Philippe Karl
IRRWEGE
DER MODERNEN
DRESSUR
Die Suche nach einer „klassischen“ Alternative
Zum Gedenken an Berthold Schirg und Volker Landgrebe
Vorwort
Einleitung
Schlüsselprobleme der Dressur
Psychische Aspekte
Das Zähmen
Das Lernen
Das Üben
Schlussfolgerungen
Verbesserungsvorschläge
Natürliche Schiefe
Ursachen
Auswirkungen bei der Arbeit
Was der Reiter fühlt
Geraderichten
Schlussfolgerungen
Gleichgewicht
Das natürliche Gleichgewicht
Die Versammlung
Schlussfolgerungen
Gymnastizierung
Das Einrollen
Auswirkungen des Einrollens
Lösung: Die Dehnungshaltung
Schlussfolgerungen
Die Hand
Der offizielle Einsatz der Hand
Zügelhaltung und Position der Hand
Die durchhaltende Zügelhilfe
Die annehmende Zügelhilfe
Maulprobleme
Schlussfolgerungen
Problematik des An-die-Hand-Stellens
Verspannung statt Steifheit
Das Genick als Sitz der Widerstände?
Schlussfolgerungen
Alternative
Vorgehensweise bei einem unproblematischen Pferd
Vorgehensweise bei einem über dem Zügel gehenden Pferd
Vorgehensweise bei einem Pferd, das sich auf den Zügel legt
Vorgehensweise bei einem sich einrollenden Pferd
Bilanz
Arbeit auf Kandare
Die Wirkung der Kandare
Alternative
Die Geschichte der „tiefen Hand“
Wendungen
Analyse der offiziellen Lehre
Schulung des Pferdes auf den anliegenden Zügel
Ein Blick in die Geschichte
Bilanz
Schlussfolgerungen
Das an der Hand stehende Pferd
Die ruhige Kopfhaltung
Vorgehensweise für das An-die-Hand-Stellen
Einwirkung mit der Hand
Auswirkungen auf das Dressurreglement
Die Schenkel
Vorwärtsbewegung
Schubkraft
Schwung und Impulsion
Schule der Schenkelhilfen
Schlussfolgerungen
Biegung
Anatomische Grundlagen
Was der Reiter fühlt
Bewegungsablauf
Schlussfolgerungen
Untertreten der Hinterbeine
Wirkung der Hand
Wirkung des Sitzes
Wirkung der Schenkel
Schlussfolgerungen
Der Sitz
Seitengänge
Ein Fallbeispiel: Schulterherein
Mögliche Stellungen in den Seitengängen
Bilanz
Angaloppieren
Bewegungsablauf des Angaloppierens
Schulung des Angaloppierens
Bilanz
Kontergalopp
Die offizielle Lehre
Der nützliche Kontergalopp
Bilanz
Fliegender Galoppwechsel
Die offizielle Lehre
Analyse des fliegenden Wechsels
Methodische Erarbeitung
Bilanz
Schlussfolgerungen
Übergänge und Versammlung
Übergänge
Analyse der offiziellen Lehre
Alternative
Veranschaulichung durch ein Experiment
Kopf hoch = weggedrückter Rücken?
Bilanz
Rückwärtsrichten
Analyse der offiziellen Lehre
Alternative
Bilanz
Piaffe
Analyse der offiziellen Lehre
Alternative
Bilanz
Passage
Analyse der offiziellen Lehre
Alternative
Schlussfolgerungen
Ein System und seine Auswirkungen
Die Ausbildungsskala
Analyse der offiziellen Lehre
Bilanz
Sport, Zucht und Geschäft
Geschichtlicher Hintergrund
Dressur und Dressursport
Schlussfolgerungen
Klassisch or not klassisch?
Die Dressur in der Geschichte
Schlussfolgerungen
Vorschlag einer „klassischen“ Alternative
Die Schule der Légèreté
Ausbildungsplan
Erste Etappe: Die anfängliche Leichtheit
Zweite Etappe: Die Biegsamkeit
Dritte Etappe: Die Mobilität
Vierte Etappe: Die Versammlung
Anmerkung zum Geraderichten
Nachwort
Literatur
Ein kritisches und auf rüttelndes Buch über die Dressur und das, was heute vielfach aus ihr geworden ist. Philippe Karl, einer der mutigsten Kritiker einer Dressurwelt, deren Ausbildungsmethoden einzig darauf abzielen, ein Pferd möglichst schnell in mit hohen Preisgeldern dotierten Prüfungen an den Start zu bringen, legt mit diesem Buch den Finger in die Wunde.
Auf der Grundlage der psychischen, anatomischen und physiologischen Voraussetzungen des Pferdes analysiert der Autor die Grundsätze der modernen Dressur, wie sie in den Richtlinien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) festgeschrieben sind. Mit Gegenüberstellungen von Auffassungen der größten Meister der Reitliteratur von La Guérinière bis Baucher gelingt es ihm, Dogmen und Irrwege aufzudecken und einen Lösungsweg aufzuzeigen, der hinausführt aus der Sackgasse, in der sich die auf Turnieren gezeigte Dressur heute befindet.
Aus dem Inhalt
• Schlüsselprobleme der Dressur: Psychische Aspekte, natürliche Schiefe, Gleichgewicht, gymnastizierender Aufbau
• Die Hand, die Schenkel, der Sitz
• Ein System und seine Auswirkungen: Dressur, Zucht und Geschäft
• Vorschlag einer „klassischen“ Alternative: Die „Schule der Légèreté“
Über den Autor
Philippe Karl, gelernter Züchter und vielseitiger Reiter, ist in allen Sparten der Reiterei aktiv. Dreizehn Jahre lang war er im Cadre Noir, der französischen Elitereitschule in Saumur, als Bereiter tätig. Als begeisterter Reitlehrer unterrichtet Karl, der in Frankreich lebt, Schüler in Lehrgängen auf der ganzen Welt. Seine bisherigen Buchveröffentlichungen „Hohe Schule mit der Doppellonge“ und „Reitkunst“ sind in mehrere Sprachen übersetzt worden und haben internationale Bedeutung erlangt.
Philippe Karl ist zudem ein begnadeter Zeichner, dessen präzise und nicht selten mit bissiger Ironie versehene Werke das vorliegende Buch ergänzen. Philippe Karl, geboren 1947, bricht im Jahr 1968 sein Medizinstudium ab, um sich den Pferden zu widmen. Von 1968 bis 1971 studiert er am Centre d’Enseignement Zootechnique, dem französischen Ausbildungszentrum für Tierzucht in Rambouillet, und anschließend am Staatsgestüt Haras National du Pin.
Nach dem Erwerb des staatlichen Reitlehrerdiploms leitet Philippe Karl bis 1979 die Abteilung Reiten des Centre d’Enseignement Zootechnique, ist dort für verschiedene Berufsausbildungen verantwortlich und startet regelmäßig auf Vielseitigkeits- und Springturnieren.
Ab 1980 führt Karl seine eigene Reitschule, bis General Pierre Durand ihn im Jahr 1985 an die französische nationale Reitschule Ecole Nationale d’Equitation in Saumur beruft, wo er als Bereiter Mitglied des Cadre Noir wird.
Philippe Karl widmet sich besonders den Vorstellungen des Cadre Noir, für die er zwei historische Schaubilder, Vorführungen am langen Zügel mit Lektionen der Hohen Schule und Springvorführungen an der Doppellonge entwirft. Zudem ist er Mitglied der Bereiterquadrille. 13 Jahre lang nimmt er an allen Galavorstellungen des Cadre Noir in Frankreich und ganz Europa teil.
1998 verlässt Philippe Karl die Ecole Nationale d’Equitation, um sich seinen Lehrgängen in Frankreich, Deutschland, Italien, der Schweiz und den USA zu widmen. Nach zwei Jahren in Deutschland lässt er sich im Jahr 2001 mit seiner Frau Bea Borelle in Frankreich nieder.
Seit 2004 bildet Philippe Karl Reitlehrer im Rahmen der „Schule der Légèreté“ aus. Das hinter dieser Schule stehende Konzept – in dem vorliegenden Werk ausführlich dargestellt – ist durch eine entsprechende Patentanmeldung gesetzlich geschützt.
www.philippe-karl.com
DANKE
Ich bedanke mich bei Bea Borelle für ihre unermüdliche Unterstützung und bei Ilka Flegel für die Zusammenarbeit und die hervorragende Übersetzung.
Folgende Pferde wurden für die Abbildungen in diesem Buch zur Verfügung gestellt:
• Enanquim
(Lusitanowallach, gezogen von Dany Lahaye)
• Sampaio
(Oldenburgerhengst, gezogen von Heike Blank-Jägeler)
• Michelangelo
(Trakehnerhengst, gezogen von Familie Heinen, Issum, im Besitz von Familie Erdsiek, Webelsgrund)
• Quiela
(Lusitanohengst, gezogen von Martia Biraghi)
• Tabea
(Trakehnerstute, im Besitz von Bea Borelle)
• Moses
(Holsteiner-Haflinger-Wallach, im Besitz von Wibke Kühl)
Copyright © 2010 by Cadmos Verlag GmbH, Schwarzenbek
Gestaltung und Satz der Originalausgabe: Ravenstein + Partner, Verden
Titelfoto: Alain Laurioux
Fotos: Alain Laurioux, Christiane Slawik, Jacques Toffi
Zeichnungen: Philippe Karl
Übersetzung aus dem Französischen: Ilka Flegel
Projektleitung: Anneke Bosse
E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH
Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten.
Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.
Printed in Germany
ISBN 978-3-86127-413-1
eISBN-978-3-84046-054-8
www.cadmos.de
Ich freue mich immer, einen Text von Philippe Karl zu lesen, insbesondere, wenn er vom Autor selbst bebildert wurde, der in lebendigen und sicheren Strichen elegante und korrekte Pferde aufs Papier zaubert. Ganz besonders erfreut mich jedoch die technische Qualität seiner Aussagen, die den Lehren der französischen Schule entsprechen – jenen Grundsätzen, die zu bewahren und weiterzugeben Aufgabe des Cadre Noir in Saumur ist.
Philippe Karl, ehemaliger Ecuyer des Cadre Noir, hat mit Erfolg zu dieser anspruchsvollen Aufgabe beigetragen. Er hat mehrere Pferde verschiedener Rassen ausgebildet und vorgestellt, die zwar unterschiedlichen Spezialdisziplinen zugedacht waren, aber alle zuvorderst den Ansprüchen der von General L’Hotte aufgestellten gemeinsamen Grundlagen genügten. Seien es die Lusitanos „Odin“ und „Verdi“, der Anglo-Araber „Tetra“ oder andere an den Vorstellungen der Ecole Nationale d’Equitation beteiligte Pferde: Die Leistungen von Philippe Karl zählten stets zu den Höhepunkten dieser Galaabende.
Als vorbildlicher Praktiker und anerkannter Pädagoge hat Philippe Karl kürzlich eine Reihe von Filmen veröffentlicht, die mit schönen Bildern das Reiten in Légèreté (Leichtheit) veranschaulichen und das vorliegende Werk ergänzen. Dort sieht man willige, taktreine, gelassene Pferde, deren blühende Verfassung von einem stabilen Gleichgewicht zeugt. Sie wecken die Lust auf feines Reiten. Ihre Ungezwungenheit äußert sich in der von Pluvinel und La Guérinière geforderten „Galantheit des Mauls“, dem „Abkauen“ von Seeger und Steinbrecht, der „weichen Mobilität des Mauls“ von Baucher und General L’Hotte. Ohne sie ist die Légèreté nicht vollständig; ihre Abwesenheit ist ein untrügliches Zeichen für eine Unstimmigkeit in der körperlichen oder geistigen Verfassung des Ausführenden, wie General Decarpentry es ausdrückt.
Die Lockerheit im Unterkiefer, Voraussetzung für jeglichen Versuch des An-die-Hand-Stellens, ebnet den Weg für die Impulsion, diesen unentbehrlichen Luxus, und geht einher mit einem leichten, von betonten Descentes de main (Sinkenlassen der Hand) unterstrichenen Zügelkontakt.
Zu Zeiten, als sich die Experten noch über richtig und falsch einig waren, waren diese Werte etwas, das die Turnierteilnehmer anstrebten und die Richter unterstützten. Es war eine glückliche Zeit für die klassische Dressur. Zwar wurde der Turniersport von Deutschland beherrscht, doch er bewegte sich in einem Rahmen, der alle Feinheiten der Kunst beinhaltete, und diese kennt bekanntlich keine Grenzen.
Heutzutage ist die Kunst, Pferde auszubilden, eine von wirtschaftlichen Aspekten dominierte sportliche Disziplin geworden. Groß ist die Zahl der „weißen Ritter“, die ihre Irrwege aufzeigen.
Auch Philippe Karl befindet sich auf dem Feldzug. Sein erwiesenes reiterliches Können macht ihn zu einem wertvollen Diskussionspartner in einer Zeit, in der Besserwisser hochgejubelt werden, deren Virtuosität im Sattel nicht einmal Rekrutenniveau erreicht. Seine kritische Studie geht von einer Feststellung aus, analysiert die Situation und schlägt eine Alternative vor. Sehr treffend stellt er dar, wie die fest formulierten Dressuraufgaben ersetzt werden könnten durch ein Prüfungsmuster, das sich an der Bekanntgabe des Parcours vor einer Springprüfung orientiert.
Zwar ist der Ton nicht immer versöhnlich, doch sowohl der Ernst der Lage auf der einen Seite als auch die methodische Strenge sowie die ungeschminkte Sprache und Leidenschaftlichkeit des Autors auf der anderen sind schlecht vereinbar mit der durch und durch diplomatischen Praktik des Kompromisses.
Möge der Erfolg seine Bemühungen krönen und ihn in verantwortliche Positionen führen, auf die er dank seines Könnens und seiner Ethik als Pferdemensch ein legitimes Anrecht hätte.
General Pierre Durand
Ecuyer en Chef des Cadre Noir von 1975 bis 1984
Direktor der Ecole Nationale d’Equitation in Saumur von 1984 bis 1988
Was ist Dressur? In einem Lexikon findet man zum Beispiel die folgende Definition:
„Gesamtheit von auf physischem und psychischem Druck beruhenden Verfahren zur Erzeugung von bedingten Reflexen mit dem Ziel, ein Tier für verschiedene Aufgaben einzusetzen.“
So erzieht man den Hund, etwas zu bewachen oder zu jagen, Lawinen zu durchsuchen oder einen Blinden zu führen; so lehrt man den Elefanten, Baumstämme zu rücken, den Otter, einen Ball auf der Nase zu balancieren, oder den Hasen, aus einem Hut zu springen. Die Dressur lässt sich anhand ihrer Ergebnisse bewerten, aber sicherlich auch an der Qualität der verwendeten Mittel – die von spielerischen Lernmethoden bis hin zum Zwang durch Gewalt reichen oder gar von Brutalität und Grausamkeit geprägt sein können.
Jeder Reiter betreibt bewusst oder unbewusst Dressur, selbst wenn er dies streng von sich weist. Ein Pferd unterscheidet nicht zwischen einer „Dressurstunde“ und seiner wie auch immer gestalteten sonstigen Nutzung. Jeder noch so banale Einsatz durch den Menschen prägt sich in die Psyche des Pferdes ein und ist daher immer als ein Dressurakt zu sehen, der positive oder negative Auswirkungen haben kann.
Die Dressur ist also im weitesten Sinne die Gesamtheit aller Prinzipien, Methoden und Verfahren, die angewendet werden, um die Fähigkeiten des Pferdes im Sinne des Menschen zu optimieren – alle Pferderassen und reiterlichen Disziplinen eingeschlossen.
Betrachten wir einmal, wie sich die Auffassungen von Dressur über die Jahrhunderte hinweg entwickelt haben: Im Mittelalter beschränkte man sich auf eine empirische, kriegerische und oft grausame Ausnutzung des Pferdes. Seit der Gründung der ersten Reitakademien in der italienischen Renaissance (Mitte des 16. Jahrhunderts) strebten die Reiter unermüdlich danach, Regeln für eine ideale Dressur aufzustellen. Die Künste und Sitten verfeinerten sich. Man war bemüht, von der bis dahin vorherrschenden Brutalität Abstand zu nehmen.
Im 17. Jahrhundert gab man sich mit der Theorie zufrieden, nach der Tiere als Maschinen zu betrachten waren. Dem stellte sich William Cavendish, Herzog von Newcastle, entgegen, der einen der fundamentalen Grundsätze der klassischen Reitkunst formulierte:
„Die Kunst sollte immer der Natur folgen und sich ihr niemals widersetzen.“
Im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Aufklärung und der Enzyklopädisten, strebte die Reiterei nach mehr Rationalität. François Robichon de la Guérinière trug mit seinem Werk „Ecole de Cavalerie“ (Titel der deutschen Übersetzung von 1817: „Reitkunst“) auf meisterhafte Weise dazu bei:
„Die Kenntnis der Natur des Pferdes ist eine der Grundlagen der Reitkunst, und jeder Pferdemann sollte sie zum zentralen Objekt seiner Studien machen. (…) Ohne diese Theorie ist die Praxis immer ungewiss.“
Diese Philosophie, durch die damalige Wissenschaftsgläubigkeit noch verstärkt, durchzieht die gesamten reiterlichen Studien des 19. Jahrhunderts. Einer der berühmtesten Schüler von François Baucher, General L’Hotte, schrieb im Jahr 1906 in „Questions équestres“ („Reitfragen“):
„Die Natur ist der erste aller Lehrmeister. Ihr Buch ist das beste, das gelehrteste aller Bücher, dasjenige, das es sich am meisten zu lesen lohnt. Von den Auswirkungen, die seine Seiten beschreiben, führt es uns geradewegs zu den dahinter liegenden Ursachen.“
Mit der Gründung des Dressursports in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Kunst der Ausbildung von Pferden schließlich zu einer sportlichen Disziplin. Die nunmehr sportlich-ökonomisch geprägte, weltweit ausgeübte Disziplin wird heute von Berufsreitern, Sponsoren und den Medien bestimmt und von der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI) definiert und geprägt. Sie stellt gleichzeitig die absolute Referenz für die offizielle Reitlehrerausbildung dar.
Es ist berechtigt, die historische Legitimität, die Wurzeln und die Konsequenzen eines solchen Monopols aus Sicht der klassischen Reitkultur überprüfen zu wollen – vor allem angesichts dessen, dass die Dressur als ein Spezialgebiet nur dann Sinn machen kann, wenn man sich bemüht, die für das Pferd beste Methode zu finden; diejenige also, die sowohl effizient als auch sanft ist, weil sie der Natur des Pferdes entspricht.
„Der Zweifel ist das Heilmittel, das uns die Weisheit lehrt.“ (Pubilius Syrus, römischer Schriftsteller, 1. Jh. v. Chr.)
Das vorliegende Buch hat sich die Analyse der modernen Dressur auf Grundlage der Kenntnis des Pferdes zum Ziel gesetzt. Dies ist die zuverlässigste Vorgehensweise, um den Launen der Mode, den zwangsläufigen Vereinfachungen von Spezialisierungen und den Vorurteilen der verschiedenen Schulen ebenso zu entgehen wie der Tyrannei geltender Dogmen.
Auf der Grundlage von Tatsachen aus Anatomie, Physiologie, Bewegungslehre, Gleichgewichtslehre, Psychologie und mithilfe einer allzu oft vernachlässigten Wissenschaft – der des gesunden Menschenverstandes – werden Schritt für Schritt die Grundsätze der offiziellen Dressur beleuchtet. Als Quellen dienen Dressurhandbücher, insbesondere die Richtlinien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) – die „Bibel“ eines jeden Reiters, der, wo auch immer auf diesem Planeten, in einem von Buchstaben umsäumten Viereck seinen Sport ausübt. [Anm. d. Übers.: Dem Originaltext des Autors liegen die englischen Ausgaben der FN-Richtlinien zugrunde. Die entsprechenden deutschen Passagen sind den „Richtlinien für Reiten und Fahren“, Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN), FNverlag, entnommen; Band 1: „Grundausbildung für Reiter und Pferd“, 27. Auflage 2000, und Band 2: „Ausbildung für Fortgeschrittene“, 11. Auflage 1990.]
Im Licht dieser Analyse werden die Dogmen der aktuellen Dressur ihre Unzulänglichkeiten und negativen Auswirkungen offenbaren. Parallel dazu wird eine sinnvolle Alternative entwickelt, die auf Respekt gegenüber dem Pferd, der Ablehnung von Zwangsmitteln und auf pädagogischer Intelligenz gründet. Konkret geht es dabei um:
• die Definition der wichtigsten reiterlichen Konzepte,
• die Methoden der Dressur,
• die Ausbildung der Reiter,
• die Ausbildung der Reitlehrer,
• die Richtlinien und die Konzeption von Dressuraufgaben.
Der Reitkultur verpflichtet, wird schließlich untersucht, ob der aufgezeigte Weg den Schriften der größten Meister gerecht wird.
„Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit folgen nicht aus der Natur, sondern aus dem Gesetz.“
(Archelaos von Milet, 6. Jh. v. Chr.)
Das Pferd ist der beste aller Lehrmeister.