Dr. Christine Hutterer
Prof. Dr. Christine Rummel-Kluge

Depression

Ein Ratgeber für Angehörige und Freunde

mit Fotografien von Sibylle Fendt

Inhaltsverzeichnis

Was wollen Sie wissen?

Etwas muss geschehen!

Ist es eine Depression?

Was können Sie jetzt tun?

Der Weg zur richtigen Diagnose

Depression ist eine Krankheit!

Was bedeutet die Diagnose für Sie?

Die Krankheit akzeptieren

Ihre eigenen Erwartungen und die des Betroffenen

Kindern die Depression erklären

Wer soll von der Depression erfahren?

Das Richtige tun:
Die Geschichte von Riccardo Piras

Einen neuen Alltag gestalten

Miteinander reden

Was dem Betroffenen im Alltag helfen kann

Umgang mit den akuten Symptomen

Ihre Beziehung zum Erkrankten

Die Sorge vor einem Suizid

Das Richtige tun:
Die Geschichte von Reinhardt Weißmann

Die Puzzleteile der Behandlung

Der Weg zur richtigen Behandlung

Welche Therapien gibt es?

Die Therapie begleiten

Das Richtige tun:
Die Geschichte von Bianca Schwarz

Die eigenen Grenzen wahrnehmen

Abgrenzung von der Negativität

Selbstfürsorge und Achtsamkeit

Wenn es zur Trennung kommt

Das Richtige tun:
Die Geschichte von Daniel O‘Donnell und Jörg Theurer

Gemeinsam in die Zukunft blicken

In guten Zeiten zurückblicken und vorsorgen

Ein neues altes Leben

Das Richtige tun:
Die Geschichte von Lisa

Hilfe

Adressen

Stichwortverzeichnis

Was wollen Sie wissen?

Einen depressiv erkrankten Menschen zu begleiten, ist eine schwere Aufgabe. Einerseits Verständnis aufzubringen und sich andererseits von den Auswirkungen der Depression abzugrenzen, ist für Angehörige ein Balanceakt. Dieser Ratgeber zeigt, wie es gelingen kann, diesen zu meistern.

Eine gute Freundin ist so niedergeschlagen. Ich habe den Verdacht, dass es eine Depression sein könnte. Soll ich sie darauf ansprechen?

Offenbar machen Sie sich Sorgen um Ihre Freundin. Bei Menschen, die man gut kennt, trügt das Bauchgefühl meist nicht. Eine Hilfestellung, um Ihre Beobachtungen besser einzuschätzen, finden Sie im Kapitel 1 ab S. 11. Aber wichtig ist, letztlich kann nur ein Arzt feststellen, ob es sich um eine Depression handelt. Es können beispielsweise auch andere behandlungsbedürftige Erkrankungen die Ursache sein. Daher sollten Sie die Betroffene in jedem Fall ansprechen. Wie Sie dabei vorgehen können, erfahren Sie ab S. 20. Sollte Ihre Freundin eine Depression haben, ist es wichtig, dass sie möglichst frühzeitig behandelt wird. Dann stehen die Chancen gut, dass es Ihrer Freundin bald besser geht.

Eine Depression ist doch Kopfsache, oder? Ist es wirklich nicht möglich, sich auch mal zusammenzureißen?

Eine Depression ist in der Tat eine Krankheit, bei der die Ursache im Kopf liegt. Das bedeutet jedoch nicht, dass es sich um Einbildung handelt. Vielmehr verändert sich tatsächlich der Stoffwechsel bestimmter Botenstoffe im Gehirn (mehr dazu auf S. 29). Die Entscheidung darüber, diese Krankheit zu haben oder nicht, unterliegt ebenso wenig dem freien Willen, wie etwa bei einer Blinddarmentzündung. Die depressive Stimmung, die Antriebslosigkeit, die Negativität und der Verlust von Freude sind die Symptome der Krankheit Depression – das zu akzeptieren, ist ein wichtiger Schritt, nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für Sie. Mehr darüber erfahren Sie in Kapitel 2 ab S. 38.

Mein Mann möchte, dass ich ihn in Ruhe lasse, damit er sich erholen kann. Ist das bei einer Depression eine gute Strategie?

Symptome einer Depression sind (unter anderem) Müdigkeit und Antriebslosigkeit. Betroffene haben das Gefühl, sich ausruhen zu müssen. Aber Erholung im Sinne von Nichtstun führt nicht zu einer Besserung, häufig sogar eher zu einer Verschlechterung der Symptome. Aktivität ist deswegen während einer depressiven Phase wichtig und der Betroffene sollte möglichst dazu ermuntert werden. Dennoch kann es sein, dass es ihm an einzelnen Tagen nicht möglich ist, aktiv zu sein. Wie Sie damit umgehen und wie Sie den Betroffenen zu Aktivitäten ermuntern, ohne Druck auszuüben, erfahren Sie in Kapitel 3 ab S. 92.

Meiner Frau geht es sehr schlecht. Trotzdem will sie nicht zum Arzt. Was kann ich tun?

Eine Depression verändert die Denkmuster der Betroffenen zum Teil sehr stark. Für Ihre Frau fühlt es sich so an, als würde ihre Situation nie wieder besser werden, als gäbe es keine Möglichkeiten, ihr zu helfen, und als hätte sie Hilfe gar nicht verdient. Das erklärt, warum Betroffene häufig (erst mal) nicht zum Arzt möchten. Erklären Sie Ihrer Frau, dass eine Depression eine Krankheit ist, die gut behandelt werden kann, und dass es ihr wieder besser gehen wird, wenn sie sich behandeln lässt. Der Hausarzt ist ein guter Ansprechpartner und ein Termin ist für viele Betroffene leichter umzusetzen als bei einem Facharzt. Mehr dazu erfahren Sie in Kapitel 1 ab S. 25. Ausführlichere Informationen über die Behandlungsmöglichkeiten erhalten Sie im Kapitel 4 ab S. 123.

Ich habe Angst, meine Schwester in eine psychiatrische Klinik zu bringen. Kommt sie da auch wieder raus?

Eine psychiatrische Klinik ist ein Krankenhaus wie jedes andere auch. Ihre Schwester erhält dort die bestmögliche Behandlung und ist für die Zeit des Aufenthalts gut versorgt. Mehr dazu erfahren Sie in Kapitel 4 ab S. 132. Wenn der Betroffene konkrete Suizidgedanken äußert, ist sofortige Hilfe und eine stationäre Unterbringung zum Schutz der Betroffenen unbedingt notwendig (mehr dazu ab S. 112). Machen Sie sich auch in einer solchen schweren Situation klar, dass die Betroffene in der Klinik wirksame Hilfe erhält – und selbstverständlich wieder entlassen wird, sobald sich ihr Zustand ausreichend gebessert hat.

Meine Partnerin lehnt alles ab, was ich vorschlage. Wie kann ich damit umgehen?

Die Begleitung eines depressiv erkrankten Menschen kann sehr anstrengend und verletzend sein. Besonders die Ablehnung, die Sie erfahren, wenn Ihre Angebote immer wieder ins Leere laufen, nagt am eigenen Selbstwertgefühl und kann wütend machen. Wichtig ist zu verstehen, dass der Erkrankte nicht Sie persönlich ablehnt. Mehr dazu erfahren Sie in Kapitel 3 ab S. 98. Dieses Verständnis allein ändert aber wenig an der enormen Belastung, die die Begleitung eines depressiv Erkrankten für Angehörige darstellt. Wie Sie sich selbst stärker in den Blick nehmen, erfahren Sie bereits in Kapitel 2 ab S. 49. Wie Sie das im Alltag umsetzen können, lesen Sie in Kapitel 5 ab S. 156.

Am liebsten würde ich einfach mal allein ein Wochenende wegfahren. Aber wäre das nicht egoistisch?

Angehörige und auch Freunde von Menschen mit Depressionen, insbesondere Partner, haben ein starkes Gefühl der Verpflichtung. Sie glauben, rund um die Uhr zur Verfügung stehen zu müssen. Häufig führt das zu großer Belastung oder sogar Überlastung. Doch Ihre Aufgabe als Angehörige ist nicht, sich vollkommen aufzureiben. Machen Sie sich klar, dass Sie den Kranken nur unterstützen, aber nicht heilen können. Außerdem tragen Sie auch eine Verantwortung für sich selbst. In Kapitel 5 ab S. 149 erfahren Sie, wie Sie Ihre Grenzen erkennen und gut für sich sorgen und warum das nicht egoistisch ist.

Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass es Wege aus der Depression gibt.

Etwas muss geschehen!

Eine Depression verursacht großes Leid, nicht nur bei den Betroffenen selbst, sondern auch bei den Menschen in deren Umfeld. Machen Sie sich klar, dass diese Erkrankung der Seele behandelbar ist. Sie können etwas tun und sollten daher handeln!

Die Krankheit Depression ist sowohl für Betroffene als auch für deren Angehörige schwer zu greifen. Manche Erkrankte können ihrem Alltag weiterhin mit nur einigen, nach außen wenig sichtbaren Einschränkungen nachgehen, andere werden praktisch handlungsunfähig und entwickeln teilweise sogar den Wunsch, nicht mehr leben zu wollen. Diese große Spannweite ist es auch, die alle Beteiligten stark verunsichert. Betroffene beschreiben ihren Zustand und ihre Empfindungen als große Leere, als Verlust aller Gefühle und die Umwelt als weniger farbig. Die Gedanken beißen sich an vermeintlichen Fehlern fest oder deuten Ereignisse im schlechtesten Sinne und als eigenes Versagen. Die meisten Erkrankten werden von irrationalen Schuldgefühlen geplagt und fühlen sich zunehmend minderwertig und wertlos. Alle rationalen Erklärungen und Beteuerungen von Angehörigen und Freunden, dass dem nicht so ist, oder das Aufzeigen von Beispielen, die das Gegenteil beweisen, kommen einfach nicht an. Besonders belastend kann es für Angehörige sein, wenn sie sich fragen, ob sie schuld sind an dem Leiden des anderen. Die Veränderung im Wesen der betroffenen Person und die tiefe Verzweiflung, die zutage tritt, sind häufig nicht nachvollziehbar. Angehörige verstehen nicht, was da vor sich geht, und stehen der Situation früher oder später hilflos gegenüber. Wenn das Schildern der Realität den Betroffenen nicht erreicht, Angebote zu helfen abgelehnt werden, eventuell Vorwürfe und Schuldzuweisungen gemacht werden und alles von Negativität durchdrungen ist, bleiben Ratlosigkeit, Resignation, Enttäuschung und auch Wut zurück. Zunehmend wird die Situation als ausweglos wahrgenommen und die Belastungen sind kaum noch auszuhalten.

Wo stehen Sie?

Je nachdem, in welcher Situation Sie dieses Buch lesen, sind Sie sich vielleicht noch gar nicht sicher, ob die Ihnen nahestehende Person wirklich an einer Depression leidet. Sie nehmen aber eine Veränderung wahr, die Ihnen große Sorgen macht. Diese Sorge sollten Sie unbedingt ernst nehmen! Es kann sein, dass die betroffene Person zurückgezogener oder antriebsloser ist als früher. Wie Sie damit umgehen können, wenn Sie die Krankheit vermuten, sich aber noch nicht sicher sind, erfahren Sie ab S. 11.

Vielleicht haben Sie aber auch längst Gewissheit, dass Ihr Angehöriger an einer Depression leidet. Dennoch oder gerade deshalb kann es sein, dass Sie sich hilflos fühlen und am Ende Ihrer Kräfte sind. Dem Betroffenen geht es während einer depressiven Episode schlecht und die Menschen im Umfeld wissen nicht mehr, was sie praktisch tun können und wie sie auf den Betroffenen reagieren sollen. Häufig fühlen sich Angehörige von Menschen mit schweren Depressionen regelrecht zur Randfigur degradiert. Es scheint eine Spirale ohne Ausgang. Das kränkt und macht wütend.

Möglicherweise versuchen Sie auch schon längere Zeit, den Betroffenen zu unterstützen, und es fühlt sich für Sie so an, als könnten Sie ihm und der Krankheit nicht gerecht werden. Die Situation wird durch Ihren Job, die Familie, den Haushalt, Freunde, Hobbys, eigene Sorgen oder Probleme und sonstige Verpflichtungen noch angespannter. Zugleich wächst Ihre Sorge um den Betroffenen. Sie sehen, wie ihm zunehmend sein Leben entgleitet und wie er leidet. Besonders belastend wird es, wenn Sie befürchten, dass sich der Betroffene etwas antun könnte. Diese Angst nimmt noch zu, wenn es in der Vergangenheit bereits einen Suizidversuch gab oder wenn der Betroffene entsprechende Andeutungen macht. In einer solchen Situation kommen viele Angehörige an ihre Belastungsgrenze und sie wissen nicht, wie es weitergehen soll.

Aber wichtig ist, sich klarzumachen, dass es Wege aus der Depression gibt. Es gibt Hilfe – für den Betroffenen, der unter einer Krankheit leidet, die gut behandelbar ist. Und auch für Sie, denn Sie müssen als Angehöriger nicht die gesamte Last allein tragen.

Ist es eine Depression?

Die Anzeichen und Symptome einer Depression zu (er)kennen ist ein wichtiger Schritt, um zu verstehen, wie es Ihrem Angehörigen geht und was Sie tun können.

Sie vermuten, dass ein Mensch, der Ihnen nahesteht, an einer Depression erkrankt ist. Oder Sie fragen sich, ob Ihr Angehöriger eine Depression hat oder ob es sich „nur“ um eine depressive Verstimmung, eine andere psychische oder eine körperliche Erkrankung handelt. Vielleicht überlegen Sie sich auch, ob es überhaupt etwas Ernstes ist oder ob Sie in die Veränderung, die Sie beobachtet haben, zu viel hineininterpretieren. In jedem Fall gilt:

Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl!

Allein, dass Sie sich Gedanken darüber machen, ob Ihr Angehöriger oder Freund an einer Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung leiden könnte, ist ein Indiz dafür, dass etwas nicht „normal“ ist. Zwar reicht das Bauchgefühl allein nicht für eine Diagnose, doch es sollte Sie darin bestärken, die Symptomatik durch Fachkräfte abklären zu lassen.

Angehörige und enge Freunde sind nah dran an einem lieben Menschen. Darum fällt ihnen oft früher als anderen auf, dass etwas nicht stimmt. Manchmal lässt sich zu Beginn nicht genau greifen, was sich verändert hat. Häufig äußert sich eine Depression nicht schlagartig, sondern entwickelt sich über einige Wochen. Doch diese Veränderungen zu „vorher“ ist genau das, was wichtig ist. Fragt man Experten, woran man merken kann, dass ein Angehöriger eventuell eine Depression hat, antworten sie immer: an einer grundlegenden Veränderung.

Veränderungen – ein Warnsignal

Aber was bedeutet das konkret? Einerseits kennt jeder Einzelne Symptome, die typisch für eine Depression sind, aus eigener Erfahrung. Denn wer war nicht schon niedergeschlagen, antriebslos, hatte Schlafstörungen oder konnte sich mal nicht konzentrieren? Das kommt immer wieder einmal vor, sei es, weil man Sorgen hat oder bei der Arbeit unter Druck steht oder weil sich ein Infekt anbahnt. Andererseits gibt es durchaus Anzeichen, woran Sie festmachen können, ob es nur eine „normale“ Verstimmung oder schon in Richtung der Erkrankung Depression geht. Eine Orientierung gibt Ihnen die die Checkliste ab S. 12.

Checkliste

Typische Symptome einer Depression

Für die Frage, ob eine Depression vorliegt, arbeiten Ärzte und Psychologen mit dem internationalen Krankheitsregister ICD. Danach müssen mindestens zwei Haupt- und zwei Zusatzsymptome über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen und über die meiste Zeit des Tages vorliegen. Je mehr Symptome vorliegen, desto schwerer ist die Depression. Die eigentliche Diagnose kann aber nur ein Arzt stellen!

Die Hauptsymptome sind:

Depressive, gedrückte Stimmung an fast allen Tagen für die meiste Zeit des Tages, vom Betroffenen selbst berichtet (z. B. fühlt sich traurig oder leer) oder von anderen beobachtet (z. B. erscheint den Tränen nahe).

Interessenverlust und Freudlosigkeit an allen oder fast allen Aktivitäten, damit einhergehend Rückgang der Aktivität und Verlangsamung sowohl bei Alltagstätigkeiten (Haushalt, Körperpflege, Berufstätigkeit) als auch von bisher als erfreulich und anregend empfundenen Hobbys und Freizeitaktivitäten.

Verminderung des Antriebs und erhöhte Ermüdbarkeit, deutliche Müdigkeit schon nach leichten Anstrengungen.

Zusatzsymptome sind:

Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, teilweise verminderte Fähigkeit zu denken. Mit einher geht häufig die Schwierigkeit, Entscheidungen zu treffen.

Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Betroffene zweifeln an ihren Fähigkeiten und trauen sich vieles nicht mehr zu.

Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, die in keinem Verhältnis zur Realität stehen.

Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven begleiten die Erwartungen an Ereignisse in der Zukunft. Sie sind unrealistisch negativ und pessimistisch verzerrt. Betroffene glauben auch, dass ihre depressive Störung sich nicht mehr bessern werde.

Wiederkehrende Gedanken an den Tod (nicht nur als Angst vor dem Sterben), wiederkehrende Suizidvorstellungen ohne genauen Plan, tatsächliche Selbstverletzung, Suizidversuch oder Planung eines Suizids.

Schlafstörungen, beispielsweise mit Schwierigkeiten ein- oder durchzuschlafen oder Erwachen früh morgens. Das Schlafbedürfnis ist häufig erhöht, Betroffene fühlen sich fast immer müde.

Deutlicher Gewichtsverlust ohne Diät oder Gewichtszunahme (mehr als 5 Prozent des Körpergewichts in einem Monat). Eine Depression geht häufig mit verändertem Appetit einher. In den meisten Fällen verlieren Betroffene ihren Appetit und in der Folge Gewicht, in manchen Fällen wird der Appetit aber auch gesteigert und Betroffene nehmen deutlich an Gewicht zu.

Häufige weitere Merkmale sind u. a. ein Morgentief mit besonders schlechter Stimmung am Morgen und deutlicher Verlust des sexuellen Interesses (Libidoverlust).

Neben den in der Checkliste genannten Symptomen gibt es noch eine Reihe weiterer Anzeichen, die eine Depression begleiten können, sogenannte somatische Symptome. Dazu gehören diffuse körperliche Beschwerden wie Magen-, Kopf- oder Rückenschmerzen, Schwindel oder Engegefühle in der Brust, für die keine organischen Ursachen gefunden werden können. Häufig sind das sexuelle Verlangen und Interesse vermindert.

So fühlt sich eine Depression an

Auflistungen der Symptome einer Depression helfen nur bedingt, die Erkrankung wirklich zu verstehen. Sie bleibt für viele Menschen schwer greifbar. Gefühle wie Traurigkeit und Niedergeschlagenheit kennen die meisten. Fast jeder hat schon einmal eine schwere Zeit erlebt, in der er beispielsweise wegen des Todes eines nahestehenden Menschen getrauert oder sich nach dem Verlust der Arbeitsstelle, nach einer Trennung vom Partner, aufgrund einer schweren Erkrankung oder Verletzung erschöpft, niedergeschlagen und hoffnungslos gefühlt hat. Doch irgendwie ging es weiter. Irgendwoher, tief aus dem Inneren konnte man nach einer Weile wieder Kraft finden und Hoffnung schöpfen. Man wollte wieder zurück, wieder am Leben teilnehmen. Irgendwann hatte man das Tal der Traurigkeit durchschritten und es wurde wieder heller. Eine solche Erfahrung gehört zu den Höhen und Tiefen des Lebens. Das ist keine Depression!

Eine Depression ist anders. Wer noch keine Depression hatte, kann sich nur schwer vorstellen, wie sie sich anfühlt. Betroffene beschreiben häufig einen Zustand völliger Unfähigkeit, etwas zu tun. Sie fühlen sich wie hinter einer Milchglasscheibe. Alles ist zu viel und zu anstrengend, selbst für die einfachsten Tätigkeiten fehlt schlicht die Kraft. Innerlich besteht eine große Leere. Das liegt auch daran, dass die Gefühle gedämpft oder einfach nicht mehr spürbar sind. Sie fühlen sich innerlich tot, selbst die Farben verblassen.

Nichts mehr fühlen können

„Normale“ Gefühle wie Freude, zum Beispiel weil das eigene Kind eine neue Fertigkeit erlernt hat oder ein Projekt bei der Arbeit sehr erfolgreich beendet wurde, sind einfach weg. Dabei wissen die Betroffenen sehr wohl, dass jetzt der Moment wäre, in dem sie sich freuen „müssten“ (und es früher auch getan hätten). Es sind jedoch nicht nur die positiven Gefühle wie Freude oder Zuversicht, die bei einer Depression nicht mehr fühlbar sind. Betroffene fühlen sich vielmehr aller Gefühlsregungen beraubt.

Das löst bei Betroffenen häufig große Angst aus. Angst davor, nie mehr etwas fühlen zu können, aber auch Angst vor dem Versagen, zum Beispiel davor, keine gute Mutter zu sein, vor schwerwiegenden Fehlern und davor, schuldig geworden zu sein. Depressiv Erkrankte wissen, was „normal“ wäre und was sie früher konnten, geschafft haben und zu leisten in der Lage waren. Doch gerade weil sie diesen Unterschied selbst wahrnehmen, betrachten sie sich zunehmend minderwertig und verachten sich selbst dafür.

Im Kopf kreisen Gedanken, die immer die schlechteste Möglichkeit wahrscheinlich erscheinen lassen. Sie breiten sich immer mehr aus, bis sie, wie ein schwarzes Loch, alles verschlungen haben. Zurück bleibt Leere und Dunkelheit. Gute Gedanken und der Glaube an ein gutes Ende, an eine Veränderung, die Besserung bringt, gibt es nicht mehr, ebenso fehlt jegliches Vertrauen in sich selbst und die eigenen Fähigkeiten.

Wichtiges Kriterium: Mindestens zwei Wochen

Ein entscheidendes Kriterium darf man bei der Betrachtung der Symptome einer möglichen Depression nicht aus den Augen verlieren: die Zeitspanne. Für eine Depression müssen die Symptome (mindestens) zwei Wochen anhalten. Das klingt nicht nach viel, doch viele Angehörige und auch Freunde merken die Veränderung im Wesen des Betroffenen in diesem Zeitraum schon sehr deutlich. Besonders auffällig ist das natürlich für den Partner oder andere Personen, die im selben Haushalt leben. Zwei Wochen, in denen die Partnerin oder der Vater schwer aus dem Bett kommt, zwar noch zur Arbeit geht, aber weder den Hobbys nachgeht noch Freunde trifft, sich kaum noch am Familienleben beteiligt, sind eine lange Zeit, wenn die Person vorher gesund und vielseitig interessiert war.

Verstehen und helfen

Typische Gedanken in einer Depression: „Ich bin wertlos.“ „Ich kann nicht einmal die normalsten Sachen.“ „Ich bin ein Versager.“ „Ich bin dumm, zu blöd für die Welt.“ „Jeder sieht, dass ich nichts kann.“ „Ich bin selbst schuld an meiner Situation, weil ich ein Versager bin/nichts kann/…“ Wenn Sie versuchen, sich vorzustellen, wie sich ein Mensch fühlt, für den all diese negativen Glaubenssätze zu 100 Prozent wahr sind, können Sie eine Ahnung davon bekommen, wie es Ihrem depressiven Angehörigen oder Freund gehen könnte.

Die Diagnose kann nur ein Arzt stellen!

Was sollten Sie nun tun, wenn Sie tatsächlich eine deutliche Veränderung im Verhalten Ihres Angehörigen bemerken, einige der genannten Symptome wiedererkennen und diese schon länger als zwei Wochen anhalten? Nehmen Sie Ihre Sorge ernst, aber machen Sie sich auch klar, dass die Diagnose einer Depression – oder einer anderen Erkrankung – nur ein Arzt stellen kann. Über den Weg zur Diagnose erfahren Sie etwas ab S. 25. Die erste Hürde ist jedoch, den Betroffenen überhaupt zu einem Arztbesuch zu bewegen. Wie Sie das Thema ansprechen können, erfahren Sie auf S. 20.

Depressionen bei Männern

Einerseits belegen Zahlen immer wieder, dass Frauen etwa doppelt so häufig an Depressionen erkranken wie Männer. Andererseits stellen neuere Untersuchungen auch fest, dass Depressionen bei Männern häufig nicht oder erst spät erkannt werden. Möglicherweise erkranken Männer daher gar nicht so viel seltener, sondern anders. Die Gründe dafür scheinen zu sein, dass die markantesten Anzeichen von Depressionen – die Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit und Freudlosigkeit – zwar auch bei Männern vorhanden sind, doch nicht so deutlich im Vordergrund stehen. Dagegen zeigen sich bei Männern nicht selten Symptome, die nicht in der Liste der typischen Anzeichen zu finden sind.

Viele an einer Depression erkrankte Männer reagieren gereizter und aufbrausender als üblich, neigen zu aggressivem Verhalten und Wutanfällen, sind gewaltbereiter oder reagieren auf eine Art, wie sie für die Situation und sozial als unangemessen empfunden wird. Dazu gehört auch, dass betroffene Männer häufiger zu Suchtverhalten, insbesondere zu vermehrtem Alkoholoder Drogenkonsum, neigen. Eine Suchterkrankung ist, insbesondere bei Männern, häufige Begleiterkrankung einer Depression. Körperliche Symptome treten hingegen häufiger bei Frauen auf.

Die biologischen Ursachen dafür sind noch nicht abschließend geklärt. Vermutet wird aber, dass Männer aufgrund ihrer evolutionsbiologischen Rolle und durch die Sozialisation in den westlichen Gesellschaften als Ernährer, Beschützer und „Macher“ unbewusst eine stärkere Gegenreaktion hervorbringen, wenn sie ihren sozialen Status bedroht sehen oder fürchten, beruflich, privat oder sozial als Versager gesehen zu werden. Daher ziehen sie eine psychische Erkrankung seltener in Betracht oder verdrängen die Möglichkeit, erkrankt zu sein. Weil sie sich nicht krank fühlen, projizieren sie ihre Probleme eher auf ihre Umwelt. In der Folge suchen Männer aufgrund ihrer Beschwerden seltener Hilfe und gehen weniger zum Arzt – und leiden daher länger an der Erkrankung, bis sie erkannt wird und behandelt werden kann.

Eine Depression oder doch ein Burn-out?

Wenn die Person, um die Sie sich Sorgen machen, sehr erschöpft und antriebslos wirkt, kann es auch sein, dass Sie neben einer Depression einen Burn-out als Ursache in Erwägung ziehen. Aber wo liegt da der Unterschied? Gibt es überhaupt einen?

Burn-out, die „beliebtere“ Diagnose? In unserer Leistungsgesellschaft wird eine Erschöpfung wegen zu viel Einsatz eher toleriert als eine psychische Erkrankung. Das mag dazu beitragen, dass Betroffene „lieber“ einen Burn-out bescheinigt bekommen möchten als eine Depression. Es ist zunächst nicht sinnvoll, mit den Betroffenen über die Bezeichnung ihres Zustands zu diskutieren. Wichtig ist nicht das Etikett, sondern dass sie Hilfe bekommen und bereit sind, diese anzunehmen.

Der Begriff des „Burn-out“ taucht in den letzten Jahren häufiger auf. Doch trotz der weiten Verbreitung ist Burn-out keine international akzeptierte Diagnose. Zu unterschiedlich sind die zahlreichen Symptome, die auftreten können, aber nicht unbedingt müssen. In der Praxis bedeutet das, dass man wegen „Burn-out“ nicht krankgeschrieben werden kann. In der neuen internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) wird Burn-out erstmals aufgeführt, allerdings nicht als psychische Erkrankung, sondern als ein Faktor, der die Gesundheit beeinträchtigen kann.

Nicht alle Lebensbereiche erfasst

Typisch für einen Burn-out ist, dass die Einschränkungen auf einen bestimmten Kontext bezogen sind, häufig auf die Arbeit. Doch auch andere Bereiche starker Belastung, beispielsweise durch die Pflege von Angehörigen, können ursächlich sein. Interessen an Hobbys oder an Bereichen außerhalb des Stressors bleiben erhalten. Depressionen hingegen beziehen sich auf alle Lebensbereiche.

Burn-out zeichnet sich durch drei Merkmale aus: ein Gefühl von Erschöpfung, zunehmende geistige Distanz oder zynische Haltung zum eigenen Job bzw. dem belastenden Bereich und verringertes Leistungsvermögen und Inaktivität. Diese Symptome überschneiden sich mit denen einer Depression, und häufig stellt sich heraus, dass hinter einem Burn-out eine depressive Erkrankung steckt. Gemein ist beiden, dass die Betroffenen Hilfe brauchen. Auch bei einem Burn-out kommen mitunter Medikamente und psychotherapeutische Verfahren zum Einsatz. Unterscheiden tun sie sich darin, dass sich die Erschöpfung bei einem Burnout durch Erholung, Ausschlafen oder Kürzertreten bessert, während das bei einer Depression nicht funktioniert und die Symptome häufig sogar verschlimmert.

Die Beschwerden passen nicht?

Vielleicht sind Sie immer noch unsicher, wie Sie die Situation einschätzen sollen. Vielleicht stellen Sie fest, dass bei Ihrem Angehörigen zwar einige der Symptome für eine Depression gut passen, andere aber nicht. Nehmen Sie den Verdacht dennoch ernst! Es kann sich trotzdem um eine Depression handeln, denn es gibt zahlreiche unterschiedliche Formen, die in diesem Buch nicht im Detail dargestellt werden können, etwa saisonal abhängige Depressionen oder Wochenbettdepressionen.

Neben Depressionen gibt es weitere psychische Erkrankungen, deren Symptome sich teilweise mit denen von Depressionen überschneiden oder gleichzeitig auftreten können. Dazu gehören z. B. bipolare Störungen. Wenn Sie bei Ihrem Angehörigen oder Ihrem Freund Anzeichen beobachten, die auf eine andere oder weitere Erkrankung als eine „reine“ Depression hindeuten, sollten Sie ebenfalls aktiv werden. Wenn der Betroffene nicht selbst um Hilfe bittet, sollten Sie ihn ansprechen und versuchen, darauf hinzuwirken, dass ein Arzt aufgesucht wird.

Was können Sie jetzt tun?

Verschaffen Sie sich einen Überblick über die Situation. Versuchen Sie, ruhig zu bleiben, und gehen Sie verständnisvoll und offen auf den Betroffenen zu.

Obwohl das Wissen um Depressionen in der Bevölkerung zunimmt und der Umgang in der Öffentlichkeit inzwischen selbstverständlicher zu sein scheint, so gibt es doch noch immer Berührungsängste. Manche Angehörige und Betroffene haben die Sorge, als „schwach“ zu gelten oder in die Schublade „psychisch krank“ gesteckt zu werden. Doch all diese Sorgen und Ängste dürfen nicht dazu führen, die Augen vor dem Problem zu verschließen und so zu tun, als ginge das von selbst vorbei. Wenn Sie eine merkliche Veränderung bei Ihrem Angehörigen wahrnehmen, die Sie in die Richtung einer Depression oder psychischen Erkrankung denken lässt, dann besteht Handlungsbedarf.

Je früher Sie handeln, desto besser!

Depressionen sind gut behandelbar und je früher die Erkrankung erkannt wird, desto besser kann sie behandelt werden. Daher ist es gut, so früh wie möglich zu handeln und sich Hilfe zu suchen (siehe S. 25).

Ein klarer Blick auf die Situation

Handeln bedeutet in einem ersten Schritt, die Augen nicht vor den Veränderungen zu verschließen, die der Betroffene erlebt und die Auswirkungen auf Ihre Beziehung haben. Möglicherweise sind Sie vom ungewöhnlichen Verhalten des Betroffenen auch zunehmend genervt oder es macht Sie wütend – er macht immer weniger im Haushalt, sagt Verabredungen ab, hängt ständig zu Hause herum. Klar, dass das Ihre Reaktion auf den Betroffenen beeinflusst. Vielleicht sind Sie misstrauisch, weil Ihr Partner oder Ihre Partnerin sich so anders verhält und körperliche Nähe meidet. Liebt er mich nicht mehr? Geht sie fremd? Oder Sie zweifeln an sich selbst: Habe ich etwas falsch gemacht? Bin ich der Grund dafür, dass derjenige oder diejenige sich so anders verhält?

Versuchen Sie, sich von derartigen Gedanken zu lösen. Um die Situation verstehen zu können, brauchen Sie etwas Abstand und einen unaufgeregten, objektiveren Blick auf das aktuelle Geschehen. Ins Handeln zu kommen bedeutet in Ihrer Situation auch, nicht in Panik zu verfallen. Machen Sie sich immer wieder klar, dass Depression eine Krankheit ist. Das Erste, was Sie darüber hinaus für Ihren Angehörigen tun können, ist, sich über seine Erkrankung zu informieren und Verständnis für den Betroffenen aufzubringen.

Verstehen und helfen

Depressionen sind noch immer schambesetzt. Obwohl sich inzwischen auch Prominente mit ihrer Depression in die Öffentlichkeit wagen, ist das Thema teilweise noch immer tabuisiert. Man redet besser nicht darüber, auch weil eine psychische Erkrankung eine Karriere verhindern kann oder man als „verrückt“ gilt. Doch Depressionen sind weitverbreitet. Höchstwahrscheinlich haben Sie in Ihrem Umfeld selbst mehrere Betroffene oder Angehörige. Trauen Sie sich, darüber zu sprechen!

Sie können mehr tun als abwarten

Wenn Sie merken oder wissen, dass sich Ihr Angehöriger darüber Gedanken macht, ob er eine Depression haben könnte, ist das ein gutes Zeichen. Das Gefühl, wie stark jemand unter seinem Zustand leidet, kann von Person zu Person verschieden sein und sich auch stark davon unterscheiden, wie Sie oder andere Angehörige die Situation wahrnehmen. In der Regel verstärken sich aber über die Dauer die Symptomatik und damit auch die Beschwerden, die ein Betroffener spürt. Vielleicht ist Ihr Angehöriger in der Phase, in der er sich (noch) so gut es geht zusammenreißt und das gesamte Ausmaß der Belastung nicht sehen will oder kann.

Der Leidensdruck entscheidet

Grundsätzlich halten Ärzte und Psychotherapeuten eine Behandlung für notwendig, wenn der Betroffene das Gefühl hat, dass er unter den beschriebenen Symptomen leidet. Es geht also um das, was er selbst wahrnimmt, weniger um den Eindruck anderer Personen. Entscheidend ist der Leidensdruck, den der Betroffene empfindet.

Das mag für Sie im ersten Moment bitter klingen, denn Sie sorgen sich um Ihren Angehörigen und sehen unter Umständen wertvolle Zeit verstreichen. Allerdings bedeutet das auch nicht, dass Sie nur abwarten sollen, bis es dem Betroffenen schlecht genug geht, sodass er selbst einen Arzt aufsucht. Das Tückische an Depressionen ist nämlich, dass sie manchmal verhindern, dass betroffene Menschen sich überhaupt Hilfe suchen. Während bei anderen Erkrankungen der Wunsch, einen Arzt zu konsultieren, durch die Beschwerden gefördert wird, kann bei einer Depression das Gegenteil passieren: Der Betroffene ist der Meinung, dass auch ein Arzt nicht helfen kann und dass er es ohnehin nicht verdient hat, eine Behandlung zu bekommen. Er will niemandem zur Last fallen oder Kosten verursachen. In dieser Stimmung würde ein Betroffener möglicherweise nie zum Arzt gehen oder den Besuch lange hinauszögern, was die Behandlung deutlich erschwert. Aus diesem Grund sollten Sie durchaus darauf hinwirken, dass der Betroffene einen Arzt aufsucht, indem Sie beispielsweise immer wieder Ihre Sorge über seinen Zustand ausdrücken.

Verstehen und helfen

Für Freunde: Wen soll ich ansprechen? Wenn Sie sich unsicher sind, ob Sie die Situation richtig einschätzen, beispielsweise weil Sie als Freund oder Freundin nicht im selben Haushalt leben, dann möchten Sie den Betroffenen vielleicht nicht sofort direkt ansprechen. Stattdessen können Sie zunächst mit anderen Personen Ihre Beobachtungen und Ihre Vermutung teilen. Der Partner oder die Partnerin des Betroffenen ist vielleicht sogar dankbar, darauf angesprochen zu werden und jemanden zum Reden zu haben. Je nach Situation können auch die Eltern, Kinder oder Geschwister wertvolle Ansprechpartner sein.

Wie sprechen Sie es an?

Manchmal braucht es Überwindung, den Betroffenen anzusprechen. Dennoch sollten Sie ihm sagen, was Ihnen an seinem Verhalten aufgefallen ist und dass Sie sich deswegen Sorgen machen. Stellen Sie aber, selbst wenn Sie sich schon relativ sicher sind, dass es sich um eine Depression handelt, keine Vermutungen zur Diagnose an. Bleiben Sie stattdessen bei Ihren Beobachtungen. Teilen Sie dem Betroffenen also mit, welche Veränderungen Sie in seinem Verhalten beobachtet haben. Mit folgenden Worten können Sie zum Beispiel Ihre Sorgen formulieren:

„Ich mache mir Sorgen um dich.“

„Ich habe das Gefühl, dass Du dich in den letzten Wochen stark verändert hast.“

„Mir ist aufgefallen, dass du in den letzten Wochen/Monaten nicht mehr zum Sport gehst. Auch gemeinsame Unternehmungen von uns beiden sind weniger geworden.“

„Ich merke, dass du in letzter Zeit oft traurig und niedergeschlagen bist.“

„Ich habe das Gefühl, dass du im Alltag/ in der Arbeit/mit den Kindern nicht mehr so gut zurechtkommst.“

„Ich höre dir gerne zu, wenn du Probleme oder Sorgen hast, über die du sprechen möchtest.“

„Ich bekomme mit, dass es dir nicht gut geht. Hast du schon einmal daran gedacht, mit deinem Hausarzt zu sprechen?“

Versuchen Sie, auch wenn Sie sich große Sorgen machen, nicht in Panik zu verfallen und den Betroffenen zu etwas zu drängen. Sie können Hilfe anbieten und Ihre Besorgnis ausdrücken. Doch Vorwürfe oder ein Ultimatum für einen Arzttermin bringen nichts. Im Gegenteil. Auf zu großen Druck wird sich ein depressiv Erkrankter weiter zurückziehen und noch weniger zugänglich werden. Vielleicht können Sie Ihrem Angehörigen vorschlagen, einen Selbsttest durchzuführen wie den auf S. 22, der zwar nicht dieselbe Aussagekraft hat wie die Untersuchung bei einem Arzt, aber erste Hinweise geben oder dem Betroffenen aufzeigen kann, dass seine Beschwerden ernst zu nehmen sind.

So unterstützen Sie, dass der Betroffene sich Hilfe holt

Wenn Sie mit dem Betroffenen über Ihre Sorgen gesprochen haben und dieser selbst sieht, dass etwas passieren sollte, können Sie ihm auch beim nächsten Schritt helfen. Viele Betroffene benötigen nämlich Unterstützung, um sich professionelle Hilfe zu suchen und diese annehmen zu können.

Wie bereits erwähnt, verhindern die negativen Gedanken und Schuldgefühle während einer Depression häufig, dass Betroffene überhaupt Hilfe suchen möchten. Hinzu kommt oft die Angst, als „verrückt“ oder „Psycho“ zu gelten. Als Vertrauensperson können Sie dem Betroffenen vermitteln, dass diese Befürchtung nicht gerechtfertigt ist. Wenn Sie Menschen kennen, die schon wegen einer Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung behandelt wurden, oder Sie selbst vielleicht auch bereits einmal Hilfe bei psychischen Belastungen in Anspruch genommen haben, dann können Sie davon berichten, um dem Betroffenen die Angst zu nehmen. Erklären Sie, dass es erst einmal darum geht, Gewissheit darüber zu bekommen, was ihm fehlt. Sollte es sich um eine Depression handeln, so ist das eine Krankheit wie viele andere auch. Man ist nicht schuld daran.

Bei körperlichen Begleiterscheinungen einer Depression, wie Rückenschmerzen oder Magen-Darm-Beschwerden, besteht zudem oft das Problem, dass viele Menschen sich nicht vorstellen können, dass diese ihre Ursache in einer psychischen Störung haben könnten. „Ich bilde mir doch nicht ein, dass mein Rücken weh tut“, ist eine typische Reaktion. Machen Sie in diesem Fall sich selbst und dem Betroffenen klar, dass es nicht darum geht, die Beschwerden als „Einbildung“ abzutun.

Die Beschwerden sind keine Einbildung!

Das seelische Wohl- oder Unwohlbefinden wird in unserer Gesellschaft häufig vom körperlichen Wohlbefinden getrennt. Manche Menschen mit Depressionen gehen daher von einem Facharzt zum nächsten, durchlaufen umfangreichste Diagnostik, ohne dass sich eine organische Ursache findet. Doch um sich bewusst zu machen, wie eng Körper und Seele verzahnt sind, reicht schon ein genauerer Blick auf unsere Sprache: Nicht ohne Grund sprechen wir beispielsweise davon, dass jemandem „etwas auf den Magen schlägt“. Auch dass Tränen fließen, wenn man traurig oder gerührt ist, zeigt, wie ein Gefühl sichtbare körperliche Reaktionen hervorruft – und niemand käme auf die Idee, zu behaupten, man würde sich die Tränen nur einbilden!

Selbsttest zum Wohlbefinden

Der WHO-5-Wohlbefindensindex ist ein häufig verwendetes Screening-Instrument zur Feststellung von Depressivität. Die folgenden Aussagen beziehen sich auf das Wohlbefinden in den letzten zwei Wochen. Ihr Angehöriger sollte bei jeder Aussage die Angabe markieren, die seiner Meinung nach am besten beschreibt, wie er sich in den letzten zwei Wochen gefühlt hat.

Addieren Sie nun die Punkte der Antworten zusammen. Eine Gesamtsumme von 13 oder weniger Punkten ist ein Hinweis auf eine behandlungsbedürftige Depression.

Quelle: WHO-5-Wohlbefindensindex

Nicht zuletzt ist es wichtig, dass der Betroffene davon überzeugt ist, dass eine Behandlung Besserung bringen kann. Diese Zuversicht fehlt depressiv erkrankten Menschen jedoch häufig. Auch an dieser Stelle können Sie Ihren Angehörigen unterstützen. Wenn der Antrieb fehlt, einen Arzt oder Psychotherapeuten zu suchen, einen Termin zu vereinbaren und den Termin wahrzunehmen, können Sie helfend zur Seite stehen und ihm gut zureden.

Überrumpeln für einen guten Zweck?