Wer möchte nicht gern mitreden, wenn es heißt: »Schon Goethe sagte …«? Aber wer kennt überhaupt die Hauptwerke des Dichters, wer erinnert sich der Stationen von Fausts Weltenreise, und wie war das eigentlich mit den Liebesverwicklungen über Kreuz in den »Wahlverwandtschaften«? Und – Respekt beiseite – lohnt sich die Lektüre überhaupt noch?
Pointiert und gutgelaunt präsentiert uns Klaus Seehafer, der bekannte Goethe-Biograph, die Nacherzählungen der großen Dramen und Romane, der Erzählungen und autobiographischen Bücher. Dabei stellt sich heraus, daß die behandelten Stoffe allemal bedenkenswert, meistens unterhaltsam und manchmal von einer Modernität sind, die man dem Altmeister gar nicht zugetraut hätte. Ein Intensivkurs der besonderen Art, der die klassischen Werke aus ihrer leserfernen Entrücktheit befreit.
Goethe
für Eilige
Inhalt
Informationen zum Buch
Zuvor
Dramen
Faust. Der Tragödie Erster Teil
Faust. Der Tragödie Zweiter Teil
Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand
Egmont
Iphigenie auf Tauris
Torquato Tasso
Romane und Erzählungen
Die Leiden des jungen Werthers
Wilhelm Meisters Lehrjahre
Wilhelm Meister Wanderjahre
Die Wahlverwandtschaften
Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten
Das Märchen
Novelle
Der Mann von funfzig Jahren
Epen und Gedichtzyklen
Hermann und Dorothea
Reineke Fuchs
Römische Elegien • Venezianische Epigramme
West-östlicher Divan
»Aus meinem Leben«
Dichtung und Wahrheit
Italienische Reise
Anhang
»Mein Leben ein einzig Abenteuer«
Jeder kennt ihn: Goethes Wirkung
Geflügelte Worte oder Goethe für ganz Eilige
Kleine Warnung für Voreilige
Goethe für Geduldige
Über Klaus Seehafer
Impressum
Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …
»Bey meinem Streben und Streiten und Bemühen bitt ich euch nicht zu lachen, zuschauende Götter. Allenfalls lächlen möcht ihr, und mir beystehen.«
Goethe, Tagebucheintrag vom 25. Juli
Meine Goethe-Ausgabe hat rund 21 000 Seiten. Dazu kommen 5 000 Seiten naturwissenschaftliche Schriften und 2 000 Seiten Zeichnungen. Das sollte genügen, um zu entmutigen. Außerdem: Den möchte ich sehen, der Goethe gleich bei der ersten Begegnung liebt. Einfach so, total. Goethe kann man sich nähern, ihn sich nach und nach aneignen und, wenn’s gut geht, lieben lernen. Daß es sich lohnt, davon bin ich freilich überzeugt.
In der Schule habe ich irgendwann einmal den »Erlkönig« auswendig lernen müssen. Das war die einzige Berührung mit Goethe. Glück oder Pech? Ich weiß es nicht. Jedenfalls war ich schon Mitte Vierzig, als die erste richtige Auseinandersetzung mit Goethe anfing. Und eigentlich war es weniger eine Auseinandersetzung als ein Kampf Mann gegen Mann: Hier stieß kein eingeschüchterter Schüler des 20. Jahrhunderts auf den unangreifbar großen Klassiker. Ich hatte schon eine ganze Menge gelesen, und ich wußte – im Gegensatz zu dem Vielgerühmten –, wie sich die deutsche Literatur und die Weltliteratur weiterentwickelt hatten.
Goethes Waffen waren von anderer Art: Kenntnis seiner Zeit und ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhänge, oft sehr ungewöhnliche, gewöhnungsbedürftige Stoffe und immer wieder eine Art zu erzählen, die mich quälte: mal uferte er aus, und ich wurde ungeduldig; dann ging es wieder so zügig und derart verknappt voran, daß ich nachlesen mußte, was schon überblättert war.
Irgendwann hatte er mich gepackt, und ich machte eine Entdeckung um die andere: »Reineke Fuchs« – ein Epos, aber was für ein derbes, komisches! Die »Italienische Reise« – der bewegendste Baedeker, den es bis heute gibt! »Faust. Der Tragödie zweiter Teil« – nie gesehen, endlich gelesen! Und immer wieder seine Gedichte; es sind ganz einzigartige poetische Zauberkunststücke darunter, wie »Zueignung«, »Willkommen und Abschied«, »Prometheus«, »An den Mond«, »Dem aufgehenden Vollmonde«, »Ein Gleiches«.
Mit einigem bin ich nicht zurechtgekommen, vieles wartet noch auf mich, manches werde ich wohl für immer auslassen. Noch kämpfen wir beide miteinander, doch es ist ein fröhlicher Kampf geworden, und der Sieger nach Punkten steht längst fest. Selbst wenn man mit der Zeit dessen Finten kennt, läßt man sich von einem solchen »Originalkerl« gern unterkriegen.
Und dennoch bleibt diese einschüchternde Zahl: 21 000 Seiten! Versuchen wir’s also anders. Setzen wir uns irgendwo zusammen – ein Strandkorb im Sommer oder ein Kamin im Winter wäre förderlich –, und ich erzähle Ihnen die Geschichten der wichtigsten Werke Goethes. Er soll im Kreise seiner Freunde ein hinreißender Erzähler gewesen sein, und das merkt man seinen Dramen, Romanen und Balladen auch an: Immer steckt in ihnen ein packender Handlungskern. Und den, zumindest, könnte man sich ja mal anhören.
»Die Sonne tönt nach alter Weise / In Brudersphären Wettgesang«: So beginnt eine Geschichte, die im Himmel ihren Anfang nimmt, sich dann auf der Erde unter den verführbaren Menschen fortsetzt und schließlich auf verschlungenen Wegen an ihren Ausgangspunkt zurückkehrt.
Im Kreis der himmlischen Heerscharen sitzt Gott der Herr, und Raphael, Gabriel und Michael singen ihm Lob. Nur der gefallene Engel Mephisto steht beiseite und findet alles Geschaffene herzlich schlecht: »Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen, / Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.« Das Gespräch kommt auf den Doktor Heinrich Faust, der Gott nur sehr verworren dient. Mephisto bestreitet, daß dieser Mann in seinem fortwährenden Drang nach Lust und Weisheit zugleich jemals zur Klarheit finden werde, und geht sogar eine Wette darauf ein. Der Herr nimmt sie an, denn: »Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange / Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.« Der Himmel schließt sich, die Erzengel übernehmen wieder die ihnen zugeteilten Aufgaben, und die Handlung setzt sich auf Erden fort.
Es ist die Nacht zum Ostersonntag. Faust läuft kreuzunglücklich durch seine Studierstube. So viel offenbares und geheimes Wissen hat er sich angeeignet, so viel experimentiert, und dennoch freut ihn nichts mehr. »Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!« Er versucht einen Geist zu beschwören, aber als der in all seiner Gewaltigkeit naht, erträgt er ihn nicht. Nach jenem außerordentlichen Besucher tritt ein höchst banaler ins Zimmer: Famulus Wagner, ein »trockner Schleicher« in Schlafrock und Nachtmütze, der selbst jetzt noch an des Meisters Wissensschatz partizipieren will. »Mit Eifer hab ich mich der Studien beflissen; / Zwar weiß ich viel, doch möcht ich alles wissen.«
Wieder allein, entdeckt Faust eine halb vergessene Phiole mit Gift und beschließt, seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch in dem Augenblick, als er zu trinken ansetzt, ertönen Glockenklang und Chorgesang: Mitternacht ist vorbei und Christus vom Tode auferstanden. Ein letztes Sträuben des verzweifelten Mannes: »Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube« – dann bricht er in Tränen aus. Die Erde hat ihn wieder.
Vor den Toren Frankfurts wird Ostern gefeiert. Die Bürger promenieren bei herrlichem Wetter am Main entlang und wissen sich hier und heute nichts Besseres als »ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei«. Handwerksburschen machen sich gegenseitig auf die schönsten Vergnügungsmöglichkeiten aufmerksam. Wo soll man sich hinwenden: zum Jägerhaus, zur Mühle, zum Wasserhof? In Burgdorf, so ist zu hören, soll’s die schönsten Mädchen geben, überdies das beste Bier und als Dreingabe – wie stets noch – eine Rauferei vom Feinsten. Soldaten singen, Bauern tanzen unter der Linde.
Auch Faust genießt den Tag: »Vom Eise befreit sind Strom und Bäche / Durch des Frühlings holden, belebenden Blick […]« Und Wagner, der ihn auch jetzt wieder begleitet, staunt, wie beliebt sein Herr und Meister beim Landvolk ist, und Faust senior scheint es auch schon gewesen zu sein. Doch der Sohn weiß mehr und Trauriges: »Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann«, habe sich mit alchimistischen Künsten eingelassen, und beide hätten sie nicht nur Leben gerettet, sondern auch auf dem Gewissen.
Der Spaziergang währt den ganzen Tag. Vieles wird an- und durchgesprochen. Langsam dämmert es, und Kühle kommt auf. Der erste Nebel fällt, man strebt nach Hause.
»Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und Stoppel streifen?« fragt der Doktor plötzlich seinen Famulus und hält ihn am Ärmel fest. Wagner sieht in dem Tier nichts weiter als einen schwarzen Pudel, aber Faust glaubt Feuerwirbel auf dessen Spur zu sehen. Der Hund begleitet sie nach Hause und legt sich in der Nähe des Ofens nieder. Faust nimmt eine ausgesprochen österliche Arbeit in Angriff: Immer schon wollte er das Neue Testament in sein geliebtes Deutsch übertragen, stockt aber nun gleich bei den ersten Worten. Endlich glaubt er die rechte, ihm überdies gemäße Variante gefunden zu haben: »Im Anfang war die Tat!«
Auf einmal geht mit dem Hund eine wunderliche Veränderung vor. Er dehnt und streckt sich, Nebel umwölken ihn – plötzlich ist er verschwunden, und Mephisto, angetan mit dem Mantel eines fahrenden Schülers, tritt heran. Faust muß unwillkürlich lachen: »Das also war des Pudels Kern!« Befragt nach seinem Namen, gibt der Fremde wunderliche Antworten. Er sei ein Teil »von jener Kraft, / Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.« Und als Faust nicht versteht: »Ich bin der Geist, der stets verneint!« Das hilft ihm zwar auch nicht viel weiter, aber langsam kommt er der Sache doch auf die Spur, denn er merkt, daß der da vor ihm nicht über die Schwelle kommt, weil dort ein Drudenfuß aufgezeichnet ist. Der Doktor ist erstaunt: »Die Hölle selbst hat ihre Rechte? / Das find ich gut, da ließe sich ein Pakt, / Und sicher wohl, mit euch, ihr Herren, schließen?«
Mephisto ist einverstanden und schlägt verschiedene Bedingungen vor, auf die Faust aber nicht eingeht. Ganz offensichtlich gehört er nicht zu denen, die dem Teufel durch ihre Gelüste leicht in die Arme fallen. Endlich kommt man folgendermaßen überein: Der Doktor braucht Kraft und Lebenszeit, um genügend erforschen zu können, und natürlich auch für den langen Marsch aus der Studierstube in die Welt. An den üblichen Angeboten üblicher Teufel – Reichtum, Macht und rauschendes Leben – ist er wenig interessiert. Indessen: »Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn!« Auf Erden soll Mephisto ab jetzt dem Faust zu Diensten stehen, nach seinem Tode dieser ihm. Die Sache wird aufgeschrieben und der Pakt mit einem Tropfen Blut besiegelt, denn »Blut ist ein ganz besondrer Saft«.
Ehe sie die große Reise antreten, fertigt Mephisto, als Faust verkleidet, schnell noch einen reichlich naiven Schüler ab, um nicht nur ihm, sondern auch seinem Pakt-Partner zu zeigen: »Grau, teurer Freund, ist alle Theorie«. Zunächst macht er dem jungen Mann mit kunstvoller Rhetorik die Philosophie madig, weil hier doch eigentlich immer nur ein Beweis gegen den andern gestellt und letztlich nichts bewirkt werde. Der Schüler wehrt denn auch entsetzt ab: »Mir wird von alledem so dumm, / Als ging’ mir ein Mühlrad im Kopf herum.« Auch mit der Metaphysik ist es nichts: »Da seht, daß Ihr tiefsinnig faßt, / Was in des Menschen Hirn nicht paßt«. Mit der Jurisprudenz ebensowenig: »Es erben sich Gesetz’ und Rechte / Wie eine ew’ge Krankheit fort«. Und als der Schüler ausgerechnet Mephisto nach der Theologie befragt, stößt er auf gesteigerten Abscheu: »Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift, / Und von der Arzenei ist’s kaum zu unterscheiden.« Einzig die Medizin habe manch Verlockendes zu bieten: Da könne man den Frauen um die schlanke Hüfte fassen, auch ihr »Pülslein« oder was immer drücken, sei doch »ihr ewig Weh und Ach / So tausendfach / Aus einem Punkte zu kurieren«. Ganz offenbar ist diese Wissenschaft – des Teufels!
Danach wird eine luftige Reise unternommen. »Ich muß dich nun vor allen Dingen / In lustige Gesellschaft bringen, / Damit du siehst, wie leicht sich’s leben läßt.« Sie fliegen auf Mephistos Mantel nach Leipzig hinüber und befinden sich auf einmal unter lauter angeheiterten Studenten in Auerbachs Keller. Mephisto singt ihnen ein Lied, das rundum gefällt. Die Stimmung steigt noch, als er ein Loch in den Tischrand bohrt und Wein hervorzaubert, Rheinwein, französischen, ungarischen, grad wie gewünscht. Schließlich grölen alle im Chor: »Uns ist ganz kannibalisch wohl, / Als wie fünfhundert Säuen!«
Mephisto hat noch ein paar teuflischere Taschenspielertricks auf Lager: Vergossener Wein flammt kurze Zeit wie Fegefeuer auf. Dann hält jeder die Nase des Nachbarn für eine Traube und will sie schon mit dem Messer abschneiden. Wieder bei Sinnen, rätseln die jungen Leute noch lange, was ihnen da widerfahren sein mag, zumal einer steif und fest behauptet, er habe den mit der Hahnenfeder auf einem Faß zur Kellertür hinausreiten sehen.
Mit seinen magischen Narreteien hat Mephisto den Doktor nur mäßig beeindruckt. Der will keinen Studentenulk der besonderen Art, ihn verlangt es nach Erkenntnis. Der Teufel merkt, daß Faust für seine Späße zu reif ist, verführbar ist allein die Jugend. Also fliegt er mit ihm zu einer Hexe, die gerade einen höllischen Sud auf dem Feuer hat. Rund dreißig Jahre soll man sich mit diesem Trank vom Leibe schaffen können. Der alternde Doktor trinkt und wird noch einmal zum jungen Mann. Im Zauberspiegel erscheint ihm ein verlockendes Mädchen. »Ist’s möglich, ist das Weib so schön? / Muß ich an diesem hingestreckten Leibe / Den Inbegriff von allen Himmeln sehn? / So etwas findet sich auf Erden?«
Jetzt hat ihn Mephisto genau da, wo er ihn haben will. »Du siehst, mit diesem Trank im Leibe, / Bald Helenen in jedem Weibe«, denkt der routinierte Verführer hämisch und will ihn sogleich zu dem Mädchen führen. »Den edlen Müßiggang lehr ich hernach dich schätzen, / Und bald empfindest du mit innigem Ergetzen, / Wie sich Cupido regt und hin und wider springt.« Kurz darauf sieht Faust ein junges Mädchen aus der Kirche kommen, das gerade die Beichte abgelegt hat. »Über die hab ich keine Gewalt!« meint Mephisto, kriegt aber von dem verliebten Doktor kräftig was zu hören: »Wenn nicht das süße junge Blut / Heut nacht in meinen Armen ruht, / So sind wir um Mitternacht geschieden.« Ein regelrechter Streit entbrennt. Der Teufel fordert allein zwei Wochen dafür, die effektivsten Verführungsmöglichkeiten auszukundschaften. Faust hält dagegen, das würde er ohne teuflische Hilfe in sieben Stunden schaffen. Also gut, Mephisto will versuchen, ihn noch in derselben Nacht in ihr Zimmer zu führen, und auch ein Geschenk besorgen.
Das Mädchen heißt Gretchen. An diesem Abend sitzt es lange in seinem Zimmer, flicht das Haar zu Zöpfen, bindet sie wieder auf und sinnt: »Ich gäb was drum, wenn ich nur wüßt, / Wer heut der Herr gewesen ist!« Kaum hat sie ihr Zimmer verlassen, führt Mephisto besagten Herrn herein, damit er sich umsehen und sein Geschenk dalassen kann. Der fühlt sich tief berührt, vor allem als er hinter dem Bettvorhang die einfache Liegestatt sieht: »Hier möcht ich volle Stunden säumen.«
Als Gretchen zurückkommt, sind die Männer verschwunden. Beim Ausziehen entdeckt sie ein Kästchen mit herrlichem Inhalt. »Was ist das? Gott im Himmel! Schau, / So was hab ich mein’ Tage nicht gesehn! / Ein Schmuck! Mit dem könnt eine Edelfrau / Am höchsten Feiertage gehn.«
Mephisto macht sich inzwischen mit Marthe Schwerdtlein bekannt, einer Nachbarin, deren Mann im Krieg verschollen ist und die sich irgendwie durchbringen muß – zur Not mit etwas Kuppelei. In ihrem Garten gelingt es Mephisto abends, Faust und Gretchen zusammenzubringen. Während er mit Marthe auf einer Seite des Laubenganges hinunterpromeniert, spazieren die Verliebten auf der anderen herauf. Gretchen weiß vor Schüchternheit kaum, was sie sagen soll. »Ich weiß zu gut, daß solch erfahrnen Mann / Mein arm Gespräch nicht unterhalten kann.« Aber Faust beruhigt sie: »Ein Blick von dir, ein Wort mehr unterhält / als alle Weisheit dieser Welt.« Nach diesem Treffen denkt der verjüngte Doktor nur noch daran, wie er zu einer ersten Liebesnacht mit diesem Mädchen kommen kann. Hohes und Niederes toben in ihm. Den Intellektuellen hat die Liebe wie ein Blitz getroffen.
Das verliebte Gretchen ist von alldem überfordert und sagt »zu allen Sachen ja. / Bin doch ein arm unwissend Kind, / Begreife nicht, was er an mir findt.« Als sich die beiden das nächste Mal in Marthes Garten treffen, bereiten sie alles für ein ungestörtes Tête-à-tête vor. Gretchen wird die Tür offenlassen und der Mutter drei Tropfen Schlafsaft, den ihr Faust gegeben hat, ins Getränk mischen. So sehr liebt sie ihren Heinrich bereits, daß sie alle Scheu vergißt, ihm zu Willen sein möchte und sich mit allen Kräften des Leibes und der Seele darauf freut.
Eins aber macht ihr zu schaffen. Sie bringt allen Mut auf und fragt den Geliebten: »Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? / Du bist ein herzlich guter Mann, / Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.« Auf diese einfache Frage erhält sie umwundene Antworten: »Mein Liebchen, wer darf sagen: / Ich glaub an Gott?« Und: »Gefühl ist alles; / Name ist Schall und Rauch« – und noch lange so weiter. Aber in diesem Punkt kann man Gretchen nichts vormachen: »Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen, / Steht aber doch immer schief darum; / Denn du hast kein Christentum.« Sie spürt genau, daß da etwas nicht stimmt, und geht sogar noch weiter: »Der Mensch, den du da bei dir hast, / Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt; / Es hat mir in meinem Leben / so nichts einen Stich ins Herz gegeben / Als des Menschen widrig Gesicht.« Faust ist tief erschrocken über ihr feines Gespür. Doch läßt sich längst nichts mehr rückgängig machen, Gretchens Schicksal ist mit dem seinen verwoben, die Dinge nehmen ihren Lauf.
Von Liebesnächten wird nichts erzählt, auch wenn mittlerweile Wochen, vielleicht Monate ins Land gegangen sind, wohl aber von einer Begegnung am Brunnen, die Gretchen tief beunruhigt. Da wird der neueste Jungmädchenklatsch besprochen. Lieschen weiß von Sibylle, warum das Bärbelchen gar nicht mehr kommt. Hat so lange an ihrem Kerl gehangen, da »ist denn auch das Blümchen weg«. Und? »Sie füttert zwei, wenn sie nun ißt und trinkt.« Gretchen geht mit schwerem Herzen nach Hause. Hat sie sich nicht früher auch über solche wie Bärbelchen erhoben und ihre feste moralische Meinung dazu gehabt? »Und bin nun selbst der Sünde bloß! / Doch – alles, was dazu mich trieb, / Gott! war so gut! ach war so lieb!«
Ihr Bruder, ein Soldat mit Namen Valentin, ist längst dahintergekommen, daß ein unbekannter feiner Herr mit seiner Schwester schläft. Bislang hat er sie immer als Vorbild aller Frauen hinstellen können, und jetzt soll ihn jeder dahergelaufene Schurke verspotten dürfen? Als sich Faust eines Abends wieder einmal in Begleitung Mephistos dem Hause Gretchens nähert, springt Valentin aus dem Schatten und greift ihn an. Aber wie es der Teufel so will, erlahmt ihm die Hand genau in dem Augenblick, als Faust sich wehrt und zusticht. Die herbeigeschrienen Nachbarn rotten sich zusammen. Der ungleiche Kampf geht für Valentin tödlich aus. Schwerverwundet, schimpft er seine verzweifelte Schwester eine Hure, möchte Marthe, das »schändlich kupplerische Weib«, verprügeln, stirbt endlich »als Soldat und brav«.
Blitzschnell hat Mephisto sich und Faust in das wilde Harzgebirge entrückt, dorthin, wo die Hexen leben, in die Gegend von Schierke und Elend. Gretchen aber ist nun ganz allein und verzweifelt. Nicht einmal der Besuch des Hochamtes im Dom kann ihr mehr Halt geben, denn immer, wenn der Chor fromme lateinische Verse singt, flüstert ein böser Geist ihr die Schande ins Gewissen. Endlich fällt sie – »Nachbarin! Euer Fläschchen!« – in Ohnmacht.
In der Nacht vom 30. April zum 1. Mai – Walpurgisnacht! – findet sich Faust auf dem Brocken wieder. Bei dieser Jahreshauptversammlung aller Hexen, Zauberer und bösen Kräfte muß Mephisto natürlich anwesend sein. Während man den Berg hinaufsteigt, bekommt Faust die irrwitzigsten und perversesten Dinge zu sehen, zu hören, ja zu riechen. Sein Erkenntnisdrang ist wiedererwacht, und zwar so stark, daß er alles zuvor Erlebte vergißt. Links und rechts des Weges locken bunte Flammen. »Doch droben möcht ich lieber sein! / Schon seh ich Glut und Wirbelrauch. / Dort strömt die Menge zu dem Bösen; / Da muß sich manches Rätsel lösen.«
Im Steigen kommt man an erwarteten und unerwarteten Statthaltern der Finsternis vorbei, trifft General und Minister, Gräfin und Parvenü, Autor und Literaturkritiker. Was für ein Wirbel! »Der ganze Strudel strebt nach oben; / Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben.« Eine allgemeine Polonaise beginnt, und Faust tanzt mit Lilith, einer frivolen Schönheit von verwirrend erotischem Reiz. (Sie soll einst, noch vor Eva, die erste Frau Adams gewesen sein!) Doch läßt er sie entsetzt los, als ihr eine rote Maus aus dem Mund springt, und sein Blick fällt auf ein abseits stehendes blasses Mädchen, das seinem Gretchen gleicht.
Auf einmal ist die Erinnerung wieder da, aber was muß er sehen: »Fürwahr, es sind die Augen einer Toten, / Die eine liebende Hand nicht schloß. / Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten, / Das ist der süße Leib, den ich genoß.« Es sei nur Zauberei und Unsinn, will ihm Mephisto einreden, und Faust ein leicht zu irritierender Tor. Aber der sieht noch mehr: ein rotes Schnürchen um den schönen Hals, Symbol der Hinrichtung durch das Schwert. Noch weiß er gar nicht, wieviel Unheil er zu Hause hinterlassen hat. Nicht nur Gretchens Bruder, auch die Mutter ist tot, am Schlafsaft gestorben. Seine Geliebte war schwanger, als er sie verließ, und als das Kind auf die Welt kam, hat die Alleinstehende es, halb wahnsinnig vor Angst, umgebracht. Nun sitzt sie im Gefängnis und soll hingerichtet werden.
Noch einmal versucht Mephisto, seinen Wackelkandidaten abzulenken, und besucht mit ihm eine höllische Theateraufführung, den »Walpurgistraum«, ein Stück aus lauter giftigen Kurzmonologen. Faust aber will zurück in die Wirklichkeit.
An einem trüben Tag steht er auf einsamem Feld und begreift erst jetzt das ganze Ausmaß dessen, was Gretchen erlitten hat und leidet. Er ist fassungslos, empört, spricht zum ersten und einzigen Mal Prosa mit dem Teufel: »Und mich wiegst du indes in abgeschmackten Zerstreuungen, verbirgst mir ihren wachsenden Jammer und lässest sie hülflos verderben!«
»Sie ist die erste nicht!« bekommt er kühl zur Antwort. Da rastet der Doktor aus, beschimpft Mephisto »Hund! abscheuliches Untier!« und droht ihm schließlich: »Rette sie! oder weh dir! Den gräßlichsten Fluch über dich auf Jahrtausende!« Der Teufel verspricht, dem Wächter die Sinne zu umnebeln. Faust soll derweil die Schlüssel an sich nehmen und Gretchen aus dem Gefängnis holen. »Ich wache! die Zauberpferde sind bereit, ich entführe euch.«
Endlich steht Faust vor dem kleinen eisernen Türchen, hinter dem seine Geliebte eingesperrt ist. »Mich faßt ein längst entwohnter Schauer, / Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an.« Nichts mehr von geistigen oder leiblichen Freuden. Jetzt ist Nacht in ihm und Finsternis ringsum. Von drinnen hört er den entrückten Gesang eines gebrochenen Menschenkindes. Gretchens Stimme.
Er schließt auf, will ihr die Ketten abnehmen. Warum wehrt sie sich so seltsam? Glaubt sie, er sei der Wächter schon, der Henker gar? Alles, was sie in den letzten Monaten erlebt hat, schüttelt ihr Verstand jetzt wie in einem Kaleidoskop durcheinander: Das Kind habe man ihr weggenommen, der Freund werde zum Schergen; und als Faust voller Liebesjammer vor ihr niederkniet, meint sie, es ginge zum letzten Gebet, und hört schon das Heulen der Hölle.
Allmählich klären sich ihre Gedanken. Sie erkennt den Geliebten, begreift ihre Tat, gibt Faust letzte Anweisungen, wie mit den Gräbern zu verfahren sei: der Mutter den besten Platz, den Bruder gleich daneben, sie selber ein wenig abseits, das tote Kindchen aber möge man ihr an die rechte Brust legen. Schon holen sie die grausigen Erinnerungen an ihre Untat wieder ein.
Mephisto drängt. Faust drängt, aber Gretchen will nicht mit. »Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen. / Was hilft es fliehn? Sie lauern doch mir auf.« Noch in ihrer geistigen Umnachtung aber erweist sie sich als dem Teufel überlegen. »Gericht Gottes! Dir hab ich mich übergeben!« ruft sie demütig aus und: »Heinrich! Mir graut’s vor dir« – hat sie doch erkannt, daß der Böse mit ihrem Liebsten ist.
»Sie ist gerichtet!« johlt Mephisto triumphierend. »Ist gerettet!« tönt eine gewaltige Stimme aus dem Himmel herab. Drauf krallt sich der Teufel den Doktor – »Her zu mir!« – und ist mit ihm verschwunden.
Was in Wahnsinn und Verzweiflung endete, setzt auf anderer, buchstäblich ausgeruhter Ebene neu ein. In einer zeitlos anmutigen Gegend liegt Faust auf einer Wiese voller Blumen. Der Luftgott Ariel befiehlt seinem Geisterkreis, dem Unruhigen zu helfen: »Besänftiget des Herzens grimmen Strauß, / Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile, / Sein Innres reinigt von erlebtem Graus.«
Allmählich löst ein tiefer Heilschlaf Sinn und Glieder des Verzweifelten. Als sich der neue Tag ankündigt, erwacht er gestärkt und spürt: Des »Lebens Pulse schlagen frisch lebendig«. Er ahnt die aufgehende Sonne in seinem Rücken und sieht überm Wasserfall den bunten Regenbogen: »Der spiegelt ab das menschliche Bestreben. / Ihm sinne nach, und du begreifst genauer: / Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.« Und farbig verspricht auch die neue Geschichte zu werden, die uns vom Mittelalter zurück in die Antike, dann wieder in Fausts Epoche führt und schließlich dort endet, wo sie einst begann: in himmlischen Gefilden.
Im Thronsaal des jungen Kaisers hat sich der prächtig gekleidete Staatsrat versammelt. Als der Herrscher den Raum betritt, erfährt er gleich das Neueste: Der alte Narr ist tot. »Man trug hinweg das Fettgewicht«. Doch wunderbarerweise sei gleich ein neuer zur Stelle gewesen, mundfertig wie selten einer. Er habe schon seinen Platz zur Linken des Throns eingenommen, so wie der Astrologe zur Rechten steht. Flugs soll er kommentieren, was die Herren Minister vorzubringen haben. Wer den Schalk kennt, wird nicht an dessen Kompetenz zweifeln, ist es doch kein anderer als Mephisto. Ob Kanzler, Marschall, Heer- und Schatzmeister, alle jammern sie, und alles Jammern läuft auf immer dasselbe hinaus: Es fehlt am Geld!
Nachdem der Teufel reichlich Gebrauch gemacht hat von der Freiheit des Narren und den hochmögenden Herren seine gepfefferten Wahrheiten in den Nasen jucken, kommt er mit einem erstaunlichen Vorschlag: Hat nicht vor jedem Krieg und in allen Notzeiten das Volk seine Schätze in der Erde vergraben? Und wem gehört die? »Der Boden ist des Kaisers, der soll’s haben.« Man brauche also nur noch Papiergeld zu drucken, schließlich sei es durch die Boden-Schätze gedeckt.
Zunächst aber ist Karneval, da will sich der Kaiser nicht weiter den Kopf über fehlende Mittel zerbrechen. Aschermittwoch kommt früh genug. Und auf geht’s zum Maskenball, der in einem weitläufigen Saal mit vielen Nebengemächern gefeiert wird. Blumen- und Früchtemasken tauchen auf, Gärtner, Fischer und Vogelsteller, Trunkenbolde, Parasiten, die Parzen und die Furien, Furcht und Hoffnung, ein nicht enden wollender Zug symbolischer Gestalten. Zwischen den vielen aber: Faust als Gott des Reichtums, und Mephisto gibt den Geizkragen dazu. Noch einmal spielt der Teufel – wie damals vor den Leipziger Studenten – sein »Flammengaukelspiel«. Diesmal ist es der Kaiser, der scheinbar in Flammen aufgeht, und die zu Hilfe Eilenden fangen ebenfalls Feuer. Aber so viel Zauberkunst hat Faust nun auch schon gelernt, um dem Spuk ein schnelles Ende zu bereiten – und dem Kaiser einen pyrotechnischen Jux, den dieser ausgesprochen genießt.
Als die Morgensonne abermals aufgeht, ist das bunte Fest zwar vorbei, dennoch ist von Katzenjammer nichts zu merken. Der Hofstaat, zu dem nun auch die beiden unbekannten Magier gehören, ist sogar ausgesprochen guter Laune. Der Marschall hat alle Schulden des Staates begleichen, der Heermeister den Soldaten ihren Lohn aushändigen können. Woher stammt das ganze Geld? Der Kanzler liest dem Herrscher jenes schicksalsschwere Blatt vor, womit alles zum Guten gewendet worden sei: »Zu wissen sei es jedem, der’s begehrt: / Der Zettel hier ist tausend Kronen wert. / Ihm liegt gesichert, als gewisses Pfand, / Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland.« Unterschrift: Der Kaiser! Der kann sich nicht erinnern, so etwas gestern nacht unterschrieben zu haben, bezweifelt auch die Wirksamkeit. Aber Mephisto beruhigt ihn: »Ein solch Papier, an Gold und Perlen Statt, / Ist so bequem, man weiß doch, was man hat, / Man braucht nicht erst zu markten noch zu tauschen«.
Kaum ist diese Aufgabe gemeistert, wird schon die nächste Forderung an Faust gestellt, dem man – da er nun als der wundersame Geldvermehrer gilt – noch viel mehr zutraut: »Der Kaiser will, es muß sogleich geschehn, / Will Helena und Paris vor sich sehn; / Das Musterbild der Männer so der Frauen / In deutlichen Gestalten will er schauen.« Also drängt der Doktor den Teufel, obwohl ihn diese Narretei peinlich berührt: »Du hast, Geselle, nicht bedacht, / Wohin uns deine Künste führen; / Erst haben wir ihn reich gemacht, / Nun sollen wir ihn amüsieren.«
Selbst Mephisto ist die Sache diesmal nicht geheuer, weil er weiß, daß es zur Erfüllung dieses Wunsches eines viel stärkeren und gefährlicheren Zaubers bedarf als für einen feurigen Karnevalsspaß: Faust muß ins Reich der Mütter! »Ins Unbetretene, / Nicht zu Betretende; ein Weg ans Unerbetene, / Nicht zu Erbittende. Bist du bereit?« Was immer Faust mit dem Wort »Mütter« auch verbindet, bei solcher Wegbeschreibung sträuben sich ihm die Haare. Am Ziel wird er auf einige Wahrsagerinnen des Altertums treffen und ihren glühenden Dreifuß mit Hilfe eines Zauberschlüssels entführen müssen.
Schon will Mephisto dem Doktor zynisch kommen, da bricht in diesem die Neugierde des wahren Wissenschaftlers durch: »Doch im Erstarren such ich nicht mein Heil, / Das Schaudern ist der Menschheit bestes Teil; / Wie auch die Welt ihm das Gefühl verteure, / Ergriffen, fühlt er tief das Ungeheure.« – Da schau her: Faust als Erfinder der Erlebnisforschung!
Jedenfalls tut er, wie ihm geheißen, und ist am Abend wieder zurück von seiner Reise ins »Unbetretene, / Nicht zu Betretende«. Kaiser und Hof erhoffen sich im großen Rittersaal des Schlosses ein einzigartiges Spektakel. Faust steigt aus der Tiefe empor. Melodisch tönendes Gewölk senkt sich aus der Höhe. »Ein schöner Jüngling tritt im Takt hervor. / Hier schweigt mein Amt, ich brauch ihn nicht zu nennen, / Wer sollte nicht den holden Paris kennen!« Die Damen reißt es förmlich von den Stühlen, so entzückt sind sie über die Anmut seiner Bewegungen, die Frische seiner Jugend. Die Herren dagegen ziehen es vor, sich auf die Bank der Spötter zu setzen und eifersüchtelnde Bemerkungen über den halbnackten Schäferknecht zu machen, der, bekleidet mit einem anständigen Harnisch, vermutlich keine so gute Figur machen würde.
Helena tritt auf, und nun sind die Herren ganz hin: »Fürstinnen hab ich dieser Art gesehn, / Mich deucht, sie ist vom Kopf zum Fuße schön.« Als sie jedoch vor den Augen des gesamten Hofadels Paris einen Kuß auf den Mund gibt, geht das Gegacker ihrer Konkurrentinnen los: »Das Kleinod ist durch manche Hand gegangen«, heißt es, und von dem Jüngling: »In solchem Fall sind alle Männer dumm, / Er glaubt wohl auch, daß er der erste wäre.« Pikierte Reaktionen, als ein Ritter zur Antwort gibt: »Gelegentlich nimmt jeder sich das Beste; / Ich hielte mich an diese schönen Reste.«
Selbst der Doktor läßt sich von der erotischen Strahlkraft seines »Fratzengeisterspiels« derart hinreißen, daß er nach Helena greifen will. In diesem Augenblick schleudert ihn eine gewaltige Explosion zu Boden. Die Erscheinungen gehen in Dunst auf, und unter den Anwesenden entsteht Tumult. Mephisto hebt sein wahrlich mitgenommenes Menschlein auf die Schulter und fliegt davon. »Da habt ihr’s nun! Mit Narren sich beladen, / Das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden.« Schimpfend lädt er den Ohnmächtigen daheim, in dessen wohlvertrautem Bett, ab.
In Fausts enger gotischer Studierstube hat sich, obwohl geraume Zeit vergangen ist, nichts verändert. Aus dem einst von Mephisto genasführten Schüler ist ein Baccalaureus geworden, der meint, er brauche keinen Rat mehr, sondern könne ihn selbst erteilen. Ach Gott, ja, diese Professoren von gestern! »Aus den alten Bücherkrusten / Logen sie mir, was sie wußten, / Was sie wußten, selbst nicht glaubten, / Sich und mir das Leben raubten.« Als Mephisto noch einmal sein altes Lehrerspielchen mit ihm treiben will, bekommt er stolz zu hören: »Seht anerkennend hier den Schüler kommen, / Entwachsen akademischen Ruten. / Ich find Euch noch, wie ich Euch sah; / Ein anderer bin ich