Die im Buch mit diesem Zeichen  gekennzeichneten Übungen können Sie unter http://www.junfermann.de/titel-1-1/verborgene_kraefte_wecken-10220/ herunterladen.

1. Ein Buch für Sie – aus eigener Erfahrung

Liebe Leserin,

lieber Leser,

dieses Buch ist für Sie geschrieben, für diejenigen, die gerade eine Krebserkrankung zu bewältigen haben. Eben fühlten Sie sich noch fit und gesund – und jetzt sind Sie plötzlich lebensbedrohlich erkrankt, zahlreichen Untersuchungen und belastenden Behandlungen ausgesetzt. Nichts ist mehr so, wie es gestern noch war. Die Auseinandersetzung mit der Krankheit fordert Sie als ganzen Menschen. Und damit wird Krebs nicht nur zu einem Angriff auf die körperliche Gesundheit. Auch die Seele gerät in Not, braucht Hilfe, Halt, Trost und Unterstützung.

Viele Patientinnen und Patienten fühlen sich allein, hilflos und ausgeliefert, und das schwächt sie zusätzlich. Gerade jetzt wird das Gegenteil gebraucht: etwas an die Hand bekommen, etwas, das man selbst tun kann, etwas, das stärkt und aufbaut, Unterstützung für Körper und Seele. Trotz Krankheit für eine gute innere Verfassung sorgen, sich wohlfühlen, so gut es nur geht – all das wird benötigt. Und eine gute psychische Befindlichkeit verbessert auch das Immunsystem und die körperlichen Widerstandskräfte.

Als besonders hilfreiche Methode zur Stärkung hat sich bei derartigen Problemen die Hypnose erwiesen. Möglicherweise melden sich jetzt bei Ihnen Vorurteile wie „Das ist doch Hokuspokus“, und Sie denken an unterhaltsame Fernsehsendungen, in denen Menschen in Trance irgendwelche verrückten Dinge tun. Das alles sind Tricks und Show und hat absolut nichts mit der therapeutisch genutzten Hypnose zu tun. Die therapeutische Hypnose ist seit vielen Jahren als wissenschaftliche Heilmethode anerkannt.

Hypnose bietet einen Weg, sich in Trance zu stärken, den Heilungsverlauf zu unterstützen und die schwierige Situation der Krankheit besser zu überstehen. So vermag sie sowohl der Seele als auch dem Körper zu helfen. Und das gelingt besonders gut in der Selbsthypnose, einem Mittel, das Ihnen dieses Buch eröffnet. Zuerst wird Ihnen manches vielleicht noch fremd vorkommen, aber Sie werden schnell entdecken, wie unterstützend dieser Ansatz sein kann. Es ist eine wirksame Methode, die Sie eigenständig benutzen und einsetzen können, wann immer sie gebraucht wird. Dafür gebe ich Ihnen hier meine Erfahrungen weiter, meine eigenen Erfahrungen in doppelter Hinsicht: zum einen aus meiner beruflichen Arbeit, zum anderen aus meiner eigenen Krebserkrankung.

1.1 Erfahrungen als Psychotherapeutin

In meiner über 30-jährigen Tätigkeit als Psychologin und Psychotherapeutin war ich oft mit Krebskranken konfrontiert. In der Mehrheit handelte es sich um Frauen mit Brustkrebs oder Unterleibskrebs, aber ich traf auch auf Männer mit Tumoren an der Prostata und auf Menschen mit Krebserkrankungen an Magen, Darm, Lunge, Bauchspeicheldrüse, Knochen oder Lymphsystem und anderes mehr. Im Laufe dieser Arbeit habe ich nützliche Hypnosetexte aus verschiedenen Quellen gesammelt und weiterentwickelt. Anfangs waren das einfache Phantasiereisen, später kamen speziellere Anleitungen aus der Fachliteratur hinzu und wurden auf die besonderen Erfordernisse der jeweiligen Erkrankung angepasst. Andere Formulierungen entstanden am Schreibtisch, auf Spaziergängen oder wurden im Strandkorb neu entwickelt, und manches ergab sich direkt in einer Therapiestunde oder in der Betreuung einer Selbsthilfegruppe.

Die Begegnungen in diesen Selbsthilfegruppen liegen zwar schon viele Jahre zurück, haben mich aber sehr nachhaltig und tief beeindruckt. Die meisten Teilnehmerinnen gingen sehr offen mit ihrer Erkrankung und ihren Schwierigkeiten um. Sie waren bereit, auch ungewöhnliche Wege auszuprobieren: „Wir haben nichts zu verlieren, wir können nur gewinnen.“ Und trotz mancher Tränen und leidvollen Erfahrung wurde bei den Gruppentreffen auch gelacht und über ganz alltägliche Dinge getratscht. Hier sammelte ich meine ersten Erfahrungen mit den hilfreichen Kräften von Phantasiereisen, Trancearbeit und Hypnose bei Krebserkrankungen, die ich dann auch in die Einzeltherapie übernahm.

1.2 Erfahrungen als Patientin

Mit diesem reichhaltigen Erfahrungsschatz erkrankte ich selbst 1999 an Brustkrebs. Trotz all meines Wissens erging es mir natürlich kaum anders als den meisten Betroffenen. Auch ich weinte und war verzweifelt. Und selbstverständlich hatte ich Angst, fühlte mich niedergeschlagen und deprimiert und verspürte gelegentlich eine heftige Wut auf dieses Schicksal.

Aufgrund meiner Kenntnisse wusste ich, was alles Schweres auf mich zukommen könnte – eine belastende Perspektive. Mir fehlte die Naivität der Unerfahrenheit. Aber das war zugleich auch ein riesiger Vorteil; denn ich wusste schließlich genauso gut, was im positiven Sinne möglich ist. Ich hatte so viele Menschen kennengelernt, die trotz und mit ihrer Krebserkrankung ein glückliches Leben führten, sodass ich ganz sicher wusste: Ich will mich wohlfühlen der Krankheit zum Trotz, ich will meine Lebenszeit nutzen und ein erfülltes Dasein gestalten, ich will jeden Tag auskosten – ich will leben, so gut und so lange, wie ich kann! Das ist eine stärkende Grundüberzeugung. Sie gab mir Kraft und Hoffnung, wenn ich am Verzagen war, und sie hilft mir auch heute noch.

So begann ich all die Techniken anzuwenden, die ich vorher jahrelang anderen Erkrankten vermittelt hatte. Jetzt konnte ich an meinem eigenen Erleben den Nutzen und die Wirksamkeit dieser Strategien überprüfen. Manche Hypnoseanleitung habe ich verändert und verbessert und natürlich viele neue hinzugefügt. Jetzt können Sie davon profitieren.

1.3 Ein Buch für Sie

Meine ganz persönlichen Erfahrungen beeinflussten selbstverständlich in den folgenden Jahren meine therapeutische Arbeit und auch den Austausch in Fachkreisen. Letztlich waren es die Patientinnen und Patienten, die mich baten, einzelne Hypnoseanleitungen aufzuschreiben, damit sie eigenständig weiterarbeiten könnten. Einige wollten die Texte auch an andere Kranke weiterreichen, die sich nicht in eine Beratung oder Psychotherapie trauten. So entstand schließlich die Idee zu diesem Buch, das dann in den letzten Jahren Schritt für Schritt gewachsen ist.

Die Hypnoseanleitungen, die Sie hier finden, können Sie in Eigenregie und ohne besondere psychotherapeutische Behandlung oder Vorkenntnisse anwenden. Es handelt sich um gesundheitsfördernde Botschaften an Ihr Inneres, an Ihre Seele und Ihren Körper. Es sind Botschaften, sogenannte Suggestionen, die sich in der Anwendung bewährt haben. Natürlich sind sie besonders wirksam, wenn sie individuell und ganz persönlich entwickelt werden, maßgeschneidert sozusagen. Aber schließlich wissen wir alle vom Kleidungskauf, dass auch ein Stück von der Stange sehr gut passen kann. Und notfalls lässt sich ja etwas ändern. Verstehen Sie die Texte daher als Vorschlag, als Einladung und Anregung. Selbstverständlich können Sie einzelne Formulierungen abwandeln, für Ihre persönlichen Erfordernisse passend machen oder auch etwas weglassen.

Sicherheitshinweis

Wenn Sie sich in psychiatrischer oder neurologischer Behandlung befinden sollten, besprechen Sie dort, ob für Sie besondere Bedingungen hinsichtlich der Selbsthypnose zu beachten sind.

Für jede Anwendung gilt unbedingt: Hypnose niemals bei aktiver Teilnahme im Straßenverkehr, also niemals beim Autofahren, Fahrradfahren oder Lenken anderer Fahrzeuge und niemals beim Arbeiten mit Maschinen oder wenn Ihre Aufmerksamkeit in irgendeiner anderen Weise für das aktuelle Außen erforderlich ist!

Jeder Krebs ist anders – das versicherte mir ein sehr erfahrener Arzt während meiner eigenen Erkrankung. Die Vorschläge, die Sie hier finden, können nicht allen speziellen Besonderheiten gerecht werden. Da ist Ihre Phantasie gefragt oder eine fachliche Unterstützung vor Ort. Ich habe Ihnen jedoch nach bestem Wissen und Gewissen Texte zur Trance zusammengestellt, die sich in dieser Form schon oft in meiner Praxis bewährt haben. Entscheidend ist, was Sie für sich als stärkend und stimmig empfinden; denn das wird Sie am besten unterstützen und Ihr Wohlbefinden am meisten verbessern. Nichts muss starr übernommen werden. Bei aller Ähnlichkeit ist jeder Mensch doch einzigartig. Variieren Sie und entwickeln Sie Ihr ganz individuelles Hypnose-Stärkungsprogramm. Ihre eigenen Empfindungen, Ihr eigenes Wohlgefühl zeigen Ihnen den Weg.

Bitte erwarten Sie keine Wunder; Hypnose ist zwar ein machtvolles Instrument zur Unterstützung und Stärkung, aber auch hier geht der Weg oft nur allmählich. Es handelt sich schließlich um tiefgreifende Vorgänge in Ihrem Körper und Ihrer Seele, und die brauchen Zeit. Und manchmal ist es wie beim Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel. Da werden wir rausgeworfen und müssen wieder neu anfangen. Wenn ich jedoch dranbleibe und trotz möglicher Rückschläge beharrlich bin, komme ich voran, Schritt für Schritt. Und jeder Schritt zählt.

1.4 Möglichkeiten und Grenzen

Dieses Buch zeigt Ihnen Wege, um den Heilungsprozess zu unterstützen und die Krankheit zu bewältigen. Allerdings: Ihre Selbsthypnose ist kein Ersatz für eine manchmal notwendige psychotherapeutische Behandlung, auch wenn Sie hier viele Elemente finden, die durchaus im Rahmen einer Therapie zum Einsatz kommen mögen.

Sie können dieses Buch für sich selbst ganz allein nutzen. Und Sie tun dies in Eigenverantwortung. Wenn Sie bei der Anwendung das Bedürfnis nach umfassenderer Unterstützung verspüren, sich überfordert und unsicher fühlen oder bemerken, dass Sie intensivere Hilfe benötigen, sollten Sie nicht zögern und sich an eine geschulte Fachkraft wenden. Vielleicht nehmen Sie dieses Buch dorthin mit und überlegen gemeinsam, was speziell für Sie besonders geeignet sein könnte und welche zusätzlichen Entlastungen oder Unterstützungen für Sie erforderlich sind.

Noch eine wichtige Bemerkung: Hypnose und Selbsthypnose nutze ich stets zusätzlich zu den erforderlichen medizinischen Behandlungen. Sie sind niemals (!) Ersatz, sondern immer eine wertvolle und nach meiner Überzeugung auch notwendige Ergänzung; denn sie schaffen die bestmöglichen Voraussetzungen zur Aktivierung und Stärkung unserer Selbstheilungskräfte. Das verbessert unsere Möglichkeiten, der Krankheit zu begegnen und alles, was in unserer eigenen Macht liegt, für einen möglichst guten Verlauf zu tun.

Leider kann nichts und niemand – auch dieses Buch nicht – Ihnen letztlich eine Garantie dafür geben, wieder völlig und hundertprozentig gesund zu werden und das auch für immer zu bleiben. Wenn sich zwei Streitmächte gegenüberstehen, kann die eine Seite gewinnen: Wir werden gesund – oder die andere Seite: Die Krankheit schreitet fort –, und manchmal gibt es auch ein Unentschieden: Die Krankheit kommt zum Stillstand. Die Belastungen der Erkrankung und oft auch der Behandlungen hinterlassen Spuren, und manchmal kommt es zu Rückschlägen. Auch wenn heutzutage sehr, sehr viele Krebskranke wieder gesund werden, so gilt dies leider nicht für alle Betroffenen. Vielleicht wurde die Krankheit einfach zu spät entdeckt, oder es handelte sich um eine besonders ungünstige Art von Tumor. Und manchmal hat das Schicksal andere Pläne mit uns. Umso wichtiger ist es, sich zu stärken und ganz bewusst das Heute zu leben und Körper und Seele für ein gutes Jetzt zu unterstützen.

Hypnose ist ein mächtiges therapeutisches Mittel, aber sie ist nicht allmächtig. Auch wenn manches ein wenig wie Magie erscheint, die Hypnose kann leider die Krankheit nicht einfach wegzaubern; sie kann uns jedoch nachweislich helfen, die verschiedenen Behandlungen besser zu vertragen, unsere Ängste zu mindern, den Körper und die Abwehrkräfte des Immunsystems zu steigern. Sie kann die Wundheilung verbessern, sie lässt Zuversicht wachsen, sie vermag Schmerzen und Nebenwirkungen zu verringern und sie verhilft zu neuem Wohlbefinden. Insofern ist sie – und das kann ich mit gutem Gewissen versprechen – wirklich heilsam und hilfreich. Dieser Gewinn ist garantiert: mehr Lebensfreude, mehr Lebenslust, mehr Lebensqualität.

Krebs war in unserer Gesellschaft lange Zeit ein großes Tabuthema. Da wurde geschwiegen und vertuscht, verheimlicht und geflüstert. In der Öffentlichkeit ist das inzwischen zunehmend überwunden. Dort ist das Flüstern deutlich lauter geworden. Im Einzelfall hingegen wird oft immer noch hinter vorgehaltener Hand darüber getuschelt und vor der Außenwelt verborgen und geheim gehalten. Für die Betroffenen bedeutet das einerseits Schutz, aber andererseits auch Einsamkeit. Wie gut, wenn wir da etwas zur Hand haben, was uns stärkt und was wir uns selbst geben können. Mit der Hypnose können wir jetzt auf ganz andere Weise flüstern – wir flüstern mit uns selbst, mit unserem Innern und vielleicht sogar mit dem Krebs.

Ich lade Sie ein: Flüstern Sie mit!

2. Hypnose, Trance und innere Wirklichkeit

Hypnose ist ein altbewährtes Mittel, um seelische und körperliche Abläufe zu beeinflussen, vielleicht schon so alt wie die Menschheit selbst. Uralte Überlieferungen belegen, dass bereits vor vielen tausend Jahren bei den Sumerern derartige Methoden benutzt wurden, und auch aus dem alten Ägypten existieren auf Papyrus noch Anleitungen zum Herbeiführen von Trancezuständen. Angeblich wurden dem Pharao auf diesem Wege stärkende Botschaften eingeflüstert. Im antiken Griechenland und in der Römerzeit wurde das Prinzip unter dem Begriff „Tempelschlaf“ zur Heilung eingesetzt. Zur Zeit des Mittelalters hielt der bekannte Arzt Paracelsus die Vorstellungskraft, die Imagination, für eines der wichtigsten Heilmittel in der Medizin. In der Gegenwart ist die therapeutische Hypnose nach eingehender Prüfung von den zuständigen Fachgremien als wissenschaftliches Verfahren anerkannt worden und kommt heute auf vielen Gebieten sehr erfolgreich zum Einsatz (Bongartz & Bongartz, 1999).

Die Fachleute benutzen diese Therapiemethode sowohl bei seelischen Problemen als auch bei körperlichen Schwierigkeiten. So werden beispielsweise psychische Erkrankungen wie Ängste, Depressionen oder Traumafolgestörungen mit Hypnose mit guten Ergebnissen behandelt. Auch bei Schlafstörungen, Stress, Burnout, Raucherentwöhnung und Gewichtsreduktion greift man gern darauf zurück. Psychosomatische Beschwerden wie Reizdarmsyndrom, Migräne oder Bluthochdruck lassen sich ebenfalls deutlich verbessern. Und schließlich leistet Hypnose beachtliche Beiträge in der Mitbehandlung körperlicher Leiden wie Tinnitus und Hörsturz, Hauterkrankungen und Allergien, Wundheilung, in der Geburtshilfe, bei Immunerkrankungen und Schmerzsyndromen und ganz besonders auch im Rahmen der Krebsbehandlung (Revenstorf & Peter, 2009).

Die Unterstützung bei Tumorerkrankungen umfasst einerseits die seelische Seite, beispielsweise die Verminderung von Ängsten, die Entspannung oder den Aufbau von positiven Zukunftsbildern. Dazu gehört auch die Bewältigung von belastenden Untersuchungen oder die Stärkung der inneren Zuversicht. Andererseits können gezielte Hilfestellungen für den Körper gegeben werden, beispielsweise um die Wundheilung zu fördern, um die Nebenwirkungen von Chemotherapie oder Bestrahlung besser zu verkraften und die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Das bedeutet eindeutig eine Verbesserung der Lebensqualität.

2.1 Heilsame Vorstellungen

Ein Pionier auf dem Gebiet der heilsamen Vorstellungen war der amerikanische Arzt Carl Simonton. Er stützte sich auf die Erkenntnis, dass körperliche Vorgänge wie Blutdruckregelung, Muskelspannung, Schmerzempfinden oder Hautprobleme durch Vorstellungskraft beeinflusst werden können. So begann er ab 1971 mit seinen Krebspatienten gezielte innere Bilder, die Visualisierungen, zur Unterstützung zu erarbeiten. Dabei entspannten sich die Betreffenden zuerst und malten sich dann möglichst konkret aus, wie in ihrem Körper die Abwehrzellen des Immunsystems erfolgreich tätig werden und krankes Gewebe vernichten. In einer anderen Visualisierung konzentrierten sich die Betreffenden darauf, wie die Bestandteile der Chemotherapie die Krebszellen angriffen und unschädlich machten (Simonton, Simonton & Creighton, 2001).

Diese Vorgehensweise ist mit einer therapeutischen Hypnose durchaus vergleichbar. Inzwischen verwenden wir die hypnotische Trance allerdings weitergehender und vielfältiger, nämlich für die verschiedensten Problembereiche des Körpers bei Tumorerkrankungen wie OP-Vorbereitung, Wundheilung, Schmerzen, Hitzewallungen, sexuelle Beeinträchtigungen oder Lymphödeme. Der Ansatz von Simonton ist ein wichtiger Ausschnitt aus dem gesamten Spektrum der möglichen Hypnose- und Selbsthypnosetechniken. Heute benutzen wir nicht nur diese direkten Vorstellungsbilder über das körperliche Geschehen, sondern arbeiten gern mit Symbolen und Gleichnissen, den Metaphern. Gerade in der längerfristigen Hypnosebegleitung von Krebskranken bewährt sich dies besser; denn kaum ein Mensch möchte sich jahrelang immer wieder mit krankem Gewebe und Killerzellen beschäftigen. So ist es viel angenehmer und damit erfolgversprechender, die Selbstheilungskräfte zu stärken – und das sogar ohne direkt darüber zu reden.

Für die ganzheitliche Behandlung von Krebserkrankungen war die Arbeit mit Visualisierungen jedoch von bahnbrechender Bedeutung. In mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigte sich, dass auf diesem Wege das Wohlbefinden anstieg, und in manchen Krankheitsverläufen verlängerte sich die erwartete Überlebenszeit. Andere Autoren folgten diesem Ansatz und fanden häufig, wenn auch nicht in allen Untersuchungen, ähnliche Ergebnisse: Mit heilsamen Vorstellungen lebten die Kranken länger, und selbst wenn dies nicht möglich war, so verbesserte sich in jedem Fall ihre Lebensqualität erheblich (Siegel, 2011).

Auch die gezielte Forschung auf dem Gebiet der Hypnose allgemein belegte positive körperliche Auswirkungen. Tatsächlich ließ sich in den letzten Jahrzehnten beweisen, dass Hypnose auf körperlicher Ebene eindrucksvolle positive Veränderungen bewirken kann. Die Stresshormone wie Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin nehmen ab. Das Blutbild verbessert sich; die Anzahl der für die Immunabwehr so wichtigen Lymphozyten steigt an (Schmid, 2010).

Der Einsatz positiver und stärkender Vorstellungen in der therapeutischen Hypnose kann tatsächlich einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit leisten. Einerseits werden Körper und Seele direkt angesprochen und gestärkt. Andererseits bietet sich mit der Selbsthypnose die Möglichkeit, selbst etwas tun zu können und aktiv mitzuarbeiten. Und gerade dieses Gefühl, etwas selbst beitragen zu können, hat wiederum eine positive Auswirkung auf die Psyche und unterstützt damit indirekt auch das körperliche Vorankommen.

2.2 Trance und innere Wirklichkeit

So verschieden die Einsatzgebiete der Hypnose auch sein mögen, es geht stets um die positive Beeinflussung innerer Vorgänge mithilfe unserer Vorstellungskräfte. Die Bezeichnung Hypnose ist etwas irreführend. Das griechische Wort hypnos bedeutet Schlaf. Bei der Hypnose geht es jedoch nicht, wie lange geglaubt wurde, um Schlaf. Vielmehr ist es das Ziel, in einen Trancezustand zu gelangen, der irgendwo zwischen Wachsein und Schlaf liegt. In diesem Trancezustand werden Botschaften, die sogenannten Suggestionen, an unser Inneres, an das Unbewusste, gegeben, Anregungen zur Unterstützung und Stärkung.

In der Trance befinden wir uns in einer Art innerer Versenkung. Es ist ein Zustand, der auch als entspannte Wachheit oder wache Entspannung bezeichnet werden kann. Dabei sind die kritischen und kontrollierenden Einflüsse der Vernunft und des Bewusstseins gebremst. Die Aufmerksamkeit nach außen ist herabgesetzt. Stattdessen sind wir stark nach innen ausgerichtet und dabei gleichzeitig sehr konzentriert. Dann stehen die Abläufe des Unbewussten mit seinem unermesslichen Vorrat an Kreativität, Stärken, Erfahrungen und Lösungsmöglichkeiten im Mittelpunkt. Das Erleben verläuft weniger sachlich und rational, sondern stärker in Bildern und Symbolen, ähnlich wie im Traum oder wie wir es aus den Märchen unserer Kindheit kennen.

Während einer Trance entfalten sich in unserem Innern ganz unterschiedliche Eindrücke. Vielleicht stellen sich Phantasiebilder ein oder Melodien, vielleicht Stimmungen und Gefühle, vielleicht auch ein körperliches Spüren. Manchmal melden sich Erinnerungen. Oder es tauchen Glaubenssätze auf, innere Überzeugungen, die wir irgendwann im Laufe unseres Lebens aufgeschnappt haben oder die uns beigebracht wurden.

Unser Gehirn unterscheidet nur sehr begrenzt zwischen Wirklichkeit und Vorstellung. So ist die Erfahrung in der Hypnose eine Art innere Wahrheit, und damit wird sie eine hochwirksame Einflussgröße für Körper und Seele. Es ist fast so, als ob wir das Vorgestellte tatsächlich erlebt haben. Damit schaffen wir uns bei der therapeutisch genutzten Hypnose gute und stärkende neue positive Erfahrungen. Auf diese Weise beeinflussen wir uns in Richtung zunehmender Gesundheit. Es geht nicht darum, die Dinge schönzureden. Krebs ist eine schwere Krankheit, aber um Gesundheit zu fördern, brauchen wir gesunde Gedanken tief drinnen in unserem Unbewussten. Gefragt sind Vorstellungen und Bilder, die uns zeigen, wie wir die Anforderungen gut bewältigen.

2.3 Alltagstrance

Trance ist ein natürliches Ereignis und gehört offenbar zum Repertoire eines jeden Menschen. Viele Menschen sind nach ihrer ersten Hypnose etwas enttäuscht; denn dieser Zustand war gar nicht so besonders oder spektakulär, sondern fast schon etwas Altbekanntes. Tatsächlich befinden wir alle uns immer wieder einmal in einem solchen Trancezustand. Es ist ein Phänomen, das wir aus dem Alltag kennen: morgens früh beim Aufwachen oder abends beim Einschlafen, wenn wir irgendwo zwischen Schlafen und Wachsein sind. Oder wenn wir ganz vertieft in ein spannendes Buch versinken oder beim Tagträumen während eines langweiligen Vortrags oder in der Straßenbahn, bei eintönigen Tätigkeiten und manchmal sogar bei einer längeren Autofahrt, wenn wir plötzlich ganz erstaunt feststellen, wie weit wir schon gefahren sind. Einfach so und ganz von allein geraten wir in eine Art Versunkenheit, einen Wachtraum, und es tun sich Bilder und Gedanken auf, von denen wir vielleicht nicht einmal wussten, dass wir sie haben.

Manchmal verknüpfen sich in diesem Zustand Inhalte, die bisher nicht miteinander in Verbindung standen. Es entwickeln sich neue Ideen oder Gedanken. Wahrscheinlich entstehen viele Kunstwerke auf diesem Weg. Und es ergeben sich Lösungen und Antworten, ganz wie von selbst, für Fragen, die wir schon lange mit uns herumtragen. Nur manchmal – da führt uns unser Inneres auch auf Irrwege und produziert negative Bilder.

Eine solche Alltagstrance entsteht zufällig. Sie passiert einfach, ganz von allein. Es fehlt ihr das Planvolle, die Zielrichtung. Mit ihr offenbart sich eine universelle menschliche Fähigkeit, die prinzipiell jedem Menschen möglich ist. Aber es scheint unterschiedliche Begabungen auf diesem Gebiet zu geben. Manche Personen, die vielleicht sowieso stärker in der Phantasie leben, gelangen schneller und leichter in Trance. Die sachlichen und vernunftbetonten Vertreter haben es da etwas schwerer. Möglich ist dieser Weg jedoch für uns alle. Und er findet auch bei allen Menschen immer wieder statt.

2.4 Therapeutische Trance

Während sich die Alltagstrance ganz von allein und ohne besondere Steuerung vollzieht, geschieht die Trance in der therapeutischen Hypnose dagegen unter Anleitung, planvoll und systematisch. Hier nutzen wir diese menschliche Fähigkeit zielgerichtet, um Lösungen für Fragen und Probleme zu finden oder Ziele anzusteuern. Wir öffnen sozusagen mit Bedacht für bestimmte Themen die Türen zum Unbewussten und bitten es um Hilfe. Oder wir sprechen das Unbewusste direkt an, um es bei seiner Suche nach Lösungen zu unterstützen. Dann bieten wir ihm gut überlegte Inhalte an, um eine positive Entwicklung in Gang zu setzen.

Dazu geben Hypnosetherapeuten gezielte Vorschläge, die sogenannten Suggestionen. Diese Suggestionen können in Bildern erfolgen, in Symbolen oder Gleichnissen, den Metaphern, aber auch in Wortspielen und Sätzen. Die Person in Trance wird den Vorschlägen vielleicht folgen, sie übernehmen und weiter damit arbeiten – oder auch nicht. Wenn etwas nicht passt, werde ich es ablehnen, und es wird wirkungslos bleiben. Es kann nur das geschehen, womit ich selbst einverstanden bin. Nur das ist möglich, was ich mir vorstellen kann und mag. Alles andere wird überhört, ausgeblendet oder vernachlässigt.

2.5 Selbsthypnose

Die entscheidende Voraussetzung, um in Trance zu gelangen, ist die Fähigkeit und Bereitschaft eines Patienten, nicht die Raffinesse des Therapeuten, auch wenn es natürlich bessere und schlechtere Anleitungen geben mag. Therapeuten liefern nur einen Einstieg und den Rahmen. Aber diesen Rahmen können wir uns mit etwas Training natürlich auch selbst geben. Denn: Nur wenn ich die therapeutische Anleitung zu meiner eigenen mache, hilft sie mir auf dem Weg hinein in die Trance; nur dann funktioniert die Hypnose.

Der entscheidende Schritt geschieht also stets in uns selbst. Aus all den Vorschlägen gestaltet jeder Mensch in Trance seine eigene innere Bühne, seine spezielle Vorstellungswelt. Nur die Botschaften, die Suggestionen, die ich verstehe und die zu mir passen, werde ich als Trance-Inhalte aufgreifen und erleben. Dabei entwickeln sich meine ganz eigenen Ausgestaltungen, völlig persönlich und individuell. Sie werden niemals identisch sein mit dem Erleben und den inneren Bildern des Anleiters, aus denen heraus dieser mir Vorschläge unterbreitet. Im besten Fall gibt es eine gute Ähnlichkeit, und es passt. All das macht deutlich: Im Grunde genommen ist Hypnose immer auch Selbsthypnose. Und wenn wir das können, sollten wir diesen Ansatz mit seinen Möglichkeiten auch selbst gezielt nutzen lernen.

Selbsthypnose hat durchaus Vorteile. Ich verwende von Anfang an meine eigenen, ganz persönlichen Suggestionen, und die passen! Allerdings brauche ich dafür etwas Wissen und Übung. Schließlich will ich keine Fehler machen. Hinweise und Hilfestellungen finden sich in Büchern wie diesem, oder es besteht natürlich auch die Möglichkeit, sich an eine qualifizierte Fachkraft zu wenden und sich die Selbsthypnose beibringen zu lassen.

Ein weiterer Vorteil besteht in der Eigenkontrolle. Bei der Selbsthypnose habe ich selbst die Kontrolle über den Ablauf, ich bestimme, was geschieht. Das ist für viele Menschen äußerst wichtig, gerade für diejenigen, die sich vor Manipulation fürchten.

Außerdem macht mich Selbsthypnose natürlich unabhängiger und flexibler. Ich kann sie immer dann anwenden, wenn ich sie brauche, und muss nicht jedes Mal erst eine Therapiestunde buchen. Manchmal ergeben sich Situationen, in denen man schnell ein Hilfsmittel zur Hand haben möchte.

Andererseits, und das sind die Nachteile, muss ich mir bei der Selbsthypnose ganz genau überlegen, was hilfreich ist und was nicht. Ich bin auf meine eigenen guten und kreativen Einfälle angewiesen, und die sind leider begrenzt, insbesondere wenn es mir gerade nicht so gut geht. Zur Erleichterung und um Ihnen diese Arbeit abzunehmen, finden Sie weiter hinten in diesem Buch verschiedenste Anleitungstexte, die sich bewährt haben. Sie können in der vorliegenden Form übernommen werden, aber Sie dürfen den Wortlaut natürlich auch verändern und an Ihre Bedürfnisse anpassen.

Die Trance, die wir in der Selbsthypnose erreichen, ist oft nicht so tief wie bei einer angeleiteten Hypnose, und sie benutzt häufig eher einfache Vorstellungen. Das ist verständlich. Denn wenn ich noch unerfahren bin, arbeite ich sozusagen zweispurig: Ein Teil von mir befindet sich in Trance, während ein anderer Teil der Aufmerksamkeit mit Anleitung und Ablauf beschäftigt ist. Da ist es tröstlich zu wissen, dass eine sehr tiefe Trance oftmals gar nicht gebraucht wird. Und einfache, kurze prägnante Vorstellungsbilder haben den Vorzug, dass sie besonders einprägsam sind. Gerade das macht sie besonders wirksam.

2.6 Positive und negative Trance

Wenn die Trance zufällig erfolgt, können die Inhalte positiv oder negativ sein. Anders ausgedrückt: Sie können uns stärken oder schwächen. Je nachdem, was sich innerlich vor uns ausbreitet, entsteht gutes oder schlechtes Befinden. Da wir Alltagsmenschen meist nichts über derartige Vorgänge gelernt haben, fehlt uns hier leider das notwendige Wissen, um Einfluss nehmen zu können. Denn Trancezustände können wir lenken, wenn wir uns damit auskennen.

Unproblematisch ist es, wenn wir uns in einer positiven Alltagstrance befinden. Wenn wir vielleicht in einem Reisejournal blättern und uns angesichts dieser wunderschönen Fotos vom azurblauen Meer und dem weißen Strand bereits dorthin träumen und dabei schon den leisen warmen Windhauch auf der Haut zu spüren meinen – dann befinden wir uns zweifellos in einer positiven Trance. Das ist ein inneres Erleben, das uns aufbaut und guttut.

Allein dieses kleine Trance-Erlebnis, das wahrscheinlich nur ein paar Augenblicke dauert, verändert etwas in uns. Wir fühlen uns wohl, der Alltagsstress verfliegt. Wir haben gute Laune und empfinden vielleicht sogar ein kleines Glücksgefühl. Aber nicht nur auf seelischem Gebiet hat sich etwas getan, auch im Körper gibt es einen Wandel. Es tritt Entspannung ein; die Atmung wird ruhiger und tiefer, die Pulszahl sinkt, die Durchblutung verbessert sich, und sogar die Stresshormone im Blutbild werden nachweislich weniger. Diese Wirkungen sind bei so einer kleinen Phantasiereise vielleicht nur geringfügig, aber sie sind da, und sie lassen sich sogar messen. Man kann sich vorstellen, wie gut diese vielen kleinen Wirkungen sich bündeln, wenn wir oft und gezielt derartige positive Trancezustände herbeiführen. Und genau das ist eines der Ziele von Hypnose bei der Behandlung von Erkrankungen: die Verbesserung des Wohlbefindens.

Die therapeutische Trance zielt selbstverständlich stets auf positive und stärkende Inhalte. In der Alltagstrance jedoch kann auch das Gegenteil passieren. Gerade weil sie ja einfach so ganz von allein und ungesteuert eintritt, können sich leicht negative Bilder ausbreiten. Oft handelt es sich um Inhalte, die wir irgendwann im Lauf des Lebens aufgeschnappt und übernommen haben, ohne sie kritisch zu hinterfragen.

Denken wir beispielsweise an eine Patientin, die sich vor einer Kontrolluntersuchung in der Nachsorge bereits Tage vor dem Termin angstvoll ausmalt, wie sie ein schlechtes Ergebnis erfährt. All ihre Gedanken kreisen nur noch um die eine Frage „Was ist, wenn ...“, und sie meint im Körper schon bedrohliche Veränderungen zu spüren; sie sieht sich bereits auf dem Sterbebett und entwickelt immer mehr Panikgefühle. Das ist eindeutig eine negative Trance. Solch demoralisierende innere Bilder und Glaubenssätze vergrößern Angst und Anspannung. Der Stoffwechsel hat schwer daran zu tragen; Seele und Körper sind im Dauerstress – eine deutliche Bürde für die Gesundheit.

2.7 Problemtrance

Wenn es nicht gelingt, diese negative Trance aufzulösen, spricht man auch von einer Problemtrance. Dann ist das innere Erleben ganz und gar in dieser destruktiven Vorstellung gefangen, vergleichbar mit dem sprichwörtlichen Kaninchen, das auf die Schlange starrt. Hier hat Trance nichts mit Entspannung und Wohlbefinden zu tun – ganz im Gegenteil. Problemtrance bedeutet hochgradige Belastung für Seele und Körper.

An dieser Stelle wird deutlich, wie sehr sich die gezielte therapeutische Hypnose, sei sie angeleitet oder selbstgemacht, von der zufälligen Alltagstrance unterscheidet. Nur die wohlüberlegte Trance gewährleistet, dass belastende und zerstörerische Vorstellungen verändert und aufgelöst werden. Mit diesem Verfahren können gezielt negative Inhalte abgeschwächt werden, und positive Vorstellungen lassen sich verankern. Die Auflösung von Problemtrance ist eine grundlegende Aufgabe für die therapeutische Hypnose.

Bei der Patientin in unserem Beispiel ginge es darum, hilfreiche Suggestionen zu etablieren, die für Entspannung sorgen. Da wäre es beispielsweise gut, sich daran zu erinnern, wie viele Kontrolluntersuchungen sie bereits bewältigt hat und wie gut das Gefühl der anschließenden Sicherheit ist: „Es ist alles in Ordnung.“ In weiteren Vorstellungen könnte sie sich ausmalen, wie sie ruhig und gelassen die Untersuchung absolviert, vielleicht genauso ruhig, gelassen und routiniert wie eine halbjährliche Kontrolle beim Zahnarzt. Oder sie benutzt eine innere Traumreise an einen schönen Ort, um sich abzulenken und zu stärken.