Cover

Sie war die erfolgreichste Serie der Neunziger: Friends. 1994 flimmerte sie das erste Mal über die Bildschirme und machte die Charaktere Ross, Rachel, Monica, Chandler, Joey und Phoebe schlagartig berühmt. Obwohl 2004 Schluss war, hat die Sitcom bis heute Kultstatus. Die Popkultur-Expertin Kelsey Miller hat mit den Machern der Serie und ihren unzähligen Gaststars gesprochen. Sie erzählt ikonische Momente, Anekdoten von den Dreharbeiten und spannende Hintergrundgeschichten; zeigt, wie stilbildend Friends war – vom Aufstieg der Coffee-Shop-Kultur bis zur berühmtesten Frisur der Welt: The Rachel –, und erklärt, warum eine Sitcom über sechs Twentysomethings das Fernsehen für immer verändert hat. Das ultimative Fanbuch zur besten Serie aller Zeiten!

Zur Autorin

Kelsey Miller studierte an der Boston University Film und Fernsehwissenschaft. Sie begann ihre Karriere in der Filmproduktion, bevor sie hauptberuflich zum Schreiben überging. Kurz nachdem sie dem Team der Lifestyle-Webseite Refinery29 beitrat, schuf sie das Anti-Diet-Project – eines der beliebtesten Aushängeschilder der globalen Medienplattform. Sie ist Senior-Redakteurin und lebt in Brooklyn.

Kelsey Miller

FRIENDS

ALLES ÜBER DIE BESTE SERIE ALLER ZEITEN

Aus dem Amerikanischen übersetzt

von Elisabeth Schmalen

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel I`ll be there for you: The One about Friends bei Hanover Square Press.

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Dieses Buch ist kein offizielles Lizenzprodukt. Es wurde unabhängig von den Produzenten der TV-Serie Friends erstellt und veröffentlicht. Für die Inhalte ist ausschließlich der Verlag verantwortlich.

Deutsche Erstausgabe 11/2018

Copyright © 2018 by Kelsey Miller

This edition is published by arrangement with Harlequin Books S.A.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Angelika Winnen

Bildredaktion: Tanja Zielezniak

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung eines Fotos von © ullstein bild – United Archives / PictureLux / T und © http://www.friends-frame.com

Rahmen-Kapiteleinteilung: http://www.friends-frame.com

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-23775-2
V002

www.heyne.de

Für meine Freunde

INHALT

INTERVIEWS

Die süßen Jahre

TEIL 1

KAPITEL 1

Die Serie, die es fast nicht gegeben hätte

KAPITEL 2

Sechs junge Leute und ein Springbrunnen

TEIL 2

KAPITEL 3

Marcel und George Clooney

KAPITEL 4

Eine Hochzeit mit zwei Bräuten

KAPITEL 5

Einmal »Rachel« für alle

KAPITEL 6

Nach der Folge nach dem Superbowl

KAPITEL 7

Alle reisen nach London (und in alle Welt)

TEIL 3

KAPITEL 8

Alles ändert sich

KAPITEL 9

Niemand stirbt

KAPITEL 10

Das doppelte Ende

KAPITEL 11

Das Comeback

DANK

ANMERKUNGEN

QUELLEN

INTERVIEWS

EINLEITUNG

Die süßen Jahre

Vor ein paar Monaten ging ich ins Fitnessstudio, stieg wie gewohnt auf mein Trainingsgerät und drückte so lange auf den abgenutzten kleinen Knopf auf dem Monitor, bis ich Kanal 46 eingestellt hatte. Es war sehr früh am Abend – die magische Stunde im Studio. Es war brechend voll, aber seltsam still, nur das Sirren der Fahrradtrainer und das rhythmische Stampfen der Turnschuhe auf den Laufbändern war zu hören. Fitnessstudios in New York gelten weithin als angesagt und dementsprechend einschüchternd, es soll dort von athletischen Supertalenten und absolut schweißfreien medizinischen Wundern wimmeln, die einander aufmerksam beäugen, während sie Hunderte Kilos stemmen und vor dem Spiegel ihre Pirouetten drehen. Alles in allem ist dieses Vorurteil erschreckend zutreffend. Aber nicht abends um halb sechs. Um diese Uhrzeit ist dort alles ruhig, und es gibt keine kritischen Blicke. Stattdessen scheint jeder Fernsehbildschirm auf einen der üblichen Kabelsender eingestellt zu sein – die New Yorker entspannen eben bei Kardiotraining und Wiederholungen alter Serien. An jenem Tag erblickte ich, als ich den Raum betrat, die übliche Reihe vertrauter Gesichter über den Hightech-Geräten. Manche guckten Grey’s Anatomy, andere zogen Law & Order vor. Einige schauten sogar Family Guy, ganz schamlos in aller Öffentlichkeit. Um halb sechs verurteilt einen niemand. Ich selbst wählte immer Kanal 46, auf dem der Sender TBS jeden Nachmittag Friends zeigte.

Angefangen hatte ich damit vor ein paar Jahren, etwa zur selben Zeit, als ich begann, regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen. Ich war Ende zwanzig, und bis dahin hatte Sport zu den Dingen gehört, die ich entweder exzessiv oder gar nicht betrieb. Wie die meisten jungen Frauen (zumindest die, die ich kenne) hielt ich Work-outs für etwas, das man sich antut, um besser auszusehen oder um das Stück Pizza wieder abzutrainieren, das man sich nach fünf Gläsern billigem Wein mit den Freunden noch eben kurz auf der Straße reingezogen hat. Jetzt war ich in eine neue Phase des Erwachsenenlebens eingetreten. Ich bestellte mir gute Pizza nach Hause und aß sie dort mit meinem langjährigen Freund – und zwar nicht allzu spät, weil wir sonst beide Sodbrennen bekamen. Sport trieb ich nun aus gesundheitlichen Gründen, wie eine echte Erwachsene. Das war nur konsequent und ziemlich langweilig, aber ich muss zugeben: Ich mochte es. Einige Aspekte des Älterwerdens gefielen mir weniger (zum Beispiel die Tatsache, dass man immer Mittel gegen Sodbrennen im Haus haben musste), aber das Fitnessstudio zählte nicht dazu. Denn dort konnte ich jeden Abend Friends schauen und für eine Zeit lang in die Vergangenheit reisen.

Kanal 46 entwickelte sich zum nostalgischen Fluchttunnel am Ende meines erwachsenen Arbeitstages. Ich strampelte mich auf dem Arc Trainer ab und sah dabei die Folge, in der Monica aus Versehen Sex mit einem Teenager hat, oder die, in der Chandler mit Jill Goodacre im Vestibül einer Bankfiliale feststeckt. Dabei wusste ich nicht einmal, wer Jill Goodacre war. Ich wusste nur, dass sie in den Neunzigern ein Victoria’s-Secret-Model gewesen war, und die Folge zu schauen glich einer Reise in die Zeit, in der sowohl sie als auch Victoria’s Secret angesagte Popkulturgrößen waren.

Ich hätte mich nie als einen Hardcore-Fan von Friends bezeichnet, obwohl ich die Serie natürlich geguckt hatte. Als die erste Folge 1994 im Fernsehen lief, war ich zehn Jahre alt, und als die Serie endete, ging ich aufs College. In den Jahren dazwischen zählte Friends zu den wichtigsten Serien – zu den wichtigsten Kulturereignissen schlechthin –, und ihre gewaltigen Auswirkungen prägten meine DNS wie radioaktive Strahlung. Ich hatte den Rachel-Haarschnitt getragen, die allerletzte Folge zusammen mit einer Gruppe schluchzender Freundinnen geguckt und hätte, wenn man mich genötigt hätte, wahrscheinlich den gesamten Text von »Smelly Cat« aufsagen können. Doch das war nun wirklich grundlegendes Friends-Wissen – diesen Dingen hatte man kaum entgehen können. Die Serie war immer auf irgendeine Weise präsent. Wenn ich mitten in der Nacht in einem Hotelzimmer den Fernseher einschaltete, lief sie dort, oder ich hörte den Titelsong in einem Supermarkt und hatte tagelang einen Ohrwurm. Friends war ein hilfreicher Bezugspunkt in Gesprächen. (»Adam Goldberg kennst du, oder? Confusion-Sommer der Ausgeflippten? Der Kerl, der Chandlers verrückten Mitbewohner mit dem Goldfisch gespielt hat? Ja, genau der.«) Ich hatte die DVDs nie besessen, aber irgendwie lagen sie immer herum, entweder weil alte Mitbewohnerinnen sie vergessen oder weil neue sie angeschleppt hatten. Als Netflix die Serie am Neujahrstag 2015 (nach monatelangem Hype) ins Programm aufnahm, stellte ich sie an, während ich meinen Kater auskurierte – genauso wie alle meine Kolleginnen und Kollegen, wie ich am nächsten Tag bei der Arbeit feststellte. Die wahren Fans hatten gar nicht erst bis zum Morgen gewartet. Sie hatten kurz nach Mitternacht begonnen und bis zum Morgengrauen durchgeschaut. Ich hingegen sah mir die alten Folgen hin und wieder gern an, ging aber davon aus, dass mein Verhältnis zu Friends ungefähr so war wie das der allermeisten Menschen.

Anfangs war das Friends-Schauen im Fitnessstudio nur eine nette kleine Ergänzung zum Kardiotraining. Besonders reizvoll war es dabei, es auf die altmodische Weise zu tun – im Fernsehen. Ich fand Gefallen an den Nachteilen, die das mit sich brachte, selbst an den Werbeunterbrechungen. Ich mochte es, mir nicht aussuchen zu können, welche Folge ich schaute. Eines Tages lief mal wieder »The One with the Cake« (deutscher Titel: »Geschenke, Geschenke«), und mir kam ein Gedanke, den ich seit Jahren nicht mehr gehabt hatte: Oh, Mann, die habe ich doch gerade erst gesehen. Selbst die Verärgerung darüber war eine tröstende Erinnerung an alte Zeiten.

Schon bald fiel mir auf, dass ich meinen Besuch im Fitnessstudio danach ausrichtete, wann Friends lief. Ich konnte den Sendeplan von TBS auswendig, wusste, wie lange ich von der Arbeit ins Fitnessstudio brauchte und wann genau ich das Büro verlassen musste, um es pünktlich dorthin zu schaffen. Ein paar Jahre später arbeitete ich ausschließlich freiberuflich, von zu Hause aus, was die zeitliche Koordinierung noch einfacher machte. Ich musste nur morgens etwas früher aufstehen, damit ich gegen 17 Uhr fertig war und rechtzeitig zu »The One with Ross’s Sandwich« (»Wer mit wem?«) ins Fitnessstudio kam. Mittlerweile gestand ich freimütig ein: Halb sechs war meine neue Primetime geworden, Friends war für mich wieder »Must-See-TV«.1

Lassen Sie mich eines klarstellen: Friends war nicht meine einzige Beschäftigung. Ich hatte ein Leben. Ich war Journalistin und lebte in New York. Ich hatte eine schöne Wohnung (nicht so schön wie die von Monica, aber wer hat das schon?), in der ich mit meinem tollen Freund lebte, der bald darauf mein toller Verlobter wurde. Natürlich hatte ich so meine Probleme, wie jeder andere Mensch auch, aber ich hatte deutlich mehr, für das ich dankbar sein konnte. Nicht einmal für viel Geld wäre ich zurück in meine Zwanziger gereist – vor allem nicht in die frühen Jahre, in denen ich ständig betrunken Pizzastücke in mich hineinstopfte. Warum also klammerte ich mich mit Anfang dreißig nun plötzlich an eine zwanzig Jahre alte Serie über Leute in ihren Zwanzigern?

Ich verstand es nicht, bis zu dem Tag vor ein paar Monaten, als ich ins Fitnessstudio kam, Friends einschalten wollte – und es nicht fand. Irgendetwas war passiert. Auf Kanal 46 lief nicht mehr TBS, sondern irgendein furchtbarer Sportsender. Ich klickte mich hektisch durch die Liste und verfasste in Gedanken schon eine E-Mail an die Betreiber des Fitnessstudios, in der ich darlegte, was für ein kapitaler Fehler es gewesen war, den Kabelanbieter zu wechseln. Als ich den Blick schweifen ließ, erwartete ich, in eine Reihe wütender Gesichter zu schauen, aber Fehlanzeige. Vielleicht hatte ich mich in meiner Meinung über die Halb-sechs-Meute und die etwas peinliche Verbindung, die zwischen uns bestand, getäuscht? War ich der Freak hier im Fitnessstudio? Gut zehn Minuten lang stand ich bewegungslos auf dem Gerät, drückte abwesend auf den Knöpfen herum und starrte ins Leere. (In diesem Augenblick war ich ganz sicher ein Freak.)

Da überlegte ich, zu welchen anderen Gelegenheiten ich mich ins Friends-Universum zurückgezogen hatte: Wenn ich krank war, in schlaflosen Nächten in fremden Hotelzimmern, an dem Tag, an dem ich eine Absage/Abfuhr von Firma/Schwarm XY erhalten hatte. Friends war der lindernde Balsam auf einem lausigen Tag – das wusste ich bereits. Doch ich hatte die Serie auch dann geschaut, wenn ich tieftraurig war oder Angst hatte: Als ich um meine verstorbenen Großeltern getrauert oder auf das Ergebnis einer Biopsie gewartet hatte. An solchen Tagen wirkte Friends nicht betäubend, sondern warm und tröstend. Die vertrauten Witze und die unverstellte Offenheit dienten mir als Schulter zum Anlehnen. Und ich war nicht die Einzige. In den Wochen nach meinem kleinen Zusammenbruch auf dem Arc Trainer sprach ich mit anderen, denen es genauso erging. Meist begann das Gespräch mit meinem beschämten Geständnis: »Wie sich herausgestellt hat, bin ich emotional abhängig von einer Sitcom. Und wie geht es dir so?«

Viele aus meinem Freundeskreis erzählten mir dann von Phasen, in denen sie selbst ständig Friends geguckt hatten. Bei manchen war es die Zeit nach dem 11. September gewesen. Mehrere Leute erwähnten die Präsidentschaftswahlen 2016 oder den Amoklauf in Las Vegas 2017. Friends war das, was sie schauten, wenn sie einfach keine weitere Nachrichtensendung mehr ertrugen. Diejenigen, die mit der Serie aufgewachsen waren, erinnerte sie an diese früheren, einfacheren Zeiten – gar nicht unbedingt in Bezug auf das Weltgeschehen, sondern auf ihr eigenes Leben. Viele schauten die Serie in persönlichen Krisen- oder Stresssituationen: nach Trennungen, dem Verlust eines Arbeitsplatzes oder in den von Schlafmangel geprägten ersten Monaten mit einem Neugeborenen. Warum Friends?, fragte ich. Lag es daran, dass die Serie auf all diese Themen einging, aber auf optimistische Weise? Waren sie auf der Suche nach etwas, worin sie sich wiedererkennen konnten? »Äh, nein«, lautete die Antwort. »Friends ist einfach witzig.«

Oft fällt in diesem Zusammenhang der Begriff »Wohlfühlfernsehen«. Er bezieht sich auf die leichte Unterhaltung, die die Serie bietet, darauf, wie wenig realitätsnah sie ist. Die Leute schauen Friends, eben weil sie sich darin nicht wiedererkennen. Es ist lächerlich! Sechs Erwachsene mit perfekt frisiertem Haar hängen mitten am Tag im Café herum? Wer bezahlt eigentlich diese riesigen Lattes? Friends ist für viele Menschen purer Eskapismus.

Doch für andere bedeutet die Serie etwas ganz anderes. Als ich anfing, dieses Buch zu schreiben, unterhielt ich mich mit Leuten aus allen Teilen der USA und der Welt über ihre Beziehung zu Friends. Und irgendeine Beziehung hatte jeder, auch wenn er kein Fan war – selbst diejenigen, die noch nie eine ganze Folge gesehen hatten. Meine Freundin Chrissy, die mit einer doppelten Staatsbürgerschaft in den USA und in der Schweiz aufwuchs, zählt zu Letzteren. Friends sei in beiden Ländern gleichermaßen beliebt gewesen, sagte sie, trotz der kulturellen Unterschiede. »Für Europäer, die noch nie in den USA waren, war Friends Amerika«, erzählte sie mir. Ich dachte, sie würde sich dabei auf Dinge wie Jogginghosen, fehlende Krankenversicherungen und andere Elemente des amerikanischen Lebens beziehen, die in Europa deutlich weniger verbreitet sind. Doch Chrissy korrigierte mich. »Es war die Freundlichkeit«, sagte sie. »Amerikaner lächeln, sobald man ihnen begegnet. Sie sprechen mit einem, als würde man sich schon lange kennen.« Auf die Schweizer, meinte sie, wirkten amerikanische Touristen wie verdächtig freundliche Aliens. Friends habe mit seinem spritzigen Humor und den herzlichen Figuren dafür gesorgt, dass die Schweizer dieses Verhalten etwas besser einordnen könnten. Vielleicht waren die Amerikaner eben einfach so nett. Vielleicht auch nur die New Yorker.

Ich sprach außerdem mit der Lifestyle-Journalistin Elana Fishman, die im Süden Floridas aufwuchs und heute in Manhattan lebt. Fishman ist ein Hardcore-Friends-Fan, und ihr hat die Serie ebenfalls einen ersten Eindruck vom Leben in New York verschafft. Zu Highschool-Zeiten schaute sie jeden Nachmittag mit ihrer Schwester die DVDs. Obwohl sie verstanden habe, dass alles in Friends frei erfunden sei, habe es sich doch irgendwie wahrhaftig angefühlt. »Auf einer bestimmten Ebene dachte ich: ›Okay, das ist überhaupt nicht realistisch – aber was wäre, wenn es wirklich so wäre?‹«, erzählte sie mir. Fishman träumte damals davon, in New York zu studieren und dann dort als Journalistin zu arbeiten. Friends motivierte sie und machte ihr Hoffnung, sie betrachtete die Serie nicht als Flucht aus der Realität, sondern als Blick in die Zukunft. Ihr Leben würde nicht genauso aussehen wie das der »Friends«, das war ihr klar, aber vielleicht so ähnlich. »[Ich dachte:] ›Vielleicht ziehe ich nach New York, finde dort eine beste Freundin, die in einer mietpreisgebundenen Wohnung in Greenwich Village lebt, und kann bei ihr einziehen! Das wird super! Und gegenüber leben ein paar Typen, die unsere besten Freunde sind.‹« So etwas kommt vor. Es wäre ein ziemlicher Glückstreffer, wenn alles davon einträfe, aber nicht unmöglich. Und im Grunde war auch nur ein Aspekt wirklich wichtig: »In der Highschool hatte ich nicht viele Freunde«, fügte Fishman leiser hinzu und gluckste. »Daher war es ein doppelter Trost, Friends zu gucken. Ich würde es schaffen, nach New York zu ziehen, und dort einen Freundeskreis finden.« Sie lachte auf. »Ich weiß, das klingt echt traurig!«

Ich finde nicht, dass es traurig klingt. Ich finde, es bringt die Sache auf den Punkt. Genau das ist meiner Meinung nach der Grund dafür, dass Friends bis heute eine der meistgesehenen Fernsehserien ist. Es heißt, dass in Amerika etwa sechzehn Millionen Menschen jede Woche die Wiederholungen schauen. Das sind genauso viele oder sogar mehr, als manche der Folgen erreichten, als sie zum ersten Mal liefen. Und dies sind nur die Leute, die Friends im Fernsehen schauen. Netflix verfügt seit 2015 über die Streaming-Rechte und verzeichnet mittlerweile eine Kundschaft von 118 Millionen Menschen weltweit (Tendenz steigend). Auch im Ausland ist die Anzahl der Friends-Fans enorm und stabil, teilweise wächst sie sogar. 2016 stiegen die Zuschauerzahlen in Großbritannien um 10 Prozent an; dabei laufen die Wiederholungen dort auf Comedy Central, einem Sender, dessen Hauptzielgruppe Menschen zwischen 16 und 34 Jahren sind. Teenager – die dementsprechend noch gar nicht geboren waren, als die allerletzte Folge von Friends ausgestrahlt wurde – liegen auf dem Sofa und schauen es nach der Schule. Junge Erwachsene kehren spätabends in ihre winzigen Wohnungen zurück (möglicherweise mit einem Stück Pizza im Magen), nehmen ihren Laptop mit ins Bett und schauen eine Folge Friends zum Einschlafen. Nicht-ganz-so-junge Erwachsene wie ich schauen die Wiederholungen im Fitnessstudio.

Friends hat es geschafft, dass alle Alters- und Nationengrenzen, kulturellen Hindernisse und sogar die aus heutiger Sicht kaum noch nachvollziehbaren Schwächen der Serie keine Rolle spielen. Denn im Kern handelt es sich um eine Serie über etwas wahrhaft Universelles: Freundschaft. Es ist eine Serie über die Übergangsphase im frühen Erwachsenenleben, wenn man sich von der Familie gelöst hat, nicht durch eine feste Partnerschaft gebunden ist und die Zukunft genauso aufregend wie unsicher vor einem liegt. Das Einzige, dessen man sich sicher ist, sind die Freunde.

Die Kulturkritikerin Martha Bayles nennt diese Zeit die »süßen Jahre« – eine flüchtige Phase, die von enormer Freiheit und langsam zunehmender Verantwortung geprägt ist und in der Freunde eine ganz eigene Art von Familie bilden. »In den meisten Ländern haben die jungen Leute weder die Mittel noch die Erlaubnis der Erwachsenen, diese süßen Jahre auszuleben«, schreibt sie in ihrem Buch Through a Screen Darkly. Dennoch ist Friends auch dort beliebt. Die Serie biete, so Bayles, »die Möglichkeit, diese Zeit indirekt zu erleben.« Und es stimmt: Selbst für diejenigen von uns, bei denen die Voraussetzungen stimmten, waren die süßen Jahre nie so süß wie in Friends. Unsere Probleme ließen sich nie so glatt lösen, unsere Haare lagen nie so gut und, wie schon gesagt, niemand lebte in solch einer Wohnung. Genau genommen waren nicht einmal unsere Freundschaften so perfekt. Einige von uns litten in diesen Jahren unter Einsamkeit, bei anderen waren die Freundesfamilien zerrüttet. Für wieder andere begannen die wirklich süßen Jahre erst später. Doch was wir alle wiedererkennen – und hier trifft Friends wirklich ins Schwarze –, ist die unverkennbare, alles verändernde Zuneigung, die nur zwischen Freunden herrscht. Sie ist das Netz, das uns auffängt, wenn die Familie uns enttäuscht oder auseinanderbricht. Sie ist der Rettungsanker, an dem wir uns festhalten können, wenn die Liebe scheitert. Freunde sind die Menschen, die uns in schweren Zeiten an die Hand nehmen und Seite an Seite mit uns durchs Leben gehen. Und dann passiert es – der Griff lockert sich, die Wege streben auseinander, und eines Tages schaut man sich um und stellt fest, dass man allein unterwegs ist, dass man die süßen Jahre verlassen hat und in den Rest des Lebens hinausgetreten ist.

Das erkannte ich an jenem Tag im Fitnessstudio. Ich war dreiunddreißig Jahre alt und verlobt – also noch nicht allzu sicher, was die Zukunft bringen würde, aber nicht mehr völlig ahnungslos. Jene Phase meines Lebens neigte sich nun schon seit einiger Zeit dem Ende zu. In den vergangenen Jahren waren enge Freundinnen und Freunde von mir aus beruflichen Gründen weggezogen oder hatten geheiratet. Sie bekamen Kinder, kauften Häuser und kletterten die Karriereleiter hinauf. Ich war Mitglied in einem Fitnessstudio – und ging sogar hin! An all diesen Dingen war nichts auszusetzen. Diese nächste Phase war auf ihre Weise aufregend. Doch in sie einzutreten hieß, eine andere hinter sich zu lassen, und mit ihr die Beziehungen, die damit einhergegangen waren. Nicht die Menschen – die blieben mir. Aber von nun war unser Verhältnis ein anderes. Wir konnten ebenso wenig zu unseren Freundschaften aus den Zwanzigern zurückkehren wie ins Sommerlager oder in die Highschool (und wer will das schon?). Das Leben geht weiter, Freundschaften verändern sich – und Veränderungen sind furchtbar. Daher war es kein Wunder, dass ich auf etwas Vertrautes zurückgegriffen hatte. Friends bot mir die Chance, mich in eine Zeit meines Lebens zurückzuversetzen, die langsam, aber sicher zu einer Erinnerung verblasste.

Richtig, es war nur eine alte Sitcom. Ja, in vielerlei Hinsicht gab es keinerlei Übereinstimmungen mit meinem eigenen Leben. Doch in der einzig wichtigen Hinsicht eben schon. Es war eine Serie über Freundschaft. Und wie alte Freundschaften ist auch sie nie so ganz aus meinem Leben verschwunden.

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