bauernhofes lag. „Schau nur, Vater“, rief sie. „Der Schnee kommt, nun können wir einen Weihnachtsbaum aussuchen, ja?“

„Aber Klara“, sagte der Vater, „wir brauchen hier oben doch keinen eigenen Weihnachtsbaum, weil wir doch Weihnachten unten bei Großvater und Großmutter auf der großen Diele feiern werden.“

„Ich hätte aber so gerne einen eigenen Weihnachtsbaum!“ Klara schaute mit glänzenden Augen zu ihrem Vater auf.

Nun kam aus dem Nebenzimmer auch Klaras Mutter hinzu. „Erfüll ihr doch den Wunsch!“, raunte die Mutter dem Vater zu. Klara war den ganzen Herbst sehr krank gewesen und keiner hatte gewusst, ob sie Weihnachten überhaupt noch erleben würde. Nun jedoch ging es ihr viel besser und weder Mutter noch Vater, weder Großmutter noch Großvater und auch die Knechte und Mägde, die auf dem Hof arbeiteten, konnten ihr einen Wunsch abschlagen.

„In Ordnung, Klara, lass uns in den Wald gehen und einen Baum aussuchen.“

„Oh, ja!“, rief Klara. „Einen ganz großen!“

„Na, aber ein ganz großer passt doch gar nicht in unsere Stube!“, erklärte Vater.

Klara überlegte kurz. „Dann nehmen wir einen ganz besonders besonderen!“, beschloss sie. Und schon machten sich Vater und Klara auf, um einen ganz besonderen Weihnachtsbaum zu finden.

Mittlerweile hatte es so viel geschneit, dass im Wald eine dünne Schneedecke lag. „Schau nur, Klara, wir machen feine Fußspuren. Wenn es nicht zu viel schneit, müssen wir nicht fürchten, uns zu verirren“, sagte Vater.

Aber Klara hatte sowieso nie Angst davor, sich im Wald zu verlaufen, denn sie hatte eine besondere Gabe: Sie konnte die Sprache der Bäume verstehen. Auch jetzt lauschte Klara den vielen Stimmen. Alle begrüßten sie mit fröhlichem Hurra, denn auch die Bäume hatten große Angst um Klara gehabt und waren nun froh, sie gesund und munter wiederzusehen. So groß war das Stimmengewirr, dass sie beinahe die kleine zittrige Stimme gar nicht gehört hätte. Als Klara sich jedoch konzentrierte, konnte sie die Stimme deutlich von den anderen unterscheiden, denn während die anderen fröhlich klangen, lag in dieser einen eine tiefe Traurigkeit.

Klara folgte der Stimme und Vater folgte Klara. Schließlich standen beide vor dem kleinen Apfelbaum, der im Schatten der großen Tanne noch immer schlief.

„Ein Weihnachtsbaum, ich wäre so gerne ein Weihnachtsbaum“, murmelte er im Traum. Klara tat der kleine Baum leid. Sie konnte spüren, dass er nicht mehr viel Kraft hatte und nur dank seines großen Willens überhaupt noch am Leben war. Das erinnerte sie an sich selbst und so war für sie die Entscheidung gefallen. „Diesen hier möchte ich“, sagte sie.

Vater schaute erschreckt auf die riesige Tanne. „Aber Klara“, sagte er, „der Baum wäre doch sogar für die große Diele viel zu groß!“

„Nicht die Tanne“, erklärte Klara ungeduldig, „das Apfelbäumchen hier!“

Da staunte der Vater sehr. Ein Apfelbaum als Weihnachtsbaum? „Aber der ist doch ganz kahl“, wandte Vater ein, „wollen wir nicht lieber eine schöne grüne Tanne nehmen?“

„Nein“, beharrte Klara, „ich möchte diesen. Wir werden ihn schmücken mit Lichtern, Kugeln und Zimtsternen, dann ist er gar nicht mehr kahl!“

Bei dem Wort Zimtsterne erwachte der kleine Apfelbaum plötzlich und erschreckte sich sehr, als er ein kleines Menschenmädchen und einen großen Mann mit einer Axt vor sich stehen sah. Der Mann sprach etwas in der schnellen, knatternden Sprache der Menschen und verschwand dann.

Das Mädchen hingegen beherrschte zu seiner Überraschung die melodische Sprache der Bäume. „Vater bringt nur die Axt zum Hof und holt stattdessen einen Spaten“, erklärte ihm das Mädchen, „damit holen wir dich aus der Erde, und dann darfst du unser Weihnachtsbaum sein. Wenn du den Winter überstehst und im Frühling gesund und kräftig bist, pflanzen wir dich in den Garten an einen luftigen und sonnigen Platz, und wenn es dir dort gefällt, kannst du wachsen und uns bald schon jeden Herbst frische Äpfel schenken.“

Von Herzen gerne wollte das der kleine Apfelbaum! Aber vorher wollte er ein Weihnachtsbaum sein, mit Lichtern, Kugeln und vor allem Zimtsternen. Erst danach würde er wachsen und groß werden und der Familie über viele Generationen hinweg Äpfel schenken. Und manchmal, alle paar Jahre, würde an ihm ein besonderer Apfel wachsen, der würde größer und runder als die anderen werden. Er schmeckt auch anders, denn statt saftig und leicht sauer, duftet er nach Zimt und schmeckt süß wie Kuchen. Anstatt eines Kerns trägt er in seinem Inneren einen goldenen Zimtstern – und so werden Klaras Urururenkel noch heute daran erinnert, wie einst dem kleinen Apfelbaum sein größter Wunsch erfüllt wurde und er ein Weihnachtsbaum sein durfte.

Britta Voß wurde 1979 in Bremen geboren. Sie lebt in Göttingen, wo sie auch studiert hat. Wenn sie nicht gerade in der Rechtsanwaltskanzlei ihres Ehemannes arbeitet, im Fitnessstudio trainiert, sich mit ihren „Literatur-Mädels“ über Bücher austauscht oder an einer neuen Kurzgeschichte schreibt, liest sie gern und viel. Ihre Kurzgeschichten haben bereits Aufnahme in viele Anthologien gefunden, darunter auch fast alle „Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland“-Bücher und alle „Wie aus dem Ei gepellt“-Bände.

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Ziemlich super Freunde

Es war vor vielen Jahren, als die Menschen noch nicht so hektisch waren, die Technik das Leben nicht beherrschte und der Lebensstil einfacher war. Es gab keine Supermärkte, keine Versandhäuser und man kaufte im kleinen Tante-Emma-Laden um die Ecke gemütlich ein: pikante Salzbutter und würzige Salzgurken im Butterhaus, Zucker und Mehl, abgewogen in reißfesten Tüten, im Lebensmittelgeschäft – und Blumen im Blumenladen. Die Kinder lasen Bücher; Fernsehen und Telefone gab es nur wenige in den Haushalten.

Eben zu dieser Zeit bummelte ein kleines Mädchen nach der Schule durch die kleine Stadt und schaute sich die Auslagen in den Fenstern der Geschäfte an. Die Kleine hatte keine speziellen Wünsche und ihr Taschengeld war nicht hoch: 2,- D-Mark im Monat. Ihre Eltern waren zwar nicht arm, aber eben auch nicht reich. Das Mädchen musste mit seinem Geld haushalten.

An der Ecke, an der das zierliche Mädchen die Straße überqueren musste, gab es ein Sämereigeschäft, langweilig, aber trotzdem schaute die Kleine ins Schaufenster hinein. Sie musste lächeln. Hinter der Fensterscheibe tummelten sich kleine Küken von Enten, Gänsen und Hühnern.

„Sind die süß“, dachte die Kleine und ging spontan in den Laden, legte ihr gesamtes Taschengeld für einen Monat auf die Theke und sagte kess: „Ich möchte ein Gänseküken.“ Die Besitzerin wunderte sich ein wenig, hatte aber keine Bedenken – denn das hier war nicht der große Deal. Mit einem kleinen Karton in der Hand, in den Löcher gebohrt waren und aus dem es aufgeregt piepste, ging das Mädchen nach Hause.

„Was bringst du denn da mit?“, fragte die erstaunte Mutter.

„Eine Gans.“

„Wie bitte? Und was sollen wir damit?“

„Schwimmen lassen.“

„Schwimmen lassen. Du bist ja gut. Wir haben keinen Garten und auch keinen Teich.“

„Nee, aber Oma hat doch einen Garten.“

„Das stimmt schon, aber sie hat auch eine Katze …“ Mittlerweile hatte die überraschte Mutter sich beruhigt, eine große Spülschüssel aus der Kammer nebenan geholt, frisches Wasser in die Schüssel gefüllt und das kleine gelbe Federknäuel auf das Wasser gesetzt. Der Quirl paddelte vergnügt im Zickzack in dem Mini-Teich herum. „Da musst du erst mal die Oma fragen, ob sie den kleinen Pieper beaufsichtigen will. Außerdem müsstest du jeden Tag hingehen, um das Tier zu füttern. Der Oma kannst du das nicht zumuten. Das Tier braucht ein Gehege und und …“ Dieses Kind!

„Ich könnte ja erst einmal aus Draht provisorisch ein kleines Viereck umzäunen“, äußerte sich der Vater sachlich zu dem Chaos.

Erst vor Kurzem war die Familie in diese Mietwohnung gezogen, Bedingung: keine Tiere. Vorher lebten sie mit Oma beengt in dem alten Haus, nicht weit von hier, vielleicht 20 Häuser entfernt in der gleichen Straße.

Das Mädchen ging am späten Nachmittag zur Oma, um das piepsende Problem zu besprechen. „Oma, kannst du ein kleines Gänseküken in der Waschküche gebrauchen?“

„Wa...as?“

„Ich habe mir heute einen Gottlieb gekauft. Kann ich den behalten?“

„Wer ist Gottlieb?“

Das Mädchen erzählte, die Oma hatte Verständnis und schmunzelte. Die Waschküche war vor einiger Zeit angebaut worden, um das alte Haus moderner zu machen. An eine Waschküche mit Piepstönen in der Nacht hatte dabei wohl keiner gedacht. Der Vater baute im Garten ein kleines Karree mit festem Maschendraht und eine alte Weinkiste für den tagtäglichen Transport, abends rein und morgens raus, fand sich in der rumpeligen Scheune. Futter musste auch gekauft werden, aber fürs Erste taten es Haferflocken.

Eigentlich glaubte keiner, dass Gottlieb die abenteuerliche Einquartierung lange überstehen würde. Außerdem gab es noch andere Leute, die hier einen kleinen Garten gepachtet hatten, und die wunderten sich wahrlich über das einsame Küken. Na ja, Omas Kater Pepe würde sich schon um den Gottlieb kümmern. Aber der, der schaute nur zu, wie der Pieper herumlief, leise Töne von sich gab und etwas Gras pickte. Er beobachte das merkwürdige Piepsknäuel und sonst passierte nichts.

Mit der Zeit verlor Klein-Gottlieb seinen Flausch und er bekam schöne weiße Federn und vor allen Dingen: Er wuchs. Er wuchs zu einem stolzen Ganter heran, mit langen schneeweißen Federn und kräftigen Flügeln. Manchmal schaffte er es sogar über den Draht und dann lief er in den anderen Gärten herum – sehr zum Ärger des grauhaarigen Gartennachbarn.

„Das geht doch nicht. Der pickt doch alles ab. ... Ich könnte die Hauptarbeit schon erledigen …“, maulte er verdächtig gestikulierend. Der Vater dachte an seine kleine Tochter, holte tief Luft und vergrößerte das Gehege.

Die Kleine umsorgte den Gänserich liebevoll. Jeden Abend ging sie zu ihm, fütterte ihn und sprach mit ihm. Sogleich war der neugierige Kater Pepe zur Stelle. Ab und zu hatte Gottlieb Langeweile und er meuterte ziemlich laut. Dem großen Kerl fehlte Betätigung, besonders an sommersonnigen Tagen. Das Mädchen grub eine Mulde in ein Gartenbeet und füllte sie mit Wasser, denn das Regenfass reichte mittlerweile für Gottliebs Größe nicht mehr. Wenn das kleine Mädchen ihn vorsichtig und liebevoll auf den Arm nahm, nahm er das ruhig und gelassen hin. Die beiden mochten sich. Allerdings war der gebuddelte Teich nur begrenzt haltbar – das Wasser versickerte nach einiger Zeit. Also das Ganze noch einmal, oder aber die Badezeit war beendet.

Der Herbst kam, Blätter fielen, und bald erfanden die beiden ungleichen Gartenbewohner ein neues Spiel. Oft saß der Kater nur still da und beobachtete Fliegen und sonstiges Kleingetier. Dabei zuckte sein Schwanz aufgeregt hin und her. Gottlieb biss gereizt hinein. Pepe erschreckte sich dann furchtbar und rannte im Katzengalopp los. Der Ganter behielt jedoch den Schwanz im Schnabel und düste mit flatternden Flügeln hinterher. Eine heitere, filmreife Gemeinschaftsproduktion, ein lustiges Gespann. Mit der Zeit bekamen die beiden Übung und wurden immer schneller. Gottliebs Watschelbeinchen kamen kaum mit, aber sie hoben sich sogar vom Boden ab.

Das Mädchen musste darüber lachen. Der griesgrämige Nachbar schaute interessiert zu. Ab und zu hob er den Gänserich hoch. Überprüfte er sein Gewicht? Wollte er ihn kaufen? Oder wollte er ihn gar …? Gottlieb fauchte; er mochte ihn nicht. Gottlieb und Pepe, die beiden mochten sich. Manchmal saßen sie nahe beieinander, und schauten sich nur still an. Der Nachbar kam in letzter Zeit verdächtig oft, zu oft, sogar an kühleren Tagen.

Argwöhnisch schauten sich die beiden Freunde an. „Das lässt nichts Gutes ahnen. Was machen wir?“ Leise gab jeder ein paar Töne von sich. „Unser Spiel ist gut. Wir müssen es nur verbessern. Du musst noch kräftiger mit den Flügeln schlagen.“ Am nächsten Tag wiederholten sie das Spiel und wieder und wieder. Es klappte schon besser. Der Ganter kam ein ganzes Stück voran. Er hatte das Fliegen ja vorher nie gelernt. „Mau. Heute versuchen wir es. Es wird Zeit. Die Tage werden kürzer. Zieh du los! Ich habe meine Menschenfamilie und das Haus. Los!“ Pepe rannte wie der Blitz, Gottlieb hinterher und dann ging er in die Lüfte, und Kater Pepe stand mit steilem, winkendem Schwanz am Boden.

„Tschüss Pepe“, schnatterte Gottlieb wehmütig. Er flog über Felder und über weihnachtlich beleuchtete Tannenbäume auf Marktplätzen. Unter ihm weites Land und mittendrin ein Fluss. Gottlieb verlangsamte seinen Flügelschlag und landete tölpelhaft in der Nähe einer Vogelversammlung. Geschnatter und Geschnatter. Höckerschwäne, Graugänse und Stockenten. Die Gefiederten schauten ihn an. „Wo kommst du Fremdling denn her? Bist du aus der Stadt?“

„Kr-kr.“

„Ja, jetzt ist das eine gefährliche Zeit. Aber hier sind wir sicher. Freundliche Menschenkinder bringen uns sogar Futter. Und im Frühjahr sprießen kleine runde, blütenweiße Blümchen, richtige Leckereien.“ Die bunt Gefiederten musterten diesen fremden, gewichtigen Eindringling und nahmen ihn schließlich freundlich auf. Es gab genug zu fressen, keine Konkurrenz. Schlaraffenland. Ganter Gottlieb musste allen Umherstehenden seine aufregende Geschichte erzählen, und sie feierten lautstark seine Freiheit. Er dachte noch einmal an Pepe, der jetzt im warmen Haus auf dem Sofa lag, und dann mischte er sich unter das Futter pickende Federvolk.

Doris Giesler machte eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin. Sie schrieb schon damals kurze Geschichten für Zeitungen und Tierkalender.

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Der verlorene Klöppel

war schon als Kind extrem fabuliersüchtig. Dieser Sucht ist sie bis ins Erwachsenenalter treu geblieben. Ihre Geschichten, Märchen und Gedichte können in über 50 Anthologien und eigenen Büchern gelesen werden.