Igor Ryzov studierte Mathematik und verfügt über 20 Jahre Arbeitserfahrung im Bereich Sales. Seit neun Jahren lehrt er selbst im Bereich Business Technology und ist als führender Experte für Verhandlungen für wichtige russische Unternehmen tätig. Er wird als bester Business-Coach Russlands gehandelt. Auch als Autor ist er erfolgreich: Die Kreml-Methode des Verhandelns erschien bereits in acht Sprachen und zwei seiner Bücher gewannen den Preis als Russland bestes Business-Buch der Jahre 2016 und 2018.
Übung:
Versuchen Sie Michails und Iwans Argumentation zu finden.
Antwort:
Auf diese Frage gibt es keine universell gültige Antwort. Beide Kontrahenten haben von ihrem Standpunkt aus recht. An Iwans Stelle würde ich argumentieren, dass ich den Änderungen nicht zugestimmt habe und Michail sich damit das Recht angemaßt hat, mein Geld zu verwalten. Wobei Michail seine Arbeit gut gemacht und dafür gesorgt hat, dass alles gut geklappt hat.
Übung:
Wie hätte der Chefingenieur den Dialog gestalten sollen, um seinem Gegenüber »einen Weg zurück ins Leben« zu zeigen?
Antwort:
Er hätte den Gegenüber zum Beispiel loben oder beglückwünschen und ihm damit Grund zur Hoffnung geben können, dass dessen Firma bei späteren Aufträgen bevorzugt würde.
Übung:
Stellen Sie anhand des Fallbeispiels ein Interessenvieleck auf.
Antwort:
Mein Vieleck hätte sechs Seiten mit den folgenden Interessen: Preis, Zahlungsbedingungen, Fachmann für Kundendienst, Zugang zur Holding, Lieferumfang, Liefer- und Installationsbedingungen.
Übung:
Welche emotionalen Saiten schlagen diese Manipulatoren jeweils an?
Antwort:
1. Neugierde. 2. Eitelkeit. 3. Mitgefühl.
Übung:
Reagieren Sie auf die Äußerungen 1 bis 5 mit der Umkehr-Methode.
1. »Etwas an Ihrem Vorschlag gefällt mir nicht.«
Frage: »Was würden Sie mir empfehlen noch hinzuzufügen, damit mein Angebot Ihrem Bedarf besser entspricht?«
Bitte: »Bitte sagen Sie mir, welche Punkte ich ändern sollte.«
2. »Aus irgendeinem Grund nervt mich die Art Ihres Vortrags.«
Frage: »Welchen Präsentationsstil hätten Sie lieber?«
Bitte: »Bitte sagen Sie mir, wie ich mein Angebot besser präsentieren könnte.«
3. »Ich finde Ihren Vorschlag nicht sehr konstruktiv.«
Frage: »Was würden Sie denn lieber hören?«
Bitte: »Wie wäre es, wenn Sie mir sagten, was Ihnen vorschwebt, und wir gehen es gemeinsam durch?«
4. »Sie sehen ja nicht gerade fröhlich aus.«
Frage: »Worüber sollte ich mich denn Ihrer Meinung nach freuen?«
Bitte: »Sagen Sie mir, was mir entgangen ist, damit ich mich darüber freuen kann.«
5. »Ich weiß ja nicht – was haben Sie von Ihrer Voreiligkeit?«
Frage: »Wie empfehlen Sie mir stattdessen vorzugehen?«
Bitte: »Erklären Sie mir, wo Sie noch Risiken sehen.«
Übung:
Reagieren Sie auf die Äußerungen 6 bis 13 mit der Teilzustimmungs-Methode.
6. »Meinen Sie nicht, Sie sind zu vorwitzig?«
Antwort: »Ich bin ziemlich selbstsicher, zugegeben. Und jetzt schauen wir uns die Einzelheiten meines Vorschlags noch einmal an.«
7. »Was Sie da sagen, kann man auch anders sehen.«
Antwort: »Zugegeben, wir müssten noch ein paar Sachen klären. Tun wir das doch gleich!«
8. »Diese Aussage ist typisch Frau.« [zu einer Frau]
Antwort: »Natürlich, ich bin ja auch eine Frau.«
9. »Was ist daran so schwer zu erklären?«
Antwort: »Die Zeit ist knapp, stimmt, aber wir dürfen die Einzelheiten nicht übergehen.«
10. »Sie sind zu langsam!«
Antwort: »Zugegeben, ich bin ziemlich gründlich, weil ich sichergehen will, dass ich alles, was ich tue, auch gut erledige.«
11. »Was Sie da sagen, lässt mich zweifeln.«
Antwort: »In diesem Fall sollten wir den Vorschlag noch einmal in allen Einzelheiten durchsprechen.«
12. »Petrov erzählt überall, wie ungepflegt Sie aussehen.«
Antwort: »Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung.«
13. »Ich glaube nicht, dass Ihre Chefs Ihnen wirklich vertrauen.«
Antwort: »Sie haben vollkommen recht, man kann niemandem hundertprozentig vertrauen, aber was diese Fragen angehen, so decken sich unsere Ansichten vollständig. Reden wir jetzt lieber weiter über die Sachfragen.«
Übung:
Reagieren Sie mit der Marcus-Aurelius-Methode auf die negativen Aussagen 14 bis 22.
14. »Ich habe gehört, Sie zahlen immer verspätet.«
Antwort: »Ganz im Gegenteil, wir halten Zahlungsbedingungen immer genauestens ein.«
15. »Ihre Angestellten sollen ja alle schon das sinkende Schiff verlassen.«
Antwort: »Das Unternehmen X legt großen Wert auf seine Mitarbeiter, und ich bin der lebende Beweis, dass die Mitarbeiter diese Einstellung erwidern.«
16. »Ihr Vorschlag ist totaler Mist.«
Antwort: »Entschuldigen Sie, aber Sie haben den entscheidenden Punkt meines Vorschlags übersehen. Noch einmal: Wir liefern qualitativ hochwertige Ausrüstung, die Ihnen eine bedeutende Produktivitätssteigerung ermöglichen würde, und zwar durch…«
17. »Können Sie jetzt langsam zur Sache kommen?«
Antwort: »Ich würde Ihnen gerne noch ein paar Fragen stellen, um unser Angebot so ansprechend wie möglich für Sie zu machen.«
18. »Sie hören mir gar nicht zu.«
Antwort: »Ich höre mir gerne auch noch einmal an, was Sie zu sagen haben.«
19. »Was für ein Unsinn!«
Antwort: »Ich finde, wir sollten aufhören, einander Vorwürfe zu machen und versuchen, ein konstruktives Gespräch zu führen.«
20. »Sie haben einen katastrophalen Ruf in der Branche.«
Antwort: »Ganz im Gegenteil, wir haben einen ausgezeichneten Ruf am Markt, wie die Referenzen unserer Kunden bestätigen. Ich gebe sie Ihnen gerne zur Ansicht.«
21. »Bei dieser Sturheit muss ich wohl annehmen, dass Sie nicht gerade kompetent sind.«
Antwort: »Ich fürchte, wir verlieren uns in Sticheleien und Vorwürfen; ich möchte vorschlagen, wir lassen das sein und gehen in Ruhe alles noch einmal durch. Wären Sie damit einverstanden?«
22. »Ach, jetzt reicht’s mir mit Ihren sogenannten Innovationen!«
Antwort: »Ich erkläre Ihnen gerne, was wir alles damit erreicht haben; darauf kann man wirklich stolz sein!«
Übung:
Schreiben Sie in die zweite und dritte Spalte jeweils, wie Sie die wirkliche Aussage in der Äußerung des Angreifers interpretieren, und wie Sie am besten darauf reagieren.
23.
Aussage |
Wirkliche Aussage |
Antwort |
Ich habe Ihre leeren Phrasen satt. |
Ich will ein Argument hören, das mich überzeugt. |
Wenn ich Sie recht verstehe, möchten Sie ein zugkräftiges Argument hören? Ja. [Alle Argumente einzeln durchgehen und jeweils nachfragen, ob dieses überzeugend genug sei] |
Mir reicht dieses Hin und Her jetzt. |
Ich möchte etwas Konkretes hören. |
Wenn ich Sie recht verstehe, sollten wir zur Sache kommen? Ja. Dann gehen wir zum nächsten Punkt über. |
Wie oft wollen die mir noch irgendwelche einfachen Sachbearbeiter zu den Verhandlungen schicken? |
Ich möchte mit dem Entscheider sprechen. |
Sie möchten gerne mit jemandem sprechen, der alle nötigen Vollmachten hat? Ja. Nun, ich bin bevollmächtigt, hier und jetzt eine Entscheidung zu treffen. |
Ihre Argumente sind lächerlich. |
Ich verstehe Sie nicht. |
Verstehe ich Sie richtig, dass Ihnen meine Argumentation nicht ganz klar ist? Ja. Dann schauen wir mal, wo ich mich missverständlich ausgedrückt habe. |
Sind Sie nicht ein bisschen zu jung und unerfahren für diese Sache? |
Ich glaube nicht, dass Sie die nötige Erfahrung haben, mein Problem zu lösen. |
Sie wundern sich, dass ich noch so jung bin, und fürchten, dass ich nicht erfahren genug bin, um dieses Problem zu lösen? Ja, genau. Stimmt, ich bin noch ziemlich jung, aber die Leistungen, die meine Kollegen und ich vorweisen können, sprechen für sich. Lassen Sie mich das in der Praxis demonstrieren. [Diese Antwort nutzt gleichzeitig die Methode der »teilweisen Umkehr«.] |
»Italien«? Ja klar! Garantiert sind Ihre Waren alle »Made in China«! |
Ich, oder jemand, den ich kenne, ist schon einmal auf ein teures Designerprodukt hereingefallen, das sich dann als billige Fälschung entpuppte. |
Verstehe ich Sie richtig, dass Sie Zweifel am Herkunftsland unseres Produkts haben? Ich zeige Ihnen gerne die Dokumente, die den Hersteller belegen, und auch Proben unserer Waren. Womit könnte ich Sie davon überzeugen, dass es sich nicht um Billigimitate handelt? [Kombiniert die Antwort mit der Umkehr-Methode.] |
Übung:
Formulieren Sie bitte je zwei Fragen an das Gegenüber zur Abwehr von dessen Versuchen, Sie in den emotionalen Modus hineinzuziehen.
24. Sie bekommen diese Aufgabe nie fertig, Sie sind zu dumm dazu!
Antworten:
Wirkliche Absicht erfragen: »Was meinen Sie mit ›dumm‹?«
Raubtier-Frage: »Wenn ich Sie richtig verstehe, fürchten Sie, ich könne den Zeitplan nicht einhalten?«
25. Mir war nie klar, dass Sie so schlau sind.
Antworten:
Wirkliche Absicht erfragen: »Worüber möchten Sie wirklich mit mir sprechen?«
Raubtier-Frage: »Vermute ich richtig, dass Sie eine so schnelle Reaktion von mir nicht erwartet haben?«
26. Ich habe dieses leere Gerede satt.
Antworten:
Wirkliche Absicht erfragen: »Warum sagen Sie das?«
Raubtier-Frage: »Ich nehme an, Sie wollen lieber handeln als reden?«
27. Sind Sie immer so hartnäckig?
Antworten:
Wirkliche Absicht erfragen: »Was genau macht Ihnen Sorgen?«
Raubtier-Frage: »Vermute ich richtig, dass Sie ein wenig Bedenkzeit möchten?«
28. Das ist ziemlich provozierend von Ihnen.
Antworten:
Wirkliche Absicht erfragen: »Warum kommentieren Sie mein Äußeres?« Raubtier-Frage: »Gefällt Ihnen meine Art mich zu kleiden nicht?« »Ja.«
»Das ist einfach mein persönlicher Stil.«
Übung:
Wehren Sie die folgenden Angriffe mit einem Scherz oder einer humorvollen Bemerkung ab, denken Sie dabei aber immer an die Formel: »Scherz – Rückkehr zum Thema«.
29. Sie verheimlichen doch etwas – ist das Absicht?
Antwort: »Ich hebe mir das Beste immer bis zum Schluss auf. Und, wie es der Zufall will, ist jetzt Zeit für den Nachtisch.«
30. Machen Sie sich über mich lustig?
Antwort: »Lachen ist die beste Medizin, aber im Moment bin ich völlig ernst. Ich gehe die Hauptpunkte gerne noch einmal mit Ihnen durch, wenn Sie möchten.«
31. Sie sind zu gewitzt für diesen Beruf.
Antwort: »Es ist leichter, einen Hasen zu bremsen als eine Schildkröte zu beschleunigen. Aber was genau ist Ihr Problem?«
32. Ist Ihnen klar, wie riskant das ist, was Sie da vorschlagen? Wo haben Sie Ihren Kopf gelassen?
Antwort: »Ohne ein bisschen Risiko haben Sie nie einen Grund, die Korken knallen zu lassen. Ich möchte vorschlagen, wir durchdenken das sorgfältig, gehen das Risiko aber ein, dann knallen die Korken umso eher.«
33. Das kann man auch anders sehen.
Antwort: »Gut, wir sind hier nicht im Parlament – wir sind nicht zum Debattieren hier. Schauen wir uns die Zahlen genau an.«
34. Sie irren sich; ich habe recht.
Antwort: »Nein, wenn ich Ihnen zustimme, haben wir beide Unrecht.«
35. Denken Sie nach, bevor Sie reden.
Antwort: »Ich überlege immer, was ich sage, aber wenn wir beide nachdenken, denken wir doppelt so gut. Wie wär’s mit einem Brainstorming?«
36. Ich sollte Ihnen nicht nachlaufen müssen – Sie sollten mir nachlaufen.
Antwort: »Schön, dass wir beide jemanden zum Nachlaufen haben. Aber wie wär’s stattdessen mit einer konstruktiven Diskussion?«
37. Warum schauen Sie mich so an?
Antwort: »Wem Augen gegeben sind zu sehen, der muss halt irgendwohin gucken. Aber sagen Sie mir doch einfach, was Sie denken.«
Übung:
Sie vertreten ein Fitness-Studio und wollen Mitgliedsabonnements für 50 000 Rubel pro Jahr verkaufen. Wie können Sie Ihr Angebot den Interessenten möglichst vorteilhaft präsentieren?
Antwort:
Der beste Ansatz wäre, mit einem teuren Angebot zu beginnen und dann ein im Vergleich dazu preisgünstigeres nachzuschieben, etwa ein VIPAbo für 100 000 Rubel und ein vernünftiges Abo für 50 000 Rubel.
Übung:
Formulieren Sie den folgenden Satz nach dem Kontrastprinzip um: »Drei von zehn Patienten unserer Kliniken geht es nach der Behandlung fast sofort besser.«
Antwort:
Diese Zahl sollten Sie überhaupt nicht verwenden, weil Sie nicht zu Ihren Gunsten ist. Nehmen Sie lieber die absolute Zahl der genesenen Patienten pro Monat oder Jahr, etwa so: »Im letzten Jahr fühlten sich über 140 Patienten nach Beginn der Behandlung sofort besser.«
Übung:
Überlegen Sie, wie Sie mithilfe des Kontrastprinzips und gezielter Kompromissvorschläge die Verhandlungen mit dem biologischen Vater wieder in Gang bringen. Bereiten Sie drei Paketlösungen vor.
Antwort:
Option 1: Du wirst an der Erziehung des Kindes beteiligt, zahlst das Schulgeld und die Hobbys und darfst einmal im Jahr mit dem Kind in die Ferien fahren. Ach, und natürlich die monatlichen Unterhaltszahlungen nicht zu vergessen.
Option 2: Klage vor Gericht, Alimente und so weiter.
Option 3: Ich verzichte auf alle finanziellen Forderungen und jede Unterstützung durch dich, und du verzichtest darauf, dass das Kind deinen Nachnamen trägt.
Übung:
Formulieren Sie Ihre Ziele aufgrund dessen, was Sie kontrollieren können.
a) Einen Auftrag über 1 Million Rubel holen.
Antwort: Den Kunden zu einer geschäftlichen Zusammenarbeit bewegen.
b) Kostenerstattung für eine fehlerhafte Lieferung bekommen.
Antwort: Zunächst die andere Seite dazu bringen, Erstattung anzubieten, dann eine Summe aushandeln, anschließend die Zahlungsfrist.
c) Eine Schuld zurückzahlen.
Antwort: Das Gegenüber zur Rückzahlung veranlassen oder einen Zeitplan und zusätzliche Sicherheiten für diese Rückzahlung aushandeln.
Übung:
Unterteilen Sie das folgende Ziel in einzelne Schritte: Den Gegenüber dazu bringen, eine Geschäftsbeziehung mit der gesamten Holding einzugehen.
Antwort:
Schritt 1: Die Bedingungen der Zusammenarbeit darlegen und sondieren, ob sie annehmbar sind.
Schritt 2: Zunächst eine Zusammenarbeit mit einem Unternehmen der Holding beginnen.
Schritt 3: Gespräche über eine Geschäftsbeziehung zur Dachgesellschaft führen.
1 Niccolò Machiavelli, The Prince, übers. von Tim Parks, London 2009 (dt. Der Fürst, übers. von August Wilhelm Rehberg, Frankfurt a. Main, 2010).
2 Eliyahu M. Goldratt, Jeff Cox, The Goal: A Process of Ongoing Improvement, Great Barrington 1992.
3 Jim Camp, Start with NO, New York 2002.
4 Carl v. Clausewitz, On War, übers. von J. J. Graham, New York 2012 (dt. Vom Kriege, Erstausgabe 1832–34).
5 Napoleons Motto lautete angeblich On s’engage, et puis on voit. Dieser Spruch wurde in Russland populär, seit Lenin ihn übernommen hatte.
6 Clausewitz, a. a. O.
7 Larry Wilson, »Grow Or Die: Four Stages of Transformation«. Blogartikel auf: Above+Beyond. http://abovebeyond.ca/blog/grow-or-die-four-stages-of-transformation-pt-2/.
8 Sun Tzu, The Art of War, übers. von Lionel Giles, London 1910 (dt. Sunzi, Die Kunst des Krieges, hg. von James Clavell, aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Langowsky, München 1988/2020).
9 Stephen Corvey, The Seven Habits of Highly Effective People, New York 2004 (dt. Die sieben Wege zur Effektivität, übers. von Angela Roethe u.a., Offenbach 2005/2014).
10 Sun Tzu, a. a. O.
11 Everett L. Shostrom, Man, the Manipulator, Nashville 1967.
12 Jim Camp, a. a. O.
13 Sun Tzu, a. a. O.
14 Wladimir Tarasow, Isskustwo uprawentscheskoj borby (»Die Kunst der Managementschlacht«), Moskau 2016. Zitat ins Englische übersetzt von Alex Fleming.
15 Andrej Gromyko, Memories, übers. von Harold Shukman, London 1989 (dt. Erinnerungen, übers. von Hermann Kusterer, Düsseldorf, Wien, New York 1989).
16 Michail Bulgakow, The Heart of a Dog, übers. Michael Glenny, London 2009 (dt. Das hündische Herz, neu übers. von Alexander Nitzberg, Köln 2013).
17 Sprichwort, oft Lukian von Samosata zugeschrieben.
18 Robert B. Cialdini, Influence: Science and Practice, New York 2009; (dt. Die Psychologie des Überzeugens, übers. von Matthias Wengenroth, Bern 2013).
19 Jurij Dubinin, Masterstwo Peregoworow (etwa: »Die Verhandlungskunst meistern«), Moskau 2006. Auszug ins Engl. übers. v. Alex Fleming.
20 Wladimir Tarasow, a. a. O.
21 Sun Tzu, a. a. O.
22 Andrej Gromyko, a. a. O.
23 Kozma Prutkov, Izbrannoje (»Ausgewählte Werke«), Moskau 2006. Auszug ins Engl. übers. v. Alex Fleming.
24 Dale Carnegie, How to Win Friends and Influence People, New York 2010 (dt. Wie man Freunde gewinnt, übers. von Hedi Hänseler, Frankfurt 2005).
25 Rudyard Kipling, The Jungle Book, London 2013 (dt. Das Dschungelbuch 1 & 2, neu übers. von Andreas Nohl, München 2018).
26 Benjamin Franklin, The Autobiography of Benjamin Franklin, New York 1909 (dt. Autobiographie. Benjamin Franklins Leben, von ihm selbst beschrieben, übers. von Karl Müller, Berliner Ausgabe 2016).
27 Anm. d. Übersetzers ins Englische (Fleming): Dieses Motto ist auch ein bekanntes Sprichwort im Französischen: Fais ce que dois, advienne, que pourra.
28 Niccolò Machiavelli, a. a. O.
29 Armand de Caulaincourt, Memoirs of Général de Caulaincourt – The Russian Campaign, übers. von Hamish Miles, Halstad 2011.
30 Sergei Kharitonov, »Model dinamiki aktivnosti zhivykh sistem« (»Ein Modell der Aktivitätsdynamik biologischer Systeme«), http://www.rusnauka.com/26_WP_2013/Matemathics/4_144087.doc.htm. Auszug ins Engl. übers. v. Alex Fleming.
31 Astrid Lindgren, The World’s Best Karlson, übers. Sarah Death, Oxford 2009 (dt. Karlsson vom Dach, übers. von Thyra Dohrenburg, Hamburg 1990).
32 Leonid Kroll, Peregovori s Drakonami (»Verhandlungen mit Drachen«), Moskau 2013. Auszug ins Engl. übers. v. Alex Fleming.
33 Niccolò Machiavelli, ebd.
34 Rudyard Kipling, a. a. O.
35 Robert Cialdini, a. a. O.
36 Robert Cialdini, a. a. O.
37 Andrej Gromyko, a. a. O.
38 Jurij Dubinin, Iskusstwo Diplomatii (»Die Kunst der Diplomatie«), http://russiancouncil.ru/analytics-and-comments/analytics/iskusstvo-diplomatii/?sphrase_id=22937921. Auszug ins Engl. übersetzt v. Alex Fleming. Englische Rezension des Vortrags unter: http://russiancouncil.ru/en/analytics-and-comments/analytics/on-the-art-of-diplomacy/.
39 Sergej Witte, The Memoirs of Count Witte, übers. u. hg. von Sidney Harcave, Abingdon 2016 (dt. Erinnerungen, übers. von Herbert von Hoerner, Berlin 1923).
40 Sergej Witte, a. a. O.
41 Sergej Witte, a. a. O.
42 Sun Tzu, a. a. O.
43 Lewis Carroll, Alices’s Adventures in Wonderland and Through the Looking Glass, London 2012 (dt. Die Alice-Romane, Stuttgart 1999).
44 Sun Tzu, a. a. O.
45 Dubinin, a. a. O.
46 Andrej Gromyko, a. a. O.
47 Michail Bulgakow, The Master and Margarita, übers. von Michael Glenny, London 2003 (dt. Der Meister und Margarita, neu übers. von Alexandra Berlina, München 2020).
48 Wladimir Tarasow, a. a. O.
49 Robert T. Kiyosaki with Sharon L. Lechter, Rich Dad’s Guide to Investing, New York 2000 (dt. Rich Dad‘s Investment Guide. Wo und wie die Reichen wirklich investieren, München 2015).
50 Sun Tzu, a. a. O.
Lieber zehn Jahre Verhandlungen als einen Tag Krieg.
– ANDREJ ANDREJEWITSCH GROMYKO,
1957 bis 1985 Außenminister der UdSSR
Ist Verhandlungsführung eine Wissenschaft oder eine Kunst? Natürlich eine Wissenschaft, werden viele Menschen antworten – schließlich gibt es klare Gesetze, ausgearbeitete Systeme und Methoden, die einem, wenn man sie einmal beherrscht, mit allem versehen, was man braucht, um gut zu verhandeln. Das stimmt zweifellos. Andere werden sagen, Verhandlungsführung sei eine Kunst – nicht jeder muss ihre Gesetze erst lernen; manchen ist dieses Talent einfach angeboren. Das sind Leute, die instinktiv richtig verhandeln und spüren, wie sie vorgehen müssen. Sie sind jederzeit bereit, mit jedem über alles zu verhandeln und bleiben dabei erfolgreich. Ihre Worte und Gesten sind wie Pinselstriche Picassos. Auch das stimmt. Aber es hat eben nicht jeder ein solches Talent. Deshalb, so meine ich, ist Verhandeln sowohl eine Kunst, die vom Individuum nicht zu trennen ist, als auch eine Wissenschaft, die aus objektiven Gesetzen, Konzepten und Zielen besteht.
Verhandlungen kann man als eine Art Sport betreiben. Schließlich überschneiden sich auch im Sport Kunst und Wissenschaft. Aber ebenso, wie man auch im Sport ständig an sich arbeiten und regelmäßig trainieren muss, um erfolgreich zu werden, reichen weder Buch noch Kurs, um ein versierter Verhandlungsführer zu werden. Deshalb, lieber Leser, nehmen Sie dieses Buch als bloße Beschreibung des Trainingsablaufs. Trainieren müssen Sie selbst. Je mehr Sie üben, desto deutlicher verbessern sich Ihre Fähigkeiten und desto mehr rücken Ihre Ziele in erreichbare Nähe. Wie Sie üben, das liegt ganz bei Ihnen. Ob mit nachgestellten Situationen oder bei Clubtreffen, mit einem Sparringspartner oder am Arbeitsplatz – die Regel lautet in jedem Fall: je öfter, desto besser Ihre Ergebnisse.
Viele Verhandlungsschulen lehren, dass man Verhandlungen tatsächlich gewinnen kann – und muss. Es gibt sogar den oft als optimal dargestellten Ansatz der »Win-win-Situation«. Darauf kommen wir später noch. Andere gehen davon aus, dass es beim Verhandeln darauf ankommt, vor allem nicht zu verlieren; der Sieg ist wichtiger als alles andere.
Meine Ansicht (und feste Überzeugung) ist folgende:
Es ist gefährlich, den Verhandlungsprozess als einen zu sehen, den man entweder gewinnt oder verliert, und zwar aus mehreren Gründen: Erstens, wenn man sich geistig nur auf den bevorstehenden Sieg oder die drohende Niederlage konzentriert, bevorzugt man Taktik auf Kosten der Strategie. Die Verhandlung wird zum Zweikampf, die Parteien zu Duellanten. Zweitens ist ein »Sieg« auf lange Sicht nicht unbedingt gut und eine »Niederlage« nicht unbedingt schlecht. Es ist nämlich unmöglich vorherzusagen, wie sich eine Vereinbarung auf zukünftige Ereignisse auswirkt. Niemand weiß, was die Zukunft bringt; wir können nur Vermutungen darüber anstellen. Und was wir heute als scheinbaren Sieg feiern, wird vielleicht schon morgen als schlechtes Geschäft bedauert. Ich kann Ihnen dazu zahlreiche Beispiele nennen.
Ich habe viele Jahre im Getränkebusiness gearbeitet und solche Situationen oft selbst erlebt. Nach langwierigen Verhandlungen mit einem großen Vertriebsunternehmen war mein Team froh, als der Vertrag endlich unterschrieben war. »Wir haben gewonnen, wir haben’s geschafft, wir haben den Vertrag!«, jubelten wir. Nicht lange danach ging der Getränkegroßhändler bankrott, und wir erhielten die Lieferungen, die wir ihm bereits geleistet hatten, nicht voll bezahlt. Was sollten wir tun? Deshalb ist es so wichtig, dass man immer weiß, welcher Schritt nach den Verhandlungen als nächster folgt.
Rudolph Mokshantsev stellt Verhandlungen als komplexen Prozess dar, der sich in folgende Komponenten gliedert:
Verhandlungen setzen einen Dialog zwischen gleichberechtigten Partnern voraus, die einigermaßen unabhängig voneinander sind, auch wenn das in der Praxis nicht immer der Fall ist.
Verhandlungen als Dialog zwischen unterschiedlichen Parteien, der möglicherweise zu einer Vereinbarung führt
Fassen wir Verhandlungen als Wissenschaft auf, dann als eine, die auf Mathematik und Psychologie beruht. Die Gewichtung dieser beiden Disziplinen im Verhandlungsprozess hängt davon ab, auf welchem Gebiet die Verhandlungen stattfinden. In der Diplomatie ist zum Beispiel die Mathematik – die Königin der Naturwissenschaften – besonders wichtig, obwohl man auch die Psychologie nicht ganz vernachlässigen darf. In der Geschäftswelt dagegen zählen Mathematik und Psychologie je etwa 50 Prozent, während in privaten Verhandlungen gewöhnlich die Psychologie entscheidet.
Manche rein theoretischen Verhandlungsmodelle argumentieren für einen logischen Ansatz und gehen davon aus, dass man psychologische Faktoren nicht zu berücksichtigen braucht. Ein Beispiel ist der Rat an die Verhandlungsparteien, sich in der Mitte zu treffen, sodass beide ein gleich großes Zugeständnis machen.
Das klingt zwar theoretisch ganz einfach, kann aber in der Praxis in die Sackgasse führen. Nehmen wir an, der Verkäufer einer Ware fordert einen Anfangspreis von 10 000 Rubeln in der Erwartung, zwischen 8000 und 9000 Rubel zu erzielen. Der Käufer bietet 8000 Rubel, obwohl er bereit ist, auch 8500, notfalls sogar 9500, zu zahlen. Theoretisch ist die Lösung also einfach, beide Zahlen zu addieren und durch zwei zu teilen, womit wir bei 9000 Rubeln landen. Und das sieht, da sind wir uns wohl alle einig, auch fair genug aus – in der Theorie. Doch in der Realität ist es viel komplizierter.
Iwan und Fjodor verhandeln über den Verkauf bzw. Kauf eines Gebrauchtwagens. Iwan bietet sein Auto für eine Million Rubel zum Kauf an, aber Fjodor hat nur 800 000. Also ruft er Iwan an und sagt, »Wanja, alter Kumpel, ich geb dir 800 Riesen.« Iwan, der seine eigenen Interessen gegen die Logik des Kompromisses abwägt, stimmt sofort zu.
Oberflächlich ist das eine faire, erfolgreiche Verhandlung. Wir könnten sogar so weit gehen, sie ideal zu nennen: Beide Seiten erreichen ihr Ziel. Sowohl Iwan wie Fjodor sollten hochzufrieden sein. Beide sollten sich als Sieger fühlen. Das stimmt aber nur auf den ersten Blick.
Versetzen Sie sich zunächst an die Stelle des Käufers, also Fjodors. Klar, Sie haben bekommen, was Sie wollten, und nicht mehr Geld ausgegeben, als Sie hatten. Sie mussten sich nicht den Kopf zerbrechen, um noch mehr aufzutreiben (wozu Sie bereit gewesen wären, wenn Iwan sich ein bisschen mehr gesträubt hätte). Aber gibt es Ihnen nicht zu denken, wie seltsam schnell Iwan seine Forderung um 20 Prozent zurückgeschraubt hat? Diese Frage wird bald zur Qual für Sie. »Warum ist er so schnell auf mein Angebot eingegangen? Bestimmt ist mit dem Auto etwas nicht in Ordnung…« Und schon ist Ihr frisch erworbenes Auto, über das Sie sich noch vor wenigen Stunden so gefreut haben – eine Quelle des Unbehagens und bereitet Ihnen Zweifel und Ängste.
Jetzt versetzen Sie sich an die Stelle Iwans, des Verkäufers. Auch er zerreißt sich selbst. »Warum bin ich so schnell auf sein Angebot eingegangen?«, fragen Sie sich. »Die volle Million hätte ich zwar nicht bekommen, aber 100 000 Rubel mehr hätte ich schon noch rausleiern können. Oder wenigstens 50 000.«
Was zeigt uns das? Selbst ideal abgelaufene Verhandlungen sind in der Praxis nichts weniger als perfekt. Bei diesem Geschäft war keiner der Beteiligten wirklich zufrieden.
Studien haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, einen glatten Abschluss wie diesen zu erzielen, lediglich bei 16 Prozent liegt. Aber weil diese Wahrscheinlichkeit immer noch doppelt so hoch ist wie die, einen Abschluss durch eine allmähliche Annäherung der beiderseitigen Positionen aneinander (sie liegt bei acht Prozent), setzen viele auf diese Option. Meistens jedoch wird das Ergebnis eines solchen Abschlusses nachträglich infrage gestellt. Das ist psychologisch unvermeidlich. Ein Modell, bei dem die unterschiedlichen Positionen in mehreren Schritten aneinander angeglichen werden, berücksichtigt die psychologischen Faktoren von Anfang an und wird so zum verlässlichen Begleiter und Helfer im Verhandlungsprozess.
Manchmal weist man sogar interessante Vorschläge des Gegenübers instinktiv zurück, ohne eigentlich zu wissen, warum. Deshalb stellen Fachleute drei Vektoren als besonders wichtig im Verhandlungsprozess heraus. Mit diesen drei Vektoren werden wir uns im Verlauf des Buchs intensiv befassen. Es handelt sich um
Verhandlungen sind vor allem ein Prozess. Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf muss man sowohl die Art der Verhandlung, in der man sich befindet, wie auch die Motive des Gegenübers identifizieren.
Viele Verkaufsprofis setzen voraus, dass ein potenzieller Käufer, der sie zu Verhandlungen einlädt, zwangsläufig daran interessiert sei, mit ihnen ins Geschäft zu kommen, und dass dies der Zweck der Verhandlungen sei. Diese Annahme ist ein Anfängerfehler.
Dieses Beispiel zeigt, dass die Motive des Kaufinteressenten nicht unbedingt mit einer zukünftigen Partnerschaft zu tun haben müssen, aber Andrej hat das in diesem Fall nicht erkannt.
Das passiert ziemlich häufig. Jemand versucht den bestmöglichen Preis für ein Auto herauszuholen und erkundigt sich zum Schein nach Angeboten. Er geht zu jedem Autohändler am Ort und wiederholt jedes Mal denselben Satz, um den Preis zu drücken: »Ihr Konkurrent hat mir ein besseres Angebot gemacht.« Er spielt sämtliche Anbieter gegeneinander aus. Jeder der angesprochenen Autohändler glaubt, der Mann wolle wirklich bei ihm kaufen, und wird so unwissentlich mit eingespannt.
Der amerikanische Soziologe und Politologe Fred Charles Iklé (1924– 2011; u.a. Every War Must End, New York 1970; und How Nations Negotiate, New York 1964, dt. Strategie und Taktik des diplomatischen Verhandelns, Gütersloh 1965) gliederte Typen und Motive von Verhandlungen wie folgt:
Ich möchte noch zwei Typen hinzufügen:
Es ist sehr wichtig, das Hauptmotiv Ihres Gegenübers möglichst schnell herauszubekommen und danach Ihr weiteres Vorgehen auszurichten.
Vor etwa 500 Jahren schrieb Niccolò Machiavelli, der große Barde der Staatskunst:
Weil ein Herrscher wie ein Tier handeln können muss, soll er die Züge des Fuchses und des Löwen annehmen; der Löwe kann sich nicht gegen Fallen verteidigen, der Fuchs nicht gegen Wölfe. Man muss also den Fuchs spielen, um die Fallen zu sehen, und den Löwen, um die Wölfe zu vertreiben. Ein Herrscher, der nur den Löwen spielt und den Fuchs vergisst, weiß nicht, was er tut.1
Ich weiß natürlich, dass es hier um Verhandlungsparteien geht, nicht um Herrscher, aber auch beim Verhandeln kommt es ja, wie beim Herrschen, darauf an, sehr schnell zu lernen.
Ich habe bereits erwähnt, dass es beim Verhandeln vor allem auf zwei Punkte ankommt: Erstens muss man fähig sein, seine eigenen Interessen zu wahren. Machiavelli würde sagen, man muss den Löwen spielen könnennen. Aber das genügt noch nicht, weil man als Löwe die Fallen nicht erkennt, die einem gestellt werden.
Um seine eigenen Interessen zu wahren, kann man aber auch seine eigenen Fallen auslegen – genau solche wie die, vor denen Machiavelli warnt. Was das für Fallen sind, fragen Sie? Emotionen. Gefühle. Gefühle, die einen daran hindern, seine eigenen Interessen zu wahren, Fortschritte zu machen und Ziele zu erreichen. Um Emotionen richtig einzusetzen, muss man den Fuchs spielen. Diese beiden Fähigkeiten sind der Schlüssel zum erfolgreichen Verhandeln. Wer verhandelt, sollte, genau wie ein Herrscher, Löwe und Fuchs zugleich sein.
Doch bevor wir die Methoden und Taktiken untersuchen, mit denen man seine Interessen wahrt (wie der Löwe) beziehungsweise seine Emotionen beherrscht (wie der Fuchs), möchte ich gerne eine der härtesten und brutalsten Verhandlungsschulen vorstellen. Ja, Sie haben richtig gelesen – brutal.
Angeblich entstand sie während der 1920er-Jahre in der Sowjetunion; sie hat bis heute Anhänger und Verteidiger. Man nennt sie die Kreml-Methode. Diese Methode stammt aus einem Land, das ständig unter großem Druck aus dem Ausland stand und dessen Diplomaten, wo auch immer sie akkreditiert waren, große Zähigkeit und Entschlossenheit beweisen mussten, um diesem Druck zu widerstehen.
Andrej Gromyko, einer der prominentesten Diplomaten und Staatsmänner einer ganzen Epoche, war Meister in der Kreml-Verhandlungsschule. Er war ein bemerkenswerter Mensch und großer Diplomat und überlebte fast sämtliche Generalsekretäre der KPdSU. Seine diplomatische Laufbahn begann er schon in jungen Jahren, mit gerade einmal 30 Jahren, noch unter Stalin – also in einer sehr gefährlichen Zeit. Sein erster Posten als sowjetischer Botschafter war der in den USA.
Wofür ist dieser Mann bekannt? Im Westen bekam er den Spitznamen Mr. Njet. Sie können sich wahrscheinlich denken, warum. Aber Gromyko selbst sagte immer, er höre das Wort »nein« sehr viel öfter, als dass er es selbst gebrauche. Wenn er selbst »Nein« sagte, dann immer mit dem einzigen Ziel, sich selbst – oder vielmehr das Land, das er vertrat – vor Manipulation zu schützen. Die Fähigkeit zu verhandeln – auch in ihren härteren und brutaleren Formen – gehörte für jeden Diplomaten damals zum unentbehrlichen Handwerkszeug.
Auf welchen Lehrsätzen beruht nun die Kreml-Verhandlungsschule? Es handelt sich um fünf grundlegende Maximen oder Grundsätze. Schauen wir sie uns genauer an.
Grundsatz 1: Schweig und höre deinem Gegenüber genau zu. Schweigen und zuhören. Was daran so hart – so »brutal« – sei? Zunächst einmal nichts. Gar nichts. Aber schauen wir genauer hin. Was geschieht denn, wenn der Gegenüber nichts sagt und einem einfach nur zuhört? Man kommt ins Reden. Wenn einem jemand zuhört – besonders, wenn er aufmerksam zuhört und wirklich darauf achtet, was man sagt –, stellt man sich bloß. Schweigen und zuhören heißt, eine menschliche Schwäche zum eigenen Vorteil auszunutzen.
Menschen sind im Grunde gesprächig. Wir verlieren »Krümel« und geben unwillentlich mehr Informationen preis, als wir wollen, und beantworten Fragen, die gar nicht gestellt waren. Wer im Einkauf tätig ist, weiß, was ich meine und wie effektiv diese Taktik ist. Das folgende Gesprächsbeispiel gibt Ihnen eine Vorstellung davon.
Oft muss man dem Gegenüber einfach nur immer weiter zuhören, damit er einem alles, was man sich von ihm wünscht, auf dem Silbertablett serviert. Wenn man selbst aber derjenige ist, der solche »Informationskrumen« fallenlässt und Erkenntnisse preisgibt, nach denen noch gar nicht gefragt war, macht man es seinem Gegenüber viel leichter und sich selbst entsprechend schwerer.
Wenn man zuhört, macht man überdies auf den Gegenüber einen guten Eindruck. Man macht damit klar, dass es einen interessiert, was er zu sagen hat. Und wenn man sieht, dass der Gegenüber echtes Interesse daran zeigt, was man zu sagen hat, ist es nur natürlich, dass man anfängt, immer mehr preiszugeben, weil man ihm einen Gefallen tun möchte. Wer hört einem heutzutage schließlich noch richtig zu?
Aber darauf darf man nicht hereinfallen, das ist eine böse Falle.
Ich stimme dem Physiker und Theoretiker der Managementlehre Eliyahu Goldratt (1947–2011), der die Theory of Constraints (TOC) entwickelt hat, darin zu, dass man in Verhandlungen immer ›paranoid‹ sein müsse, also grundsätzlich misstrauisch2 – immer auf der Hut vor möglichen Gefahren. Jedes Wort, das man sagt, muss sorgfältig abgewogen sein. Wenn wir die erwähnten Informationskrumen fallen lassen, geben wir extrem wertvolle Informationen preis und gehen unserem Gegenüber an den Haken der Angel, die er ausgeworfen hat. Er wird nicht versäumen, sie einzuholen.
Grundsatz 2: Stelle Fragen
Wer verhandelt, hört zu. Dann stellt er Fragen. Dadurch kann er den Verlauf der Gespräche seinen Interessen gemäß steuern. Ein Gegenüber, der merkt, dass man ihm zuhört, wird auf Fragen, die noch mehr Interesse signalisieren, oft gerne eingehen, noch mehr verraten und mehr Zugeständnisse machen.
Das ist ein entscheidender Augenblick im Verhandlungsprozess, der Moment, in dem die Beteiligten zum ersten Mal ihre Rollen zugewiesen bekommen. Mit diesen Rollen beschäftigen wir uns später noch ausführlich, aber zunächst möchte ich auf einige wichtige Punkte eingehen.
In dieser Frühphase der Verhandlungen dienen solche Taktiken dazu, die anfänglichen Rollen der Teilnehmer festzulegen, nämlich die des »Gastgebers« und des »Gastes«. Der »Gastgeber« ist derjenige, der die Fragen stellt; der »Gast« derjenige, der sie beantwortet. Der »Gastgeber« fragt nach, der »Gast« bietet etwas an. Und damit spielt sich das bekannte Gegensatzpaar ein: Du bietest mir etwas an, und ich entscheide, ob ich es annehme. Ich bin der »Gastgeber«.
Wenn man jemanden zu Hause zu Gast hat, darf man ihn ausfragen. Aber denken Sie daran, dass bei Verhandlungen Gastgeber nicht im räumlichen Sinn gemeint ist, sondern eben nur denjenigen bezeichnet, der die Fragen stellt. Gastgeber heißt hier nur, dass man über die Tagesordnung entscheidet, auch wenn der Gegenüber sich vielleicht selbst für den Gastgeber hält, weil er ja die ganze Zeit redet und daher glaubt, er bestimme den Ablauf des Geschehens. Das stimmt nicht. Den Gedankenaustausch kontrolliert vielmehr derjenige, der die Fragen stellt und zuhört.
In diesem Beispiel nimmt der Beamte von der ersten Sekunde an die Rolle des »Gastgebers« an, indem er dem »Gast« Fragen stellt und dann die Entscheidung trifft – diejenige, die für ihn selbst am vorteilhaftesten ist.
Meiner Erfahrung nach ist das oft ein Punkt, den Einzelhändler nicht verstehen. »Was habe ich falsch gemacht?«, wird der Firmenunterhändler fragen. »Ich habe ihnen doch alle verlangten Auskünfte gegeben, bereitwillig alle Fragen beantwortet, aber am Ende haben sie sich für die Konkurrenz entschieden.« Meine Antwort: Indem man Fragen beantwortet, nimmt man die Rolle des »Gastes« an und gewährt dem Gegenüber die des »Gastgebers«, und dazu gehört auch das Recht, uns zurückzuweisen. Und wenn der Käufer dieses Recht bekommt, wird er es auch ausnutzen.
Deshalb muss man um die Rolle des »Gastgebers« kämpfen. Das ist entscheidend. Wenn man das Gefühl hat, mehr Fragen als unbedingt notwendig gestellt zu bekommen, muss man sich klarmachen, dass einen jede Frage weiter von diesem Ziel wegbringt. Also unterbrechen Sie diese Kette mit Gegenfragen und holen sich so die Initiative zurück.
Schauen wir uns an, wie gut platzierte Gegenfragen im Beispiel von eben das Ergebnis völlig verändert hätten.