© 2019 Eckard Wulfmeyer
Pfoten-Pfad
Eckard Wulfmeyer
Medemstade 64
21775 Ihlienworth
Mail: info@pfoten-pfad.de
www.pfoten-pfad.de
Alle Fotos, wenn nicht anders gekennzeichnet, von: Eckard Wulfmeyer
Foto Seite 29: Lisa Pannenberg
Foto Seite 45: Sarah Wulfmeyer
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9 783749 400478
Danke an all die fleißigen Helfer und Unterstützer,
die ihren Beitrag geleistet haben, für dieses Buch.
Reinhold Pannenberg und Angelika Gieck für das Lektorat und Korrektur.
Sarah Wulfmeyer für das Layout und das Titelbild.
Eva, Kirsten, Lisa, Malte, Sylvia und Susanne für das Probelesen.
All den Männern, die uns in den letzten Jahren begegnet sind und diese
Begegnungen auf dem Pfoten-Pfad im Grunde geschrieben haben.
Ihlienworth im März 2019
Eckard Wulfmeyer
Mein Name ist Eckard Wulfmeyer und ich bin Mentalcoach, nicht nur für Menschen mit Hunden. Ein Hundetrainer bin ich nicht, wie gerne angenommen wird, weil ich Ausbildung durch Beziehung ersetze.
Unter den Menschen, die Woche für Woche aus dem ganzen Bundesgebiet zu uns kommen, findet sich ein Querschnitt unserer Gesellschaft. Und damit auch Männer. In den meisten Hundeschulen ist es eher so, dass die Männer eine kleine Minderheit der Teilnehmer stellen. Die Männerquote beträgt 10 bis 15%. Bei uns auf dem Pfoten-Pfad ist das etwas anders, der Anteil der Männer ist höher, er beträgt 32%. In Foren und Treffen von Hundeschulleitungen spricht man immer wieder über die Frage, warum weniger Männer mit ihrem Hund zur Hundeschule gehen. Eine klare, eindeutige Antwort gibt es dazu nicht. Es ist eine Kombination aus vielen Gründen. Einer der wesentlichen Gründe ist sicherlich, dass viele Männer - nicht alle - denken, sie brauchen keine Hilfe. In ihren Augen zeigen sie damit Schwäche. Und da der Unterricht in vielen Hundeschulen von Frauen geführt wird und Männer sich nicht so gerne etwas von Frauen sagen lassen, haben wir einen weiteren Grund. Interessanterweise gibt es ebenso eine Reihe von Frauen, die sich lieber etwas von einem Mann sagen und erklären lassen.
Es gibt noch viele weitere Gründe, warum Männer nicht gerne in Hundeschulen gehen. Beim genauen Lesen findest du einige in diesem Buch.
Warum habe ich dieses Buch geschrieben, in dem es um Männer und ihre Hunde geht? Wenn du dich umschaust, sind die meisten Bücher über Hunde gezielt für Frauen geschrieben. Die Art der Ansprache, die Auswahl der Bilder und vieles mehr weist auf die große hundeschulrelevante Zielgruppe der Frauen hin, speziell Frauen im Alter zwischen 40 und 60. Nur die wenigsten Bücher sind so geschrieben, dass sie sowohl Männer als auch Frauen ansprechen, so wie dieses Buch.
Gibt es ihn wirklich, diesen Unterschied zwischen Männern und Frauen? Nach meiner Erfahrung als Coach gibt es ihn und zwar in der Ansprache. Ich muss Männer anders ansprechen und auf eine andere Art und Weise dazu bringen, mitzumachen, mir zu folgen, damit sie sehen, wie sich die eigenen Veränderungen sofort auf das Verhalten des Hundes auswirken. Dieser Unterschied zwischen Männern und Frauen ist im Grunde genommen ganz einfach zu beschreiben. Stell dir vor, eine Gruppe von Frauen hat einen Ball. Sie stehen zusammen und werfen den Ball in die Höhe. Was werden die Frauen nun zueinander sagen? „Schau mal, ich kann den Ball genau so hoch werfen wie du.“ Und nun stelle dir die gleiche Situation vor mit einer Gruppe von Männern. Diese Gruppe steht zusammen, und sie hat einen Ball. Sie werfen den Ball in die Höhe. Was werden die Männer in so einer Situation sagen? „Schau mal, ich kann den Ball höher werfen als du.“ Während Frauen in der Regel gerne nach dem Motto verfahren: wir sind alle toll, wir haben uns alle lieb, wir sind eine tolle Gemeinschaft, wir sind harmonisch, ist es bei Männern eher der Wettbewerb, der vorherrscht: Ich bin besser als du. Ich teste beim Kennenlernen durch gezielte Fragen oder auch Aussagen, ob der Mann auf diesen Wettbewerb reagiert. Meine Erfahrung zeigt bislang, dass die allermeisten Männer darauf sofort anspringen. Dies mache ich mir dann in den kommenden Stunden der Zusammenarbeit zunutze. Der von mir initiierte subtile Wettbewerb spornt den Ehrgeiz an, und ich kann den Mann auf seine eigene spezielle Art und Weise in seiner Entwicklung immer ein Stückchen weiter und weiter bringen. In den meisten Fällen bemerkt er das nicht einmal, sondern freut sich am Ende des Seminares über das Ergebnis. Wie ich bei Frauen vorgehe? Das gehört nicht hierher. Dies ist ein Buch über Männer!
Vor wenigen Wochen habe ich meinen 50. Geburtstag gefeiert. Wobei „gefeiert“ nicht das richtige Wort ist - „verbracht“ wäre treffender, denn ich mag keine Geburtstage, weder meine noch die von anderen. Und schon vor Jahren habe ich mir geschworen, dass mich nach meiner Brenda nur noch ein großer Hund ein Stück auf meinem Lebensweg begleiten wird. Danach werden mich nur noch kleine Hunde begleiten. Mir ist bewusst, dass meine körperliche Verfassung mit fortschreitendem Alter nicht besser wird, meine körperlichen Kräfte und meine Willensstärke nur geringer, meine Reaktionsfähigkeit langsamer, meine Beweglichkeit, körperlich und geistig, eingeschränkter sein wird. Und ich weiß, dass man einen kleinen Hund im Zweifel oder auch zur Not einfach mal durch Stehenbleiben und das Festhalten der Leine kontrollieren kann, wenn es mir gerade an diesen Fähigkeiten mangelt. Mit einem großen Hund geht das nicht.
Es klingelt
„Hallo, hier ist Eckard vom Pfoten-Pfad.“
„Hallo, hier ist Johann!“ An der Stimme kann man hören, dass es sich um einen älteren Menschen handelt.
„Hallo Johann, was kann ich für dich tun?“
„Ich habe einen Husky, ich hatte schon immer Huskys, das ist jetzt der fünfte.“
„Das ist schön, ich mag Huskys. Ich fahre öfters auf einem Wagen mit, der von einem Husky-Gespann gezogen wird.“
kurze Pause
„Mein Husky zieht auch.“
„Wenn sie ein Geschirr anhaben, dann sollen sie das ja auch tun, Johann, aber ich nehme an, du meinst, dass dein Husky an der Leine zieht?“
kurze Pause
„Ich habe die gerettet.“
„Aus Südeuropa?“
„Nein, aus einem Nachbarort, aus einer Familie heraus. Die hatten Kinder.“
kurze Pause
„Was ist daran schlimm?“
„Da kam der Hund immer nur in den Garten!“
„Das ist nicht schön, ich hoffe, das ist jetzt anders - aber wie kann ich dir helfen?”
„Ich bin mit dem Hund schon dreimal gefallen!“
„Du meinst also, dass dein Hund sehr an der Leine zieht, und du möchtest, dass er das in Zukunft nicht mehr macht?“
„Wir gehen jeden Tag zweimal eine halbe Stunde.“
„Wie alt oder wie jung ist denn der Hund?“
„Der ist jetzt ein Jahr und vier Monate.“
„Fährst du auch mal mit dem Fahrrad?“
„Ich bin 75, ich kann kein Fahrrad mehr fahren.“
„Das heißt also, dass der Auslauf des Hundes im Moment sich darauf beschränkt, dass du zweimal am Tag mit ihm an der Leine spazieren gehst?“
kurze Pause
„Mir tut der Arm davon schon weh und die Schulter.“
„Du hast einen jungen Hund, der noch viel laufen will. Kannst du ihn nicht mal von der Leine lassen?“
„Nein, dann ist er sofort weg.“
„Hast du denn einen Garten?“
„Ja, den habe ich eingezäunt mit einem Stromzaun, weil sonst der Hund ja weg ist.“
„Das heißt also, dass dein Hund im Moment auch den Tag über im Garten verbringen kann?“
„Nein, der Stromzaun funktioniert nicht. Der Husky hat herausgefunden, wie man die Drähte von dem Zaun entfernt, so dass da kein Strom mehr drauf ist.“
„Im Moment ist es also so, dass dein Hund nur zweimal am Tag für ungefähr 30 Minuten mit dir an der Leine aus dem Haus kommt?“
„Ja, mehr geht nicht, weil ich ja auch schon dreimal gefallen bin. Wegen des Hundes. Weil der so zieht.“
„Du hast ihn also gerettet, aus einer Familie, mit vielen Kindern, wo er keinen Auslauf hat?“
„Ja, das war ja kein Zustand mit den vielen Kindern. Und der kam da ja nur in den Garten. Stundenlang.“
„Und, Johann, du meinst, er hat es jetzt besser?“
„Ja, ich hatte schon immer Huskys, ich weiß wie man damit umgeht.“
„Wenn du weißt, wie man damit umgeht, warum zieht dann dein Husky an der Leine?“
„Ich hatte schon fünf Huskys, die haben alle nicht an der Leine gezogen.“
„Da warst du aber auch noch 30 Jahre jünger, Johann!“
„30 Jahre? So alt ist bei mir noch kein Hund geworden, so alt wird kein Husky.“
„Nein, natürlich nicht. Ich meinte, du warst damals 45 und nicht wie jetzt 75. Und das ist schon ein Unterschied, wenn ich das mal so bemerken darf, auch wenn ich dich persönlich jetzt nicht sehe oder kennengelernt habe.“
„Meine Huskys haben nie an der Leine gezogen; dies ist der erste.“
„Lieber Johann, du hast dort einen jungen Hund. Junge Hunde wollen sich viel bewegen, gerade so lauffreudige Hunde wie die nordischen Schlittenhunde. Ich bin mir ziemlich sicher, wage eine Ferndiagnose und behaupte, dein Husky hat zu wenig Bewegung. Deswegen zieht er an der Leine. Er weiß nicht, wohin mit seiner Bewegungsenergie. Für ihn ist das alles ein Versprechen auf Bewegung. Jedes vorbeifliegende Blatt, jeder andere Hund, jede Katze, jeder Fahrradfahrer, jeder Geruch, und vieles mehr, das alles sind für ihn Versprechen auf Bewegung.“
„Das kann nicht sein, ich hatte fünf Huskys in meinem Leben, die anderen brauchten auch nicht mehr Bewegung. Die lagen alle immer nur vor dem Ofen oder auf dem Sofa. Bei mir haben die es immer sehr gut, die Hunde. Denn ich liebe meine Hunde!“
„Zu wenig Bewegung und vor dem Ofen herum zu liegen ist nicht unbedingt die artgerechte Haltung für einen Husky.“
„Der könnte sich ja mehr bewegen, wenn der nicht immer den Stromzaun kaputt machen würde.“
„Wie wäre es denn, wenn du ihm dann erklären würdest, dass er das Grundstück nicht verlassen darf?“
„Das kann man einem Hund nicht beibringen, das können die nicht.“
„Meine Huskys können das und tun das auch, lieber Johann. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass dir niemand auf dieser Welt weiterhelfen kann, wenn du nicht dafür sorgst, dass dein Husky mehr Bewegung bekommt.
Denn im Moment befindest du dich in einem Teufelskreis. Aus diesem Teufelskreis musst du ausbrechen. Zu wenig Bewegung lässt zu viel Energie in deinem Hund zurück. Und diese Energie muss irgendwohin. Diese Energie entlädt sich dann z.B. durch das Ziehen an der Leine oder auch daran, dass er von dir weglaufen und dein Grundstück verlassen will, um endlich zu rennen.“
„Wenn der vernünftig an der Leine gehen würde, dann würde ich ja auch mehr mit dem gehen.“
„Ich sage ja, Johann, ein Teufelskreis!“
„Das ist doch Quatsch, was du mir da erzählst, da rufe ich dann besser nochmal jemand anderen an, der mehr Ahnung von diesen Hunden hat.“
„Ja, mach das. Und knuddel deinen Husky von mir. Ein solches Leben hat er nämlich nicht verdient.“
Wie soll man in einem solchen Fall helfen? Hier gibt es so viele Grenzen physischer Natur, dass diese alleine schon reichen, keine Möglichkeit der Hilfe zu haben. Solche Telefonate lassen mich dann auch ein Stück weit ratlos zurück.
Fortsetzung:
Ich hatte ja schon mehrere. Aber so eine hatte ich noch nie. Was haltet ihr von Trainer XY?
Nichts, außer Abstand.
Ihr seid meine letzte Hoffnung! Sonst muss ich mich von ihr trennen. Aber ich hänge doch so an ihr. Ich habe sie aus Rumänien gerettet. Und so viel für sie bezahlt. Da erwarte ich etwas mehr Dankbarkeit.
Wie lange seid ihr denn schon zusammen?
Anderthalb Jahre. Und sie wird immer selbstständiger!
Wie zeigt sich das?
Im Haus ist sie ganz brav. Da macht sie alles, was ich sage. Zu Hause klappt alles.
Und draußen?
Letztens war sie nur kurz alleine im Garten. Da ist sie gleich abgehauen. Ein Mann mit Fahrrad fuhr vorbei. Da ist sie gleich hinterher. Ich hoffe, das gibt kein Nachspiel. Ich binde sie seitdem an. Aber das ist ja auch keine Lösung.
Stimmt, das ist keine Lösung. Und womöglich gesetzlich verboten. Wenn schon nicht nach dem Tierschutz, dann aber wohl wegen Freiheitsberaubung.
Ja, sie findet das auch nicht so toll, jault die ganze Zeit rum, aber was soll ich denn machen? Habt ihr Erfahrungen mit solchen Mädels?
Ehrlich gesagt, binde ich meine Frau nicht im Garten an. Sie rennt auch nicht anderen Männern auf Fahrrädern hinterher.
Was???
Solltest du statt deiner Freundin deinen Hund meinen, dann können wir dir weiterhelfen.
Oh Mann, was habe ich nur geschrieben… :-D
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Wenn du mal mit mir chatten möchtest: eckard@pfoten-pfad.de
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Ein Mann sagte voller Stolz zu seinem Hund, während ihm ein anderer Hund entgegenkam: „Schau mal, das ist ein Riesenschnauzer; dein Vorgänger hat die reihenweise gekillt!”
Er sagte auch folgenden Satz zu mir: „Mäxchen hört eigentlich total gut und läuft nicht weg! Aber von der Leine lasse ich ihn nicht, sonst kommt er nicht wieder.“
Ein Mann, den ich zufällig in der Nähe von Rothenburg ob der Tauber traf, beschwerte sich ausgiebig über seine Schulterschmerzen, die ihm sein Hund durch das Ziehen an der Leine verursachte. Ich riet ihm, seinem Hund doch zu erklären, nicht mehr an der Leine zu ziehen. Er meinte dazu lapidar: „Mein Hund ist erst 68 Monate alt; der hat noch Zeit, der lernt das noch.“
In einem Telefonat berichtete mir Martin von den Defiziten seines Hundes. Dabei sei er doch korrekt und vollständig ausgestattet - also Martin und nicht der Hund. Er, also der voll ausgestattete Martin, sprudelte mir dann eine Liste seines Hundezubehör-Inventars herunter: Diverse Jacken und Westen, je nach Hundesportart, die gerade auf dem Stundenplan steht, Leinen fürs Ausgehen, Leinen für Hundebesuche, Leinen für die HuTa, Leine für den Mama- und Papabesuch, Geschirre für das Fahrrad, Geschirre für das Trailen im Sommer, Geschirre für das Trailen bei Regen, Geschirre für das Trailen bei Kälte, Pfotenschuhe, passend zum jeweiligen Geschirr fürs Trailen, Geschirre für Hunde-Tobe-Runden, verschiedene Zergelspielzeuge, angepasst an die jeweilige Stimmung des Hundes, verschiedene Dummys, die je nach Tageszeit unterschiedlich gefüllt oder bestrichen werden, diverse Mäntelchen, farblich passend zu den Halsbändern und: „Ach und drei verschiedene Leckerlibeutel. Einen für „Komm“ und einen für „Sitz“ und einen zum Trösten, wenn es so aufregend ist.“
Was will der Hund denn noch mehr?
Ich stehe mit meinem Auto während einer längeren Autofahrt auf einem Rastplatz. Die Heckklappe meines Fahrzeugs ist geöffnet. Ich sitze auf der Kante der Stoßstange, halte in meiner linken Hand eine große Portion Pommes, da ich auch gleichzeitig Mittagspause mache. Ich esse so gerne Pommes, dass man mich damit sogar bestechen kann. Links und rechts von mir sitzen meine Hunde Brenda und Wolke. Wir schauen den Autos zu, die an uns vorbeifahren. Manche kommen gerade erst auf den Rastplatz gefahren, andere verlassen ihn, um ihren Weg auf der Autobahn fortzusetzen. Hin und wieder gehen noch Menschen an uns vorbei. Wenn einer dieser vorbeigehenden Leute zu uns schaut, dann nur, um meine Hunde anzulächeln - ich werde dabei gerne übersehen, sehe wohl nicht so niedlich aus. Und da ich solche Menschen liebend gerne grüße, werde ich mit einem entsprechenden gedrückt zischenden Gruß zurückgegrüßt. Da ich zuvor mit Brenda und Wolke bereits eine kleine Runde über den Rasthof gedreht hatte, haben sie ihre Blasen entleert und liegen nun relaxt neben mir. Brenda ist nicht ganz so entspannt, erhofft sie sich doch immer, dass auch sie mal ein Stück Pommes abbekommt. Und in der Regel ist es auch so, dass ich in solchen Momenten die letzten Krümel, ihr wisst schon: die kleinen harten, die am Ende immer noch übrig sind, an meine Hunde verteile. Vorsichtig nehmen sie mir dann die kleinen Stückchen aus den Fingern.
Genauso vorsichtig parkte zwei Parkbuchten weiter ein Auto ein. Kaum dass der Wagen stand, stieg aus der Fahrertür ein Mann: nicht mehr viele Jahre bis zur Rente, kräftiger Bauchansatz, handtellergroße kahle Stelle auf dem Hinterkopf mit weißgrauen Haaren, die wie ein Kranz um seinen Kopf verliefen und einer Brille auf der Nase. Er ging zügig zur Heckklappe seines Fahrzeuges, er hatte einen Kombi, genau wie ich. Schnell öffnete er die Heckklappe, und erst da sah ich, dass auf dem Rücksitz des Kombis eine Frau saß. Sie streckte ihre Arme in den Kofferraum und hielt dort einen Hund fest. Man konnte die Übung und die Routine, die sich nun abspielte, förmlich sehen. Der Mann griff in den Kofferraum, nahm die Leine, um sich sofort mit einer halben Körperdrehung vom Kofferraum wegzubewegen. Mit einem großen Satz sprang aus dem Kofferraum ein offensichtlich noch junger Berner Sennenhund. Und dieser junge und mit Sicherheit für sein Alter 5 kg zu schwere Hund zog sogleich in Richtung meines Fahrzeuges. Nun sah der hinter dem Hund hergezogene Mann auch mich und meine Hunde. Sofort begann ein Redeschwall, während sein Hund ihn an mir und meinen Hunden an meinem Wagen vorbeizog. „Der ist erst 10 Monate alt. Noch ein ganz Junger. Aber ein ganz Aufgeweckter. Clever ist der. Der weiß schon genau, wo er hin will. Und fressen kann der. Das wird mal ein richtig Kräftiger. Ein Deckrüde.
Tolle Papiere hat er. Und in zwei Monaten können wir auch endlich in die Hundeschule. Mit dieser Rasse kann man vorher nicht in eine Hundeschule. Die lernen vorher nichts. Die müssen erst ein Jahr alt sein. Dann kannst du mit ihnen arbeiten.“ Nun drehte der Mann wieder um, um wieder an mir und meinen Hunden vorbeizugehen in Richtung seines Fahrzeuges. Dabei redete er unentwegt weiter. „Ein schönes zotteliges Fell hat er, und wir schonen ihn, so wie wir das tun sollen. Der soll ja nichts mit der Hüfte kriegen, nachher kann er nicht mehr, sie wissen schon... Der Hüftschwung und so... Nachher hat er was an der Wirbelsäule. Wir halten uns jetzt genau daran. Jeden Tag darf er nur 50 Minuten raus. 10 mal 5 Minuten. Unter Aufsicht. Natürlich nur in den Garten. Da kann er dann ein bisschen herumtoben, aber nicht zu viel, der will auch gar nicht. Aber in zwei Monaten können wir endlich mit ihm in die Hundeschule!“ Der Mann wurde weiter von seinem Hund in Richtung des Autos gezogen. Am Auto angekommen blieb der Hund stehen, der Mann bückte sich und hob diesen bestimmt schon an die 30 kg schweren Rüden in den Kofferraum. Man sah ihm an, wie beschwerlich das für ihn war, war er doch nicht mehr der Jüngste. Und ich bin mir sicher, dass er davon Rückenschmerzen hatte. Sein Gesichtsausdruck verriet es. Aber was tut man nicht alles für einen stattlichen Deckrüden. Und wieder hatte ich etwas gelernt: Es gibt eine Hunderasse, mit der kann man erst mit 12 Monaten in die Hundeschule, vorher lernt sie nichts. Ob der Hund das auch weiß?
„Bedingungslose“ Liebe funktioniert nicht, kann leider nicht funktionieren. Wenn ich keine Grenzen aufzeige, keine Regeln im Umgang mit anderen einführe, artet es in Chaos, Erniedrigung und Verletzung aus. Liebe bedeutet gegenseitigen Respekt. Gerade wenn ich jemanden liebe, setze ich bewusst Grenzen, weil mir die Entwicklung und moralische Festigung am Herzen liegt! Man kann nicht vom Prototypen des braven Hundes ausgehen. Das ist eher die seltene Ausnahme von der Regel. Und wenn dann noch Dritte als leidtragende Personen oder Hunde involviert werden, ist sowieso der Ofen aus, bei allem Verständnis. Ein zivilisiertes Miteinander setzt Regeln voraus, an die sich auch Hunde herantasten und halten müssen. Das hat nichts mit „Gewalt, Zucht oder Strafe“ zu tun.
Liebe und Zwang passen schon zusammen. Wenn ich meinen Hund laufen lasse, wird er sich nicht nur den Kopf stoßen. Es werden auch seine Seele, sein Selbstbewusstsein und sein Selbstwertgefühl verletzt,
weil er dann keine Grenzen kennt und akzeptiert und irgendwann niemand mehr Kontakt mit ihm haben will. Zwang mit Liebe wird er lächelnd hinnehmen oder auch mal bockig reagieren. Aber er will und wird lernen.
„Mein Hund und ich haben eine super Bindung. Er passt immer auf, wo ich bin.“ Das waren die ersten Worte, die ich von Jeremy aus dem Ruhrgebiet hörte. Er machte sich auf den weiten Weg zu unserem Wochenseminar mit seinem fast schon weißen Golden Retriever Max. Zuvor hatte er in seiner Region schon einige Hundeschulen besucht. Ich konnte also davon ausgehen, dass Max die einfachen Grundkommandos kannte und beherrschte.
„Das ist ja wunderbar“, antwortete ich, „dann ist doch alles in Ordnung.“
„Ja“, so antwortete er, „er ist wirklich ein problemloser Fall. Er macht es mir einfach und macht mir viel Freude.“
„Das ist doch gut, dann können wir die nächsten Stunden ja damit verbringen, Kaffee zu trinken und ein bisschen über unsere Hunde zu reden.“
„Ja schon, das können wir auch.“
„Und was kann ich noch tun?“
„Es ist manchmal ein bisschen schwierig, wenn er andere Hunde sieht.“
„Was ist daran schwierig?“
„Er will immer unbedingt zu den anderen Hunden hin, mit denen spielen.“
„Wie sieht das denn aus, wenn Max zu denen hin will?“
„Max zieht dann immer ganz kräftig zu denen hin.“
„Dann können wir mal schauen, ob wir die Ursache finden, warum er an der Leine zieht.“
„Das hoffe ich“, antwortete er mir.
Während wir sprachen ließ er seinen Max kaum aus den Augen. Er schaute im Gespräch nur Bruchteile von Sekunden zu mir. Ich konnte an seiner Mimik fast schon erkennen, was Max gerade tat. Und das war auch in diesem Moment so. Ich konnte an seinem Gesicht sehen, dass Max gerade seinen Rücken zu einem Bogen spannte, die hinteren Pfoten also ziemlich dicht an die vorderen Pfoten gestellt hatte und ein Häufchen machte. „Ich mache das gleich weg”, sagte er mir in schon fast vorauseilendem Gehorsam. Dabei zog er eine Plastiktüte heraus, in dem er wohl die Hinterlassenschaften seines Hundes aufsammeln wollte. Ich verwies ihn auf unseren großen Sammler, den wir angeschafft haben, um den Müll zu reduzieren und um die biologischen Hinterlassenschaften der Hunde, die uns jeden Tag besuchen, entsprechend recyceln zu können: Der Hundekot wird in einer Biogasanlage zu Strom. Jeremy ging über den Platz und sammelte den hellbraunen Kot von Max ein. Dann kam er wieder zu mir und setzte sich. Ich fragte nach, was es mit dem Ziehen an der Leine auf sich habe.