Friedrich Schweitzer
Das Bildungserbe
der Reformation
Bleibender Gehalt
Herausforderungen
Zukunftsperspektiven
Gütersloher Verlagshaus
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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-19962-3
V002
www.gtvh.de
Inhalt
Zur Einleitung: Herausforderungen – neue Chancen – Zukunftsperspektiven
1. Reformatorisches Bildungserbe: Geschichtliche Ausgangspunkte, Gehalt und offene Fragen
1.1 Martin Luther und die Geschichte der Bildung: Historische Vergewisserung
1.2 Was das reformatorische Bildungserbe ausmacht: Der bleibende Gehalt
1.3 Bildung heute und die evangelische Tradition: Rezeptionsmöglichkeiten und offene Fragen
2. Bildung als Markenzeichen des neuzeitlichen Protestantismus: Wirkungsgeschichte, Selbstverständnis und Transformationen
2.1 Fragen einer Wirkungsgeschichte
2.2 Institutionelle Entwicklungen: Vielfalt der Bildungsangebote im Protestantismus
2.3 Bildung, Wissenschaft und Kultur
2.4 Der Protestantismus als »Bildungsreligion«?
2.5 Aufklärung und Moderne, Staat und Kirche: Veränderte Parameter eines protestan-tischen Bildungsverständnisses
3. Herausforderungen der Gegenwart
3.1 Demographie: weniger, älter – und die Folgen
3.2 Pluralisierung und Privatisierung von Religion und Weltanschauung
3.3 Säkulares Bildungsverständnis – Religion als Störung des gesellschaftlichen Friedens
3.4 Wertebegründung ohne Religion
3.5 Evangelische Bildungsangebote zwischen Eigenprofil und gesellschaftlichem Wandel
3.6 Misslingende Kommunikation christlicher Glaubensinhalte
4. Zur Neufassung des evangelischen Bildungsverständnisses: Zukunftsperspektiven
4.1 Würde des Menschen – Bildung für alle: ein transformatives Menschenbild als Kern
4.2 Bildung und Religion: Glaube und Wissen versöhnen
4.3 Dialogisches Ethos: Ökumene, Interreligiosität, Konfessionslosigkeit
4.4 Neuer gesellschaftlicher Bedarf an religiöser Bildung: Interreligiöse Kompetenz und berufliche Handlungsfähigkeit
4.5 Sinn, Verantwortung und Lebenskunst: Gelingendes Leben als Bildungshorizont
4.6 Kirche: Mündiges Christsein in Gemeinschaft
4.7 Das staatliche Bildungswesen mitverantworten und mitgestalten
4.8 Bildung in der Zivilgesellschaft: Mehr als nur Schule!
4.9 Anforderungen an kirchliches und staatliches Bildungshandeln
5. Das reformatorische Bildungserbe erneuern: 20 Thesen
5.1 Das reformatorische Bildungserbe erschließen
5.2 Aktuelle Herausforderungen erkennen
5.3 Das reformatorische Bildungserbe neu auslegen und aktualisieren
Anmerkungen
Register
Zur Einleitung: Herausforderungen – neue Chancen – Zukunftsperspektiven
Schon der Begriff provoziert: »Bildungserbe« – kann man Bildung erben?
Der Begriff soll auch provozieren – zu eigenem Nachdenken und zu Klärungsprozessen, die gerade in unserer Gegenwart in neuer Weise dringlich sind.
Denn während der Protestantismus sich anschickt, seine 500-jährige Geschichte zu feiern, steht er zugleich vor tiefgreifenden Umbrüchen, die nicht zuletzt im Bildungsbereich vor Augen treten. Ist der Protestantismus noch in dem Sinne eine Bildungsreligion, dass hier auch Gebildete Antworten auf ihre Fragen finden? Oder ist er eine Religion nur (noch) für Gebildete? Hängt die Zukunft des Protestantismus auch daran, dass das reformatorische Bildungserbe tatsächlich angetreten wird? Und welche Rolle kann und soll dieses Erbe über die Grenzen der Kirche hinaus heute noch spielen?
Solche Fragen deuten an, worum es in diesem Band gehen soll, aber auch, was von Anfang an ausgeschlossen sein muss. Gerade der gegenwärtige Horizont des Reformationsjubiläums fordert zu einer solchen Klärung heraus:
Nur wo solche Probleme nicht übergangen werden, kann auch die Frage nach neuen Chancen einleuchten, die sich mit einem bestimmten Bildungserbe verbinden. Dabei wird deutlich, dass auch diese Chancen beträchtlich sind und dass es sich lohnt, nach Möglichkeiten der Erneuerung zu fragen:
In allen diesen Hinsichten muss also immer auch kritisch geprüft werden, was es zu erben gibt und ob ein Erbe überhaupt angetreten werden soll. Positiv ausgedrückt, geht es um die Aufgabe einer kritischen Selbstprüfung als Grundlage für zukunftsfähige Weiterentwicklungen. Insofern verweisen Traditionsorientierung auf der einen und die kritische Auseinandersetzung mit der Tradition im Dienste der Erneuerung auf der anderen Seite konstitutiv aufeinander. Das eine ist ohne das andere nicht möglich. Nur wenn eine Erneuerung erreicht wird, kann ein Erbe erfolgreich angetreten werden.
Deshalb müssen im Folgenden mehrere Interessen oder Ziele zugleich maßgeblich sein. So geht es durchaus um das Motiv einer Vergewisserung im Blick auf den Zusammenhang von Bildung, Reformation und Protestantismus: Worin besteht dieser Zusammenhang? Aber es muss eben auch darum gehen, welche Bedeutung Bildungsaufgaben für die Zukunft des Protestantismus haben und welche Schritte für eine Erneuerung des evangelischen Bildungsverständnisses erforderlich sind.
Ebenso muss das Motiv der Vergewisserung bewusst überschritten werden, wenn es um die gesellschaftliche Bedeutung des protestantischen Bildungsverständnisses gehen soll. Der Verweis auf die Tradition allein führt hier nicht weiter. Vielmehr stellt sich die Frage, was ein protestantisches Bildungsverständnis heute noch für die Gesellschaft austragen kann. Diese Frage zwingt erneut dazu, jede konfessionelle Verengung hinter sich zu lassen. Antworten werden hier nur überzeugen, wenn sie auch für andere Konfessionen und Religionen plausibel sind.
In dieser Zuspitzung wird erkennbar, dass überzeugende Perspektiven sich nur entwickeln lassen, wenn das Motiv der Reformation selbst fortgeschrieben wird. Dazu ist das Bildungserbe nicht nur kritisch und selbstkritisch zu betrachten, sondern die in diesem Erbe anzutreffende Ausrichtung auf eine Erneuerung muss auch für Gegenwart und Zukunft zum Tragen gebracht werden. Reformation bedeutet ja genau dies: eine Erneuerung für die Zukunft – durch Rückkehr zu dem, was aus dem Blick geraten ist.
Als 500 Jahre zurückreichende Größe stellt der Protestantismus dabei vor die Schwierigkeit, dass sich ein so langer Zeitraum in einer begrenzten und bewusst überschaubar gehaltenen Darstellung kaum im Einzelnen aufnehmen lässt. Erforderlich sind stattdessen Auswahl und Konzentration auf Wesentliches, woraus sich freilich nicht nur Nachteile, sondern auch besondere Chancen ergeben. Grundlegende Klärungen erwachsen oft weniger aus den Details als aus einer Betrachtung, die ohne eine gewisse Abstraktion von Einzelheiten nicht möglich ist.
Wie schon in dieser Einleitung erkennbar wird, kommen mehrere, sich teils überschneidende Begriffe und Bezeichnungen ins Spiel, wenn das reformatorische Bildungserbe in seiner geschichtlichen Entfaltung in den Blick genommen werden soll. Als »reformatorisch« werden im Folgenden ebenso die Entwicklungen im 16. Jahrhundert wie auch die davon ausgehenden und insofern weiterwirkenden Impulse angesprochen. Beim »Protestantismus« hingegen geht es um die sich erst in nach-reformatorischer Zeit herausbildende Gestalt des evangelischen oder eben protestantischen Christentums, zu dem über die Kirche hinaus auch gesellschaftliche und kulturelle Ausformungen gehören. Der Begriff »evangelisch« schließlich verweist auf ein bestimmtes Bekenntnis und also eine Konfession im Unterschied zu anderen christlichen Konfessionen (römisch-katholisch, orthodox usw.).
Durchweg erweist es sich dabei als hilfreich und notwendig, eine Verengung aufzulösen, von der fast die gesamte Beschäftigung mit der protestantischen Bildungstradition bis heute geprägt ist. Immer wieder wird bei Bildung nur an die Schule gedacht. Ein solches eingeschränktes Verständnis wird aber dem heute maßgeblichen Stand der Bildungsdiskussion schon lange nicht mehr gerecht. Bildung beginnt vielmehr mit dem Anfang des Lebens, und sie muss als ein lebenslanger Prozess verstanden werden. Mit dieser Einsicht lässt sich auch eine neue und angemessenere Perspektive gerade auf die protestantische Bildungstradition gewinnen. Denn dazu gehören neben Schule und Religionsunterricht auch zahlreiche Bildungsmöglichkeiten in Gemeinde und Gesellschaft sowie und nicht zuletzt die individuelle Selbstbildung.
Beim Bildungsthema geht es nie allein um Theorie, sondern immer auch um die Praxis. Kritische Selbstprüfung und Erneuerung sind keine allein akademische Angelegenheit. Für die Praxis führen sie zu der Frage nach sinnvoller Kontinuität und notwendigen Veränderungen. Im Blick auf die anzustrebende Erneuerung des evangelischen Bildungsverständnisses im Interesse seiner Zukunftsfähigkeit muss sich deshalb zeigen, was dies für die Praxis bedeutet.
Schließlich noch ein Hinweis zur Einordnung des vorliegenden Bandes. Zum einen stellt das Buch eine Weiterführung meiner eigenen Arbeiten zum Bildungsthema dar, die nun auf die Frage zum reformatorischen Bildungserbe zugespitzt werden.1 Zum anderen berührt sich meine Darstellung mit verwandten, vor allem von Karl Ernst Nipkow und Reiner Preul unternommenen Versuchen, eine zeitgemäße »evangelische Bildungstheorie« zu entwickeln.2 Im Unterschied zu diesen Veröffentlichungen soll im Folgenden mit der Frage nach dem Bildungserbe auch über die geschichtlichen Ausgangspunkte sowie deren Wirkungen in nach-reformatorischer Zeit informiert werden.
Vor diesem Hintergrund lässt sich nun auch sagen, wie die Teile des Buches angelegt sind und welchen Aufgaben sie jeweils dienen. Im ersten Teil geht es um eine grundsätzliche Klärung, wie Reformation und Bildung miteinander zusammenhängen. Der zweite Teil ist auf die Wirkungsgeschichte dieses in der Reformation begründeten Zusammenhangs bezogen, indem in exemplarischer Weise seinen neuzeitlichen Transformationen nachgegangen wird. Mit dem dritten Teil tritt die Gegenwart in den Vordergrund, bewusst zunächst in einer möglichst ungeschminkten Darstellung von Herausforderungen, mit denen ein protestantisches Bildungsverständnis heute zu rechnen hat. Diese Herausforderungen – so die Argumentation im vierten Teil – sollen zum Anlass dazu genommen werden, Anforderungen und Perspektiven für die Zukunft zu formulieren und Konsequenzen für Theorie und Praxis aufzuzeigen. Die Thesen am Schluss des Buches bieten noch einmal eine konzentrierte Darstellung solcher Konsequenzen im Blick auf die Zukunft.
Um der Lesbarkeit willen wurden die Literaturhinweise stark eingeschränkt. In den Anmerkungen am Ende des Buches werden alle zitierten Veröffentlichungen für jeden Buchteil zunächst vollständig wiedergegeben, danach nur noch mit Kurztiteln, die darauf zurückverweisen.
Dank
Viele der Überlegungen und Argumente, die in dieses Buch eingeflossen sind, konnte ich mit sehr unterschiedlichen Gruppen sowie bei diversen Veranstaltungen in Religionspädagogischen Instituten, Evangelischen Akademien sowie allgemein bei Fortbildungsveranstaltungen für Lehrerinnen und Lehrer, Pfarrerinnen und Pfarrer oder der Erwachsenenbildung zur Diskussion stellen. Besonders zu nennen ist auch die Bildungskammer der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der ich viele Anregungen verdanke. In wissenschaftlicher Hinsicht spielte in der Zeit, in der dieses Buch entstanden ist, die parallele Arbeit an einem gemeinsamen Buchprojekt mit Richard R. Osmer (Princeton/USA) und Hyun-Sook Kim (Yonsei Universität/Korea) eine wichtige Rolle. Weitere hilfreiche Anregungen kamen wieder aus dem Tübinger religionspädagogischen Kolloquium, in dem besonders die Schlussthesen vorgestellt und diskutiert wurden. Erste Leserinnen waren meine studentischen Mitarbeiterinnen Rebecca Fuder und Kathleen Galle. Dem Verlag und besonders Diederich Steen als Lektor danke ich für die bewährt gute Betreuung!
Tübingen, im Frühjahr 2016
Friedrich Schweitzer