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Inhaltsübersicht
1 Vorwort
2 Welche Grundsätze im Betreuungsrecht gelten
2.1 Gesetzliche Grundlagen
2.2 Wichtige Prinzipien des Betreuungsrechts
2.2.1 Grundsatz der Erforderlichkeit der Betreuerbestellung
2.2.2 Vorrang anderer Hilfen
2.2.3 Auswirkungen der Betreuung
2.2.4 Auswahl des Betreuers
2.2.5 Persönliche Betreuung
2.2.6 Wohl und Wünsche des Betreuten
2.2.7 Schutz in persönlichen Angelegenheiten
2.2.8 Schutz in vermögensrechtlichen Angelegenheiten
3 Wann ein Betreuer bestellt werden darf
3.1 Medizinische Voraussetzungen
3.1.1 Psychische Krankheit
3.1.2 Behinderung
3.1.3 Sachverständigengutachten
3.2 Hilfsbedürftigkeit des Betroffenen
3.3 Betreuungsbedarf
3.4 Vorrang anderer Hilfen
3.4.1 Vorrang der Bevollmächtigung
3.4.2 Vorrang anderer Hilfen
3.5 Betreuung auf Antrag oder von Amts wegen
3.6 Zwangsbetreuung
3.7 Vorsorgliche Bestellung eines Betreuers für Minderjährige
4 Wie der Betreuer vom Gericht bestellt wird
4.1 Anlass für das Betreuungsverfahren
4.1.1 Betreuung auf Antrag des Betroffenen
4.1.2 Betreuung auf Anregung Dritter
4.1.3 Zuständiges Gericht
4.2 Beteiligte im Betreuungsverfahren
4.3 Rechte des Betroffenen
4.3.1 Verfahrensfähigkeit
4.3.2 Anhörungsrecht
4.3.3 Weitere Rechte des Betroffenen
4.4 Anhörung der Betreuungsbehörde
4.5 Anhörung einer dem Betroffenen nahestehenden Person
4.6 Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten oder ärztliches Zeugnis
4.6.1 Sachverständigengutachten
4.6.2 Alternativen zum Sachverständigengutachten
4.7 Unterstützung des Betroffenen durch einen Verfahrenspfleger
4.8 Gerichtliche Entscheidung
4.8.1 Auswahl des Betreuers
4.8.2 Festlegung des Aufgabenkreises des Betreuers
4.8.3 Gerichtliche Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts
4.8.4 Rechtsschutz gegen Entscheidungen des Betreuungsgerichts
5 Welche rechtlichen Auswirkungen die Betreuung hat
5.1 Gesetzliche Vertretung durch den Betreuer
5.2 Geschäftsfähigkeit des Betreuten
5.3 Einwilligungsvorbehalt
5.3.1 Voraussetzungen
5.3.2 Folgen des Einwilligungsvorbehalts
5.3.3 Gerichtliche Anordnung
5.3.4 Unzulässige Einwilligungsvorbehalte
5.3.5 Einwilligungsfreie Willenserklärungen
5.3.6 Aufhebung, Einschränkung oder Erweiterung des Einwilligungsvorbehalts
5.4 Einwilligungsfähigkeit des Betreuten
5.5 Höchstpersönliche Angelegenheiten des Betreuten
5.5.1 Testierfähigkeit des Betreuten
5.5.2 Ehefähigkeit des Betreuten
5.5.3 Wahlrecht des Betreuten
6 Welche Aufgaben, Rechte und Pflichten der Betreuer hat
6.1 Typische Aufgabenkreise des Betreuers
6.1.1 Vermögenssorge
6.1.2 Gesundheitssorge
6.1.3 Wohnungsangelegenheiten
6.1.4 Aufenthaltsbestimmung
6.1.5 Umgangsbestimmung
6.1.6 Post- und Fernmeldeverkehr
6.1.7 Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten
6.1.8 Sterilisation
6.1.9 Änderung des Aufgabenkreises
6.2 Vertretung des Betreuten
6.2.1 Außergerichtliche Vertretung
6.2.2 Gerichtliche Vertretung
6.3 Führung der Betreuung
6.3.1 Persönliche Betreuung
6.3.2 Befolgung der Wünsche des Betreuten
6.3.3 Besprechungspflicht
6.3.4 Berichts- und Rechnungslegungspflicht
6.3.5 Meldepflichten
6.4 Stellung des Betreuers
6.4.1 Beratung des Betreuers und Aufsicht durch das Betreuungsgericht
6.4.2 Aufwendungsersatz und Vergütung
6.4.3 Haftung des Betreuers
6.4.4 Entlassung des Betreuers
7 Welche Zwangsmaßnahmen im Rahmen der Betreuung zulässig sind
7.1 Freiheitsentziehende Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer
7.1.1 »Freiheitsentziehende Unterbringung«
7.1.2 Voraussetzungen für die Unterbringung
7.1.3 Genehmigung des Betreuungsgerichts
7.1.4 Beendigung der Unterbringung
7.2 Unterbringungsähnliche Maßnahmen
7.2.1 Geschützter Personenkreis
7.2.2 Genehmigungsbedürftige Maßnahmen
7.2.3 Zulässigkeitsvoraussetzungen
7.3 Ärztliche Zwangsmaßnahmen
7.3.1 Einwilligungsunfähigkeit des Betreuten
7.3.2 Voraussetzungen der Zwangsbehandlung
7.3.3 Gerichtliche Genehmigung
7.4 Unterbringung durch einen Bevollmächtigten
8 Verlängerung und Beendigung der Betreuung
8.1 Verlängerung der Betreuung
8.2 Ende der Betreuung
8.2.1 Tod des Betreuten
8.2.2 Aufhebung auf Antrag des Betreuten
8.2.3 Aufhebung wegen Wegfalls der Betreuungsvoraussetzungen
8.2.4 Schlusstätigkeiten
8.3 Aufhebung von Einwilligungsvorbehalten
9 Anhang
9.1 Muster einer umfassenden Vorsorgevollmacht
9.2 Muster einer Spezialvollmacht für Gesundheitsangelegenheiten
9.3 Muster einer Vereinbarung zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem
9.4 Muster eines Antrags auf Bestellung eines Betreuers
9.5 Muster der Anregung einer Betreuung
9.6 Muster einer umfassenden Betreuungsverfügung
9.7 Muster einer Patientenverfügung mit dem Wunsch auf Maximaltherapie
Der große Betreuungsratgeber
1 Vorwort
Wer als Erwachsener wegen einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten nicht mehr selbst wahrnehmen kann, erhält von Amts wegen oder auf seinen Antrag einen Betreuer, den das Betreuungsgericht bestellt. Dem Betroffenen wird damit für die Angelegenheiten, die er nicht mehr selbst besorgen kann, ein Betreuer als gesetzlicher Vertreter zur Seite gestellt. Das Wohl des hilfsbedürftigen Menschen steht dabei immer im Vordergrund. Von der Anordnung einer rechtlichen Betreuung wird dann abgesehen, wenn die Angelegenheiten des Betreuten durch einen Bevollmächtigten besorgt werden können oder wenn andere Hilfen ausreichend sind.
Circa 1,3 Millionen Menschen stehen in Deutschland unter rechtlicher Betreuung, Tendenz steigend. In den meisten Fällen wird die Betreuung vom Betreuungsgericht ehrenamtlichen Betreuern, insbesondere Familienangehörigen übertragen. Dieser Ratgeber will bei den wesentlichen praktischen Fragen helfen, mit denen sich die Beteiligten, Betreuter und Betreuer, tagtäglich im Zusammenhang mit einer rechtlichen Betreuung auseinandersetzen müssen. Dabei geht es insbesondere darum, unter welchen Voraussetzungen vom Gericht ein Betreuer bestellt werden darf, welche Auswirkungen die Betreuung hat, nach welchen Grundsätzen der Betreuer vom Gericht ausgewählt wird, welche Aufgaben dem Betreuer vom Gericht übertragen werden können, welche Rechte und Pflichten der Betreute und der Betreuer haben und wie das gerichtliche Betreuungsverfahren abläuft. Eingegangen wird auch darauf, wie der Betroffene durch eine Betreuungsverfügung, Vorsorgevollmacht und eine Patientenverfügung Einfluss auf die Betreuung nehmen kann.
Rechtliche Betreuung geht jeden etwas an. Denn jeder kann durch eine schwere Krankheit oder einen Unfall unerwartet in eine Situation geraten, in der er auf fremde Hilfe angewiesen ist. Deshalb ist es wichtig, sich in diesem Fall rechtzeitig über das Thema Betreuungsrecht zu informieren und durch entsprechende Vorsorgeverfügungen die größtmögliche Selbstbestimmung in Notlagen zu bewahren.
Dr. iur. Otto N. Bretzinger
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Tipp: Alle Muster, die Sie im Anhang dieses Ratgebers finden, finden Sie auch zum Download im Internet.
Der Link zur Download-Seite befindet sich am Ende des Anhangs des Ratgebers.
2 Welche Grundsätze im Betreuungsrecht gelten
Wenn eine volljährige Person ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann, muss sie vor Gefährdungen, die insbesondere ihre Person und ihr Vermögen betreffen, geschützt werden. Dieser Schutz wird durch die sogenannte Betreuung gewährleistet. Es wird vom Betreuungsgericht ein Betreuer bestellt, der in einem genau festgelegten Umfang, den sogenannten Aufgabenkreisen, für die hilfsbedürftige Person handelt.
2.1 Gesetzliche Grundlagen
Vor der Reform des Betreuungsrechts 1992 erhielt eine volljährige Person einen Vormund, wenn sie entmündigt war, sie also beispielsweise wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ihre Angelegenheiten nicht selbst besorgen konnte. Die Entmündigung führte stets und für alle Bereiche zur Geschäftsunfähigkeit. Sie erfolgte nur auf Antrag. Der Betroffene konnte den Antrag nicht selbst stellen. Ob er mit der Entmündigung einverstanden war, war rechtlich nicht von Bedeutung. Die Vormundschaft erstreckte sich stets auf alle Angelegenheiten der Betroffenen, sie nur für einzelne Angelegenheiten oder einen Kreis von Angelegenheiten zu errichten, sah das Gesetz nicht vor.
Einen Gebrechlichkeitspfleger konnte ein Volljähriger erhalten, wenn er nicht unter Vormundschaft stand und wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen einzelne seiner Angelegenheiten oder einen bestimmten Kreis seiner Angelegenheiten, insbesondere seine Vermögensangelegenheiten, nicht wahrnehmen konnte. Die Pflegschaft erstreckte sich nur auf diejenigen Angelegenheiten, für die ein Fürsorgebedürfnis bestand. Bei körperlichen Gebrechen konnte der Pfleger mit der Besorgung aller Angelegenheiten, bei geistigen Gebrechen nur mit der Besorgung einzelner Angelegenheiten oder eines bestimmten Kreises von Angelegenheiten betraut werden. Die Anordnung der Pflegschaft hatte keinen Einfluss auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen. Der Pfleger war ein vom Staat bestellter Bevollmächtigter des Betroffenen. Nur wenn der Betroffene geschäftsunfähig war, war er dessen gesetzlicher Vertreter.
Seit 1992 ist an die Stelle von Entmündigung, Vormundschaft für Erwachsene und Gebrechlichkeitspflegschaft die Betreuung als Rechtsfürsorge getreten. Die hilfsbedürftige Person erhält Unterstützung durch einen Betreuer. Der Eingriff in die Rechtsstellung des Betroffenen beschränkt sich darauf, dass der Betreuer dessen Angelegenheiten in einem gerichtlich genau festgelegten Aufgabenkreis rechtlich besorgt, wenn er diese nicht mehr selbst wahrnehmen kann. Das Selbstbestimmungsrecht der fürsorgebedürftigen Person ist weiterhin gewährleistet. Die Bestellung eines Betreuers hat keine Auswirkungen auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen. In Rechte des Betroffenen wird nur eingegriffen, soweit dies erforderlich ist. Es wird auf das individuelle Betreuungsbedürfnis eingegangen, und verbliebene Fähigkeiten des Betroffenen werden berücksichtigt. Die Wünsche der hilfsbedürftigen Person und deren individuelle Persönlichkeitsentfaltung sind grundsätzlich oberster Maßstab für das Handeln des Betreuers.
In Deutschland gibt es kein »Betreuungsgesetz«, in dem alle die Betreuung einer volljährigen Person betreffenden Fragen geregelt sind. Schwerpunktmäßig ist das Betreuungsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 1896 ff. BGB) geregelt. Die Verfahrensvorschriften finden sich im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG).
Die gesetzlichen Regelungen über die Bezahlung der Berufsbetreuer finden sich im BGB (§§ 1908i, 1835 ff.) und, soweit sich die Bezahlung nach Stunden- oder Pauschalsätzen richtet, im Gesetz über die Vergütung von Vormündern und Berufsbetreuern (VBVG).
Kennzeichnend für das gesetzliche Betreuungsrecht sind die nachfolgenden Grundsätze.
2.2 Wichtige Prinzipien des Betreuungsrechts
Das Wesen der Betreuung besteht darin, dass eine hilfsbedürftige Person Unterstützung durch einen Betreuer erhält, der ihre Angelegenheiten in einem gerichtlich genau festgelegten Aufgabenkreis rechtlich besorgt. Dabei berücksichtigt das gesetzliche Betreuungsrecht u.a.
das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen,
den Grundsatz der Erforderlichkeit, das heißt, dass Maßnahmen der Betreuung nur dann zulässig sind, wenn sie erforderlich und Maßnahmen auf das im Einzelfall notwendige Maß beschränkt sind,
den Vorrang anderer Hilfen,
den Grundsatz der persönlichen Betreuung,
den Vorrang der Wünsche des Betroffenen gegenüber den objektiven Interessen, wenn sie seinem Wohl nicht zuwiderlaufen, und
den Schutz in persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten des Betreuten.
2.2.1 Grundsatz der Erforderlichkeit der Betreuerbestellung
Für das gesetzliche Betreuungsrecht hat der sogenannte Erforderlichkeitsgrundsatz besondere Bedeutung. Er wird insbesondere bei den Voraussetzungen für die Bestellung des Betreuers, beim Umfang und bei der Dauer der Betreuung sowie bei der Bestimmung des Aufgabenkreises konkretisiert.
Medizinische Voraussetzungen
Die Bestellung eines Betreuers setzt einen Betreuungsbedarf voraus. Voraussetzung ist, dass bei einer Person ein bestimmter medizinischer Befund vorliegt, zu dem dann noch eine Hilfsbedürftigkeit (vgl. dazu unten) hinzutreten muss.
Kraft Gesetzes kann ein Betreuer grundsätzlich nur für eine volljährige Person bestellt werden. Als subjektive Betreuungsvoraussetzung muss hinzukommen, dass die betroffene Person an einer psychischen Krankheit, einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung leidet (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Hilfsbedürftigkeit
Zu der Krankheit oder Behinderung muss eine Hilfsbedürftigkeit hinzutreten. Das heißt, dass ein Betreuer nur bestellt werden darf, wenn der Betroffene »aufgrund der Krankheit oder Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht zu besorgen vermag« (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Gegenüber der Möglichkeit, dass sich der Betroffene selbst hilft, ist also die Betreuung immer nachrangig.
Die Bestellung eines Betreuers erübrigt sich insbesondere dann, wenn der Betroffene eine Vollmacht erteilt hat und damit seine Handlungsfähigkeit gewährleistet ist. Maßgebend dafür, ob ein Fürsorgebedürfnis besteht, ist die konkrete Lebenssituation des Betroffenen. Es muss ein konkreter Handlungsbedarf bestehen. Sind also keine Angelegenheiten zu besorgen, darf ein Betreuer nicht bestellt werden.
Anlass der Betreuung
Liegen ein entsprechender medizinischer Grund und eine Hilfsbedürftigkeit vor, bestellt das Gericht auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen einen Betreuer. Den Antrag kann auch ein Geschäftsunfähiger stellen. Für rein Körperbehinderte gilt eine Sonderreglung dahin gehend, dass eine Betreuung grundsätzlich nur auf Antrag des Betroffenen, also nicht von Amts wegen, zulässig ist (§ 1896 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB).
Umfang der Betreuung
Eine Betreuung kommt nur für Aufgabenkreise in Betracht, in denen der Betroffene selbst nicht mehr in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu regeln (§ 1896 Abs. 2 BGB). Nicht zulässig ist es also, dem Betreuer formularmäßig und ohne eingehende Prüfung verhältnismäßig umfangreiche Aufgaben zuzuweisen, so etwa die gesamte Vermögenssorge und die Aufenthaltsbestimmung. Bereiche, die der Betroffene eigenständig erledigen kann, dürfen einem Betreuer nicht übertragen werden. Welche Angelegenheiten der Betroffene noch selbst besorgen kann und wofür er einen Betreuer benötigt, hat das Betreuungsgericht unter Berücksichtigung der konkreten aktuellen Lebenssituation des Betroffenen festzustellen.
Dauer der Betreuung
Auch die Dauer der Betreuung unterliegt dem Erforderlichkeitsgrundsatz. Die Bestellung eines Betreuers darf nicht länger als notwendig dauern. Die Betreuung ist also aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen sind. Und wenn diese Voraussetzungen nur für einen Teil der Aufgaben des Betreuers wegfallen, muss dessen Aufgabenkreis eingeschränkt werden (§ 1908d Abs. 1 Satz 1 BGB).
Das Betreuungsgericht muss bereits mit dem Beschluss über die Bestellung eines Betreuers festlegen, bis zu welchem Zeitpunkt über die Aufhebung oder Verlängerung einer Betreuungsmaßnahme zu entscheiden ist (§ 286 FamG). Und falls das Gericht keinen geringeren Zeitraum bestimmt, ist spätestens nach sieben Jahren über die Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung zu entscheiden. Bereits vor Ablauf der gerichtlichen oder gesetzlichen Überprüfungsfrist kann der Betroffene die Überprüfung der Betreuungsvoraussetzungen mit dem Ziel beantragen, die Betreuung aufzuheben oder die dem Betreuer übertragenen Aufgabenkreise einzuschränken.
Wenn der Betreuer auf Antrag des Betreuten bestellt ist, ist die Betreuung auf dessen Antrag aufzuheben, es sei denn, dass eine Betreuung von Amts wegen erforderlich ist. Den Antrag kann auch ein Geschäftsunfähiger stellen (§ 1908d Abs. 2 BGB).
Aufgabenkreise
Auch für die Entscheidung, für welche Angelegenheiten dem Betroffenen ein Betreuer bestellt werden soll, kommt dem Erforderlichkeitsgrundsatz besondere Bedeutung zu. Bestellt das Gericht einen Betreuer, legt es gleichzeitig je nach Hilfsbedürftigkeit des Betroffenen den Aufgabenkreis des Betreuers fest. Die jeweils anfallenden Verrichtungen werden als »Angelegenheiten« bezeichnet.
Nur wenn der Bedürftige überhaupt nicht für sich selbst sorgen kann, darf das Gericht dem Betreuer alle Angelegenheiten des Betroffenen übertragen. Für jeden einzelnen Aufgabenkreis, der dem Betreuer zugewiesen werden soll, muss eine Betreuung erforderlich sein. Der Aufgabenkreis muss so eng bestimmt werden, wie es das Hilfsbedürfnis des Bedürftigen erfordert. Gegebenenfalls kann einem Betreuer auch nur eine einzige Aufgabe übertragen werden (z.B. Antrag auf Sozialhilfe für den Betreuten).
Zwar sind die möglichen Aufgabenkreise nicht gesetzlich ausgezählt, in der Praxis lassen sich jedoch die jeweiligen Angelegenheiten unter die Begriffe »Personensorge« und »Vermögenssorge« einordnen.
Zu den Angelegenheiten der Personensorge gehören die Bereiche Heilbehandlung und Gesundheitssorge, die Aufenthaltsbestimmung, Unterbringung des Betreuten, Umgang mit anderen Personen und Wohnungsangelegenheiten.
Die Vermögenssorge umfasst die finanziellen Angelegenheiten des Betreuten, unabhängig davon, ob es sich um Vorgänge des Aktivvermögens oder der Schulden handelt. Erfasst werden alle rechtlichen und tatsächlichen Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, das Vermögen des Betreuten zu erhalten, zu verwerten und zu vermehren. Die Vermögenssorge umfasst auch die Verfolgung von Ansprüchen des Betreuten (z.B. aus Kauf- oder Mietverträgen) und die Abwehr unberechtigter Ansprüche von dritten Personen (z.B. des Vermieters).
2.2.2 Vorrang anderer Hilfen
Ein Betreuer darf nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Gegenüber anderen Hilfen ist also die Betreuung nachrangig (§ 1896 Abs. 2 BGB).
Der Betreuer vertritt im Rahmen seines Aufgabenkreises den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich. Damit muss zwangsläufig ein Betreuer bestellt werden, wenn eine gesetzliche Vertretung des Betroffenen notwendig ist. Voraussetzung ist allerdings nicht, dass der Betroffene geschäftsunfähig sein muss. Ausreichend ist es, dass der Betroffene Unterstützung erhält, um seine eigenen Rechte geltend zu machen. In diesem Fall ist die Bestellung eines Betreuers jedoch nur dann zulässig, wenn dem Betroffenen keine anderen Hilfen zur Verfügung stehen, was insbesondere der Fall ist, wenn er einen Bevollmächtigten bestellt hat (vgl. dazu unten).
Tatsächliche Hilfen
Die Bestellung eines Betreuers ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Als solche andere Hilfen kommen insbesondere die Hilfe durch Familienangehörige, Bekannte, Nachbarn, aber auch durch Verbände oder die öffentliche Hand (insbesondere die sozialen Dienste) in Betracht. Wenn der Betroffene nur einen Pfleger für Waschen, Kochen, Einkaufen, Körperpflege oder ärztliche Hilfe benötigt, ist keine rechtliche Betreuung notwendig. Der Nachrang der Betreuung endet allerdings dort, wo die Angelegenheiten des Betroffenen durch andere Hilfen nicht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Das kann auch daran liegen, dass der Betroffene zu einer erforderlichen Mitwirkung oder Zusammenarbeit nicht bereit oder in der Lage ist. So kann sich insbesondere die Notwendigkeit einer gesetzlichen Vertretung ergeben, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist, ihm zustehende Hilfeleistungen zu beantragen.
Vorrang der Bevollmächtigung
Auch wenn die Angelegenheiten des Fürsorgebedürftigen ebenso gut durch einen Bevollmächtigten besorgt werden können, darf dafür kein Betreuer bestellt werden. In diesem Zusammenhang geht es nicht nur um Vollmachten, die ein Betreuungsbedürftiger erteilen kann, wenn er geschäftsfähig ist, sondern auch um Vollmachten, die nicht Betreuungsbedürftige ausdrücklich für den Fall ihrer Betreuungsbedürftigkeit erteilen, insbesondere die sogenannten Vorsorgevollmachten. In diesem Fall kommt die Bestellung eines Betreuers grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die Vorsorgevollmacht nicht umfassend ist, also den Aufgabenkreis nicht abdeckt, für den eine Betreuung erforderlich ist. Ferner kann die Bestellung eines Betreuers dann erforderlich werden, wenn die Umstände des Einzelfalls, insbesondere Umfang, Schwierigkeit und Bedeutung der dem Bevollmächtigten übertragenen Geschäfte, oder ein vorangegangenes Verhalten des Bevollmächtigten dessen Überwachung durch das Betreuungsgericht erfordern. In diesem Zusammenhang kann ein Betreuer auch mit dem Aufgabenkreis der Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten bestellt werden.
2.2.3 Auswirkungen der Betreuung
Die Bestellung eines Betreuers hat keine Auswirkungen auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen. Dessen Geschäftsfähigkeit beurteilt sich ebenso wie für Nichtbetreute nach den allgemeinen Regelungen.
Eine Ausnahme vom Grundsatz, dass die rechtliche Betreuung keinen Einfluss auf die rechtliche Handlungsfähigkeit des Betroffenen hat, ist der sogenannte Einwilligungsvorbehalt. Diesen kann das Gericht zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten anordnen. In diesem Fall benötigt der Betreute – von bestimmten Ausnahmen wie beispielsweise bei geringfügigen Geschäften des täglichen Lebens abgesehen – die Einwilligung des Betreuers. Die Willenserklärung des Betreuten ist nur wirksam, wenn der Betreuer einwilligt.
Auch im Falle einer Betreuung entscheidet der Betroffene über eine ärztliche Heilbehandlung dann, wenn er einwilligungsfähig ist. Unter der Einwilligungsfähigkeit ist die Fähigkeit eines Patienten zu verstehen, seine Einwilligung in eine ärztliche Heilbehandlung erteilen zu können. Sie liegt vor, wenn der Patient nach ärztlicher Aufklärung in der Lage ist, die Chancen, Risiken und möglichen Folgen der Behandlung zu erkennen und zu beurteilen.
Im Falle der Bestellung eines Betreuers kann der Betreute grundsätzlich seine höchstpersönlichen Rechte weiterhin wahrnehmen. Die Betreuung hat darauf keinen Einfluss. Auch einen Einwilligungsvorbehalt dafür gibt es nicht. Die Fähigkeit, ein Testament zu errichten, wird also durch die Bestellung eines Betreuers ebenso wenig berührt wie die, eine Ehe einzugehen. Auch das Wahlrecht wird durch die Betreuung nicht beeinträchtigt.
2.2.4 Auswahl des Betreuers
Nach welchen Grundsätzen das Betreuungsgericht den Betreuer auswählen muss, ist gesetzlich geregelt (§ 1897 BGB). Als Betreuer kommen in der Regel nur natürliche Personen in Betracht. Lediglich in besonderen Fällen ist auch die Bestellung eines Vereins oder einer Behörde zulässig.
Nur geeignete Personen dürfen zum Betreuer bestellt werden. Wichtige Voraussetzung der Bestellung ist die Möglichkeit zur persönlichen Betreuung. Vorschläge des Betroffenen sind grundsätzlich zu berücksichtigen, im Übrigen seine verwandtschaftlichen und sonstigen persönlichen Bindungen. Dabei ist insbesondere auf die Bindungen zu Eltern, Kindern und zum Ehegatten sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Rücksicht zu nehmen.
2.2.5 Persönliche Betreuung
Der Betreuer muss den Betreuten in seinem Aufgabenbereich persönlich betreuen. Deshalb ist die Möglichkeit zur persönlichen Betreuung Bestandteil der Eignung des Betreuers und damit Voraussetzung dafür, dass eine Person zum Betreuer bestellt werden darf.
Die Kernaufgaben aus dem übertragenen Aufgabenkreis müssen vom Betreuer persönlich wahrgenommen werden. Ein wichtiger Teil der Aufgabe des Betreuers ist deshalb der persönliche Kontakt, insbesondere das Gespräch mit dem Betreuten. In welchem Umfang dann letztlich ein persönlicher Kontakt stattfindet, hängt in erster Linie von der Art und dem Umfang der dem Betreuer zugewiesenen Aufgaben und der Behinderung des Betroffenen ab, nicht zuletzt aber davon, ob der Betreute den Kontakt zum Betreuer wünscht oder ablehnt. Der Grundsatz der persönlichen Betreuung wird gesetzlich durch mehrere Regelungen konkretisiert:
Vom Betreuungsgericht darf nur jemand zum Betreuer bestellt werden, der zur persönlichen Betreuung geeignet ist (§ 1897 Abs. 1 BGB). Wird dennoch jemand zum Betreuer bestellt, der den Betroffenen nicht persönlich betreuen kann, können sowohl der Betreute als auch der Betreuer dies anfechten, und zwar der Betreute auch dann, wenn er geschäftsunfähig ist.
Um die persönliche Betreuung zu gewährleisten, dürfen Betreuungsvereine als solche oder die Betreuungsbehörde nur in Ausnahmefällen zum Betreuer bestellt werden.
Die persönliche Betreuung wird umso leichter möglich sein, je stärker sich ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Betreuten und dem Betreuer entwickelt. Deshalb hat das Gericht einem Vorschlag des Betroffenen zu entsprechen, wenn dies möglich ist, insbesondere wenn der Vorgeschlagene zur Betreuung geeignet ist. Schlägt der Betroffene niemanden vor, so ist bei der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaftlichen und sonstigen persönlichen Bindungen des Fürsorgebedürftigen, insbesondere auf die Bindungen zu Eltern, Kindern und zum Ehegatten, sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Rücksicht zu nehmen (§ 1897 Abs. 5 BGB).
Der Betreuer ist verpflichtet, wichtige Angelegenheiten mit dem Betreuten zu besprechen, ehe er sie erledigt, es sei denn, dass dies dem Wohl des Betreuten zuwiderlaufen würde. Wünscht der Betreute, auch andere als wichtige Angelegenheiten mit dem Betreuer zu besprechen, so hat der Betreuer diesem Wunsch nachzukommen, soweit dies dem Wohl des Betreuten nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist (§ 1901 Abs. 2 BGB).
Wenn der Betreuer zur persönlichen Betreuung nicht mehr in der Lage ist (z.B. weil er überlastet oder er weggezogen ist), hat ihn das Betreuungsgericht zu entlassen (§ 1908b Abs. 1 BGB).
2.2.6 Wohl und Wünsche des Betreuten
Der Betreuer hat die ihm übertragenen Aufgaben so zu erledigen, wie es dem Wohl des Betreuten entspricht (§ 1901 Abs. 2 BGB). Das Wohl des Betreuten ist damit der entscheidende Maßstab für das Verhalten des Betreuers. Dem Betreuten wird damit die Freiheit der eigenen Lebensgestaltung gewährleistet. Den Wünschen und Vorstellungen des Betreuten muss der Betreuer Folge leisten, soweit sie dessen Wohl nicht zuwiderlaufen und es dem Betreuer zuzumuten ist, diese zu befolgen. Dies gilt auch für solche Wünsche, die die fürsorgebedürftige Person vor der Bestellung des Betreuers in Form einer Betreuungsverfügung niedergelegt hat, wenn sich diese nicht nur auf die Person des Betreuers, sondern auch auf die Durchführung der Betreuung bezieht.
2.2.7 Schutz in persönlichen Angelegenheiten
Bei der Betreuung stehen die persönlichen Angelegenheiten des Betroffenen gegenüber dessen Vermögensangelegenheiten im Vordergrund. Zur Personensorge gehören vor allem die Gesundheitssorge, die Bestimmung des Aufenthaltsorts und des Umgangs des Betreuten, Wohnungsangelegenheiten und die Unterbringung der fürsorgebedürftigen Person.
Für besonders wichtige Angelegenheiten im Rahmen der Personensorge (z.B. Heilbehandlung, Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen) gelten besondere gesetzliche Regelungen, die das Handeln des Betreuers an bestimmte Voraussetzungen binden und ihn unter Umständen verpflichten, eine gerichtliche Genehmigung einzuholen.
Ein besonderer Schutz gilt für den Fall der Wohnungsauflösung, weil die Wohnung als räumlicher Mittelpunkt des Lebens für den Betreuten besondere Bedeutung hat. Mit der Wohnung verliert der Betroffene die vertraute Umgebung, seine Nachbarn, häufig auch den Bekanntenkreis und die Möglichkeit, jemals wieder selbstständig zu leben. Deshalb benötigt der Betreuer für die Kündigung eines Mietvertrags zulasten des Betreuten als Mieter oder für die Aufhebung eines solchen Mietverhältnisses die gerichtliche Genehmigung (§ 1907 Abs. 1 BGB).
2.2.8 Schutz in vermögensrechtlichen Angelegenheiten
Die Regelung finanzieller Angelegenheiten durch den Betreuer darf aufgrund des Erforderlichkeitsgrundsatzes vom Gericht nur dann angeordnet werden, wenn es überhaupt regelungsbedürftige Angelegenheiten aus diesem Bereich gibt. Aufgabe des Betreuers ist es dann, die finanziellen Interessen des Betreuten zu schützen, also beispielsweise Ansprüche aus Kauf- oder Mietverträgen geltend zu machen oder unberechtigte Ansprüche abzuwehren.
Im Bereich der Vermögenssorge obliegt dem Betreuer eine Reihe von Pflichten:
Das Vermögen des Betreuten ist von dem des Betreuers streng getrennt zu halten. Diesem Zweck dient das Vermögensverzeichnis, das vom Betreuer anzulegen ist.
Bei Aufnahme der Betreuung, die den Aufgabenkreis Vermögenssorge umfasst, hat der Betreuer das Vermögen, das bei der Anordnung der Betreuung vorhanden ist oder später dem Betreuten zufällt, zu verzeichnen und das Verzeichnis dem Betreuungsgericht vorzulegen.
Der Betreuer hat das Vermögen des Betreuten wirtschaftlich zu verwalten. Geld, das nicht zur Bestreitung laufender Ausgaben benötigt wird, ist verzinslich und mündelsicher anzulegen.
Zur Sicherung der Interessen des Betreuten bedürfen bestimmte wichtige Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Genehmigungspflichtig sind insbesondere Verfügungen des Betreuers über ein Grundstück oder über ein Recht an einem Grundstück des Betreuten (z.B. Nießbrauch, Dienstbarkeit).