Jasmin

Ein Traum aus Sand und Gold

Mareike Allnoch

Für alle, die gern mal der Realität entfliehen und in fremde Welten eintauchen

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Danksagung

Prolog

Sie blickte aus dem Fenster der Kutsche und konnte hinter sich im Licht der untergehenden Abendsonne die mächtigen goldenen Kuppeln des Palastes ausmachen. Mit einem Mal fühlte sie sich schrecklich einsam und allein.

Sie dachte an ihre geliebten Eltern und an das, was sie verloren hatte. Es schmerzte so sehr, als hätte ihr jemand eine scharfe Klinge ins Herz gerammt.

Ihr fehlten die Güte ihres Vaters und die Sanftheit ihrer Mutter. Fast jede Nacht träumte sie von ihnen. Doch sie musste jetzt stark sein. Für Agra. Für ein Land und ein Volk, über das sie demnächst herrschen würde. Sie fürchtete sich vor diesem Tag. Würde sie dem Land als Herrscherin gerecht werden?

Eine Herrscherin durfte keine Schwäche zeigen, sie musste ihrem Volk Sicherheit vermitteln und es auch in dunklen Zeiten führen können.

So wie es einst auch ihr Vater getan hatte. Yazmine wusste, dass Unruhe unter dem Volk herrschte. Noch immer trauerten viele Menschen um ihren Vater.

Für ihn war das Land wie ein eigenes Kind gewesen, er hatte es stets liebevoll in seinen Armen gewiegt.

Sie durfte jetzt nicht aufgeben und den Mut verlieren. Das Wohl des Volkes lag von nun an in ihren Händen. Yazmine wollte dem Thron würdig sein und ihre Eltern stolz machen, auch wenn sie es nicht mehr miterleben konnten.

»Woran denkst du, meine Liebe?«, fragte Dschar, nahm ihre Hand und küsste jeden einzelnen Finger davon. Yazmine lief ein eiskalter Schauer über den Rücken und in ihr stieg der unbändige Wunsch auf, ihm ihre Hand zu entreißen. Im Moment war ihr seine Nähe zu viel. Alles war zu viel für sie. Vorsichtig entzog sie sich Dschar und legte ihre Hand flüchtig auf seinen Oberarm.

»Nichts, es ist alles in Ordnung«, log sie und versuchte sich an einem Lächeln, das ihre Augen jedoch nicht erreichte.

Ihr Blick fiel in den kleinen goldfarbenen Spiegel, der ihr gegenüber in der Kutsche hing. Ihre Augen wirkten blass, nahezu farblos, und hatten jeglichen Glanz verloren.

Die weiße Jasminblüte kräuselte sich aufgrund der Hitze in ihrem schwarzen Haar, das in sanften Wellen über ihre Schulter fiel.

»Du siehst bezaubernd aus, wie immer. Das Volk wird dich lieben«, raunte Dschar an ihrem Ohr. »Jeder soll wissen, dass du zu mir gehörst. Du bist mein, für immer und ewig.«

Etwas an seinem Satz ließ Yazmine aufhorchen, sie stutzte.

»Was meinst du?«, fragte sie und runzelte die Stirn. Doch Dschar antwortete nicht.

Manchmal ärgerte es Yazmine, dass die Menschen sie nur nach ihrem Äußeren beurteilten und ihr ständig sagten, wie schön sie doch sei. War sie denn nicht mehr als das?

Für Yazmine hatte Schönheit eine andere Bedeutung, für sie kam Schönheit von innen. Das hatten ihre Eltern sie früh gelehrt. Eine hübsche Schale vermochte nicht über den verdorbenen Kern hinwegzutäuschen.

Sie war froh, als die Kutsche endlich zum Stehen kam und die Tür geöffnet wurde. Der Duft von Kardamom und Nelken stieg ihr in die Nase, darunter mischte sich der penetrante Geruch nach Dung. Sie widerstand dem Drang, die Luft anzuhalten.

Dschar stieg aus, ohne ihr seine Hand entgegenzuhalten.

Yazmine seufzte. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie sich so verlassen gefühlt.

»Prinzessin Yazmine?«

Als sie ihren Kopf hob, blickte sie direkt in ein braunes Augenpaar. Caleb.

Seine Haare machten den Anschein, als wäre Caleb soeben erst aus dem Bett aufgestanden und am liebsten hätte Yazmine ihre Finger durch sein schulterlanges lockiges Haar gleiten lassen.

Die Sonne blendete Yazmine und sie musste ihre Augen abschirmen, um zu dem athletischen jungen Mann vor sich aufzusehen. Er überragte sie mindestens um einen Kopf.

Sie konnte sich noch genau an den Tag erinnern, als er vor wenigen Monaten das erste Mal im Palast aufgetaucht war und sie um Arbeit gebeten hatte. Damals hatte er noch wie ein kleiner, verschüchterter Junge gewirkt. Doch in dieser kurzen Zeit war er zu einem stattlichen Mann herangereift.

In Sekundenschnelle nahm sie die vielen kleinen Einzelheiten wahr, die sie an Caleb so faszinierten. Die markanten dunklen Augenbrauen, der kleine Leberfleck unterhalb seiner Unterlippe und die leicht abstehenden Ohren, die sie besonders niedlich fand.

Trotz des verschmitzten Lächelns, das Calebs Mundwinkel umspielte, entgingen Yazmine nicht die dunklen Schatten unter seinen Augen. Außerdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass Caleb abgenommen hatte. Sein sonnengebräuntes, mit feinen Bartstoppeln überzogenes Gesicht war eingefallen, das Kinn und die Wangenknochen standen spitz hervor.

Ging es ihm nicht gut? Beschäftigte ihn irgendetwas?

Gegen ihren Willen begann ihr Herz höherzuschlagen, doch sie zwang sich selbst dazu, die Unruhe und Aufregung in ihrem Inneren zu verdrängen. Der Falknersjunge und Diener reichte ihr seine Hand.

Er war der einzige Mensch, dem sie sich in diesem Moment nahe fühlte und der ihr in dieser Situation Halt gab. Dankbar lächelte sie ihn an und griff nach seiner Hand.

Als sie mit Calebs Hilfe aus der Kutsche stieg, blieb sie mit ihrem langen Gewand an der letzten Stufe hängen. Sie geriet ins Straucheln, doch bevor sie zu Boden gehen konnte, schlossen sich zwei kräftige Arme sanft um ihre Taille und hielten sie fest.

Benommen blickte Yazmine auf. Calebs Blick ruhte auf ihr und löste ein Kribbeln in ihrer Magengegend aus. Bei genauerem Hinsehen erkannte sie kleine helle Sprenkel, die um Calebs Pupillen tanzten.

Wenn sie ihn ansah, überkam sie das merkwürdige Gefühl, ihn schon ewig zu kennen. Sie erkannte in seinen Augen etwas, das ihr selbst vertraut war. Sehnsucht.

Gern würde sie wissen, was gerade in ihm vorging.

Was war es, wonach er sich so sehnte? Sie wagte es kaum, diesen Gedanken zu Ende spinnen, doch … fühlte er womöglich dasselbe wie sie? Galt seine verborgene und gut gehütete Sehnsucht gar ihr selbst?

Dieser Gedanke beschleunigte ihren Puls, gleichzeitig schämte sie sich für ihr lächerliches und naives Verhalten. Sie schalt sich selbst und kam wieder zur Besinnung. Es musste an der bevorstehenden Krönung liegen, dass sie so verwirrt war.

Und dennoch wollte sie sich nicht aus Calebs Umarmung lösen. Würde es doch nur eine Zeitmaschine geben, die ihr die Möglichkeit gab, die Zeit anzuhalten und einzufrieren. Wie in einer Glaskugel.

Calebs Umarmung glich gerade einem Anker im Sturm, an den sie sich klammern und den sie nie wieder loslassen wollte.

Sie konnte selbst nicht genau sagen, warum sie in seiner Nähe plötzlich schüchtern und befangen wie ein kleines Mädchen war. Vielleicht lag es an der Art und Weise, wie er sie ansah und wie er mit ihr umging.

Er sah in ihr immer noch einen Menschen, nicht nur eine Prinzessin und die angehende Herrscherin von Agra. Er war so anders als alle anderen.

Yazmine genoss Calebs Berührungen. Sie sehnte sich nach jemandem, der ihr Innerstes verstand.

Calebs warme Brust an der ihren und der Klang ihrer Herzen, die im Gleichtakt schlugen, beruhigte sie.

»Verzeih bitte, Caleb. Ich war unachtsam«, entschuldigte sich die Prinzessin. Verlegen betrachtete sie ihre Schuhspitzen, ihre Wangen fühlten sich hitzig an.

Caleb lachte leise. Der Klang seiner sanften Stimme war wie Musik in ihren Ohren. Eine Melodie, die sie für immer im Herzen tragen würde.

Caleb blickte sich um, dann legte er sanft seinen Zeigefinger unter das Kinn der Prinzessin und hob es an.

»Ihr seid eine starke junge Frau, deren Herz voller Güte ist. Wenn es jemand schafft, Agra aus der Dunkelheit und zurück in seinen Glanz zu führen, dann seid Ihr es.«

Yazmine konnte dem Drang nicht widerstehen, zu lächeln. Es war ein ehrliches Lächeln.

»Bleibst du bei mir?«, fragte sie, allerdings so leise, dass nur Caleb sie verstehen konnte.

»Solange Ihr es wünscht, Eure Hoheit. Ich werde nicht von Eurer Seite weichen«, flüsterte er an ihrem Ohr, sein Atem strich kitzelnd über ihre Wange. Ein angenehmer Schauer lief Yazmines Rücken hinab.

Die Zweisamkeit fand ein jähes Ende, als sich Dschar neben seine Gemahlin stellte, das Gesicht von einer dunklen Kapuze verhüllt.

»Mach dich an die Arbeit und sieh nach, ob wir bereits erwartet werden«, befahl er Caleb in schroffem Ton und wedelte mit der Hand, als wollte er eine lästige Fliege vertreiben.

Dschar hatte den teuersten und edelsten Schneider von Agra beauftragt, ihr für die Krönung ein Kleid maßzuschneidern. Heute fand die Anprobe statt. Der Tag der Krönung rückte immer näher und an ebenjenem Tag musste alles perfekt sein. Obwohl es noch lange nicht so war …

»Wie Ihr wünscht, Herr.« Caleb verbeugte sich vor Dschar und der Prinzessin. Doch bevor er sich abwandte, traf Yazmine ein letztes Mal der Blick aus Calebs Augen.

Yazmine hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Caleb entfachte in ihr ein Feuer, das sie so nicht kannte. Er vermochte es, ihr Inneres zum Glühen zu bringen.

Sie wollte sich in seine Arme stürzen und wünschte sich, dass er ihr über das Haar strich und ihr sagte, dass alles gut werden würde.

Doch dies würde niemals passieren.

Denn es war eine Sehnsucht, die verboten war und die niemals ans Licht kommen durfte.

Yazmine wollte ausbrechen, sie wollte am liebsten schreien und davonrennen. Dem goldenen Käfig entkommen und einfach davonlaufen.

Tränen, die sie zurückzudrängen versuchte, sammelten sich hinter ihren Augenlidern.

»Bist du bereit?«, fragte Dschar an ihrer Seite.

Yazmine ergab sich ihrem Schicksal, nickte und trat dem aufkommenden Sturm entgegen.

Kapitel 1

Dieser Affe macht mich wahnsinnig«, stöhnte ich. »So werde ich nie fertig mit Packen.«

Dalan saß bereits im Schneidersitz auf seinem gepackten Koffer und brach bei meinem Anblick in amüsiertes Gelächter aus.

Seufzend betrachtete ich das Chaos in meinem Zimmer. Überall flogen Klamotten herum und verteilten sich über den kompletten Fußboden. In meinem Zimmer sah es aus, als wäre ein Wirbelsturm hindurchgewütet. Ein Sturm, der auf den Namen Abudi hörte.

Dalans kleiner Freund schien es sich zu seiner Aufgabe gemacht zu haben, jedes einzelne Kleidungsstück, das ich zuvor mühsam und sorgfältig in meinem Koffer verstaut hatte, wieder herauszupflücken. Gerade hüpfte das Kapuzineräffchen kreischend mit einem meiner Lieblingsshirts in den Händen auf meinem Bett auf und ab.

»Schön, dass wenigstens ihr beide euren Spaß habt«, murrte ich in Richtung meines Freundes und Abudi, entriss Letzterem mein Kleidungsstück und warf dem kleinen Affen einen möglichst bösen Blick zu. Abudi gab daraufhin ein freudiges Kreischen von sich, das wie Häme in meinen Ohren klang. Bevor ich ihn zu packen bekam, war er schon auf das Fensterbrett gesprungen.

Ich war so damit beschäftigt, meine Siebensachen wieder in dem Gepäckstück vor mir zu verstauen, dass ich erschrak, als Dalan plötzlich dicht hinter mir stand. Mir war nicht einmal aufgefallen, dass er sich mir genähert hatte. Wortlos legte er seine Arme von hinten um meine Taille, schmiegte sich an mich und hauchte einen sanften Kuss in meinen Nacken. Sofort war ich etwas besänftigt, mein Herz schlug schneller. Wie machte Dalan das immer?

»Das ist unfair, so kann ich gar nicht grummeln«, murmelte ich leise, woraufhin Dalan erneut lachte. Bei dem Klang seiner dunklen Stimme stellten sich unwillkürlich meine Nackenhaare auf.

»Mir gefällt es, wenn du ein bisschen kratzbürstig bist. Einfach unwiderstehlich.«

»Kleines Scheusal«, sagte ich gespielt ernst, drehte mich in Dalans Umarmung um und trommelte gegen seine Brust. Dalan lächelte und beugte sich zu mir hinunter. Doch kurz bevor sich unsere Lippen trafen, hatte ich etwas Haariges im Gesicht. Abudi!

Dalan befreite mich von unserem haarigen Freund und strich Abudi über das Fell.

»Na, ist da etwa jemand eifersüchtig?«

Im nächsten Moment klopfte es an der Tür. Bevor ich überhaupt ein »Herein« rufen konnte, stand schon meine Tante Doris im Rahmen. Ihre schwarzen Haare wurden heute von einem knallig pinken Tuch im Zaum gehalten. Manchmal fragte ich mich ernsthaft, wie sie und ich miteinander verwandt sein konnten.

»Kinder, seid ihr fertig?«, fragte sie mit diesem für sie typisch schwingenden Unterton in der Stimme.

Im Hintergrund rumpelte es laut auf dem Flur.

»Mist, wo haben wir denn unsere Kofferwaage?«, fluchte meine Mutter.

»Melli-Schatz, die Kofferwaage hast du bereits in den Koffer gepackt«, erinnerte Bernd sie kurz.

Ich warf Dalan einen skeptischen Blick zu. Das versprach ein turbulenter Urlaub zu werden …

Als wir nach einer Dreiviertelstunde, die mir allerdings wie eine halbe Ewigkeit vorkam, endlich am Hamburger Flughafen angekommen waren, war ich ein nervliches Wrack und froh darüber, in keinen Unfall verwickelt worden zu sein.

Kaum waren die Reifen vor dem Terminal zum Stehen gekommen, sprang ich aus dem Wagen und holte erst einmal tief Luft. Mein Magen rebellierte.

Ich beugte mich nach vorne, stützte meine Hände auf den Knien ab und versuchte, mich auf meine Atmung zu konzentrieren.

Irgendwann spürte ich eine Hand in meinem Rücken.

»Alles gut?«, vernahm ich Dalans besorgte Stimme neben mir.

Ich wagte es nicht, meinen Mund zu öffnen und gab lediglich ein stummes Nicken von mir, da ich befürchtete, dass mir mein Magen­inhalt sonst noch einmal einen ›Guten Morgen‹ wünschen würde.

Die Autofahrt war die reinste Katastrophe gewesen. Mit fünf Personen, einem Affen und vier Gepäckstücken in Doris’ kleinen Wagen gequetscht zu sein, war im Vergleich zu Doris’ rasantem Fahrstil allerdings noch das kleinste Übel gewesen.

Meine Tante hielt offensichtlich nicht viel von Straßenschildern oder Verkehrsregelungen, sie fuhr getreu dem Motto »Wer zuerst kommt …«.

Erst war sie mit einem halsbrecherischen Manöver in eine Einbahnstraße gebrettert und hätte dabei fast einen Fahrradfahrer von der Straße weggefegt, dann hatte sie einem alten Herrn die Vorfahrt genommen und zu guter Letzt hatte sie bei jeder roten Ampel noch mal ordentlich auf das Gaspedal getreten. Hoffentlich hatte sie irgendein Blitzer erwischt, das würde ihr eine Lehre sein.

Einzig und allein Abudi schien Spaß zu haben, da er aufgeregt auf Dalans Schoß auf und ab hüpfte.

Ich weiß nicht, wie oft ich meine Fingernägel während der Fahrt panisch in Dalans Hemd vergraben hatte. Dabei fiel mein Blick immer wieder auf Bernds recht kahlen Hinterkopf; die wenigen Haare, die er noch besaß, wippten auf und ab und erinnerten mich in dem Moment an die abstehenden Pinsel eines Uhus.

Während Bernd gerade das Gepäck aus Doris’ Wagen entlud und dabei stöhnte wie ein alter Mann, dachte ich an die letzten Monate zurück und ließ die vergangenen Ereignisse vor meinem inneren Auge noch einmal Revue passieren.

Wer hätte jemals gedacht, dass Dalan, mein kleiner temperamentvoller Flaschengeist, und ich noch zusammenfinden würden?

Bei der Erinnerung daran, wie Dalan das erste Mal barfuß und in Pumphose wie aus dem Nichts in meinem Zimmer aufgetaucht war, verzogen sich meine Lippen unwillkürlich zu einem sanften Lächeln. Daran war nur Doris’ Wunderlampe schuld gewesen, denn ich hatte mir durch das Reiben an der Lampe unbewusst einen Flaschengeist ins Haus geholt. Meine Mutter und Bernd hatten bis heute keine Ahnung, dass Dalan kein Austauschschüler aus Andalusien war; nur meine Tante Doris kannte die Wahrheit. Normalerweise hätte ich Doris niemals ins Vertrauen gezogen. Da sie jedoch die Einzige war, die sich mit Hokuspokus beschäftigte, war mir damals wohl oder übel keine andere Wahl geblieben.

Dalan hatte mich anfangs mit seiner Hartnäckigkeit ordentlich in den Wahnsinn getrieben, doch mittlerweile konnte ich mir ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen. Dafür war mir der Junge mit den faszinierend schwarzen Augen viel zu sehr ans Herz gewachsen.

Noch immer lag mir der unvergleichliche Geruch von Orangen, Zimt und Rosen auf der Zunge, als wäre es erst gestern gewesen, dass Dalan in eine Nebelwolke gehüllt der Wunderlampe entstiegen war.

In den letzten Wochen hatten Dalan und ich so viel erlebt. Manchmal konnte ich immer noch nicht recht glauben, dass das alles wirklich passiert und nicht nur ein Traum gewesen war.

Es war nur Dalans altem Freund Omar zu verdanken, dass Dalan wieder bei mir war, denn ohne seinen Zeitenzauber hätte er nach den erfüllten drei Wünschen und unter normalen Umständen nicht mehr aus Agra in meine Zeit und Welt zurückkehren können.

Doch er war hier, neben mir, und diese Gewissheit löste ein altbekanntes Kribbeln in meinem Magen aus. Ich streckte meine Hand nach Dalan aus.

Er hauchte einen Kuss auf meine Fingerspitzen und lächelte mich versonnen an.

»Was liegt dir auf dem Herzen, Orangenblüte? Ich sehe doch, dass dich was beschäftigt.«

»Ich habe nur darüber nachgedacht, wie glücklich ich bin, dich bei mir zu haben«, antwortete ich und drückte im Gegenzug Dalans Hand.

»Hey, ihr zwei Turteltauben, wie wäre es mal mit anpacken?«, holte mich die energische Stimme meiner Tante zurück ins Hier und Jetzt. Sie hatte ein wirklich lautes Organ, mindestens vier Personen drehten sich zu ihr um, doch Doris war gegen so etwas schlichtweg immun.

»Hopphopp«, scheuchte sie uns wie Hühner hin und her und klatschte dabei in die Hände.

Ihre Fingernägel waren in einem schrillen Pinkton lackiert. Selbst ihr Lidstrich saß perfekt, wie ich ihr insgeheim neidvoll zugestehen musste. Was ich natürlich niemals laut aussprechen würde, meine Tante schwebte ohnehin schon über den Dingen. Wenn ich mich mal an einem Lidstrich versuchte, glich ich in etwa einem Waschbär auf Entzug.

Doris stutzte und musterte mich eingehender.

»Du siehst grün im Gesicht aus. Geht’s dir nicht gut, Kindchen?«

»Das ist auch kein Wunder, wenn du wie eine Irre über jede rote Ampel bretterst«, entgegnete ich trocken.

»Ach papperlapapp, jetzt reg dich doch nicht unnötig auf. Die waren höchstens dunkelorange«, versuchte Doris die Wahrheit zu beschönigen.

Mir blieb der Mund offen stehen. Ich wollte Doris schon empört auf ihre nicht vorhandenen Fahrkünste hinweisen, doch da hatte sie sich bereits Bernd zugewandt und textete ihn voll.

Ich verdrehte die Augen und griff nach meinem Koffer. Mir entging jedoch nicht, wie meine Mutter Bernd noch ein erbostes »Das nächste Mal fahre ich!« zuzischte und ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Immerhin hatte ich nicht mehr das inständige Bedürfnis, mich auf den hässlichen Asphalt zu übergeben.

Am Check-in-Schalter ging es nicht weniger chaotisch zu. Als wir endlich an der Reihe waren, deutete die junge Frau vor uns auf Dalan.

»Entschuldigen Sie, junger Mann, was haben Sie da?«

Dalan runzelte irritiert die Stirn. »Was meinen Sie?«

Die Dame gestikulierte wild mit ihren Händen. »Na, das Tier auf Ihrer Schulter«, sagte sie, wobei sie jedes Wort so deutlich betonte, als wäre Dalan schwer von Begriff.

»Sagen Sie das doch gleich.« Dalan grinste auf seine übliche charmante Art und Weise. »Darf ich vorstellen: Das ist Abudi, ein Kapuzineräffchen.«

»Sie können den Affen nicht mit ins Flugzeug nehmen«, entgegnete die junge Frau vollends verstört. »Haben Sie sich vorher denn gar nicht die gültigen Bestimmungen auf der Website der Emirates durchgelesen? Es gelten strenge Vorschriften, die beachtet werden müssen. Außerdem hat jedes Land unterschiedliche Ein- und Ausfuhrbestimmungen.«

»Die Sie uns doch bestimmt verraten können«, hauchte Dalan mit verruchter Stimme, beugte sich über den Tresen und blickte der Frau tief in die Augen.

Was sollte das denn jetzt werden?

Ich verschränkte mit saurer Miene meine Arme vor der Brust. Auch wenn ich mir dabei selbst ein wenig lächerlich vorkam, konnte ich nicht verhindern, dass die Eifersucht durch meine Adern züngelte. Ich schluckte meinen Stolz jedoch herunter.

»Ja, also, das ist alles nicht so einfach …«, wich die junge Frau aus und friemelte hektisch an ihrem Halstuch. Es war kaum zu übersehen, dass Dalan sie nicht ganz kaltließ. Dass er mit dieser Tatsache aber wiederum so offensichtlich spielte, ärgerte mich.

»Ihr Tier hätte bis zu vierundzwanzig Stunden vorher angemeldet werden müssen, es ist ohnehin zu spät dafür.«

»Und wenn Sie Abudi jetzt einfach noch schnell nachmelden?«, schlug meine Mutter ein wenig blauäugig vor.

»Wie bereits erwähnt, so einfach ist das nicht.« Die Stimme der Dame vom Check-in klang zunehmend verzweifelter, dennoch versuchte sie, ihr Zahnpasta-Lächeln aufrechtzuerhalten. Mittlerweile glich dies jedoch eher dem Zähnefletschen eines äußert bissigen Piranhas.

»Haben Sie überhaupt die erforderlichen Reisedokumente für Ihr Tier?« Die Gesichtsfarbe der Flughafenangestellten wechselte ins Rötliche.

»Haben Sie schon mal einen Affen mit einem Reisepass gesehen? Ich denke nicht«, mischte sich meine Tante nun in die Diskussion ein und rollte mit den Augen. »Typisch Deutschland, immer dieser Scheißdokumentenkram. Ich hätte schon längst auswandern sollen.«

Erdboden, tu dich auf. Ich warf einen unauffälligen Blick hinter mich und stellte entsetzt fest, dass die Schlange immer länger wurde. Wir hielten die ganzen Passagiere auf!

Hilfe suchend sah die Dame vom Check-in-Schalter zu ihrer Kollegin hinüber, doch die tat so, als hätte sie von all dem nichts mitbekommen. Die junge Frau tat mir zunehmend mehr leid.

»Unter gewissen Voraussetzungen könnte Ihr Tier möglicherweise noch im Frachtraum mitgenommen werden«, räumte die Dame zaghaft ein, doch da hatte sie die Rechnung ohne Dalan gemacht.

»Sie können Abudi doch nicht in den Frachtraum zu den ganzen räudigen Hunden und bissigen Katzen stecken!«, empörte sich Dalan und warf der Frau einen dermaßen vernichtenden Blick zu, dass ich froh war, gerade nicht an ihrer Stelle zu sein.

»Unverschämtheit! Komm, Abudi, wir gehen!« Mit diesen Worten drehte sich Dalan hocherhobenen Hauptes um und stapfte davon. Ja, manchmal konnte er eine kleine Diva sein.

Meine Tante legte mir eine Hand auf die Schulter, was wohl beruhigend wirken sollte, bei mir jedoch das genaue Gegenteil auslöste.

»Setzt euch mal einen Moment in die Wartehalle, ich regle das schon.«

»Meine Damen und Herren, Ihr Emirates Flug EK 062 nach Dubai, International Airport, ist nun für Sie zum Einsteigen freigegeben. Bitte halten Sie Ihre Bordkarten für unsere Besatzung bereit. Um Ihnen das Einsteigen zu erleichtern, bitten wir alle Passagiere der Reihen 67-88 zuerst an Bord. Im Namen der Emirates wünschen wir Ihnen einen guten Flug und sagen Auf Wiedersehen in Hamburg.

Ladys and Gentlemen …«

Aufgeregt fummelte ich an Dalans Hemd und rutschte unruhig auf meinem Sitz in der Wartehalle hin und her. Ich warf einen kurzen Blick aus der riesigen Fensterfront. Eine milchige Nebelwand hatte sich draußen gebildet, dicke Regentropfen prasselten die Glasscheibe hinab.

Glücklicherweise zeigte meine Handy-Wetter-App strahlenden Sonnenschein und 30 Grad für Dubai an. Ich konnte es kaum erwarten, das trostlose Wetter in Hamburg hinter mir zu lassen und der Sonne entgegenzufliegen. Endlich würde mal wieder etwas Farbe an meine blasse Haut kommen, ich sah aus wie eine Milchschnitte. Ohne die braunen Teigplatten darum herum, versteht sich.

Es war der erste Familienurlaub seit Langem und zeitgleich auch meine erste Fernreise, daher war ich umso kribbeliger. In den Jahren zuvor waren meine Mutter und ich sonst immer an die Nord- oder Ostsee gefahren und hatten uns eine kleine Ferienwohnung gemietet.

Da meine Mutter mich allein großgezogen hatte, war oftmals nicht das Geld übrig geblieben, um in den Ferien zu verreisen. Daher war die Freude umso größer gewesen, als meine Mutter und Bernd mir völlig unerwartet vor wenigen Wochen den gemeinsamen Dubai-­Familienurlaub anlässlich meines bestandenen Abiturs geschenkt hatten. Dass Dalan mit von der Partie sein würde, war natürlich keine Frage gewesen, immerhin gehörte Dalan zur Familie.

Doris hingegen hatte sich kurzerhand selbst zu der spontan geplanten Reise in den Orient eingeladen, Widerworte wären bei der Frau zwecklos gewesen …

Ich sah hinunter auf die Start- und Landebahn. Gerade setzte eine Maschine der Etihad zur Landung an, ein Flugzeug der Condor erhob sich bereits in die Luft.

Mein Blick fiel auf Abudi, der es sich auf Dalans Schoß bequem gemacht hatte.

Es war mir immer noch ein Rätsel, wie Doris es geschafft hatte, dass wir jetzt tatsächlich die offizielle Genehmigung in den Händen hielten, Abudi mit in die Kabine zu nehmen – allerdings unter der Bedingung, dass dieser während des Fluges in einer Katzenbox ausharren musste.

Ob meine Tante die bemitleidenswerte Dame am Check-in-Schalter wohl bestochen hatte? Zuzutrauen war ihr alles.

Mama, Bernd, Doris, Dalan und ich packten unsere Sachen zusammen, da es an der Zeit war, sich auf den Weg zu unserem passenden Gate zu machen.

Eine junge Stewardess nahm mein Ticket entgegen und wünschte mir eine gute Reise. Als ich mit Dalan Hand in Hand durch die Fluggastbrücke Richtung Flugzeug lief, verzog sich mein Mund wie von selbst zu einem breiten Grinsen.

Dubai, wir kommen!

»Boarding completed.« Die Ansage einer Stewardess ertönte undeutlich über die Lautsprecher. Die letzten Passagiere drängelten sich an uns vorbei, wobei eine junge Mutter sichtlich Schwierigkeiten damit hatte, das Kleinkind auf ihrem Arm zu beruhigen. Es schrie und weinte so entsetzlich, dass sich sein kleines Gesicht schon hochrot verfärbt hatte. Nicht einmal der Schnuller und die niedliche Plüsch-Giraffe konnten den Jungen trösten.

Doris, die ausgerechnet den Platz neben mir bekommen hatte, verfolgte das Szenario kopfschüttelnd.

»Und genau aus dem Grund habe ich keine Kinder. Ständig dieses Geplärre, das macht einen ja wahnsinnig«, sagte sie, allerdings so laut, dass sowohl besagte Mutter als auch die Gäste der umliegenden Reihen sie gehört hatten und uns empörte Blicke zuwarfen.

An diesem Tag wäre ich vor lauter Scham am liebsten schon ein zweites Mal im Erdboden versunken und rutschte noch ein wenig tiefer in meinen Sitz.

Super, da saß man gerade einmal zehn Minuten im Flugzeug und hatte sich schon wieder lächerlich gemacht. Am besten tat ich einfach so, als hätte ich Doris heute zum ersten Mal getroffen. Leugnen war immer die beste Variante.

Ich wandte mich Dalan zu, der neugierig aus dem runden Fenster blickte und das rege Treiben auf der Startbahn betrachtete, und bettete meinen Kopf auf seine Schulter. Würde unser erster gemeinsamer Urlaub so schön werden, wie ich es mir ausgemalt hatte? Sonne, Strand und Zweisamkeit …

Dalan drehte seinen Kopf zu mir und strich mir liebevoll eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Was geht dir durch den Kopf?«, wollte er wissen, woraufhin ich mich glücklich noch etwas enger an ihn schmiegte. Mir stieg der vertraute Geruch von Orangen und Zimt in die Nase.

»Dass ich dich nie wieder hergebe«, murmelte ich mit geschlossenen Augen und Dalan lachte leise.

Die Motoren des Flugzeugs begannen unter uns zu rattern. Ich schloss den Sicherheitsgurt und lauschte den letzten Sicherheitsvorkehrungen, die über die Lautsprecher und einen kleinen Monitor über unseren Köpfen bekannt gegeben wurden.

Eine junge Flugbegleiterin kontrollierte ein letztes Mal die einzelnen Reihen. Dann wurde ich hart in meinen Sitz gepresst, als die Maschine mit lautem Getöse über die Rollbahn hinwegfegte. Die Landschaft flog in schnellen Bildern an mir vorbei. Krampfhaft klammerte ich mich mit der rechten Hand an meinem Gurt fest, mit der linken krallte ich mich in die Armlehne.

Das Flugzeug gewann an Höhe, bis Hamburg unter mir plötzlich nur noch wie eine Miniaturausgabe wirkte; die Häuser wurden immer kleiner. Die Menschen waren von hier oben so winzig wie Ameisen und der Hamburger Hafen mit seinen Schiffen kam zum Vorschein.

Die Zeit an Bord der Emirates-Maschine verging sprichwörtlich wie im Flug. Da zu jedem Sitz glücklicherweise ein eigener kleiner Fernseher gehörte, machte ich es mir bequem und schaute ein paar Filme aus dem Bord-Programm. Zeitgleich machte ich mir ein paar Notizen in meinem kleinen Büchlein. Vielleicht würde sich daraus nach dem Urlaub eine interessante Geschichte spinnen lassen, die es sich lohnte zu schreiben.

Stewardessen in schicken Uniformen reichten uns zwischendurch immer wieder Säfte und kleine Snacks, und zur Mittagszeit bekamen wir sogar eine warme Mahlzeit gereicht.

Für Abudi, der in einer kleinen Box zu Dalans Füßen schlief, stibitzte eine der Stewardessen sogar eine Banane aus der Bordküche und zwinkerte uns verschmitzt zu.

Zum Schlafen war ich viel zu aufgeregt, zumal Doris neben mir schnarchte wie ein Waldarbeiter, ihr Mund stand sperrangelweit offen. Über ihr Shirt zog sich ein deutlich sichtbarer Spuckestreifen und ich grinste schadenfroh.

Ich spürte förmlich die genervten Blicke der anderen Passagiere und schob mir kurz entschlossen Oropax in die Ohren.

Ehe ich mich’s versah, ertönte über die Lautsprecher eine Durchsage des Piloten, erst auf Englisch, dann auf Arabisch.

»Wir befinden uns im Landeanflug auf Dubai, bitte bringen Sie Ihre Rückenlehnen in eine aufrechte Position und schließen Sie Ihre Sicherheitsgurte.«

Aufgeregt blickte ich aus dem Fenster zu meiner Linken, wobei ich mich über Dalan lehnen musste. Wir durchbrachen die Wolken­decke, kleine Eiskristalle hatten sich aufgrund der Kälte auf die Fenster­scheibe gelegt.

Von dem Regenwetter, das uns bei unserem Start in Hamburg begleitet hatte, war nichts mehr zu sehen, stattdessen erwartete uns strahlender Sonnenschein. Unter uns kamen die glitzernden Lichter und funkelnden Hochhäuser Dubais zum Vorschein, ein Gebäude schien höher als das nächste zu sein.

Beeindruckende Wolkenkratzer reihten sich aneinander und verliehen dem Emirat etwas Majestätisches.

Der Pilot nahm nun geradewegs Kurs auf Dubai und steuerte den International Airport zu unseren Füßen an.

Ein nervöses Kribbeln machte sich in meinem Bauch breit und ließ mich unruhig mit den Beinen hin und her zappeln, sodass ich meinem Vordermann immer wieder unbeabsichtigt in den Rücken trat.

Tschüss, Deutschland, hallo, Dubai!

Obwohl es in Dubai aufgrund der Zeitverschiebung zu Deutschland schon zwanzig Uhr war, schlug mir am Flughafen immer noch eine gewaltige Hitze entgegen. Die Luft war stickig und schwül, sodass sich mein T-Shirt und meine Jeans sofort wie eine zweite Haut um mich legten. Mühsam fächelte ich mir mit meinen Händen Luft zu und schleppte mich hinter den anderen Passagieren her ins Innere des Gebäudes. Dort hatte ich regelrecht das Gefühl, in einer Gefriertruhe gelandet zu sein: Die Luft war eisig.

Die Reiseführer hatten allem Anschein nach nicht gelogen, dass die Emiratis ihre Gebäude gern extrem herunterklimatisierten.

Auf meinen Armen hatte sich bereits eine Gänsehaut gebildet, die feinen Härchen standen senkrecht nach oben. Ich schlotterte am ganzen Körper und kramte in meinem Rucksack nach einem Halstuch, das ich mir sofort umwickelte.

Nachdem wir unsere Koffer am Gepäckband entgegengenommen und die Passkontrolle passiert hatten, machten wir uns auf den Weg in Richtung Ausgang, wo die Transferbusse warteten.

Zum Glück hatte es weder am Flughafen in Hamburg noch hier in Dubai Probleme mit Dalans Pass gegeben. Dalan hatte sich schon damals, als meine Mutter ihn als Austauschschüler an meiner ehemaligen Schule angemeldet hatte, mithilfe seiner Djinn-Kraft falsche Papiere gezaubert, die ihn als ganz normalen Jungen aus Spanien, geboren am 21.03.1997 in Málaga, auswiesen.

Ein Mann mit schwarzen Haaren und recht dunkler Haut hielt ein Schild in den Händen, auf dem fast unleserlich »Familie Winterberg« geschrieben stand. Ich war äußerst erleichtert, dass die meisten Gastarbeiter in Dubai sowie die Emiratis neben ihrer Heimatsprache Arabisch auch Englisch beherrschten, so würde es immerhin nicht zu unangenehmen Sprachbarrieren kommen.

Wir hatten uns unserem Fahrer kaum vorgestellt, da machte er sich bereits übereifrig daran, unser Gepäck in den großen Van einzuladen. Sein starker Akzent bestärkte meine Vermutung, dass der Mann indischer Herkunft war.

Er nickte uns noch einmal freundlich zu und deutete sogar eine leichte Verbeugung an.

»Willkommen in Dubai.«

Es dämmerte bereits, als wir etwa eine Stunde später den dichten Verkehr Dubais hinter uns gelassen hatten und am Hotel ankamen. Zig Lichter glitzerten und funkelten um uns herum.

»Wahnsinn«, staunte meine Mutter und bekam vor Ehrfurcht den Mund gar nicht wieder zu. »Das ist ja ein richtiger Palast.«

»Das ist er wahrhaftig«, antwortete unser Taxifahrer mit starkem Akzent und so etwas wie Stolz schwang in seiner Stimme mit.

»Das Sultan Oriental war damals der Herrschaftssitz des Sultans von Dubai, Bin-Khalid. Er selbst war es auch, der damals den Bau in Auftrag gegeben hat. Kurz vor seinem Tod sprach er den Wunsch aus, den Palast nach seinem Ableben zu einem luxuriösen Hotel umzubauen. Das ist jedoch nur die Kurzversion. Dieses majestätische Gebäude hat eine wahrlich interessante und beeindruckende Geschichte zu erzählen, die es sich lohnt zu hören. Viele Generationen hat dieser Palast schon beherbergt. Zugleich soll der ehemalige Herrschersitz ein Andenken und Geschenk an Bin-Khalids verstorbene Ehefrau darstellen.«

»Warum habe ich keinen Mann, der mir einen Palast schenkt?«, überlegte Doris laut.

»Weil du sie alle vorher in die Flucht schlägst«, entgegnete ich trocken, woraufhin ich prompt einen Rüffel und schiefen Blick meiner Mutter erntete. Als ob sie gerade nicht das Gleiche gedacht hatte wie ich …

Keine Beziehung von Doris hatte je länger als zwei Monate gehalten – bei meiner Mutter allerdings auch nicht. Musste wohl an dieser Familie liegen.

Bernd war da die Ausnahme, mit meiner Mutter und ihm hielt es schon erstaunlich lange an.

Hoffentlich würde meine Mutter es nicht wieder ruinieren. Ich gebe zu, sosehr ich Bernd anfangs hatte loswerden wollen, so hatte ich ihn mittlerweile doch ins Herz geschlossen. Er war wirklich in Ordnung und ich wünschte mir, dass meine Mutter und er zusammenblieben. Genau das Gleiche wünschte ich mir natürlich auch für Dalan und mich …

»Wer leitet das Hotel heute?«, fragte ich unseren Taxifahrer ehrlich interessiert, während ich meinen Blick an der Fassade emporgleiten ließ.

»Ein reicher Mann aus Katar«, entgegnete dieser, während er bereits unsere Koffer aus dem Wagen entlud und vor uns abstellte. »Und nun wünsche ich Ihnen einen magischen Aufenthalt in Dubai. Lassen Sie sich von diesem Emirat verzaubern. Viele sagen, hier werden Träume aus 1001 Nacht wahr …«, sagte er, tippte sich mit einem vielsagenden Grinsen an die Krempe seiner Mütze und stieg dann wieder in den Wagen, der schließlich mit schnurrendem Motor vom Hof fuhr.

Mama schluckte und drehte sich zu uns um. »Passt bloß auf, dass ihr nichts kaputt macht. Hier übersteigt wahrscheinlich selbst ein Löffel mein Budget.«

»Ach Melli, mach dir keine Gedanken. Was soll denn schon schiefgehen? Es liegt ein wunderbarer Urlaub vor uns!«, freute sich Bernd wie ein kleiner Junge und drehte sich dabei so schwungvoll um, dass er fast in einen Bediensteten des Hotels reingelaufen wäre.

Nachdem wir im Hotel eingecheckt hatten und ich erst einmal ausgiebig die riesige Lobby mit Kristall-Kronleuchter inspiziert hatte, folgten Dalan, Abudi und ich einem der Pagen samt unseren Koffern aus dem Fahrstuhl. Meine Eltern waren in einem anderen Trakt des Gebäudes untergebracht.

Wir liefen einen langen Korridor entlang, der mit rotem Teppich ausgelegt war. Die Wände hingegen waren schneeweiß, lediglich die Gemälde, auf denen edle Araberpferde abgebildet waren, versprühten Farbe. Wahrscheinlich war der damalige Sultan ein großer Verehrer des Reitsportes und dieser erstklassigen Tiere gewesen.

In Reiseführern und Büchern hatte ich bereits viel darüber gelesen, dass Pferde eine große Bedeutung in den Vereinigten Arabischen Emiraten hatten, ganz besonders im Kulturerbe Abu Dhabis, das viele herausragende Reittalente hervorgebracht hatte. Jedes Jahr wurden hier mehrere Rennen ausgerichtet, die tief in der Tradition und den Bräuchen der Emirate verwurzelt waren.

Auch wenn ich nicht unbedingt eine Pferde-Fanatikerin war, so konnte ich doch nachvollziehen, was andere in diesen Tieren sahen. Gerade die Araberpferde waren bekannt für ihre ausdrucksvollen Augen, den schlanken Hals und die glänzende Mähne. Zumal diese Pferderasse besondere charakteristische Merkmale auszeichnete wie Loyalität, Stärke und Intelligenz.

Nachdem wir links abgebogen waren, blieb der junge Hotel­angestellte schließlich vor der Zimmertür mit der Aufschrift »602« stehen, ließ die Hotelkarte durch den dafür vorgesehenen Schlitz fahren und öffnete die Tür.

Im ersten Moment wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte. Die Außenfassade des Hotels war schon beeindruckend gewesen, doch dieses Zimmer glich der Suite einer Königin.

Staunend und mit offenem Mund ließ ich meinen Blick durch den hellen Raum schweifen, der einen sanften Duft nach Vanille und Lavendel verbreitete. Das Erste, das meine Aufmerksamkeit erregte, war das riesige Kingsize Himmelbett.

In meinem ganzen Leben hatte ich noch nicht in einem derart luxuriösen Appartement genächtigt.

Der Page rollte unsere Koffer in das Zimmer und lächelte uns zu. Mit einer kurzen, aber galanten Verbeugung verließ er schließlich das Zimmer und überließ Dalan und mich unserem Schicksal.