Die Galgenlieder begründeten den literarischen Ruhm von CHRISTIAN MORGENSTERN (1871-1914), machen aber nur einen Teil von seinem Werk aus, das durchzogen ist von einer verhaltenen Melancholie. Diese erklärt sich damit, dass Morgenstern bereits sehr früh dem Tod geweiht war. Im Alter von zehn erkrankte er an Tuberkulose. Er verstarb am 31. März 1914 mit nur 43 Jahren.
Christian Morgensterns Galgenlieder zählen zu den verblüffendsten Texten der deutschen Dichtung. Lustvoll bekennen sie sich zu einer Diesseitigkeit fernab des bürgerlichen Moral- und Lebenskodex: ein Knie, ein Mondschaf, ein Seufzer, eine Schildkröte und viele andere liebenswert-kuriose Repräsentanten des Konkreten bevölkern das Universum von Morgensterns „Galgenpoetologie“ und loten in vergnüglicher Kindersprache die Möglichkeiten poetischer Gestaltungsweise aus. Bei aller vordergründigen Einfachheit nimmt der Ton der Lieder existentielle Züge an, wird zum spielerischernsten Anschreiben gegen das Leben selbst und die ihm inhärente Vergänglichkeit und Schwere.
Die Galgenlieder schreiben die Geschichte der Sehnsucht nach Erkenntnis neu: Kamele, Purzelbäume, Nasobēme und viele weitere Kuriosa werden zu den Leitparadigmen einer „Ästhetik des Einfachen“, die zuweilen stumpfsinnig daherkommt, bei genauerem Hinsehen aber eine höchst erheiternde sprachliche und gedankliche Raffinnesse erkennen lässt.
Doch nur vordergründig sind die Lieder kindlich-unbeschwert. In den Zwischentönen verbirgt sich eine Grundstimmung, die von einer latenten Verwundbarkeit zeugt und jenseits der Einfachheit des poetischen Vokabulars liegt. Einzig im Galgenhumor ist die Sehnsucht nach Enträtselung zugleich enthalten und gestillt.
Alle Galgenlieder
Alle Galgenlieder
Galgenlieder
Palmström · Palma Kunkel
Der Gingganz · Vier Legendchen
Zeitgedichte
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Inhalt
Galgenlieder
Versuch einer Einleitung
Wie die Galgenlieder entstanden
Galgenberg
Bundeslied der Galgenbrüder
Galgenbruders Lied an Sophie, die Henkersmaid
Nein!
Das Gebet
Das große Lalulā
Der Zwölf-Elf
Das Mondschaf
Lunovis
Der Rabe Ralf
Fisches Nachtgesang
Galgenbruders Frühlingslied
Das Hemmed
Das Problem
Neue Bildungen, der Natur vorgeschlagen:
Die Trichter
Der Tanz
Das Knie
Der Seufzer
Bim, Bam, Bum
Das æsthetische Wiesel
Der Schaukelstuhl auf der verlassenen Terrasse
Die Beichte des Wurms
Das Weiblein mit der Kunkel
Die Mitternachtsmaus
Himmel und Erde
Der Walfafisch oder Das Überwasser
Mondendinge
Die Schildkrökröte
Der Hecht
Der Nachtschelm und das Siebenschwein oder Eine glückliche Ehe
Die beiden Esel
Der Steinochs
Tapetenblume
Das Wasser
Die Luft
Wer denn?
Der Lattenzaun
Die beiden Flaschen
Das Lied vom blonden Korken
Der Würfel
Kronprätendenten
Die Weste
Philantropisch
Der Mond
Die Westküsten
Unter Zeiten
Unter Schwarzkünstlern
Der Traum der Magd
Zäzilie
Das Nasobēm
Anto-logie
Die Hystrix
Die Probe
Im Jahre 19000
Der Gaul
Der heroische Pudel
Das Huhn
Möwenlied
Igel und Agel
Der Werwolf
Die Fingur
Das Fest des Wüstlings
Km 21
Geiß und Schleiche
Der Purzelbaum
Die zwei Wurzeln
Das Geburtslied Oder: Die Zeichen Oder: Sophie und kein Ende
Galgenkindes Wiegenlied
Wie sich das Galgenkind die Monatsnamen merkt
Palmström
Palmström
Das Böhmische Dorf
Nach Norden
Westöstlich
Der vorgeschlafene Heilschlaf
Bildhauerisches
Die Kugeln
Lärmschutz
Zukunftssorgen
Das Warenhaus
Bona fide
Sprachstudien
Theater
Die Wissenschaft
Im Tierkostüm
Die Tagnachtlampe
Die Korfsche Uhr
Palmströms Uhr
Korfs Geruchsinn
Die Geruchs-Orgel
Der Aromat
Der Weltkurort
Die Mausefalle
Im Winterkurort
Palmström an eine Nachtigall, die ihn nicht schlafen ließ
Die weggeworfene Flinte
Korfs Verzauberung
Korf-Münchhausen
Europens Bücher
Korf und Palmström wetteifern in Notturnos
Die Priesterin
Der Rock
Notturno in Weiß
Korf in Berlin
Alpinismus
Der eingebundene Korf
Die Brille
Die Mittagszeitung
Der durchgesetzte Baum
Der fromme Riese
Korf erfindet eine Art von Witzen –
Palmström legt des Nachts sein Chronometer –
Die Windhosen
Vom Zeitunglesen
Die Zimmerluft
Bilder
Die Wage
Plötzlich
L’art pour l’art
Feuerprobe
Die wirklich praktischen Leute
Die unmögliche Tatsache
Die Behörde
Professor Palmström
Das Polizeipferd
Venus-Palmström-Anadyomene
Gleichnis
Spekulativ
Der Träumer
Palmström lobt
Die beiden Feste
Palma Kunkel
Muhme Kunkel
Exlibris
Wort-Kunst
Das Forsthaus
Der Papagei
›Lore‹
Lorus
Der Kater
Der Bart
Die Zirbelkiefer
Der Droschkengaul
Mopsenleben
Der Meilenstein
Täuschung
Vice versa
Die wiederhergestellte Ruhe
Auf dem Fliegenplaneten
Das Perlhuhn
Das Einhorn
Die Nähe
Der Salm
Die Elster
Anfrage
Antwort (i.A.)
Entwurf zu einem Trauerspiel
Das Butterbrotpapier
Droschkengauls Jännermeditation
Das Auge der Maus
Zwischendurch
Die Schuhe
Das Tellerhafte
Schicksal
Das Grab des Hunds
Das Nilpferd
Der Sperling und das Känguru
Der gestrichene Bock
Der Leu
Das Geierlamm
Deus Artifex
Die Fledermaus
Der Zwi
Unter Spiegelbildern
Die Unterhose
Ein böser Tag
Das Buch
Geburtsakt der Philosophie
Der Korbstuhl
Physiognomisches
Rondell
Die zwei Parallelen
Denkmalswunsch
Der Gingganz
Der Gingganz
Der Aesthet
Die Oste
Der Vergess
Lieb ohne Worte
Er
Es pfeift der Wind
Der heilige Pardauz
Golch und Flubis
Gespenst
Die drei Winkel
Der Schnupfen
Lebens-Lauf
Im Reich der Interpunktionen
Etiketten-Frage
Die Glocke
Das Löwenreh
Klabautermann
Brief einer Klabauterfrau
Die Lampe
Der Papagei
Das Symbol des Menschen
Schiff ›Erde‹
Gruselett
Das Mondschaf
Vier Legendchen
Der Schüler
Der Maler
Der Rabbiner
Der Hahn
Zeitgedichte
Die Zeit
Das Grammophon
Die Tafeln
Die Stationen
Der Bahnvorstand
Der Glaube
Ukas
Der kulturbefördernde Füll
Auf einer Bühne
Zivilisatorisches
Toilettenkünste
Der Wasseresel
Der neue Vokal
Vom Stein-Platz zu Charlottenburg
Die Häusertürme von Neu-Berlin
Mägde am Sonnabend
Die Lämmerwolke
Scholastikerproblem
Die zwei Turmuhren
Ein modernes Märchen
St. Expeditus
Aus dem Anzeigenteil einer Tageszeitung des Jahres 2407
Galgenlieder
Dem Kinde im Manne
›Im ächten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen.‹ Nietzsche.
Versuch einer Einleitung
Wir leben in einer bewegten Zeit. Ein Tag folgt dem andern, und neues Leben sprosst aus den Ruinen. Auf moralischem, medizinischem, poetischem, patriotischem Gebiete, in Handel, Wandel, Kunst und Wissenschaft, allüberall dieselbe Erscheinung, dieselbe Tendenz. Symptom reiht sich an Symptom. Und solch ein Symptom war auch die Idee, welche eines schönen Tages des hinverflossenen Jahrhundertendes acht junge Männer, festentschlossen, dem feindlichen Moment, wo immer, im Sinne der Zeit und auch wieder nicht im Sinne der Zeit – diese Zeit, wie jede, als eine Zeit nicht nur der Bewegung schlechthin, sondern einer sowohl ab- wie aufsteigenden Bewegung, mit zeitweilig dem Ideale unentwegten Fortschritts nur zu abgekehrter Vorwiegung des ersteren Moments in ihr gesehen – die Singspielhalle, sozusagen, ihres Humors entgegenzustellen, zusammenschmiedete.
Ein sonderbarer Kult vereinte sie. Zuvörderst wird das Licht verdreht, ein schwarzes Tuch dann aus dem Korb und übern Tisch gezogen, mit Schauderzeichen reich phosphoresziert, und bleich ein einzig Wachs inmitten der Idee des Galgenbergs entnommner freudig-schrecklicher Symbole. Dazu heißt der Erste Schuhu: der hängt zuhöchst und gibt den Klang zum Hauch des Rabenaas, der das Mysterium verwest; der Dritte heißt Verreckerle: der reicht das Henkersmahl; der Vierte Veitstanz, zubenannt der Glöckner: der zieht den Armesünderstrang; der Fünfte Gurgeljochem: der schert den Lebensfaden durch; der Sechste Spinna, das Gespenst: der schlägt zwölf; der Siebente Stummer Hannes, zubenannt der Büchner; der singt Fisches Nachtgesang, und der Achte Faherügghh, mit dem Beinamen der Unselm: der kann das Simmaleins und spricht das große Lalulā. Und es wird das Knochenklavier geschaffen und der Gelächtertrab und die Elementarsymphonie und der Huckepackdalbert und der Eulenviertanz und der Galgenschlenkerer und Sophie, die Henkersmaid, als Symbild von der Weisheit unverweslichem Begriff.
Ein modulationsfähiger Keim.