Bram Deagan ist glücklich: sein Unternehmen wächst und seine wunderbare Ehefrau hat ihm die Familie geschenkt, die er sich immer gewünscht hat. Umso mehr ist es ihm auch ein großes Anliegen, dass auch seine besten Freunde Dougal und Mitchell endlich Frauen finden, mit denen sie eine Familie gründen können.
Währenddessen muss Eleanor Prescott in England immer wieder an den Schiffskapitän Dougal McBride denken, der ihr einst so sehr zur Seite stand. Immer wieder hört sie seine Worte, dass sie zu ihm nach Australien zurückkehren soll, wenn sie frei ist. Als ihr schwerkranker Mann stirbt, steht Eleanor vor einer schweren Entscheidung – denn was ist, wenn Dougal sich nach mehr als einem Jahr gar nicht mehr an sein Angebot erinnern kann?
Mitchell Nash hingegen hat seinen Cousin in England oft gefragt, ob er nicht eine passende Ehefrau für ihn wüsste.Aber welche Frau macht sich schon auf einer solch lange Reise nach Australien an deren Ziel ein Mann wartet, den sie nie zuvor getroffen hat? Die junge, englische Witwe Jacintha ist jedoch verzweifelt genug, dieses Risiko einzugehen. Denn alles ist besser, als ihre kriminelle Verwandtschaft, die ihr den eigenen Sohn wegnehmen möchte. Und so nimmt sie Mitchells Einladung kurzerhand an…
Eelanor und Jacintha begeben sich auf die abenteuerlichste Reise ihres Lebens, um in Australien ihr Glück zu finden. Aber können sie ihre Vergangenheit wirklich hinter sich lassen?
ANNA JACOBS hat bereits über siebzig Bücher verfasst. Sie wurde in Lancashire geboren und wanderte 1970 nach Australien aus. Sie hat zwei erwachsene Töchter und wohnt mit Ihrem Mann in einem Haus am Meer.
TÖCHTER DES
HORIZONTS
Hoffnung unter
dem Südstern
Aus dem amerikanischen Englisch
von Diana Beate Hellmann
beHEARTBEAT
Digitale Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Titel der Originalausgabe »Traders Gift«
Copyright © 2013 by Anna Jacobs
Deutsche Erstausgabe
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Monika Hofko
Projektmanagement: Esther Madaler
Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven von
© shutterstock: Iakov Kalinin | iktash | Jurij Krupiak | GooGag und © iStockphoto: heckmannoleg
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-2883-7
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Westaustralien: März 1870
Bram schluckte den letzten Bissen seines Abendessens herunter und sah sich seufzend um. »Es fehlt mir, dass die anderen Kinder nicht mehr um mich herum sind.«
Seine Frau lächelte. »Sie haben ja nur vorübergehend bei uns gewohnt. Und sie sind zwar ausgezogen, aber sie leben mit ihrer neuen Familie nur zwei Straßen weiter, sodass du sie jeden Tag besuchen kannst. Du bist auch nie zufrieden, Bram Deagan.«
Er zuckte mit den Achseln. »Isabella, mein Liebling, du weißt doch, dass es mein Traum ist, meine Familie bei uns in Australien zu haben. Wozu haben wir dieses schöne große Haus, wenn wir es nicht mit Menschen füllen, die wir lieben?«
Er beugte sich über den Tisch, drückte ihr einen Kuss auf die Wange, doch dann nahm sein Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck an. »Und ich habe nicht nur gern die Familie um mich, sondern auch Freunde. Ich wünschte, Mitchell und Dougal würden endlich heiraten.«
»Du weißt doch, dass Dougal auf seiner letzten Fahrt jemanden kennengelernt hat. Seine Stimme klingt immer noch ganz verträumt, wenn er von dieser Eleanor spricht.«
»Diese Frau nützt ihm nur nichts. Sie ist schon verheiratet und nach England gegangen.« Er fing an, mit den Fingern auf die Tischplatte zu trommeln. »Wir sollten uns langsam nach jemandem umschauen, der zu ihm passt. Manchmal muss man die Leute nur ein bisschen anstupsen.«
»Lass ihn selbst nach einer Ehefrau suchen, Bram.«
»Er ist fast vierzig und hat immer noch keine. Und wir müssen auch an Mitchell denken. Der braucht eine neue Frau, die ihm hilft, seinen Sohn großzuziehen, und die ihm noch weitere Kinder schenkt.«
»Nun ja, es gibt in der Swan River Colony nicht genug Damen, die da infrage kämen, wie will er das also anstellen?«
»Sie nennen es jetzt Westaustralien. Der andere Name war hübscher, findest du nicht auch? Aber um auf Mitchell zurückzukommen -«
»Misch dich da nicht ein, Bram!«
Er beachtete ihren Einwand nicht und zählte weiter seine unverheirateten Freunde an den Fingern ab. »Und was ist mit Livia? Wenn es je eine Frau gegeben hat, die einen Ehemann braucht, dann sie. Das wären schon drei.«
Isabella fasste ihn am Arm und schüttelte ihn, damit er sich ihr zuwandte. »Liebling, du darfst dich da nicht einmischen. Mitchell und Livia waren schon einmal verheiratet, und sie sind über dreißig, und Dougal ist alt genug, um sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wenn sie heiraten wollen, dann sind sie durchaus in der Lage, auch ohne deine Hilfe jemanden zu finden. Außerdem hast du mit deiner Arbeit als Kaufmann schon genug zu tun.«
»Ich kann doch aber trotzdem mal die Augen offen halten, oder?«
»Du bist ein hoffnungsloser Romantiker.«
Er drückte sie kurz an sich und musste lachen, weil er sich dabei über ihren prallen Bauch beugen musste, in dem sein Baby heranwuchs. »Das liegt daran, dass ich die beste Ehefrau der Welt habe und bald Vater von drei Kindern sein werde. Ich hoffe, das nächste wird ein Mädchen. Ach, Isabella, mein Schatz, du hast mich sehr glücklich gemacht.«
»Und du mich. Deine Liebe zu den Menschen ist eine Gabe.«
Sie saßen noch eine Weile händchenhaltend da und lächelten einander zärtlich an.
Doch als seine Frau hinaufging, um nach ihrem kleinen Sohn und dem kleinen Mädchen zu sehen, das sie adoptiert hatten, legte Bram wieder die Stirn in Falten. Er hatte jedes Wort ernst gemeint, das er über ihre unverheirateten Freunde gesagt hatte, und er hatte sie damit auch bewusst abgelenkt, damit er nicht über seine ärgerliche Investition in die Eisfabrik sprechen musste.
Isabella führte zwar die Bücher seines Basars, aber er hatte ihr noch nicht erzählt, dass sie noch mehr Geld in die neue Eismaschine stecken mussten, wenn das Unternehmen kein Fehlschlag werden sollte, und sie war von Anfang an dagegen gewesen, in die Eisfabrik zu investieren.
Er fand den Gedanken furchtbar, dieses Projekt nicht zu Ende zu bringen, denn er war überzeugt, dass sich eines Tages Gewinn damit machen ließ. Außerdem hatte das Eis seinem Sohn das Leben gerettet, als das Kind Fieber hatte, und in so einem Fall war Geld unwichtig; er wollte, dass das Eis auch anderen Kindern in Not zur Verfügung stand. Er seufzte. Sein Geschäftspartner würde allerdings noch eine Weile auf das Geld warten müssen. Im Moment konnte er einfach nichts erübrigen.
Ach, irgendwie würde sich alles schon finden. Das war immer so.
Gleich am nächsten Tag lief Bram in der Stadt Mitchell über den Weg und nutzte die Gunst der Stunde. »Genau dich wollte ich treffen.«
»Brauchst du noch mehr Holz? Du wirst den Basar doch nicht schon wieder weiter ausbauen wollen, oder?«
»Nein. Du und dein Zimmermann, ihr habt an meinem neuen Haus großartige Arbeit geleistet. Um dich mache ich mir Sorgen, Mitchell. Du redest jetzt schon eine ganze Weile davon, dass du wieder heiraten willst, aber du hast noch nichts unternommen, damit auch etwas daraus wird.«
»Ich habe sehr wohl etwas unternommen.«
Erstaunt sah Bram ihn an. »Ach? Hast du jemanden kennengelernt?«
»Nein. Nach unserem letzten Gespräch habe ich meiner Familie in England geschrieben, wie du mir vorgeschlagen hat, und ich habe sie gefragt, ob sie irgendeine Dame kennen, die gewillt wäre, nach Australien zu kommen, um mich zu heiraten.«
Bram klopfte ihm auf die Schulter. »Braver Junge! Braver Junge! Hast du ihnen auch ein Foto von dir geschickt?«
»Ja. Von mir und von meinem Sohn. Ich wollte keinen Zweifel daran lassen, worauf eine Frau sich einlassen würde.«
»Du bist ein gut aussehender Mann, und er ist ein kräftiger Bursche. Ich bin sicher, dass deine Familie eine passende Frau finden wird.«
»Was heißt schon ›passend‹? Es ist mir nicht wichtig, wie sie aussieht. Das habe ich ihnen geschrieben. Sie kann ruhig hässlich sein. Mir geht es einfach darum, eine Frau zu finden, die ein gutes Herz hat und die praktisch veranlagt ist, eine Frau, die mir hilft, meinem Sohn ein Zuhause zu geben, und die mir noch weitere Kinder schenkt. Ich bezweifle, dass ich mich jemals wieder verlieben werde. Beim letzten Mal habe ich eine so törichte Wahl getroffen, dass ich mir nicht mehr traue. Das Problem ist nur …« Er seufzte.
»Was ist?«
»Nachdem ich den Brief an meinen Cousin abgeschickt hatte, kamen mir Zweifel. Wie soll ein anderer Mensch mir eine Ehefrau suchen, Bram? Und wie kann ich sicher sein, dass sie gütig und umgänglich ist, wenn ich sie nicht kennengelernt habe? Es war nur schon zu spät, den Brief wieder aus der Post zu holen.«
Bram hoffte, dass man ihm nicht ansehen konnte, wie froh er darüber war. »Nun, dann wirst du das Ganze jetzt dem Schicksal überlassen müssen, nicht wahr?«
»Ja, aber was ist, wenn mein Cousin mir eine Frau schickt, die nicht passt?«
»Eine Chance wirst du ihr doch bestimmt geben, oder? Fäll dein Urteil nicht gleich nach dem ersten Treffen, denn da wird sie nervös sein. Damit der Anstand gewahrt bleibt, kann sie am Anfang bei uns wohnen.«
»Einer Frau, die den weiten Weg nach Australien auf sich nimmt, um mich kennenzulernen, muss ich einfach eine Chance geben. Vorausgesetzt, es kommt überhaupt eine.«
Als Bram wieder seines Weges ging, beschloss er, Isabella nichts von Mitchells Zweifeln zu erzählen. Er würde ihr nur die gute Neuigkeit überbringen, dass sein Freund seine Familie gebeten hatte, ihm eine Frau zu suchen, die er heiraten konnte.
England, März 1870: Eleanor
Die Reise von Australien nach England hatte wegen der Fehler, die Malcolm gemacht hatte, nicht die üblichen zwei Monate gedauert, sondern fast doppelt so lange. Als das Schiff an einem kalten Tag im März endlich in Southampton anlegte, hatte Eleanor Prescott keinen Zweifel mehr, dass es um die Gesundheit ihres Ehemannes sehr viel schlechter stand, als er selbst zugeben wollte. Er sah erschreckend aus, bis auf die Knochen abgemagert, seine Haut hatte eine gelblich wächserne Farbe, und seine Augen lagen tief in den Höhlen.
»Mach doch nicht so einen Wirbel, Eleanor«, fuhr er sie an, wenn sie ihm riet, er solle zum Arzt gehen. »Sobald wir wieder festen Boden unter den Füßen haben, wird es mir wieder gut gehen. Das war beim letzten Mal auch so.«
»Aber du hast die Kajüte während dieser Reise kaum verlassen.«
»Weil ich meine Kräfte dafür sparen wollte, meinem Bruder zu helfen. Ich bete, dass Roger noch lebt, wenn wir ankommen. Wie er in seinem Brief geschrieben hat, braucht er uns als Vormund für seine Kinder, weil er dieses Gewächs hat und todkrank ist. Es ist so traurig, dass seine Frau im Wochenbett gestorben ist und das Baby auch. Jetzt werden die beiden anderen Kinder Waisen.«
Sie sah zu, wie er sich hinsetzte, um sich auszuruhen. Es stimmte, dass Malcolm sich nach ihrer endlos langen Reise nach Australien gesundheitlich langsam wieder erholt hatte. Trotzdem war er die ganze Zeit, als sie in Melbourne gewesen waren, hinfällig gewesen. Und auf der Rückfahrt nach England war es ihm noch viel schlechter gegangen.
Was sah er, wenn er in den Spiegel schaute? Glaubte er wirklich, dass sich sein Zustand noch einmal bessern würde? Wer wusste das schon? Sie hatte nie verstanden, was in seinem Kopf vorging. Es war ein großer Fehler gewesen, ihn zu heiraten.
Sie konnte nur hoffen, dass Malcolm lange genug lebte, um mit seinem Bruder reinen Tisch zu machen. Er würde nicht alt werden, so viel war sicher. Sie würde sehr gern die Aufgabe übernehmen, ihre Nichte und ihren Neffen großzuziehen … danach.
Was ihr derzeit mehr Sorgen machte, war der Umstand, dass Malcolm und sie nur noch so wenig Geld hatten. Sie wusste nicht, was sie tun sollten, wenn Roger vor seinem Tod keine entsprechenden Vorkehrungen traf, um ihnen zu helfen. Nach Australien auszuwandern war eine noch größere Katastrophe gewesen als die anderen geschäftlichen Projekte, auf die ihr Mann sich eingelassen hatte.
Sie hätte mit ihrem Geld besser umgehen können als er, das wusste sie, doch Malcolm hielt nichts davon, dass Frauen sich in geschäftliche Dinge einmischten. Er hatte sich sogar geweigert, mit ihr zu besprechen, was er finanziell vorhatte, geschweige denn, sie dahingehend um Rat zu fragen.
Eleanor und Malcolm kamen am späten Nachmittag auf Courtlands an. Der hübsche Landsitz in Hampshire war etwa einhundert Jahre alt, und man sah sein Alter an dem durchhängenden Dach und der Fassade, die einen neuen Anstrich gebraucht hätte.
Als sie aus der Droschke stiegen, die sie am Bahnhof genommen hatten, schaute er lächelnd auf das Haus. »Weißt du, ich betrachte Courtlands immer noch als mein Zuhause. Wir haben hier eine so glückliche Kindheit verbracht, Roger und ich. Wir waren wie Zwillinge, weil er ja nur ein Jahr älter ist als ich.« Er ging voraus und rief ihr über die Schulter zu: »Sieh zu, dass das Gepäck ins Haus gebracht wird, Eleanor.«
Aber darum kümmerte sich der Droschkenführer bereits, sodass sie sich neben ihren Mann auf die oberste der drei niedrigen Treppenstufen stellte.
Er zog an dem Glockenstrang neben der Tür, und irgendwo im Haus ertönte gedämpft eine Glocke. Als er gerade zum zweiten Mal an dem Glockenstrang ziehen wollte, hörten sie Schritte, und gleich darauf wurde die Tür von einem schon recht betagten Dienstmädchen geöffnet, das neu zu sein schien, denn er kannte sie nicht von seinem letzten Besuch, wo ein Butler ihnen geöffnet hatte.
»Ich heiße Malcolm Prescott. Ich bin von Australien hergekommen, um meinen Bruder zu besuchen.«
»Ich kümmere mich darum, Bertha.« Plötzlich trat eine Frau in mittlerem Alter hinter das Dienstmädchen, das daraufhin nickte, in den hinteren Teil der Eingangshalle ging und dort wartete.
Die neu hinzugekommene Frau trug ein Kleid aus schwarzer Seide und hatte nicht einmal ein Lächeln für sie übrig. »Roger sagte, er habe Ihnen geschrieben und Sie gebeten zurückzukommen, doch ich hatte gehofft, Sie wären dazu nicht in der Lage.«
Malcolm starrte sie mit offenem Mund an. »Wie bitte? Ich verstehe nicht, was Sie meinen. Und wer sind Sie überhaupt, dass Sie sich erdreisten, so etwas zu sagen?«
»Ich denke, Sie sollten lieber hereinkommen, damit ich es Ihnen erklären kann. Lassen Sie das Gepäck einfach, wo es ist. Bertha wird dafür sorgen, dass es ins Haus gebracht wird. Ich nehme an, dass Sie ein, zwei Nächte hierbleiben müssen.«
Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern ging voraus in den Raum, der früher einmal der Salon von Malcolms Mutter gewesen war.
»Nehmen Sie bitte Platz.«
»Ich würde lieber mit meinem Bruder sprechen. Wir haben eine weite Reise auf uns genommen, um ihn zu sehen.«
»Roger ist leider vor zwei Monaten gestorben.«
Malcolm schaffte es gar nicht bis zu einem Stuhl. Sein Gesicht nahm eine so kränklich kalkweiße Farbe an, dass Eleanor sich dicht neben ihn stellte – nur für den Fall. In den letzten zwei Wochen hatte er mehrere Ohnmachtsanfälle erlitten, und im Moment sah er so aus, als würde er gleich wieder ohnmächtig werden. Und tatsächlich verdrehte er die Augen, und er wäre gestürzt, wenn sie nicht bei ihm gestanden hätte, um ihn aufzufangen und ihm vorsichtig in den nächsten Sessel zu helfen.
»Er sieht krank aus«, meinte ihre Gastgeberin unverblümt. »Sehr krank.«
Das konnte Eleanor nicht leugnen. »Seereisen bekommen meinem Mann nicht. Aber jetzt an Land wird es ihm bald wieder besser gehen.«
Die Miene, mit der die Frau Malcolm beäugte, verriet, dass sie sich nichts vormachen ließ. »Wo wollen Sie wohnen, wenn wir hier alles geregelt haben?«
»Man hatte uns hier eine Bleibe versprochen unter der Bedingung, dass wir uns um Rogers Kinder kümmern. Wir können sonst nirgendwohin.« Malcolm hatte darauf bestanden, alles zu verkaufen, bevor sie England verließen, damit er, wenn sie in Australien wären, Geld zum Investieren hatte. Er war ganz sicher gewesen, dass er ein Vermögen machen würde.
»Nun, ich fürchte, sie können hier nicht auf Dauer bleiben. Ich bin übrigens Daphne, Rogers Witwe. Er hat mich geheiratet, damit ich mich nach seinem Tod um seine Kinder kümmern kann. Ich war ihre Gouvernante. Ich ziehe sie von Herzen gern groß, aber ich habe nicht versprochen, dass ich mich auch noch um Sie beide kümmere, und außerdem will ich das auch nicht.«
Eleanor warf einen vielsagenden Blick auf ihren Mann und ging durch den Raum ans Erkerfenster. Daphne verstand den Wink und folgte ihr.
Ihr blieb nichts anderes übrig, als ganz offen zu sein. Eleanor sprach leise. »Wir haben kein Geld mehr, nur noch ein paar Pfund. Unsere letzten Ersparnisse haben wir für die Rückreise nach England ausgegeben.« Sie errötete und fühlte sich durch den eiskalten Blick der Witwe zu einer Erklärung genötigt: »Malcolm konnte nie gut mit Geld umgehen, und dass er mit mir nach Australien ausgewandert ist, war ein fruchtloses Unterfangen, aber er hat gedacht, er würde dort ganz schnell reich werden.«
Da sie besser mit Geld umgehen konnte, hatte sie immer noch etwas in ihrem Gepäck versteckt, von dem Malcolm nichts wusste. Hätte sie ihm davon erzählt, hätte er es an sich genommen und es ausgegeben, und was sollte dann aus ihr werden?
Sie hatte damit gerechnet, dass Daphne wütend werden würde, doch ihre Gastgeberin seufzte nur und erwiderte mit ebenso leiser Stimme: »Dann liegt es also in der Familie. Roger konnte auch nicht mit Geld umgehen, deswegen bin ich nicht gut versorgt. Aber ich habe vor, das Erbe der Kinder sparsam und vernünftig zu verwalten, damit sie einmal einen anständigen Start ins Leben haben. Und ihnen zugleich beizubringen, wie man richtig mit Geld umgeht.«
»Sehr … äh, bewundernswert.«
»Aber ich werde nicht auch noch für Sie beide die Verantwortung übernehmen.«
Da Malcolm allmählich wieder zu sich kam, konnte Eleanor es nur noch einmal wiederholen: »Aber wir haben nicht genug Geld, um woandershin zu gehen. Ich bitte nicht um viel, wir können sparsam leben, aber wir brauchen Ihre Hilfe. Wir können uns an sonst niemanden wenden.«
Als einzige Antwort darauf bekam sie ein wütendes Schnauben, also trat sie wieder zu ihrem Mann.
Der schaute verwirrt von einer zur anderen, sodass sie ihm rasch erklärte, dass er ohnmächtig geworden war, als er vom Tod seines Bruders erfahren hatte.
»Roger!« Er schlug die Hände vors Gesicht, weil ihm die Tränen in die Augen schossen, dann saß er mit zuckenden Schultern da.
Daphne betrachtete ihn mit mürrischem Blick. »Sie können eine Weile hier wohnen, vorausgesetzt, Sie verlangen nicht allzu viel Aufmerksamkeit von den Dienstboten. Sie werden zusehen müssen, ob Sie Ihren Mann wieder gesundpflegen können, und falls – wenn er sich wieder erholt, kann er sich ja Arbeit suchen.«
Es sah nicht so aus, als würde Malcolm erfassen, was sie da gerade gesagt hatte, also sprach Daphne jetzt nur noch mit Eleanor: »Er müsste doch in der Lage sein, in irgendeinem Büro zu arbeiten und so viel zu verdienen, dass Sie bescheiden leben können?«
»Aber -«
»Hier können Sie jedenfalls auf Dauer nicht wohnen, ganz egal, was passiert.« Sie erhob sich und läutete die Glocke. Das Dienstmädchen mit den grauen Haaren trat in den Türrahmen.
»Ach, Bertha. Mr Prescotts Bruder und seine Frau werden ein paar Tage bei uns bleiben. Bring sie im zweiten Stock unter. Sie können ihre Mahlzeiten im Schulzimmer einnehmen, es sei denn, ich lade sie ein, mit mir zu essen.«
Malcolm hatte jetzt den Kopf in den Händen vergraben und weinte hemmungslos und stammelte immer wieder den Namen seines Bruders.
Daphne drehte sich wieder zu Eleanor um. »Sie halten mich vielleicht für hartherzig, aber wir leben in einer brutalen Welt, und ich habe zwei Kinder, an die ich denken muss. Sie sehen aus, als hätten Sie mehr Rückgrat als Ihr Mann, das brauchen Sie mir gar nicht zu sagen. Bringen Sie ihn also jetzt nach oben, und kommen Sie heute nicht mehr herunter. Im Schulzimmer stehen Bücher, für den Fall, dass Sie sich irgendwie beschäftigen wollen, und die Mahlzeiten werden Ihnen oben serviert. Können Sie nähen?«
»Ja natürlich.«
»Gut. Ich werde Ihnen morgen ein paar Sachen heraussuchen, die geflickt werden müssen, damit Sie sich nützlich machen können, während Sie hier sind. Weiß der Himmel, wie viel hier im Argen liegt. Das Haus wurde sehr schlecht geführt. Ich musste die Haushälterin entlassen.« Sie ging zur Tür und hielt sie ihnen auf.
Eleanor half Malcolm die Treppe hinauf, wo er sich sofort aufs Bett legte und die Augen schloss und alles andere ihr überließ – wie immer.
Sie wandte sich an das mürrische Dienstmädchen. »Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Umstände machen muss, aber gibt es noch ein zweites Zimmer, das ich benutzen könnte? Mein Mann ist nämlich krank und schläft nicht gut.«
Das Dienstmädchen betrachtete ihn eine Weile, dann nickte sie. »Er ist seinem Bruder sehr ähnlich, nicht wahr?«
»Ja. Sehr.« Sie hörte, wie verbittert ihre Stimme klang, doch sie konnte nichts dagegen tun. Roger hatte Malcolm dazu ermutigt, sein Geld in dieses lächerliche Unternehmen in Australien zu investieren und dorthin auszuwandern, um den Gewinn einzufahren.
»Ich muss Madam fragen, ob das in Ordnung ist.«
Das zeigt, dachte Eleanor, dass Daphne ihr Leben im Griff hat. Darum beneidete sie ihre Schwägerin.
Kurz darauf kam Bertha zurück. »Die Herrin sagt, Sie können das Zimmer nebenan haben. Aber Sie müssen das Bett selbst machen und auch das Zimmer selbst sauber halten.«
»Das mache ich gern.«
Malcolm weigerte sich, eine richtige Mahlzeit zu sich zu nehmen, und begnügte sich mit etwas Brot, das er in warme Milch tunkte.
Bertha sagte zwar nichts, doch sie nickte beifällig, als Eleanor ihre beiden Tabletts hinterher selbst in die Küche trug und nicht nur Hilfe ablehnte, sondern auch die Treppe nahm, die sonst nur die Dienstboten benutzten.
Erst als es dunkel war und sie sicher in ihrem eigenen Bett lag, ließ Eleanor ihren Tränen freien Lauf.
Und sie weinte noch heftiger, als sie an Dougal McBride dachte. Der Kapitän des Schiffes war ihr ein wahrer Freund gewesen, und sie vermisste ihn immer noch. Das war ein Mann, der es verdiente, geliebt zu werden. Er hätte sich nicht einfach ins Bett gelegt und die ganzen Probleme ihr überlassen. Er hätte nicht zugelassen, dass sie finanziell so schlecht gestellt war, dass sie eine wildfremde Frau um Obdach bitten musste.
Nun, es brachte nichts, darüber nachzudenken, was hätte sein können. Dougal war inzwischen bestimmt mit der Bonny Mary nach Australien zurückgekehrt, und Eleanor war immer noch gefangen in dem trostlosen Leben mit Malcolm.
Daphne würde ihnen doch sicher irgendwie helfen. Vielleicht gab es im Dorf ein kleines Häuschen. Unter Umständen konnte Eleanor sich hier im Haus als Näherin verdingen. In einem großen Haushalt gab es immer viel zu flicken und zu stopfen, vor allem wenn Kinder da waren.
Wieder flossen die Tränen. Immer finanziell abhängig zu sein! Dankbar sein zu müssen für Hilfe, die einem nicht gegönnt wurde!
Hol dich der Teufel, Malcolm Prescott!
Eleanor sah Rogers Kinder wieder, als sie am nächsten Morgen ins Schulzimmer ging, um sich ein Buch auszuleihen, mit dem sie sich von ihren Sorgen ablenken konnte. Malcolm war im Bett geblieben und hatte zum Frühstück nur eine Tasse Tee und eine Scheibe trockenen Toast zu sich genommen und ihr befohlen, ihn allein zu lassen, damit er in Ruhe trauern konnte.
Die Kinder waren in den gut drei Jahren, seit sie die beiden das letzte Mal gesehen hatte, so gewachsen, dass Eleanor sie kaum wiedererkannte. Sie waren ein lebhaftes und aufgewecktes Geschwisterpaar; Jonathan war inzwischen acht Jahre alt, Jane war sechs. Sie schienen Daphne genauso liebzuhaben, wie diese die Kinder liebhatte.
Das freute Eleanor irgendwie, denn sie wollte, dass es den beiden Kleinen gut ging, es zeigte allerdings auch, dass Malcolm und sie hier nicht gebraucht wurden.
Als sie in sein Zimmer ging, um nach ihm zu sehen, lag er da und starrte ins Leere. Er beantwortete weder ihre Fragen, noch ging er auf ihre Versuche ein, Konversation zu betreiben.
Gegen Mittag brachte man ihr einen Stapel mit Sachen ins Zimmer, die geflickt und gestopft werden mussten, und den Rest des Tages war sie sich selbst überlassen. Es machte ihr nichts aus, sich auf diese Weise nützlich zu machen. So hatten ihre Hände wenigstens etwas zu tun.
Gegen drei Uhr nachmittags brachte Bertha ihr ein Tablett mit Tee und die Einladung ihrer Gastgeberin, mit ihr zu Abend zu essen.
»Die nehme ich sehr gern an. Könnten Sie mir bitte erklären, wie das hier gehandhabt wird? Ich möchte niemanden beleidigen.«
Das Dienstmädchen nickte. »Mrs Prescott zieht sich zum Abendessen gern um. Nichts übermäßig Elegantes, aber etwas Besseres als das, was sie tagsüber trägt.«
»Dürfte ich dann wohl nach unten kommen und eines meiner besseren Kleider bügeln? Ich habe eines aus grauer Seide, aber nichts Schwarzes. Und ich fürchte, dass meine Kleider inzwischen ziemlich aus der Mode sind.«
»Ich werde es für Sie bügeln, Mrs Prescott.«
»Nein, nein. Das schaff ich schon. Ich möchte es nur vorher noch flicken. Als ich es das letzte Mal anhatte, habe ich es mir an einer Stelle eingerissen. Ich möchte niemandem Umstände machen.« Sie hatte panische Angst, aus dem Haus geworfen zu werden, denn sie wusste nicht, was sie dann tun sollte.
»Sie machen keine Umstände, Ma’am. Und nach den Sachen zu urteilen, die Sie bisher geflickt haben, nähen Sie viel besser als ich oder irgendjemand sonst in diesem Haus, also überlassen Sie das Bügeln getrost mir. Bringen Sie das Kleid einfach in die Küche, wenn es fertig ist. Wenn Sie noch ein paar Tage bleiben, sind alle Sachen wunderbar geflickt. Es ist ja nicht nur die Bettwäsche und die Tischwäsche, die verschleißt, auch die Kinder zerreißen sich ständig ihre Sachen. Ich werde Mrs Prescott sagen, wie gut Sie flicken können. Das wird sie freuen.«
Eleanor war froh über die Unterstützung des Dienstmädchens. »Mir ist es immer lieber, wenn ich eine Beschäftigung habe. Mein Mann tut anscheinend nichts außer schlafen.«
»Er verfällt«, sagte das Dienstmädchen geradeheraus. »Er ist schon vom Tod gezeichnet. Das ist nicht zu übersehen. Das ist Ihnen doch bewusst, oder?«
»Oh ja. Das weiß ich schon eine ganze Weile.«
Nachdem sie das graue Seidenkleid ausgepackt hatte, entschied Eleanor, dass sie ihm mit etwa einer Stunde Arbeit einen etwas modischeren Stil verpassen und zugleich die eingerissene Stelle verdecken konnte. Gleich als sie in England angekommen waren, hatte sie bemerkt, dass die modebewussten Damen keine Reifröcke mehr trugen, sondern dass der Stoff jetzt nach hinten gezogen und dort an manchen Röcken aufwendig gerafft wurde. Sie konnte das Kleid auf recht einfache Weise in diesem Stil umarbeiten, denn wenn sie keinen Reifrock darunter trug, war ihr Rock zu lang.
Sie arbeitete schnell und raffte den Stoff des altmodischen Rockes hinten zusammen. Morgen würde sie das Ganze mit kleinen Stichen festnähen müssen, aber den heutigen Abend würde es auch so überstehen.
Als Bertha wiederkam, nahm sie den Rock in Augenschein und nickte beifällig. »Das ist schlau.«
»Die Korsage wird bleiben müssen, wie sie ist, aber meine anderen Röcke kann ich auch alle ändern. Ich nähe gern.« Gern zu nähen war eine Sache, aber es war etwas ganz anderes, wenn man sich damit den Lebensunterhalt verdienen musste. Schneiderinnen, die für andere Leute arbeiteten, bekamen nur einen Hungerlohn, das wusste sie.
Als Eleanor zum Abendessen hinunterkam, erwartete Daphne sie in dem kleinen Salon. Sie hatte sich ebenfalls umgezogen. Unverhohlen begutachtete sie Eleanors Kleid. »Bertha hat mir erzählt, dass Sie Ihren Rock umgearbeitet haben. Das haben Sie gut gemacht. Man sieht überhaupt nicht, dass er nicht immer schon so war.«
»Vielen Dank.«
»Und Sie haben auch schon so sehr viel gestopft und geflickt.«
»Ich helfe gern aus, wenn ich kann.«
»Habe ich das richtig verstanden, dass Malcolm immer noch im Bett liegt?«
»Ja. Ich kann ihn nicht dazu bewegen, mehr als ein paar Bissen zu essen oder ein paar Schlucke zu trinken, und er will sich nicht unterhalten und schon gar nicht entscheiden, was wir tun sollen.«
»Bertha sagt, er stirbt. Sie sieht so etwas immer.«
»Ja.« Es war eine Erleichterung, nicht mehr so tun zu müssen, als wüsste sie das nicht auch.
Zum Glück vertiefte ihre Gastgeberin dieses Thema nicht weiter, sondern ging voraus ins Esszimmer. Das Abendessen war einfach, aber perfekt zubereitet, und es wurde auf edlem chinesischen Porzellan serviert.
Daphne bestimmte, worüber geredet wurde, und fragte Eleanor, wie denn der Alltag in Australien gewesen sei.
Obwohl es gar nicht ihre Absicht gewesen war, erzählte Eleanor von dem Fiasko auf der Rückfahrt nach England, für die sie den größten Teil ihres restlichen Geldes ausgegeben hatten.
»Ihr Ehemann ist ja ein noch größerer Trottel, als ich gedacht habe. Und dieser Kapitän hat Sie ausgenutzt.«
Dass Dougal schlechtgemacht wurde, war für Eleanor fast unerträglich. »Ganz im Gegenteil. Captain McBride hat uns geholfen, wo er nur konnte, und wenn er nicht gewesen wäre, wären wir nie in England angekommen.«
Nachdenklich blickte Daphne sie an. »Sie nehmen den Mann in Schutz, und ihr Gesicht wird ganz weich, wenn Sie von ihm sprechen.«
Eleanor spürte, dass sie errötete, doch sie konnte nichts dagegen tun. »Ich mag es nicht, wenn man schlecht über Freunde redet. Malcolm und ich hatten allen Grund, Captain McBride dankbar zu sein.«
Daphnes Lächeln verriet, dass sie sich über Eleanors Gefühle nichts vormachen ließ. Sie schien an allem interessiert zu sein und fragte sie weiter aus über ihre Reisen. Als der Abend sich dem Ende zuneigte, fühlte Eleanor sich wie ausgewrungen.
Nach dem Dessert sagte Daphne unvermittelt: »Ich trinke nach dem Essen gern ein Glas Portwein. Leisten Sie mir Gesellschaft?«
»Sehr gern.« Obwohl Eleanor eigentlich zum Essen schon zwei Gläser Wein gehabt hatte und nicht noch mehr Alkohol trinken sollte, jedenfalls nicht in Gesellschaft einer derart scharfsinnigen Person. Aber sie wollte noch nicht in das kleine Gästezimmer zurück. Es war kalt, und sie fühlte sich dort eingesperrt und unbehaglich.
Sie erhoben sich und setzten sich in zwei Sessel vor den Kamin.
»Hat Ihr Mann Vorsorge getroffen, was nach seinem Tod werden soll?«, fragte Daphne plötzlich.
Eleanors Hand zuckte, doch sie schaffte es, den Portwein nicht zu verschütten. Sie starrte in die rubinrote Flüssigkeit. »Ich glaube nicht, dass Malcolm weiß, wie krank er ist.«
»Ach, ich glaube schon, dass er das weiß. Bei Roger war es genauso. Als es dem Ende zuging, hat er gar nicht mehr versucht, irgendetwas zu tun, damit es ihm besser ging. Er und sein Bruder sind einander sehr ähnlich, finden Sie nicht auch?« Sie blickte Eleanor an, dann lachte sie plötzlich. »Sie glauben nicht, dass ich mich in Roger verliebt habe, oder?«
»Ich … glaube, das geht nur Sie allein etwas an.«
»Ich habe gesehen, dass ich gebraucht wurde, und habe mich nützlich gemacht und mir damit meine Zukunft gesichert. Roger hat ein gutes Geschäft gemacht mit mir, und ich werde mich auf jeden Fall um die Kinder kümmern und sie anständig großziehen.«
»Ich kann sehen, dass Sie die beiden liebhaben.«
»Ja, ich habe sie lieb. Und ich glaube, dass sie auch für mich eine gewisse Zuneigung empfinden. Nur, was machen wir nach dem Tod Ihres Mannes mit Ihnen?«
Eleanor schüttelte den Kopf. »Das weiß ich auch nicht. Ich liege nachts wach und versuche, mir irgendetwas einfallen zu lassen. Ich schätze, dass ich mir dann eine Stellung als Gouvernante suchen muss oder als … Gesellschaftsdame. Etwas anderes fällt mir nicht ein.«
»Und was ist mit dem Captain? Wie war doch gleich sein Name?«
»Dougal McBride. Was soll mit ihm sein?«
»Ist er verheiratet?«
Eleanor schüttelte den Kopf.
»Hat er Sie auch so gerngehabt, wie Sie ihn offensichtlich gernhaben? Was meinen Sie: Hätte er Sie geheiratet, wenn Sie frei gewesen wären?«
Wieder stieg Eleanor die Röte in die Wangen, aber dass ihr diese Art der Unterhaltung peinlich war, schien ihr Gegenüber nur zu belustigen.
»Also? Was meinen Sie? Oder machen Sie sich nur etwas vor?«
Verärgert hob Eleanor den Kopf. »Ja, das hat er gesagt. Aber ich bin nicht frei, oder? Und selbst wenn ich frei werde – Dougal ist in Australien, und ich bin hier in England.«
»Nun ja, man sieht genau, dass Sie ihn sehr gernhaben, also müssen Sie nach Malcolms Tod nach Australien zurückkehren und schauen, ob Ihr Kapitän es ernst gemeint hat. Das wäre das Beste, was Sie sich für die Zukunft erhoffen können.«
Dass sie das so brutal aussprach, verunsicherte Eleanor. »Bis dahin hat Dougal wahrscheinlich schon eine andere Frau gefunden. Es dauert monatelang von hier nach Australien. Und Malcolm lebt vielleicht noch eine Weile.«
»Das bezweifle ich. Denken Sie nicht an ihn. Sie haben mir erzählt, es gibt nicht genug Frauen in der Swan River Colony. Selbst wenn Captain McBride schon verheiratet ist, finden Sie dort einen anderen Ehemann, davon bin ich überzeugt. Wenn ich das mit meinem nichtssagenden Gesicht und meinem plumpen Körper hier geschafft habe, dann schaffen Sie mit Ihrem hübschen Gesicht und Ihrer schlanken Figur das in Australien erst recht.«
»Mir behagt die Vorstellung nicht, zurückzugehen und mich Dougal anzubieten. Das würde doch ziemlich … schamlos wirken.« Obwohl er sie gebeten hatte, zu ihm zu kommen, wenn sie irgendwann konnte.
»Nur eine Frau, die wagt, gewinnt.« Daphne lächelte, erhob sich und schenkte ihnen noch einen Portwein nach.
Eleanor versuchte, ein weiteres Glas abzulehnen, denn sie hatte Angst, zu viel preiszugeben.
»Wissen Sie, ich bin nicht Ihre Feindin. Hier. Es ist sehr entspannend, am Abend ein, zwei Gläschen zu trinken. Kein Wunder, dass die Männer ihren Portwein so lieben.«
»Also gut. Vielen Dank.« Eleanor sah zu, wie die rubinrote Flüssigkeit in ihr Glas strudelte.
Daphne nahm noch einen Schluck. »Wir machen es so: Ich komme für Ihre Fahrkarte nach Australien auf, und dann liegt die Zukunft allein in Ihrer Hand. Es kommt mir entgegen, dass Sie das Land verlassen, denn dann können Sie mich nicht noch einmal um Hilfe bitten. Ich werde Sie nach Malcolms Tod nicht für den Rest Ihres Lebens finanziell unterstützen, auch wenn Sie noch so viel stopfen.«
»Aber er ist doch noch gar nicht tot! Wie können Sie nur so reden?«
Lachend warf Daphne den Kopf in den Nacken. »Weil ich Gouvernante war und diesem Schicksal entkommen bin. Es ist kein angenehmer Beruf, die Kinder anderer Leute zu unterrichten. Man gehört nicht zur Familie, ist aber auch kein Dienstbote. Außerdem ist es ein sehr einsames Leben. Tun Sie das nur, wenn es gar keinen anderen Ausweg mehr gibt.«
Sie nahm wieder einen Schluck und ließ die süße Flüssigkeit genüsslich im Mund kreisen. »Schwache Frauen nehmen das Leben einfach hin, aber starke Frauen finden einen Weg, etwas aus sich zu machen. Was für eine Frau sind Sie?«
Eleanor stellte ihr Weinglas ab und sah überrascht, dass es leer war. Sie stand auf und hatte das Gefühl, als würde der Raum anfangen zu schwanken. »Schwach bin ich nicht, glaube ich.«
Sie wartete nicht auf eine Reaktion, sondern verließ das Zimmer. Als sie die Tür schloss und sich kurz mit der Hand an der Wand abstützte, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen, hörte sie Daphne leise lachen.
Im zweiten Stock ging sie in Malcolms Zimmer, um nach ihm zu sehen, und stellte fest, dass er fest schlief.
Plötzlich hasste sie ihn und gestand sich ein, dass sie wollte, dass er schnell starb. Er war schwach und selbstsüchtig und dumm, und er hatte nicht nur ihr Leben zerstört, sondern er ließ sie auch als Almosenempfängerin zurück. Wie hatte sie ihn nur je für gütig und einfühlsam halten können? Warum hatte sie ihn überhaupt geheiratet?
Weil sie außer ihm keinen Mann kennengelernt hatte, der gewillt gewesen wäre, eine mittellose Frau zu nehmen, die keine nahen Verwandten hatte, darum. Doch würde sie es wagen, die weite Reise nach Australien zu unternehmen … nur auf die vage Hoffnung hin, dass Dougal sie noch nicht vergessen … keine andere Frau kennengelernt hatte? Sie wusste nicht, ob sie die innere Stärke hatte, die Demütigung zu verkraften, wenn sie sich ihm anbot und zurückgewiesen wurde.
In dieser Nacht weinte sie nicht. Sie hatte keine Tränen mehr. Sie wollte nur noch, dass diese ganze Sache vorbei war.
Malcolm Prescott brauchte länger für das Sterben, als irgendjemand erwartet hatte – zwei Monate, um genau zu sein. Und mit jedem Tag, der verging, wurde Daphne schweigsamer, aber sie machte keine Anstalten, sie aus dem Haus zu werfen.
Um dem Haushalt möglichst wenig Umstände zu machen, pflegte Eleanor ihren Mann weitgehend allein. Über ein Jahr war vergangen, seit er zum letzten Mal als Ehemann bei ihr gewesen war, deshalb war sie zunächst schockiert, als sie sah, wie skelettartig dünn sein Körper geworden war.
Sie nahm sich jeden Tag etwas Zeit für sich selbst – wenn das Wetter es zuließ, um einen Spaziergang zu machen, wenn es regnete, um still in ihrem Zimmer zu sitzen. Sie glaubte nicht, dass sie die Belastung ohne diese kurzen Unterbrechungen, in denen sie ganz für sich war, ertragen hätte.
Als sie an einem sonnigen Morgen Anfang Juni in Malcolms Zimmer kam, um ihre unangenehmen Pflichten zu erfüllen, war er tot. Zunächst stand sie einfach nur fassungslos da, unfähig, darüber nachzudenken, was sie als Nächstes tun sollte, unfähig zu glauben, dass ihr Martyrium endlich vorbei war.
Sie trat an sein Bett, schloss ihm die Augen und sprach pflichtschuldig ein Gebet für seine Seele. Dann zog sie das Laken über sein Gesicht. Als sie sich umdrehte, gestand sie sich ein, dass sie vor allem Erleichterung empfand, keine Trauer. Doch in die Erleichterung mischte sich auch Angst. Was sollte jetzt nur aus ihr werden? Würde ihre Schwägerin sie wirklich nach Australien schicken?
Würde sie sich wirklich trauen, zu Dougal zu fahren? Sie war immer hin und her gerissen gewesen, wenn sie während der letzten zwei Monate darüber nachgedacht hatte, und obwohl sie davon ausging, dass sie fahren würde, fragte sie sich immer noch, ob es wirklich die richtige Entscheidung war.
Da es noch sehr früh war, ging Eleanor hinunter in die Küche zu Bertha und bat sie, ihrer Herrin, wenn die aufwachte, zu sagen, dass Malcolm in der Nacht gestorben war.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, schauen wir vorher noch einmal nach, ob es auch wirklich stimmt.«
In seinem Schlafzimmer war es genauso still wie immer, und es roch genauso säuerlich wie immer. Das Dienstmädchen zog das Laken von Malcolms Gesicht und nickte. »Ja, er ist tot. Sogar schon eine ganze Weile.« Sie drehte sich zu der Witwe um. »Und geht es Ihnen denn gut, Ma’am?«
Erstaunt sah Eleanor sie an. »Ja, natürlich. Warum sollte es mir nicht gut gehen?«
»Sie hatten eine große Belastung durchzustehen, seit Sie hierhergekommen sind. Sie haben abgenommen, und verzeihen Sie, wenn ich das sage, aber Sie sehen erschöpft aus.«
»Ich breche nicht zusammen, falls Sie sich deswegen Sorgen machen.«
»Und was wollen Sie jetzt tun?«
Sie wusste, dass Bertha nicht aus Neugier fragte, sondern aufrichtig um ihr Wohl besorgt war, deshalb antwortete sie freimütig. »Ich weiß es nicht. Ihre Herrin hat mir einen Vorschlag gemacht, aber ich war noch nicht in der Lage, eine endgültige Entscheidung zu treffen. Ich war zu sehr mit der Pflege meines Mannes beschäftigt.«
Sie blickte auf das Bett, und sie erschauerte unwillkürlich. »Ich fange besser an, ihn aufzubahren.«
»Wenn Sie wollen, mache ich das.«
Verwundert sah sie Bertha an. »Warum sollten Sie das tun?«
»Ich habe das schon öfter gemacht. Seinen Bruder habe ich auch aufgebahrt. Mir macht es nichts aus, weil er mir nichts bedeutet. Sie würde das, glaube ich, mehr mitnehmen, als Ihnen bewusst ist.«
Es nahm sie jetzt schon mit. Bei dem bloßen Gedanken daran, dass sie seinen Körper waschen musste, wurde es Eleanor übel. »Aber was würde Ihre Herrin dazu sagen?«
»Die wird nichts dagegen haben, solange die Nachbarn wissen, dass alles so gemacht wird, wie es sich gehört. Setzen Sie sich doch ins Frühstückszimmer, dann sage ich Patsy, sie soll Ihnen eine Tasse Tee bringen. Madam wird ihren erst in zwanzig Minuten haben wollen. Sobald ich ihr den gebracht habe, fange ich mit ihm hier an.«
»Vielen Dank. Ich bin Ihnen sehr dankbar für diesen Gefallen.«
Eleanor bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie so untätig herumsaß. Aber sie hatte nicht einmal genug Energie, um sich ein Buch zu nehmen oder in die Zeitung von gestern zu schauen, die ordentlich zusammengefaltet auf einem Tischchen lag.
Keine fünf Minuten später brachte Patsy ihr ein Tablett mit Spritzgebäck und eine Tasse Tee. »Bertha sagt, Sie müssen etwas essen, Ma’am. Sie sagt, Sie müssen wieder zu Kräften kommen.«
Doch mehr als ein halbes Plätzchen brachte Eleanor nicht herunter. Die Angst um ihre Zukunft versetzte ihr ganzes Inneres in Aufruhr. Sie konnte auch nicht ruhig sitzen bleiben, daher stellte sie sich ans Fenster und starrte nach draußen auf die Blumen, setzte sich dann doch wieder hin, lehnte den Kopf zurück und schloss ein paar Sekunden lang die Augen.
Als plötzlich dicht neben ihr jemand etwas sagte, zuckte sie erschrocken zusammen.
»Bertha hatte recht. Du bist völlig erschöpft.«
»Daphne!« Überrascht schaute Eleanor auf die Uhr. »Ist es wirklich schon neun? Ich muss eingeschlafen sein.«
»Kein Wunder. Komm und frühstücke mit mir.«
Daphne griff wie immer mit herzaftem Appetit zu und hielt inne, um in scharfem Ton zu mahnen: »Du musst mehr essen. Ob du Hunger hast oder nicht. Würg es einfach herunter. Ich will nicht, dass du als Nächste krank wirst.«
»Ich werde nicht krank. Ich werde nie krank.«
»Tu es trotzdem mir zuliebe.«
Sie unterhielten sich nicht, weil Daphne die Post öffnete und sie zu zwei Stapeln ordnete. Als sie mit dem Essen fertig waren, nahm sie die Briefe in die Hand. »Wir gehen zum Reden in meinen Salon. Patsy muss abräumen.«
Eleanor folgte ihr, und sie fühlte sich wie eine Gefangene, die nun gleich erfahren würde, welches Strafmaß man über sie verhängt hatte.
»Wir müssen uns überlegen, wie wir dich am besten zu deinem Kapitän bringen.«
Eleanor hatte erwartet, dass sie über Malcolms Beerdigung sprechen würden, daher erschrak sie über diese Bemerkung und wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Er ist deine größte Chance, glücklich zu werden, und es wäre dumm von dir, nicht zu ihm zu fahren.« Daphne runzelte die Stirn und trommelte mit den Fingern auf die Sessellehne. »Hat er Geld? Oder ist er noch dabei, seinen Weg zu machen?«
»Er besitzt zwei Schiffe und ein sehr schönes Haus in Fremantle, in der Swan River Colony.«
Daphne schwieg eine Weile und meinte schließlich: »Dann ist es einen Versuch wert.«
Eleanor konnte sich nicht zurückhalten und protestierte. »Aber wenn er es sich anders überlegt hat, bin ich mittellos und allein in einem fremden Land.« Das war einer der Hauptgründe, der sie davon abhielt.
»So fremd kann das Land doch nicht sein. Du hast schließlich zwei Jahre dort gelebt.«
»Wir haben in Melbourne gewohnt. Die Swan River Colony ist über dreitausend Kilometer weit weg, und dort ist es völlig anders.«
Sie sah, dass Daphne auf weitere Informationen wartete, und überlegte angestrengt. »Es gibt nicht einmal eine Straße zwischen Melbourne und der Colony. Man muss mit dem Schiff um die Küste Australiens herumfahren. Die Leute in Melbourne reden sehr verächtlich über die Swan River Colony, sie sagen, dass es ein rückständiger Ort ist und dass niemand freiwillig dort bleibt. Manche nennen es die Aschenputtel-Kolonie. Malcolm und ich waren nur wenige Tage im Westen, und da er krank war, haben wir nicht genug gesehen, als dass ich -«
Daphne hob die Hand. »Lauter Ausflüchte. Ich will jetzt nur eins von dir wissen: Hast du den Mut, es zu tun, oder willst du dich selbst dazu verurteilen, für den Rest deines Lebens das elende Dasein einer Gouvernante zu fristen und nie eigene Kinder oder eine eigene Familie zu haben?«
Eleanor senkte den Kopf, um diesem bohrenden Blick auszuweichen. Sie fand es schrecklich schwierig, einen klaren Gedanken zu fassen.
»Ich kann sehen, dass du jetzt, da die Last von dir genommen ist, Zeit brauchst, um darüber nachzudenken.« Ihre Schwägerin deutete mit der Hand auf die Tür. »Ich organisiere die Beerdigung. Ich weiß, wie das hierzulande gehandhabt wird. Warum gehst du nicht in den Garten und machst einen Spaziergang? Du kannst mir dann heute Abend beim Essen sagen, wie du dich entschieden hast.«
Als Eleanor die Tür öffnete, rief die scharfe Stimme ihr nach.
»Wir Frauen leben in einer harten Welt. Wir müssen jede sich bietende Gelegenheit ergreifen, um etwas aus unserem Leben zu machen. Warte noch!«
Eleanor drehte sich um und sah Daphne an. »Da ist noch etwas. Ich zahle nur für eine Fahrt auf dem Zwischendeck. Ich bin kein Dukatenesel.«
»Ich verstehe.« In der Eingangshalle zögerte Eleanor, doch dann ging sie nach draußen, ohne sich vorher eine Haube oder ein Umschlagtuch zu holen. Es war ein herrlicher Tag, und viele Blumen waren aufgeblüht und machten den Garten zu einem Meer aus Farben. Bei dem Anblick fühlte sie sich sofort besser.
Sie schlenderte zum Gartenhaus, ihrem Lieblingsplatz, einem hübschen, weiß getünchten Bau, in dem Sessel standen. Dort setzte sie sich hin und blickte hinaus auf das Rosenbeet, doch die Blüten verschwammen vor ihren Augen, weil ihr die Tränen kamen. Malcolm war gerade einmal sechsunddreißig Jahre alt gewesen. Und sie war einunddreißig. Wie lange würde sie noch leben?
Dougal war älter, wie sie annahm, doch da er so ein kraftstrotzender Mann war, hatte er viel jünger gewirkt als Malcolm. Sie erinnerte sich sehr gut an diese letzte Nacht mit Dougal, an seine Worte, an seinen liebevollen Blick.
Eleanor, wenn Sie irgendwann frei sind oder wenn Sie einfach einen Freund brauchen, dann wäre es mir eine Ehre, Ihnen zu helfen. Sie sind die erste und einzige Frau, die ich jemals heiraten wollte. Daher ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass ich ausgerechnet jetzt jemand anderen kennenlerne.
Konnte sie es wagen, sich auf diese Worte zu verlassen?
Er hatte ihr Anweisungen gegeben, wie sie zu ihm kommen konnte, und hatte gesagt, dass er Geld nach England schicken würde, mit dem sie ihre Schiffspassage nach Australien finanzieren konnte. Wenn er das wirklich getan hatte, war dieses Geld bei einem Anwalt hinterlegt, dessen Namen er ihr aufgeschrieben hatte. Wenn er das wirklich getan hatte … hatte er es ernst gemeint?
Sie konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als ihn zu heiraten, also warum zögerte sie jetzt?
Sie hob den Kopf und straffte die Schultern. »Ich werde es tun«, sagte sie laut. »Ich werde es tatsächlich tun.«
Aber schon eine Minute später ermahnte sie sich, sich nur ja keine allzu großen Hoffnungen zu machen, auch dann nicht, wenn das Geld bei dem Rechtsanwalt für sie bereitlag.
Das Leben spielte einem manchmal einen bösen Streich, wie sie nach der Hochzeit mit Malcolm hatte feststellen müssen.
Als Eleanor zum Haus zurückkehrte, trugen gerade zwei kräftige Burschen unter der Aufsicht eines schwarz gekleideten Herrn mit einem Zylinder, von dem schwarze Trauerflore aus Kreppband herabhingen, einen leeren Sarg hinein.
Zögernd blieb sie an der Haustür stehen und sah zu, wie sie den Sarg nach oben schafften.
»Hier hinein«, zischte Daphne ihr vom anderen Ende der Eingangshalle aus zu. »Und komm erst heraus, wenn sie wieder weg sind. Wir müssen Trauerkleidung für dich suchen, sonst macht das einen schlechten Eindruck.«
Also wartete Eleanor dort, wo niemand sie sehen konnte, bis die Männer den Sarg, der jetzt viel schwerer war, weggebracht hatten, und sie ächzten und keuchten, während sie ihn vorsichtig um die Biegung des Treppenabsatzes herum und durch die Haustür hinaustrugen.
Daphne ging voraus in die Eingangshalle und sah zu, wie die Männer den Sarg auf einen Holzwagen luden, der von vier schwarzen Pferden gezogen wurde. Als sie wegfuhren, drehte sie sich zu Eleanor um. »Ich will nicht hoffen, dass du den Leichnam hier behalten wolltest, um ihn anzugaffen.«
Die Worte schlüpften ihr heraus, bevor sie es verhindern konnte. »Ich hoffe, dass ich Malcolms Gesicht nie wiedersehen muss.«
»Das kann ich dir nachfühlen. Ich habe noch nie verstanden, was manche Menschen am Anblick ihrer verstorbenen Lieben so fasziniert.« Daphne machte eine wegwerfende Handbewegung und wechselte das Thema. »Also, denken wir einmal praktisch. Mir ist eingefallen, dass auf dem vorderen Dachboden noch ein paar alte Kleider sind, unter anderem ein paar schwarze. Von diesen Sachen kannst du dir gern alles nehmen, was du brauchst, aber du musst dich beeilen, wenn du ein Kleid für die Beerdigung umschneidern willst, die übermorgen stattfindet.«
»Danke. Dafür bin ich dir dankbar.«