LUDWIG THOMA

(1867 – 1921) ist für seine satirisch-realistischen Schilderungen des bayerischen Alltags und der dortigen Politik bekannt. Nach einem Studium der Rechtswissenschaft lässt er sich als Rechtsanwalt in Dachau nieder. Dort findet er täglich Inspiration für seine Satiren. In München, wohin er 1897 zieht, begegnen ihm die Eigenheiten der Münchener Stadtbewohner. Die nächsten Jahre werden turbulent: Reisen in Europa, unzählige Veröffentlichungen, Herausgeberschaft der Zeitschrift März (gemeinsam mit Hermann Hesse), eine nicht funktionierende Ehe, Gefängnisaufenthalt wegen eines Spottgedichts im Simplicissimus. 1915 wird er freiwillig Sanitäter im Ersten Weltkrieg. Ein dunkler Schatten liegt über seinen letzten Lebensmonaten: Bis zu seinem Tod durch Magenkrebs verfasst er anonyme, oftmals antisemitische Texte für den Miesbacher Anzeiger.

Zum Buch

Es gibt keinen Bayern, der nicht den grantelnden Engel Aloisius kennt. – Die Geschichte vom Müncher im Himmel ist fester Bestandteil bayerischen Kulturguts. In dieser und zahlreichen anderen Kurzgeschichten setzt sich der Autor Ludwig Thoma mit seinen oft unbequemen und eigensinnigen Landsleuten auseinander. Das geschieht manchmal liebenswürdig, immer jedoch mit einer gehörigen Portion Biss, Spott und Ironie.

Sei es der blasierte und naturgemäß beschränkte Jurist oder der grantelnde und stinkfaule Beamte, der gewitzte Hofbauer, der mal wieder Streit mit seinem Nachbarn hat, oder das starrköpfige »Weibsvolk«, das regelmäßig die Männer (und oft genug auch sich selbst) mit seinen ehrgeizigen Methoden zum Narren hält… Jeder bekommt hier sein Fett weg!

In diesem Band sind die schönsten und komischsten Erzählungen Thomas versammelt. Sie zeigen die Vielzahl an Themen in seinem Werk, seine Neigung zu Kritik und Satire und letztendlich auch seine Liebe zu seinem Heimatland Bayern.

Alois Hingerl, grantelnder Dienstmann auf dem Münchner Hauptbahnhof, wird vom Schlag getroffen, während er übereilt einen Auftrag erfüllen will. Nachdem ihn zwei Engel mit großen Mühen in den Himmel geschleppt haben, wird er dort von Petrus eingeführt – nebst eigener Wolke, auf der er zu frohlocken habe. Diese Pflicht passt dem ehemaligen Dienstmann gar nicht – genauso wenig, dass es im Himmel kein Bier zu geben scheint. Und auch mit den Engeln der Nachbarwolken läuft es nicht gut – der »Neue« aus München eckt immer wieder an und kann das Schimpfen und Fluchen selbst während des Frohlockens nicht lassen. Das bleibt auch Gott nicht verborgen. Kann es eine Zukunft für den Münchner im Himmel geben?

Ludwig Thoma

Der Münchner im Himmel

Ludwig Thoma

Der Münchner
im Himmel

Satiren und Humoresken

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© marixverlag in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2015
Covergestaltung: Kerstin Göhlich, Wiesbaden
Bildnachweis: Engel Aloisius, Detail Elisabethmarkt München, Graffito
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0537-7

www.verlagshaus-roemerweg.de

Sie waren zufrieden mit sich.
Ihr Wahlspruch war: Bauen, brauen, sauen
.

LION FEUCHTWANGER

INHALT

VON DEN SITTEN UND GEBRÄUCHEN DER BAYERN

Agricola (Frei nach Tacitus »Germania«)

Die Probier

Der Hofbauer

Die Sau

Unser guter, alter Herzog Karl

DER MÜNCHNER IM HIMMEL

Der Münchner im Himmel

Auf der Elektrischen

Die Ludwigstraße

Der Kohlenwagen

Der Postsekretär im Himmel

LAUSBUBENGESCHICHTEN

Der Kindlein

Der Meineid

Onkel Franz

In den Ferien

Der Krieg

DAS SCHÖNE GESCHLECHT

Eine psychologische Studie

Mucki

Amalie Mettenleitner

Als Referendar

Tja – –!

AUF REISEN

Auf dem Bahnsteig

Auf Reisen

Der Interviewer

Käsebiers Italienreise

DIE VOLKSVERBESSERER

Der Befähigungsnachweis

Der Einser

Die Volksverbesserer

Missionspredigt

Die unerbittliche Logik

Assessor Karlchen

ZU DIESEM BAND

VON DEN SITTEN UND
GEBRÄUCHEN DER BAYERN

AGRICOLA
FREI NACH TACITUS »GERMANIA«

Vor beinahe 1800 Jahren hat der berühmteste aller Geschichtsschreiber mit vielem Wohlwollen und ehrlicher Bewunderung unsere Vorfahren geschildert. Da es eine schöne und für die Nachwelt so wertvolle Aufgabe ist, situs gentium describere, Land und Leute zu beschreiben, so will ich versuchen, Sitten und Gebräuche der Nachkommen zu zeichnen. Aber nicht derer, welche untreu germanischer Sitte Städte bewohnen, sondern derer, welche ferne von ihnen die Felder bebauen. Daher auch der Titel der Schrift.

Die Ebene Germaniens vom Donaustrome bis zu den Alpen bewohnen die Bajuvaren. Ich halte sie für Ureinwohner dieses Landes, für »selbstgezügelte«, wie sie in ihrer Sprache sich heißen. Fremden Einwanderern ist es schwer, sich mit ihnen zu vermischen. Gewiß ist, daß sie nie mit den Autochthonen verwechselt werden können.

Da sich dieses germanische Volk nicht durch Eheverbindungen mit fremden Nationen vermischt, bildet es einen eigenen, sich selbst gleichen Stamm. Daher auch der nämliche Körperbau bei dieser zahlreichen Menschenmasse, dieselben ungewöhnlich ausgebildeten Hände und Füße, dieselbe harte, widerstandsfähige Kopfbildung. Wie die Vorfahren, sind sie zu stürmischem Angriff tauglich und gerne bereit. Für Strapazen und Mühseligkeiten haben sie große Ausdauer, nur Durst können sie nicht ertragen.

Das Land ist verschieden gestaltet. Wälder wechseln mit Getreidefeldern, Höhenzüge mit großen Ebenen. In der Nähe der größten Ansiedlung erstreckt sich ein großes Moos; hier hat sich der Stamm am reinsten erhalten.

Die Bajuvaren haben viel Getreide und Vieh; doch herrscht über den Wert dieser Dinge jetzt großer Streit. Das Geld haben sie schätzen gelernt. Sie lieben nicht nur die alten, längst bekannten Sorten, sondern auch sämtliche neue. Das Hausgerät ist einfach. Besonders an den Gefäßen schätzen sie den Umfang höher als kunstfertige Arbeit.

Waffen. Kriegswesen. Waffen hat dieses Volk vielerlei; doch wird auch hierin mehr auf Tauglichkeit als Schönheit gesehen. Sehr verbreitet ist die kurze Stoßwaffe, welche jeder Mannbare in einer Falte der Kleidung trägt; ihr Gebrauch ist aber nicht freigegeben, vielmehr sucht die herrschende Obrigkeit in den Besitz derselben zu gelangen. In diesem Falle ersetzt sie der Volksgenosse stets durch eine neue.

Als Wurfgeschoß dient ein irdener Krug mit Henkel, der ihn auch zum Hiebe tauglich erscheinen läßt. An ihren Zusammenkunftsorten sucht bei ausbrechendem Kampfe jeder möglichst viele dieser Gefäße zu ergreifen und schleudert sie dann ungemein weit. Die meisten Bajuvaren führen eine Art Speer oder in ihrer Sprache Heimtreiber aus dem heimischen Haselnußholze, ohne Spitze, biegsam und für den Gebrauch sehr handlich. Wo diese Waffen fehlen, sucht jeder solche, die ihm der Zufall bietet. Ja, es werden zu diesem Zwecke sogar die Hausgeräte, wie Tische und Bänke, ihrer Stützen beraubt. Beliebt sind auch die Bestandteile der Gartenumfriedung. Vor dem Beginn des Kampfes wird der Schlachtgesang erhoben. Es ist nicht, als ob Menschenkehlen, sondern der Kriegsgeist also sänge. Sie suchen hauptsächlich wilde Töne zu erzielen und schließen die Augen, als ob sie dadurch den Schall verstärken könnten. Sie kämpfen ohne überlegten Schlachtenplan; jeder an dem Platze, welchen er einnimmt. Der Schilde bedienen sie sich nicht. Als natürlicher Schutz gilt das Haupt, welches dem Angriff des Feindes widersteht und den übrigen Körper schirmt. Manche bedienen sich desselben sogar zum Angriff, wenn die übrigen Waffen versagen.

Der vornehmste Sporn zur Tapferkeit ist häufig die Anwesenheit der Familien und Sippschaften. Diese weilen in nächster Nähe ihrer Teuern und feuern sie mit ermunterndem Zuruf an. Die Schlacht beendet meist der Besitzer des Kampfplatzes, der hierzu eine auserlesene Schar befehligt.

Lebensweise im Frieden. Wenn sie nicht in den Krieg ziehen, kommen sie zu geselligen Trinkgelagen zusammen. Auch hier pflegen sie des Gesanges, der sich aber von dem Schlachtgeschrei wenig unterscheidet. Tag und Nacht durchzuzechen, gilt keinem als Schande. Versöhnung von Feinden, Abschluß von Eheverbindungen, der beliebte Tauschhandel mit Vieh und sogar die Wahl der Häuptlinge wird meist beim Becher beraten. Selten spricht einer allein, häufig alle zusammen.

Jeder legt ohne Rückhalt seine Meinung dar und hält daran fest. Bei Verschiedenheit der Meinung obsiegt der mächtige Schall der Stimme, nicht die Kraft der Gründe. Am meisten liebt dieses einfache Volk die unbefangenen Scherze. Auch den anderen ist es nicht abgeneigt.

Der männlichen Jugend gilt als das höchste Fest die Wehrhaftmachung. Diese findet in den größeren Ansiedlungen statt, wo die Jünglinge in die Liste der Krieger eingetragen werden. Zu diesem Feste schmückt jeder die Kopfbedeckung mit wildem Gefieder. Die Gefolgschaft eines jeden Dorfes zieht dann mit furchterregendem Geschrei in die Stadt ein. Eine eigenartige Musik begleitet sie. Das Fest endet mit größeren Kämpfen. Denn ein stilles Leben liebt diese Nation nicht. Das Getränk der Bajuvaren ist ein brauner Saft aus Gerste und Hopfen. Häufig beklagen sie den schlechten Geschmack, niemals enthalten sie sich des Genusses. Ihre Kost ist einfach. Aus Mehl zubereitete Speisen nehmen sie in runder Form zu sich; die geringe Nährkraft ersetzen sie durch die große Menge. An einigen Tagen des Jahres essen sie geräuchertes Fleisch von Schweinen und beweisen hierbei geringe Mäßigkeit.

Prunkvolle Kleider tragen sie nicht. Auch sehen sie nicht darauf, daß diese die Formen schöner erscheinen lassen. Das Oberkleid des Mannes ist kurz und mit Münzen geziert. Das Unterkleid dagegen ist sehr lang, eng anliegend und reicht bis an die Mitte der Brust. Meist ist es aus Leder gefertigt, schützt gegen Hitze und Kälte und ist dem Luftzuge unzugänglich. Das Kleid des Weibes besteht in übereinandergelegten Säcken und läßt über die Schönheit der Körperbildung im unklaren. So wenig wie auf die äußere Schmückung legt dieses Volk auf die sonstige Pflege des Körpers übergroßes Gewicht. Bäder werden als weichlich verachtet. Die Seife ist selten. Der Gebrauch der Zahnbürste ist unbekannt.

Das Weib. Unähnlich hierin den Vorfahren, achtet dieses Volk den Rat derWeiber nicht und glaubt nicht an deren göttliches Wesen. Ihren Aussprüchen horchen sie nur ungern. Doch fehlt nicht alle Verehrung des Weibes. Zu den geselligen Zusammenkünften haben die Weiber Zutritt; ja sie dürfen sogar mit den Männern aus einem Gefäß trinken. In dieser Gastfreundschaft herrscht eifriger Wettstreit. Auch tanzen die Jünglinge, welchen dies eine Lustbarkeit ist, mit ihnen umher. Bei dieser Übung beweisen sie mehr Fertigkeit als Anmut.

Eigentümlich ist die Art, wie sie sich zum Tanze paaren, sie beweist die Oberherrschaft des Mannes. Der Jüngling, welcher eine Stammesjungfrau gewählt hat, stößt einen grellen Pfiff aus und winkt ihr befehlend mit der Hand. Häufig hört man auch bei diesen Lustbarkeiten plötzlich den Kriegsruf ertönen. Den Weibern gilt es als ehrenvoll, wenn um ihretwillen der Kampf entbrennt. So ist auch die Werbung um sie oft mit Gefahren verknüpft. Haß der anderen, nächtlicher Überfall und Heimscheitelung bedrohen den Jüngling, welcher einer Volksgenossin zuliebe die Gehöfte aufsucht und Mauern erklettert. Das ist’s, was ich im allgemeinen von dieses Germanenvolkes Sitten erfahren habe.

DIE PROBIER

Ursula Reischl steht auf dem Hausanger hinter dem Hofe und tut Mist breiten. Es ist ein schöner Herbsttag, und die Nachmittagssonne brennt so heiß herunter, daß die Ursula oftmals die Arbeit aussetzt und ein bissel Umschau hält, um zu rasten. Sie wischt sich mit dem Ärmel die Schweißtropfen von der Stirne und fährt mit der Hand ein paarmal unter der Nase auf und ab. Dann nimmt sie wieder eine Gabel voll Mist und schüttelt ihn bedächtig auf den Anger.

Mit einemmal tönt ein schriller Pfiff vom Hofe herüber, und dann noch einer.

Die Urschel schaut um und sieht, daß ihr der Vater winkt. Sie stößt die Mistgabel in den Boden und geht bedächtig auf das Haus zu. »Wos geit’s?« fragt sie, als sie näher gekommen ist.

»Der Brandlbauer ist do mit sei’n Nazi und schaut’s Sach o. Mach, daß d’ in d’ Stuben neikimmst.«

»Is scho recht«, sagt die Urschel und geht mit dem Vater in das Haus. Vor der Küchentür bleibt sie stehen und schlieft mit den bloßen Füßen in ein Paar Pantoffeln. Dann tritt sie hinter dem Bauern in die Stube und schaut bolzengerade, aber doch ein bissel schüchtern auf die fremden Leute.

Am Tisch sitzt der Brandlbauer; ein stämmiger Alter mit grauen Haaren und glattrasiertem, braunrotem Gesicht.

Neben ihm sein Nazi im Feiertagsgewande. Lustige, kleine Augen, Stumpfnase, großer Mund, hinter dem eine Reihe gesunder Zähne heraussieht. In den gut entwickelten Ohrwascheln trägt er Sterne aus Goldblech.

Die Brandlbäuerin sitzt neben der Reischlin auf der Ofenbank. Man sieht nicht viel von ihren Zügen, weil sie durch das große schwarze Kopftüchel verhüllt sind. Auf dem Schoße hält sie den bei Besuchen unerläßlichen Handkorb und darübergebreitet einen blauen Schal.

»Da is d’ Urschel«, sagte der Reischlbauer. »S’ Good«, ruft der Nazi, und der Brandlbauer sagt: »Jetzt geh mi in Stall naus«, damit steht er auf, und die Gesellschaft setzt sich in Bewegung zur Haustür hinaus über den Hof.

Im Pferdestall, der sehr reinlich gehalten ist, sieht der Brandlbauer mit Wohlgefallen das hohe Gewölbe und die fetten Hinterteile der strammen Gäule.

»Achti?« fragt er.

»Ja«, sagte der Reischl, »und oaner is im Feld d’außt.«

»San neuni«, meint der Brandl und streicht dem nächststehenden Gaul mit der Hand bedächtig über den Rücken.

»l hab allaweil Glück g’habt im Stall«, fährt der Reischl fort; »is guetta fünf Johr, daß mi koaner mehr verreckt is. No, ’s Fuatta is guat; an Habern bau i selm.«

»Baust selm?« fragte der Brandl und schaut dem Rotschimmel prüfend in das Maul.

Währenddem führen auch die zwei Bäuerinnen ein eifriges Gespräch unter der Stalltüre.

»Und mit die Antten (Enten) is mi gor net viel aufgricht«, meint die Reischlin;«erst gesting hon i zu der Brummerin g’sagt, Brummerin, sag i, wann mi denkt, was mi an a so an Anten hifuattert, hab i g’sagt nacha is leicht g’schaugt, sag i. Des muaß, ma net moan, hab i g’sagt, daß da Profit so groß is, sag i …«

»Do hoscht recht Reischlin, aba do is mi an Anten no, liaba, wia so a Henn’ …«

Die Brandlbäuerin wird durch ihren Ehemann unterbrochen, welcher mit seinem Nazi und dem Reischl unter die Tür tritt und sagt: Jetzt schau mi an Kuahstall o.«

Sie gehen darauf zu.

Der Nazi dreht hie und da den Kopf nach der Ursula um, welche mit der Mitterdirn hinterdrein geht.

So oft er umschaut, rennt die Ursula ihrer Begleiterin den Ellenbogen in die Hüfte, und alle zwei halten die Hände vor die Mäuler, damit man nicht hören soll, wie sie gar so herzhaft lachen müssen.

Im Kuhstall kommen auch die Weiber zum Reden. Die Reischlin gibt die Vorzüge einer jeden Kuh bekannt; sie erzählt, wieviel Milch eine jede gibt, und ob sie zwei- oder dreistrichig ist.«Die Scheck sell doben is mi de allaliaba, Brandlin. I hab scho oft zum Bauern g’sagt Bauer, sag i, die Scheck is mi de liabeste. Wann i anort nei geh dazua zum Melken, hebt sie si so staad. Da braucht’s gar nix, sag i. A so a rechtschaffen’s Vieh is, hab i g’sagt, daß ’s grad a Freud is, sag’ i …«

Der Stall ist eingehend besichtigt, und der Brandlbauer hat dem letzten Ochsen den Schweif aufgehoben und seine Qualitäten gemustert.«Reischl«, sagt er jetzt,«mi g’fallt de Sach. Und indem mei Peter an Hof kriagt und der Nazi heiraten will, halt i für eahm um die Ursula o.«

»Mi is recht«, erwiderte der Reischl,«und wenn mi aushandeln, übergib i an Hof.«

Die Ehe ist ein Vertrag, wie ein anderer auch. Soll er richtig werden, dann müssen die Leute wissen, wie sie daran sind. Deswegen muß man sich vorher alles genau anschauen, damit man nicht hinterher ausgeschmiert ist. Vorsicht ist besser wie Nachsicht, und für die Reu’ gibt der Jud nichts. Ich wüßte noch viele Sprichwörter, um das zu entschuldigen, was ich jetzt beschreiben möchte, aber nicht sagen darf.

Kurz und gut, der Nazi ist der Meinung, daß man keine Katz’ nicht im Sack kauft, und während die Eltern die Übergabe des Hofes besprechen müssen, hat er eine andere Prüfung vor, die nicht weniger wichtig ist.

Es wird kein Wort darüber verloren.

Das ist einmal so Brauch. Die Eltern haben nichts dagegen, und die Ursula auch nicht. Die tut wohl ein bisserl geschämig und schaut recht spaßig aus ihrem Kopftuch heraus. Dann aber fährt sie sich ein paarmal mit dem Rücken der Hand unter der Nase auf und ab, und geht, ohne daß es ein Zureden gebraucht hätte, langsam die Stiege hinauf, den Gang hinter, in die Menscherkammer.

Der Nazi marschiert tapfer hinterdrein; sie läßt die Türe offen, er lehnt sie zu, und das andere ist nicht mehr recht zum Erzählen.

Wir müssen die Zwei schon allein lassen und wieder zu den Alten hinuntergehen, die in der Stube eifrig verhandeln. Die Bäuerinnen sitzen auf der Ofenbank und horchen zu, wie die Mannsbilder den Austrag besprechen und das Abstandsgeld.

Nur hie und da redet die Reischlin ein Wort mit wenn ihre besonderen Interessen in Frage kommen.« Fufzeh Henna muaß i b’halten derfa, und acht Anten und vier Gäns …«

»Zu wos brauchst denn gor so vüll Henna?«

»Zu wos mi de Henna braucht? De braucht mi scho. Ich möcht Oar handlen, daß mi a weng a Geld in d’ Hand krigat. Bald braucht mi des, und bald braucht mi des ander. I mog net, daß mi geht wie der Huaberin. Reischlin, hat s’ g’sagt, balst amol übergibst, sagt s, nacha nimmst da was G’scheits aus, hat s’g’sagt. I bin aa so dumm g’wen, sagt s’, und hob nachgeben, hat s’ g’sagt, und jetzt kon i wegen an jeden Oar zu der Bäurin laff a, sagt s’, und muaß no recht schö bitten aa, hat s’ g’sagt. Und des mog mi gor net …«

»No, no, Reischlin, wegen de Henna z’tragen mir uns net. Also, Reischl, nacha kriagt’s ös fufzehtausad March Abstandsgeld …«

»Ja, aba de Taub’n muaß i aa kriag’n«, fällt ihm die Reischlin ins Wort;« an Taubenkobel muaß i aa hamm daß mi im Fruhjohr mit die junga Tauben handeln ko. Des gibt’s gor it, daß i de Taub’n herlaß …«

»No, vo mir aus«, brummt der Brandlbauer,«also ös kriagts drei Zimmer zu da Wohnung, an Austrag, wia ma’s g’sagt hamm, und fufzehtausend March Guatsabstand …«

»Ja, und acht Anten und vier Gäns; des sell gibt’s gor it.«

»Jessas ja, du kriagst deine Anten scho. Also sechstausad March zahl i bei da Hozet, fünftausad auf Liachtmeß und viertausad auf Micheli’s nächst Johr. Is a so recht?«

»Mi is recht«, sagt der Reischl.

»Nacha mach ma’s moring notarisch. Ös kembts um achti in da Fruah auf Dachau zum Ziaglerbräu. Bal i no net do bin, fragt an Bräumoaster Engart, der woaß nacha, wo i bi.«

Im Rahmen der Türe erscheint in diesem Augenblick der Nazi. Und hinter ihm die Ursula.

Er schlenkert ruhig in die Mitte der Stube vor und dreht den Hut in den Händen; sie macht sich zu der Ofenbank hin und zupft an ihrem Kopftüchel.

Ihre Ankunft erregt kein Aufsehen.

Der Brandlbauer erklärt seinem Stammhalter, daß man sich herunten geeinigt hätte.

Da zieht der Nazi seinen Geldbeutel, nimmt bedächtig einen Silbertaler heraus und gibt ihn der Ursula als Drangeld, zum Zeichen, daß auch oben alles in Ordnung befunden worden sei, und daß nunmehr der Vertrag als richtig und fertig gelte.

»So, und jetzt pfüat enk«, sagt der Brandl und geht mit seinen Leuten zum Hofe hinaus.

Sie drehen sich nicht um, und die andern schauen ihnen nicht nach.

Die Ursula schlieft wieder aus ihren Pantoffeln und geht auf den Anger. Sie zieht die Mistgabel aus dem Grasboden und fängt gemächlich die Arbeit an, wo sie aufgehört hat.

Währenddem ist der Brandl zügig dahingegangen; wie sein Weib einmal neben ihm herstapft, stoßt er sie an und sagt: »Hast as g’sehg’n, Bäurin, de oa Sau is guat trachti? Mi müassen schaug’n, daß d’ Hozet bald is, sinscht vokaft da Reischl no g’schwind de kloan Fakkeln.«

DER HOFBAUER

»Wenn Sie ein beliebter Anwalt werden wollen, so müssen Sie vor allem bestrebt sein, aus den umständlichen Erzählungen der kleinen Leute das Wesentliche herauszufinden; dies werden Sie am besten durch ruhiges Zuhören erreichen. Als Gewissensrat müssen Sie es hinnehmen, wenn Ihnen jemand sein ganzes Herz ausschüttet. Ungeduld würde nur schaden, und Sie werden diese auch nicht aufkommen lassen, wenn Sie daran denken, welch hohes Vertrauen Ihnen jeder entgegenbringt, der Ihren Rat als Richtschnur für eine wichtige Handlung erhalten will … ich habe nie begriffen, wie ein Anwalt es über sich bringen kann, grob zu sein.« …

Diese schönen Grundsätze stehen in dem Briefe meines Freundes, der es nicht unterlassen kann, mir gute Lehren zu geben.

Sehr gut gesagt, mein Bester! Wollen wir weiterlesen.

» … Der Beruf des Anwaltes hat noch etwas an sich von dem edlen Verhältnisse des römischen Patronus zum hilfsbedürftigen Klienten …«

In diesem Augenblick haut jemand mit dem Stecken an meine Gangtüre und poltert mit den Stiefeln dagegen. Die Haushälterin kennt sich gleich aus; das ist wieder einer aus der Moosgegend, wo sie die elektrischen Klingeln noch nicht kennen.

Sie öffnet also. Ein paar unartikulierte Laute, dann erscheint im Türrahmen ein Bauer, der aussieht wie alle, und nach feuchtem Leder riecht, ebenfalls wie alle. Zuerst wickelt er sich vom Halse ein drei Meter langes wollenes Tuch, legt es auf ein paar frisch beschriebene Bogen Papier, sucht für seinen Gehstock eine passende Zimmerecke und entfernt dann von seinem Hut allen Schnee, welcher darauflag, indem er ihn heftig gegen meinen Schreibtisch hin schwingt.

»’S’Good, Herr Dokta! Ich hätt’ a Frag.«

»So? Setzen Sie sich nieder und sagen’s mir einmal zuerst, wer Sie sind.«

»Ja, der Hofbauer waar i.«

»Waren Sie! Und wer sind’s denn jetzt?«

»Ja, i war’s no.«

»Aha, Sie sind’s noch?!«

Nach einigem Frage- und Antwortspiel sind wir so weit, daß ich weiß: er heißt Pius Reidel, ist der Hofbauer in Zeidlfing, verheiratet und katholisch.

»So, Hofbauer, was für einen Schmerz haben wir denn?«

Ja, indem daß er wegen Körperverletzung angeklagt ist, unschuldig und von lauter meineidigen Zeugen.

»Hm. Sind’s schon einmal bestraft worden?«

»Naa! … dös hoaßt, bloß dreimal, aber auch unschuldig … Wie’s halt oft geht; die Leut’ sind schon einmal so schlecht heutzutag.«

»Hm! Hm! Nun erzählen’s mir einmal kurz, was Ihnen passiert ist.«

Kurz! Ja freilich! Das geht nicht so geschwind.

Das geht alles der Reihe nach, Ordnung muß sein, und für was is denn der Advokat da?

Und so fängt er denn an. Wie er in der Früh aufgestanden ist und an nichts gedacht hat; wie er dann schön langsam zum Wirt hinuntergegangen ist; wer ihm begegnet ist, und was sie geredet haben; wer beim Wirt schon da war, und wie er eine Maß getrunken hat, und dann noch eine und hernach wieder eine. Und wie er immer noch an nichts gedacht hat. Daß dann am anderen Tische der Pfeifergütler von Huglfing gesessen ist, der miserabelste Mensch, seitdem das Schlechtsein erfunden worden ist. Mit dem er schon vor fünf Jahren einen Prozeß gehabt hat; wissen’s, wegen dem Kirchenweg, der eigentlich kein Kirchenweg gar nicht war, weil er über seinen Grund geführt hat.

Jetzt kommt der alte Prozeß in die Erzählung.

»Hofbauer, geht es gar nicht ein bissel kürzer?«

»Naa! I muaß ’s Eahna g’nau verzählen, damit’s Eahna auskennan …«

Also hü! Ja, der alte Prozeß, und wie er ihn verloren hat durch den Meineid vom Pfeifer. Wie er ihm das am kritischen Tage hernach hingerieben hat und wie sie in das Streiten gekommen sind.

Dann ist der Pfeifer aufgestanden und hat gesagt: Hofbauer, hat er gesagt, jetzt kann ich nimmer anders, und dabei hat er ihm zwei auf den rechten Backen hingehauen.

»So hat er’s gemacht – die Erzählung bringt der Hofbauer jetzt hochdeutsch und sehr dramatisch – so hat er’s gemacht.’«

Er wischt sich mit der Hand über das Gesicht um mir eine Watschen recht zu veranschaulichen.

Und dann hat ihm der Pfeifer links zwei hingehauen – so …

Und dann hat er ihm unter das Kinn dreimal gestoßen – der Hofbauer macht es so deutlich, daß ihm die Zähne klappern – ja, und dann hat er ihn bei den Haaren genommen und hat ihm den Kopf an die Tür hingedruckt und ist auf- und abgefahren damit, nämlich mit dem Kopf …

»Ah? Merkwürdig! Und das hat sich der Hofbauer alles ruhig gefallen lassen?«

»Freilich! Was willst denn machen mit solchene wüste Leut?«

»Dann möcht’ ich aber doch schon wissen, Hofbauer, warum Sie wegen Körperverletzung angeklagt worden sind? Da sollten Sie doch eher eine Extrabelohnung kriegen wegen Ihrer Friedfertigkeit?«

Ja, das ist aber die Schlechtigkeit! Der Pfeifer behaupt’ jetzt, daß ihm der Hofbauer einen Maßkrug am Schädel zerschlagen hat, und hat drei elendige Lumpen gefunden, die es beschwören wollen. Es ist kein Wort davon wahr; er hat bloß einen Maßkrug in der Hand gehabt, der ist aber von selber zerbrochen; es wird schon wer daran hingekommen sein.

Der Hofbauer kennt vier Leute, die bestätigen werden, daß sie nichts gesehen haben …

Ich glaubte nun annehmen zu dürfen, daß er mit seiner Erzählung fertig sei, und erkläre ihm, daß ich ihn verteidigen wolle. Allein, er geht noch nicht. Jedesmal, wenn ich Abschied nehmen will und sage: Also, ist schon recht, Hofbauer, jetzt sind wir fertig, oder, b’hüt Gott, Hofbauer, schauen’s, daß’s gut heimkommen, fangt er wieder an: Ja, »Esel verdächtiger«, hat der Pfeifer gesagt, und »Du ganz schlechter Kerl«, und dann hat er gesagt: Hofbauer, hat er gesagt, jetzt kann ich nimmer anders und hat ihm zwei hingehauen. Zwei auf den rechten Backen und zwei auf den linken. Ob das in Bayern erlaubt ist? …

Ich bekomme allmählich das Gefühl, als ob mir einer die Haare einzeln ausrisse oder Zähne ausziehe.