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DAS BUCH

Über Jahrtausende hat sich die Menschheit im All ausgebreitet und Planeten besiedelt. Nun, da der Krieg gegen die Maschinen gewonnen ist und ein neues Imperium gegründet wurde, hängt die Zukunft der Galaxis von den Navigatoren ab – genmanipulierten Menschen, die als einzige in der Lage sind, mithilfe des Gewürzes vom Wüstenplaneten die gewaltigen Raumschiffe des Imperiums durchs All zu manövrieren. Nur Melange, das Gewürz von Arrakis, erlaubt es den Navigatoren, einen Blick in die Zukunft zu werfen, damit sie den Raum zu »falten« und die Schiffe mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen können. Josef Venport hat gemeinsam mit seiner Großmutter Norma Cenva die alleinige Kontrolle über die Erschaffung der Navigatoren – und damit wähnt er auch die Kontrolle über das noch junge Imperium der Menschheit in seiner Hand. Doch Imperator Roderick Corrino will Venports eisernen Griff endlich abschütteln. Dann sind da noch die neu erstarkte Schwesternschaft der Bene Gesserit mit ihrer Ehrwürdigen Mutter aus dem Haus Harkonnen, und da ist auch der fanatische Anführer der technologiefeindlichen Butler-Bewegung, Manford Torondo. Sie alle blicken auf eine dunkle Vergangenheit zurück, und sie alle wollen die Zukunft mitbestimmen. Ein blutiger Machtkampf um das Imperium und das Schicksal des Wüstenplaneten entbrennt …

DIE AUTOREN

Brian Herbert, der Sohn des 1986 verstorbenen WÜSTENPLANET-Schöpfers Frank Herbert, hat selbst SF-Romane verfasst, darunter den in Zusammenarbeit mit seinem Vater entstandenen Mann zweier Welten.

Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen SF-Autoren unserer Zeit. Zuletzt ist von ihm die gefeierte Saga der Sieben Sonnen erschienen.

Ein Liste aller im Heyne Verlag erschienenen WÜSTENPLANET-Bücher finden Sie am Ende des Buches.

Mehr über die Autoren und ihre Romane erfahren Sie auf:

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Brian Herbert
Kevin J. Anderson

DIE NAVIGATOREN DES

WÜSTEN-
PLANETEN

Roman

Aus dem Amerikanischen übersetzt
von Jakob Schmidt

WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

NAVIGATORS OF DUNE

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Deutsche Erstausgabe 08/2017

Redaktion: Bernhard Kempen

Copyright © 2016 by Herbert Properties LLC

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlagillustration: Stephen Youll

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-20959-9
V002

www.diezukunft.de

Nachdem wir inzwischen vierzehn Bücher und zahlreiche Kurzgeschichten im fantastischen Dune-Universum verfasst haben, ein Werk, das uns nun schon seit fast zwei Jahrzehnten begleitet, sind jene Menschen, die diese große Reise überhaupt erst möglich gemacht haben, für uns unvergesslich.

Wir widmen dieses Buch unseren Ehefrauen Jan und Rebecca, für die Liebe und Unterstützung, die sie uns während unseres Schaffensprozesses jederzeit haben zuteil werden lassen, und Beverly Herbert, die für Frank Herbert fast vierzig Jahre lang eine treu ergebene Ehefrau, Gefährtin und kreative Beraterin war.

Unserem Herausgeber Tom Doherty von Tor Books, unserer Lektorin Pat LoBrutto und unserem Agenten John Silbersack, die uns auf dieser Reise begleitet und auf unsere Fähigkeiten und auf unsere Geschichten vertraut haben.

Vor allem widmen wir dieses Buch aber dem kreativen Genie Frank Herbert, der vor über einem halben Jahrhundert dieses große literarische Universum erschaffen und uns damit so viele wunderbare Schauplätze und Ideen zum Erforschen geschenkt hat.

1

Alles beginnt, und alles endet – ohne Ausnahme. Oder ist das ein Mythos?

Diskussionsaufgabe
an der Mentatenschule

Die prächtige Barkasse des Imperators befand sich in einer hohen Umlaufbahn über Salusa Secundus, umgeben von gewaltigen, bedrohlichen Kriegsschiffen. Das Innere erstrahlte im Glanz von Gold und kostbaren Edelsteinen, der glitzernde Rumpf wies kunstvolle Wölbungen und Verzierungen auf, die keinerlei Zweck erfüllten. Es war mit Abstand das prunkvollste Schiff der Flotte, ein atemberaubender Anblick für all jene, die sich von solchen Dingen beeindrucken ließen. Salvador hatte es geliebt.

Obwohl die Barkasse für den Geschmack des neuen Imperators Roderick Corrino viel zu protzig war, verstand er, wie wichtig das Zeremoniell war, besonders, da er den Thron nach dem Tod – nein, nach der Ermordung – seines Bruders gerade erst bestiegen hatte.

Und ebenso wichtig war es für ihn als Imperator, dass er Direktor Josef Venport, den Mann, der den Mord an Salvador eingefädelt hatte, seiner gerechten Strafe zuführte. Seine Kriegsschiffe sammelten sich.

Roderick, der dichtes blondes Haar und ein markantes Gesicht hatte, stand aufrecht da, gekleidet in das goldene und scharlachrote Gewand seines Adelshauses. Er fühlte sich majestätisch und mächtig, während er durch ein breites Aussichtsfenster in der sich über mehrere Decks erstreckenden Befehlszentrale der Barkasse blickte. Seine in der Umlaufbahn versammelte Streitmacht – Hunderte von Schlachtschiffen – bereitete sich auf einen Überraschungsangriff gegen die Hochburg Venports vor.

Roderick wartete begierig auf den Start, aber in dieser Sache durften sie nicht den winzigsten Fehler machen. Die Streitkräfte des Imperiums würden nur diese eine Gelegenheit bekommen, Venport zu besiegen, indem sie ihn unvorbereitet trafen.

Der Imperator beobachtete, wie seine Kriegsschiffe in die Andockbuchten des gewaltigen Faltraumtransporters vor ihm einschwebten. Die Holtzman-Triebwerke des Transporters konnten innerhalb eines Lidschlags gewaltige Entfernungen überbrücken, allerdings flog der Pilot ohne die Führung eines Navigators praktisch blind.

Nur bei Venport Holdings wusste man, wie sich Navigatoren erschaffen ließen, weiterentwickelte Menschen, die sichere Wege durch die unermesslichen Weiten des Alls erahnen konnten, und Josef Venport hatte diese Geschöpfe aus dem imperialen Dienst abgezogen, nachdem sein Verbrechen ans Licht gekommen war. Doch sobald der gesetzlose Venport besiegt und sein Besitz beschlagnahmt war, würde das gesamte Imperium über Navigatoren verfügen. Das war nur ein weiterer – und ein sehr wichtiger – Vorteil, wenn der Direktor vernichtet wurde. Roderick ballte eine Faust.

General Vinson Roon, Befehlshaber der nach Kolhar entsandten Streitmacht, stand in Habachtstellung neben ihm. Seine rot-goldene Offiziersmütze hielt er in den Händen.

»Ich rechne mit einem raschen und glanzvollen Sieg, Mylord.« Stellvertretend für den Imperator brachte Roon Empörung zum Ausdruck. Der blaublütige General war Ende vierzig, in Rodericks Alter, allerdings kleiner und muskulöser. Roon hatte dunkle Haut, kohlrabenschwarzes Haar und einen durchdringenden Blick. Er und der Imperator hatten eine bewegte gemeinsame Geschichte, die Roderick derzeit nach Möglichkeit ausblendete.

»Ja, rasch und glanzvoll wäre mir ebenfalls recht, Vinson.« Er sprach den General absichtlich mit Vornamen an. Er und Roon waren bis zu einem unerfreulichen Zerwürfnis Jugendfreunde gewesen – natürlich war es dabei um eine Frau gegangen. Seitdem hatten sie nur bei offiziellen Militäranlässen miteinander gesprochen, in Gegenwart weiterer Offiziere und hochrangiger Berater, aber nun war es an der Zeit, solche Albernheiten hinter sich zu lassen. Das Imperium stand auf dem Spiel. Roderick wusste, dass er sich auf diesen Mann verlassen konnte, dessen Treue und Hingabe gegenüber dem Imperium nie in Zweifel gestanden hatten. Ohne den Blick vom Aussichtsfenster abzuwenden, sagte der Imperator: »Der Schlag muss Venport Holdings treffen, bevor sie Gelegenheit haben, tiefer abzutauchen. Wir müssen bald handeln.«

Roon nickte.

Die Streitmacht war hastig und in aller Verschwiegenheit zusammengezogen worden, und sie würde in den nächsten Tagen aufbrechen. Der Imperator setzte einen nicht unbedeutenden Teil der Verteidigungskräfte aufs Spiel, die normalerweise bei Salusa Secundus stationiert waren, aber ein erfolgreiches Durchgreifen gegen VenHold würde die Sicherheitslage im gesamten Imperium deutlich verbessern, was das Risiko wert war. Roderick wollte der Schlange den Kopf abschlagen, indem er mit einer schnellen Mission Direktor Venport tötete oder gefangen nahm, seine Anlagen auf Kolhar beschlagnahmte und sein weitverzweigtes Handelsnetz zerriss.

Danach würde Roderick das Imperium fest im Griff haben.

Vor zwei Monaten war Venport nach der Aufdeckung seiner Schuld mit Hilfe Norma Cenvas geflohen. Im Anschluss daran hatte der Direktor alle VenHold-Schiffe zurückgerufen, den Handel lahmgelegt und zahlreiche Planeten in schwerer Not zurückgelassen. Die ersten Folgen machten sich gerade erst bemerkbar, und es würde noch sehr viel schlimmer werden. Privatflotten versuchten verzweifelt, in die Bresche zu springen, aber es gab keine andere interstellare Transportgesellschaft, die so verlässlich war wie die VenHold-Raumflotte – weil niemand sonst über Navigatoren verfügte.

Außerdem hielt Venport dank eines katastrophalen Zufalls einen Teil der Truppen des Imperiums als Geisel. Eine ganze Gefechtsgruppe der imperialen Streitkräfte – siebzig Kriegsschiffe – war auf einer Routinemission an Bord eines VenHold-Trägerschiffs unterwegs gewesen, als die Krise begonnen hatte. Die Schiffe des Imperiums waren schlagkräftig, aber sie verfügten nicht über Holtzman-Antriebe, weshalb sie mit Faltraumern ans Ziel gebracht werden mussten. Jahrelang hatten VenHold-Faltraumer die Schlachtschiffe des Imperators transportiert, doch nun hielt der Feind eine beträchtliche Zahl von ihnen gefangen, hatte sie vom Brett genommen wie Figuren in einem galaktischen Schachspiel.

Roderick brummte: »Er will uns Knüppel zwischen die Beine werfen und uns dazu zwingen, dass wir uns seinen Forderungen beugen.«

»Wissen wir überhaupt, wie seine Forderungen lauten, Mylord?«, fragte der General, der nach wie vor beobachtete, wie sich die Schiffe an Bord des gigantischen Transporters begaben. »Seit seinem Rückzug nach Kolhar hat er nichts nach außen dringen lassen. Ich dachte, er sei auf der Flucht und verstecke sich vor seiner gerechten Strafe.«

»In meinen Augen ist es offensichtlich, was er verlangt. Er möchte tun und lassen, was er will. Nachdem er schamlos einen Imperator getötet hat, möchte er mich als Galionsfigur, während sich die Tentakel seines Wirtschaftsimperiums in jeden Winkel erstrecken. Außerdem will er, dass ich die Butler-Fanatiker ausradiere.« Die Gedanken kreisten in seinem Kopf. Etwas, wozu Salvador niemals fähig gewesen wäre.

Roon gab ein abfälliges Schnauben von sich und senkte die Stimme. »Wäre das nach all der Zerstörung, die Manford Torondo verursacht hat, wirklich so schlimm, Mylord?«

Während er über den Schaden nachdachte, den der technologiefeindliche Mob angerichtet hatte und der sogar seiner wunderschönen kleinen Tochter das Leben gekostet hatte, stieß Roderick einen leisen Seufzer aus. »An und für sich nicht, nein … aber wenn das bedeutet, dass wir mit dem Mann zusammenarbeiten müssen, der Salvador ermordet hat, dann kann ich dem nicht zustimmen. Und das werde ich auch nie tun, Vinson.« Er schüttelte den Kopf. »Es würde mich nicht überraschen, wenn Venport auch etwas mit Annas Verschwinden zu tun hätte.«

Roon starrte ihn ungläubig an. »Aber Ihre Schwester ist von Lampadas verschwunden, Mylord – während der Belagerung der Mentatenschule durch die Butler-Truppen. Ich würde Manford Torondo verdächtigen, aber wie kommen Sie auf die Idee, das Venport verantwortlich sein könnte?«

»Sie haben recht.« Er schüttelte den Kopf. »Anscheinend will ich immer nur ihm die Schuld geben … obwohl er eigentlich nur für die Hälfte meiner Probleme verantwortlich ist.«

Sichtlich besorgt runzelte der General die Stirn. »Wenn ich an die vielen Umtriebe des Direktors denke – ein Monopol auf sichere Faltraumreisen, seine geheimen Navigatoren, die Gewürzindustrie auf Arrakis, seine Bankgeschäfte überall im Imperium … niemand sollte über so viel Macht verfügen, und …«

Roderick schnitt ihm das Wort ab. »Das stimmt nicht, Vinson – ich sollte über so viel Macht verfügen und sonst niemand.«

Roon straffte sich. »Unsere Flotte wird sich um ihn kümmern, Mylord. Sie können sich auf mich verlassen.«

»Das weiß ich, Vinson.« Roderick gestattete sich einen etwas wärmeren Tonfall. Da dieser Mann in Kürze einen entscheidenden Angriff befehligen und damit zweifellos Geschichte machen würde, konnte es nicht schaden, ihn an ihre einstige Freundschaft zu erinnern.

Die Luft knisterte vor gespannter Erwartung, während die beiden Männer zusahen, wie die Schlachtschiffe ihre Positionen an Bord des riesigen Trägerschiffs einnahmen. Roon räusperte sich. »Es gibt etwas, das ich Ihnen sagen muss, Mylord. Ich möchte mich dafür bedanken, dass unsere persönlichen Differenzen meiner kürzlich erfolgten Beförderung nicht im Wege gestanden haben. Und ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie mir bei dieser Mission die Führung anvertraut haben. Ein kleinlicherer Mann hätte sich nicht so verhalten.«

Roderick nickte ihm ermunternd zu. »All das war vor langer Zeit, und zum Wohl des Imperiums muss ich über solchen Dingen stehen.« Er bedachte den General mit einem kleinen Lächeln. »Etwas anderes hätte Haditha auch nicht geduldet. Sie hat mich darum gebeten, Ihnen Grüße und beste Wünsche für den Erfolg auszurichten.«

Roon antwortete mit einem bittersüßen Lächeln. »Letztendlich haben Sie doch ihr Herz erobert. Diese Niederlage musste ich schon vor langer Zeit akzeptieren. Sie sind ein besserer Mann als ich, Mylord – das waren Sie schon immer.«

Mit seinen erwiesenen Fähigkeiten und seiner Verlässlichkeit hatte Roon sich seine Beförderung verdient – und der Umstand, dass Roderick während der Generalüberholung des imperialen Militärs auf den höheren Ebenen so viele inkompetente Offiziere aus dem Weg geräumt hatte, hatte Roons Aufstieg noch beschleunigt. Er war die logische Wahl als Ersatz für General Odmo Saxby gewesen, der seines Amtes enthoben worden war, und mit diesem Vergeltungsschlag erhielt er seine erste echte Gelegenheit, sich zu beweisen.

Die Streitkräfte des Imperiums waren nach der jahrelangen Vernachlässigung durch Salvador in einer erschreckenden Verfassung. Unverdiente Beförderungen hatten den Apparat zu einem Pfuhl von Korruption, Bestechung und völliger Unfähigkeit aufgebläht. Nach seiner Thronbesteigung hatte Roderick das gesamte Militär einer gründlichen Prüfung unterzogen und es gesäubert.

Er streckte die Hand aus. »Wenn Sie sicher von Kolhar zurückgekehrt sind, verbringen wir vielleicht mehr Zeit miteinander.«

»Nichts wäre mir lieber, Mylord. Wir waren einmal echte Freunde, nicht wahr?«

»Ja, das waren wir.«

Roon grinste, als sie sich die Hände schüttelten. »Ich gebe den Brandy aus.«

»Ich freue mich schon darauf.«

Obwohl sie alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatten, um die Angriffsvorbereitungen geheim zu halten, hatte Josef Venport zweifellos Spione auf Salusa. Wenn der Faltraumtransporter jedoch schnell genug aufbrach, sollten General Roons Kriegsschiffe Kolhar erreichen, bevor ein Späher eine Warnung absetzen konnte. Jede Minute zählte.

Doch mit oder ohne Spione war Venport kein Dummkopf. Zweifellos würde er mit einer Reaktion von Salusa rechnen, und Kolhar verfügte über durchaus ehrfurchtgebietende Verteidigungsanlagen.

Roderick wartete ungeduldig darauf, endlich den Würgegriff von Venport Holdings zu brechen und seine legitime Macht wiederzuerlangen. Das noch junge Imperium bestand erst seit dem Untergang der unterdrückerischen Denkmaschinen vor einem Jahrhundert, und Roderick musste zum Wohl der Menschheit seine Autorität durchsetzen. Und ebenso wichtig war es, dass er seinen Bruder rächte.

Der General setzte seine Mütze auf und salutierte, während er sich zum Gehen wandte. »Bitte entschuldigen Sie mich, Mylord – ich muss mich noch um viele Einzelheiten kümmern, bevor die Streitmacht starten kann. Schnelligkeit ist unsere beste Garantie, unentdeckt zu bleiben.«

Rodericks Tonfall wurde schärfer. »Erledigen Sie ihn für mich, Vinsoon. Ich rechne mit Ihrer siegreichen Rückkehr.«

»Das verspreche ich Ihnen, Mylord. Ich werde Sterne und Planeten versetzen, um mich vor Ihnen zu beweisen.«

»Das wird vielleicht auch nötig sein.«

2

Es gibt Menschen, die Einfluss und Macht als Belohnung betrachten und nicht als Verantwortung. Solche Leute geben keine guten Anführer ab.

Direktor Josef Venport,
internes Memo der Venport Holdings

Kolhar war eine Festung, aber darauf wollte Josef Venport sich nicht ausruhen, während er auf den nächsten Schachzug des Imperators wartete. Er wusste, dass sich der Hauptteil der imperialen Streitkräfte bereithielt, ihn zu vernichten, sobald sich eine Gelegenheit bot.

Um seine planetare Sicherheit zu verbessern, hatte er zahlreiche gut bewaffnete Schiffe der VenHold-Raumflotte von lukrativen Handelsrouten abziehen und in der Umlaufbahn von Kolhar stationieren müssen. Er verstärkte auch die Planetenschilde und erhöhte die Anzahl der Wach- und Kundschafterschiffe um sein Sternensystem herum.

Nachdem er nun alle Verteidigungsmaßnahmen ergriffen hatte, würde er vielleicht einen Weg aus diesem Schlamassel finden. Wenn er sich doch nur mit Imperator Roderick hinsetzen und wie mit einem vernünftigen Menschen hätte verhandeln können!

Ein solches Debakel hatte Josef nie gewollt. Es war zwar notwendig gewesen, diesen Volltrottel Salvador zu beseitigen und seinen fähigeren Bruder auf den Thron zu hieven, aber er hatte nie damit gerechnet, dass seine Rolle bei dem Mordkomplott ans Licht kommen würde. Josef hatte vielmehr geplant, zum Partner des neuen Imperators zu werden, zu beiderseitigem Vorteil. Das Imperium hatte die Gelegenheit, zu wachsen und zu gedeihen – wenn Roderick nur ein Einsehen hätte.

Dies war eine existenzielle Krise für die menschliche Zivilisation, ein historischer Moment, in dem schwere Entscheidungen nötig waren. Die Menschheit war noch damit beschäftigt, sich vom langen Albtraum der Denkmaschinensklaverei zu erholen, gefolgt von Chaos und Gewalt, aus denen die reaktionäre Butler-Bewegung hervorgegangen war, wütende Fanatiker, die alle Überbleibsel der »bösen« Technologie vernichten wollten. Josef hatte der menschlichen Spezies helfen wollen, indem er eine fähige Person auf den Thron beförderte; doch stattdessen hatte er eine unvorhergesehene Katastrophe ausgelöst.

Nun würde der Imperator vor nichts haltmachen, um Venport Holding zu vernichten, Josef festzunehmen und höchstwahrscheinlich hinzurichten. Warum erkannte Roderick Corrino nicht, welchen Schaden er mit seinem sturen Beharren auf Rache anrichtete? Es wäre besser gewesen, VenHold einfach ein beträchtliches Blutgeld bezahlen zu lassen – Josef hätte es in Gewürz oder mit klingender Münze begleichen können, je nachdem, was der Imperator bevorzugte. Anschließend hätten Handel und Regierungsgeschäfte wie gehabt weitergehen können. Josef strich sich über den dichten, rötlichen Schnurrbart, tief in Gedanken versunken. Es musste doch einen Weg aus dieser Zwickmühle geben!

Weil er das endlose Warten satt hatte, verließ er sein Hauptquartier aus mehreren Wolkenkratzertürmen und trat hinaus unter den bedeckten Himmel. Er musste die kühle Luft auf der Haut spüren und die beruhigende Geschäftigkeit sehen, die ihn umgab. Er rief sich immer wieder gern ins Gedächtnis, dass er nach wie vor einer der mächtigsten Männer des Imperiums war.

Seine Frau Cioba erwartete ihn draußen vor der Tür. Sie war hochgewachsen, elegant und brünett und stammte von den telepathisch begabten Zauberinnen von Rossak ab. Das lange Haar reichte ihr bis zu den Hüften. Ihre hoheitliche Haltung und ihre gelassene Art rührte von ihrer Ausbildungszeit bei der Schwesternschaft her.

Cioba war schweigsam, ihm aber dennoch eine Stütze. Sie begleitete ihn über einen gepflasterten Landeplatz, auf dem eigentlich massenhaft Handelsschiffe und Gewürztransporter hätten stehen sollen. Doch jetzt ähnelte der Raumhafen einem Militärstützpunkt. Tankwagen rollten hin und her und versorgten Kampfschiffe und Fähren mit Treibstoff. Patrouillen- und Spähschiffe starteten in die Umlaufbahn. Als Josef tief den Atem einsog, spürte er den scharfen Geschmack von Abgasen und die herbe Winterkälte auf der Zunge.

Cioba hielt inne, als hätte sie in Gedanken Berechnungen angestellt. »Wir haben Kolhar so uneinnehmbar wie möglich gemacht, mein Gatte. Wir dürfen zwar nicht in unserer Wachsamkeit nachlassen, aber wir sollten uns auch nicht durch unnötige Angst lähmen lassen. Wir sind stark und in einer sicheren Position.«

Josef hatte sich selbst schon oft das Gleiche gesagt, doch er konnte sich einfach nicht entspannen. »Übertriebenes Selbstvertrauen ist eine größere Schwäche als Angst und Sorge. Wir müssen wachsam bleiben, bis wir diese Krise überwunden haben.«

»Ich weiß, dass wir es schaffen werden. Wir haben hochentwickelte Waffen und Verteidigungsanlagen, die man sich im restlichen Imperium nicht einmal vorstellen kann.« Ihre Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. »Verteidigungsanlagen, die Manford Torondo und seinen Butler-Anhängern mit Sicherheit Albträume bescheren werden.«

Josef lächelte ebenfalls. Gemeinsam betrachteten sie die drei mechanischen Gestalten, die rund um den Raumhafen patrouillierten – spinnenartige Cymek-Läufer, die viele der Gebäude überragten. Sie waren frisch aus seinem Geheimwaffenlabor auf Denali angeliefert worden.

Einst waren Cymeks eine Geißel der Menschheit gewesen – körperlose Menschengehirne, die man in gepanzerte Maschinen eingepflanzt hatte. Die ursprünglichen Cymeks waren in Serena Butlers Djihad zerstört worden, aber Josefs brillante Wissenschaftler hatten sie neu erschaffen und umgestaltet. Diese neuen Cymeks wurden nicht von fehlbaren, machthungrigen Personen gesteuert, sondern von den hochentwickelten Gehirnen von Navigatoren-Kandidaten. Derzeit patrouillierten diese mechanischen Hüter mit pumpenden Kolben und wachsamen Sensoren um das Hauptquartier auf Kolhar.

Als Josef ein Bodenfahrzeug requirierte, musste Cioba ihn nicht fragen, wohin es ging. Es war für ihn zum täglichen Ritual geworden, die Tanks der Navigatoren-Kandidaten zu besuchen, insbesondere jetzt, in einer Zeit der wachsenden Anspannung.

Am Steuer schüttelte Josef verzweifelt den Kopf. »Anstatt uns gegenseitig an die Gurgel zu gehen, sollten Roderick und ich zusammen gegen den wahren Feind kämpfen! Die Butler-Fanatiker sind eine ebenso große Bedrohung für die Zivilisation, wie es früher die Denkmaschinen waren. Und der halbe Manford hat eigene Kriegsschiffe.«

Cioba hob das Kinn. »Diese uralten Schiffe genügen nicht, um dich zu besiegen, Josef. Hundertvierzig alte Faltraumer aus den Zeiten der Djihad-Armee. Denk an deine Schiffe, an dein Monopol auf Navigatoren und deine äußerst loyalen Angestellten. Über die Hälfte der Planeten im Imperium sind für den Handel von VenHold abhängig, und sie tätigen auch weiterhin Geschäfte mit dir, obwohl der Imperator dich als vogelfrei gebrandmarkt hat. Was sagt dir das?« Sie wandte ihm ihr klassisch schönes Gesicht zu und hob die Augenbrauen. »Du verfügst über mehr Schiffe, mehr Macht und mehr Einfluss als irgendjemand sonst, einschließlich der Corrinos. Wenn die Menschen wählen müssten, würden sie sich dann für irgendeine Gestalt auf einem Thron auf dem fernen Salusa Secundus entscheiden oder doch lieber für regelmäßige Lebensmittel- und Gewürzlieferungen?«

Er wusste, dass sie recht hatte. Josef lenkte das Bodenfahrzeug über eine Anhöhe und hinab in ein weites, schüsselförmiges Tal, in dem Hunderte von Tanks standen, von denen jeder einen seiner Navigatoren-Kandidaten enthielt. Cioba beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange, als er das Fahrzeug zwischen den versiegelten Kabinen zum Stehen brachte.

Sie gingen zwischen den dickwandigen, mit Gewürzgas gefüllten Behältern umher. Durch die beschlagenen Plaz-Bullaugen und die wirbelnden Dämpfe im Innern sah Josef mutierte Gestalten, die ständige geistige Zuckungen durchliefen, mit denen sie ihren Verstand erweiterten. Kein unmodifiziertes Gehirn war dazu in der Lage, die Faltraum-Berechnungen zu begreifen und die nötige Voraussagekraft zu entwickeln, um ein Schiff durch die Leere zu führen, aber die durch das Gewürz ausgelöste Verwandlung ermöglichte beides.

Josef bestaunte die missgestalteten, aber auf seltsame Weise beeindruckenden Navigatoren. Selbst wenn die Schiffe des Imperators Kolhar angriffen, wären seine Militär-Faltraumer unbeholfen und blind, weil sie keine Navigatoren hatten. Antiquierte Überlichtschiffe konnten zwar relativ sicher durchs All reisen, aber sie waren unzumutbar träge und brauchten Wochen oder Monate für die Reise zwischen Sternensystemen. Die VenHold-Schiffe hingegen waren schnell und sicher.

Er und Cioba hielten vor einem großen, zentral gelegenen Tank inne, der wie ein Schrein auf einem Marmorpodest ruhte. Josef war erfreut, im Innern des Behälters seine Urgroßmutter Norma Cenva zu sehen, umgeben von ihren ganz persönlichen Gewürzträumen und den grenzenlosen Möglichkeiten, die sich für sie bis weit in die Zukunft erstreckten.

Vor über hundert Jahren war Norma zur ersten Navigatorin geworden. Obwohl sie mehr als nur ein Mensch war, wahrte sie nach wie vor den Kontakt zu Josef und hielt sich aus ganz eigenen Gründen über die Politik des Imperiums auf dem Laufenden.

»Die menschliche Spezies steht auf dem Spiel, und ich empfinde eine gewaltige Verantwortung«, sagte Josef zu Cioba, obwohl er den Verdacht hatte, dass Norma sie belauschte. »Ich bin derjenige mit der Rationalität und den Mitteln, die benötigt werden, um uns zu retten. Ich muss am Leben bleiben, und ich muss gewinnen. Roderick wird unsere Verteidigungsanlagen nicht überwinden, und ich kann meine Handelsbeziehungen im Imperium spielen lassen, um Entscheidungen zu erzwingen, die jenseits seiner Möglichkeiten liegen.«

Obwohl Norma beim Aufbau von Venport Holding geholfen hatte, wusste Josef, dass ihr eigentlicher Antrieb darin bestand, die Erschaffung weiterer Navigatoren zu fördern. Im Gegensatz zu ihren Schützlingen hatte Norma die Fähigkeit, allein mithilfe ihres Verstands den Raum zu falten und ganz nach Belieben zu reisen, während andere Navigatoren große Schiffe mit Holtzman-Antrieben benutzen mussten. Manchmal verschwand ihr Tank tagelang, während sie ihren unbekannten Geschäften nachging, doch vorläufig war sie hier, meditierte und beobachtete.

Da er Antworten brauchte, näherte sich Josef dem Tank und fragte ohne jede Vorrede: »Was meinst du, Großmutter? Wenn ich mächtiger bin als Imperator Roderick, sollte ich mich dann hier verstecken und meine Stellung ausbauen, oder sollte ich in größeren Maßstäben denken?«

Aus dem Lautsprecher des Tanks drang Normas trällernde Stimme. »Du hast die nötige Macht und Befähigung, um den Thron an dich zu reißen – wenn es das ist, was du willst.«

Es überraschte ihn, das von ihr zu hören. Manche gaben sich Fantasien hin, zu einem großen Herrscher zu werden, aber Josef betrachtete sich eher als Geschäftsmann, als perfekten Marktführer, und nicht als jemanden, der nach politischer Macht strebte.

»Du weißt, dass es nicht das ist, was ich will. Ich will, dass Roderick Imperator bleibt – ein vernünftiger Imperator. Schließlich habe ich ihn auf den Thron gesetzt, verdammt noch mal. Ich will, dass er stark und weise ist … und mich um Rat fragt! Ich habe mein eigenes Geschäftsimperium. Meine Planetenbanken quellen über von dem Geld, das meine Kunden mir anvertraut haben. Ich betreibe eine umfangreiche Gewürzförderung auf Arrakis, obwohl der Narr Salvador versucht hat, sie mir wegzunehmen. Für mich ist die Politik ein Werkzeug, um meine Geschäftsinteressen zu verwirklichen, mehr nicht.«

Er stieß einen Seufzer aus. »Aber jetzt stehe ich mit dem Rücken zur Wand. Wir befinden uns an einem Wendepunkt für die menschliche Zivilisation. Und wenn Imperator Roderick nicht tut, was er zu tun hat, bin ich dann der Einzige, der ihn ersetzen kann?« Er überlegte, kam aber nach wie vor auf keine eindeutige Antwort. »Mir wäre es sehr viel lieber, wenn alles wieder wäre wie vor einem Jahr, als ich meine Kräfte darauf konzentrieren konnte, Manfords Barbaren auszumerzen.«

»Und auf unsere Gewürzförderung – für meine Navigatoren«, sagte Norma. »Wir müssen nach Arrakis, statt hierzubleiben. Wir sollten beide gemeinsam dorthin reisen.«

»Das werden wir bald tun, Großmutter.« Er hatte bereits eine lange verzögerte Inspektionsreise geplant, aber zuerst musste er sich hier um einige letzte Einzelheiten kümmern.

»Bald«, beharrte Norma, »werde ich uns nach Arrakis bringen.«

Ein Gefühl der Hilflosigkeit stieg in ihm auf. Während der Imperator Zeit und Ressourcen auf einen Vergeltungsschlag gegen ihn verschwendete, liefen die fanatischen Butler-Anhänger Amok und löschten all die Fortschritte aus, die Josef zu einem hohem Preis errungen hatte.

Allerdings war Josef bereits in Aktion getreten. Noch während er seine Verteidigungsstellung hier auf Kolhar ausgebaut hatte, hatte er eine wichtige Kommandoeinheit nach Lampadas entsandt, zum Hauptquartier der Butler-Bewegung. Vielleicht würde er endlich Befriedigung verspüren, wenn seine Cymek-Streitkräfte erst einmal diesen bösartigen kleinen Krüppel niedergemacht hatten.

»Du hast deine Entscheidung bereits getroffen«, sagte Norma mit ihrer verzerrten Stimme.

»Ich bin gekommen, um deinen Rat zu hören, Großmutter.«

»Du hast deine Entscheidung bereits getroffen«, wiederholte Norma, und weitere Antworten wollte sie nicht geben.

3

Ich suche mir meine Verbündeten aus, wie sie mir passen, aber meinen Feind hat Gott ausgesucht – den Feind der gesamten Menschheit. Gott selbst ist mein standhaftester Verteidiger. Wozu brauche ich Sie?

Manford Torondo gegenüber
Imperator Salvador Corrino

Draigo Roget, Josef Venports oberster Mentat, traf in einem schnellen VenHold-Kriegsschiff mit Tarnpanzerung ein, damit die Patrouillen der Butler-Anhänger in der Umlaufbahn ihn nicht entdecken konnten. Mit seinen eingebauten Waffensystemen hätte das kleine Schiff ein Dutzend der alten Djihad-Kriegsschiffe zerstören können, die die Fanatiker benutzten.

Aber Draigo war nicht nach Lampadas gekommen, um gegen einen Planeten voller Barbaren zu kämpfen, zumindest nicht jetzt. Diesmal war er lediglich der Pilot bei einer Mission, die einen Machbarkeitsnachweis erbringen sollte und mit der sich die hiesige Bedrohung für die Zivilisation vielleicht sogar beseitigen ließ. Er würde die Macht ihrer neuen Cymeks demonstrieren.

Lampadas … man hatte ihn hier an der Mentatenschule ausgebildet, und hier hatte er gelernt, Manford Torondo und seine Anhänger zu verabscheuen, als Extremisten, die die große Schule verdorben und niedergerissen hatten. Die Butler-Anhänger hatten Gilbertus Albans, seinen Mentor und den Rektor der Institution, verhaftet und geköpft. Das würde Draigo ihnen nie verzeihen.

Draigo hatte Gilbertus nicht retten können, aber es war ihm gelungen, mit der geistig geschädigten Anna Corrino und dem Speicherkern von Erasmus, dem berüchtigten Roboter, der für so viel Grausamkeit und Verheerung während Serena Butlers Djihad verantwortlich war, zu fliehen. Nun war Anna ein wertvoller Einsatz in diesem Spiel und Erasmus eine Schlüsselressource für die Wissenschaftler auf Denali, und gemeinsam würden sie dafür sorgen, dass Direktor Venport den Sieg davontrug, ein Triumph der Vernunft über den Fanatismus, der Zivilisation über die Barbarei.

Denn darum ging es letztendlich bei diesem anhaltenden Konflikt. Das verstanden alle, die für Venport arbeiteten.

Heute Nacht würden Draigos Cymeks dem Feind Schrecken einflößen und vielleicht sogar Manford Torondo töten, womit die Fanatiker ein für allemal neutralisiert wären. Zumindest würden die Cymeks ihr grauenvolles Zerstörungspotenzial unter Beweis stellen. Viele von Direktor Venports Wissenschaftlern warteten bereits begierig darauf, von den Ergebnissen zu erfahren.

Von den drei Cymeks, die sich im Frachtraum von Draigos Schiff befanden, wurden zwei von hochentwickelten Navigatorengehirnen gelenkt, während der dritte von Ptolemy befehligt wurde, der erste freiwillige neue Cymek, ein Genie, das von seinem Hass auf Manford Torondo angetrieben wurde. Ptolemy hatte sich dafür entschieden, sich seiner zerbrechlichen menschlichen Hülle zu entledigen und sie gegen einen mechanischen Körper nach seinem Geschmack auszutauschen. Einen mächtigen, zerstörerischen Körper.

Manford hatte sich jedenfalls eine Menge Feinde gemacht.

Sicher in der Umlaufbahn um den ruhigen Planeten, im Vertrauen darauf, dass seine Tarnvorrichtung ihn vor den primitiven Butler-Kriegsschiffen verbarg, bereitete sich Draigo auf seine Mission vor. Ptolemys Gehirnbehälter wurde soeben in seine Kriegergestalt eingesetzt, während die beiden von Navigatoren gesteuerten Cymeks ihre Läufergestalten in gepanzerte Abwurfkapseln bewegten. Die Navigatorengehirne brüteten wie immer schweigend vor sich hin, aber sie befolgten ihre Befehle. Nachdem er die Gedanken-Elektroden-Verbindungen kontrolliert hatte, erklärte er alle drei Maschinen für startbereit.

Ptolemy hob eine klauenbewehrte Hand und klackte mit den langen, scharfen Scheren. Seine Worte kamen aus einem Lautsprecher. »Dieses sadistische Ungeheuer hat meinen Freund bei lebendigem Leib verbrannt und mich gezwungen, dabei zuzusehen. Manford Torondo muss sterben.«

»Außerdem versucht er, den menschlichen Intellekt und Fortschritt abzutöten. Dieser Mann hat eine Saat des Hasses ausgebracht, und wir alle wollen an der Ernte teilnehmen.« Draigo blickte lächelnd auf das in blassblauem Elektrafluid schwebende Gehirn, bevor er die Kapsel ganz schloss. Sie waren startbereit. »Jetzt bekommen Sie Ihre Gelegenheit.«

Die Verantwortung für die Menschheit war eine Bürde, die Manford Torondo nicht gern trug, aber er wehrte sich nicht dagegen. Hatte er eine andere Wahl?

Die gegenwärtige Krise des Imperiums war mehr als nur ein Kampf um Rohstoffe oder Territorien, es war ein Krieg um die menschliche Seele. Nach der jahrhundertelangen Sklaverei unter den Denkmaschinen hatte sich die Menschheit nun aus dem Würgegriff der Technologie befreit. Wiedergeboren konnte sie in einen neuen Garten Eden heimkehren – aber nur, wenn sie sich dafür entschied und nicht von ihrer eigenen Schwäche vernichtet wurde.

Verdorbene Männer wie Josef Venport wollten die Menschheit erneut versklaven und ihren übersprudelnden Geist erneut Maschinen unterwerfen! Nach dem Ende des Djihads hatte Rayna Butler – Manfords geliebte Mentorin und Lehrerin – die Menschen auf den richtigen Weg geführt, aber auf diesem Weg gab es durchaus Gewalt und Widerstand. Es gab jene, die im dichten Gedränge eines Demonstrationszugs Bomben zündeten …

Tief in der Nacht saß Manford in einem Polsterstuhl und blickte schwer schluckend auf seine Hüften hinab, an denen sein Körper endete. Manchmal schockierte ihn der Anblick seiner Verstümmelung auch jetzt noch, Jahre nach der Explosion, bei der er beinahe ums Leben gekommen war und nach der er nur noch ein halber Mann war. »Doch dafür ein doppelt guter Anführer!«, riefen seine treuen Gefolgsleute bei ihren Kundgebungen.

Die Zukunft war so ungewiss und lastete so schwer auf seinem Herzen. Wie sehr Manford sich wünschte, dass die weise Rayna hier wäre, um die Bewegung zu führen! Ach, wie er sie geliebt hatte! Er spürte, wie ihm warme Tränen über die Wangen liefen.

Anari Idaho, seine ihm treu ergebene Schwertmeisterin, sah die Tränen und trat besorgt näher an ihn heran. Sie hätte sich für Manford jedem Feind in den Weg geworfen, hätte ihr Leben für seins gegeben. In diesem Moment wirkte sie ebenso bereit, ihn vor seinen eigenen Gefühlen zu beschützen.

Anari war eine kräftig gebaute Frau, die von den Schwertmeistern von Ginaz ausgebildet worden war, und sie diente ihm nun schon seit Jahren in seinem einfachen Haus aus Feldsteinen auf Lampadas. Die Innenwände waren mit Geländern und Handgriffen versehen, damit Manford sich mithilfe seines starken Oberkörpers allein darin bewegen konnte. Wenn er vor einer großen, jubelnden Menge eine imposante Figur machen wollte, ritt er in einem Geschirr auf Anaris Schultern. Dort oben kam sich Manford nicht wie ein halber Mann vor, sondern empfand sich als mächtigsten Menschen des Imperiums.

Seine Wahrsagerin, Schwester Woodra, kam, um mit ihm zu sprechen, und platzte mit ihren Problemen heraus, ohne etwas von seiner schwermütigen Stimmung zu bemerken. »Imperator Roderick glaubt immer noch, dass wir für das Verschwinden seiner Schwester nach unserer Erstürmung der Mentatenschule verantwortlich sind.« Ihr Tonfall war unangenehm schrill. »Sie hätten ihn vom Gegenteil überzeugen müssen, Führer Torondo. Anna Corrino muss irgendwie geflüchtet sein.«

»Wir haben nichts mit ihrem Verschwinden zu tun, ob der Imperator es uns glaubt oder nicht.« Manford vermutete, dass das flatterhafte Mädchen bei dem Versuch, den Belagerern zu entkommen, von einem Sumpfdrachen gefressen worden war. »Glücklicherweise richtet sich der Zorn des Imperators nun auf Josef Venport. Ich bin unbesorgt.« Manford glaubte, dass es sich um ein stilles Wunder handelte.

»Vielleicht«, sagte Anari, »aber er wird nie vergessen, dass seine Tochter von einem Butler-Mob getötet wurde. Er wird genug Zorn für uns übrig haben.«

»Das war nur ein Unfall, weiter nichts«, sagte Woodra abweisend, als betrachtete sie die Angelegenheit als erledigt. »Dafür kann man uns nicht die Schuld geben.«

»Trotzdem wird er genau das tun – uns die Schuld geben«, sagte Anari.

»Bündnisse können sich immer wieder ändern«, sagte Manford. »Roderick Corrino muss seine wahre Bestimmung als unser Verbündeter erkennen – vorzugsweise, indem wir ihn mit vernünftigen Argumenten überzeugen, aber nötigenfalls auch unter Zwang.«

Schwester Woodra holte Logbücher und Listen hervor, die sie in allen Einzelheiten durchsprechen wollte, aber Manford fehlte die Kraft dazu. Als sie merkte, wie erschöpft ihr Herr war, warf Anari Woodra einen vernichtenden Blick zu. »Das ist vorerst genug Geschäftliches. Manford muss sich ausruhen und nachdenken. Wie soll er uns sonst führen?«

Die Wahrsagerin rümpfte brüsk die Nase über den angedeuteten Tadel. »Der Erfolg unserer Bewegung hängt ebenso sehr von Kleinigkeiten ab wie von einer starken Führung. Und für diese Kleinigkeiten müssen wir uns Zeit nehmen.«

Woodra war vor dem schrecklichen Zerwürfnis, das ihre Schule zerrissen hatte, von der Schwesternschaft ausgebildet worden. Manford wusste, dass sie zu den vehementesten Technologiefeinden unter seinen Anhängern gehörte, und sie hatte sich als nützlich erwiesen, nicht nur als Wahrsagerin, sondern auch als Beraterin. Allerdings hatte sie eine unverblümte Art, und es mangelte ihr an Feingefühl, sodass sie ihn manchmal ermüdete. Im Moment war er zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, ganz gleich, wie beharrlich sie war. »Anari hat recht. Ich bin erschöpft. Bring mich in mein Schlafzimmer.«

Die Schwertmeisterin hob ihn wie ein Haustier auf und ging mit ihm in seine Privatgemächer, wo sie ihn auf ein spartanisches schmales Bett legte. Sie öffnete das Fenster, um die frische Abendluft einzulassen.

Draußen funkelte warmes, orangefarbenes Licht in den Fenstern der zahllosen einfachen Gebäude der Hauptstadt von Lampadas. Insekten sangen leise ihre Lieder, und der Planet wirkte täuschend friedlich, während Manford sich für seinen meditativen Schlaf sammelte. Bis plötzlich ein Donnerschlag die Dunkelheit zerriss.

Schwere Objekte rasten kreischend durch die Atmosphäre herab, von Bremsfeuer umspielt. Drei Geschosse schlugen vor Empok ein.

Anari stieß einen bestürzten Schrei aus und platzte in Manfords Schlafzimmer, um ihn zu beschützen.

Die Menschen strömten aus ihren Häusern, um herauszufinden, woher der Lärm kam, und riefen erschreckt durcheinander. Die drei Einschlagkrater brodelten unheilvoll, erhellt von weiß-orangefarbenem Nachglühen und gerahmt von scharfkantigen Schatten. Gepanzerte Kapseln öffneten sich wie gezahnte stählerne Blütenblätter, und mechanische Gestalten kamen zum Vorschein. Waffenstarrende Körper erhoben sich auf schweren, kolbengetriebenen Beinen, und in jedem befand sich ein körperloses menschliches Gehirn. Drei hoch aufragende Cymeks marschierten auf die Stadt zu.

Während Manford von Anari aus dem Bett gehoben wurde, sah er die entfernten Bewegungen durchs Fenster und wusste, dass seine Feinde kamen, um ihn zu holen.

Die Schwertmeisterin ergriff ihn und sagte: »Ich werde dich retten.«