Besuchen Sie uns im Internet unter
www.herbig-verlag.de
© für die Originalausgabe und das eBook: 2017 F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
Lektorat: Ulrike Burgi, Köln
eBook-Produktion: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten
ISBN 978-3-7766-8270-0
Inhalt
Wie es zu diesem Buch kam
Teil 1:
Was die Leber ist
Ein Blick in den Bauch: Aussehen, Lage, Gewicht, Aufbau
Doppelte Blutversorgung: Leberarterie und Pfortader
Unter dem Mikroskop: Feinbau der Leber
Ballonartiges Anhängsel: die Gallenblase
Teil 2:
Was die Leber kann
Die Leber, ein Heilungswunder: Regenerationsfähigkeit
Die Leber, ein Segen für das werdende Kind: vorgeburtliche Blutbildung
Die Leber als Kraftwerk: Energieerzeugung
Die Leber als Labor: Entwurf und Produktion zahlreicher Proteine
Die Leber als Fabrik: Produktion weiterer lebenswichtiger Stoffe
Die Leber als Lagerhalle: Speicherung und Bevorratung
Die Leber als Müllabfuhr: Entgiftung und Entsorgung
Die Leber im Dienst der Körperarmee: Immunabwehr
Teil 3:
Wenn die Leber leidet: Krankheiten
Oft übersehen: Allgemeine Symptome
Was hat sie denn, die Leber: Diagnoseverfahren
Fast ein Volksleiden: Fettleber
Viren attackieren die Leber: Hepatitis
Krankhafte Sammelwut: Speicherkrankheiten
Narbiges Endstadium: Leberzirrhose
Noch vieles unklar: Akutes Leberversagen
Meist zu spät erkannt: Lebertumoren
Letzte Rettung: Lebertransplantation
Probleme mit dem Anhängsel: Gallenblasen- und Gallenwegserkrankungen
Durchaus nicht ungefährlich: seltene Leberkrankheiten
Auch die Kleinen kann’s treffen: Lebererkrankungen bei Kindern
Teil 4:
Leben, wie es der Leber gefällt
Vorbeugen ist besser als heilen: Leberwerte und Schutzimpfung
Kohlenhydrate, Proteine, Fette: Gesunde Ernährung
Ausgewogen und nicht zu viel: Ernährungstipps zu einzelnen Leberleiden
Gesunde Anstrengung: Sport und Bewegung
Tun der Leber gut: Kaffee, Curry, Bitterstoffe
Leberreinigung – funktioniert das?
Lust auf einen Test?
Was wissen Sie über die Leber?
Noch kurz zum Schluss
Quellen
Register
Wie es zu diesem Buch kam
Die Idee zu diesem Buch kam mir bei einer Grillparty. Genauer gesagt, bei einem Straßenfest, das wir zusammen mit unseren alten und neuen Nachbarn jeden Sommer veranstalten. Ein gemütliches Beisammensein mit einer Menge Fleisch, Salat, Barbecuesoßen und reichlich Alkohol. Bier vor allem, aber auch Wein und Schnaps. Und letztlich war es ein solcher Schnaps, dem dieses Buch seine Entstehung verdankt.
Ich habe keine Ahnung, der wievielte Klare es war, den sich ein junger Mann nach Genuss einer größeren Anzahl von Bratwürsten genehmigte, der erste oder zweite gewiss nicht. Denn als er gerade im Begriff war, das Glas an den Mund zu heben und schon genussvoll die Augen schloss, rief eine etwa gleichaltrige Frau so laut, dass es jeder hören konnte: »Mensch, Fred! Noch einer? Denk an deine Leber!«
Meine Reaktion war ganz spontan; was mich dazu veranlasste, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls gab ich mich ahnungslos und erkundigte mich bei der erbosten Dame scheinheilig: »Wieso gerade die Leber?«
Sie betrachtete mich eine Weile mit gerunzelter Stirn, als hielte sie mich für geistig minderbemittelt, dann antwortete sie mit hochgezogenen Augenbrauen: »Na ja, der Leber tut Alkohol nun mal nicht gut. Die geht davon kaputt. Das weiß man doch!«
Womit sie ja so was von recht hatte! Denn in den folgenden Wochen und Monaten machte ich mir einen Spaß daraus, Freunde und Bekannte ohne besonderen Anlass, einfach so, wenn es mir gerade in den Sinn kam, zu fragen: »Was weißt du eigentlich über die Leber?« Und was glauben Sie, was so gut wie immer das erste Stichwort war, das den so Überrumpelten in den Sinn kam? Ganz richtig: Alkohol! So, als wäre unsere Leber ein Organ, dessen vordringlichste Aufgabe darin besteht, sich von Bier, Wein und Schnaps massiv schädigen zu lassen.
Ein weiterer, wenn auch erheblich seltener geäußerter Begriff war »Gelbsucht«, wobei mir allerdings auf Nachfrage so gut wie niemand genauer erklären konnte, was die eigentlich mit der Leber zu tun habe. Hin und wieder bekam ich zudem das Wort »Galle« zu hören, und zwar vor allem dann, wenn der- oder diejenige beziehungsweise ein Angehöriger daran angeblich schon einmal operiert worden war. Gab ich dann zu bedenken, dass Galle doch eine Flüssigkeit sei, die man ja wohl schlecht unters Messer nehmen könne, erntete ich meist ungläubige Mienen. Doch natürlich war das nicht alles. Auch Begriffe wie »Hepatitis«, »Leberzirrhose« und »Fettleber« wurden mir angeboten, doch fast immer stellte sich auf Nachfrage heraus, dass man darüber im Grunde nichts Genaues wisse.
Dabei ist unsere Leber – vielleicht abgesehen von unserem Gehirn, über das trotz einer Menge neuer Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte noch so viel im Dunkeln liegt – unser mit Abstand vielseitigstes Organ. An nicht weniger als 500 lebenswichtigen Körperprozessen ist sie beteiligt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass bei uns in Deutschland jeder Achte – also insgesamt rund 10 Millionen Menschen – an einer Lebererkrankung leidet. Wobei der Begriff »leiden« die Sache insofern nicht trifft, als der- oder diejenige von dem Übel in der Regel so gut wie nichts mitbekommt. Zumindest so lange nicht, bis sich ernste Symptome zeigen – und es für eine Heilung leider oft zu spät ist. Kein Wunder daher, dass bei uns Jahr für Jahr rund 20 000 Menschen an chronischen Leberkrankheiten sterben.
So wie mein Vater. Er hatte sich – niemand weiß, wann, wie und wobei – Hepatitis-C-Viren eingefangen. Bis Mitte der 1990er-Jahre machte ihm die dadurch ausgelöste Organentzündung keinerlei Beschwerden, allenfalls klagte er ab und zu über leichte Bauchschmerzen, wobei von klagen eigentlich keine Rede sein konnte. Vielmehr erzählte er uns nur hin und wieder, sein Bauch sei heute ein wenig durcheinander. Mehr nicht. Sorgen haben wir uns deswegen, das gebe ich ehrlich zu, nicht gemacht. Doch mit der Zeit wurde die Sache dramatischer. Die Augen meines Vaters wurden gelb, er war ständig müde, verlor erheblich an Gewicht und klagte über quälenden Juckreiz. Sein Arzt, der Krankheit gegenüber machtlos, ließ literweise Flüssigkeit aus seinem aufgetriebenen, schmerzenden Bauch herauslaufen und gab ihm Mittel gegen die zunehmende Schlaflosigkeit. Richtig schlimm wirkte sich die Leberzirrhose jedoch erst aus, als mein Vater, der jedes Jahr zirka 50 000 Kilometer mit dem Auto zurücklegte und das seit vielen Jahren ohne Zwischenfälle getan hatte, innerhalb von zwei Monaten in drei Unfälle – zum Glück nur mit Sachschaden – verwickelt war, die er allesamt selbst verschuldet hatte. Weil er sich – was er natürlich vehement abstritt – einfach nicht mehr konzentrieren konnte. Zu dem Zeitpunkt bestand seine einzige Überlebenschance nur noch darin, seine kranke Leber gegen die gesunde eines Organspenders auszutauschen. Deswegen habe ich ihn bei zwei deutschen Transplantationszentren vorgestellt, wo man uns durchaus Hoffnungen auf Heilung machte, sofern, ja, sofern in nächster Zeit ein geeignetes Organ zur Verfügung stünde. Doch darauf wartete mein Vater fast zwei Jahre lang ebenso verzweifelt wie vergebens. Im Frühjahr 1996, als er schon seit einer ganzen Weile geistig total verwirrt war und nicht einmal mehr wusste, wo er sich befand, starb er.
Sprach ich während seiner langen Krankheit und auch danach mit anderen Leuten über sein Leiden, kam von denen so gut wie immer die – meist eher verschämt gestellte – Frage: »Alkohol?« Doch wenn mein Vater eines nicht war, dann ein Trinker. An einem einzigen kleinen Bier konnte er den ganzen Abend herumnuckeln, selten einmal trank er ein Glas Wein und Hochprozentiges so gut wie nie. Und geraucht hat er auch nicht. Dafür jedes Jahr aufs Neue das Sportabzeichen erworben. Nein, nicht der Alkohol, sondern heimtückische Viren, gegen die man seinerzeit noch machtlos war, haben ihn umgebracht.
Unsere Leber ist eben kein Organ, das nur für Trinker von Belang und für alle anderen weitgehend bedeutungslos wäre. Vielmehr ist sie ein – übrigens recht großer – Teil unseres Körpers, ohne den wir nur wenige Stunden überleben könnten. Wie wichtig sie für uns ist, beweist allein schon die Tatsache, dass sie Tag und Nacht von etwa einem Fünftel unseres gesamten Blutes und damit von einer deutlich größeren Menge durchflossen wird als unser Gehirn. Und dass sie ebenfalls rund ein Fünftel des Sauerstoffs, den wir ständig einatmen, verbraucht. So viel Blut und Sauerstoff hat sie auch bitter nötig, schließlich laufen in ihren Zellen rund um die Uhr Milliarden und Abermilliarden komplexer biochemischer Reaktionen ab. Kein wissenschaftliches Labor der Welt kann da auch nur annähernd mithalten. Kein Wunder daher, dass Leberzellen auf Sauerstoffmangel so empfindlich reagieren wie Luftballons auf Stecknadeln, und bei unzureichendem Nachschub deutlich schneller kaputtgehen als die Zellen anderer, weniger aktiver Organe.
Die Leber reguliert nicht nur unseren gesamten Protein-, Fett- und Zuckerstoffwechsel sowie den Mineral-, Vitamin- und Hormonhaushalt, sondern liefert unserem Körper, einem Kraftwerk vergleichbar, auch jederzeit ausreichend Power, um all das, was er rund um die Uhr, jahrein, jahraus, von der Geburt bis zum Tod zu leisten hat, bestmöglich zu erledigen. Sie produziert eine Menge lebenswichtiger Substanzen, speichert Nährstoffe wie Zucker, Fette und Vitamine, reinigt unser Blut, indem sie Giftstoffe unschädlich macht und entsorgt, hält unser Immunsystem auf Trab und sorgt nicht zuletzt dafür, dass das Blut bei einer Verletzung nicht ausläuft wie Wasser aus einem Eimerloch, sondern schnellstmöglich gerinnt. Und weil sie für uns absolut unverzichtbar ist, hat die Evolution es so eingerichtet, dass die Leber, selbst wenn ein größerer Teil, etwa infolge eines Unfalls, zugrunde geht, immer noch sämtliche Aufgaben bravourös erledigt, indem die intakten Zellen in freundschaftlicher Verbundenheit und ohne Zögern für ihre defekten Kollegen einspringen. Ja, es dauert gar nicht lange, da hat die Leber ihren kaputten Teil – wie manche Molche ein abgetrenntes Bein – durch einen nachgewachsenen nagelneuen ersetzt. Kein anderes Organ unseres Körpers macht ihr das nach.
Kurz: Die Leber ist ein höchst bemerkenswertes Organ, das umso faszinierender wird, je mehr man sich mit ihm beschäftigt. Und das wollen wir nun tun. Sie werden staunen!
Medizinische Fachbegriffe rund um die Leber
Aszites |
Flüssigkeitsansammlung in der Bauchhöhle |
Bilirubin |
Abbauprodukt des Blutfarbstoffs Hämoglobin |
Cholangitis |
Entzündung der Gallengänge |
Cholelithiasis |
Gallensteinleiden |
Cholestase |
Rückstau der Gallenflüssigkeit in die Leber |
Cholezystektomie |
operative Entfernung der Gallenblase |
Cholezystitis |
Gallenblasenentzündung |
Elastografie |
Untersuchung zur Steifigkeit der Leber |
enterohepatisch |
Leber und Darm betreffend |
Enzephalopathie |
Gehirnerkrankung |
Hämochromatose |
Eisenspeicherkrankheit |
Hepar |
Leber |
hepatisch |
die Leber betreffend |
Hepatitis |
Leberentzündung |
Hepatozyten |
Leberzellen |
Ikterus |
Gelbsucht |
Leberzirrhose |
narbige Schrumpfung der Leber |
Ösophagusvarizen |
Krampfadern um die Speiseröhre herum |
Palmarerythem |
typische Rötung der Handinnenflächen |
Pruritus |
Juckreiz |
Spider naevi |
»Gefäßsternchen« der Haut |
Steatohepatitis |
entzündliche Veränderung einer Fettleber |
Teil 1:
Was die Leber ist
Ein Blick in den Bauch: Aussehen, Lage, Gewicht, Aufbau
Eines gleich vorweg: Eine Schönheit ist sie nicht, die Leber. Dazu ist sie viel zu wabbelig. Noch weitaus mehr als Wackelpudding. Wer schon einmal ein Stück Schweine- oder Kalbsleber beim Metzger gekauft hat, weiß, wovon ich rede. Und weil das dem tief rotbraunen Organ offenbar selbst bewusst ist, versteckt es sich im rechten Oberbauch schamhaft hinter dem Rippenbogen, sodass man von ihm, würde man bedeckende Haut und Muskeln entfernen, allenfalls den unteren Rand sähe. Wobei das allerdings nur für ein gesundes, nicht krankhaft geschwollenes Exemplar gilt.
Nach der Haut ist die Leber – mit wissenschaftlichem Namen heißt sie »Hepar« – unser zweitgrößtes Organ. Bei einem Erwachsenen wiegt sie zwischen 1,5 und 2 Kilo und ist damit die mächtigste Drüse unseres Körpers. Von vorne betrachtet hat sie die Form eines Keils oder flachen Dreiecks, dessen untere, horizontale Basis etwa so lang ist wie eine ausgestreckte Hand, wobei die linke, spitze Ecke ein wenig unterhalb der linken Brustwarze liegt. Von dort aus gesehen wird die Leber nach rechts hin immer voluminöser und ist hinter der rechten Brustwarze etwa zehn Zentimeter hoch.
Während sich ihre Unterseite eng an Magen und Darm anschmiegt, ist sie oben mit dem Zwerchfell verwachsen, das den Brust- vom Bauchraum trennt. Und weil das unser wichtigster Atemmuskel ist, der die Lunge bei jeder Einatmung nach unten zieht, fährt die Leber wie ein Aufzug im Rhythmus des Luftholens ständig auf und ab. Vielleicht liegt in der reichlichen Bewegung ja der Grund dafür, dass sie bis ins hohe Alter so fit bleibt.
Auf den ersten Blick sieht man, dass die Leber aus zwei Teilen besteht, dem größeren rechten und dem viel kleineren linken Lappen (»Lobus dexter und sinister«), die durch ein Bindegewebsband zusammengehalten werden. Dagegen muss man schon genauer hinsehen, um auf der Unterseite noch zwei deutlich kleinere, voneinander abgegrenzte Abschnitte zu unterscheiden: den quadratischen (»Lobus quadratus«) und den – warum auch immer so genannten – geschwänzten Leberlappen (»Lobus caudatus«). Die beiden umschließen den Organein- und -ausgang, die »Leberpforte«, wo Blut-, Lymph- und Gallengefäße sowie Nerven eintreten beziehungsweise austreten.
Apropos Nerven: Sensible, also Schmerzen übertragende Äste durchziehen nur die umhüllende Kapsel, während das Innere des Organs frei davon ist. Deshalb tut eine kranke Leber nicht weh. Erst wenn die Kapsel stark gedehnt wird, spürt der Betroffene etwas.
Doppelte Blutversorgung: Leberarterie und Pfortader
In einem unterscheidet sich die Leber grundsätzlich von sämtlichen anderen Organen unseres Körpers: Nicht nur ein einziges, sondern gleich zwei größere Gefäße überschwemmen sie mit Blut. Da ist zum einen die aus der Aorta, der Körperhauptschlagader, abzweigende Leberarterie. Sie versorgt das wabbelige Organ bei jedem Herzschlag mit frischem, sauerstoffreichem Lebenssaft. Weitaus mehr, nämlich etwa drei Mal so viel Blut, erhält die Leber aber über eine mächtige Vene, die »Pfortader«. Das stammt aus den unpaaren, das heißt, jeweils nur einfach vorhandenen Bauchorganen wie Magen, Bauchspeicheldrüse und Milz, vor allem aber aus dem Darm, strotzt also nur so von frischen Verdauungsprodukten, sprich Nahrungsbestandteilen. Bevor dieses Blut in den Kreislauf gelangt, checkt die Leber erst einmal akribisch, ob sich darin vielleicht irgendetwas befindet, das uns gefährlich werden könnte, weil es etwa giftig ist. Wird sie fündig, kurbelt sie unverzüglich biochemische Reaktionen an, um den bedrohlichen Substanzen mittels komplexer Ab- und Umbauprozesse zumindest einen Teil ihrer unheilvollen Wirkung zu nehmen oder diese in harmlose Produkte zu verwandeln. Mit anderen Worten: Die Leber saugt das Blut aus der Pfortader wie ein Schwamm auf. Sie reinigt es gründlich und versetzt es, bevor sie es guten Gewissens in den allgemeinen Kreislauf entlässt, je nach aktuellem Bedarf mit allerlei neuen Zutaten.
Auf diese Weise befreit sie jede Minute ungefähr 1,5 und im Lauf eines Tages nicht weniger als 2000 Liter Blut von unerwünschten Bestandteilen und gibt dafür dringend notwendige hinzu. Unser gesamtes Blut fließt also Tag für Tag 350 bis 500 Mal durch die Leber. Anschließend ergießt es sich gefiltert, gesäubert und mit allerlei Spezialitäten angereichert direkt in die Untere Hohlvene, die sich eng an die Leber anschmiegt und das rote Lebenselixier schnurstracks zum Herzen transportiert.
Haruspex und die Leber
Ein Haruspex war ein antiker Wahrsager, zu dessen Hauptaufgaben es gehörte, aus den Eingeweiden von Opfertieren die Zukunft vorherzusagen. Das wichtigste und aussagekräftigste Organ war für ihn die Leber, galt sie doch als Sitz des Denkens, Fühlens und Empfindens. Sie zu begutachten und daraus Schlüsse zu ziehen, war schon bei den alten Babyloniern üblich gewesen, die glaubten, in deren Aussehen und Struktur tue sich der Wille Gottes kund.
War etwa ein Schaf geschlachtet worden, so wurde die Leber in Sektoren eingeteilt, wobei man generell den rechten Anteil auf die Person bezog, um deren Schicksal es im konkreten Fall ging, während die linke Seite angeblich Aussagen über deren Gegner zuließ. Als Vergleich galt das steinerne oder metallene Modell einer Idealleber, etwa die unter Historikern berühmte »Bronzeleber von Piacenza«. Je mehr das Organ des Schlachttieres diesem Ideal glich, desto günstiger die Vorhersage.
Aber wie das bei Hellsehern oder Wahrsagern nun mal so ist: Was sie aus dem, was sie angeblich sehen, schlussfolgern, liegt allein bei ihnen. Deshalb kann man wohl getrost davon ausgehen, dass so mancher Haruspex das Aussehen der Leber so interpretierte, wie es für ihn selbst gerade am günstigsten war oder wie es sein zahlender Auftraggeber erwartete.
Unter dem Mikroskop: Feinbau der Leber
Von außen betrachtet ist die Leber also eher unschön, das gilt jedoch keinesfalls für ihr Innenleben. Man kann das mit einem Bienennest vergleichen: Von außen ein unansehnlicher Klumpen, besteht das Innere aus Unmengen hauchfeiner sechseckiger Röhren, jede einzelne exakt gleich groß, sodass sie sich ohne eine Spur ungenutzten Zwischenraums präzise aneinanderschmiegen: ein dreidimensionales Mosaik von berückender Schönheit. Bei der Leber ist das kein bisschen anders. Schneidet man sie auf, so erkennt man, dass sie aus einer Vielzahl – insgesamt sind es zwischen einer und 1,5 Millionen – feiner, etwa ein bis zwei Millimeter großer Läppchen besteht, die gerade noch mit bloßem Auge erkennbar sind. In der Aufsicht sind das, wie beim Wespennest, sechseckige Gebilde, die mosaikartig eng an eng beieinanderliegen. An jedem Eckpunkt befinden sich drei winzige Gefäße: ein feiner Ast der Leberarterie, der die benachbarten Läppchen mit frischem Nähr- und Sauerstoff versorgt, ein Ast der Pfortader, der gehaltvolles Darmblut anliefert, und ein kleiner Gallengang, durch den in entgegengesetzter Richtung Gallenflüssigkeit abläuft. Aber natürlich muss auch das angelieferte Blut wieder abfließen, und das geschieht über die Lebervene, von der jeweils ein feiner Ast, die »Zentralvene«, exakt durch die Mitte des Sechsecks zieht.
Zwischen der zentralen Lebervene und den drei Randgefäßen wird jedes Läppchen von Unmengen nur unter dem Mikroskop erkennbarer Zellen aufgebaut, die mit dem Fachausdruck »Hepatozyten« heißen. Insgesamt sind das etwa 300 Milliarden (eine 3 mit 11 Nullen)! Sie sind wie die Speichen eines Rades angeordnet, und zwischen ihnen erkennt man unter dem Mikroskop winzige Blutgefäße, sogenannte Kapillaren, in denen sich das Blut aus der Leberarterie mit dem der Pfortader mischt und – wie in einer Duschwanne mit mittigem Abfluss – Richtung zentrale Lebervene abfließt. Doch damit nicht genug: Außer den Hepatozyten – sie machen etwa 60 Prozent der Leberzellen aus – finden sich in den kleinen sechseckigen Läppchen auch noch andere Zellen, die vor allem zwei Aufgaben haben: Einige von ihnen kleiden Blutgefäße aus und fangen größere Fremdmoleküle ein, andere – sie heißen »Kupffer-Zellen« und werden uns noch näher beschäftigen – sind als Angehörige der Immunabwehr pausenlos damit beschäftigt, Bakterien und Viren aufzuspüren und, falls sie fündig werden, ruck, zuck niederzumachen.
Genauso radikal gehen die Kupffer-Zellen gegen Giftstoffe vor, sollten die ihnen auf ihren Patrouillen begegnen: im Körper entstehende Giftstoffe, sogenannte Endotoxine, wohlgemerkt, nicht dagegen die mit der Pfortader herangeschwemmten schädlichen Substanzen aus der Nahrung. Um diese kümmern sich aufopferungsvoll die Hepatozyten, denen überdies die Aufgabe zufällt, lebenswichtige Stoffe zu speichern oder umzubauen und zum Weitertransport an andere Organe aufzubereiten. Die winzigen Zentralvenen-Äste vereinigen sich zu immer größeren Gefäßen, aus denen letztendlich die große Lebervene entsteht, die das Organ an der Leberpforte verlässt und ihr Blut, wie bereits erwähnt, in die Untere Hohlvene ergießt.
Ballonartiges Anhängsel: die Gallenblase
Und noch eine weitere Aufgabe haben die Hepatozyten: Sie produzieren Galle. Das ist eine gelbgrüne Flüssigkeit, die bei der Fettverdauung hilft, indem sie größere Fettklumpen wie ein Spülmittel in winzige Tröpfchen zerlegt, sodass die spaltenden Enzyme eine größere Angriffsfläche haben. Da wir aber ja nicht den ganzen Tag Speck und Mayonnaise in uns hineinstopfen, wird mal mehr, mal weniger, mal gar keine Galle benötigt. Das heißt, die »gallbittere« Flüssigkeit tropft nicht kontinuierlich in den Zwölffingerdarm – das ist der sich an den Magen anschließende Dünndarmabschnitt, wo der Gallengang mündet –, sondern wird, wenn gerade wenig Bedarf ist, in einem ballonartigen Gebilde an der Unterseite der Leber zwischengespeichert, der Gallenblase. Die liegt etwas unterhalb der rechten Brustwarze und sieht aus wie ein nur leicht aufgeblasener Luftballon, ist also – auch wenn sie gefüllt ist – ein ziemlich schlaffes, birnenförmiges Gebilde. Und wenn man landläufig davon spricht, jemand sei an der Galle operiert worden, beziehungsweise, man habe ihm die Galle entfernt, ist natürlich nicht die Flüssigkeit, sondern diese Blase gemeint.
Warum sagt man, jemandem sei eine Laus über die Leber gelaufen?
In Antike und Mittelalter galt die Leber als Sitz der Temperamente, Gefühle und Triebe. Deshalb sagte man bis zum 16. Jahrhundert, wenn jemand schlecht drauf war: »Dem ist etwas über die Leber gelaufen.« Dass später aus dem »etwas« die »Laus« wurde, hat wohl einerseits damit zu tun, dass sich so ein netter Stabreim mit dem Anlaut L ergibt. Andererseits ist die kleine und unscheinbare Laus in der Redewendung eine spöttische Anspielung darauf, dass derjenige, dem sie über die Leber gelaufen ist, nur wegen einer ausgesprochenen Lappalie, also praktisch grundlos, schlechte Laune hat.