Dr. Robert H. Lustig

WIE UNSER ESSEN UNS KRANK MACHT

Dr. Robert H. Lustig

WIE UNSER ESSEN UNS KRANK MACHT

Die Lügen und Tricks der Lebensmittelindustrie durchschauen, chronische Krankheiten vermeiden und gesund bleiben

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

1. Auflage 2022

© 2022 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die englische Originalausgabe erschien 2021 bei Harper Wave, ein Imprint von HarperCollins, unter dem Titel Metabolical: The Lure and the Lies of Processed Food, Nutrition, and Modern Medicine. © 2021 by Robert H. Lustig, M.D., M.S.L. All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Dr. Kimiko Leibnitz

Redaktion: Stephanie Kaiser-Dauer

Umschlaggestaltung: Tobias Priessner

Umschlagabbildung: Master1305/Shutterstock.com

Satz: Carsten Klein, Torgau

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7423-1724-7

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-1412-0

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-1413-7

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Inhalt

Einleitung

Teil I
Die Entmythologisierung der »modernen Medizin«

Kapitel 1
Eine »Behandlung« ist kein »Heilmittel« – sie ist nicht einmal eine Behandlung

Kapitel 2
Die »moderne Medizin« behandelt Symptome, keine Krankheiten

Kapitel 3
Ärzte müssen Ernährung »verlernen«

Kapitel 4
Ernährungsberater haben den Verstand verloren

Kapitel 5
Zahnärzte auf Abwegen

Kapitel 6
Weil »Big Pharma« ihr Lehrmeister war

Teil II
Die Entmythologisierung der »chronischen Krankheit«

Kapitel 7
Die »Krankheiten«, die gar keine sind

Kapitel 8
Die Checkpunkte Alpha, Bravo, Charlie: Nährstoffwahrnehmung und chronische Krankheiten

Kapitel 9
Wie Sie die Puzzleteile zusammensetzen, um eine Selbstdiagnose zu stellen

Kapitel 10
Durch Ernährung, nicht durch Medikamente behandelbar

Teil III
Notizen von der Ernährungsfront

Kapitel 11
Was bedeutet »gesund« eigentlich?

Kapitel 12
Ernährung im Klartext

Kapitel 13
Essen in Zeiten von Corona

Kapitel 14
Was und wie Erwachsene essen

Kapitel 15
Was und wie Kinder und Jugendliche essen

Kapitel 16
Was und wie Föten, Säuglinge und Kleinkinder essen

Teil IV
Die Schlacht um (verarbeitete) Lebensmittel

Kapitel 17
Wie Lebensmittel klassifiziert werden

Kapitel 18
Wie Lebensmittel belastet sind

Kapitel 19
Was Lebensmitteln entzogen wird

Kapitel 20
Was Lebensmitteln zugesetzt wird

Kapitel 21
Lebensmittel als Suchtmittel

Kapitel 22
Lebensmittelbetrug

Teil V
Wo ist die Lebensmittelpolizei, wenn man sie braucht?

Kapitel 23
Die Parteilinie

Kapitel 24
USDA und FDA töten keine Menschen – sie lassen sie vielmehr sterben

Kapitel 25
Echtes Essen ist gut für den Planeten

Kapitel 26
Echtes Essen ist gut für den Geldbeutel

Kapitel 27
Die Ent-Verarbeitung unserer Lebensmittelversorgung

Kapitel 28
Ein Plädoyer für echtes Essen

Epilog

Danksagung

Glossar

Über den Autor

Anmerkungen

Ich verließ die University of California, San Francisco (UCSF) im Jahr 2017, nachdem ich 40 Jahre als praktizierender Arzt tätig gewesen war, und ging in den Ruhestand mit der Vorstellung, fortan mehr Zeit damit verbringen zu können, meinen Interessen nachzugehen. Aber wie es immer so ist – der Mensch denkt, Gott lenkt. Die letzten fünf Jahre waren aus vielen Gründen, unter anderem aufgrund persönlicher, beruflicher und gesundheitlicher Umstände, ziemlich hart – es war einfach viel los. Aber meine Familie steht mir zur Seite, und weil sie immer für mich da ist, widme ich ihr dieses Buch. Ich danke meinen Töchtern Miriam und Meredith, meiner Frau Julie und meiner Schwester Carole Berez – dieses Buch ist das Produkt eurer Liebe und Geduld, vor allem im vergangenen Jahr. Und meiner erweiterten Familie, meinen Nachbarn Marcia und Mark Elias, meiner Kochbuch-Mitautorin Cindy Gershen, meinen Freunden Elissa Epel und Jack Glaser von der UCSF, Walt Miller und Sindy Mellon, Ivy und Fred Aslan sowie meiner Lektorin Amy Dietz, die mir immer dann den Rücken stärkten, wenn ich es dringend nötig hatte. Dieses Buch ist genauso eure Leistung wie meine.

Einleitung

Sie hatten einen harten Arbeitstag, Sie sind nach einer langen Autofahrt endlich wieder zu Hause, und Sie haben einen Bärenhunger. Sie setzen sich an den Esstisch, schalten den Fernseher ein und machen sich wissentlich über einen Teller Gift her. Es sieht aus wie Essen, schmeckt wie Essen, vielleicht schmeckt es sogar besser als Essen. Aber was wäre, wenn etwas damit gemacht wurde, um es zu vergiften?

Nein – das ist keine Folge von Game of Thrones; das passiert den meisten von uns fast jeden Tag, bei jeder Mahlzeit und jedem Snack. In früheren Zeiten hatte der König Vorkoster und Mundschenke, die sein Essen und seine Getränke zuerst probieren mussten, um zu testen, ob sie vergiftet worden waren. Diese armen Hofbediensteten wussten, dass jeder Bissen oder Schluck ihr letzter sein konnte. Aber unser heutiges Essen ist doch unbedenklich, oder? Ihr Supermarkt-Einkaufswagen quillt über von eingeschweißten, gekühlten oder tiefgefrorenen, luftdicht verpackten, haltbar gemachten, bestrahlten, pathogengetesteten und zollgeprüften Produkten, die alle gesetzlichen Vorgaben erfüllen (Vorgaben des USDA, des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums und der FDA, der US-amerikanischen Behörde für Lebens- und Arzneimittelüberwachung; hier in Deutschland in erster Linie die Vorgaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und der Europäischen Arzneimittelagentur). Aber was wäre, wenn diese Produkte vor der Ernte, während der Zubereitung oder selbst nach dem Verpacken von einigen Übeltätern verändert oder verfälscht wurden, um Sie zu töten? Was wäre, wenn das mit voller Absicht geschieht – nicht, weil sie nach Ihrem Leben trachten, vielmehr aber nach Ihrem Geldbeutel?

Wir hören gelegentlich von E. coli in Hackfleisch, Salmonellen in Eiern, Listerien im Spinat oder sogar Melamin in Milchnahrung für Säuglinge; dann werden die Produkte zurückgerufen und es wächst Gras über die Sache. Unser Essen ist also sicher, oder? Aber was wäre, wenn es mehr wie ein schleichendes Gift wirkt, wie Tabak – eine Zigarette wird Sie nicht töten, aber 10 000 Glimmstängel über einen Zeitraum von zehn Jahren vielleicht schon. Anders als bei einer Salmonellenvergiftung werden Sie die Wirkungen nicht sofort spüren. Aber früher oder später schon … überall: in Herz, Muskeln, Blase, Gehirn und vor allem im Geldbeutel. Was, wenn dieses essbare Gift mit Zusätzen gestreckt ist, die sich auf das Belohnungszentrum im Gehirn auswirken und süchtig machen, sodass Sie die Dosis ständig steigern müssen? Wie ein Drogendealer, der auf dem Schulhof Gratisproben verteilt – und dann hat er Sie am Wickel. Und je höher und chronischer die Dosis ist, desto schneller werden Sie sterben.

Gehen wir einen Schritt weiter: Was, wenn dieses Gift nicht nur langfristig tödlich ist, sondern auch für akute Erkrankungen anfällig macht – beispielsweise eine virenbedingte Pandemie –, die Sie sogar noch schneller ins Grab bringen könnten? Was, wenn die Lebensmittelüberwachungsbehörden wissen, dass dieses langsame, essbare Gift landesweit im Handel erhältlich ist, und es zulassen, dass diese Produkte öffentlich beworben werden? Was, wenn die ganze Welt demselben toxischen, süchtig machenden und verzehrbaren Gift ausgesetzt ist und ebenfalls krank wird?

Und schließlich: Was, wenn dieses schleichende Gift aussieht wie alle anderen Dinge im Supermarkt? Wie kann man sich dagegen schützen?

Das ist kein Roman von Stephen King. Das passiert im echten Leben, und zwar genau jetzt. Sie kennen dieses verzehrbare Gift unter dem Namen verarbeitete Lebensmittel.

Der Autor Mark Bittman, der über die Themen Essen und Ernährung schreibt, meinte Folgendes: Da Nahrung als »eine Substanz, die Nährstoffe liefert und das Wachstum fördert« definiert wird und Gift »eine Substanz ist, die Krankheiten begünstigt«, dann ist »vieles von dem, was in der industriellen Landwirtschaft produziert wird, keine Nahrung, sondern in Wirklichkeit Gif«. Er meinte damit in erster Linie die Pestizide, die anstelle nachhaltiger ökologischer Anbaumethoden verwendet werden, und argumentierte, dass wir unser Essen mit Gift versetzt haben. Ja, Pestizide sind für einen Teil der Toxizität von Lebensmitteln verantwortlich – sind aber nur die Spitze des Eisbergs und machen vielleicht 10 % der Probleme aus, mit denen wir es zu tun haben. Die restlichen 90 % sind auf Verarbeitungsprozesse zurückzuführen, die aus dem, was einmal Nahrung war, ein neues, schleichendes Gift gemacht haben. Auf der Schachtel Ihrer Frühstücksflocken prangen vielleicht Schlagwörter wie »Bio« und »ohne künstliche Zusätze« – aber deswegen kann der Inhalt trotzdem Gift sein. Wichtig ist die »Alchemie«, wie das Essen an sich zu Gift geworden ist. Solange man diesen Prozess nicht versteht, kann man nicht begreifen, was mit unserem Essen geschehen ist – und mit uns. Dieses Buch wird erklären, dass es nicht darum geht, was im Essen ist – sondern vielmehr darum, was mit dem Essen gemacht worden ist. Und Sie können das nicht von Ihrem Arzt, Ernährungsberater, aus der Werbung, einem Internetblog oder den Nährwertangaben erfahren, die auf der Lebensmittelverpackung abgedruckt sind. Nein, Sie werden sich dieses Wissen selbst erarbeiten müssen.

Ernährungswissenschaft ist nicht dasselbe wie Lebensmittelwissenschaft. Die Ernährungswissenschaft beschäftigt sich mit der Frage, was auf dem Weg vom Mund in die Körperzelle mit dem Essen passiert. Die Lebensmittelwissenschaft hingegen untersucht, was auf dem Weg vom Boden in den Mund mit dem Essen passiert. Beide Forschungsgebiete hängen voneinander ab, und trotzdem sind sie für die Öffentlichkeit »nicht greifbar«. Das ist kein Zufall, zumal die Lebensmittelindustrie und die Regierung Sie im Unklaren darüber lassen wollen, dass die Lebensmittelverarbeitung die aktuellen Ernährungskonzepte hinfällig macht.

Die Lebensmittelverarbeitung muss in der Nährwertkennzeichnung nicht ausgewiesen werden. Etiketten und Zutatenlisten sagen Ihnen nur, was im Essen enthalten ist. Das ist weitgehend irrelevant – wirklich wichtig ist, was mit dem Essen gemacht worden ist, und das steht auf keinem Etikett. In diesem Buch werde ich sowohl die Ernährungsals auch die Lebensmittelwissenschaft transparent machen. Im Grunde müssen Sie nur zwei Regeln kennen: Lebensmittel sollten 1. die Leber schützen, 2. den Darm nähren. Lebensmittel, die beiden Geboten entsprechen, sind gesund; tun sie dies nicht, sind sie Gift; und Lebensmittel, die nur einem Gebot entsprechen, sind schlecht (aber weniger schlecht) – auch wenn staatliche Behörden gesundheitsbezogene Werbeaussagen auf Produktverpackungen erlauben. Nur Produkte, die beide Kriterien erfüllen, qualifizieren sich als echtes Essen, das sich dadurch auszeichnet, dass es seine guten Eigenschaften beibehalten hat und nicht mit Toxinen versetzt wurde, die unseren Untergang beschleunigen.

Schnallen Sie sich an – und machen Sie sich auf eine wilde Fahrt gefasst. Auf unserer Reise werden wir nicht nur durch das Mikroskop blicken, sondern auch durch das Fernrohr – sie führt uns vom Molekül zum Planeten, mit allem, was dazwischen liegt. Wir sehen uns die kleinsten Details an und das große Gesamtbild. Wir werden außerdem eine Zeitreise unternehmen und die letzten 50 Jahre Revue passieren lassen. Der Grund für diesen Exkurs, bei dem wir alles auf den Kopf stellen und von innen nach außen kehren, ist die Beantwortung der folgenden Fragen: Warum bauen wir gesundheitlich ab? Warum bricht unser Gesundheitssystem zusammen? Warum verschlechtert sich unser Klima?

Manche wenden vielleicht ein, dass diese Phänomene separate Ereignisse sind, die nichts miteinander zu tun haben. Aber es beginnt alles mit unserer Lebensmittelversorgungskette, die sich vor 50 Jahren verändert hat, um die Produktion und den Konsum verarbeiteter Lebensmittel zu fördern. Um Argumente für diese Theorie zu finden und diese zu stützen, habe ich mehrere Punkte miteinander verbunden: Lebensmittel mit Biochemie, Biochemie mit Krankheiten, Krankheiten mit Medizin, Medizin mit Demografie, Demografie mit Ökonomie, Ökonomie mit Landwirtschaft, Landwirtschaft mit Klima, Klima mit dem Planeten und den Planeten schließlich wieder mit Lebensmitteln.

Ich weiß, dass das wie eine rasante Fahrt auf der akademischen Achterbahn anmutet, darum bitte ich Sie, sich gut festzuhalten. Wenn Sie sehen, wie alle diese Faktoren wie Zahnräder ineinandergreifen, werden zwei unbestreitbare Wahrheiten hervortreten. Erstens: Die Veränderung der Lebensmittelverarbeitung, die vor etwa 50 Jahren angefangen hat, hat eine langsame, aber unerbittliche medizinische, ökonomische und ökologische Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Sie hat mit der Zeit an Fahrt aufgenommen, hat zu einer Überforderung unserer medizinischen Versorgung geführt und zeigt sich jetzt besonders deutlich in der COVID-19-Pandemie und den sozialen Ungleichheiten, die sich in und durch diesen Ausnahmezustand offenbaren. Sie bedroht die Ressourcen auf unserem Planeten. Zweitens: In unserer heutigen Gesellschaft sind Lebensmittel der einzige Hebel, den wir sofort in Gang setzen können, um eine Veränderung herbeizuführen. Wenn Sie es nicht schaffen, Ihr Essen in den Griff zu bekommen, steigt Ihr Risiko für chronische Krankheiten und einen vorzeitigen Tod. Wenn wir es nicht schaffen, unser Essen in den Griff zu bekommen, steigt das Risiko für den Untergang unserer Gesellschaft und unserer Erde. Dieses Buch erklärt, was nötig ist, um beide Probleme in den Griff zu bekommen.

Die meisten Autoren, die über Ernährung schreiben, wollen Ihnen eine Diät verkaufen, haben mit irgendjemandem eine Rechnung zu begleichen, müssen sich nicht um Patienten kümmern, können keine Diagnose stellen oder medizinische Ratschläge erteilen und denken, dass es eine gesunde Ernährungsweise gibt, die sich pauschal auf jeden Menschen anwenden lässt. Sie können oder wollen nicht auf Ernährungsprobleme eingehen, die etwas mit dem Alter, Geschlecht oder der ethnischen Herkunft zu tun haben, weil sie nur einen Aspekt der Ernährung kennen und diesen nicht auf den einzelnen Leser anwenden können. Es ist unser gutes Recht, sie als voreingenommen zu betrachten.

Umgekehrt sollten Ärzte dafür sorgen, dass Sie gesund bleiben, aber das ist nur möglich, wenn sie auch gelernt haben, wie das geht. Seit Jahrzehnten haben sich die Angehörigen der Heilberufe damit abgefunden, dass chronische Krankheiten und Alterungsprozesse zum Leben dazugehören, und man hat es ihnen konsequent ausgeredet, Gesundheitsprävention zu betreiben, weil es ja schließlich Medikamente und Behandlungen gibt, die verordnet werden können – sie wissen es nicht besser. Ärzte, Ernährungsberater und Zahnärzte waren ein Teil des Problems, aber wir können ein Teil der Lösung sein – aber nur, indem wir das Paradigma verändern. Indem ich in diesem Buch die Entstehung und den Ablauf chronischer Krankheiten skizziere, werde ich zeigen, dass unser aktuelles Modell verarbeiteter Lebensmittel prima facie fehlerhaft ist und durch ein Modell des echten Essens ersetzt werden muss.

Viele Menschen denken, dass echtes Essen nur etwas für verweichlichte Snobs ist und dass ich, der Autor dieses Buchs, ganz bestimmt in privilegierten Verhältnissen aufgewachsen bin, in denen es nicht schwer war, der amerikanischen Standardernährung aus dem Weg zu gehen. Das ist nicht der Fall. Meine Mutter hatte zwei Jobs: Tagsüber arbeitete sie als Sekretärin an einer New Yorker Schule, abends als Maklerin für die Mietwohnungen meiner Großeltern. Ich machte eine ganze Menge Swanson-Fertigmahlzeiten warm (und hasste das Hacksteak). Ich war außerdem ein Stressesser, und während des Medizinstudiums war ich der unangefochtene König des Drei-Sekunden-Mittagessens: Ich inhalierte mein Sandwich, wenn ich von einem Gebäude zum anderen ging. Nicht gerade eine beneidenswerte Gewohnheit.

Ich stolperte nicht zufällig über dieses Problem, aber am Anfang erlag ich, so wie Sie vielleicht auch, dem Sirenengesang des Ernährungsdogmas, der im Mainstream vorherrscht. Ich machte 1976 meinen Abschluss in Lebensmittelchemie am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Es faszinierte mich, dass Mikronährstoffe wie Vitamine bestimmte Krankheiten heilen, andere hingegen nicht. Mich faszinierten auch die Schlagzeilen in der Boulevardpresse, die behaupteten, dass manche Diätwillige, die Proteinshakes tranken, an Nierenversagen starben. Mir war damals klar, dass die Wissenschaft und die Physiologie der Ernährung eine wichtige Rolle spielten. Dann studierte ich an der Cornell University in New York City Medizin, und obwohl dort einer der renommiertesten Ernährungswissenschaftler der Welt unterrichtete (Professor Maurice Shils, 1914–2015), blieb Ernährung im Lehrplan unberücksichtigt, und mir wurde mein wissenschaftliches Interesse daran ausgetrieben. Im Grundstudium bekam ich zu hören, dass sie für meinen Umgang mit Patienten keine Rolle spiele. Ich übernahm die üblichen »Binsenweisheiten« über Kalorien, Adipositas und die Unvermeidlichkeit des Älterwerdens – mir wurde beigebracht, dass es um die Kalorienbilanz ging, und ich glaubte dem, was ich hörte, obwohl es das Gegenteil von dem war, was ich ein Jahr zuvor gelernt hatte. Hey, die waren schließlich die Ärzte und Experten, und meine Eltern zahlten eine Menge Studiengebühren, damit ich das Fachwissen dieser Ärzte übernahm und es später einmal selbst anwendete.

Asche auf mein Haupt – ich war die ersten 20 Jahre als pädiatrischer Endokrinologe tätig (und behandelte die Drüsen- und Hormonprobleme von Kindern), ohne eine echte Ahnung zu haben, was in der Medizin eigentlich richtig oder falsch war. Ich passte die Diagnose an die Krankheit an und die Behandlung an die Diagnose. Das war wie bei Cluedo: Günther von Gatow mit dem Kerzenleuchter im Wintergarten. Und dann verordnete ich noch einige Medikamente. Meine Kollegen scheuten sich, die übergewichtigen Kinder zu sehen, die meine Patienten waren, weil sie dieselben Binsenweisheiten vertraten – dass alles eine Frage der Kalorienbilanz sei; die Kinder äßen zu viel und bewegten sich zu wenig; sie seien selbst schuld. Als ich Ende der 1990er-Jahre an der University of Tennessee tätig war, schickte mir ein Kollege einen Briefentwurf an externe Dienstleister mit der Bitte, solche Patienten künftig nicht mehr zu überweisen, um ihre Überzeugung zu widerlegen, dass ein Endokrinologe Adipositas heilen könne – welch ein Sakrileg! –, also dass sich ein Arzt über das erste Gesetz der Thermodynamik hinwegsetzen könne, das sich auf ein einfaches Mantra subsumieren lässt: Eine Kalorie ist eine Kalorie. Dieses Mantra, das beinahe gebetsmühlenartig vorgetragen wurde, hat die Medizin um mindestens 50 Jahre zurückgeworfen, vielleicht auch mehr.

Meine eigene Forschung zeigte mir die Widersprüche dieses weitverbreiteten Ernährungsdogmas auf und welchen Weg ich künftig einschlagen sollte. An der UCSF haben wir ein Motto: »Wir vertrauen Gott, der Rest muss Fakten vorlegen.« Ich schätze mal, dass der Rest dem lieben Gott vertraute. Aber ich legte die Fakten vor. Und sie widersprachen der Parteilinie. Die Wissenschaft sagte, dass nicht alle Kalorien gleich waren und dass die Qualität – und nicht die Quantität – der Lebensmittel zählt. Ich wusste es damals nicht, aber nur durch meine Akribie konnte ich meinen guten Ruf, meine persönliche Integrität und meine seelische Gesundheit retten. Damit setzte ich den Kurs für die zweite Hälfte meiner Karriere als »Bilderstürmer«, der aus dem medizinischen und politischen Establishment hinausbefördert wurde.

Sie können dieses Buch daher als meinen Gang nach Canossa betrachten, um vor Ihnen, der Öffentlichkeit, Abbitte zu leisten, und als persönlichen Akt des medizinischen Ungehorsams gegenüber dem medizinischen Establishment. Vielleicht musste ich warten, bis ich nicht mehr als Arzt praktizierte, um dieses Buch zu schreiben, weil kein akademischer Elfenbeinturm die Verantwortung für die »medizinische Ketzerei« übernehmen will, die Sie auf diesen Seiten finden werden.

Meine Recherchen waren in etwa vergleichbar mit der roten Pille in Matrix (1999) – und jetzt weiß ich, wie tief das Kaninchenloch reicht. Der Fernsehkoch Anthony Bourdain hatte trotz seiner eigenen persönlichen Probleme keine Hemmung, die ganze Wahrheit über seine Zunft zu sagen. Mein Lieblingszitat von Bourdain ist: »Ein Löffel Soße verdeckt viele Sünden.« Das könnte genauso gut das Motto der gesamten Lebensmittelbranche sein. Und der Gesundheitsbranche. Und der Medizinbranche. Und der Pharmabranche. Und der Chemiebranche. Und der Versicherungsbranche. Und der Regierung, die ihre eigene Branche ist. Aber die Wahrheit wird Ihnen die Freiheit schenken. Dieses Buch ist mein Beitrag zur Wahrheit. Indem ich Ihnen, den Leserinnen und Lesern, mit diesem Buch die Augen öffne, versuche ich, die Ärzteschaft dazu zu bringen, ihre Praktiken zu überdenken und einen neuen Weg einzuschlagen.

Es gibt zwei Schlüssel, um den Niedergang unserer Gesundheit und unseres Gesundheitswesens zu verstehen. Das medizinische Establishment will nicht, dass Sie den ersten Schlüssel kennen – dass ihre Medikamente nicht in der Lage sind, chronische Krankheiten zu behandeln; sie behandeln nur ihre Symptome. Natürlich können sie hohen Blutdruck, hohen Blutzucker und hohe Blutfettwerte behandeln – aber nicht ihre eigentlichen Ursachen. Die moderne Medizin ist sehr versiert in der Behandlung von Infektionskrankheiten (Kinderlähmung), Erbkrankheiten (Leukämie bei Kindern) und hat auch eine Reihe brauchbarer Operationen hervorgebracht (wie die chirurgische Entfernung der Gallenblase oder des Blinddarms). Aber in Bezug auf chronische, nichtübertragbare Krankheiten (Non-Communicable Diseases, NCDs) – wie Diabetes, Herzerkrankungen und Schlaganfälle, Fettleber, Krebs und Demenz, die mehr und jüngere Menschen töten (und das auf sehr qualvolle Weise, denken Sie an Amputationen, Dialyse, Erblindung) und bis zu 75 % unserer Gesundheitskosten verschlingen – befindet sich die moderne Medizin auf dem Holzweg.

Dieses Buch wird für Laien verständlich die Wissenschaft hinter den chronischen Krankheiten erklären. Es gibt acht subzelluläre Pathologien, die die Grundlage für alle chronischen Krankheiten bilden – und sie sind alle nährstoffsensitiv (siehe Kapitel 7 und 8). Das heißt, sie reagieren positiv oder negativ auf bestimmte Bestandteile der Nahrung; aber keine gilt für sich genommen als Krankheit. Wenn Sie sich die Wissenschaft dieser acht Pathologien genau ansehen, werden Sie erkennen, dass sie nicht mit Medikamenten behandelbar sind, weswegen sie nicht auf unsere aktuellen Medikamente ansprechen, und warum Menschen kranker werden, obwohl sich die Ärzte große Mühe geben. Aber sie sind alle mit Ernährung behandelbar (siehe Kapitel 10). Trotz der Milliarden Dollar, die in die pharmazeutische Forschung investiert werden, kann kein Medikament diese acht Pathologien heilen oder behandeln, weil Medikamente keine Nährstoffe sind. Nur echtes Essen hilft. »Big Pharma« (Pharma-Großkonzerne) ist sehr versiert darin, diese Tatsache unter den Tisch zu kehren, indem sie ihre Werbung direkt auf den Verbraucher richtet und so tut, als seien die Symptome die Krankheit. Das ist aber nicht der Fall. Und natürlich will die Öffentlichkeit wissen, ob diese acht Pathologien mit Bewegung behandelbar sind. Nicht ganz: Von den acht Pathologien sprechen nur fünf auf Bewegung an. Körperliche Aktivität ist eine nützliche Ergänzung, aber man kann eine ungesunde Ernährung nicht durch Sport kompensieren. Ich werde in diesem Buch erklären, warum das so ist.

Den zweiten Schlüssel will die Lebensmittelindustrie am liebsten für sich behalten – alle Lebensmittel sind an und für sich gut; schlecht ist das, was mit ihnen gemacht worden ist. Das Problem ist, dass bei der Verarbeitung Gifte hinzugefügt (schlecht für die Leber) oder Gegengifte beseitigt worden sind (schlecht für den Darm) oder beides. Minimal verarbeitete Lebensmittel (weißer Reis, Fruchtsaft) bewirken das eine oder das andere; ultraverarbeitete Lebensmittel (Kartoffelchip) bewirken beides. Jetzt ist unsere Leber überfordert (durch den Zucker, der vom Körper in Fett umgewandelt wird) und wir haben uns selbst im Grunde in eine Gänsestopfleber verwandelt. In unserem Darm gab es früher jede Menge gute Bakterien, die sich über Ballaststoffe hermachten und alles in unserem Körper in Ordnung hielten. Jetzt, da das Essen kaum noch Ballaststoffe enthält, werden diese Bakterien so hungrig, dass sie die Zellen der Darmschleimhaut fressen und damit einer Entzündung und dem Leaky-Gut-Syndrom (Darmdurchlässigkeit) den Boden bereiten.

Die Wissenschaft zeigt auch, dass ultraverarbeitete Lebensmittel die Ursache für andere chronische Krankheiten sind, die auf dem Vormarsch sind, wie Sucht, Depression, Schlafapnoe und Autoimmunerkrankungen. Diese Krankheiten haben zwar schon immer existiert, aber ihr Vorkommen, ihre Aggressivität und die Zahl der Todesfälle sind exponentiell gestiegen, vor allem in der westlichen Welt. Und wenn wir nach der Ursache suchen, führt uns die Spur zu unserem Essen. Oder vielmehr zu dem, was die Lebensmittelindustrie mit unserem Essen gemacht hat.

Michael Pollan (mit dem ich übrigens befreundet bin) hat in seinem mittlerweile bekannten Artikel im New York Times Magazine das Problem in einem einfachen Satz zusammengefasst: Essen Sie Nahrung, nicht zu viel, hauptsächlich Pflanzen. Drei durch Kommas getrennte Nebensätze, aber ich denke, dass jeder davon irreführend ist. Essen Sie Nahrung lässt außer Acht, dass manche Leute mit einer fettarmen Kost besser zurechtkommen, andere hingegen nicht. Nicht zu viel sagt nichts darüber aus, wie man für sich das richtige Maß findet, weil es Lebensmittelsüchten oder dem Sättigungsgefühl keinerlei Rechnung trägt. Und hauptsächlich Pflanzen ignoriert die Tatsache, dass Coca-Cola, Pommes und Doritos pflanzlichen Ursprungs sind. Wenn Sie Ihre ohne Gentechnik, künstliche Zusätze und Geschmacksverstärker hergestellten Tortilla-Chips im Bio-Supermarkt kaufen, überfordern Sie Ihre Leber trotzdem, und Sie hungern Ihren Darm trotzdem aus – Sie zahlen nur mehr dafür.

In ähnlicher Weise empfiehlt Andrew Weil eine sogenannte entzündungshemmende Ernährung, die hauptsächlich aus pflanzlicher Kost besteht. Keimöle sind reich an Omega-6-Fettsäuren, die hochgradig entzündungsfördernd sind; die Omega-3-Fettsäuren hingegen, die in Fisch vorkommen, sind entzündungshemmend. Nicht die Pflanzen sind wichtig. Außerdem hat die fettarme Ernährung, die ein Abkömmling der vegetarischen Ernährung ist, völlig versagt, und sie tötet mehr Menschen, als es Zigaretten tun.

Und jetzt haben wir eine neue Kontroverse – vegane versus ketogene Ernährung (siehe Kapitel 14). Filme wie What the Health (2017) und The Game Changers (2018) argumentieren, dass tierische Produkte Menschen töten. Befürworter des Veganismus argumentieren, dass Fleisch die Menschen und den Planeten tötet. Beruhen diese Argumente auf wissenschaftlichen Fakten? Es scheint, als würde jeder, von den Herausgebern der Lancet-Kommission bis zum Weltklimarat, eine überwiegend pflanzliche Ernährung empfehlen, weil diese gut für unsere Gesundheit und die Umwelt sei. Wenn das die einfache Lösung wäre, wären in Indien, einem Land, in dem kaum Rindfleisch gegessen wird, die Menschen viel gesünder. Aber dort liegt die Diabetesrate bei 8,8 %, Tendenz steigend – die Rate in den USA beträgt 9,4 %. Genauso müssten die Menschen in Argentinien und Neuseeland dick und krank sein, weil dort pro Kopf doppelt so viel Fleisch konsumiert wird wie in den USA – aber es gibt dort weniger Fälle von Herzerkrankungen, Diabetes und Krebs als bei uns.

Umgekehrt argumentieren die Anhänger einer ketogenen Ernährung, dass Kohlenhydrate die Wurzel allen Übels seien, und manche behaupten sogar, dass es am gesündesten sei und sich die meisten Krankheiten rückgängig machen ließen, wenn man nur Fleisch konsumieren würde. Gilt das für jeden oder bestätigen Ausnahmen die Regel? Manche Keto-Befürworter denken, dass es keine Rolle spielt, ob die Tiere, die sie essen, mit Gras oder Mais gefüttert wurden, und sie ignorieren Fakten, die belegen, dass zwischen verarbeitetem Fleisch und Diabetes oder Krebs nicht nur eine Korrelation besteht, sondern ein kausaler Zusammenhang.

Die Kontroverse über den Konsum von bzw. den Verzicht auf Fleisch hat dazu geführt, dass die Öffentlichkeit – zur großen Freude der Lebensmittelindustrie – ihre Aufmerksamkeit auf die falschen Dinge richtet. Die Frage, welcher Ansatz besser sei, beruht auf einer falschen Prämisse der metabolischen Gesundheit, und beide Ernährungsformen können missbraucht werden, weil die Lebensmittelindustrie verarbeitete Kohlenhydrate und verarbeitetes Fleisch produziert. Dieses Buch möchte einen Beitrag leisten, diesen falschen Ernährungskrieg beizulegen, indem es aufzeigt, dass sowohl eine echte vegane als auch eine echte ketogene Ernährung funktionieren können, weil sie mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick annehmen könnte. Als ich dieses Buch schrieb, dachte ich: Entweder erhalte ich von beiden Seiten Zustimmung, weil ich ihre Perspektive bestätige, oder ich werde von beiden Seiten verurteilt, weil ich die jeweils andere Position bestätige. Ich bin nicht der Feind. Beide Gruppen sollten sich mit mir verbünden, um gegen den eigentlichen Feind zu Felde zu ziehen – verarbeitete Lebensmittel.

Dann gibt es noch die Last, die die Umwelt zu tragen hat. Kühe und Schafe erzeugen Methan, aber die tierischen Methan-Emissionen (5 %) sind vernachlässigbar, wenn man sie mit der übrigen Landwirtschaft (10 %) und den Methan-Emissionen der Industrie (50 %) vergleicht. Und der Einfluss der Tiere auf den Klimawandel scheint winzig im Vergleich zur Bildung von Distickstoffmonoxid, der durch den Kunstdünger entsteht, mit dem das Getreide im Weizengürtel des Mittleren Westens besprüht wird (siehe Kapitel 25). Ich bin nicht gegen Pflanzen – Pflanzen können echtes Essen sein. Aber sie können auch verarbeitetes Essen sein. So wie Tiere echtes oder verarbeitetes Essen sein können. Deshalb möchte ich Michael Pollans’ Satz, mit dem er gesundes Essen zusammenfasst, auf die folgenden zwei Regeln reduzieren: Lebensmittel sollten 1. die Leber schützen, 2. den Darm nähren. Das gilt auch für Tiere.

Als ich 2007 anfing, die vorherrschenden Ernährungsmythen zu hinterfragen, wurde mir schnell klar, dass die politischen Mythen noch viel perfider sind; vor allem, wenn es um die Frage geht, wer den Profit macht. Der Gesundheitssektor ist schon seit Jahrzehnten vom philosophischen Konzept des moralischen Risikos untergraben, das eine Situation beschreibt, in der ein Täter weiß, dass er vom Leid seines Opfers profitiert – eine ökonomische Version der Schadenfreude. Ein Beispiel hierfür ist die Krankenversicherungsbranche. Sie hat Ihre Erkrankung nicht erschaffen, profitiert aber davon, weil sie für manche Behandlungsmethoden nicht aufkommt und Ihre Monatsbeiträge erhöht. Sie funktioniert nach dem Casino-Modell: Jeder Spieler muss seinen Einsatz zahlen und das Haus gibt den Betrag vor. Die Branche freute sich, wenn Sie krank werden – sie kann Ihre Beiträge erhöhen und Ihre Arztkosten trotzdem ablehnen. Eine saubere Sache, und bis vor Kurzem hatte die Branche keinen Grund, sich zu verändern.

Je mehr ich nachforschte, umso mehr erkannte ich, dass das Problem viel größer war; ich erfand einen neuen Begriff – unmoralisches Risiko –, um zu beschreiben, dass der Täter mit gezinkten Karten spielt, um einen Profit zu erzeugen, wohl wissend, dass das Opfer darunter leiden wird. Ein Beispiel ist, wie die Tabakindustrie unter Eid log und den Suchtcharakter ihrer Produkte herunterspielte. Ein zweites Beispiel ist die Petroleumindustrie, die die Forschung über den Klimawandel in den 1980er-Jahren unter den Tisch kehrte, um die Welt zum Siedepunkt zu bringen. Ein drittes Beispiel ist unsere aktuelle Opioid-Krise – wir wissen jetzt, dass Purdue Pharma hinter der Gesetzesvorlage von Tom Marino (2016) stand, die die Zuständigkeit der Drug Enforcement Administration (DEA, Justizbehörde) für Opioide einschränkte. Aber ich werde zeigen, dass die Verschleierungstaktik, die bei verarbeiteten Lebensmitteln angewendet wird, noch schlimmer ist, weil niemand je behauptet hat, dass Tabak, Petroleum oder Opioide gesund wären, aber man muss essen und trinken – und die Lebensmittel- und Getränkeindustrie ködert Sie mit jeder Schachtel, Flasche, Dose und Tüte.

In diesem Buch werde ich Beweise für drei separate, aber miteinander verbundene unmoralische Risiken vorlegen, die von »Big Food«, »Big Pharma« und »Big Government« (den Lebensmittel- und Pharma-Großkonzernen wie auch der Regierung) verübt werden. Wenn die Gesundheit der Menschen abbaut, profitiert die Pharmaindustrie von ihrer Mittäterschaft, die Lebensmittelindustrie wird vor den Kosten ihrer Handlungen geschützt und die Regierung profitiert von den Zöllen auf verarbeitete Lebensmittel, die in andere arglose Länder exportiert werden. Wir nehmen das als normal hin. Das ist es aber nicht, und wir haben die Macht, diesen Zustand zu ändern, und zwar für uns selbst und für die Gesellschaft – für die Gesundheit und das Gesundheitswesen, für die Wirtschaft und die Umwelt. Es ist an der Zeit, die Taktiken der Lebensmittel- und Pharmaindustrie sowie ihren Einfluss auf den Kongress bloßzustellen, die dazu führen, dass wir dick, krank und arm werden.

In den acht Jahren seit Veröffentlichung meines ersten Buchs Die bittere Wahrheit über Zucker (2016) sind Daten über ultraverarbeitete Lebensmittel verfügbar geworden, und die Prognosen sind sehr düster. Wir wissen jetzt, welche toxischen Zuckermetaboliten in der Leber gebildet werden und welche Rolle sie für die Entwicklung von Krebs und Demenz spielt. Uns liegen Daten vor, die zeigen, dass Zucker süchtig macht und die Sucht immer stärker wird. Umgekehrt wissen wir jetzt, dass Nahrungsfette nicht toxisch sind (von trans-Fett einmal abgesehen) und dass manche Fette einen gesundheitlichen Nutzen haben können. Wir fangen an, die Rolle des Darms und der Darmflora in der Entwicklung von Autoimmunerkrankungen und psychischen Störungen zu verstehen. Wir haben Daten über die Nebenwirkungen von Süßstoffen und Informationen über Pestizide wie Glyphosat. Das brasilianische NOVASystem für verarbeitete Lebensmittel unterscheidet den Verarbeitungsgrad, damit wir bestimmen können, welche Praktiken der Lebensmittelindustrie am gefährlichsten sind. Ich werde zeigen, wie und warum das alles passiert ist und was jeder von uns dagegen tun kann.

Nun zum Buchtitel des englischen Originals. Metabolical ist ein Kofferwort, das sich aus zwei Wörtern zusammensetzt: »metabolic« – metabolisch bzw. die Stoffwechselprozesse betreffend, die im Körper stattfinden – und »diabolical« – die teuflischen Machenschaften der Lebensmittelhersteller, Pharmaindustrie und Politik. Alle behaupten, auf Ihrer Seite zu sein, aber sie sind nur auf ihrer eigenen Seite, und Sie sind das Opfer ihrer Propaganda.

Dieses Buch wird Ihnen zeigen, wie die Unwissenheit Ihres Arztes Sie ins Grab bringen kann. Jeder Mensch kann sein Risiko für chronische Krankheiten testen und diagnostizieren, wie man sie behandeln und in vielerlei Hinsicht rückgängig machen kann, um keine Medikamente mehr nehmen zu müssen, und – was am wichtigsten ist – wie man verhindert, dass diese Krankheiten und Zustände überhaupt entstehen (siehe Kapitel 9).

Für die meisten Menschen ist Ernährung zu einem hochkomplexen Thema geworden. Aber das ist nur deshalb so, weil widersprüchliche Botschaften verbreitet werden, vor denen leider auch Ärzte, Zahnärzte und Ernährungsberater nicht gefeit sind. Der Teil in diesem Buch, in dem es um die Vermittlung von ernährungsspezifischem Wissen geht, ist sehr einfach. Ich werde der Fülle an widersprüchlichen Informationen über Ernährung und chronische Krankheiten zwei einfache Regeln entgegensetzen: Lebensmittel sollten 1. die Leber schützen, 2. den Darm nähren. Jeder Nährstoff, jedes Lebensmittel, jede Essgewohnheit, jedes Paradigma über das Timing der Mahlzeiten folgt diesen beiden Regeln. Sie anzuwenden ist aber schwierig und nur mit echtem Essen möglich – auch wenn es nicht das ist, was die Lebensmittelindustrie uns verkauft.

Diese Seiten enthalten die Antworten, die Sie brauchen, um Ihr Essen, Ihre Gesundheit und Ihr Leben zu verändern. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen vor, die politischen Machenschaften sind aufgedeckt, und die Öffentlichkeit ist endlich bereit, sich von alten, überkommenen Dogmen zu lösen. Es ist an der Zeit, die echte Geschichte des Essens zu verstehen und die Geschichte des echten Essens.

TEIL I

Die Entmythologisierung der »modernen Medizin«

KAPITEL 1

Eine »Behandlung« ist kein »Heilmittel« – sie ist nicht einmal eine Behandlung

Eine Wespe schwirrt auf Ihrem Dachboden. Was tun Sie? Erschlagen Sie die Wespe? Oder beseitigen Sie das Wespennest? Sie müssen das Problem upstream behandeln, wenn Sie die Ursache beheben wollen. Wenn Sie es downstream behandeln, beheben Sie nur das Resultat. Das haben wir in den letzten acht Jahrzehnten mit unserem Gesundheitswesen getan. Und das rächt sich jetzt.

Die USA sind die Nr. 1 bei Morbidität, Mortalität und Kosten

In den USA gibt es die besten Ärzte, Krankenhäuser und medizinischen Technologien, die innovativsten Operationsverfahren, die besten und neuesten Medikamente, und man gibt pro Kopf mehr für das Gesundheitssystem aus als in jedem anderen Land der Welt.

Sind Amerikaner gesünder? Haben sie eine bessere Gesundheitsversorgung? Leben sie länger? Die Antwort auf diese Fragen ist ein klares Nein. Es ist vielmehr das Gegenteil der Fall: Amerikanern geht es gesundheitlich schlechter als jedem anderen Mitgliedsstaat in der Organisation für ökonomische Kooperation und Entwicklung (OECD; die 37 reichsten Länder der Welt). Im Hinblick auf die meisten letalen chronischen Krankheiten schneiden die USA unter den entwickelten Ländern der Welt sehr schlecht ab: Nr. 1 bei Diabetes, Nr. 2 bei Alzheimer-Demenz, Nr. 5 bei Krebs und Nr. 6 bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Cardiovascular Disease, CVD).1

Die USA sind das krankste OECD-Land. Sie haben die teuersten Medikamente – doppelt so teuer wie in Europa – und die teuersten Ärzte. Sie geben am meisten für Krankenhäuser und stationäre Behandlungen aus. Und was bekommen wir dafür? Werfen wir einen Blick auf die folgende Grafik (siehe Abbildung 1.1).

Diese Grafik führt zu zwei Erkenntnissen: 1. Je mehr Geld wir in ein Problem pumpen, umso schlimmer wird es – was entweder bedeutet, dass wir das Problem überhaupt nicht behandelt haben, oder dass wir es möglicherweise verschlimmern. 2. Das war nicht immer so. Obwohl die USA mit ihren Gesundheitskosten nie besonders effizient umgingen, waren sie immerhin in der Lage, mit dem Rest der Welt Schritt zu halten. 1970 ging es langsam bergab, und auch heute noch haben wir es nicht einmal ansatzweise geschafft, das Problem zu identifizieren, geschweige denn zu lösen. Es gibt immer noch kein Wundermittel.

Okay, man könnte sagen, dass das ein rein US-amerikanisches Problem ist. In Bezug auf die vielen Freiheiten, die man hierzulande genießt, sagte unser ehemaliger Außenminister John Jerry der Welt 2013: »In Amerika hat man das Recht, dumm zu sein.«2 Aber wie steht es mit Deutschland? In den USA liegt die Diabetes-Prävalenz bei 9,4 %, in Deutschland beträgt sie sogar 9,9 %.3 Und aktuelle Modelle lassen darauf schließen, dass die Rate bis 2030 um 50 % steigen könnte.4 Nein, in Deutschland sind die Probleme genauso groß wie in den USA, vielleicht sogar noch größer.

Abbildung 1.1: Vergleich zwischen den Gesundheitsausgaben und der Lebenserwartung für Länder der Organisation für ökonomische Kooperation und Entwicklung (OECD) über einen Zeitraum von 45 Jahren, 1970–2015. Die USA geben am meisten aus, bekommen aber am wenigsten.5

Was geschah 1970? Und warum treibt es das Gesundheitswesen in den Ruin? Und warum ist unser Problem jetzt überall und für jeden ein Problem?

Infektionskrankheiten sind passé – oder doch nicht?

Das metabolische Syndrom trat in den 1980er-Jahren in Erscheinung und entwickelte sich zur Geißel des 21. Jahrhunderts. Denken Sie an die Krankheiten, die in antiken und neuzeitlichen Kulturen viele Menschen auf einmal dahinrafften: Lepra, Pest, Syphilis, Tuberkulose, Grippe, Malaria, HIV. Es handelt sich dabei durchgehend um Infektionskrankheiten. Man könnte annehmen, dass die Krankheiten des metabolischen Syndroms nichts mit Infektionen zu tun haben. Schließlich kann jeder an einer Infektion sterben, wie die COVID-19-Pandemie sehr eindrucksvoll zeigt. Aber wenn Sie am metabolischen Syndrom leiden, steigt Ihr Risiko zu sterben um das 20-fache – und Sie sind selbst schuld daran, weil Sie träge und verfressen sind. Beides auf einmal. Die einfache Tatsache ist, dass – wie beim Coronavirus – jeder das metabolische Syndrom bekommen kann, selbst Normal-gewichtige. Jeder ist in Gefahr, und zwar in beiderlei Hinsicht.

Wie dieses Buch erklären wird, können die chronischen, nicht-übertragbaren Krankheiten (NCDs), die mit dem metabolischen Syndrom in Zusammenhang stehen – Diabetes, Bluthochdruck und Herzerkrankungen – auf einen gestörten Stoffwechsel (Energieverbrennung) in verschiedenen Zellen in verschiedenen Organen des Körpers zurückgeführt werden.6 Um diesen Punkt zu veranschaulichen, sehen wir uns eine Krankheit ein wenig genauer an: Diabetes. Als ich 1976 Medizin studierte, war Diabetes eine Seltenheit; nur 5 % der Amerikaner über 65 Jahre litten daran und nur 2,5 % der Gesamtbevölkerung waren betroffen.7 Und das weiß ich deshalb so genau, weil mein Großvater mütterlicherseits Diabetiker war. Er hatte kein Übergewicht – ich schätze, er hatte einfach nur Pech. Aufgrund seiner Diabetes bekam er vier Herzinfarkte, und den letzten überlebte er nicht. Er starb mit 72 Jahren. Diabetes war eine düstere Wolke, die über meiner Familie hing – und ich fragte mich, ob auch ich daran erkranken würde.

2000 schätzte man, dass es weltweit 151 Millionen Diabetiker gibt, und die Prognose war, dass diese Zahl unter Berücksichtigung einer amortisierten Inflationsrate von 3,88 % bis 2010 auf 221 Millionen steigen würde.8 Unsere Schätzung war falsch. Es waren 285 Millionen, was einer amortisierten Inflationsrate von 6,55 % entspricht – dem Doppelten der Schätzung. Aber trotz all der Ärzte, all dem Wissen, all den Pillen und all den Mitgliedschaften in Fitnessstudios – 2014 gab es weltweit 422 Millionen Diabetiker, was einer Inflationsrate von 10,3 % entspricht. Das ist das Dreifache der geschätzten Rate! 2019 waren wir bei 463 Millionen. Und statistischen Modellen zufolge wird die Zahl der Betroffenen bis 2030 auf 568 Millionen steigen. Trotz der weltweiten Bestürzung scheint sich das Blatt also nicht zu wenden.

Diese Epidemie betrifft alle Altersgruppen, ethnische Gruppen und Religionen, aber das hat bisher noch niemanden davon abgehalten, daraus Kapital zu schlagen. Fast jeder zehnte Diabetiker in den USA muss ein Medikament einnehmen (Metformin oder Insulin) – doch trotz der Notwendigkeit und Dringlichkeit hat sich der Preis für Insulin in nur einem Jahrzehnt verdreifacht. Viele Patienten müssen sich entscheiden, ob sie ihr Geld für Medikamente, Essen oder Strom ausgeben wollen. Manche rationieren ihr Insulin sogar, was zum Tod führen kann.

Während man argumentieren könnte, dass es sich dabei um eine Art von Wucher handelt – das, was an Tankstellen passiert, wenn es eine Ölkrise gibt –, ist diese Praxis in der medizinischen Landschaft gang und gäbe. Zurzeit können 64 Millionen Menschen – 35 % der erwachsenen US-Bevölkerung – ihre Arztrechnungen nicht zahlen. Natürlich machen die US-Regierung und die Krankenversicherungen die Patienten verantwortlich. Aber was wäre, wenn die moderne Medizin Sie in Wirklichkeit krank macht? Was wäre, wenn Ihr Arztbesuch der Grund für diese chronischen Erkrankungen ist? Ich weiß, dass das hanebüchen klingt – aber es gibt Daten, die diese Behauptung stützen. Der Medizinökonom Dr. Jay Bhattacharya der Stanford University analysierte Millionen medizinischer Daten, und der Faktor, der in der Population am stärksten mit Gewichtszunahme korrelierte, war die Anzahl der Besuche einer HMO-Praxis (HMO: Health Maintenance Organisation).9 Nun, das ist eine Korrelation und kein kausaler Zusammenhang, aber stutzig macht es schon. 1970 gaben wir 6 % unseres Bruttoinlandsprodukts für Gesundheitsversorgung aus, und jetzt, 50 Jahre später, sind es 17,9 %. Und trotzdem ist das Körpergewicht des Durchschnittsamerikaners hoch, seine Gesundheit im Keller und sein Geldbeutel leer.

In Bezug auf die Lebenserwartung nimmt die USA unter den OECDLändern nur Platz 28 ein, und in den letzten vier Jahren ist unsere Lebenserwartung gesunken. Wir sind das einzige OECD-Land, bei dem dies der Fall ist.10 »Obamacare« – der bessere Zugang zu Gesundheitsleistungen und die Behandlung bereits bestehender Erkrankungen – hat keines dieser Probleme gelöst, weil es die eigentliche Ursache des Problems nicht behoben hat. Dann war da noch Trumps Ansatz, der das Problem zu lösen hoffte, indem er Kranke einfach sterben ließ.11 Selbst die Vorstellung einer gesetzlichen Krankenversicherung, die sich die Demokratische Partei während der Präsidentschaftswahl 2020 auf die Fahnen schrieb, verschärfte das Problem nur, weil dies die Kosten weiter in die Höhe getrieben hätte (wir sprechen hier von 30 Billionen Dollar),12 ohne auf die eigentliche Ursache einzugehen. Alle diese Maßnahmen sind in etwa damit vergleichbar, die Sonnenliegen auf der Titanic umzustellen.

Die moderne Medizin ist nicht die Lösung des Problems, sie ist das Problem

Es ist ein Axiom, dass die moderne Medizin um die Gesunderhaltung der Menschen bemüht ist. Der Gedankengang ist wie folgt: Die Menschen leben heute länger als vor 100 Jahren, und nur gesunde Menschen leben länger, deshalb müssen die Menschen heute gesund sein. Aber ist das wirklich der Fall?

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