An alle Nachtschwärmer da draußen:
Diese Geschichte ist nur für euch.
Morgan, Eliza, Ashton, Megan, Cary, Alec, Kion, Tuesday, Logan & Rubii – die letzten vier Jahre waren Rock ’n’ Roll pur!
Ich vermisse euch jetzt schon wie verrückt.
Uncool, oder? ;)

Prolog

In einer sternenklaren Nacht, 1990

Um einen Wunsch in dieser Größenordnung an das Universum zu richten, bedurfte es zweier Dinge: Macht und Zuversicht.

Beides schlummerte in ihnen, weswegen sie sich keine Sorgen machten, dass ihr Wunsch nicht an das Universum übermittelt und erfüllt würde.

Trotzdem war die Frau leicht nervös. Es war bereits einige Jahrzehnte her und sie war etwas aus der Übung.

Vielleicht, dachte der Mann, ist sie auch einfach nur müde. Er war es. Das gab er unumwunden zu.

Zuversicht und Macht.

Zuversicht.

Und.

Macht.

Ihre Hände zitterten, als sie den Vogel in Miniaturgröße freiließen und ihre Worte genauso in die Luft gehoben wurden, wie die golden schimmernden Flügel des Vogels ihn trugen.

Macht.

Würde er seinen Weg finden?

Zu der Person, die dafür geschaffen war zu sein, was sie brauchten, um diesen Wunsch erfüllt zu bekommen?

Zuversicht.

Die beiden nahmen sich in den Arm und schauten ihrem davongetragenen Wunsch lange hinterher.

Ab dieser windstillen, sternenklaren und warmen Nacht würden sie nun täglich auf die Antwort warten, die alles verändern könnte.

Eins

Logan

Völlig gerädert schloss ich die Tür hinter mir und zog mir im Gehen das T-Shirt über den Kopf. Was für eine Nacht. Was für eine abgefahrene Willkommensparty!

Immer noch in mich reinlächelnd kickte ich die Chucks von meinen Füßen. So viel Spaß und gute Laune hatten wir schon lange nicht mehr gehabt. Gerade in der vergangenen Zeit, in der ein schreckliches Ereignis das andere gejagt hatte, waren diese paar unbesorgten Stunden wie ein Energiebooster gewesen, der uns daran erinnerte, warum sich der tägliche Umgang mit all dem negativen Shit lohnte. Familie, Freunde, die einzig wahre Liebe …

Es gab nichts Vergleichbares.

Ich öffnete die Knöpfe der Jeans und schlenderte weiter ins Bad. Egal wie müde ich war, ich musste unbedingt noch schnell unter die Dusche springen. Die ganzen Gerüche vom gebratenen Fleisch, den Parfüms und Duftkerzen hingen an mir dran und so konnte ich unmöglich schlafen.

Eine Macke von mir, die ich mir im Laufe der Zeit angeeignet hatte. Die Arbeit als Alten- und Krankenpfleger, der Umstand, tagtäglich mit teilweise grenzwertigen Gerüchen konfrontiert zu werden, wenn ich Urin oder kontaminiertes Blut aufwischte oder den Alten beim Waschen oder beim Toilettengang half, hatte meinen Geruchssinn unangenehm und nachhaltig sensibilisiert.

Ein wilder Herzschlag drang in meine Ohren, ehe ich dazu kam die Badtür zu öffnen. Irritiert schaute ich hinter mich. Hab ich die Zimmertür nicht richtig verschlossen? Durch den Zauber von Claire, Elizas Mom, waren die Zimmer schallisoliert, was bedeutete, dass man von außen nicht hören konnte, was drinnen vor sich ging, während man von innerhalb seiner Räumlichkeiten sehr wohl mitbekam, was sich vor seinem Zimmer abspielte. Dennoch durfte der Klang des Herzens bei geschlossener Tür nicht derart stark zu vernehmen sein.

Aufzuckend wandte ich mich zurück und fluchte leise. Die Müdigkeit hing mir wirklich bleiern in den Knochen, wenn ich noch nicht mal auf Anhieb den Ursprung des donnernden Pulses auszumachen vermochte.

Ich schob die geeiste Schiebetür, die zum angrenzenden Bad führte, zur Seite und erstarrte, ohne überhaupt das Licht angeknipst zu haben. Das darf doch nicht wahr sein! Perplex und unsicher, ob ich nun lachen sollte oder nicht, schaltete ich das Licht ein, aber das machte die Situation auch nicht besser. Im Gegenteil.

»Hey, Hübsche«, raunte ich. »Verrätst du mir, was du da tust?«

»Ba–a–den«, nuschelte Rubii abgehackt, ohne mich anzusehen.

»Die Badewanne steht da drüben. Das ist das Waschbecken.«

Fassungslos betrachtete ich sie. Meiis kleine Schwester passte mit ihrer superdünnen Figur tatsächlich in mein verdammtes Waschbecken! Ihre Beine lagen zwar ausgestreckt auf dem Waschtisch, zwischen Zahnpasta, Rasiergel und anderem Kosmetikkram, der nun teilweise zerbrochen auf dem schiefergrauen Fliesenboden lag, nichtsdestotrotz saß sie in dem ovalen Becken, die Arme locker auf dem Wasserhahn abgelegt.

»Glaubst du–u, das wei–weiß ich nicht?« Ihr Gesicht verzog sich zu einer wütenden Maske und überrascht rieb ich mir den Nacken. In letzter Zeit hatte ich sie häufiger betrunken angetroffen, aber da war sie immer albern aufgelegt gewesen. Die Aggressivität, die in ihrer Stimme mitschwang, rührte ganz sicher nicht nur vom Alkohol her, den sie wie Wasser konsumierte. Dank meiner jahrzehntelangen Arbeit im Clearwater Center, das nicht nur für alte und kranke, sondern ebenso für suchtkranke Nachtschwärmer konzipiert war, wusste ich sofort, was sie geschluckt hatte – Aufputschmittel.

Vorsichtig trat ich näher und hielt ihr die Hand hin, aber sie schlug sie weg. »Ich. Muss. Erst. Baden!«

»Okay. Weißt du was? Ich wollte auch noch duschen. Ich helf dir da jetzt raus und lass dir ein richtiges Bad ein, das du nehmen kannst, während ich unter die Dusche springe. Wie klingt das?«

»Mit dir ba–den?«

»Ähm. Nein, Hübsche. Du badest und ich helf dir gern dabei. Duschen will ich aber allein.«

»Wieso ne–hennst du mich Hü–hübsche, wenn du doch ni–icht mit mir baden willst?«

Bevor ich antworten konnte, schob sie den Wasserhahnhebel hoch. Das Wasser floss aus der schwarz mattierten Vorrichtung und tauchte ihr weißes, unverschämt kurzes Kleid in einen durchsichtigen Hauch von Nichts.

»Bin nicht hübsch, bin nicht hübsch«, wiederholte sie wieder und wieder. »Muss ein Vogel sein, ein Vogel, ein Vogel.«

Fuck! Deswegen saß sie im Waschbecken. Sie wollte als Vogel ein Bad nehmen … doch so lange sie unter Drogen stand, konnte sie sich nicht wandeln, was eine Sicherheitsvorkehrung des Universums war. Zumindest bis es im hohen Alter vereinzelt außer Kraft gesetzt wurde.

Kurz überlegte ich Meii anzurufen, der vor einer halben Stunde von der Willkommensfeier mit Squash abgehauen war, um sie nach Hause zu bringen, verwarf es aber aufgrund dessen gleich wieder. Zwischen den beiden flirrte seit sehr langer Zeit etwas und ich fand, sie sollten das mal so langsam hinter sich lassen und einen Schritt weitergehen. Es war offensichtlich, dass die beiden zusammengehörten. Für so ziemlich jeden, der sie kannte. Und wenn ich jetzt genau diesen Zeitpunkt zerstörte, weil Rubii letztlich nur ein Bett und jede Menge Schlaf benötigte, würde das zwischen Meii und Squash vermutlich ewig so weitergehen.

»Der Grund«, begann ich beschwichtigend und um den Faden wiederaufzunehmen, »weswegen ich ein gemeinsames Bad mit dir ausschlage, ist, dass ich deinen derzeitigen Zustand nicht ausnutzen möchte. Du bist wunderschön und vermutlich kann ich meine Hände dann nicht bei mir behalten. Wir verschieben die gemeinsamen Wasserspielchen, bis du wieder nüchtern bist, okay?« Was sicher auch dann nicht passieren würde und mein Kompliment nur bedingt stimmte. Ja, sie war wunderschön, was auch der Grund für ihren Erfolg in der Modelwelt war, dennoch war sie zum einen Meiis kleine Schwester und zum anderen entsprach sie charakterlich überhaupt nicht meinem Beuteschema.

Rubii sah auf und das sonst so extrem hell strahlende Blau ihrer Augen blickte mir mit einem dunklen Schleier bedeckt entgegen. »Du–u findest mich hü–übsch?«

»Ja.«

»Wirklich?«

»Ja!«

»Aber mein Übergewicht«, flüsterte sie plötzlich, hob den Arm, kniff sich über ihrem Ellenbogen in die Haut und zerrte grob daran. »Fett ist nicht a–ttra–ktiv.«

Bestürzt umschloss ich ihre mittlerweile eiskalt gewordenen Finger und beugte mich dicht zu ihr. »Du hast kein Übergewicht! Du bist wunderschön und du kannst jetzt auch kein Vogel sein.« Ich drückte den Hebel runter und stellte das Wasser ab. »Bitte lass mich dir raushelfen, Rubii!«

Für einen Moment flackerte ein verletzter Ausdruck in ihrem Gesicht, der jedoch in der nächsten Sekunde verschluckt wurde. Rubii riss ihre Hand aus meiner und zischte: »Vergiss es, Lo! Dusch mit mir, dann komm ich rau–aus!«

Seufzend trat ich ein Stück zurück. Ich bedauerte, sie so zu sehen, denn immerhin kannte ich sie, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war.

»Dusch–en! Dusch–en!«, brüllte sie nun und dicke Tränen flossen ihr über die Wangen.

Tja. Jetzt gab es nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder ich holte sie gegen ihren Willen in Vampirgeschwindigkeit heraus oder sie kam freiwillig aus dem Waschbecken.

»Bin gleich wieder da!« Ich materialisierte mich vor Carys Zimmer und klopfte leise. »Sorry, wenn ich euch bei etwas stören sollte, aber ich brauch mal dringend deine Hilfe, Alter.«

Die Tür schwang auf, kaum dass ich meine Worte ausgesprochen hatte, und Cary ließ den Bund seiner Shorts los, die er sich offensichtlich gerade übergezogen hatte. »Was ist los?«

Alec erschien in seinem Rücken, den seidenen, schwarzen Bademantel zumachend, mit völlig zerzausten Haare. »Wo brennt’s?«

»In meinem Badezimmer.«

Gemeinsam stiefelten wir den Gang runter, zurück zu Rubii, die sich kein bisschen bewegt hatte.

»Fuck! Kleines, was soll das?« Bestürzt riss Cary die Augen auf.

»Caaariii! Ich wi–ill ein Vogel sein.«

Alec packte mich entsetzt am Oberarm und ich nickte traurig. Jap. Dieser Anblick würde uns sicher einige Jahrzehnte im Gedächtnis bleiben.

Cary ging näher und im nächsten Moment waberte der Geruch von Zuckerwatte durch den Raum. »Komm«, sagte er rau und streckte ihr die Arme entgegen. Sie legte widerstandslos die Hände um seinen Nacken und vorsichtig hob er sie aus dem Waschbecken. Wasser spritzte umher und eine Pfütze bildete sich zu ihren nackten Füßen, die zitternd auf den Boden aufkamen.

»Es geht mir nicht so–oo …«, nuschelte sie an seinen Oberkörper gedrückt.

»Hm«, brummte er, »dann solltest du dich ein wenig hinlegen. Ich bring dich jetzt ins Bett.«

»Ihre Kleider.« Alec deutete auf das nasse Kleid, aber ich schüttelte den Kopf. »Ich zieh sie um, sobald sie schläft.«

»Ich helf dir.«

»Brauchst du ni–«

Alec bedachte mich mit einem aussagekräftigen Blick und ich hob beschwichtigend die Hände hoch. »Ich ergebe mich.«

»Ich bin schwanger, nicht krank«, maulte sie, als sie an mir vorbei stob. »Ich geh mal frische Sachen besorgen.«

Ich folgte ihr bis ins Schlafzimmer und beobachtete, wie Cary Rubii sanft auf die linke Seite meines Bettes legte. Sie gähnte laut und igelte sich ein. Ihre langen, platinblonden Haare fielen ihr dabei ins Gesicht. Sie sah so verdammt jung und zerbrechlich aus.

»Schlaf dich aus und wenn du morgen früh wieder fit bist, kannst du immer noch ein Vogel sein. Alles klar, Kleines?«

»Okay.«

Cary strich ihr sanft über die Wange, da war sie schon eingeschlafen.

»Danke!«

»Kein Thema. Wie ist sie in dein Waschbecken gekommen? Habt ihr …?«

Ich zog ungläubig die Brauen hoch. »Bist du nicht ganz sauber im Kopf?«

»Warum? Sie ist attraktiv und du schon viel zu lange Single.«

Äh? »Sagt mir ein Kerl, der nahezu dreißig Jahre allein war.«

»Ich war nicht allein.« Er verschränkte die Arme vor seiner nackten Brust und ausgerechnet das Tattoo von Vida, ein Abbild, das sie beim Tanzen zeigte und welches er sich neu als Erinnerung an sie hatte stechen lassen, geriet in mein Blickfeld.

Na prima. Dagegen kam ich ja jetzt wohl schlecht an. »Was ist nur los mit ihr?«, wechselte ich unverblümt das Thema und wies auf die schlafende Schönheit.

Cary zog eine Braue hoch, ging aber darauf ein. »Laut Meii liegt es an ihrem Job. Die machen sie kaputt. Ich wollte auch schon lange mal mit ihr reden, aber sie ist ständig unterwegs und wenn sie da ist, ist sie Out of Reach.«

»Er sollte das im Auge behalten. Das da, das war nicht nur Alkohol.«

»Was meinst du?«

»Ich meine, dass die Hübsche dringend Hilfe benötigt, sonst macht sie es nicht mehr lang.«

Carys Kiefer spannte sich an und er mahlte langsam mit den Zähnen. Seine Beziehung zu Rubii war vertrauter. Während ich sie nur flüchtig kannte, zählten sie und Meii zu seinen engeren Freunden. Vermutlich machte er sich jetzt wieder selbst ein schlechtes Gewissen, weil er es bisher nicht geschafft hatte mit ihr zu reden, was mir wiederum ein schlechtes Gewissen verpasste, da ich es so forsch rausgehauen hatte. Aber Tatsache blieb Tatsache und ganz offensichtlich erkannte er das Problem genauso.

Bevor ich ein paar beschwichtigende Worte an ihn richten konnte, kam Alec mit den Kleidern. Gemeinsam schälten wir Rubii aus den nassen Klamotten. Durch meine Arbeit sah ich ständig nackte Körper und half beim An- und Ausziehen – weiblich wie männlich, denn durch den Kräftemangel in der Einrichtung konnte eine gleichgeschlechtliche Pflegekraft nicht immer gewährleistet werden.

Bedauerlicherweise galt mein Job ebenso wie in der menschlichen Welt als einer der schlecht bezahltesten im Hinblick dessen, was man dafür leistete, weswegen die Nachtschwärmer sich nicht gerade um eine Stelle als Pflegekraft rissen.

Wir zogen Rubii trockene Kleider an und ich bedankte mich erneut bei den beiden für ihre Hilfe, bevor sie wieder in ihr eigenes Zimmer verschwanden.

Ich duschte mich schnell ab und räumte das Chaos auf. Bis ich aus dem Bad kam, lag Rubii quer über der Matratze und schnarchte leise.

Einen Moment dachte ich daran mir eines der freien Gästezimmer zu nehmen. Letztlich schob ich Rubii jedoch sacht zur Seite und legte mich daneben. Ich war viel zu weit von unzüchtigen Gedanken entfernt, als dass es einen Unterschied machte, ob ich mir mit ihr das Bett teilte oder nicht.

Der Punk hätte das ohnehin nie im Leben zugelassen.

Und außerdem hieß ich nicht Ash v.M. … vor Megan.

Rubii

Ein stechender Schmerz bohrte sich in meinen Kopf. Stöhnend blinzelte ich, aber es war alles komplett dunkel. Verflucht! Wo war ich und was hatte ich zuletzt gemacht?

Ich hangelte mich unbeholfen hoch und stieß mit der Hand gegen etwas Kaltes. Sanft tatschte ich auf der weichen Stelle hin und her. War das …

»Vorsicht!«, brummte es verschlafen. »Ein Stück weiter runter und du kommst zu einer Region, die dir umgehend auf deine Berührung einen besonderen Morgengruß schenkt.«

Erschrocken zuckte ich zurück, da flutete auch schon das Licht gedimmt auf. Das schiefergraue Laken bedeckte gerade noch die Intimzone, die ganz offensichtlich startklar war und das eben Gesagte eindrucksvoll unterstrich.

Ich rieb mir verzweifelt die Schläfen und schloss die Augen, ehe ich mich der restlichen Realität stellte. Es war also schon wieder passiert. Ich hatte einen Black-Out gehabt und mit irgendeinem Kerl die Nacht verbracht. Hart schluckte ich den Würgereiz herunter, der sich rasend schnell in meinem Rachen gebildet hatte und wie Feuer brannte.

»Also das ist eine Premiere! So angewidert hat noch keine Frau nach einer gemeinsamen Nacht mit mir ausgesehen.«

Oh. Shit. Diese Stimme kannte ich. Ich zog scharf den Atem ein. Bitte nicht, jammerte ich still, als ich in Zeitlupe meine Augen wieder aufschlug und an einer feinen Linie Haare, die sich bis fast an den Nabel eines hellen, jedoch gut trainierten Bauchs hinauf schlängelte, aufsah. Bitte nicht – »Logan Black!«, flüsterte ich entsetzt.

»Rubii Woodlight!«

»Oh, bei allen Monden, ich glaub, mir wird schlecht.«

»Tatsächlich siehst du bereits so aus.«

»Stimmt. Ich kotz gleich.« Eilig sprang ich vom Bett auf, eilte ins Badezimmer und hielt meinen Kopf über den Rand des Toilettensitzes. Kühle Finger strichen mir über den Nacken und hielten mir meine langen Haare zur Seite, aber ich wischte sie ungehalten fort. »Finger weg!«

»Na, so schlecht scheint es dir doch nicht zu gehen«, entgegnete mein vampirischer Albtraum und etwas Undefinierbares schwang zwischen seinen Wörtern mit.

»Ich hab mit einem Krankenpfleger gevögelt«, ätzte ich unkontrolliert weiter. »Und ob es mir beschissen geht.«

»Wow, Little Miss Diva. Es ist mir neu, dass atemberaubender Sex eine Frage des Berufs ist.«

Mein Kopf schnellte hoch und mein Blick glitt vorbei an kräftigen Oberschenkeln, einer blau-weiß karierten Boxershorts, die bestens ausgefüllt, aber lange nicht mehr startklar schien, und dem beachtlichen Oberkörper von Logan. Black. Bis er an seinen türkisfarbenen Augen hängenblieb.

»Atemberaubender Sex?«, hauchte ich unverständig und alles in mir zog sich zusammen. Das konnte nicht sein. Bisher hatte noch kein Kerl einen Nachschlag verlangt, weil sie meist furchtbar genervt und noch mehr gelangweilt von meinen Leistungen im Bett gewesen waren. Ich verwandelte mich zwar am liebsten in einen schwarzen Panther, aber eine Raubkatze war ich deswegen noch lange nicht. Nicht mal annähernd.

»Was für einen Scheiß hast du genommen, dass du dich an nichts mehr erinnerst?«

»Das geht dich gar nichts an. Außerdem, wer sagt denn, dass ich schuld bin, weil ich nichts mehr weiß. Vielleicht war deine Darbietung einfach grottenschlecht und ich habe sie rein aus Selbstschutzgründen verdrängt.«

Logan kniete sich vor mich und sah mich eine Weile an. »Grottenschlecht meinst du? Was hältst du von einer Revanche und wenn es dann doch nicht so grottenschlecht war, lässt du das Zeug, das du dir gestern reingezogen hast, in Zukunft links liegen. Wär das ein Deal?«

»Ganz sicher nicht«, zischte ich. »Denn ein zweites Mal wird es nicht geben. Außer du steigst in meine Liga auf, dann besteht eventuell eine winzige Chance auf eine Wiederholung.«

»Hübsche«, flüsterte er in einem dunklen Ton, der meine Haut umgehend zum Prickeln brachte. »Ob du es glaubst oder nicht, aber niemand möchte in deiner Liga spielen, wenn es bedeutet sich so daneben zu benehmen, wie du es gerade tust.«

Er stand auf und schlenderte gemächlich ins Schlafzimmer. »Dein Kleid hängt an der Duschwand. Die Sachen, die du trägst, gehören Alec. Auf dem Nachttisch liegen Kopfschmerzmittel. Du solltest sie nehmen. In zwanzig Minuten gibt’s Frühstück.«

Ich sah rüber zur Dusche und dann an mir hinab. Tatsache! Ich trug fremde Klamotten! Aber warum? Aufstöhnend vergrub ich mein Gesicht hinter den Händen. Was für ein Albtraum. Ausgerechnet in Logan Blacks Bett musste ich mich wiederfinden – Meii riss mir dafür bestimmt den Kopf ab. Die Brüder, allem voran Cary, gehörten zu seinen besten und engsten Freunden …

In mir wütete immer noch Übelkeit. Die drei Gläser Wein hätte ich nach dem Koks und den Pillen besser nicht mehr getrunken. Aber der Hunger! Dieser verdammte Hunger brachte mich noch um den Verstand! Und gestern Abend hatte es vor den Bergen voller Köstlichkeiten kein Entrinnen gegeben. Es war unglaublich, was alles aufgeboten gewesen war – fast noch unglaublicher, wie viel die Freundin von Morgan in sich hineingeschaufelt hatte. Dinner for Two Live und in Farbe. Und erst das schwangere Schneewittchen – In zwanzig Minuten gibt’s Frühstück? Ha. Hahaha. Nicht in meiner Welt.

Mit wackligen Beinen stand ich auf, holte mir die Schmerztabletten und stellte mich dann lange unter die Dusche. Das warme Wasser wärmte meinen kühlen Körper. Mir war immer kalt. Selbst jetzt im Frühsommer würde ich am liebsten in Jeans und Pulli herumlaufen. Aber so etwas besaß ich schon lange nicht mehr. Mehr Haut, mehr Aufträge. Ein Model zu sein bedeutete seinen Körper auf bestmögliche Weise zu präsentieren, so viel wie möglich abgelichtet zu werden, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und das war in gemütlichen Klamotten nicht zu gewährleisten.

Ich trocknete mich ab, schlüpfte in mein knappes Kleidchen und suchte nach meinen Schuhen, die ich nirgends fand. Stattdessen kam ich in den Genuss Logans verrücktes Schlafzimmer näher zu inspizieren. Seine Zimmerdecke bestand aus einem LED Lichterhimmel und direkt über seinem Bett hingen locker fallende Tücher in verschiedenen Türkisfarben mit orientalischen Ornamenten an Bambusstreben befestigt. Das Bett an sich war riesig und eigentlich eher typisch weiblich hergerichtet mit den unzähligen Kissen in Rot, Lila und Blautönen und den drei Decken, wovon eine aussah wie ein Mandalabild, während die beiden anderen in einem schlichten Grau und Weiß gehalten waren.

Kerzen standen im ganzen Zimmer verteilt auf kreisrunden, silbernen Tabletts. Wild aufeinandergestapelte Bücherberge, und weiße, hochflorige Teppiche auf dem abgenutzt aussehenden, honigfarbenen Parkett. Eine abgewetzte Gitarre lehnte an einem Schaukelstuhl direkt neben einem Plattenspieler und einem Regal voller Platten.

Wie oldschool. Und langweilig … aber das deckte sich mit meinen Erinnerungen an ihn. Bei den seltenen Gelegenheiten, wo ich ihm über den Weg gelaufen war, hatte er sich stets reserviert verhalten. Als wäre er in seiner eigenen Welt gefangen.

Resigniert verließ ich das Zimmer und tapste runter in die Küche. Der Duft von Speck, Eiern und frisch gebackenen Brötchen schlängelte sich in meine Nase. Mein Magen knurrte laut, just in dem Moment, als ich eintrat.

»Du kommst genau richtig!« Die rothaarige Fee, Maggie oder so ähnlich, lächelte übers ganze Gesicht. »Gut geschlafen?«

»Wie ein Stein«, murmelte ich und setzte mich an die schwarz marmorierte Theke.

Logan ignorierte mich und deckte weiter den Tisch, während Morgan überrascht die Brauen zusammenzog. »Ich dachte, du wärst mit Meii gegangen.«

»Der war – also ich – ähm –«

»Der ist mit Squash abgehauen«, ertönte es plötzlich hinter mir und jemand drückte einen sanften Kuss auf meinen Scheitel. Cary! Der Einzige der Brüder, der mich küsste. Nun ja … bisher.

»Ah. Alles klar.« Morgan zog verschwörerisch ein Lid herunter.

»Wie geht’s dir?« Cary setzte sich neben mich und irgendwie kam ich mir ertappt vor. Was wusste er, was ich nicht wusste?

»Bis auf einige Unannehmlichkeiten ganz gut.«

Logan schnaubte hart und der Lärm des geschäftigen Treibens in der Küche fiel knapp auf die Stufe lautlos. Großes Kino. Applaus. Applaus.

»Ich muss dann auch schon los. Ich hab morgen früh ein Casting.« Ich rutschte vom Stuhl und bemerkte meine nackten Füße. »Hat jemand zufällig meine Louboutins gesehen? Weiß mit roter Sohle?«

»Ooh, das sind deine?« Die Augen der Fee wurden groß. »Die sind wunderschön. Wenn mein Chef nicht so ein Geizhals wäre, hätte ich mir auch schon längst solche zugelegt.«

»Das hast du jetzt nicht wirklich vom Stapel gelassen?« Pikiert rieb sich Ash, der neue Vampirkönig, über die Brust, doch Maggie ging gar nicht darauf ein. »Ich hol sie dir schnell, ja?«

»Danke«, sagte ich und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Theke. Eine Gänsehaut zog sich über meinen Körper und die kühlen Finger, die sich um meinen nackten Oberarm schlossen, verstärkten das Gefühl zusätzlich. »Ich fahr dich.«

»Brauchst du nicht. Ich nehm ein Taxi.«

»Auf das du jetzt warten musst. Was du gerne tun kannst, dann hast du wenigstens noch Zeit etwas zu frühstücken.« Cary lächelte lieblich und ich rollte mit den Augen. Das war ja fast so übel wie bei meinem Bruder. Der war auch immer so verflixt clever.

»Dann bitte. Hauen wir ab«, erwiderte ich wenig enthusiastisch.

Ich verabschiedete mich und auf dem Weg nach draußen nahm ich meine Schuhe entgegen, die ich mir umgehend anzog. Logan hatte mich keines Blickes mehr gewürdigt noch eine Abschiedsfloskel verlauten lassen, was mir aber echt am Arsch vorbeiging. Abweisendes Verhalten war ich von den Kerlen gewohnt. Da musste er ein bisschen früher aufstehen.

»Ist deine Maschine kaputt?«, fragte ich irritiert, als die Lichter eines tiefschwarzen Porsche Cayennes aufblitzten und das typische Klackklack der Zentralverriegelung ertönte.

»Nope. Das ist mein Familienwagen. Der ist etwas wärmer als eine Fahrt auf meiner Harley in dem Minifetzen, den du trägst.« Er hielt mir die Tür auf und lächelte erneut, nur dieses Mal ziemlich verschmitzt. Seine Grübchen zauberten sich tief in die Wangen und ein warmes Gefühl flutete mich. Ich mochte Cary sehr gerne. Tatsächlich war er neben meinem Bruder die einzige Person, die mir was bedeutete.

Ich rutschte auf den lederbezogenen Sitz und wartete, bis er hinterm Steuer saß und den Wagen startete. Eine Weile fuhren wir durch Magia, bis Cary das Wort ergriff, von dem ich irgendwie schon geahnt hatte, dass es kommen würde. »Du erinnerst dich nicht mehr an gestern Nacht, oder?«

»Nicht so richtig.«

»Meii macht sich Sorgen.«

»Ich weiß.«

»Und? Ist was dran?«

Ich rieb mir über die Arme und Cary schaltete die Sitzheizung an. »Ich arbeite viel. Party zu machen ist mein Ausgleich dazu. Ich weiß nicht, was daran so verwerflich ist.«

»Ich versteh dich gut, Kleines. Immerhin besitze ich seit mittlerweile über sechzig Jahren einen Nachtclub und eröffne bald den zweiten. Ich sehe nahezu jeden Abend Menschen wie Schwärmer, die sich durch eine Nacht mit Tanzen und Alkohol eine Auszeit von ihrem stressigen Alltag nehmen. Ich bin der Letzte, der das verurteilt.«

»Aber?«, fragte ich und wandte mich ihm zu.

»Das Gesamtpaket macht es. Wenn du immer nur diese beiden Dinge in deinem Leben zelebrierst, dann ist es zu wenig, um Geist, Körper und Seele zu füllen.«

»Deswegen besuche ich doch immer Meii, anstatt in meiner Wohnung zu wohnen, wenn ich da bin.«

»Kleines – du verwechselst körperliche Anwesenheit mit vollständiger Präsenz.«

Er parkte vor dem Mehrfamilienhaus an der Hauptstraße, in der mein Bruder eine Wohnung mietete, und drehte sich zu mir um. »Vor ein paar Jahren, als mein Sonnenschein gestorben ist, hab ich zwei Dinge getan: gearbeitet und gesoffen bis zum Umfallen. Ich wollte mich davor bewahren mir nicht selbst etwas anzutun. Die Jungs sagten lange Zeit nichts und ich dachte, das läge daran, dass wir zusammenwohnen und ich an allem regulär teilnahm. An den Essen, den Partys, dem Rumgammeln beim Billard und so weiter. Irgendwann kam Logan in den Club. Nacht für Nacht saß er an der Bar, die Vida geführt hatte, und trank ein Bier. Nur eins. Ich brauchte Wochen, bis ich realisierte, was er da tat.«

Carys Gesicht verzog sich zu einer gequälten Maske. »Irgendwann hab ich mich neben ihn gesetzt und gefragt, was er da macht. Er sah mich an und dieser Blick bohrte sich so tief in mein Herz, dass ich ihn selbst heute noch spüre. Dass ich noch heute die Schmerzen fühle, die er schlagartig in mir ausgelöst hat.«

Er presste die Lippen fest aufeinander und schloss die Augen. Ein ungutes Gefühl bedrängte mich. Cary war kein Kerl, den so schnell etwas aus der Ruhe brachte. Dachte ich zumindest. Vorsichtig tippte ich mit meinen Fingerspitzen an seinen Arm. »Cary?«

»Ja.« Er nickte knapp und schlug die Augen wieder auf. »Logan sah mich an und sagte: Du hast mir gesagt, dass ich in deinen Club kommen soll, damit ich nicht alleine mit dem Schmerz klarkommen muss. Hast du jetzt Zeit für mich? Und dann flossen seine Tränen. Mitten in einem überfüllten, lauten, stickigen Club saß er neben mir und brach zusammen, weil er kurz zuvor seine Schwester verloren hatte. Und ich, ich hatte es verdrängt. Ich hatte verdrängt, dass sie gestorben war. Ihre Beerdigung und was ich zu ihm gesagt hatte. Weil ich zwar immer, immer anwesend war, aber nicht dort. Verstehst du?«

Ich zog scharf den Atem ein und tief in meinem Bauch rührte sich etwas. Eine Hülle. Eine funktionierende Hülle … ja. Genauso fühlte ich mich die meiste Zeit. Es war besser jegliche Gefühle und alles, was einem nahegehen konnte, auszuschalten. Die Luft schnürte sich mir augenblicklich ab.

»Ich verstehe«, krächzte ich, umarmte Cary, küsste ihn flüchtig auf die Wange und floh nahezu aus seinem Wagen. Bevor ich genauso wie Logan seinerzeit einen Zusammenbruch erleiden würde.

Logan

»Huldigt den Göttern. Sie haben es tatsächlich aus dem Bett geschafft!« Ash verbeugte sich tief und ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen.

Tuesday kniff die Brauen zusammen, keineswegs beschämt, während Kion nur den Kopf schüttelte. »Alter! Wie konnte ich vergessen, was für eine Nervensäge du bist?«

»Aaah. Verstärkung. Sehr gut!« Cary schlenderte in die Küche, straight zu Alec, die mit einem Becher Tee in der Hand gegen die Küchentheke gelehnt stand, und küsste zuerst sie liebevoll auf den Mund und dann ihren Bauch, der schon mächtig gewachsen war. Inzwischen könnte Katrina schon das Geschlecht des Babys bestimmen, aber das kleine Wesen in Alecs Bauch drehte sich bei der Untersuchung immer so, dass man nichts zu sehen bekam. Deswegen sammelten die beiden weiterhin wild von jedem Namensvorschläge, was bereits zu heißen Diskussionen geführt hatte.

Während die weiblichen Mitglieder des Hauses zu eher harten Mädchen- und verspielten Jungennamen tendierten, hielten wir Männer es genau umgekehrt. Unser Argument, die Welt müsste gleich erfahren, mit wem sie sich anlegten, sollte es ein Junge werden, wandten sie im Gegenzug als Rechtfertigung für ihre Auswahl an Mädchennamen an.

Mittlerweile auf der No-Go Liste waren: Hulk – ein Vorschlag von Kion, Son Goku von Ash, Diana von Themyscira aka Wonder Woman von Eliza und Vampirella von Megan. Auch Edward und Isabella waren strikt ausgeschlossen. Jakob selbstredend ebenso.

Ashs Belustigung waberte durch den Raum und verklang dann ganz langsam in einer Wand, die keine Geringeren als Kion und Cary zierten, die beide auf einer Zuckerwattewolke einen Walzer zum Song He ain’t heavy He’s my brother von den Hollies tanzten.

Allgemeines Gelächter erschallte und Ash kassierte von beiden eine Faust gegen seinen Oberarm.

»Aloha, ihr Nachteulen!« Eliza kam bestens gelaunt zu uns gestoßen, holte sich einen Kaffee und setzte sich.

»Sind all unsere menschlichen Freunde gut nach Hause gekommen?«

»Jap! Wir haben gegen vierzehn Uhr mit ihnen gefrühstückt. Mom und Dad haben sie auf ihrem Nachhauseweg wohlbehalten in Lavon abgesetzt.«

»Wohin ich im Laufe des Tages folgen werden«, setzte Megan nach. Die spaßigen Wände Ashs fielen in sich zusammen und ein Schwall Unzufriedenheit drängte sich aus seinem verdammten Gefühlschaos hervor.

Megan verdrehte die Augen. »Ist nicht so, als hätte ich nicht von vorneherein gesagt, dass ich nicht ewig hierbleiben will.«

»Na, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, Kleines.« Cary schaufelte sich das restliche Rührei vom Frühstück auf den Teller und zeigte auf Eliza, die den Kopf schüttelte. »Du weißt, dass ich noch Personal suche. Die Umbauarbeiten im Alec’s Dance sind fast abgeschlossen. Ich peile die Eröffnungsfeier Anfang Juli an.«

»Vergiss es, Punk. Mein Mädchen arbeitet ganz sicher nicht in deiner Kaschemme.«

»Dein Mädchen arbeitet, wo immer dein Mädchen arbeiten will«, reagierte Meg ungehalten. »An was hast du gedacht?«

»Geschäftsführerin?«

»Du meinst, ich kümmere mich um einen Stab Nachtschwärmer?«

»Auch.«

»Hm. Kümmern ist gut. Ich überleg’s mir.«

Ashs Gefühle nahmen einen düsteren Ton an und ohne ein Wort verließ er den Raum und trabte die Stufen in Richtung Kraftraum hinunter.

»Ich finde ja, dass du ruhig noch ein wenig bleiben kannst. Du hast deine Fähigkeiten noch lange nicht so gut unter Kontrolle, wie es sein sollte«, brach Eliza nach einigen Sekunden das Schweigen.

»Sagt diejenige, die sich beharrlich weigert ebenfalls hier einzuziehen.«

»Ich hab ja aber auch keine Fähigkeiten zu lernen.«

»Das macht es nicht besser«, monierte Morgan und Eliza zog eine Grimasse.

»Puh. Innerhalb von ein paar Sekunden die gute Stimmung vermiesen, könnt ihr.« Marley schnappte sich einen Apfel und stand auf. »Da mach ich lieber den Abflug. Ich treff mich mit Ren im Skatepark.«

»Bring ihn zum Abendessen mit.«

»Aye. Bis dann.«

Unter Abschiedsbekundungen räumten fast alle den Platz und gemeinsam die Küche auf. Nur Cary saß noch an der Theke, weswegen ich extra langsam machte. Ich wollte unbedingt noch wegen Rubii mit ihm sprechen.

»Nimmst du mich mit?« Eliza stupste Meg grinsend an und die stupste zurück. Mit Schwung krachte Eliza gegen Morgan, der sie davon abhielt hinzufetzen.

»Ups. Sorry.«

»Das lass ich jetzt mal unkommentiert, sonst setzt du mich am Ende noch unterwegs aus oder so«, antwortete Eliza streng, grinste aber dabei.

»Ich dachte, du bleibst bis morgen?« Sichtlich genervt gab Morgan El frei.

»Jaaa«, erwiderte sie gedehnt. »Das hatte ich auch vor, aber Bell und Katrina haben gestern nach ihrem Kennenlernen geradezu aneinandergeklebt und beim Frühstück hat er mich gefragt, ob ich ihre Nummer habe, weil er vergessen hatte sie dana–«

»Was?« Megans Flügel ploppten auf und sie schwang nach oben. Glitzerstaub wirbelt in goldenen Flocken herab und der Luftschwung durch ihre hektischen Flugbewegungen fegte die übrig gebliebenen Servietten vom Tisch. »Das ist ja Waaaahnsinn!«

»Ich weiß! Deswegen möchte ich heute schon fahren! Bell muss morgen wieder arbeiten und ich muss unbedingt –«

»Ich auch«, rief Meg, wirbelte zurück auf den Boden und packte Eliza aufgeregt bei den Armen. »Verflucht, El, das wäre soooo gigantisch! Katrina ist toll!«

Tuesday und Alec lachten begeistert mit, während Cary, Morgan, Kion und ich vermutlich so doof aus der Wäsche schauten wie die drei Stooges seinerzeit. Ich gab es unumwunden zu: Ich war kein Frauenversteher. Für mich war das weibliche Geschlecht selbst mit meinen einhundertzwölf Jahren immer noch ein einziges Mysterium. Manchmal hatte ich den einen oder anderen Lichtblick in ihrer Welt, aber meist handelte es sich nur um einen kurzen Silberstreifen am Horizont.

»Wenn wir vor dem Morgengrauen fahren, können wir noch schlafen und ein Frühstück im Ol’ Butternut starten!«

»Bin dabei. Dann pack ich mal besser gleich.« Gut gelaunt streunte Meg davon, bog jedoch, anstatt hoch zu den Schlafzimmern zu gehen, nach rechts ab zur Trainingshalle.

»Das war mein Stichwort. Ich muss auch los.« Tuesday strich sich lächelnd über ihr knallpinkes Kleid.

»Brauchst du Hilfe beim Umzug? Ich hätte nichts dagegen ein bisschen schottische Luft zu schnuppern.«

Cary knurrte. »In dem einen Schwangerschaftsratgeber stand, dass Schwangere ab einen bestimmten Monat nicht mehr fliegen dürfen. Und nichts Schweres heben.«

»Aye, mo fhear. Das wäre dann in zwei Monaten.« Alecs rote Lippen verzogen sich siegreich nach oben.

»Gut! Dann eben einen Tick deutlicher: Ich wünsche mir, dass die Frau, die ich liebe und die mein Kind unter ihrem Herzen trägt, nicht auf einen anderen Kontinent fliegt. Aye?«

Kichernd schlang sie die Arme um seinen Nacken und küsste den verliebten Punk. »Verstanden.«

»Aber danke für dein Angebot«, entgegnete Day, winkte in die Runde und schlenderte händchenhaltend mit Kion aus der Küche.

»Wartet mal kurz, ihr zwei. Bevor ich es wieder vergesse: Das Medaillon, die Frau, die da abgebildet ist …«, sagte Morgan.

»Ach ja, stimmt.« Kion blieb abrupt stehen. »Davon hab ich dir noch gar nichts erzählt. Wir waren gestern zu beschäftigt gewesen unsere Partnerschaft zu feiern.« Ein Funkeln glänzte in seinen Augen.

»Was ist mit der Frau?«, fragte Tuesday, ohne auf Kions Kommentar einzugehen.

Morgan hielt den Zeigefinger in die Luft. »Moment.« In Vampirgeschwindigkeit lief er davon und stand eine Sekunde später wieder an seinem Platz. »Das Medaillon lag im Wohnzimmer herum und ich habe es an mich genommen, um es in meinem Büro zu verwahren. Davon abgesehen, dass es wertvoll aussieht, war ich so unverschämt und hab es mir näher angesehen. Die Frau auf dem Bild – wisst ihr, wer sie ist?«

Day verschränkte die Arme unter der Brust, geradeso als würde sie frösteln, was ja aus naheliegenden Gründen eher nicht der Fall sein konnte. »Das ist meine leibliche Mutter.«

Morgan riss die Augen auf. »Das? Die Frau, die dich ausgesetzt und zum Sterben abgelegt hat?«

»Das ist richtig«, antwortete Kion auf Days Nicken. »Emerson und Merlin haben mir das Medaillon gegeben. Vermutlich um mich daran zu erinnern, dass ich Day endlich die Wahrheit über ihre leiblichen Eltern sage.«

»Emerson und Merlin? Du hast gar nicht erzählt, dass du bei ihnen warst, Dude!«, sagte ich überrascht und ein komisches Gefühl beschlich mich. Bereits seit geraumer Zeit dachte ich über die Ereignisse nach, die sich in unserem Leben seit dem Auftauchen Elizas abspielten. Wie ich Cary schon vor einigen Monden erklärt hatte, kam mir das alles sehr suspekt vor. Mich beschäftigte das Thema ungemein und ich kam nicht umhin den Bezug zum ältesten Nachtschwärmerehepaar nicht zu ignorieren.

»Ähm, ja. Das wollte ich euch bei Gelegenheit auch noch erzählen. Aber hier ist ständig etwas anderes los.«

»Deine Worte«, murmelte ich.

»Morgan?« Day hibbelte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. »Woher kennst du sie?«

Er seufzte tief. »Jetzt verstehe ich endlich, warum du mir von Beginn an so familiär erschienen bist. Das, Day, ist die Schwester meines Vaters. Deine Mutter ist meine Tante. Tante Cilia.«

Zwei

Rubii

»Nächste!«

Mit der Mappe in der Hand stöckelte ich in den kühlen, kargen Raum direkt auf den Tisch zu, an dem der Designer und drei seiner Assistenten saßen.

»Rubii Woodlight, Agentur BlackGlow. Ein Meter fünfundsiebzig, sechsundzwanzig Jahre alt.«

»Sechsundzwanzig?«, rief einer der Männer empört aus. »Zu alt. Viel zu alt. Was sollen wir denn mit einem Model mit Krähenfüßen?«

»Komm näher«, meinte der Designer und ich beugte mich herab. Grob packte er mich am Kinn und drehte mein Gesicht von rechts nach links. »Sehr gepflegte Haut. Sie sieht nicht aus wie fast dreißig. Lauf!«

Ich nickte, machte auf dem Absatz kehrt und positionierte mich an der weißen Linie, die auf dem grauen Steinboden aufgezeichnet worden war. Mit strengem Gesichtsausdruck und stocksteifer Haltung lief ich meinen Walk und stellte mich dann abwartend vor den Tisch.

»Zieh das Kleid aus und mach noch einen Walk in Unterwäsche. Wenn du keine dabei hast, soll Kerra dir welche geben.«

Ohne zu antworten, zog ich mir mein Designerkleid über den Kopf und händigte es dem Laufmädchen aus. Dann ging ich erneut den Walk. Vier Augenpaare starrten mich an. Reduzierten mich auf meinen Körper und darauf, wie ich deren Kollektion der High Society, den Stars und Sternchen am besten präsentieren konnte.

»Kerra gibt dir was aus unserer Kollektion.«

»Danke«, sagte ich und ging mit der Frau, die mich eilig hinter einen Paravent scheuchte und mir beim Anziehen half.

Ein Einteiler mit ausgestellten Hosenbeinen, ohne Ärmel, aus Seide und in hässlich grüner Farbe. Ich stieg in dazu passenden High Heels und erschien wieder an der weißen Linie. Meine Gefühle und meine Gedanken hatte ich hinter Wänden verbannt, denn es tummelten sich in der Modewelt unglaublich viele Nachtschwärmer. Besonders die Elfen und Feen, die mit ihrem fast immer unnatürlich guten Aussehen so ziemlich jedem den Kopf verdrehten, machten es einem schwer, als andere Nachtschwärmerart oder gar als Mensch einen der begehrten Jobs zu ergattern.

Dieser hier war so einer. Ich war zwar ein gut gebuchtes Model, aber es gab immer noch Designer und Shows, die ein absoluter Ritterschlag waren. Um Geld ging es nicht, denn mittlerweile lief ich nur noch für mindestens zehntausend Euro, beziehungsweise fünfzehntausend Dollar pro Show. Es ging um Ansehen und Respekt, der mehr wert war als jeder Cent, den man verdiente. Sobald die Designer sich um einen buhlten und unbedingt in der Show haben wollten, hatte man es geschafft. Bis dahin war man nur ein Teil des großflächigen Fußabtreters in der Szene. In variabler Größe. Und Wichtigkeit. Wie mir im nächsten Moment deutlich gemacht wurde.

»Oh, Gott! Diese Arme sind wirklich grauenvoll! Diese Hautlappen, das sieht nicht nur in Unterwäsche schlimm aus«, spottete einer der Assistenten, noch bevor ich gelaufen war.

»Danke!«, sagte der Designer aufgrund dessen und hielt mir die Mappe entgegen. »Wenn du es mit Sport nicht geregelt bekommst, solltest du zu Louis gehen.«

Lächelnd nahm ich meine Sedcard entgegen, verkniff mir einen Kommentar, zog mich um und raste zum nächsten Casting.

Acht Bewerbungen und einige aufreibende Stunden später warf ich meine Sachen auf den kargen Designertisch, den eine von den drei anderen Models, mit denen ich mir das Vier-Zimmer-Loft Uptown in New York teilte, mal angeschleppt hatte.

Drei Castings, ohne überhaupt gelaufen zu sein. Zwei mit Anprobe. Fünf mit Kommentaren, doch mein Aussehen zu verbessern, indem ich Louis, dem Schönheitsspezialisten der Schönen und Reichen, mal einen Besuch abstatten sollte, und vier, für deren Shows ich nun gebucht worden war.

»Jemand da?«, rief ich in die Stille und lauschte angestrengt.

»Zieh dich an, wir sind eingeladen«, antwortete eine sanfte Stimme aus einem der Zimmer.

»Hab morgen früh ein Shooting und abends lauf ich die Show für Christo. Ich muss mich hinhauen.«

»Wir sind pünktlich wieder da. Versprochen.« Batiste, eine neunzehnjährige Elfe aus Frankreich sprang aus ihrem Zimmer und zog mich hinein, in den Raum, der im Klamottenchaos versank. »Hast du meinen braunen Gürtel gesehen?«

»Den hatte sich zuletzt Nela geborgt. Wo sind die anderen?«, fragte ich und blieb im Türrahmen stehen.

»Die sind schon auf der Party. Ich war bis vor zehn Minuten noch auf dem Casting von Russo. So ein Wichser. Meinte, ich brauch erst wieder bei ihm auftauchen, wenn mein Arsch nicht mehr so fett ist.« Batiste wackelte mit ihrem Hinterteil, das nur in einem Stringtanga steckte, hin und her. »Dabei sind Ärsche doch voll im Trend. Lopez, Kardashian, Beyonce, verflucht! Und meiner ist noch nicht mal halb so dick.«

»Russo ist ein Arschloch. Wenn du nicht aussiehst wie Twiggy, brauchst du es erst gar nicht bei ihm versuchen.« Mein Magen knurrte. »Ich muss noch was essen, bevor wir losgehen.«

Behäbig schlurfte ich zur offenen Küche, die mit dem Wohnzimmer und der Diele als ein großer Raum gestaltet war, und schaute in den Kühlschrank. Fiji-Wasser, Gurken, Salat, Karotten, fettarme, laktosefreie Milch. Mist. Ich knallte die Tür wieder zu und nahm mir aus dem Obstkorb einen Apfel. »Wer ist diese Woche mit Einkaufen dran?«

Batiste steckte lachend den Kopf aus der Tür. »Du!«

»Verdammt!« Durch die Party bei den Brüdern hatte ich das total vergessen. »Ich geh morgen.«

»Schon okay. Jetzt pfeif dir das Ding rein und zieh dich an.«

Ich biss in den Apfel und kaute voller Genuss das saftige Fleisch! Mhm … unglaublich wie fantastisch Obst schmecken konnte. Kein Wunder hatte Eva nicht widerstehen können.

Ich schaltete die Anlage ein und der tiefe Bass hallte zwischen den steinverkleideten Wänden wider. Mein Hunger war noch nicht wirklich gestillt, deswegen nahm ich mir eine der Wodkaflasche aus dem Tiefkühler, warf das verbliebene Kerngehäuse in den Müll und tänzelte zu meinem Zimmer. »I’ve got no roots«, sang ich dabei.

»Bist du verrückt? Wenn du morgen einen Shoot hast, sollst du keinen Alk trinken, wie oft denn noch?« Die Elfe riss mir missbilligend die Flasche aus der Hand. »Du weißt genau, dass du ein aufgedunsenes Gesicht riskierst. Da liegt noch Koks auf dem Tisch. Oder hau dir lieber ein paar Amphis rein.«

»Ich hab selbst noch«, entgegnete ich Batiste, gab gefrustet den Wodka frei und sprang unter die Dusche. Den Hunger wegzutrinken war mir grundsätzlich lieber, denn dann bekam mein Körper wenigstens etwas in seinen Magen.

Als das heiße Wasser auf mich herab prasselte, wanderten meine Gedanken flüchtig zum Tag zuvor. Meii war nicht zu Hause gewesen, nachdem Cary mich abgesetzt hatte, worüber ich ganz froh gewesen war. Ihm erklären zu müssen, dass ich meine Nacht mit Logan verbracht hatte, an die ich mich zudem null erinnern konnte, stand an diesem Morgen ganz sicher nicht auf meiner Agenda der Lieblingsdinge, die ich vor meinem Rückflug nach New York noch erledigen musste.

Logan … Ein genervtes Prusten entwich meinen Lippen. Durchgeknallter Hippie. Es gab kaum einen Kerl, der mich so wenig anmachte wie er. Was nicht annähernd an seinem Körper lag – der war perfekt. Selbst die Narbe, die er an der Schläfe trug, konnte das nicht ändern. Aber der Rest! Dieses heillose Durcheinander an seinem Körper. Diese Kleiderwahl und erst die Haare. Dieses naturbelassene Braun und erst die Länge. Das passte einfach alles zu seinem Zimmer und seinem Charakter. Zumindest das, was ich bisher von ihm kennengelernt hatte.

Logan Black, die personifizierte Schlaftablette, die in den Sechzigern hängengeblieben war. Vielleicht war er ja auf einem Dauertrip und deswegen immer so Out of Space. Keine Ahnung was mich da geritten hatte, ausgerechnet mit ihm ins Bett zu steigen. Offensichtlich war es besser zukünftig das Koks nicht mehr mit Amphetaminen zu mischen. Und mit Alkohol nachzuspülen.

Ich stieg aus der Dusche, trocknete mich ab und suchte mir aus Nelas Kleiderschrank ein weißes Top mit roten Dreiecken und eine schwarze Hotpants aus, die aus Russos Kollektion stammten. Seine Partys waren berühmt und berüchtigt und Nela war eines seiner liebsten Catwalk Models, weswegen ihre Kleider immer up to date waren, ohne dass sie ein Vermögen dafür ausgeben musste. Manchmal dachte ich daran auch häufiger meine Beine zu spreizen, dann hätte ich einen Tick mehr Bookings, mehr Geld und weniger Ausgaben.

Aber solange ich mit den Mädels hier und mit den anderen fünf Mädels in Paris lebte, war es nicht wirklich notwendig. Gemeinsam in diesen Städten zu leben verringerte nicht nur die Einsamkeit, sondern schröpfte auch nicht so sehr dem Geldbeutel. Außerdem gab es immer eine, die überhaupt keine Hemmungen besaß und alles mit sich machen ließ und somit nicht nur für einen vollen Kleiderschrank, sondern auch für drogenhafte Aussichten sorgte.

»Bist du soweit?«

»Moment!«

Ich bürstete meine hüftlangen Haare schnell durch, überprüfte das Make-up und zog eine Line. Ein paar Minuten und das nervige Hungergefühl wäre Vergangenheit. Nur noch der Hauch einer Idee, wieso mein Magen so verflucht brummte. Zumindest bis der Trip nachließ. Dann musste ein anderes Wundermittelchen herhalten, da ich von mehr als fünf Gramm Koks nur einen Down bekam. Und heftigere Gefühlsschwankungen brauchte ich wirklich nicht. Schon gar keine Depression. Oder Todessehnsucht.

Ich überlegte, ob ich etwas Speed mitnehmen sollte, aber da plagten mich am nächsten Tag meist endlos heftige Kopfschmerzen, die nicht mal mit Schmerztabletten zu betäuben waren, darum verzichtete ich. Mal sehen, was auf der Party so gereicht wurde.

»Wow. Sind das echte Steine?«, fragte ich und strich bewundernd über das Diadem, das auf Batistes Kopf funkelte und perfekt zu ihrem Glitzerkleid passte, welches ihre endlos langen Beine vollendet in Szene setzte. Batiste war die Größte von uns. Meine einsfünfundsiebzig überragte sie locker mit einer halben Kopflänge.

»Bist du verrückt? So einen Sugar Daddy habe ich immer noch nicht gefunden. Das sind läppische Swarovski Steine.«

»Was ist mit dem Musikproduzenten?«

»Der war einer von den Abartigen.« Sie hakte sich bei mir unter und wir verließen das Loft. »Er bestand darauf, dass ich ihm das Koks vom Schwanz lutsche, und wollte mich dann in den Arsch ficken. Und das ist und bleibt meine No-Go Zone. Als ich ihm das gesagt hab, hat er mich aus seiner Wohnung geschmissen. Ich hatte noch nicht mal Zeit mir mein Kleid anzuziehen! Soweit ich weiß, ist er jetzt mit Eva zusammen.«

»Wie passend«, murmelte ich und das gute Gefühl breitete sich in mir aus. Der Flash war nahezu jedes Mal wie ein Bad in einem Regenbogen. Warm, sauber, voller guter Gefühle. Und Kraft! Diese Kraft, Bäume ausreißen zu können. Alles war gut. Und fröhlich. Und einfach wunderbar.

Beschwingt hielten wir uns ein Taxi an und fuhren Downtown. Die Party, die sich über drei Etagen erstreckte, war in vollem Gange und wir stürzten uns mittenrein. Zu den angesagtesten Hits von Calvin Harris, Rita Ora und Robin Schulz tanzten wir durch die Nacht, lachten, vertieften unsere Kontakte mit Kollegen, Agenten, Designern und allen anderen, die uns nützlich erschienen. Streng genommen war die Szene vergleichbar mit einem Dorf, wo jeder jeden kannte. Ob er denjenigen gern mochte oder nicht, tat dabei nichts zur Sache.

Ein Latino schnappte mich bei den Hüften und tanzte eng mit mir. Er war ein Mensch, groß und gut gebaut, mit strahlend blauen Augen. Ein bisschen hatte er was von Jesse Williams, dem sexy Arzt aus Greys Anatomy. Sein Duft glich dem Label seiner Kleider. Gucci. Und er gehörte zu dessen Stammläufern. Ein wahnsinns Fang für einen Abend wie diesen.

Seine Hand ging mit meinem Hintern auf Tuchfühlung und eine Welle der Lust durchströmte mich. Ich hatte Hunger auf Sex. Auf Ekstase. Dass dieses Verlangen eine Reaktion vom Kokain war, störte mich nicht. Die abklingende Wirkung aber schon. Ich musste mir unbedingt Nachschub reinhauen, meinen Verstand ausschalten, die Bilder der Vergangenheit, die Worte, die tief in mir drin schlummerten.

»Aaah, Pi-ca-ssoooo!« Eine dürre Brünette drängte sich zwischen uns und umarmte meinen Flirt energisch.

»Eleandra, hey«, brummte er tief. »Dachte du wärst noch für Philipp Plein in Deutschland?«