Rita de Monte
Am Anfang des Regenbogens
Autobiografie
© 2021 Rita de Monte
Verlag und Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN |
|
Paperback: |
978-3-347-32982-9 |
Hardcover: |
978-3-347-32983-6 |
e-Book: |
978-3-347-32984-3 |
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Inhalt
V O R W O R T
Reinkarnation
Meine Eltern Erika und Karl
Baby Rita
Meine Ausbildung
Erste Liebe
Hochzeit
Urlaub in Schweden
Auf zu neuen Ufern
Chefsekretärin
Der schöne René
1986 - Arianna
1988 - Desiré
Die Tierklinik
Omar kommt
Algerien
Diabolo und Blacky
Engelchen flieg
Bungee Jumping
Rebellion
Esoterische Ambitionen
Der Allgäuer
Mein Holzhaus
Morbider Plan
Medium Bill
Meine Oase
Retraumatisierung
Traumland Irland
V O R W O R T
Meine lieben Leserinnen und Leser,
ich habe mich oft gefragt, wieviel seelischen Schmerz ein Mensch ertragen kann, als ich mein bisheriges Leben reflektierte, denn ich haben viele Traumata erlebt.
Doch das Schlimmste war der Selbstmord meines Vaters Karl am 16. August 2009. Er hatte sich mit einer alten Waffe aus dem 2. Weltkrieg erschossen, mit Munition, die sicher über dreißig Jahre lang in einem Bundeswehrtornister gelagert hatte.
Sein grausamesVorhaben hat er mir einige Stunden vorher angekündigt, doch ich habe ihm nicht geglaubt, denn meine Mutter war damals sterbenskrank. Hätte ich wirklich ahnen können, dass er sein Vorhaben umsetzt, bevor seine Frau gestorben war? Die Beiden waren damals bereits über fünfzig Jahre verheiratet. Bleibt man da nicht beieinander bis zum bitteren Ende und steht sich bei?
Lesen Sie die Geschichte meines ereignisreichen Lebens und urteilen Sie selbst.
Herzlichst Ihre
Rita de Monte
Reinkarnation
Spirituelle Menschen behaupten, dass die Seele sich vor ihrer erneuten Reinkarnation ihre Lernaufgaben selbst aussucht. Da scheine ich wohl viel zu oft „Hier“ gerufen zu haben.
Meine Mutter Erika erzählte immer, dass sie kugelrund war als sie mit mir schwanger war. Es wurde Hochsommer und sie ernährte sich nur noch von Buttermilch und Aprikosen. Später erzählte sie oft davon, dass sie sich die Schnürsenkel nicht mehr selbst binden konnte vor lauter dickem Bauch.
Es war ein wunderschöner, aber heisser Tag im August als meine Mutter mit Wehen ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Der diensthabende Gynäkologe hatte an diesem Tag Geburtstag, genauso wie mein Vater Karl. Man wartete und wartete, doch bereits während des Geburtsvorganges hatte ich meinen eigenen Kopf. Ich wollte meinen eigenen Geburtstag und kam einfach einen Tag später per Zangengeburt auf die Welt. Vermutlich hätte ich meine arme Mutter sonst noch länger geplagt.
Angeblich war ich von Anfang an ein quirliges Kind und nicht gerade pflegeleicht. Wenn man alte Fotos betrachtet, dann sieht man darauf, dass ich den Schalk im Nacken hatte und sicher oft schwer zu bändigen war. Heute kann ich mir das gar nicht mehr vorstellen.
Als ich geboren wurde, wohnten meine Eltern in einer Firmenwohnung im ersten Stock. Ich kann mich noch an den langen Flur dieser Wohnung erinnern, er maß dreizehn Meter und war perfekt dazu geeignet auf den Socken zu rutschen. Meine Mutter schüttelte oft nur den Kopf über meinen Bewegungsdrang. Mein Kinderzimmer lag am Ende des Flurs. Es gab sogar eine Verbindungstür zu der anschließenden Wohnung in der zwei ältere Damen lebten. Sie hatten eine verwandtschaftliche Beziehung zum Chef meiner Eltern. Eine der älteren Damen schien mich nachts manchmal besucht zu haben als ich ein Baby war, denn meine Mutter erzählte mir später, dass ich urplötzlich angefangen hatte zu schreien und sie diese ältere Frau dabei erwischt hatte wie sie an meinem Bettchen stand. Meine Eltern schoben dann einen schweren Schrank vor die Verbindungstür damit dies nicht wieder vorkommen konnte.
Unser Wohngebäude stand an einer Kreuzung. Auf der einen Seite eine vielbefahrene Straße, auf der anderen Seite eine kleinere Nebenstraße. Dort war auch der Eingang zum eingezäunten Hofgelände. Hier musste man hindurch, wenn man zu unserem Aufgang wollte.
Über das Hofgelände wachte der Schäferhundmixrüde Arco. Der Hund gehörte dem Chef meines Vaters und im Hof, nahe unseres Einganges, stand seine Hundehütte. Arcos Gelände war auch mein Gelände. Denn ich hatte nur den geteerten Hof als Spielfläche. Wir wohnten ja mitten in der Kleinstadt, da gab es nicht so viele grüne Flächen. Arco jedenfalls war mein bester Freund, und bereits im zarten Alter von zwei Jahren fühlte ich mich zu Tieren sehr hingezogen. Arcos große Hundehütte fand ich toll. Oft kroch ich hinein zu dem Hund, denn er war so warm und kuschelig und schien es auch zu genießen, dass sich jemand zu ihm legte. Als kleines Kind wußte ich natürlich noch nicht, dass es Teile an Tier und Mensch gibt, die sehr empfindlich sind. Ich hatte Arco wohl streicheln wollen und untersuchte auch seine Hoden ganz genau. Vermutlich habe ich zu fest gedrückt, denn er biß mich plötzlich in den Kopf. Er hat sich nur gewehrt, weil es weh tat, es war keine böse Absicht gewesen.
Für mich war dieser Biß nicht weiter schlimm, er wurde mit zwei Stichen genäht und schon war es vergessen. Schließlich hatte ich dem Hund weh getan. Er war trotzdem immer noch mein Freund. Nur durfte ich leider nicht mehr die Treppe hinunter in den Hof zu ihm. Meine Eltern stuften den Hund als Gefahr für mich ein. Vermutlich dachte mein Vater, dass der Hund aggressiv zu mir gewesen war und hatte Angst um mich und meine Gesundheit. Jedenfalls war Arco plötzlich weg und ich konnte wieder im Hof spielen, aber mein Freund fehlte mir sehr.
Mein Vater hatte den armen Hund nachts entführt und mit seiner Pistole, die er noch aus einem kurzen Kriegseinsatz hatte, erschossen. Diese Pistole hat er leider sein Leben lang behalten. Seinen Hundemord beichtete er mir erst sehr viel später, als ich lange erwachsen war und außer Haus wohnte.
Meine Eltern arbeiteten beide in diesem Betrieb. Mein Vater als Maschinenschlosser und meine Mutter als kaufmännische Sachbearbeiterin. Mama arbeitete nur halbtags. Das Büro der Firma war direkt unter unserer Wohnung. Ich konnte also immer im Büro vorbeischauen, wenn ich ein Anliegen hatte. Aber natürlich spürte ich schon damals sehr genau, wenn ich unerwünscht war.
Da ich keine Geschwister hatte und zu diesem Zeitpunkt auch keine anderen Kinder in meiner Nähe wohnten, fühlte ich mich oft sehr einsam und jetzt war leider mein Freund Arco auch weg.
Eines Tages spielte ich alleine im Hof, als eine Horde von Schulkindern draußen am Zaun vorbei ging. Ich fand das Gelärme, das sie veranstalteten toll, machte das Gartentürchen auf und schloß mich ihnen einfach an. Vielleicht hatten sie mich auch ermuntert mitzukommen, das weiß ich nicht mehr. Damals war ich drei Jahre alt.
Meine Mutter erzählte mir, dass ich mich einfach dieser fröhlich lärmenden Gruppe angeschlossen hätte und mit ihnen nach Hause gegangen wäre. Es handelte sich wohl um mehrere Geschwister einer großen Familie. Die Mutter der Kinder reagierte ganz ruhig, legte ein weiteres Gedeck für das Mittagessen auf und fragte mich aus. Meine Mama hatte mir meinen Namen und meine Adresse schon beigebracht und so konnte mich die angerufene Polizei wohlbehalten wieder zu Hause abliefern. Die große Familie hatte mich nicht behalten wollen. Schade, denn der Trubel hatte mir wirklich sehr gefallen. Zum Glück war meine eigene Mutter sehr froh, dass ich wieder zu Hause war. Sie bestrafte mich nicht einmal.
Meine Mama merkte, dass sie mich nicht mehr so alleine zu Hause behalten konnte, da ich mit Sicherheit weiteren Unfug anstellen würde. Also meldete sie mich im nahe gelegenen Kindergarten an. Dieser lag nur zwei Querstraße von unserer Wohnung entfernt. Es war allerdings ein katholischer Kindergarten in dem Zucht und Ordnung, bzw. strenge Regeln herrschten.
Anfangs brachte mich meine Mutter jeden Morgen dorthin und lieferte mich bei der Kindergartentante ab. Doch schon bald ging ich alleine hin.
Obwohl ich neugierig und abenteuerlustig war, zeigte ich das nicht nach außen. Ich wirkte immer eher schüchtern und introvertiert. Da mir die Geschwister fehlten, hatte ich nie gelernt, meine Befindlichkeit verbal auszudrücken. Außerdem kam ich mit mir selbst ganz gut zurecht, und oft fühlte ich mich irgendwie anders und auch ausgeschlossen, weil ich die Sprache der anderen Kinder nicht wirklich verstand. Also beobachtete ich und lernte dadurch. Später wurde mir bewusst, dass mir schlicht und einfach eine gewisse Sozialisierung fehlte. Meine Mutter hatte nie dafür gesorgt, dass ich mit anderen Kindern spielen konnte. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mit anderen Müttern Kontakt gehabt hätte, um sich mit ihnen und ihren Kindern zu treffen. Auch einen Spielplatz gab es bei uns in der Nähe nicht. Also lernte ich einfach mich alleine zu beschäftigen, denn es blieb mir gar nichts anderes übrig, und wenn man nichts anderes kennt, dann empfindet man es auch nicht als schlimm. Bis man eben die ersten Vergleichsmöglichkeiten bekommt. Damals bemerkte ich, dass ich eher nebenher lief und sich bei meinen Eltern alles um sie beide drehte.
Meine Mutter stand sehr früh auf. Bereits bevor sie hinunter ins Erdgeschoß ging um im Büro zu arbeiten, kochte sie das Mittagessen vor. Mein Vater hatte es ja auch nicht weit von seinem Arbeitsplatz bis zur Wohnung und deshalb kam er immer mittags – kurz nach 12 Uhr - nach Hause und da musste das Essen auf dem Tisch stehen.
An unser Wohnhaus war eine Halle angebaut, in der einige Mitarbeiter arbeiteten, doch es gab auch noch ein Betriebsgelände, etwa fünf Minuten zu Fuß vom Wohnhaus entfernt. Dort war die Eisenbiegerei angesiedelt die auch zur Firma Kern gehörte. Mein Vater war handwerklich sehr geschickt und wurde immer dort eingesetzt wo man ihn gerade brauchte. Manchmal fuhr er auch Ware aus, da er auch den LKW Führerschein hatte. Er war sozusagen „Mädchen für alles“ und sein Chef schätze ihn sehr.
Da Geld trotzdem immer knapp war, verdiente sich meine wunderschöne Mutter noch ein bißchen Geld als Mannequin für ein Modegeschäft in unserer Kleinstadt.
An jenem Abend fand ein solches Event statt, nicht weit von meinem zu Hause entfernt. Damals war ich fast fünf Jahre alt und schon recht selbständig. Ich ging bereits alleine zum Kindergarten oder besuchte meinen Vater in der Eisenbiegerei. Manchmal schickte mich meine Mutter mit der Milchkanne zum Milchholen in den kleinen Laden ein paar Straßen weiter. Er war gegenüber des Kindergartens. Diesen Weg kannte ich inzwischen im Schlaf.
Am Tag der Modeschau wollte mein Vater unbedingt seine Angetraute dort sehen. Er brachte mich recht früh zu Bett. Da ich nicht einschlafen konnte, bemerkte ich natürlich, dass er sich aus der Wohnung schlich. Ich wollte ihm nachgehen, doch er hatte meine Kinderzimmertür abgeschlossen. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Fieberhaft überlegte ich wie ich herauskommen könnte.
Meine Eltern hatten beim Mittagessen darüber gesprochen, dass meine Mutter abends diese Modeschau laufen würde. Sie hatten auch erwähnt, dass dies im alten Zollamt neben dem Güterbahnhof stattfinden sollte. Ich wusste wo das war, nämlich keine zweihundert Meter von meinem zu Hause entfernt. Ich würde nur über zwei Hauptstraßen gehen müssen. Aber wie sollte ich aus meinem Zimmer kommen, das sich ja im ersten Stock befand?
Kurzerhand zog ich das Laken von meinem Bett ab, nahm es und band es an einen der inneren Holzriegel. Damals gab es noch Holzläden mit Holzriegeln. Nicht unbedingt sehr stabil. Das Leintuch war zwar ein bißchen zu kurz, trotzdem kletterte ich aus dem ersten Stock des Hauses und hüpfte die restlichen 1,5 Meter einfach hinunter.
Es stand eine ganze Traube von Menschen da unten auf dem Gehsteig, doch keiner half mir. Alle gafften nur das kleine Mädchen an, das aus dem Fenster kletterte. Bevor mich jemand aufhalten konnte, rannte ich wie der Blitz über die Hauptstraße zum alten Zollamt. Ihr seht, meine Schutzengel hatten schon damals eine Menge zu tun. Meine Eltern waren nicht erfreut darüber was ich angestellt hatte, aber auch froh, dass nichts passiert war und so bekam ich nicht all zu viel Ärger. Mein Vater bekam allerdings Ärger mit meiner Mutter, weil er mich eingeschlossen hatte.
Meine Eltern Erika und Karl
Obwohl meine Eltern sich sehr liebten, waren sie doch sehr unterschiedlich. Mein Vater wirkte stets sehr kühl und legte großen Wert auf klare Regeln und dass diese auch eingehalten wurden. Meine Mutter war sehr lebhaft und temperamentvoll. Wenn die beiden miteinander stritten und das passierte leider relativ oft, dann warf meine Mutter durchaus auch hin und wieder eine Pfanne nach meinem Vater, oder sie schlug mit Absicht die Tür sehr geräuschvoll zu. Mein Vater hasste es wenn man sich nicht unter Kontrolle hatte und strafte meine Mutter dann mit tagelangem Schweigen. Dies zermürbte sie dann so, dass sie wieder anfing sich „gut“ zu benehmen. Meine Eltern waren so beschäftigt mit sich selbst, dass ich mich immer mehr in mein eigenes Inneres zurück zog. Ich teilte meine eigene Befindlichkeit niemals mit. War ich traurig, so heulte ich in meinem Zimmer.
Mein Vater Karl, vermutlich schwer traumatisiert durch seine eigene Geschichte und sehr pflichtbewusst, hielt sich an strengen Regeln fest, die auch sein Umfeld befolgen sollte. Meine Mutter dagegen war eher eine labile, unsichere Frau, die viel lieber auf Parties gegangen wäre und sich amüsiert hätte. Sie war immer auf der Suche nach Wärme und Geborgenheit. Mein Vater, durch seine eigene Geschichte geprägt, konnte ihr dies aber nicht in der Form geben, wie sie das gebraucht hätte. Für ihn war eher Sex und Leidenschaft etwas, das er mit Liebe und Geborgenheit verwechselte.
Ich glaube meine Mutter fühlte sich oft sehr eingesperrt, weil mein Vater kein geselliger Typ war, sondern das Geldverdienen und die materielle Sicherheit im Vordergrund standen.
Meine Mutter Erika hatte drei Geschwister. Zwei Schwestern und einen jüngeren Bruder. Sie selbst war die Zweitälteste und musste oft auf die Kleineren aufpassen. Meine Oma Maria war Hausfrau und mein Opa Paul arbeitete in der ZF Friedrichshafen und somit war das Geld auch hier knapp, denn es waren vier hungrigen Mäuler zu stopfen.
Im Krieg schickten manche Eltern ihre Kinder in die Schweiz. Als ausgewählt wurde welches der Kinder weggeschickt werden sollte, fiel die Wahl auf meine Mutter. Sie war damals erst zwölf Jahre alt. Eine Bekannte der Familie wohnte in St. Gallen und hatte sich bereit erklärt, das Kind bei sich aufzunehmen. Diese Dame war weder verheiratet, noch hatte sie eigene Kinder. War also im Umgang mit Kindern etwas unbeholfen auch wenn sie es gut meinte. Meine Mutter erzählte manchmal, wie sehr sie darunter gelitten hatte, von ihrer Familie weggeschickt worden zu sein. Sie hatte zwar genug zu essen, auch oft Schweizer Schokolade, aber sie hatte furchtbares Heimweh. Anscheinend wurde sie regelrecht gemästet und war dann auch ziemlich mollig, als sie mit fünfzehn Jahren wieder nach Hause durfte.
Ihre Eltern meldeten sie in der Kaufmännischen Handelsschule an und als sie diese abgeschlossen hatte, fing sie in der Maschinenfabrik in Ravensburg im Büro an. Dort lernte sie bei einem Betriebsausflug meinen Vater kennen und lieben. Bald darauf kündigten die beiden dort ihre Jobs und fingen nur eine Straße weiter weg bei der Eisenbiegerei Kern in Ravensburg an, weil sie dort eine Betriebswohnung zugesagt bekommen hatten. In dieser Wohnung lebten die beiden, als ich 1961 zur Welt kam.
Mein Vater schwärmte immer davon, dass meine Mutter eine ganz bezaubernde, kurvige Frau gewesen sei. Beim damaligen Betriebsausflug war sie vor ihm einen steilen Hügel zu einer Burg hochgegangen und das Popogewackel hatte in ganz wuschig gemacht. Bald darauf haben sie geheiratet. Meine Mutter war erst neunzehn Jahre alt, als sie vor dem Traualtar stand. Die Eltern meiner Mutter waren nicht begeistert, beugten sich aber diesem Entschluß, als sie bemerkten, dass ihre Tochter heillos verliebt war. Mein Vater war fast zehn Jahre älter. Vielleicht hatte Mama damals einfach ein Gefühl der Sicherheit durch ihn. Aber sicher war es auch eine große körperliche Anziehungskraft, jedenfalls von Seiten meines Vaters. Er liebte meine Mutter bis zum bitteren Ende mit all seiner Leidenschaft.
Meine Mutter war eine sehr schöne Frau. Damals musste man nicht Größe 36 haben um als schön durchzugehen. Sie stylte sich aufwändig und hatte immer ein besticktes Stofftaschentuch, einen Spiegel und einen Kamm in ihrer Handtasche. Vom Grundcharakter war sie ein sehr lebenslustiger Mensch, sehr gastfreundlich und liebenswert. Viel später ist mir bewusst geworden, dass sie sich sicher oft gefangen gefühlt hat. Sie verstand sicher oft nicht, warum mein Vater so reagierte wie er eben reagierte. Sie wurde immer trauriger, in sich gekehrter und schien mich oft gar nicht wahrzunehmen. Vermutlich habe ich damals bereits meine Intuition geschult, denn ich hab immer versucht auszuloten, ob ich sie gerade stören durfte oder nicht.
Nach meiner heutigen Lebenserfahrung würde ich behaupten, dass mein Papa ein schweres Kindheitstrauma und sowohl ein Mutter- als auch ein Vaterthema hatte. Leider habe ich nie viel aus seiner Vergangenheit erfahren. Außer, dass sein Vater (mein Opa Franz-Josef), nachdem er in einem Wirtshaus in betrunkenem Zustand mit einer Waffe herumgefuchtelt und nazifeindliche Parolen von sich gegeben hatte, in eine Art Internierungslager in Sigmaringen kam. Das war im Juni 1938. Man schrieb das Deutsche Reich und der zweite Weltkrieg stand kurz bevor. Von Sigmaringen wurde mein Opa Erwin-Josef de Monte, geboren am 04.06.1898 als Häftling (Quelle: NARA Zugangsbuch des KZs Dachau) am 21.03.1939 ins KZ Dachau überführt. Man nannte das Haftkategorie: Arbeitszwang. Es wurde zwar behauptet, dass er das KZ lebend verlassen hätte, aber es war keinerlei Spur mehr von ihm zu finden. Deshalb denke ich, dass er, wie viele andere auch, im KZ gestorben ist. Ich habe ihn also nie kennengelernt.
Die Ehe meiner Großeltern war scheinbar nicht so gut, denn es ging das Gerücht um, dass meine Oma Paula ihren Mann bereits vor diesem Vorfall hatte vergiften wollen. Als Hebamme hätte sie sicher das nötige ärztliche Wissen dazu gehabt. Dies wurde aber nie weiter verfolgt. Ich weiß also nicht, ob es wirklich stimmt. Ihr Ruf war durch die Tat ihres Mannes so oder so ruiniert. Kurz nach dessen Verhaftung wurde sie von der Polizei mitsamt ihren Kindern zu einem schnell einberufenen Gerichtstermin abgeholt.
Mein Vater erzählte mir, dass seine Mutter und sein Vater bei diesem Termin zwangsgeschieden wurden. Während die Mutter im Gerichtssaal abgeurteilt und zwangsgeschieden wurde, saßen mein Vater Karl und sein jüngerer Bruder Alfons, total eingeschüchtert und voller Angst auf einer harten Bank vor dem Gerichtssaal. Mein Vater war damals sieben Jahre alt. Sein Bruder erst fünf.
Ohne Vorwarnung wurde die Mutter sofort abgeführt und in ein Krankenhaus nach Ostdeutschland abgeschoben. Da sie eine Hebammenausbildung abgeschlossen hatte, war es kein Problem für die Behörden, einen Arbeitsplatz für sie zu finden. Der Beruf der Hebamme war schon immer etwas sehr wertvolles.
Die Kinder – die als einzigen Besitz ihre Kleidung hatten, die sie auf dem Leib trugen - wurden voneinander getrennt und direkt von der Gerichtsbank in verschiedenen Familien untergebracht. Der Bruder Alfons kam in eine gut situierte, liebevolle Familie, während man meinen Vater bei einer Bauersfamilie unterbrachte, die selbst keine Kinder hatten. Die Bäuerin konnte keine Kinder bekommen. Auf diesem Bauerhof musste er sehr viel arbeiten. Sein Ziehvater Hermann war ein sehr strenger Mann, alles musste genau nach seinen Regeln ablaufen, sonst setzte es Schläge. Seine Ziehmutter Rosa war zwar eine sehr liebenswerte Person, aber sie hatte sich ihrem Mann unterzuordnen und getraute sich nicht, sich schützend vor das Kind zu stellen. Schließlich war sie von ihrem Mann abhängig. Sie hatte keinerlei Berufsausbildung.
Papa erzählte oft wie einsam er sich gefühlt hat und dass sein Pflegevater einiges von ihm abverlangte. Den Schulweg musste er ohne Schuhe laufen, denn er hatte schlichtweg keine. Auch im Winter ohne Schuhe und Socken gehen zu müssen kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Es waren immerhin zwei Kilometer bis zu seiner Schule.
Die anderen Schulkinder hänselten ihn, weil er eben nicht wirklich zum Dorf gehörte und somit hatte er auch keine wirklichen Freunde, bis auf einen. Der hieß Otto. Den habe ich später auch noch kennengelernt und auch dessen Söhne. Leider starb Otto sehr früh an einem Herzinfarkt. Er war ein sehr warmherziger Mensch.
Dass solche Erlebnisse eine zarte Kinderseele traumatisieren und ihre Spuren hinterlassen, dürfte wohl jedem von uns klar sein.
Kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges wurde er dann noch zum Wehrdienst eingezogen. Damals war er fünfzehn Jahre alt, kam dann noch kurz in französische Gefangenschaft und wurde dort mehrfach geschlagen und mißhandelt. Seit damals hasste er alle Franzosen. Aus dieser Zeit stammte wohl auch seine Pistole. Er nannte sie immer nur meine Null Acht.