Es ist Mittwochmorgen. Die Sonne scheint und es ist ein herrlicher Tag. Conni freut sich auf die Schule. Besonders auf die ersten beiden Stunden Kunst. Endlich kann sie mit ihrer Zeichnung weitermachen. Ihre Laune könnte nicht besser sein.

Sie schiebt ihren Schulrucksack unter den Tisch und zeigt auf Dinas Socken. »Das sieht ja lustig aus!«

Anna und Billi fangen an zu kichern. Dinas Wangen werden zartrosa. Sie versucht vergeblich, ihre Hosenbeine etwas länger zu ziehen, damit die anderen aus der Klasse nicht sehen können, dass sie zwei verschiedenfarbige Strümpfe anhat. Der linke Strumpf ist hellblau, der rechte grün mit gelben Sternchen.

»Todschick!«, zischt Janette, während sie und Saskia sich an den Freundinnen vorbeischieben und auf ihren Platz in der vorletzten Bankreihe zusteuern. »Du hattest ja noch nie Geschmack. Dass du außerdem farbenblind bist, ist mir bisher gar nicht aufgefallen.«

Die Farbe von Dinas Ohren passt sich der ihrer Wangen an. Sie zupft schnell die Haare darüber. »Ich hatte es vorhin so eilig. Da hab ich wohl danebengegriffen«, murmelt sie verlegen.

»Mach dir nichts draus. Das ist mir auch schon mal passiert«, sagt Conni.

»Es sieht wirklich lustig aus«, meint Billi. »Vielleicht hast du ja eine neue Mode erfunden.«

»Es gibt Schlimmeres als ein falsches Sockenpaar.« Anna deutet mit dem Kinn auf Janette, die damit beschäftigt ist, ihren Nagellack zu bewundern. »Chronische Blödheit und Oberflächlichkeit zum Beispiel.«

»Allerdings«, bestätigt Conni. Sie schaut auf und guckt genau in ein braunes Augenpaar.

»Morgen«, sagt Phillip und zwinkert ihr im Vorbeigehen zu.

»Guten Morgen«, antwortet Conni lächelnd.

Wenig später kommt Frau Stern um die Ecke und begrüßt die Klasse. »Wir machen heute da weiter, wo wir letzte Woche aufgehört haben«, verkündet sie. »Holt bitte eure Zeichenblöcke und die Kohlestifte heraus. In den nächsten beiden Stunden geht es darum, die Feinheiten herauszuarbeiten.«

 

Kurz darauf sind Dinas bunte Socken komplett vergessen. Conni beugt sich über ihr Zeichenpapier und probiert verschiedene Kohlestifte aus. Sie sollten in der letzten Woche im Kunstunterricht ein Tier zeichnen. Klar, dass sie sich für Kater Mau entschieden hat. Jetzt bemüht sie sich, das Katzenfell zu schraffieren und zu schattieren, damit es möglichst echt aussieht. Das ist gar nicht so einfach, stellt sie fest, aber es macht Spaß.

Neben ihr zeichnet Anna ein Pony. Annas Gesicht ist hoch konzentriert. Ihre Zungenspitze blitzt zwischen den Zähnen hervor. Einen Platz weiter versucht sich Billi an einem kugelrunden Pandabären, der an einem Bambushalm knabbert.

Auf Dinas Zeichenblatt tummelt sich gleich eine ganze Elefantenfamilie. Eine Elefantenkuh, ein Bulle mit prächtigen Stoßzähnen und zwei kleine Babyelefanten.

»Das sieht wirklich toll aus!«, flüstert Conni beeindruckt.

Dina ist so in ihre Arbeit versunken, dass sie kaum aufschaut. »Danke«, murmelt sie bescheiden.

 

In der kurzen Pause schlendert Conni durch die Bankreihen. Sie ist neugierig, was die Jungs gezeichnet haben. Besonders auf Phillips Kunstwerk ist sie gespannt.

»Wow!«, entfährt es ihr, als sie es sieht.

Phillip strahlt. Er hat einen Hai mit weit aufgerissenem Maul und unzähligen spitzen Zähnen gezeichnet. Es sieht aus, als würde der Fisch direkt aus dem Bild springen.

»Ich wusste ja gar nicht, dass du so talentiert bist«, meint Conni.

»Ich hab den Hai von einem Foto abgezeichnet«, gibt Phillip zu und grinst. »Das war gar nicht so schwer.«

Neben ihm beißt Paul gerade in sein Pausenbrot. Mit der anderen Hand wischt er über sein Zeichenpapier.

»Was soll das denn werden, wenn’s fertig ist?«, fragt Conni amüsiert.

»Sieht man das etwa nicht?« Paul macht ein entsetztes Gesicht.

Conni schüttelt den Kopf. »Also, ehrlich gestanden …«

»Kein Wunder.« Paul kichert. »Zuerst sollte es ein Krokodil werden, dann ein Nashorn und jetzt ein … äh, keine Ahnung.« Er wendet das Blatt hin und her. »Irgendwas Abstraktes. Denk dir was aus.«

»Ich finde, es sieht wie eine explodierte Feuerqualle aus«, mischt Mark sich ein.

»Hey, das ist es!« Paul klatscht ihn ab. »Genau das wollte ich damit ausdrücken!«

Conni prustet.

»Hast du heute Nachmittag Zeit?«, fragt Phillip plötzlich. »Im Kino läuft ein neuer Film. Vielleicht können wir uns in der Stadt treffen und ihn zusammen anschauen.«

Connis Herz klopft ein bisschen schneller. Kino mit Phillip? Was gibt es da großartig zu überlegen?

Am liebsten würde sie sofort zusagen, aber dann seufzt sie.

»Heute geht’s leider nicht. Ich muss mein Zimmer aufräumen und einen Kuchen backen. Mein Papa hat morgen Geburtstag.«

»Kuchen?« Paul spitzt die Ohren.

»Du schenkst deinem Vater ein aufgeräumtes Zimmer?«, fragt Mark. »Ist ja cool!«

Phillip grinst immer noch.

Conni wird ein bisschen rot.

»Nein, mein Zimmer räum ich auf, weil es echt nötig ist. Mein Vater bekommt den Kuchen und noch was anderes.«

»Okay«, meint Phillip. »Dann vielleicht übermorgen?«

»Ja, mal sehen.« Conni nickt ihm zu. Sie wandert zu ihrem Platz zurück und wirft im Vorbeigehen einen Blick auf Janettes Bild. Es zeigt etwas, das wie eine Kreuzung aus Fledermaus und zerrupfter Krähe aussieht. Conni muss sich sehr beherrschen, um nicht laut loszuprusten. Da ist ja sogar Pauls explodierte Feuerqualle noch besser gelungen!

 

In der großen Pause gehen Conni und ihre Freundinnen nach draußen. Die Luft ist herrlich warm. Conni hebt das Gesicht und blinzelt zwischen den Bäumen hindurch in die Sonne. Ihre Laune ist noch besser als heute früh. Frau Stern hat ihr für ihre Katzenzeichnung eine glatte Zwei gegeben. Conni ist damit sehr zufrieden. Wenn sie die Barthaare von Mau nicht aus Versehen vergessen hätte, hätte sie vielleicht sogar eine 2+ bekommen.

»Was hast du für deine Elefanten gekriegt?«, wendet sie sich an Dina.

»Bestimmt eine 1+ mit Sternchen«, vermutet Billi.

»Was denn sonst?« Anna beißt von ihrer Banane ab. »Dinas Bilder sind immer die besten von allen!«

Dina hört gar nicht richtig zu. Sie hält den Kopf gesenkt, als würde sie ihre Socken betrachten und sich insgeheim immer noch darüber wundern, wie es ihr passieren konnte, mit zwei verschiedenen Exemplaren in der Schule aufzutauchen.

Conni stupst sie mit dem Ellbogen an.

»Erde an Dina! Bitte kommen!«

»Wie? Was?« Dina guckt sich verwirrt um.

Die anderen lachen.

»Hast du zufällig gerade von Daniel geträumt?«, grinst Billi.

»Nein, Unsinn!« Dina zieht die Stirn kraus.

»Wir wollten nur wissen, was für eine Note Frau Stern dir für die Elefanten gegeben hat«, sagt Conni.

»Eine 1+«, sagt Dina und seufzt.

»Glückwunsch!«, sagt Anna.

»Danke«, erwidert Dina und seufzt noch einmal.

Conni schiebt die Augenbrauen zusammen. Irgendwie benimmt sich Dina heute ziemlich merkwürdig. Zuerst die Socken, jetzt ihre geistige Abwesenheit …

Sie beobachtet die Freundin unauffällig. Äußerlich wirkt sie wie immer. Oder ist sie nicht vielleicht ein bisschen blasser als sonst?

»Geht’s dir gut?«, fragt Conni vorsichtig.

»Sicher«, murmelt Dina. Sie hat schon wieder diesen weggetretenen Ausdruck im Gesicht. »Wieso?«

»Och, nur so«, sagt Conni. Sie wechselt einen Blick mit Anna und Billi. Beide heben ratlos die Schultern.

***

Am Nachmittag hat Conni keine Gelegenheit mehr, sich um Dina Gedanken zu machen. Sie hat ihr Zimmer picobello aufgeräumt, Staub gewischt und gesaugt, die Bücher im Regal neu sortiert und ihren Papierkorb ausgeleert. Zwischendurch hat sie mit Mau gespielt, ein paar neue englische Vokabeln gelernt und das Mittagessen für sich und Jakob warm gemacht. Mama hat heute ihren langen Praxistag und kommt erst abends zusammen mit Papa nach Hause. Bis dahin muss der Geburtstagskuchen unbedingt fertig sein. Schließlich soll er eine Überraschung werden.

Jetzt steht Conni in der Küche und studiert noch einmal das Rezept. Eigentlich kennt sie es längst auswendig, trotzdem geht sie lieber auf Nummer sicher, damit sie nichts vergisst und die ›Schokotorte spezial‹ auch wirklich gelingt.

Jakob hat schon den Mixer aus dem Schrank geangelt und die Rührbesen in die Öffnungen geklickt.

Mau sitzt auf der Fensterbank. Seine Schwanzspitze zuckt hin und her. Conni streicht ihm über den Rücken. Mau schließt die Augen und fängt an zu schnurren.

»Geht’s jetzt endlich los?«, quengelt Jakob.

»Haben wir alles?«, fragt Conni zurück. Sie pinnt das Rezept mit einem Magneten an die Kühlschranktür und liest die Zutatenliste laut vor: »Butter, Zucker, Schokolade, Mehl, gemahlene Haselnüsse, Kakaopulver, Backpulver, Eier, Milch, Marmelade, Schlagsahne.«

Jakob checkt die Sachen, die vor ihm auf dem Tisch stehen.

»Alles da!«, verkündet er und streckt die Hand in Richtung Schokolade aus. »Kann ich ein Stück Schoki naschen?«

»Nein«, sagt Conni. »Vielleicht später. Wenn dann noch welche übrig ist.«

Jakob zieht seine Hand zurück und macht ein beleidigtes Gesicht.

 

Zu zweit ist der Teig in Nullkommanichts zubereitet. Jakob hackt die Schokolade in kleine Stücke. Er lässt ein winziges Eckchen in seinem Mund verschwinden, während Conni zuerst die Butter zum Schmelzen bringt, anschließend die Eier verquirlt und danach alle Zutaten in einer großen Schüssel miteinander verrührt. Dann kommt alles in eine Springform und für eine knappe Stunde in den Backofen.

»Hilfst du mir beim Abwaschen?«, fragt Conni.

Jakob murrt ein bisschen. Erst als Conni ihm die Rührschüssel zum Ausschlecken anbietet, nickt er.

»Wenn der Kuchen fertig gebacken und abgekühlt ist, müssen wir ihn nachher nur noch aufschneiden, mit der Schlagsahne füllen und das Ganze mit Kakao bestreuen.«

Sie lässt Abwaschwasser einlaufen, gibt einen Spritzer Zitronenspülmittel dazu und macht sich an die Arbeit.

»Ich muss aber auch noch ganz viel Bio und Mathe machen«, wendet Jakob ein, als sie ihm das erste Teil zum Abtrocknen reicht.

»Okay, dann erledige ich den Rest eben allein. Du kannst dich verkrümeln und dich um deine Hausaufgaben kümmern. Heute Abend wickeln wir das Geschenk für Papa ein und unterschreiben die Karte.«

Jakob nickt. »Ob er sich freut?«

»Na klar!«, sagt Conni.

Jakob und sie haben ein Video aufgenommen und auf eine CD gebrannt, die sie ihrem Vater schenken wollen. Conni hat Regie geführt, Jakob hat gefilmt. Ein echtes Gemeinschaftswerk. Sie haben das Haus von innen und außen aufgenommen, jedes einzelne Zimmer, den Garten, die Straße und das Familienauto in der Einfahrt gefilmt. Es gibt Szenen von Mama in der Küche und auf der Terrasse, von Mau im Körbchen und von Papa in seinem grünen Lieblingslesesessel. Die Dreharbeiten haben riesigen Spaß gemacht. Allerdings war es gar nicht so einfach, das Projekt vor ihren Eltern geheim zu halten. Papa war ziemlich neugierig und wollte ganz genau wissen, wofür sie sich seine Kamera ausgeborgt haben. Zum Glück hat ihm Jakobs Antwort – »für ein Schulprojekt zum Thema Familie« – als Erklärung genügt.

Conni reicht ihm die letzte Schüssel.

»Das war’s!«, sagt sie und zieht den Stöpsel aus dem Spülbecken.

Jakob stellt die abgetrocknete Schüssel in ein Regal und hängt das Geschirrtuch auf.

In der Küche duftet es inzwischen intensiv nach warmer Schokolade. Es riecht so lecker, dass Conni beschließt, ihre Hausaufgaben einfach am Esstisch zu machen. Der süße Schokoladenduft ist bestimmt gut fürs Gehirn und hilft beim Lernen. Außerdem muss sie ja auch den Kuchen im Auge behalten, damit er nicht verbrennt.

Jakob ist schon nach oben gelaufen und in seinem Zimmer verschwunden. Conni läuft schnell hinterher.

In ihrem Zimmer schnappt sie sich das Vokabelheft und ihr Handy vom Schreibtisch und flitzt wieder nach unten.

Während der Geburtstagskuchen im Backofen immer höher wird und immer leckerer duftet, versucht sie sich auf die unregelmäßigen englischen Verben zu konzentrieren, die sie bis morgen lernen muss. Aber das ist gar nicht so einfach, wenn einem vor lauter Schokoduft das Wasser im Mund zusammenläuft.

Ihr Handy klingelt melodisch. Phillips Name leuchtet in Großbuchstaben auf. Conni ist ganz froh über die Unterbrechung. Sie klappt das Vokabelheft zu und meldet sich mit einem »Hi!«.

»Hi, wie geht’s? Was machst du gerade?«, fragt Phillip.

Seine Stimme klingt so nah, als würde er draußen vor dem Haus stehen. Conni wirft schnell einen Blick aus dem Küchenfenster, aber da ist niemand. Schade …

»Ich hab einen Kuchen gebacken und jetzt warte ich darauf, dass er fertig wird«, erzählt sie. »Und du?«

»Ich bin gleich mit den anderen zum Fußball verabredet und wollte nur kurz fragen, ob es übermorgen mit dem Kino klappt. Ich würde mich echt freuen.«

Conni zwirbelt eine Haarsträhne zwischen den Fingern.

»Was läuft denn so?«

»›Das Labor der Superhelden‹. Der soll echt gut sein.«

Conni runzelt die Stirn.

»Das ist aber kein Gruselfilm, oder?«

»Nee.« Phillip lacht. »Höchstens ein kleines bisschen. Warum fragst du?«

»Nur so.«

Soll sie ihm verraten, dass sie sich viel lieber einen romantischen Liebesfilm mit ihm anschauen würde als einen Actionstreifen mit irgendwelchen computeranimierten Supertypen, die sich gegenseitig bekämpfen?

»Hey, der Film ist total harmlos«, versichert Phillip. »Und außerdem –« Er macht eine kleine Pause.

»Was außerdem?«, hakt Conni nach.

»Außerdem bin ich doch bei dir«, antwortet Phillip.

Conni kann das Lächeln in seiner Stimme hören und muss automatisch mitlächeln.

»Dann kann ja überhaupt nichts passieren.«

»Sag ich doch!«, triumphiert Phillip. »Also, kommst du mit? Ich könnte nachher schon mal die Karten besorgen.«

»Okay.« Conni lächelt immer noch.

Sie unterhalten sich ein bisschen über die Schule, die Lehrer und die Hausaufgaben, bis Conni irgendwann aufspringt.

»Sorry. Ich glaub, der Kuchen muss aus dem Ofen. Lass uns lieber Schluss machen. Wir sehen uns morgen in der Schule.«

»Klar«, sagt Phillip.

Conni wünscht ihm viel Spaß beim Fußball, dann legt sie auf. Blitzschnell nimmt sie zwei Topflappen vom Haken, schaltet den Herd aus und öffnet vorsichtig die Backofentür. Ein heißer Luftschwall strömt ihr entgegen. Conni wedelt ihn mit den Topflappen beiseite und mustert den Kuchen.

»Perfekt!«, sagt sie laut.

Ob sie den gelungenen Geburtstagskuchen oder die Kino-Verabredung mit Phillip meint, weiß sie selbst nicht so genau. Wahrscheinlich sorgt beides zusammen dafür, dass sie gar nicht wieder aufhören kann zu grinsen.

»HAPPY BIRTHDAY TO YOU, HAPPY BIRTHDAY TO YOU, HAPPY BIRTHDAY, LIEBER PAPA, HAPPY BIRTHDAY TO YOOUUUU

Jakob zieht die letzte Silbe in die Länge und steigert seine Stimmlage in ungeahnte Höhen. Mau legt die Ohren an.

Conni unterdrückt ein Prusten.

Es ist noch ganz früh am nächsten Morgen. Papas Geburtstag. Conni ist extra früh aufgestanden und auf Zehenspitzen ins Badezimmer geschlichen, wo sie sich für die Schule fertig gemacht hat. Anschließend hat sie Jakob geweckt, damit sie ihren Vater überraschen können, bevor er zur Arbeit muss.

Es ist ihnen gelungen. Jürgen Klawitter sitzt aufrecht im Bett und schaut sich verwirrt um. Seine Haare sehen total verstrubbelt aus und stehen in alle Himmelsrichtungen ab. Connis Mutter gibt ihm einen Kuss auf die unrasierte Wange.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«, rufen Conni und Jakob im Chor.

Conni stellt die Schokotorte auf den Nachttisch. Ihr Vater gähnt und pustet dann die Kerzen aus. Jakob springt auf das Bett und überreicht ihm das Geschenk und die Karte.

»Ich mach schon mal Frühstück!«, ruft Conni. »Bis gleich!«

Sie hüpft die Treppe hinunter, deckt in Windeseile den Tisch und schaltet die Kaffeemaschine ein.

Zu dumm, dass nicht Wochenende ist, denkt sie. Sonst könnten wir richtig schön lange frühstücken. Mit frischen Brötchen, gekochten Eiern, Blumen auf dem Tisch und allem Drum und Dran. An einem normalen Wochentag wie heute reicht die Zeit gerade mal für Toast, Marmelade und Cornflakes.

»Aber Blümchen gibt’s trotzdem«, beschließt sie.

Sie lässt Mau hinaus und folgt ihm in den Garten, wo sie ein paar Blumen und lange Gräser pflückt, die sie zu einem Strauß zusammenbindet.

 

»Ich komm heute früher nach Hause. Dann gehen wir lecker essen und schauen uns hinterher in Ruhe euren Film an«, verspricht Papa ein paar Minuten später. Er bedankt sich für die Geschenke und die Blumen, verputzt eine Scheibe Toast und trinkt seinen Kaffee im Stehen. »Ich muss los. Tut mir leid.«

»Ich muss auch los!« Connis Blick fällt auf die Wanduhr. Ist es wirklich schon so spät? Hilfe!

Sie wirft sich ihren Schulrucksack über die Schulter, schnappt den Fahrradhelm von der Anrichte und winkt.

»Tschüss, Familie! Bis später!«

»Tschüss, Conni!«, ruft Mama.

Jakob steht neben ihr und winkt gähnend zurück. Er hat erst zur zweiten Stunde Unterricht.

Der hat’s gut, denkt Conni und tritt in die Pedale, damit sie nicht zu spät kommt.

***

In der Schule herrscht das übliche Gewusel und Gedränge in den Gängen. Conni schafft es gerade noch rechtzeitig, kurz vor dem Klingeln auf ihren Platz zu rutschen.

»Guten Morgen«, begrüßt Billi sie.

»Puh!«, schnauft Conni und schaut sich um. »Guten Morgen. Wo ist Dina?«

»Keine Ahnung.« Billi zuckt mit den Schultern. »Vielleicht hat sie verschlafen?«

»Oder sie sucht noch ein passendes Sockenpaar«, kichert Anna. »So ein hübsches wie gestern.«

Conni grinst. Sie holt ihre Mathesachen heraus und legt sie gerade auf den Tisch, als Herr Gunnarsson um die Ecke kommt. Er wirft seinen Rucksack auf das Lehrerpult und begrüßt die Klasse gut gelaunt.

Mit seinem Pferdeschwanz und dem Piratenbärtchen sieht er überhaupt nicht wie ein Lehrer aus, findet Conni. Genauso gut könnte er ein Oberstufenschüler oder Referendar sein. Alles an ihm ist lässig, auch die Kleidung. Jeans, T-Shirt und Turnschuhe – mehr braucht Moritz Gunnarsson nicht, um cool auszusehen.

Als der Unterricht beginnt, ist Dina immer noch nicht da.

Merkwürdig, denkt Conni. Sie ist doch sonst immer so pünktlich.

»Hoffentlich ist sie nicht krank«, flüstert sie Anna zu.

»Glaub ich nicht«, raunt die zurück. »Dann hätte sie uns bestimmt angerufen.«

»Conni, kommst du bitte nach vorn?« Herr Gunnarsson hält ein Kreidestückchen hoch. »Wir wollen die Hausaufgaben vergleichen. Nimm dein Heft mit und zeichne die erste Aufgabe an die Tafel.«

Conni hat mit Mathe kein Problem. Geometrie liegt ihr. Sie mag die Winkel und die geraden Linien. Im Nu hat sie das gleichschenklige Dreieck aus ihrem Heft abgezeichnet und die Winkel benannt. Herr Gunnarsson nickt zufrieden.

Conni ist gerade wieder auf ihren Platz geschlüpft, als die Tür einen Spalt geöffnet wird und Dina sich in den Klassenraum drückt. Ihr Gesicht glüht.

»Entschuldigung«, murmelt sie verlegen. »Meine Mutter ist krank. Ich hab verschlafen.«

Janette und Saskia kichern.

Herr Gunnarsson bringt sie mit einem Blick zur Ruhe.

»Was ist daran so lustig? Ist gut, Dina. Setz dich.«

Dina schlüpft schnell auf ihren Platz neben Conni.

Janette und Saskia tuscheln.

»Hat dein Handy etwa keine Weckfunktion?«, zischelt Janette. »Muss deine Mami dich noch wecken? Wie süß!«

»Janette, an die Tafel bitte!«, sagt Herr Gunnarsson. »Du möchtest uns sicher die nächste Aufgabe erklären.«

Conni grinst über Janettes entsetztes Gesicht. Dann wendet sie sich an Dina, die ihre Mathesachen aus dem Rucksack zieht und das Heft aufblättert.

»Du hast gar nichts verpasst«, flüstert Conni ihr zu. »Halb so schlimm.«

Dina nickt nur. Ihr Lächeln wirkt gequält.

Conni runzelt die Stirn. Zuspätkommen ist doch kein Weltuntergang. Das kann wirklich jedem mal passieren. Solange es nicht zum Dauerzustand wird, gibt es deswegen keinen Stress. Herr Gunnarsson hat Dinas Verspätung nicht einmal ins Klassenbuch eingetragen. Warum ist sie dann so angespannt?

 

Erst in der großen Pause scheint sich Dinas Nervosität etwas zu legen. Sie nippt an ihrem Kakao und lacht über eine witzige Bemerkung, die Paul macht.

»Ist euch schon mal aufgefallen, dass ein Mathebuch der einzige Ort ist, an dem es normal ist, 72 Melonen zu kaufen?«, fragt er und rauft sich die Haare. »Ich dachte immer, Mathe soll logisch sein. Aber das ist doch echt nicht normal! Was will man mit so vielen Melonen?«

Conni kichert. Die anderen auch.

Anna dreht sich zu Dina um.

»Was hat deine Mutter denn? Hoffentlich nichts Schlimmes?«

»Nein, gar nicht«, sagt Dina schnell. »Sie hat irgendwelche Kreislaufprobleme und musste sich ein paarmal übergeben. Sie hat sich bei der Arbeit krankgemeldet und ist lieber zu Hause geblieben.«

»Bestimmt geht’s ihr nachher schon wieder besser«, sagt Billi fröhlich.

Dina nickt.

»Vielleicht ist sie ja schwanger«, feixt Paul und klatscht mit Mark ab.

Dina erstarrt.

»Woher weißt du das?«, faucht sie.

Mit einem Schlag ist es ganz still.

Paul wird rot und stammelt etwas.

Conni und Billi gucken sich an.

Phillip räuspert sich.

Mark und Tim grinsen.

»Deine Mutter bekommt ein Baby?«, fragt Billi. Ihre Augen sind kugelrund.

»Echt jetzt?« Anna schnappt nach Luft.

Conni weiß gar nicht, was sie sagen soll.

»Das ist ja toll!«, stößt sie schließlich hervor und stupst Dina an. »Seit wann weißt du’s schon? Warum hast du es uns noch nicht erzählt? Freust du dich?«

Dina funkelt Conni an. »Ich hab’s gestern erst erfahren«, erwidert sie düster. »Und nein, ich freu mich nicht. Ich find’s total peinlich, wenn du es genau wissen willst. Können wir jetzt bitte das Thema wechseln?«

Conni schluckt. Mit so einer heftigen Reaktion hat sie nicht gerechnet. Schon gar nicht von Dina. Die ist doch sonst immer so gelassen und freundlich. Müsste sie nicht fröhlich sein? Ein Baby ist doch eine wundervolle Neuigkeit!

Zum Glück gongt es in dieser Sekunde.

Dina dreht sich um und stapft ohne ein weiteres Wort davon. Alle starren ihr hinterher.

»Wahrscheinlich muss sie sich erst an den Gedanken gewöhnen, bald eine große Schwester zu sein«, vermutet Billi.

»Klar«, nickt Paul. »Wenn man so lange ein Einzelkind war, ist es ziemlich komisch, wenn man plötzlich zum älteren Geschwister wird. Ich sprech aus Erfahrung.«

Paul hat eine jüngere Schwester, Marie. Sie ist etwa so alt wie Jakob.

Conni überlegt, wie es damals war, als ihre eigene Mutter schwanger war und Jakob bekommen hat. Conni war damals noch ziemlich klein. Musste sie sich auch zuerst an den Gedanken gewöhnen, einen kleinen Bruder zu haben? Ein bisschen bestimmt. Aber so seltsam wie Dina hat sie sich garantiert nicht benommen.

»Ich glaub, wir sollten mit ihr reden«, sagt sie zu Anna und Billi. »Vielleicht braucht sie unsere Unterstützung.«

»Ganz bestimmt braucht sie die«, nickt Anna. »Besonders, wenn das Baby erst mal da ist. Denkt nur mal ans Füttern, Baden und Windelwechseln!«

»Was haben wir mit den Windeln von Dinas Geschwisterchen zu tun?«, fragt Billi verständnislos.

»Na, wir helfen ihr dabei!«, entgegnet Anna. Sie geht voraus und hält die Tür auf. »Ich liebe Babys! Ihr etwa nicht? Ich darf manchmal auf die kleine Tochter unserer neuen Nachbarn aufpassen. Die ist so süß! Wann es wohl so weit ist?«

»Du meinst, wann das Baby kommt?«, fragt Conni. »Keine Ahnung. Dina wird es uns hoffentlich verraten. Findet ihr nicht auch, dass sie sich ziemlich merkwürdig verhält?«

»Das ist der Schock«, sagt Anna voller Überzeugung.

Billi kichert und zeigt ihr einen Vogel.

»Wieso Schock?« Conni hebt eine Augenbraue.

Anna überlegt nicht lange, bevor sie antwortet. »Wärst du etwa nicht geschockt, wenn deine Mutter noch ein Kind kriegen würde? Also, ich schon! Immerhin sind unsere Mütter nicht mehr die Jüngsten. Die Vorstellung, dass sie in ihrem Alter das machen, worüber wir im Aufklärungsunterricht in der Grundschule gesprochen haben, ist doch echt ganz schön peinlich, oder etwa nicht?«

Phillip, Paul, Tim und Mark grinsen.

Conni und Billi prusten los.

Anna wird rot.

»Ist doch wahr«, murmelt sie und geht ein bisschen schneller. »Was das angeht, kann ich Dina voll verstehen.«

 

Nach der Schule beratschlagen die Freundinnen, wie sie weiter vorgehen wollen. Dina ist nach dem Unterricht ziemlich schnell verschwunden.

Phillip, Paul, Mark und Tim stehen am Fahrradunterstand und unterhalten sich über Bundeligaergebnisse. Das Baby-Thema scheint sie nicht besonders zu interessieren.

»Egal«, sagt Conni. Als sie Annas und Billis verwunderte Blicke bemerkt, erklärt sie, dass sie nur laut nachgedacht hat. »Ich meine, es ist doch total egal, wie Dina sich gerade verhält. Wenn sie sich erst mal an die Situation gewöhnt hat, freut sie sich bestimmt auch.«

»Aber was können wir tun?«, fragt Billi.

»Keine Ahnung«, gibt Conni zu. »Erst mal reden wir mit ihr. Vielleicht hilft das schon ein bisschen.«

»Wir können ja eine Babyparty für sie veranstalten«, schlägt Anna vor.

»Und wie soll die aussehen?«, fragt Conni.

»Weiß ich auch nicht.« Anna tippt sich an die Nase. »Wir übernachten bei mir und denken uns irgendwas aus. Bestimmt gibt es im Internet lustige Babyfilme. Dazu backen wir Muffins mit hellrosa und blauem Zuckerguss. Schließlich wissen wir ja noch nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Wir können auch ein paar Windeln besorgen und schon mal üben.«

»Ist das dein Ernst?«, erkundigt sich Billi freundlich.

»Natürlich!« Anna strahlt. »Ich hab noch alle meine Babypuppen! Die eignen sich sehr gut zum Üben. Fläschchen geben, wickeln, baden, anziehen, herumtragen – das volle Geschwisterprogramm!«

»Ich weiß nicht …« Conni wiegt den Kopf. »Vielleicht sollten wir lieber mit den lustigen Filmen und den Muffins anfangen? Wenn wir Dina gleich mit Babypuppen und Windeln überfallen, findet sie das wahrscheinlich nicht so lustig.«

Anna und Billi sind einverstanden.

»Okay«, sagt Conni. »Wollen wir uns nachher in der Bücherei treffen? Da kann man sich nicht nur Bücher, sondern auch DVDs ausleihen. Bestimmt haben die was Passendes für uns.«