Felix Dahn

Die schlimmen Nonnen von Poitiers





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Felix Dahn: Die schlimmen Nonnen von Poitiers

Felix Dahn

Die schlimmen Nonnen von Poitiers

Historischer Roman aus der Völkerwanderung

(a. 589 n. Chr.)

Motto:
ridentem dicere verum
quid vetat?

Horatius, Sat. I, 1, 24.

Dem Andenken
meines lieben Freundes und Landsmannes
Karl Stieler.

 

 

 

 

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Erstes Kapitel

Es war – nach urkundlicher Überlieferung – am Frühmorgen des ersten Märztages im Jahre fünfhundertneunundachtzig.

Heftiger Wind warf Regen und Schnee, durcheinandergemischt, an die Holzläden, mit welchen, in Ermangelung von Glas, das Rundbogenfenster des Schlafzimmers im Bischofshause zu Tours geschlossen war. Die Ampel, die, von der Decke herabhängend, in schöner Bronze-Umschalung ruhend, die Nacht über gebrannt hatte, war dem Erlöschen nahe. Daran merkte der hochehrwürdige Herr Bischof von Tours, daß der Tag angebrochen sein mußte. Er wachte schon lange. Sowie der Schlummer von ihm gewichen war, hatte er, fromm und tiefgläubig, mit warmer Inbrunst sein Morgengebet gesprochen. Daran reihte er das Vaterunser. Als er an die schweren Worte kam: »Wie auch wir vergeben unsern Schuldigern,« erhob er die Stimme lauter. Und nach dem Amen sagte er: »Ja, ich vergebe ihnen – allen. Unter den Verstorbenen dem argen, argen Grafen Leudast. (Ob der wohl im Fegefeuer vom Ränkeschmieden lassen kann?) Und unter den Lebenden der bösen Königin Fredigundis, Und sogar – ja, ich will ihm vergeben: es muß sein! – Ihm! Du weißt schon, heiliger Martinus, und du, lieber Gott, weißt es wohl auch, wen ich meine. Den Namen spreche ich nicht gern aus. Denn der Name reizt mich und ärgert mich und erschwert mir das Vergeben.

Es ist aber wohl keine Sünde, wenn ich bei dem: ›Erlöse uns von dem Übel‹ auch bete und wünsche, daß er von allen seinen Übeln erlöst werden möge: von seiner Hoffart nämlich und von seinem Dünkel, von seiner aufgeblasenen Überhebung, mit der er auf Amtsbrüder herabblickt, die ... – ich behaupte ja nicht, daß mein Latein so zierlich sei wie das seinige: aber macht denn das allein den Bischof, den Priester aus? Mag er ein besserer Grammatiker sein, ich bin ein besserer Christ. Wer weiß, ob er heute in aller Frühe schon für mich gebetet hat, so liebevoll wie ich für ihn! –

Was ist denn heute alles zu thun? – Nach der Messe kommt Dodo, mein Ökonom, mit den Rechnungen des abgelaufenen Monats. Und dann die Antwort auf des Herrn Königs Brief! Das will erwogen sein! Und dann – ei, was ist das für ein Lärm im Hofe? Welch Geschnatter! Wie eine Herde Gänse! Sollten die aus dem Verschlag entwischt sein? Heiliger Martinus, fang dein Geflügel wieder ein!«

Da ward die Thüre des Schlafgemaches heftig aufgestoßen: – der Bischof durfte nicht bei geschlossenen Thüren die Nacht verbringen und zwei Priester mußten, wenn nicht in seinem Schlafgemach, wenigstens in dem Vorzimmer schlafen: – herein stürmte Dodo, der Ökonom, das heißt der Vorsteher und Verwalter des bischöflichen Hausvermögens, mit ganz verstörten Mienen und rief: »Herr Bischof! Helft! hochwürdiger Herr Bischof! Der Teufel ist los! Der Teufel hat sie losgelassen! Der Teufel hat sie zu uns hergeführt. Sie stehen im Hofe! Ich weiß mir nicht zu helfen.«

Bischof Gregor, so rundlich und so behäbig-langsam er sonst war in Gedanken und Bewegung, fuhr ganz geschwind aus den Decken, schlug, entsetzt über die wiederholte Erwähnung des Erzfeindes, ein Kreuz, stand, nur vom langen Nachthemd bedeckt, vor seinem Diakon und rief: »Wer ist los? Wer steht im Hofe? Wirklich – Er?« – er ward ganz rot im Gesicht, als er zögernd beifügte – »Bischof Felix von Nantes?« – »Ach, was viel ärgeres!« »Das giebt es nicht,« sagte Gregor überzeugt. »Doch! Schaut nur selbst!« – Er zog den Riegel am Fenster zur Seite und stieß den Laden hinaus.

Gregor trat an die Öffnung, steckte den Kopf ein wenig vor, fuhr aber gleich, wie vom Blitz getroffen, zurück: »Barmherziger Heiland!« rief er. »Was ist das? Weiber? Lauter junge Weiber! Eine ganze Herde! Hilf, Sankte Martine.« Aber so flüchtig er sich gezeigt hatte an dem Fenster, er mußte erkannt worden sein: denn sofort rief vom Hofe aus eine helle Frauenstimme: »Guten Morgen, lieber Oheim! Wie hast du geschlafen?« Und eine noch lieblichere fügte bei: »Ei, der Herr Pate! Gleich, gleich! Wir kommen schon.« – »Gerechter Gott! Sie sind es im stande! Dodo, schließe die Thüre zu!« – »Aber Ihr wißt ja, sie ist nicht verschließbar.« – »Da hör' ich sie schon auf dem Gang! Dodo! Wirf dich ihnen entgegen.« Aber zu spät: – schon standen auf der Schwelle zwei sehr schöne, ganz auffallend schöne junge Mädchen.

Mit gewaltigem Satze sprang der Rundliche auf sein Lager und zog sich die Decke bis unter das Kinn.

»Aber Mädchen! Unglückskinder!« rief der Bischof. »Wo kommt ihr her?« »Geradeswegs von Poitiers,« antwortete die Größere der beiden. »Ist das Kloster der heiligen Radegundis abgebrannt?« »Nein! Aber wir sind durchgebrannt!« erwiderte die Kleinere lustig. »Ist der Feind im Kloster, Chrodieldis?« – »Nur der böse Feind!« – »Um Gott! Wen meinst du?« »Die Frau Äbtissin,« riefen beide zugleich. »Sie reden irre, Dodo,« rief Herr Gregorius und fuhr sich durch die spärlichen grauen Haare. »Und allein? – Sprich du, Basina! Du warst immer artiger.« – »O nein, wir haben noch neununddreißig mitgenommen!« »Ich dachte, es sind viel mehr,« sprach Dodo zum Fenster hinausblickend, »solchen Lärm vollführen sie.«

»Und in weltlicher Tracht,« klagte Gregor. »O Chrodieldis!« »Leider nur von außen,« lachte die Größere und schlug den braunen Mantel auseinander, »damit man uns nicht so leicht kennt und aufgreift. Unten trag ich es noch, das verhaßte weiß und graue Nonnenkleid ... –« »Das Pfeffer- und Salzgewand,« fügte die Jüngere bei, »Aber nicht mehr lang, beim Schwerte Chlodovechs, meines Ahnherrn.«

Einstweilen hatte sich der Bischof soweit besonnen, daß er begriff, was geschehen war. Das war ein Fortschritt, Das Geschehene war unerhört, war entsetzlich. Aber es war ein Fortschritt, es zu verstehen. Er richtete sich ein wenig auf, stützte sich auf den linken Ellbogen und sprach: »Vor allem hebet euch hinweg aus meinem Schlafgemach, damit ich aufstehen kann. Dann werd' ich über euch richten. Dodo, – du sperrst sie ein.«

»Nein, Oheim,« sprach Chrodieldis ruhig, »das geschieht nicht.« »Da hätten wir zu Poitiers bleiben können,« lachte Basina, »Eingesperrt waren wir lang genug.« – »Gieb uns lieber was zu essen, Dodo.« »Ja, guter Dodo, lieber Dodo, Herzens-Dodo,« schmeichelte die Jüngere, aus braunen Schelmenaugen zu ihm aufblickend, »Wir sind so hungrig!« Jede hing sich an einen Arm des Alten und lachend zogen sie ihn gegen die Thüre hin. »Hungrig seid ihr? Arme Kinder! Das soll nicht sein im Hause des heiligen Martinus. Kommt nur mit mir.« »Aber die anderen auch,« bat Basina. »In Gottes Namen.« »Dodo, werd' nicht schwach!« mahnte der Bischof, aus dem Bette warnend. »Laß sie doch hungern, die Ausreißerinnen.« »Was?« rief Chrodieldis, drehte sich blitzschnell um, daß die Mantelkapuze herabfiel und ihre prachtvollen schwarzen Haare in breitem Strom herabrieselten: stolz und zornig leuchteten ihre dunkeln Augen. »Was?« wiederholte sie, »Königinnen sind wir.« »Oder doch Fürstinnen,« sprach Basina. »Nein, Königinnen:Reginae! So dürfen wir uns nennen: das ist unser Recht. Und als Königinnen wollen wir behandelt sein. Das merkt Euch nur gleich für diesen ganzen Handel und ... –« – »Und ins Kloster gehen wir nie mehr zurück!« – »Und wollt Ihr uns nicht zu unserm Recht verhelfen ... –« »So gehen wir zu unsern Vettern, den Königen ... –« – »Ich gehe zu dem alten König, zu Oheim Guntchramn nach Orléans.« – »Und ich zu dem jungen! Zu Vetter Childibert! Da soll es noch viel lustiger sein, am Hof zu Metz.« »Und find' ich kein Recht in diesem Reich der Franken,« fuhr Chrodieldis fort, »darin mein Oheim und mein Vetter Könige sind, so schüttle ich den gallischen Staub von meinen Schuhen und geh hinüber nach Britannien, wo meine Schwester Aldeberga unter Krone geht zu Kent, des tapfern Königs Üthelbert Königin: dort find ich Zuflucht, Schutz und – Rache.« »Lebte nur mein Vater noch, König Chilperich,« rief Basina. »Ich war sein Liebling! Ich wollte auf seinem Schose sitzen und seine Wange streicheln so lange, bis er das verrottete Klosternest säuberte.« Angstvoll sah Gregor auf die beiden: dann rief er: »Wißt ihr, was ihr seid? Besessen seid ihr.« »Nein!« zürnte Chrodieldis, »Königinnen sind wir.« »Aber sehr hungrige,« lachte Basina, Und damit zog sie Dodo über die Schwelle hinaus.

 

Zweites Kapitel

Das sollte ein schlimmer Tag werden für den guten Bischof Gregorius und noch gar vieler schlimmer Tage Beginn!

Nachdem er die heilige Messe gelesen, ging er in das kleinere Refektorium, das Speisegemach des Bischofhauses, das unmittelbar an die Basilika des heiligen Martinus angebaut war. Er fand hier Dodo und die beiden Rädelsführerinnen; dieselben lagen, lang ausgestreckt, auf den Holzbänken, die der Bischof – ganz gegen die Regel – mit weichen Decken belegt fand; sorgfältig hatte der freundliche Alte warme Teppiche auch über ihre Füße gespreitet; vor jeder der beiden Bänke stand auf niedrigem Tischlein ein Becher, aus welchem würziger Duft aufstieg.

Große Augen machte Gregor als er eintrat; er witterte gegen die Becher hin, »Was ist das für ein Getränk?« fragte er neugierig, »Warmer Würzwein, lieber Pate,« rief Basina. – »Verstehst du, Dodo, diesen zu bereiten? Ich wußte das nicht,« – »Nein, o Herr. Aber die Kleine da, die Braunäugige! Sie froren alle so sehr, die armen Mägdelein, wie Schwalben oder andere feine Zugvögelein, die zu früh zurückgekommen find. Denkt doch nur! Von Poitiers bis Tours, – von Sankta Radegundis bis zu Sankt Martinus! – sind die armen Kinder, ohne Rast zu machen, gelaufen, Tag und Nacht, auf der von Schnee und Schmutz hoch bedeckten Heerstraße, bei diesem Unwetter von Wind und Wasser. Kein Mensch hat sie auf Wagen oder Pferd genommen. Kein Mensch hat ihnen einen Bissen Brot gereicht, weil ... –« »Weil wir nicht betteln,« sagte Chrodieldis stolz.

»Weil mit davongelaufenen Nönnlein kein Mensch was zu thun haben will,« lachte Basina. »Und weil wir nicht lassen von einander,« fuhr Chrodieldis fort und ihre schwarzen Augen blitzten. »Wir hätten wohl hin und wieder einen Karren oder ein Pferd haben können für die eine oder andere; aber nicht für einundvierzig. Und wir stehen alle für eine und jede für alle. Wir haben's geeidet. Und ...«– »Und ein Mädchen – ein Wort!« schloß Basina.

»Aber ganz schwach und elend,« klagte Dodo, »waren die armen Dingerlein geworden.« »Wo sind sie denn, – die andern?« fragte Gregor, sich scheu umsehend. »Ich habe sie einstweilen alle untergebracht in dem alten großen Oratorium, das leer steht: da hab' ich ihnen Feuer anschüren lassen auf den Steinquadern. Sie liegen und sitzen jämmerlich umher auf den Kirchenbänken, Ich habe schon den Bruder Zacharias, den Klosterarzt, kommen lassen; denn gar manche ist krank oder doch unbaß. Und wunde Füßlein haben gar die meisten. Nun, ich gab ihnen ein gutes warmes Frühstück: Eier und Süpplein und dann süßes Geschleck: – wie leckten so eifrig danach die zierlichen Zünglein, wie von jungen Kätzlein, ganz rosenfarben! Und dann brachte ich Wein. Aber die Kleine da, die Braunäugige, Braunhaarige, – schau nur die lockigen Haare ... –« »Ja,« sagte diese, mit den Fingern durch die Locken fahrend »jetzt – da sie trocken sind, – kräuseln sie sich gleich wieder: sind liebe, gute Seelchen, meine Haare.« – »Die nahm mir den Krug gleich aus der Hand, lief in die Küche – die hatte sie mit dem Näslein längst erraten! – und vertrieb den dicken Koch vom Herd: sie schickte ihn in die Würzkammer (– denkt nur, den brummigen, der keinen von uns in seine Küche treten läßt! ganz gutwillig diente er ihr, der Kleinen–) mit vielerlei Aufträgen und da er ihr alles Verlangte gebracht, Honig und allerlei Gewürz, da kochte sie den Wein damit auf, alles so geschickt und nett und rasch und säuberlich, daß der Koch sagte ... –« Er stockte. »Ich tauge,« fuhr Basina eifrig fort, »viel besser zur Hausfrau als zur Nonne. – Er hat recht, glaub' ich,« seufzte sie. »Mein Koch und mein Ökonom sind behext, fürcht' ich,« sprach Gregor staunend. »So viele Worte hintereinander hab' ich von Dodo nie gehört. Bei der Litanei leidest du an schwerer Sprache. Übrigens: – riechen thut das Zeug nicht schlecht ...–« – »O kost' es, Pate!« Schon war die Kleine aufgesprungen und hielt ihm den duftenden Becher vor die Nase. »Die liebe Mutter lehrte mich's zu mischen.«

»Audovera,« sprach Gregor bewegt, »die arme, gute, Frühverstorbene! Nun, ihr zum Gedächtnis! Der Freundin meiner jungen Tage! Näher stand sie mir als Chrodieldens Mutter, meine leibliche Base Ingoberga; denn die war gerade so wildtrotzig wie du, Chrodieldis. – Ah, das mundet besser als des Kochs Gebräu. Danke dir, liebes Kind!«

Er wollte ihr über das krause Köpflein streichen: – aber sie stak schon wieder unter den Decken: sie hatte im Eifer vergessen, daß sie barfuß und nur vom Unterkleide bedeckt war. Gregor hatte das gar nicht gesehen. Er setzte sich nun zwischen beide Bänke auf einen Faltstuhl: den Becher hatte er in der Hand behalten. »Das that wohl; ich war erschöpft: ich faste natürlich bis nach der Messe. – Du hast doch keine von den Ausreißerinnen, Dodo, zugelassen zu dem heiligen Sakrament? Wer weiß, ob sie nicht – thatsächlich – schon exkommuniziert sind.« »Es hat keine danach verlangt,« warf Chrodieldis ein. »Wir brauchten dringender Speise als Gebet,« meinte Basina. »Ausgenommen eine: – sie weinte, da ich sie zurückwies.« – »Wer war das?« – »Constantina.«

»Wie? Welche? Doch nicht die Tochter des Herzogs Burgolen?« – »Jawohl.« – »Was? Die ist auch dabei! Das sanfte, brave, liebe Kind!« »Sind wir das nicht?« fragte Basina. – »Die ist verführt. Verführt – von jener Chrodieldis da.« »Ich hab' sie nicht gezwungen, mitzugehen,« erwiderte diese achselzuckend. »O Dodo: – da muß es doch nicht ganz ohne Grund sein, dieses Davonlaufen,« flüsterte Gregor seinem Vertrauten in das Ohr. Aber Chrodieldis hatte feine Ohren: »Ohne Grund? Gerechter Gott! Die Äbtissin Leubovera – ist das kein Grund?« »Davonzulaufen?« ergänzte Basina. »Ehe das Verhör beginnt, – das Gericht!« sagte Gregor, sich räuspernd, mit möglichst strengem Ton: er trank den Becher leer und gab ihn Dodo, der ihn geräuschlos wieder füllte aus einem großen Krug. »Eine Frage noch. Wie ist es möglich – daß ihr, – vierzig Stück! – daß eure Flucht nicht entdeckt ward, daß man euch nicht verfolgte, einholte?« »Man hat uns verfolgt, man hat uns eingeholt,« rief Chrodieldis laut. – »Nun: aber? –« »Ich schlug die Angreifer sieghaft zurück! Einer blieb liegen: – der greift nach keiner Königstochter mehr.«

»Heiliger Martinus!« schrie Gregor auffahrend von seinem Stuhl und auch Dodo erschrak. »Totschlag, Homicidium! Friedbruch, Blut ... –« »Ja, Blut der Merowingen rinnt auch in meinen Adern,« rief Chrodieldis, das schwarze Haar in den Nacken werfend. »Vierberittene Knechte holten uns ein und wollten uns greifen. Den ersten, der die Hand nach mir ausstreckte, rannte ich vom Gaul mit dem Speer.« – »Einen Speer! Wo hast du die Mordwaffe herbekommen?« – »Ich nahm ihn mit aus der Halle – auf alle Fälle. Es ist der Eberspeer des Jägermeisters: er lehrte mich immer gern die Waffen führen.« – »Eine Nonne!« – »Ich bin noch keine! Und werde nie nicht keine werden.« »Wo ist der Speer?« rief Gregor ängstlich und setzte sich vor Schreck nieder. »In der Waschküche,« antwortete Basina. »Nahe dem Feuer, von Wand zu Wand gespreizt: unsere beiden Mäntel hängen daran zum Trocknen. Sieh doch mal nach, guter Dodo! Sie müssen bald trocken sein. Wir möchten doch in Ehrbarkeit aufstehen können.« »Und vergiß nicht, frische Sandalen mitzubringen,« rief ihm Chrodieldis nach. »Die unsrigen sind wie Siebe.« »Und einen Metallspiegel, Herzensdodolein!« bat Basina, »meine Locken sind ganz unverständig kraus und wild.« »Du hast den Mann schwer getroffen?« fragte Gregor. »Ei bewahre,« tröstete Basina. »Der humpelte gar hurtig davon. Aber zwei andere! Tüchtige Kopfschmerzen müssen sie haben. Die Feldsteine waren groß. Und ich hätte der viel fastenden Castula gar nicht so kräftigen Schwung des Armes zugetraut.« »Was?« forschte Gregor ganz verblüfft. »Castula? Die fromme Klausnerin ist auch dabei?« – »Gewiß! Die und Chrodieldis haben ja das Ganze gemacht.« »Ich habe keine Freude,« sagte diese, die Lippen aufwerfend, »an solcher Zusammenstellung. Sie ist eines Handwerkers Tochter.« – »Nun, immerhin war es gut, daß sie neben dir stand, als die Reiter ansprengten; sie warf ihnen zwei Steine an die Schädel, daß zwei die Sättel räumten.« »Der vierte aber,« fuhr Chrodieldis fort, »wollte nicht ablassen von uns: sein Roß rannte die Klausnerin in den Graben, schon streckte er den Arm nach mir aus. Da schlug ich die Kapuze zurück und rief ihn an: »Wag' es, elender Knecht, König Chariberts Tochter anzurühren! Glied für Glied lassen dir abhacken meine Gesippen, die Könige.« »Und so stolz und grimmig sah die Base aus,« fiel Basina ein, »daß der Mann den Gaul herumriß und davonjagte querfeldein.« Gregor schüttelte den Kopf, »So was war doch früher nicht!« sagte er langsam. »Die Welt wird alt und arg. Was mag solches Geschehnis bedeuten? Denn merket: die Heiligen verkünden in allem, was geschieht, warnend, strafend, lohnend ihren Willen. Ist nur meist schwer zu erraten, was ein Ding bedeutet.« »Jawohl! Was bedeutet zum Beispiel diese deine Rede?« fragte Basina, das etwas zu kurze Näschen emporreckend. Aber Gregor fuhr fort: »Jetzt soll ich also über euch richten. Über einundvierzig Mädchen.« Er wischte sich die Stirn. »Dodo: – das wird eine harte Arbeit. Womit fang ich nur an?«

Der kleine Ökonom, dessen Bäuchlein bewies, daß er selbst nicht zu kurz kam bei seiner Hausverwaltung, hatte einstweilen die Oberkleider, die Mäntel, die Sandalenschuhe mitgebracht und auch den gewünschten kleinen runden Metallspiegel nicht vergessen. Rasch bekleideten und beschuhten sich die Mädchen; Basina holte aus dem Gürteltäschlein ein zierliches Kämmlein von Silber hervor und suchte vor dem Spiegel ihr lustig widerstrebend Haar zu bändigen.

»Herr,« antwortete der Gefragte, »es ist gar nicht so schlimm. – Ich habe mich schon ganz gut darein gefunden. Und war doch zuerst sehr, sehr erschrocken! Der Pförtner hört den Klopfhammer ganz leise pochen, wie sonst nur Bettler klopfen ... –« »Das hatte ich geraten,« kicherte Basina vergnügt. »Chrodieldis wollte mit ihrem Speer an die Notglocke schlagen, die neben der Pforte in dem Türmchen hängt. Beileibe! warnte ich. Sehen sie uns, lassen sie uns am Ende gar nicht ein. Ist doch ein Mönchskloster dicht daneben! So pochte ich gar demütig an.« »Der Pförtner, noch halb im Schlaf,« fuhr Dodo fort, »schiebt den Riegel zurück und will die frühen Ruhestörer schelten: – da war er schon hinweggespült, hinweggeschwemmt, hinweggetragen weit vom Eingang von einer ganzen Flut von jungen Geschöpfen; und fliehend, mit Angstgeschrei, weckte er mich.« »Und da sind wir nun,« sprach Chrodieldis, die hohe schlanke Gestalt voll aufrichtend, sie hatte ihren Anzug vollendet – »und fordern unser Recht.« »Und kleinere Schuhe, liebster Dodo,« sprach Basina, das Füßlein diesem hinstreckend: »du siehst –: einer von diesen würde für vier meiner Füße ausreichen.« »Euer Recht?« wiederholte Gregor. »Ja, ihr seid ja die Schuldigen!« »Mitnichten!« riefen beide Mädchen. »Leubovera und Leuba sind's.«

»Das golddurchwirkte Kleid,« sprach Basina sehr zornig, »war hundert Solidi wert.« »Und Ball gespielt hat die Äbtissin auch,« rief Chrodieldis. »Und die Kopfbinde mit den Goldplättlein, die für die heilige Genoveva bestimmt war, ihrer Nichte aufzusetzen!« – »Und der unleidliche Kalkgeruch in den Bädern.« – »Und einen sündhaften Mummenschanz hat sie abgehalten im Klostergarten.« – »Und uns hat sie dabei ausgeschlossen!« – »Ja! bei dem zweiten!« – »Natürlich! Waren wir wieder dabei, war Leuba, ihre Nichte, wieder nicht mehr die Schönste.« – »Wie das erste Mal.« – »Und wochenlang – auch wann kein Fastentag ihren Geiz beschönigte – keinen Bissen Fleisch!« – »Im Juni noch gelbe Erbsen!« – »Weil sie kein Fleisch verträgt, sollte es uns ungesund sein!« – »Aber das Stärkste ist doch das mit dem Goldgewand.« – »Und mit der Stirnbinde!« – »Nein, das Ärgste war: um Leubas Putzsucht willen, die arme kranke Julia und Constantina, die gewiß kein Unrecht thut, so schwer zu strafen!« – »Mit dem Stachelgürtel!« – »Und weil wir sagen, daß das sündhaft und blinde Gunst für Leuba sei, uns, die Königstöchter, auf drei Wochen bei Wasser und Brot in die Zellen sperren!« – »Und uns, als ob wir Mägde wären, eigenhändig den Speisesaal reinigen lassen wollen!« – »Zur Beugung unserer Hoffart!« – »Zur Beförderung unserer Demut!« »Aber ich habe ihr meine Demut gewiesen,« lachte Chrodieldis auf. »Wohl nahm ich endlich den aufgedrängten Kehrbesen: – aber kreischend flohen sie beide, Leuba und Leubovera, als ich ihn gegen ihre Köpfe schwang.« Hell auf lachten beide Mädchen.

»Das im vollen Ernst Allerschlimmste aber,« sprach Chrodieldis ernst, »das sag' ich nur den Königen, meinen Gesippen, oder dem versammelten Gericht der Bischöfe. Die Zunge sträubt sich, es zweimal auszusprechen.«

Gregor stand seufzend auf. »So geht es nicht! So geht es, glaub' ich, nicht mit dem Verhör. Es sollte alles der Reihe nach... –! Aber womit fang' ich an?« »Wenn wir sie einmal zählten?« meinte Dodo. »Wir sind jetzt gewissermaßen für sie verantwortlich. Denkt, wenn uns die eine oder andere auskäme? Ins Kloster liefe sie wohl nicht zurück! – Laßt einmal alle hereinkommen... –« – »Nein! Nein! Nicht noch mehr! Ich habe ganz genug an diesen beiden.« – »Ei, es sind auch unter den andern einige blitzsaubere.« – »Aber Dodo!«

»Oder doch eingesteht,« fügte Basina bei, »daß sie bezüglich ihrer Nichte Leuba in schwerem Irrtum und gegen uns im Unrecht war.« »Diese Anklageschrift und Erklärung werde ich jetzt aufsetzen,« schloß Chrodieldis. »Hilf mir, Kleine! Ich gehe besser mit dem Jagdspeer um, als mit dem Schreibrohr. Ich diktiere, du schreibst.« »Wie Jungfrau Königin befiehlt,« spottete Basina. »Vergiß nur nicht, daß ich auch Königin bin.« – »Und unsere Mitanklägerinnen werden alle die Urkunde unterschreiben. Dann habt ihr auch gleich unsere Namen alle beisammen.« – »Und jede von uns erhebt drohend Hand und Stimme bei dir.« – »Und bei dem Bischof von Poitiers!« – »Und bei dem Oberbischof zu Bordeaux!« – »Und bei den Königen, unseren Gesippen!« – »Und, muß es sein, bei dem heiligen Vater in Rom!« – »Und bei dem ganzen Volk und Heer der tapferen Franken!« – »Wir wollen doch sehen, wenn Bischöfe und Könige, wenn die Alten uns im Stiche lassen, – ob es in diesem Reiche keine jungen Helden mehr giebt, welche sich armer, verlassener, hübscher, junger Mädchen annehmen!«

»Ja, das wollen wir doch sehen!« schloß Chrodieldis und rauschte majestätisch hinaus; Basina hüpfte ihr nach.

»Beschränkt, willst du sagen? Das ist nicht ganz zutreffend. Der Eine Gedanke, den sie überhaupt nur hat: – nämlich das unsinnig viele Geld ihrer Nichte dem Kloster zu sichern... –« – »Ja, der ist an sich nicht dumm. Aber Ihr werdet zugeben, Herr Bischof, Ein Gedanke ist – für zweiundsechzig lange Jahre – wenig. Was nun die Leitung des Verfahrens betrifft... –« »O das wird schwer,« klagte Gregor. »Zwar der Fall ist klar: der Stiftungsbrief der heiligen Radegundis bedroht solche Flucht mit Exkommunikation... –« – »Herr, Herr, treibt die Mädchen nicht immer weiter! Baut ihnen eine Brücke zur Rückkehr.« »Wie wär' es,« meinte Gregor listig, »wenn ich mich für unzuständig erklärte? Des Königs Gericht anriefe?« – »Geht nicht! Ist ja doch ein kanonischer Fall. Geistlicher Gerichtsbarkeit darf nichts vergeben werden.« »Nein! Gewiß nicht, gewiß nicht!« rief Gregor erschrocken. »Aber... –« »Herr,« riet Dodo, »ich wüßte schon einen, der Euch den rechten Rat erteilte. Er ist gar scharfen und feinen Geistes, auch in Rechtsgelahrtheit gut beschlagen. Zufällig erfuhr ich, daß er auf der Reise nach Orléans zu König Guntchramn ganz in der Nähe weilt: – im Kloster des heiligen Anianus drüben über der Loire... –« »Mensch,« fragte Gregor zornig und ward ganz rot im Gesicht – »wen wagst du zu meinen? Wen? –« – »Nun, den gescheitesten Bischof im ganzen Reich... –« »So! So!« schrie Gregor außer sich. »Auch du, mein Dodo, bist also eine Viper – und eine recht dicke Viper bist du! – die ich an meinem Busen genährt? – Herrn Felix? Den Grammatikus? Den Stilkünstler von Nantes? Eh' ich den zu Rat und Hilfe bitte, – eher sollen mir schon alle einundvierzig Nonnen einundvierzig Eheweiber werden!« – »Herr Bischof, hütet Euch, daß Euch nicht der böse Feind beim Worte nimmt.«