Ross Thomas, Die im Dunkeln
Das Buch: Edd Partain, ein unehrenhaft aus der US-Army entlassener Exmajor, erhält einen Auftrag von Millicent Altford, einer einschlägig bekannten Geldwäscherin, der 1,2 Millionen Dollar auf rätselhafte Weise abhanden gekommen sind. Edd, wieder mal abgebrannt, macht sich auf die Suche, doch hat er kaum Zeit, sich um die Millionen zu kümmern, eine Reihe von Morden geschieht, und Edd Partain trifft auf alte Bekannte aus finsteren Zeiten, die ihn schon damals gern aus dem Weg geräumt hätten.
Der Autor: Ross Thomas, geboren 1926 in Oklahoma, beginnt seine Laufbahn als Journalist und Reporter, ist später politischer Berater und Mitorganisator von Wahlkämpfen. In den fünfziger Jahren baut er in Bonn das deutsche AFN-Büro auf, arbeitet danach für verschiedene Organisationen. Mit 40 schreibt er seinen ersten Roman Kälter als der Kalte Krieg (The Cold WarSwap), für den er den Edgar-Allan-Poe-Preis erhält. Bis zu seinem Tod 1995 entstehen insgesamt 25 Romane.
»Ross Thomas schreibt kühle, klare Gegenwartsromane. Sie sind nicht desillusioniert, sondern von Anfang an illusionslos. Die Annahme, irgend jemand auf verantwortlichem Posten sei möglicherweise nicht korrupt, ist in seinen Texten bestenfalls ein schlechter Witz.«
Gisbert Haefs
Ross Thomas
Die im Dunkeln
Aus dem Amerikanischen
und mit einem Nachwort von
Gisbert Haefs
Alexander Verlag Berlin
Die Ross-Thomas-Edition im Alexander Verlag Berlin
Bisher erschienen:
Gottes vergessene Stadt
Kälter als der Kalte Krieg
Umweg zur Hölle
Teufels Küche
Gelbe Schatten
Die Backup-Männer
Der Yellow-Dog-Kontrakt
Der achte Zwerg
Am Rand der Welt
Voodoo Ltd.
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Ah, Treachery!
1994 bei The Mysterious Press, New York.
Die deutsche Erstausgabe erschien 1995 im Haffmanns Verlag, Zürich.
Anmerkungen zum Text und eine vollständige Ross-Thomas-Bibliographie sind am Ende des Buchs.
Copyright © 1994 by Ross Thomas
Diese Ausgabe wurde im Auftrag von St. Martin’s Press, L.L.C., durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen, vermittelt.
© für diese eBook-Ausgabe by Alexander Verlag Berlin 2012
Alexander Wewerka, Postfach 19 18 24, 14008 Berlin
Umschlaggestaltung Antje Wewerka
info@alexander-verlag.com
www.alexander-verlag.com
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-89581-233-0
»Er liebte den Verrat, aber er haßte Verräter.«
Plutarch über Romulus
An Heiligabend 1992 kam um 19.33 Uhr der Mann mit zinngrauem Haar in Wanda Lous Waffenladen in Sheridan, Wyoming, und tat so, als ob er Edd Partain, den geschaßten Army-Major und angestellten Waffenverkäufer, nie gesehen hätte.
Draußen, genau 21,8 Meilen südlich der Grenze zu Montana, war es kalt und trocken: beide Werte um die zehn, einer davon minus. Trotzdem trug der Mann mit dem kurzen grauen Haar etwas, was ein Manager unten in Denver oder sogar Santa Fe hätte tragen können – einen leichten Mantel aus Wolle mit Raglan-Ärmeln und konservativem Hundszahnmuster. Die Füße steckten in schwarzen Slippern mit dünnen Sohlen, schon weitgehend ruiniert von Sheridans zwei Fuß tiefem dreckigen Schnee.
Edd Partain ließ den Grauhaarigen sich fast zwei Minuten lang umsehen, bevor er ein höfliches Räuspern und dann eine ebenso höfliche Frage äußerte: »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
Der Mann nickte, schaute aber Partain noch immer nicht an. »Ich brauche ein oder zwei Geschenke, auf den letzten Drücker«, sagte er zu einem Stapel angeblich kugelsicherer Westen. »Haben Sie ne Idee?«
»Kommt drauf an«, sagte Partain. »Für Mami, die Missis oder die Freundin wär die Walther PPK nicht schlecht – Kaliber fünfundzwanzig, ziemlich selten, hoher Sammlerwert, natürlich das Westentaschen-Modell neunzehnhundertdreizehn, trägt nicht auf. Für den lieben alten Daddy vielleicht eine PurdyFlinte nach Maß; könnten wir in London bestellen, aber da hätten wir gern fünftausend Dollar Anzahlung, und geliefert wird sie so in zwei, drei oder sogar vier Jahren. Aber Daddy weiß Ihre Großzügigkeit bestimmt zu schätzen und kann die jahrelange Vorfreude auskosten.«
Der Mann wandte sich von den kugelsicheren Westen ab, ging langsam zur Theke, stützte sich mit beiden Händen auf die Glasplatte und starrte den Ex-Major mit Augen an, deren Farbe und Wärme, wie Partain registrierte, immer noch Flußeis bei beginnendem Tauwetter ähnelten.
»Ich war nicht ganz sicher, daß Sie’s sind, Twodees«, sagte der Mann. »Erst als Sie das Maul aufgemacht haben und die Scheiße da rauskam.«
»Und ich hätte Sie kaum wiedererkannt, Captain Millwed, mit all den neuen grauen Haaren.«
»Colonel Millwed.«
»Mein Gott. Die Army würde doch nie – aber klar, doch, sie würde. Und sie hat. Glückwunsch.«
Colonel Millwed ignorierte das suspekte Kompliment und sagte: »Ist Wanda Lou da?«
»Wanda Lou ist wie Marley seit sieben Jahren tot. Der Laden gehört jetzt Alice Ann Sutterfield, Wanda Lous bezaubernder Tochter.«
»Ist die da?«
»Erst am zweiten Weihnachtstag – Samstag.«
Der Colonel wandte sich um, inspizierte den Laden noch einmal schnell, drehte sich dann wieder zu Partain und fragte: »Zahlt die bezaubernde Tochter irgendwas?«
»Acht sechzig die Stunde«, sagte Partain. »Weil ich aber normalerweise eine Sechzig-Stunden-Woche mache – ohne Überstundensold, wie ich zerknirscht einräumen muß –, ist die Bezahlung in Ordnung. Für Wyoming. Außerdem sind meine Bedürfnisse gering, und ich befriedige sie selbst.«
»Emerson, Über Masturbation?«
»Könnte auch von Thoreau sein.«
»Und was hat Alice Ann gesagt, als Sie ihr alles über sich und die Army und den Rest erzählt haben?«
»Sie hat nie gefragt, ich hab’s ihr nie aufgedrängt. Ich hab aber gewußt, daß die irgendwann mal jemand schicken, um’s ihr zu sagen – vielleicht nen pompösen Second Lieutenant frisch aus der Münze, an dem ein Colonel nen Narren gefressen hat. Oder, eher wahrscheinlich, nen Captain mit zu hohem Dienstalter. Deshalb war ich auch nicht überrascht, als Sie hier reingeplatzt sind; ich muß aber gestehen, ich fühl mich geschmeichelt, daß die nen Colonel geschickt haben, für den ... Vollzug.«
»Keine Schmeicheleinheiten«, sagte Millwed. »Ich habe mich freiwillig gemeldet.«
»Hätt ich mir denken können. Aber wieso jetzt? Wieso nicht voriges Jahr? Oder das Jahr davor? Oder in sechs Monaten?«
»Kriegt ihr hier draußen die ›New York Times‹?«
»Ja, aber ich kauf die nicht. Um au courant zu bleiben, nehm ich Sheridans spritziges Lokalblatt und den BBC World Service.« »Kein Fernsehen?«
Partain schnitt eine Grimasse. »Meinen Sie wirklich, ich soll mir ne Glotze kaufen?«
»Nur wenn Sie scharf auf Brände und Schlitzereien sind. Bleiben Sie bei der BBC. Die bringen das auch bald.«
Partain blickte hoch zum Blechdach des alten Gebäudes, als ob er ein Leck suchte. »Kommt jetzt also alles raus«, sagte er zur Decke, ließ dann seinen Blick wieder auf Colonel Millwed ruhen. »Aber die gereinigte Fassung, nehm ich an, mit irgendner ehrbaren Quellenangabe.«
»Es kommt zuerst auf Spanisch, besiegelt und abgesegnet von der UNO«, sagte der Colonel. »Die UNO glaubt – oder tut jedenfalls so –, daß sie die ganze wirklich schlimme Scheiße ausgebuddelt hat, aber ich und Sie, Twodees, wir wissen’s besser.«
»Und Sie kommen als was – freundliche Warnung?«
»Sind Warnungen je freundlich?« fragte der Colonel; offenbar erwartete er keine Antwort. »Aber wenn Sie sich bei Warnungen in die Hose machen, nehmen Sie meinen Besuch als sanften Stupser, das ist jedenfalls besser als der richtige Tritt.«
Partain nickte versonnen; dann hellte sein Gesicht sich auf, und er bedachte Millwed mit einem deutlich falschen Lächeln. »Und ich kann Ihnen wirklich überhaupt nichts verkaufen, wo Sie doch schon mal hier sind, mon colonel? Vielleicht was Kleines, Billiges, Unauffälliges, was man hinterher unbesorgt liegenlassen kann, für alle Fälle?«
Millwed erwiderte das falsche Lächeln Zahn um Zahn; seine waren eigenartig matt. ›Sogar seine Zähne werden grau‹, dachte Partain, als der Colonel sagte: »Ich seh mich bloß um, Twodees. Das ist alles. Bloß so.«
Es kam nur noch eine Kundin, nachdem der Colonel gegangen war, aber sie kaufte nichts. Um 21 Uhr schaltete Partain das Alarmsystem ein, ließ vorn die Stahlläden herunter, vergewisserte sich, daß die stählerne Hintertür verschlossen und verriegelt war, knipste die Lichter aus, schloß die Vordertür ab und ging die drei Blocks zu seinem Ein-Raum-Apartment über der Doppelgarage seines Vermieters.
Drinnen sortierte und zerriß Partain seine Post, darunter eine Weihnachtskarte von einer hiesigen Bank, bei der sein Girokonto im Moment auf $319,41 stand. Er trank ein wenig Bourbon mit Wasser, erhitzte und aß ein tiefgefrorenes Tex-Mex-Gericht, saß dann bis Mitternacht und las Freya Starks The Valleys of the Assassins zum dritten Mal. Er ging ins Bett mit der Erkenntnis, daß es bis auf die Stark eine genaue Wiederholung der Heiligabende seit 1989 gewesen war.
Am Weihnachtsmorgen weckte das Gehämmer an der Tür Partain um 7.02 Uhr. Er stand langsam auf, zog einen schäbigen karierten Bademantel an, ging zur Tür und sagte: »Wer zum Teufel ist da?«
Eine Frau schrie die Antwort: »Ich bin’s, und Sie sind gefeuert.«
Partain öffnete die Tür; draußen stand die zu dünne, zu blonde 39jährige Alice Ann Sutterfield. Sie stand auf der obersten Stufe und bibberte bei –10° C, obwohl sie Handschuhe, Pullover, flanellgefütterte Jeans, Stiefel und einen schweren dreiviertellangen Mantel trug. Hals und Mund verbargen sich hinter einem grünweißen Wollschal. Zu sehen waren rote Wangen, glühende Nase, nußbraune Augen mit Silberblick und dunkelbraune Brauen, die etwas über die Echtheit ihres buttergelben Haars sagten.
Sie musterte Partain mißtrauisch, als ob sie irgendeine gewalttätige Reaktion erwartete, aber als er nur sagte: »Und Ihnen auch fröhliche Weihnachten, Alice Ann«, schnaufte sie und drängte sich an ihm vorbei ins Apartment.
Nachdem er die Tür geschlossen hatte, drehte Partain sich um und sah sie mit losem Schal mitten im Raum stehen, eine Hüfte leicht vorgereckt. Sie versuchte, ihn mit ihrem nußbraunen Silberblick in Grund und Boden zu starren, aber das Unterfangen bestätigte lediglich Partains Theorie, daß Augen mit Silberblick, gleich welche Farbe, sich nicht für richtig gutes Glotzen eignen.
»Ich will Sie nie wieder in meinem Laden sehn, Edd, und die Ladenschlüssel will ich jetzt sofort.«
Partain nahm die Schlüssel vom Frühstücks-, Eß- und überhaupt Allestisch und reichte sie ihr. »Sie haben mit dem Colonel geredet, was?«
»Der Mann hat sein Weihnachten im Schoß der Familie geopfert, um den ganzen Weg herzufliegen und eine arme Witwe zu warnen, wegen all der schrecklichen Dinge, die Sie da unten gemacht haben, in – in, ach, irgendwo in Mittelamerika.«
»Der Colonel hat keine Familie, Alice Ann, und Sie schulden mir eine Woche Lohn und zwei Wochen Ferien.«
»Meinen Sie, das wüßt ich nicht? Meinen Sie denn, ich wär nicht gestern abend kreuz und quer durch die Stadt gerannt und hätt meinen Heiligabend ruiniert, bloß um das Geld zusammenzukratzen und Ihnen alles, was Sie zu kriegen haben, bis auf den letzten Cent zu bezahlen? Hier.«
Sie stieß mit einem weißen, mittelgroßen Briefumschlag nach ihm. »Los, zählen Sie’s nach. Stimmt alles.«
»Dann brauch ich es ja nicht zu zählen«, sagte Partain, nahm den Umschlag und schob ihn in die Tasche seines alten Bademantels.
»Also, ich weiß nicht, vielleicht haben Sie ja nicht alles gemacht, was Colonel Milkweed sagt, das Sie ...«
»Colonel Millwed.«
»... sagt, das Sie gemacht haben, aber ich kann mir einfach das Risiko nicht leisten, daß so ein, also, irgendein Wilder zwischen meinen Waffen durchknallt. Man weiß ja nie, was da passieren kann.«
»Weiß man nie«, bestätigte Partain.
»Sie wollen jetzt bestimmt versuchen, mir das auszureden, weil Sie wissen, was ich für n Softie bin. Aber diesmal bleib ich ganz bestimmt hart. Also versuchen Sie’s gar nicht erst.«
»Okay«, sagte Partain. »Tu ich nicht.«
Es gab nicht viel zu packen. Ein paar Bücher, der kleine Sony-Weltempfänger, Kleidung und Toilettenartikel, ein paar persönliche Papiere, eine Kamera und anderthalb Flaschen trinkbarer Whiskey – gerade genug, um eine Army-Stofftasche ganz und die alte Reisetasche aus Kaffernbüffelleder, die er vor Jahren billig in Florenz gekauft hatte, fast vollzukriegen.
Nichts an Geschirr, Gläsern, Besteck, Töpfen, Pfannen, Möbeln und Bettzeug. All das gehörte Neal, dem Vermieter, der sagte, es täte ihm leid, Partain als Mieter zu verlieren, und an Weihnachten gefeuert zu werden, gehöre in eins dieser Scheißrekordbücher. Partain stimmte zu, verabschiedete sich telefonisch und wählte dann eine Nummer in Washington, D. C. Nach dem dritten Klingeln meldete sich eine Männerstimme mit den letzten vier Ziffern, die Partain eben gewählt hatte.
»Partain hier«, sagte er. »Die haben gestern Millwed geschickt, und heut früh bin ich gefeuert worden. Mein Weihnachtsbonus.«
»Wenn du griechisch-orthodox wärst wie ich, hättest du noch zwei Wochen bis zum richtigen Weihnachten, dann wär dein Selbstmitleid nicht so groß. Millwed, was? Ralph Waldo Millwed, unser Karrierecolonel, angeblich der kommende Mann.«
»Wer sagt das?«
»Gerüchte, was denn sonst.«
»Irgendwelche Vorschläge?« sagte Partain.
»Zufällig – und was für ein Zufall – gibt’s da was. Ist aber eher ein Vorfühler als ein richtiges Angebot.«
»Laß mal hören.«
»Eine wohlhabende ältere Person, zweiundsechzig, liegt in Los Angeles im Sterben. Sucht cleveren, aggressiven Draufgänger, der hilft, ein letztes Problem zu lösen. Interessiert?«
»Wie sieht das Problem aus?«
»Keine Ahnung, bringt aber tausend pro Woche plus Logis.« »Wie viele Wochen?«
»Bis daß der Tod euch scheidet, schätzungsweise«, sagte der Grieche.
Mit seinem vorletzten Fünfziger bezahlte Partain den Fahrer des freien Taxis, das er am Flughafen von L.A. angehalten und heruntergefeilscht hatte. Als der Wagen abfuhr, steckte er die 30$ Wechselgeld ein, drehte sich um und musterte die Privatklinik auf der Nordseite des Olympic Boulevard, ein paar Blocks östlich von Century City.
Es war kurz nach sechs abends und dunkel an diesem drei Königen geweihten Dienstag im Januar. Partain überlegte, ob die Klinik schon den Weihnachtsschmuck entfernt oder sich gar nicht die Mühe gemacht hatte, welchen anzubringen. Eigentlich war es ihm egal, aber er hielt seine milde Neugier für überraschend, vielleicht sogar ermutigend.
Bei Betrachtung der Klinik kam Partain der Verdacht, daß der Architekt Liebhaber langer, fahler Granitplatten war und der Gartengestalter eine Schwäche für dürreresistente Pflanzen hatte – die teure Sorte, die auch bei Wolkenbruch noch durstig wirkt. Beträchtliches Geld war auch in die äußere Sicherheitsbeleuchtung gesteckt worden, und Partain, der etwas davon verstand, fand nichts daran auszusetzen.
Mit seiner Kaffernbüffelledertasche betrat er die Klinik, mied die Rezeption, nahm einen Aufzug zur obersten Etage, der fünften, und glitt in ein geräumiges Eckzimmer, wo dem Griechen zufolge seine prospektive Arbeitgeberin an einer seltenen, nicht diagnostizierbaren Krankheit im Sterben lag.
Partain fand sie im Schneidersitz auf einem Klinikbett; sie trug einen roten chinesischen Seidenrock mit zahlreichen kleinen, goldenen Drachen, die einander entweder angähnten oder anbrüllten. Sie hatte eben ein Stück – das letzte, wie er feststellte – einer kleinen Pizza gegessen, direkt aus der Schachtel, in der sie geliefert worden war, und spülte jetzt den letzten Bissen mit dem letzten Rest aus einer Flasche Beck’s-Bier herunter.
Sie ließ die Flasche sinken, starrte ihn einen Moment mit klugen, nicht ganz grauen Augen an und sagte: »Edd-mit-zwei-ds Partain, wie ich hoffe und annehme.«
»Deshalb hat man mich manchmal so genannt – Twodees«, sagte er. »Vor allem in der Schule.«
»Dann würde ich fast wetten, daß die Partains Cajuns waren und wahrscheinlich im Ölgeschäft irgendwo da unten – wo? Opelousas? Lafayette?« Ein schnelles Grinsen, bei dem sie perfekte Zähne zeigte, die Partain für perfekt überkront hielt. »Tschuldigung«, sagte sie, »aber ich denk mir gern Geschichten aus zu Leuten, die ich grad erst getroffen hab.«
»Meine Leute sind gleich nach dem Krieg von El Paso nach Bakersfield gezogen«, sagte er. »Mein Vater hat Umzüge am Ort gemacht und Mutter im Wohnzimmer einen Schönheitssalon betrieben. Ich glaube, die Partains waren ganz früher französische Hugenotten, aber ich hab mich nie danach erkundigt.«
»Tja, Sie wissen schon, daß ich Millicent Altford bin, sonst wären Sie nicht hier«, sagte sie und legte die leere Bierflasche lang in die leere Pizzaschachtel. Dann nahm sie Schachtel und Flasche vom Schoß, stellte sie aufs Bett, glitt elegant aus dem Schneidersitz auf den Boden und fragte: »Wollen Sie ein Bier?«
Partain sagte ja, danke, und beschloß, ihr zwischendurch aufflackernder Red-River-Valley-Tonfall müsse mindestens 40 Meilen nordöstlich von Dallas und kaum weniger als 190 Meilen südlich von Oklahoma City entstanden sein. Wenn der Akzent schwand, wurde er durch etwas Kühles, Knappes aus Chicago ersetzt, wo sie dem Griechen zufolge vier Jahre bei Foote, Cone & Belding verbracht hatte, bevor sie als Spendenbeschaffer zu Adlai Stevensons zweiter Präsidentschaftskampagne stieß, 1956.
Altford glitt barfuß zu einer kleinen Einbaubar, die Gin, Scotch und Wodka enthielt, aber keinen Bourbon. Es gab auch ein paar Gläser, eine kleine Spüle aus rostfreiem Stahl und darunter einen Minikühlschrank in körnigbrauner Synthetikverkleidung, die überhaupt nicht wie Nußbaumfurnier aussehen wollte.
Sie beugte den Oberkörper vor, öffnete die Kühlschranktür – die Beine noch immer gerade, die Augen jetzt fast auf Kniehöhe –, schaute hinein und bot Partain an, ihm aus Dingen, die das Stage-Deli geliefert hatte, ein richtig gutes Sandwich zu machen, Pastrami auf Roggenbrot. Partain dankte, sagte aber, er habe im Flieger gegessen.
Sie richtete sich so mühelos auf, wie sie sich gebückt hatte – in jeder Hand eine Flasche Beck’s –, drehte sich um und musterte ihn mit einem Ausdruck, den er für Sympathie hielt. »Sie essen im Flugzeug?«
»Eine Sparmaßnahme«, sagte er; er stellte die Reisetasche auf den Boden.
»Tja, dagegen müssen wir was tun, wie?« sagte sie und schloß die Kühlschranktür mit einem Absatzkick ihres nackten linken Fußes – Partain nahm an, daß in dieser Bewegung einiges an Übung und vielleicht sogar Choreographie steckte.
Nachdem sie den Raum durchquert hatte, um ihm ein Bier zu geben, drehte sich Millicent Altford um und ließ sich auf eine dunkelblaue Couch mit drei Rückenkissen sinken, wobei sie einladend auf das mittlere klopfte. Als beide saßen, ein Kissen zwischen sich, trank Partain einen Schluck Bier und sagte: »Man hat mir gesagt, Sie liegen im Sterben. Ich nehme an, das ist gelogen.«
»Ich habe denen gesagt, sie sollten lügen. Dann könnte ich, wenn mir Ihre Nase nicht paßt, einfach sagen: ›Tut mir leid, es wird nichts. Ich hab genug mit Sterben zu tun.‹«
»Da Sie weder krank sind noch sterben, könnte man annehmen, daß Sie sich vor etwas oder jemandem verstecken.«
Er schaute sich noch einmal in dem großen privaten Eckzimmer um. »Obwohl das hier ein verdammt teures Versteck sein dürfte.«
»Jeden anderen, oder seine Versicherung, würde es mindestens zweitausend pro Tag kosten – plus.«
»Plus was?«
»Gourmetmahlzeiten. Die Klinik hat nen französischen Koch angeheuert, mit meterlanger Speisekarte, und jetzt kann man morgens im Bett liegen und stundenlang darüber brüten, was man den Rest des Tages und die halbe nächste Nacht essen will. Aber für mich ist das alles gratis, frei, umsonst.«
»Warum?«
»Als die anno dreiundachtzig angefangen haben, das Ding zu planen, haben die ungefähr eine Million gebraucht, für den Anfang. Ich hab das Geld in vier Tagen zusammengekriegt, nichts dafür berechnet, und jetzt, tja, jetzt hab ich so was wie ein offenes Dauerkonto hier.«
»Wird hier irgendwas behandelt?«
»Die sollen toll sein bei Syph und Tripper.«
Partain fand, sie sah eher wie 52 als 62 aus, trotz des dichten kurzgeschnittenen Haars mit der Farbe und dem Leuchten alten, frischpolierten Silbers. ›Deck das Haar ab‹, dachte er, ›oder färb es wieder original so, wie es mal war, honigblond, dann kann sie, mit dem Licht von hinten, für 41 durchgehen – dein Alter.‹
Altford bewegte unter dem langen roten Seidenrock ihre Beine, bis sie wieder im Schneidersitz war. Sie trank einen Schluck Bier aus der Flasche und starrte Partain einen Moment an, ehe sie sagte: »Erzählen Sie mir was von sich und Nick Patrokis und all den abtrünnigen Ex-Spionen, die sich BARF oder VOMIT oder so was nennen.«
Partain ließ sich Zeit mit der Antwort. »Das hat angefangen als Veterans of Military Intelligence, mit dem Akronym VMI. Aber dann hat das Virginia Military Institute gezetert, und Nick und ich und die anderen haben an VOMI gedacht, bloß das mochte niemand. Weil aber die meisten Mitglieder angeschissene und sonstwie enttäuschte Veteranen des einen oder anderen militärischen Nachrichtendienstes sind, haben sie beschlossen, sich einfach so zum Spaß Victims of Military Intelligence Treachery zu nennen, daraus wird dann VOMIT, und das Akronym wollte sonst keiner. Außerdem hat’s ihnen Publicity eingebracht, und das war der zweite Grund, sich dafür zu entscheiden.«
»Seit wann sind Sie Mitglied?«
»Bin ich nicht mehr«, sagte Partain. »Ich kann mir die Beiträge nicht leisten.«
»Wie hoch sind die?«
»Fünfundzwanzig pro Jahr.«
»Fünfundzwanzigtausend?«
»Fünfundzwanzig Dollar.«
Sie grinste. »Sie sind wirklich pleite.«
»Oder arm«, sagte er. »Ich glaube, es gibt da einen kleinen, aber wichtigen Unterschied.« Er trank noch etwas Bier, dann sagte er: »Wie kommen Sie an Nick?«
»Ich hab einen alten Freund, ehemaliger Brigadier General«, sagte sie mit der steigenden Intonation der Eingeborenen des Red River Valley und überhaupt großer Teile des Südens.
»Army oder Marines?«
»Army. Tatsächlich der einzige General, den ich je kennengelernt hab. Aber als wir liiert waren, gegen Ende der Korea-Veranstaltung, war er Captain mit komischen politischen Ansichten.«
»Wie komisch?«
»Er war Stevenson-Demokrat.«
»Das ist ziemlich komisch, nach dem, was ich gelesen habe.« »Zwölf Jahre später, frühes Vietnam, war er Colonel.«
»Und ein ziemlich schneller Aufsteiger.«
»Er war auch verdammt gut. Anno fünfundsechzig haben sie ihn nach Vietnam geschickt und siebenundsechzig zum Brigadier gemacht. Da hatte er seine zwanzig Jahre voll. Achtundsechzig hat er sich dann gegen den Krieg ausgesprochen und seinen Hut genommen.«
»In dieser Reihenfolge?«
Sie überlegte. »In dieser Reihenfolge.«
»Treffen Sie ihn noch?«
»Er hat zwei Frauen gehabt und ich drei Männer. Aber hin und wieder sehen wir uns noch. Als ich angefangen hab, jemand zu suchen, hab ich ihn angerufen und gesagt, ich müßte mir wen mit Birne und Bizeps anheuern. Er sagt, die würden selten zusammen geliefert, aber wenn, dann wüßte Nick Patrokis wahrscheinlich, wo. Also hab ich Nick angerufen, und der hat zurückgerufen und Ihren Namen genannt.«
»Dann kennen Sie Nick eigentlich gar nicht?«
»Nur per Telefon. Ich nehm aber an, Sie kennen ihn ganz gut.«
»Aus Vietnam; da hat er in einer bösen Klemme gesteckt«, sagte Partain und wartete auf ihre Frage nach der Art von böser Klemme. Als sie nicht fragte, stieg sie einige Punkte in seiner Achtung.
»Erzählen Sie von VOMIT«, sagte sie.
»Das ist eigentlich eine Ein-Mann-Organisation. Nick ist Mitbegründer und Geschäftsführer. Er ist auch PR-Mann, Geldbeschaffer, Sprecher, Buchhalter, Mädchen für alles und Herausgeber der unregelmäßigen Vereinsnachrichten. Er und VOMIT teilen sich ein Büro mit einem, der Schuldner jagt;
Connecticut Avenue, ein paar Blocks nördlich vom Dupont Circle – kennen Sie Washington?«
Sie nickte.
»Also, das Büro befindet sich über einem griechischen Restaurant, und das gehört Nicks Onkel. Nick ißt da umsonst. Der Onkel besitzt auch das ganze Gebäude und verlangt von VOMIT keine Miete. Ein paar besonders mürbe Mitglieder, Sympathisanten, hin und wieder sogar ein oder zwei Groupies tauchen meistens am Samstagnachmittag da auf – jammern und zetern und räumen auf und helfen mit der Post und so was.«
Altford nickte wieder, abrupt diesmal, um anzudeuten, daß sie nun alles wußte, was sie je über VOMIT würde wissen wollen. »Und wie sind Sie zum Opfer von Verrat durch einen militärischen Nachrichtendienst geworden?« sagte sie.
»Ich habe einen Vorgesetzten geschlagen, und man hat mir gestattet, zum Wohl der Truppe meinen Abschied zu nehmen.«
»Wie hoch war der Vorgesetzte?«
»Ein Colonel.«
»Und Sie waren was?«
»Major.«
»Wie hart haben Sie ihn geschlagen?«
»Ich hab ihm die Scheiße aus dem Leib geprügelt.«
»Warum?«
»Müssen Sie einen Grund wissen?«
»Ja, Sir, glaub ich schon.«
»Er hat mich belogen.«
»All das war wo?«
»In El Salvador.«
»Wann?«
»Neunzehnhundertneunundachtzig.«
Ein Schweigen folgte; Millicent Altford beendete es, ehe es einem von beiden unangenehm werden konnte. »Sie sagen, Sie waren auch in Vietnam. Sie sehen gar nicht alt genug aus.«
»Von siebzig bis fünfundsiebzig.«
»Bis zum bitteren Ende, wie?«
Er nickte.
»Ich hatte gedacht, ihr Jungs wärt dreiundsiebzig alle nach Hause gegangen.«
»Ein paar sind geblieben.«
»Bis fünfundsiebzig?«
Er nickte wieder.
»Wohin sind Sie dann gegangen?« fragte sie.
»Erst eine Weile zurück in die Staaten, dann vier Jahre Deutschland, wieder die Staaten, dann Tegucigalpa und von da nach El Salvador.«
»Warum dahin? Ich meine, warum gerade Sie?«
»Ich red mir gern ein, es wär wegen herausragender Führungseigenschaften gewesen. Tatsächlich deshalb, weil ich Spanisch kann.«
»Wo haben Sie das gelernt – in El Paso?«
»Von meiner Mutter. Sie hieß Sandoval. Beatriz Sandoval.«
»Wie lang waren Sie drin, insgesamt?«
»Neunzehn Jahre.«
»Keine Pension?«
»Null.«
»Wo haben Sie zuletzt gearbeitet?«
»Bis Weihnachten als Verkäufer in einem Waffenladen in Sheridan, Wyoming.«
»Was ist passiert – die Wirtschaftskrise?«
»Unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten mit dem Management.«
Altford grinste, stellte ihre leere Bierflasche auf den Kaffeetisch aus hellem Holz und rutschte auf der blauen Couch herum, bis sie, immer noch im Schneidersitz, Partain ins Gesicht sehen konnte.
»Wollen Sie für mich arbeiten?«
»Kommt drauf an, vor was oder wem Sie sich verstecken.«
»Little Rock.«
Weil sie irgendeine Reaktion zu erwarten oder sogar zu brauchen schien, sagte Partain: »Im Ernst?« Und: »Warum?«
»Zum Teil, weil die richtig dankbar sind für die zwei Komma sechs Millionen, die ich für die Partei zusammengebracht habe. Aber dafür hatte ich ja angeheuert. Wofür die wirklich echt dankbar sind, das sind die zweihundertvierundfünfzigtausend, die ich für die beiden zusammengepackt hab, knappe drei Tage nach den Vorwahlen in New Hampshire. Merken Sie sich das nach. Und um das hinzukriegen, mußte ich zweihundertvierundfünfzig gute, persönliche Freunde dazu überreden, daß sie mir Barschecks über tausend pro Nase auf die Little-Rock-Kampagne ausstellen. Und verlassen Sie sich drauf, den Batzen hab ich nie persönlich überreicht.«
»Warum dann das ganze Versteckspiel?«
»Weil Little Rock mir was Gutes tun will, und was Gutes bedeutet bei denen Botschafter in Togo oder derlei, und für so etwas bin ich einfach nicht gebaut. Aber ich wollte deren Gefühle nicht verletzen, deshalb bin ich todkrank hier untergekrochen und bleibe krank, bis alles abgeflaut ist und die nicht mehr dran denken, was, nehm ich an, noch drei Tage dauern wird – vielleicht vier.«
»Das ist also Ihr Geschäft: Spenden auftreiben?«
»Ich bin Regenmacher, und zwar ein guter. In ungeraden Jahren geh ich manchmal wieder zu den Fettsteißen, die ich angebaggert hab, und versuch die mit ein paar soliden Typen zusammenzubringen, die ich kenne – solche, die dicke Knete noch ein bißchen dicker machen können. Wenn’s klappt, krieg ich ein paar Prozente ab, und die Fettsteiße sind so dankbar, daß sie fast glücklich sind, mich zu sehen, wenn ich das nächste Mal vorbeikomm, um an ihren Geldbäumen zu rütteln.«
»Kommen wir zur Sache«, sagte Partain. »Was wollen Sie von mir?«
»Eins Komma zwei Millionen an Politgeldern sind verschwunden. Sicher geklaut. Vielleicht unterschlagen. Die will ich wiederhaben.«
»Ich wüßte nicht mal, wo ich anfangen soll.«
»Ja, aber ich«, sagte sie. »Bloß, während ich die Postkutsche lenke, brauch ich einen, der mit der Flinte neben mir auf dem Bock sitzt.«
Partain grinste. »Ich glaub, das könnte ich hinkriegen.«
Als er den Wilshire Boulevard erreicht hatte, fuhr Partain in Millicent Altfords schwarzem Lexus Coupé nach Westen, bis er zu dem Apartmentgebäude kam, das entweder den Namen eines gescheiterten britischen Premiers oder den des ersten Gartens der Welt trug.
Das Eden bestand aus 25 Etagen mit Eigentumswohnungen auf der Südseite des Wilshire, um die zwölf Blocks östlich der University of California. Es hatte getönte Scheiben und eine hellbraune Stukkaturfassade, deren Farbe ganz präzise Jennifer hieß, nach der späten Augustbräune einer 19jährigen Schönheit, die der Architekt einmal am Broad Beach von Malibu kennengelernt hatte.
Um 19.56 Uhr bog Partain über die Gegenfahrbahn links ab in eine geschwungene Auffahrt und hielt vor dem Eingang des Eden. Ein uniformierter Türhüter erschien auf der Fahrerseite, öffnete die Tür und sagte: »Lassen Sie einfach den Schlüssel stecken, Mr. Partain; ich kümmere mich um den Wagen.«
Partain dankte ihm, griff nach der Kaffernbüffeltasche und stieg aus. Der Türhüter gab ihm einen elektronischen Türschlüssel in Form einer Plastikkarte mit Löchern.
»Das bringt Sie durch die Haustür und in Nummer fünfzehnvierzig, die Wohnung von Ms. Altford«, sagte er. »Wenn Sie den Wagen wieder brauchen, drücken Sie einfach das Sternchen an Ihrem Telefon und fragen Sie nach Jack.«
»Sie sind Jack?«
»Ich bin Jack.«
Die elektronische Schließkarte funktionierte glatt, und die Tür von Nr. 1540 öffnete sich zu einer kleinen Diele, gerade groß genug für ein Wandtischchen aus knotiger Ulme, das die Post, die Schlüssel und sogar eine lange Einkaufsliste tragen konnte. Es blieb noch Platz für einen Beistellstuhl mit leierförmiger Lehne, der aussah, als ob niemand je darauf gesessen hätte.
Den großen Spiegel über dem Tisch umgab ein vergoldeter Zierrahmen, und Spiegel und Rahmen sah man ihr Alter an, das Partain auf mindestens zweihundert Jahre schätzte. Eine Tür gegenüber dem Spiegel führte vermutlich zu einem Garderobenschrank. Der Dielenboden war bedeckt von großen schwarzen und weißen Vierecken; seine Lederabsätze teilten ihm mit, daß es sich um Marmor handelte.
Noch ein paar Schritte, und er stand in einem riesigen Wohnraum, der einen Steinway-Stutzflügel aufzuweisen hatte und eine richtige Bar mit vielen Flaschen und sechs Hockern, die bequem aussahen. Es gab mehr als genug Sofas und Sessel, einige mit Leder, einige mit Stoff bezogen. Es gab auch reichlich, vielleicht sogar zu viele Tische und Lampen. Der Boden, Eichenparkett, war teilweise verborgen unter ältlichen Teppichen, gewoben in Ländern, die damals Persien und Mesopotamien geheißen hatten. An den Wänden hingen einige große Bilder, lauter gegenständliche Ölgemälde von Malern, deren Namen Partain, wie er fand, kennen müßte, die ihm aber nicht einfielen.
Jenseits von alldem war die Wand aus Glas mit Blick nach Westen auf die Lichter von Westwood, Brentwood und Santa Monica und dahinter auf die Schwärze des Ozeans. Partain befand, es sei ein Raum, in dem man für $ 1000 ein Glas Wein, ein oder zwei Garnelen und die Gelegenheit kriegen konnte, mit jemandem zu plaudern, der Bürgermeister, Kongreßabgeordneter, Senator, Gouverneur werden wollte – vielleicht sogar Präsident.
Partain, der seit 1972 bei keiner Präsidentschaftswahl die Briefwahl versäumt hatte, fragte sich eben, ob er je wieder wählen würde, als die Frauenstimme hinter ihm sagte: »Keine Bewegung, sonst schieße ich.«
Partain ignorierte die Drohung und wirbelte gegen den Uhrzeigersinn herum, den rechten Arm ausgestreckt, um der alten Kaffernbüffeltasche mehr Wucht zu geben. Er ließ los und sah, wie sie den Bauch der Frau rammte. Nach einem explosiven Uff taumelte sie rückwärts in einen Sessel, hielt sich dabei irgendwie an der Tasche fest.
Nach sechs oder sieben tiefen Atemzügen, wobei sie ihn die ganze Zeit angestarrt hatte, grinste sie und sagte: »Ich hätte Sie erschossen, wenn ich eine Waffe gehabt hätte.«
»So blöd sehen Sie nicht aus.«
Sie ignorierte ihn, nahm die Tasche vom Schoß, ächzte über das Gewicht und ließ sie mit einem Klank auf den Boden plumpsen. »Jesses, was ist denn da drin – das Einbruchswerkzeug?«
»Vor allem Bücher und Whiskey.«
»Sie sind nicht der Einbrecher vom Dienst?«
»Nein. Sie?«
»Ich bin Jessica Carver.«
»Die frühere Jessica Altford.«
»Falsch. Ich war von Anfang an Jessica Carver, auch wenn ich ihr ähnlich sehe. Meiner Mutter.«
»Sie haben Glück, daß Sie ihr ähnlich sehen.«
»Hab ich das?« sagte sie, stand auf und ging hinter die Bar, mixte für Partain Bourbon und Wasser, wie erbeten, und goß sich ein Glas Wein ein.
Partain saß inzwischen auf einem der Schemel. Er nippte an seinem Drink und sagte dann: »Ihre Mutter hat nicht angerufen und gesagt, daß ich unterwegs bin?«
»Warum sollte sie? Sie weiß nicht mal, daß ich hier bin.« »Da Sie Jessica Carver sind, wer ist Mr. Carver?«
»Mein Dad. Dr. Eldon Carver. Er ist neunundsechzig gestorben.«
»Woran?«
»Schmerzen und eine Überdosis Morphium, sorgsam selbst verabreicht. Er hatte Bauchspeicheldrüsenkrebs, inoperabel, und wollte nicht mehr. Hat ihm keiner übelgenommen, sicher nicht Millie oder ich. Er war ihr zweiter Mann.«
»Und der erste?«
»Wieso?«
»Ich weiß gern was über Leute, für die ich arbeite.«
»Also, ihr erster war Harry Montague. Sie haben anno siebenundfünfzig geheiratet und in Dallas gelebt, bis zu einem Sonntagnachmittag anno neunundfünfzig, als Harry mit seiner alten zweimotorigen Stinson aufgestiegen ist, ein paar Rollen gemacht und dann einen Aufwärts-Looping versucht hat, der nicht ganz hinkam. Ein Jahr später hat Millie meinen Vater geheiratet, und ich bin im Februar einundsechzig angekommen; das macht mich fast zweiunddreißig, falls Sie Ihren Taschenrechner nicht dabeihaben.«
»Dann kam Mr. Altford, ja?« sagte Partain. Sie nickte und nippte wieder an ihrem Wein. »Was war er?«
»Schleim.«
»Irgendeine besondere Art davon?«
»Die Allzwecksorte. Lawrence Demming Altford ist sexy, gerissen und sehr reich. Außerdem engagierter Lügner, Sau und erstklassiger Paranoiker. Es hat drei Jahre gedauert, bis Millie aufgegeben hat und sich scheiden ließ. Aber als sie weder Besitzaufteilung noch Alimente verlangte, hat er Privatdetektive auf sie gehetzt, um rauszukriegen, was sie wirklich vorhatte.«
»Warum hat sie seinen Namen behalten?«
Jessica Carver zuckte mit den Schultern. »Keine Lust, den schon wieder zu ändern, nehm ich an. Vielleicht hat sie auch gemeint, ›Millicent Altford‹ klingt irgendwie schick.« Sie nippte an ihrem Wein und fragte: »Was haben Sie gesagt, wie Sie heißen?«
»Hab ich nicht. Aber ich heiße Edd Partain.«
»Wie schreibt man das?«
»Edd-mit-zwei-ds P-a-r-t-a-i-n.«
»Wenn ich jetzt Millie anrufe und sie frage, ob sie je was von einem Edd-mit-zwei-ds Partain gehört hat?«
»Sollten Sie wohl besser.«
Sie stellte das Weinglas hin, nahm das Telefon unter der Bar heraus, tippte 411, fragte nach der Nummer der Klinik, wählte sie und verlangte Millicent Altfords Zimmer. Als sich dort jemand meldete, fragte sie: »Hast du je von einem Edd Partain gehört, Ma?«
Sie lauschte an die zwanzig Sekunden, starrte dabei Partain an, als ob er ein Neueinkauf wäre, den sie vielleicht zurückgeben würde. »Also, der hier ist vierzig oder einundvierzig, ungefähr einsfünfundachtzig, vielleicht siebenundsiebzig Kilo und trägt einen alten blauen Anzug, weißes Hemd, blau-rot gestreiften Schlips, der viel zu schmal ist, und schwarze Halbschuhe mit echten Schnürsenkeln.«
Sie lauschte wieder, sagte dann: »Die Haare sind echtes Schwarz mit kleinen grauen Einschüssen drin. Die Augen ganz komisch graugrün. Richtig weiße Zähne. Das Kinn ist okay, aber eben bloß ein Kinn. Und er ist schnell, so wie ne Katze schnell ist.«
Wieder lauschte sie einige Momente, sah Partain an und sagte mit Akzent auf Spanisch: »Meine Mutter wüßte gern, ob Sie bereit sind, die Wohnung, wenn nicht das Bett, mit ihrer Tochter zu teilen?«
Partain erwiderte auf Spanisch: »Jedes Arrangement, das ihr gefällt, ist mir ein Vergnügen.«
»Notfalls macht er beides, Millie«, sagte Jessica Carver, hörte dann wieder zu und antwortete: »Jesses, weiß ich nicht. Bis ich Arbeit finde – wie immer.« Sie lauschte noch ein paar Sekunden, sagte: »In Ordnung«, legte den Hörer auf und stellte das Telefon weg.
Sie wandte sich an Partain. »Können Sie kochen?« »Natürlich. Sie?«
»Nein. Also zeig ich Ihnen zuerst Ihr Zimmer, dann können Sie mir Ihre Rühreier zeigen.«
Das Apartment hatte drei Schlafzimmer – ein riesiges und zwei normale. Partain sagte, das normale mit Blick auf Wilshire sei ausreichend. Weil es eigentlich nichts auszupacken gab, stellte er die alte Reisetasche aufs Bett und sagte Jessica Carver, ihre Rühreier wären in fünfundzwanzig oder dreißig Minuten fertig.
»Warum dauert’s so lange?«
»Sie wollen doch bestimmt weiche Brötchen, oder?« sagte Partain.
Partain servierte alles zusammen – Rühreier, heiße Biskuit-Brötchen, doppeldicken, extramageren Speck und die zerschnittenen Tomaten, die kleine Goldaufkleber getragen hatten mit der Behauptung, sie seien organisch gezüchtet.
Sie aßen in einer Küche, die zwar nicht groß war, aber in der buchstäblich alle Apparate standen, die ein kleines feines Restaurant brauchen würde. Sie aßen an einem alten Holztisch, Veteran von mindestens 25 000 Frühstücken, nachgewiesen durch Flecken, Narben und bröckelnde gelbe Farbe. Sie aßen größtenteils stumm, bis Jessica Carver die letzte Scheibe Bacon nahm, die sie möglicherweise als Dessert aufgehoben hatte, sie aß und sagte: »Millie hat schon als Kind an dem Tisch gefrühstückt und mit sechzehn oder siebzehn beschlossen, den Rest ihres Lebens weiter daran zu frühstücken. Ma kann ganz schön schräg sein.«
»Sie ist in Bonham geboren, stimmt’s?«
»Hat sie Ihnen das erzählt?«
»Nein.«
»Wie können Sie das dann wissen?«
»Genauso, wie ich wetten würde, daß sie mit acht oder neun nach Dallas gezogen ist.«
»Na ja, das könnten Sie geraten haben; von dem, was ich über Harry und seine Stinson gesagt hab.«
»Ich bin bloß gut bei amerikanischen Akzenten«, sagte Partain. »Der von Ihrer Mutter kommt und geht inzwischen, ist aber hübsch. Wenn man den Red River weiter nach Osten geht, klingt dagegen bald alles wie Perot.«
»Das kann zu Nervenschäden führen.« Carver musterte ihn einige Momente neugierig, fragte dann: »Sie reisen viel? Studieren Sie deshalb Akzente?«
»Ich war lange bei der Army, und das war ein Hobby.« »Wie lange?«
»Neunzehn Jahre.«
»Als was sind Sie ausgeschieden?«
»Major.«
»West Point? Offiziersschule? Nationalgarde? Trainingscorps der Reserve?«
Partain schüttelte den Kopf. »Ich war in Vietnam bei einer Fernaufklärungseinheit, die ausradiert worden ist, bis auf mich und zwei andere – beides Kurzzeitleute. Die Army hat einen Anfall von Panik gekriegt und gemeint, sie brauchten dringend einen erfahrenen Second Lieutenant, um den Zug wieder aufzubauen – bloß gab’s keine erfahrenen Second Lieutenants. Die gibt’s ja nie. Deshalb haben sie mich über Nacht dazu befördert.«
»Wo haben Sie Ihr feines Spanisch gelernt?«
»Von meiner Mutter. Woher stammt Ihr Mexikanisch?«
»Größtenteils von einem Arschloch, mit dem ich ein Jahr in Guadalajara gelebt hab.«
»War aber kein mexikanisches Arschloch.«
»Schlimmer«, sagte sie. »Ein amerikanisches.«