Rom, im Jahr 73 v. u. Z. Besonderer Beliebtheit beim Publikum erfreuen sich die Gladiatorenspiele. Als Spartacus und seine Mitgefangenen rebellieren, wird aus der lokalen Revolte ein Flächenbrand. Howard Fast erzählt Spartacus’ Leben in einem eindringlichen historischen Roman, der zugleich ein Panorama der römischen Gesellschaft entwirft.
Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.
Howard Melvin Fast (1914–2003) veröffentlichte mit neunzehn Jahren seinen ersten Roman, der sogleich zum Bestseller avancierte. Von 1943 bis 1957 war er Mitglied der Kommunistischen Partei der USA und saß 1950 deswegen drei Monate im Gefängnis, wo er sein berühmtestes Buch Spartacus schrieb.
Zur Webseite von Howard Fast.
Liselotte Julius ist Übersetzerin aus dem Englischen und Französischen.
Zur Webseite von Liselotte Julius.
Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)
Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.
Spartacus
Roman
Aus dem Englischen von Liselotte Julius
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.
Die Originalausgabe erschien 1951 in New York.
Die deutsche Erstausgabe erschien in der Übersetzung von Günther Baganz 1953 im Dietz Verlag, Berlin (Ost).
Die Neuübersetzung von Liselotte Julius erschien 1959 in der Rheinischen Verlagsanstalt, Wiesbaden.
Die Übersetzung wurde für die vorliegende Ausgabe, im Unionsverlag erstmals 2005 erschienen, überarbeitet und ergänzt.
Originaltitel: Spartacus (1951)
© by Howard Fast 1951
© by Unionsverlag, Zürich 2021
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Azoor Photo (Alamy Stock Photo)
Umschlaggestaltung: Sven Schrape
ISBN 978-3-293-30393-5
Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte
Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)
Version vom 10.08.2021, 13:23h
Transpect-Version: ()
DRM Information: Der Unionsverlag liefert alle E-Books mit Wasserzeichen aus, also ohne harten Kopierschutz. Damit möchten wir Ihnen das Lesen erleichtern. Es kann sein, dass der Händler, von dem Sie dieses E-Book erworben haben, es nachträglich mit hartem Kopierschutz versehen hat.
Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Dadurch ermöglichen Sie den Autoren, Bücher zu schreiben, und den Verlagen, Bücher zu verlegen.
http://www.unionsverlag.com
mail@unionsverlag.ch
E-Book Service: ebook@unionsverlag.ch
Falls Sie ein E-Book aus dem Unionsverlag gekauft haben und nicht mehr in der Lage sind, es zu lesen, ersetzen wir es Ihnen. Dies kann zum Beispiel geschehen, wenn Ihr E-Book-Shop schließt, wenn Sie von einem Anbieter zu einem anderen wechseln oder wenn Sie Ihr Lesegerät wechseln.
Viele unserer E-Books enthalten zusätzliche informative Dokumente: Interviews mit den Autorinnen und Autoren, Artikel und Materialien. Dieses Bonus-Material wird laufend ergänzt und erweitert.
Durch die datenbankgestütze Produktionweise werden unsere E-Books regelmäßig aktualisiert. Satzfehler (kommen leider vor) werden behoben, die Information zu Autor und Werk wird nachgeführt, Bonus-Dokumente werden erweitert, neue Lesegeräte werden unterstützt. Falls Ihr E-Book-Shop keine Möglichkeit anbietet, Ihr gekauftes E-Book zu aktualisieren, liefern wir es Ihnen direkt.
Wir versuchen, das Bestmögliche aus Ihrem Lesegerät oder Ihrer Lese-App herauszuholen. Darum stellen wir jedes E-Book in drei optimierten Ausgaben her:
E-Books aus dem Unionsverlag werden mit Sorgfalt gestaltet und lebenslang weiter gepflegt. Wir geben uns Mühe, klassisches herstellerisches Handwerk mit modernsten Mitteln der digitalen Produktion zu verbinden.
Machen Sie Vorschläge, was wir verbessern können. Bitte melden Sie uns Satzfehler, Unschönheiten, Ärgernisse. Gerne bedanken wir uns mit einer kostenlosen e-Story Ihrer Wahl.
Informationen dazu auf der E-Book-Startseite des Unionsverlags
Als ich mich vor mehr als vierzig Jahren daranmachte, die erste Fassung von Spartacus zu schreiben, hatte ich gerade meine Haftstrafe verbüßt. Teile des Romans hatte ich noch im Gefängnis skizziert, das eine ausgezeichnete Umgebung war für diese Aufgabe. Mein Verbrechen hatte darin bestanden, dass ich mich geweigert hatte, dem Senatsausschuss für unamerikanische Umtriebe die Namen derjenigen Personen zu nennen, die das Joint Antifascist Refugee Committee unterstützten.
Nach Francos Sieg über die rechtmäßige spanische Republik waren Tausende von Republikanern, Soldaten und ihre Familien über die Pyrenäen nach Frankreich geflohen. Viele von ihnen hatten sich in Toulouse niedergelassen und waren krank oder verwundet. Ihre Situation war verzweifelt. Eine Gruppe von Antifaschisten sammelte Geld und erwarb ein altes Kloster, um darin ein Krankenhaus einzurichten. Die Hilfsorganisation Quaker’s Relief erklärte sich bereit, das Krankenhaus zu führen, falls wir genug Geld auftreiben konnten, um den Betrieb zu sichern. Damals gab es in der Öffentlichkeit breite Unterstützung für die Sache der spanischen Republik. Viele der Spender waren prominent. Diese Liste war es, die wir uns weigerten, an den Ausschuss für unamerikanische Umtriebe weiterzugeben – und so kam es, dass alle Mitglieder unserer Gruppe für schuldig befunden und zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden.
Es war eine schlimme Zeit damals, die schlimmste Zeit, die meine Frau und ich je erlebt haben. Das Land glich mehr denn je einem Polizeistaat. J. Edgar Hoover, der Direktor des FBI, führte sich auf wie ein kleiner Diktator und sammelte Informationen über Tausende von Liberalen. Hoovers Ängste erfassten das ganze Land. Niemand wagte es, sich gegen unsere Verurteilung zu äußern. Es war nicht der schlechteste Moment, um ein Buch wie Spartacus zu schreiben.
Als das Manuskript fertig war, schickte ich es an Angus Cameron bei meinem damaligen Verlag Little, Brown and Company. Er war begeistert von dem Roman und schrieb mir, es würde ihn mit Stolz und Freude erfüllen, ihn zu veröffentlichen. Daraufhin schaltete sich J. Edgar Hoover bei Little, Brown and Company ein und untersagte die Publikation des Buches. Angus Cameron kündigte aus Protest. Das Manuskript wurde sieben weiteren führenden Verlagen angeboten. Alle sagten ab. Der letzte der sieben Verlage war Doubleday, und deren Leiter der Buchhandelskette, George Hecht, verließ nach der Sitzung, in der gegen die Veröffentlichung entschieden wurde, wütend und empört den Raum. Er rief mich an und sagte, dass er noch nie so viel Feigheit in einer Sitzung bei Doubleday erlebt habe. Wenn ich das Buch selbst publizieren würde, könne er mir schon jetzt die Abnahme von sechshundert Exemplaren versprechen. Ich hatte noch nie ein Buch selbst veröffentlicht, aber einige Liberale unterstützten mich, und so nahm ich die Sache in Angriff, steckte das wenige Geld, das wir hatten, hinein, und irgendwie klappte es.
Zu meiner Überraschung wurden von der gebundenen Ausgabe über vierzigtausend Exemplare verkauft und mehrere Millionen einige Jahre später, als die Zeit des Schreckens vorüber war. Spartacus wurde in sechsundfünfzig Sprachen übersetzt, und zehn Jahre, nachdem ich den Roman geschrieben hatte, brachte Kirk Douglas die Universal Studios dazu, die Geschichte zu verfilmen. Der Film war über all die Jahre enorm erfolgreich und wird auch heute noch gezeigt.
Ich glaube, dass die Entstehung des Romans einiges meiner Zeit im Gefängnis verdankt. Krieg und Gefängnis sind für Autoren schwierig darzustellen, ohne sie selbst erlebt zu haben. Ich konnte vorher kein Latein, doch während des Schreibens lernte ich eine ganze Menge, die ich seither allerdings auch wieder vergessen habe. Ich bedaure die Vergangenheit nicht, und wenn mir diese schwere Prüfung geholfen hat, Spartacus zu schreiben, dann war sie es wert.
Howard Fast, 1996
Dieses Buch ist meiner Tochter Rachel und meinem Sohn Jonathan gewidmet. Es erzählt von tapferen Männern und Frauen, die vor langer Zeit lebten und deren Namen niemals vergessen worden sind. Die Helden dieser Geschichte hielten die Freiheit und Würde des Menschen hoch und lebten edel und gut. Ich habe dieses Buch geschrieben, damit alle, die es lesen, meine Kinder und andere, Kraft schöpfen für unsere ungewisse eigene Zukunft und gegen Unterdrückung und Unrecht kämpfen – auf dass der Traum des Spartacus sich
in unserer Zeit verwirklichen möge.
Die Handlung beginnt im Jahr 71 vor unserer Zeitrechnung.
Wie Gaius Crassus im Mai auf der Heerstraße von Rom nach Capua reiste
Es wird berichtet, dass die Heerstraße, die von der Ewigen Stadt Rom zu der etwas kleineren, jedoch kaum weniger schönen Stadt Capua führte, bereits Mitte März wieder für den öffentlichen Verkehr freigegeben wurde. Das heißt aber nicht, dass das Leben auf dieser Straße sofort wieder normal verlief. Denn während der letzten vier Jahre hatte keine Straße der Republik den friedlichen, stetigen Strom von Waren und Menschen erlebt, den man auf einer römischen Straße erwarten konnte. Es hatte überall mehr oder minder Unruhe gegeben, sodass man beinahe behaupten könnte, die Straße zwischen Rom und Capua sei zum Symbol dieser Unruhe geworden. Wie es auf den Straßen ist, so ist es in Rom. Dieser Satz hatte durchaus seine Richtigkeit. Wenn auf den Straßen Friede und Wohlstand herrschen, so herrschen sie auch in der Stadt.
In Rom verkündeten Anschläge, dass jeder freie Bürger, der Geschäfte in Capua habe, dorthin reisen könne, um sie zu erledigen. Von Vergnügungsreisen in den schönen Kurort sei jedoch zunächst noch abzuraten. Als dann aber der sonnige und sanfte Frühling ins Land zog, hob man die Einschränkungen auf, und die Römer wurden wieder von den prächtigen Bauten und der bezaubernden Landschaft Capuas angelockt.
Neben der reizvollen Natur Kampaniens fanden diejenigen, die gutes Parfüm schätzten, sich jedoch an den Wucherpreisen stießen, in Capua sowohl Gewinn als auch Vergnügen. Hier gab es die großen Parfümfabriken, die in der ganzen Welt unerreicht waren. Von überallher wurden seltene Essenzen und Öle nach Capua verschifft, erlesene exotische Duftstoffe, ägyptisches Rosenöl, Lilienessenz aus Saba, galiläischer Mohn, Öl aus Ambra und aus Zitronen- und Orangenschalen, Salbei- und Minzblätter, Rosen- und Sandelholz – eine schier endlose Menge. In Capua war Parfüm für weniger als die Hälfte des in Rom geforderten Preises zu kaufen. Bedenkt man, wie beliebt und auch wie notwendig Wohlgerüche zu jener Zeit bei Männern und Frauen waren, so kann man verstehen, dass eine Reise nach Capua schon aus diesem Grund unternommen wurde.
Im März war die Straße freigegeben worden. Zwei Monate später, Mitte Mai, machten sich Gaius Crassus, seine Schwester Helena und deren Freundin Claudia Marius auf, um eine Woche bei Verwandten in Capua zu verbringen. Sie verließen Rom an einem hellen, klaren und kühlen Morgen, einem idealen Reisetag. Alle drei waren jung, helläugig und voller Vorfreude auf die Reise und die Abenteuer, die sie zweifellos erwarteten. Gaius Crassus, ein junger Mann von fünfundzwanzig Jahren, dessen dunkles Haar in vollen, weichen Locken herabfiel und dessen ebenmäßige Züge ihm den Ruf von Schönheit und vornehmer Herkunft eingebracht hatten, ritt einen herrlichen Araberschimmel, das vorjährige Geburtstagsgeschenk seines Vaters. Die beiden jungen Damen reisten in offenen Sänften. Jede Sänfte wurde von vier Sklaven getragen, die ohne Ruhepause zehn Meilen in leichtem Trab zurücklegen konnten. Fünf Tage hatten sie für die Reise angesetzt, wobei sie in den Landhäusern von Freunden oder Verwandten übernachten wollten, um so in bequemen, angenehmen Etappen nach Capua zu gelangen. Sie wussten im Vorhinein, dass es an der Straße Strafmale gab, hielten diese jedoch nicht für störend. Freilich waren die jungen Frauen bei den Schilderungen, die sie gehört hatten, ziemlich aufgeregt. Gaius fühlte sich von derartigen Dingen stets angenehm und gewissermaßen sinnlich berührt. Außerdem war er stolz auf seinen Magen und auf die Tatsache, dass ein solcher Anblick ihm kaum etwas anhaben konnte.
»Schließlich ist es besser, ein Kreuz anzublicken, als daran zu hängen«, erklärte er den beiden jungen Frauen.
»Wir werden geradeaus blicken«, erwiderte Helena.
Sie war hübscher als Claudia. Diese war eine farblose Blondine mit blasser Haut, blassen Augen und einem müden Aussehen, das sie noch betonte. Ihr Körper war üppig und reizvoll, doch Gaius fand sie ziemlich dumm und fragte sich, was seine Schwester wohl in ihr sah. Er war entschlossen, auf der Reise eine Antwort auf diese Frage zu finden. Bereits mehrfach hatte er sich vorgenommen, die Freundin seiner Schwester zu verführen, dieser Vorsatz war jedoch stets an ihrer trägen Gleichgültigkeit gescheitert, einer Gleichgültigkeit, die nicht ihm direkt galt, sondern allgemein zu sein schien. Sie langweilte sich, und Gaius war davon überzeugt, dass nur diese Langeweile sie davor bewahrte, selbst höchst langweilig zu sein. Seine Schwester war anders. Sie erregte ihn auf verwirrende Weise. Sie war so groß wie er und ihm sehr ähnlich, nur hübscher. Männer, die sich nicht von ihrer Willensstärke abstoßen ließen, fanden sie schön. Seine Schwester erregte ihn, und er war sich durchaus bewusst, dass er sich eine Befreiung von diesem Zustand erhoffte, als er die Reise nach Capua plante. Seine Schwester und Claudia bildeten ein ungleiches, aber trotzdem angenehmes Paar, und Gaius freute sich auf das, was ihm diese Reise verhieß.
Wenige Meilen außerhalb Roms tauchten die ersten Strafmale auf. Die Straße führte hier durch eine steinige, sandige Einöde von einigen Morgen Ausmaß. Der mit der Errichtung Beauftragte hatte ein gutes Auge für Wirkung bewiesen, als er gerade diese Stelle für das erste Kreuz wählte. Das Kruzifix war aus frischem, harzigem Pinienholz gehauen. Der Boden dahinter fiel ab, und so stand es starr, kahl und kantig vor dem morgendlichen Himmel – übergroß, denn es war das erste –, sodass man den nackten Körper des Mannes, der daran hing, kaum sah. Es war leicht vornübergeneigt, wie es bei einem überlasteten Kreuz häufig der Fall ist, und dadurch wurde der bizarre, beinahe menschliche Eindruck noch verstärkt. Gaius zügelte sein Pferd, das nunmehr auf das Kreuz zuschritt. Helena wies die Sänftensklaven mit einem leichten Peitschenhieb an, ihm zu folgen.
»Dürfen wir ausruhen, Herrin?«, flüsterte der Schrittmacher von Helenas Sänfte, als sie vor dem Kreuz anhielten. Er war Spanier und sprach ein gebrochenes, zögerliches Latein.
»Natürlich«, erwiderte Helena. Sie war erst dreiundzwanzig, jedoch willensstark wie alle Frauen ihrer Familie und verabscheute sinnlose Grausamkeit gegen Tiere, seien es Sklaven oder Vieh. Die Träger ließen die Sänften behutsam zu Boden gleiten und kauerten sich dankbar daneben.
Wenige Schritte vor dem Kreuz saß auf einem Strohschemel, der von einer Zeltplane überdacht war, ein fetter, freundlicher Mann. Er war ebenso würdevoll wie arm. Seine Würde zeigte sich in jeder seiner zahlreichen Kinnfalten und seinem gewaltigen Bauch; seine Armut, nicht frei von Faulheit, wurde deutlich sichtbar an seinen zerlumpten, schmutzigen Kleidern, den schwarzen Fingernägeln und den Bartstoppeln. Seine Freundlichkeit war die lässig getragene Maske des Berufspolitikers. Man konnte auf den ersten Blick erkennen, dass er jahrelang die Luft des Forums und des Senats, aber ebenso der Gefängnisse geatmet hatte. Hier saß er nun, auf der letzten Stufe, bevor er zum Bettler wurde, der auf einer Matte in einem römischen Mietshaus sein Dasein fristete. Noch erscholl seine Stimme mit der durchdringenden Lautstärke eines Marktschreiers. Dies seien die Wechselfälle des Krieges, erklärte er den Reisenden. Einige wählten mit untrüglicher Sicherheit die richtige Partei. Er habe stets die falsche gewählt, und man brauche nicht eigens zu erwähnen, dass zwischen beiden kein wesentlicher Unterschied bestehe. Das habe ihn hierhergebracht, doch gehe es besseren Menschen weniger gut.
»Verzeiht mir, edler Herr und edle Damen, wenn ich nicht aufstehe, aber das Herz – das Herz.« Er legte die Hand irgendwo auf seinen mächtigen Bauch. »Wie ich sehe, seid ihr frühzeitig unterwegs, und das sollte man auch, denn es ist die rechte Zeit zum Reisen. Capua?«
»Capua«, bestätigte Gaius.
»Capua also – eine schöne Stadt, eine herrliche Stadt, eine glückliche Stadt – eine wahre Perle von einer Stadt. Ihr wollt ohne Zweifel Verwandte besuchen?« – »Ohne Zweifel«, erwiderte Gaius. Die jungen Frauen lächelten. Er war ein liebenswerter großer Narr. Seine Würde schwand dahin. Lieber ein Narr für diese jungen Leute sein. Gaius erkannte, dass es irgendwie um Geld ging, kümmerte sich aber nicht darum. Zum einen hatte es ihm nie an Geld für seine Bedürfnisse und Launen gefehlt, und dann wollte er die beiden jungen Damen durch seine Weltgewandtheit beeindrucken. Wer wäre dafür besser geeignet als dieser abgebrühte fette Narr?
»Ihr seht in mir einen Führer, einen Geschichtenerzähler, einen Hausierer in Recht und Strafe. Doch tut ein Richter mehr? Die Stellung ist zwar eine andere, aber man nimmt besser einen Denar und die damit verbundene Scham in Kauf, als zu betteln …«
Die jungen Frauen konnten die Augen nicht von dem Toten abwenden, der am Kreuz hing. Er war jetzt unmittelbar über ihnen, und sie blickten unverwandt auf den nackten, sonnenverbrannten, von Vögeln zerhackten Leichnam. Krähen stießen herab, seine Haut wimmelte von Fliegen. Indem der hängende Leichnam sich leicht vom Kreuz wegneigte, erweckte er den Eindruck, als sei er ständig im Fallen, ständig in Bewegung – in den grotesken Bewegungen eines Toten. Sein Kopf hing vornüber, und das lange sandfarbene Haar verbarg das Grauen, das in seinem Gesicht stehen mochte.
Gaius gab dem fetten Mann eine Münze. Der Dank war nicht überschwänglich. Die Träger hockten schweigend da. Sie hielten die Augen starr auf den Boden gerichtet und warfen keinen Blick auf das Kreuz. Sie waren wohl abgerichtet.
»Dieser hier ist sozusagen symbolisch«, erklärte der Dicke. »Betrachte es nicht als menschlich oder grausam, Herrin. Rom gibt und Rom nimmt, und mehr oder minder entspricht die Strafe dem Verbrechen. Dieser eine hier hängt allein und lenkt eure Aufmerksamkeit auf die Folgenden. Wisst ihr, wie viele es sind von hier bis Capua?«
Sie wussten es, aber sie warteten, bis er es ihnen sagte. Dieser fette, leutselige Mann, der sie mit dem Unaussprechlichen konfrontierte, war genau. Er war der Beweis dafür, dass es gar nicht unaussprechlich, sondern gewöhnlich und natürlich war. Er würde ihnen eine exakte Zahl nennen, die nicht stimmen mochte, dafür aber genau war. »Sechstausendvierhundertzweiundsiebzig«, sagte er. Einige der Sänftenträger gerieten in Bewegung. Sie ruhten sich nicht aus, sondern saßen starr da. Wenn sie jemand beachtet hätte, wäre es ihm aufgefallen. Aber niemand beachtete sie.
»Sechstausendvierhundertzweiundsiebzig«, wiederholte der Dicke. Gaius machte die passende Bemerkung: »So viel Holz!« Helena wusste, dass es Schwindel war, aber der fette Mann nickte zustimmend. Jetzt hatten sie angebissen. Der Dicke zog einen Rohrstock aus den Falten seines Gewandes und deutete auf das Kreuz. »Dieser hier – nur ein Symbol. Gewissermaßen das Symbol eines Symbols.«
Claudia kicherte nervös.
»Trotzdem interessant und bedeutsam. Mit Vernunft hier aufgestellt. Vernunft ist Rom, und Rom ist vernünftig.« Er hatte eine Vorliebe für knappe Weisheiten.
»Ist das Spartacus?«, fragte Claudia töricht, doch der Dicke hatte Geduld mit ihr. Die Art, wie er sich die Lippen leckte, verriet, dass sein väterliches Gebaren nicht frei von Hintergedanken war.
Dieser geile alte Bock, dachte Gaius.
»Spartacus? Wohl kaum, meine Liebe.«
»Sein Leichnam ist nie gefunden worden«, erklärte Gaius ungeduldig.
»In Stücke gerissen«, sagte der Dicke großtuerisch. »In Stücke gerissen, mein liebes Kind. Eine grässliche Vorstellung für zartbesaitete Gemüter, aber es ist die Wahrheit …«
Claudia überlief ein angenehm prickelndes Schaudern. Gaius sah ein Leuchten in ihren Augen, das er nie zuvor bemerkt hatte. »Nimm dich in Acht vor oberflächlichen Urteilen«, hatte sein Vater einmal zu ihm gesagt. Er hatte dabei zwar an Wichtigeres gedacht als an Frauen, aber es traf dennoch zu. Noch nie hatte Claudia ihn so angesehen wie jetzt den Dicken, der fortfuhr: »… die reine Wahrheit. Und jetzt erzählen sie, Spartacus habe nie gelebt. Ha! Lebe ich? Lebt ihr? Hängen von hier bis Capua an der Via Appia sechstausendvierhundertundzweiundsiebzig Leichen am Kreuz oder nicht? Ja oder nein? Sie hängen sehr wohl da. Und lasst mich euch noch etwas fragen, meine lieben jungen Leute – weshalb sind es so viele? Ein Strafmal ist ein Strafmal. Doch warum sechstausendvierhundertundzweiundsiebzig?«
»Die Hunde haben es verdient«, erwiderte Helena gelassen.
»Wirklich?« Der Dicke runzelte nachdenklich die Stirn. Er sei ein Mann von Welt, erklärte er ihnen, und trotz ihres höheren gesellschaftlichen Ranges waren sie doch jung genug, um davon beeindruckt zu sein. »Vielleicht haben sie es verdient, aber warum schlachtet man so viel Fleisch, wenn man es nicht essen kann? Ich werde es euch sagen. Es hält die Preise hoch und stabilisiert die Verhältnisse. Vor allem aber entscheidet es einige sehr knifflige Eigentumsfragen. Das ist die ganze Antwort in wenigen Worten. Und dieser hier«, er fuchtelte mit seinem Rohrstock, »seht ihn euch gut an. Fairtrax, der Gallier, höchst wichtig, höchst wichtig! Er stand Spartacus sehr nahe. Und ich sah ihn sterben. Hier habe ich gesessen und ihn sterben sehen. Vier Tage lang. Er war stark wie ein Ochse. Wahrhaftig, ihr würdet solche Stärke kaum für möglich halten. Unglaublich. Sextus aus dem Dritten Bezirk hat mir den Schemel hier gegeben. Kennt ihr ihn? Ein Herr, ein großer Herr, und mir sehr wohlgesinnt. Ihr würdet staunen, wie viele Leute herkamen, um zuzusehen, und es war auch ein lohnendes Schauspiel. Ich konnte zwar keine Eintrittsgebühr von ihnen fordern, doch die Menschen geben, wenn man ihnen etwas dafür wiedergibt. Eine Hand wäscht die andere. Ich machte mir die Mühe, mich zu unterrichten. Ihr wärt überrascht, wie wenig man überall von den Spartacuskriegen weiß. Nehmt nur diese junge Dame – sie fragt mich, ob das Spartacus sei. Eine durchaus natürliche Frage, aber es wäre dennoch unnatürlich, wenn er dort hinge. Ihr vornehmen Leute lebt sehr zurückgezogen, sehr behütet, sonst wüsste die junge Dame, dass Spartacus zerstückelt wurde und dass man weder Haut noch Haar von ihm gefunden hat. Mit diesem hier war es anders – er wurde gefangen genommen. Ein wenig aufgeschlitzt, seht ihr …«
Er zeigte mit dem Rohr auf eine lange Wunde, die der über ihm hängende Leichnam an der Seite aufwies. »Zahlreiche Narben – höchst aufschlussreich. Seitlich oder vorn. Keine einzige im Rücken. Solche Einzelheiten sind nichts für den Pöbel, doch euch will ich erzählen …«
Die Sänftenträger beobachteten ihn jetzt und lauschten. Ihre Augen leuchteten unter den langen, verfilzten Haaren.
»… dass dies die besten Soldaten waren, die je über römischen Boden marschiert sind. Doch zurück zu unserem Freund hier oben. Vier Tage hat er gebraucht, um zu sterben, und es hätte noch viel länger gedauert, wenn man ihn nicht ein wenig zur Ader gelassen hätte. Vielleicht wisst ihr das nicht, aber man muss es tun, wenn man sie kreuzigt. Entweder man zapft ihnen Blut ab, oder sie quellen auf wie ein Schwamm. Wenn man sie richtig zur Ader lässt, trocknen sie auch richtig und können einen Monat hängen bleiben, ohne mehr Unannehmlichkeiten zu verursachen als ein bisschen Gestank. Dasselbe, wie wenn man Fleisch dörrt, man braucht nur viel Sonne dazu. Dies hier war ein wilder, trotziger Mann – aber er verlor. Am ersten Tag hing er da oben und beschimpfte jeden anständigen Bürger, der zum Zuschauen gekommen war. In einer abscheulichen, unanständigen Sprache, die man keiner Dame zumuten möchte. Ohne jede Bildung, aber Sklave bleibt Sklave, ich habe es ihm nicht übel genommen. Hier war ich, und dort war er, und mitunter sagte ich zu ihm: ›Dein Unglück ist mein Glück. Mag es für dich auch nicht gerade die angenehmste Art zu sterben sein, so ist es für mich ebenso wenig die angenehmste Art, meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und ich werde verdammt wenig verdienen, wenn du weiterhin solche Reden führst.‹ Ihn schien das nicht sonderlich zu berühren, aber am Abend des zweiten Tages verstummte er. Sein Mund schnappte zu wie eine Falle. Wisst ihr, welches seine letzten Worte waren?«
»Was?«, flüsterte Claudia.
»›Ich werde wiederkommen, und aus mir werden Millionen geworden sein.‹ Das waren genau seine Worte. Fantastisch, nicht wahr?«
»Was meinte er damit?«, überlegte Gaius. Gegen seinen Willen hatte der Dicke ihn in seinen Bann gezogen.
»Was mag er wohl gemeint haben, junger Herr? Ich ahne es ebenso wenig wie du, und er hat auch kein Wort mehr gesagt. Am nächsten Tag habe ich ihn ein wenig gepikt, aber er blieb stumm und sah mich nur aus seinen blutunterlaufenen Augen an, als wollte er mich umbringen, doch der konnte niemanden mehr umbringen.« Er wandte sich wieder an Claudia. »Du siehst, meine Liebe, es war nicht Spartacus, aber einer seiner Hauptleute. Ein harter Mann, beinahe wie Spartacus, doch nicht ganz so hart. Man möchte ihm nicht auf dieser Straße begegnen und wird es ja auch nicht, denn er ist tot und verfault. Was wollt ihr noch wissen?«
»Ich glaube, wir haben genug gehört«, sagte Gaius, dem jetzt der Denar leidtat. »Wir müssen weiter.«
Rom war in jenen Tagen wie ein Herz, das sein Blut durch die römischen Straßen in jede Ecke der Welt pumpte. Ein anderes Volk hätte vielleicht in tausend Jahren eine drittklassige Straße gebaut, um seine größeren Städte miteinander zu verbinden. Nicht so Rom. »Baut eine Straße!«, befahl der Senat. Die Baumeister entwarfen die Pläne. Aufträge wurden ausgegeben, die Bauleute gingen ans Werk, und die Arbeitskolonnen trieben die Straße ins Land. Stand ein Berg im Weg, wurde er abgetragen. Tiefe Täler wurden mit Viadukten, Flüsse mit Brücken überwunden. Nichts vermochte Rom aufzuhalten, und nichts die römischen Straßen.
Die Straße, auf der die drei unbeschwerten jungen Leute von Rom südwärts nach Capua zogen, wurde Via Appia genannt. Sie war gut gebaut, breit, gepflastert und auf Schichten von vulkanischer Asche und Kies errichtet. Sie war für die Dauer bestimmt. Wenn die Römer eine Straße bauten, so geschah dies nicht für ein oder zwei Jahre, sondern für Jahrhunderte. Auf diese Weise war die Via Appia entstanden. Sie war ein Symbol für den Fortschritt der Menschheit, für die Leistungsfähigkeit Roms und das unermüdliche Organisationstalent seiner Bewohner. In ihr manifestierte sich eindeutig, dass das römische System das beste war, das die Menschheit je ersonnen hatte, ein System der Ordnung, Gerechtigkeit und Klugheit. Überall fanden sich Zeugnisse dieser Klugheit und Ordnung. Den Menschen, welche die Straße entlangzogen, waren sie so selbstverständlich geworden, dass sie sie kaum noch bemerkten.
So waren die Entfernungen zum Beispiel gemessen und nicht geschätzt. Jede Meile war mit einem Meilenstein gekennzeichnet. Und jeder Meilenstein wiederum enthielt sämtliche Auskünfte, die ein Reisender brauchte. An jeder Stelle wusste man genau, wie weit man von Rom, von Formia und von Capua entfernt war. Alle fünf Meilen gab es ein Rasthaus und Ställe, wo man Pferde, Erfrischungen und notfalls ein Nachtquartier bekommen konnte. Viele dieser Häuser waren sehr schön. Sie besaßen breite Veranden, auf denen Speisen und Getränke serviert wurden. Einige hatten Bäder, wo die müden Reisenden sich erfrischen konnten, andere wiederum gute, bequeme Schlafräume. Die neueren Rasthäuser waren im Stil griechischer Tempel gebaut; die natürliche Schönheit der Landschaft beiderseits der Straße wurde dadurch noch hervorgehoben.
In Niederungen und Sümpfen war die Straße terrassenförmig angelegt, wobei die rechte Seite sich drei bis fünf Meter über dem Boden befand. In zerklüftetem oder hügeligem Gelände führte sie entweder gerade hindurch oder spannte sich in Viadukten über die Schluchten.
Die Straße war ein Sinnbild der Beständigkeit, und auf ihr bewegte sich alles, was Roms Beständigkeit ausmachte. Soldaten konnten hier dreißig Meilen an einem Tag marschieren, und dies Tag für Tag. Lastzüge rollten über sie hin. Sie waren beladen mit Erzeugnissen der Republik, mit Weizen und Gerste, Roheisen und Nutzholz, Leinen und Wolle, Öl und Früchten, Käse und Rauchfleisch. Auf dieser Straße betrieben die Bürger ihren Handel, die vornehmen Römer begaben sich zu ihren Landsitzen, Geschäfts- und Vergnügungsreisende, Sklavenkarawanen zogen zum Markt, Menschen aus allen Ländern und Völkern – sie alle spürten die Festigkeit und Ordnung der römischen Herrschaft.
Und zu jener Zeit erhob sich alle paar Schritte ein Kreuz an der Straße, und an jedem hing ein Toter.
Der Morgen wurde wärmer, als Gaius erwartet hatte, und nach einiger Zeit wurde der Leichengeruch recht unangenehm. Die jungen Frauen tränkten ihre Taschentücher mit Parfüm und hielten sie ständig vor die Nase. Das konnte jedoch den süßlichen, ekelerregenden Geruch, der plötzlich die Straße überflutete, nicht abhalten und ebenso wenig seine Wirkung verhindern. Den jungen Frauen war übel, und schließlich musste auch Gaius zurückbleiben und sich am Wegrand erbrechen. Der Morgen wurde ihnen dadurch beinahe verdorben.