Über 30 Jahre ist es nun her, dass dieses Buch 1987 zum ersten Mal erschien. „KulturSchock Indien“ war der erste Band der mittlerweile sehr erfolgreichen KulturSchock-Reihe des REISE KNOW-HOW Verlages, die 2010 auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin mit dem Preis „Besondere Reiseführer-Reihe“ ausgezeichnet wurde.
Indien ist alles andere als ein leichtes Reiseland. Diese Tatsache erklärt auch den Erfolg des vorliegenden Buches: Kaum irgendwo anders ist der Kulturschock größer, kaum irgendwo anders werden die Nerven der Besucher auf eine solch schwere Probe gestellt und kaum irgendwo anders ist man auf so viel Hilfestellung – in Form von Informationen und Vorwissen – angewiesen wie in Indien.
Am Ende der Reise ist Indien für viele ein Traumland, in das sie immer wieder gerne zurückkehren. Für andere kann es zum Albtraum werden. Schon unsere Vorfahren, die als erste Weiße Indien betraten, waren entsetzt über die „Fremdartigkeit“ und die in westlichen Augen bizarren Rituale und Glaubensvorstellungen der Inder. Nur wenige Reisende der Vortourismuszeit wagten es, sich ernsthaft mit den Vorstellungen der Einheimischen auseinanderzusetzen. Diejenigen, die es taten und sich gar indische Lebensgewohnheiten aneigneten, setzten sich dem Spott ihrer Landsleute aus. „Gone native“ nannten die Engländer diesen unerwünschten Zustand der Integration, „zum Eingeborenen geworden“. Eine meiner Lieblingsfiguren ist Generalmajor Charles Stuart (ca. 1758–1828). Als „Hindoo Stuart“ ging er in die britische Kolonialgeschichte ein. Er hatte sich kopfüber in die ihm anfänglich fremde Kultur gestürzt, jeden Morgen im Ganges ein Bad genommen und Hindu-Rituale vollzogen. Heute liegt er in einem „kleinen Mausoleum“ auf dem South Park Street Cemetary in Kolkata (Kalkutta) begraben (ein faszinierender Ort, den man bei einem Besuch nicht auslassen sollte). In der Tat gab es in der Geschichte zahlreiche Ausländer, die indische Sitten und Gewohnheiten annahmen und quasi zu Indern wurden – darunter waren Abenteurer, Söldner, Schurken, Ärzte und Forscher.
Während manche Reisende den Kulturschock und eine oft irrationale, sehr emotionalen Ablehnung des Fremden erleben, neigen andere zu einer ebenso irrationalen Romantisierung des Gastlandes. In diesem Buch wird versucht, ein für den Reisenden realistisches Bild Indiens zu präsentieren, sodass der Reisende auf möglichst viele Situationen vorbereitet sein möge. Indien ist ein extrem vielschichtiges und oft widersprüchliches Land, das beileibe nicht leicht zu „erklären“ ist. Verhaltensweisen, die in relativ modernen Städten wie Delhi oder Mumbai als akzeptiert und „normal“ gelten, würden in einem abgelegenen Dorf vielleicht einen Schock oder gewalttätige Proteste auslösen. Indien ist – auch wenn es nach einer Floskel klingt – ein Land der Gegensätze. Es ist keine leichte Aufgabe, den westlichen Reisenden auf 1,35 Milliarden Inder vorzubereiten, die unterschiedlichen Religionen und lokalen Sitten folgen, sich in Tausende von Kasten aufteilen und in Hunderten von Sprachen kommunizieren. Nicht einmal ihre Essgewohnheiten kann man unter einen Hut bringen. In vielen Fällen müssen wir uns daher mit einer Art „Durchschnittsinder“ behelfen, auf den viele „typisch indische“ Eigenschaften zutreffen.
Einigen Kapiteln dieses Buches wurde ein Zitat vorangestellt, das ich einem frühen „Vorläufer“ der KulturSchock-Bände aus dem 19. Jahrhundert entnommen habe: „Hindu Manners, Customs and Ceremonies“ von dem ehrenwerten Abbé (Abt) J. A. Dubois beruht auf 31 Jahren Indienerfahrung (1792–1823) und beschreibt das zeitgenössische Leben der Inder sowie ihre Gebräuche. Nicht selten zeigt Dubois, dass er selbst einem erheblichen Kulturschock erlegen war. Als Darstellung indischen Lebens des 19. Jahrhunderts aber ist sein Buch ein Klassiker. Einige der vorangestellten Zitate aus Dubois’ Buch haben bis heute ihre Gültigkeit, andere sind antiquiert und erscheinen kurios. Manche Leser haben die Zitate als meine eigene Meinung missverstanden. Dem ist nicht so, sie stellen lediglich Abbé Dubois als Opfer des Kulturschocks dar. (Unter dem Titel „Leben und Riten der Inder – Kastenwesen und Hinduglaube in Südindien um 1800“ ist Dubois’ Buch im REISE KNOW-HOW Verlag erschienen.)
Der hier vorliegende Band soll helfen, den Kulturschock des Reisenden abzumildern oder ihn im Idealfall gänzlich zu vermeiden. Eine goldene Überlebensregel für den Aufenthalt in Indien möchte ich gleich voranstellen. Es handelt sich um eine mentale Einstellung, die man sich zulegen sollte: Indien ist ein Land, das einem extreme Erfahrungen bescheren kann, gute wie weniger gute. Ein ständiges Wechselbad der Gefühle gehört zu Indien wie die Gezeiten zur Bucht von Bengalen. Es gilt, ein wenig yogihaften Gleichmut zu kultivieren, sich von den guten Erlebnissen nicht zur Euphorie verleiten zu lassen und sich von den negativen Begebenheiten nicht herunterziehen zu lassen!
Um diesen Gleichmut zu bewahren, hilft Verständnis: Im öffentlichen Leben können Inder westliche Reisende zur Weißglut bringen, oft wird man grob und rüpelhaft behandelt. Auf der anderen Seite zeigen Inder im Privaten allerhöchste Gastfreundschaft, Güte und Herzlichkeit und oft findet man Freunde fürs Leben. Im öffentlichen Leben muss um alles gekämpft werden, denn die Ressourcen sind begrenzt und die 1,35 Milliarden Menschen wollen überleben. Privat aber, losgelöst vom Alltagskampf, sind Inder oft die liebenswürdigsten Menschen, die man sich wünschen kann.
In diesem Sinne: gute Reise und viele wunderbare Erlebnisse in Indien!
Rainer Krack
Vorwort
Verhaltenstipps von A bis Z
Religion und Weltsicht
Der Hinduismus: Das Leben ist Religion
Der Aberglaube: die Kehrseite der Religion
Die Kasten: Hierarchie durch Geburt?
Familie und Gesellschaft
Die Großfamilie: der Zentralpunkt des Lebens
Heirat und Ehe: der wichtigste Schritt
Pssst, Sex: das große Tabu und die Folgen
Kinder, Kinder: die Überbevölkerung
Die Frau: Göttin oder Dienerin?
Paisa: der Inder und das Geld
Die Politik: Indiens Leid und Leidenschaft
Stadt und Land: zwei Welten
Xenophobie: die Angst des Inders vorm fremden Mann
Reisealltag
Auf der Straße: „What’s your name?“
Missverständnisse: die Wurzeln des Konflikts
Bettler, Schnorrer und Ganoven: „Ten Rupees, please!“
Die Unsensibilität des Gastes: Was tun? Was nicht?
Die indische Hygiene: der wunde Punkt?
Korruption und Bürokratie: eine Bruderschaft der Mogelei?
Guru-Shopping: die Suche nach dem Meister
Indian Standard Time: Die Uhren gehen anders
Unterwegs mit Bus, Bahn und Flugzeug
Zu Gast: „Iss, trink, hab’ Spaß!“
Respekt: das Schlüsselwort für den täglichen Umgang
Freundschaften: East meets West
Auf dem Basar: Handeln und Feilschen
Regen ohne Ende: der Monsun
Glanz und Elend der „Gottesdienerinnen“: das Yellamma-Fest in Saundatti
Anhang
Die indische Presse: Quelle der Information
Nützliche Internetseiten
Lesetipps
Glossar
Register
Übersichtskarte Nordindien
Übersichtskarte Südindien
Der Autor
Extrainfos im Buch
ergänzen den Text um anschauliche Zusatzmaterialien, die vom Autor aus der Fülle der Internet-Quellen ausgewählt wurden. Sie können bequem über unsere spezielle Internetseite www.reise-know-how.de/kulturschock/indien20 durch Eingabe der jeweiligen Extrainfo-Nummer (z. B „#1“) aufgerufen werden.
Voll im Trend: moderne Vornamen
Geist führt zum Tod einer ganzen Familie
Indische Hochzeitsannoncen
Homosexualität und Eunuchentum
„If her parents had not wanted a daughter“
Gechlechtsbestimmung: Soll’s was Süßes sein?
„Big Brother“ mit Shilpa Shetty: Eine Ohrfeige für Indien?
Sauberkeitswerbung auf indischen Banknoten
Die Herkunft des Wortes Shampoo
Gold, Adidas und Haarspray: seltsame Funde bei Sathya Sai Baba
Indien, Land der kochenden Männer
Aberglaube: Der Aberglaube ist unlösbar mit den „offiziellen“, religiösen Dogmen verschmolzen. Magie, Wunderglaube, Astrologie u. Ä. sind weit verbreitetet, nicht nur im Hinduismus, sondern auch im Islam und den meisten anderen Religionen Indiens (siehe auch das Kapitel „Der Aberglaube: die Kehrseite der Religion“ auf S. 44). In abgelegenen ländlichen Gebieten können die Auswüchse des Aberglaubens beinah mittelalterlich wirken. So ist es zum Beispiel nicht ungewöhnlich, wenn Menschen schwarze Magier anheuern, um Feinde zu verhexen; die „Verhexten“ wiederum benötigen okkulte Hilfe, um die Flüche von sich abzuwenden. Als Tourist halte man sich offen für alles und genieße das „Andere“ oder „Exotische“. Selbst in den großen Metropolen wird gehext, verflucht und exorziert. An der Dargah von Mira Datar im Stadtteil Darukhana in Mumbai (eine Dargah ist die Grabstätte eines muslimischen Heiligen) kann man beobachten, wie „Besessene“ versuchen, sich die Dämonen austreiben zu lassen.
Alkohol: Alkohol ist weitgehend verpönt und sein Konsum ist mit einem Hauch von Frevel oder Unsittlichkeit behaftet. Die meisten Inder sind lebenslange Abstinenzler. Aufgrund hoher Steuern, die von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich ausfallen, sind alkoholische Getränke, am Landesstandard gemessen, relativ teuer, vor allem in Restaurants oder Bars. Die Bundesstaaten Bihar, Gujarat, Mizoram, Nagaland und die Inselgruppe der Lakkadiven sind sogar gänzlich „trocken“, Alkohol gibt es hier nur auf dem Schwarzmarkt. Ausländer können sich eine spezielle Gehnemigung (liqour permit) austellen lassen. Erhältlich sind sie z. B. in den Büros der Tourimusbehörde oder in Spirituosenläden in gehobenen Hotels (s. S. 147).
Auch in anderen Bundesstaaten gelten zahlreiche Feiertage als sogenannte „dry days“, an denen kein Alkohol verkauft werden darf. Diese alkoholfreien Tage können von Bundesstaat zu Bundesstaat variieren. Alkohol in der Öffentlichkeit zu trinken, also auf der Straße, im Park o. Ä., ist ein Affront.
Anrede: Bei Frauen ist die Anrede „Mrs.“ (gefolgt vom Familiennamen), bzw. „Madam“ (ohne Familienname) angebracht, bei Männern entsprechend „Mr.“ bzw. „Sir“. Die korrekten Formen der Anrede in den jeweiligen indischen Sprachen werden in den Kauderwelsch-Sprachführern (z. B. Hindi, Urdu, Tamil, Gujarati, Bengali, Marathi u. a.) des gleichen Verlages ausführlich dargestellt.
Ansprechen: Inder sprechen Ausländer nur allzu gerne an, auf der Straße oder sonstwo: „What is your name?“, „Where do you come from?“ o. Ä. Man ist neugierig und möchte einen kleinen Schwatz halten. Anstatt genervt zu reagieren, sollten Besucher des Landes sich freuen, dass sie so willkommen sind und nicht – wie oft in der Heimat – auf Gleichgültigkeit und Unfreundlichkeit stoßen.
Armut und Bettelei: Die häufig anzutreffende Armut kann einen Europäer schockieren und deprimieren. Das häufige und hartnäckige Auftreten von Bettlern kann anstrengen und irritieren. Manchen Reisenden plagt ein schlechtes Gewissen, weil es ihm selbst so viel besser geht. Unter den Bettlern gibt es allerdings Profis, die durch Betteln mehr verdienen, als sie durch Arbeit einnehmen würden. Oft sind es Sadhus („heilige“ Männer), Fakire (eine Art muslimisches Pendant zu den Sadhus), Hijras (Eunuchen oder angebliche Eunuchen) oder andere „exzentrische“ Zeitgenossen. Dabei bedienen sie sich oft sogar einschüchternden Gebarens. Show gehört ebenso zum Geschäft, davon sollte man sich nicht allzu sehr beeindrucken lassen. Wer etwas geben will, sollte dies bei Personen tun, die offensichtlich arbeitsunfähig sind (Krüppel, Greise etc.). Frauen, die mit Kind auf dem Arm betteln, um damit Mitleid zu erheischen, sind Profis!
Baden/Nacktbaden: Indische Frauen, sofern sie sich an einen Strand begeben, baden in voller Montur – d. h. Sari oder Salwar-Kamiz (eine luftige, bequeme Kombination aus weitem Hemd und Hose). Männer gehen in Badehose oder ebenfalls beinahe voll bekleidet ins Wasser. Nacktbaden ist nirgendwo üblich und auch nicht gestattet. Ausländer, die es (aus Unwissenheit oder wider besseres Wissen) dennoch wagen, lösen damit Entrüstung aus, möglicherweise gefolgt von aggressivem Verhalten oder (bei Frauen) auch Anmache, die bis zu Handgreiflichkeiten gehen kann. Danach drohen zudem juristische Konsequenzen.
Begrüßung/Verabschiedung: Sofern man nicht ein paar Brocken der lokalen Sprache(n) gelernt hat, kann man sich mit den bekannten englischen Begrüßungs- oder Abschiedsfloskeln behelfen.
Die traditionelle, formelle hinduistische Begrüßungs- oder Verabschiedungsgeste sind zwei vor der Brust zusammengelegte Handflächen. Im Norden sagt man dazu namasté oder namaskar, im Süden je nach Regionalsprache andere Grußformeln. An heiligen Pilgerorten sind oft Grußformeln üblich, die einen Bezug zum Ort oder der dort besonders verehrten Gottheit haben. So sagt man z. B. in den Orten Omkareshwar und Maheshwar am heiligen Narmada-Fluss narmade haré, was eine Ehrerbietung an den Fluss darstellt. Der Narmada ist einer der sieben (besonders) heiligen Flüsse. In Orten, die aufgrund der hinduistischen Mythologie mit dem Gott Krishna verknüpft sind, begrüßt man sich möglicherweise mit jay shri krishna („Sieg sei dem edlen Krishna“).
Moslems begrüßen sich untereinander mit salaam aleikum. Der Handschlag ist nur bei einigen westlich orientierten Indern üblich, wird aber manchmal auch von anderen Personen angewandt, um dem Reisenden kulturell entgegenzukommen.
Ausführlichere Erläuterungen der Begrüßungs- und Verabschiedungsformeln in den verschiedenen Sprachen Indiens finden sich in den jeweiligen Kauderwelsch-Sprachführern desselben Verlages.
Behördengänge und Bürokratie: Die indische Bürokratie kann ein nervenaufreibender Irrgarten sein und arbeitet im Schneckentempo. Deshalb ist bei Behördengängen grundsätzlich reichlich Geduld mitzubringen. Man kleide sich ordentlich und verhalte sich höflich – auch wenn man zum x-ten Male von A nach B geschickt wird. Irgendwann – am Ende meist doch schneller als befürchtet– ist das Martyrium vorüber.
Berührungen/Körperkontakt: In der indischen Öffentlichkeit herrscht oft ein reges Treiben. In den großen Städten quellen die Bürgersteige vor Menschen förmlich über, teilweise laufen die Menschen sogar mitten auf der Straße und es fühlt sich sehr beengt an. Als Folge der überfüllten Straßen, Märkte etc. werden Rempeleien oder unbeabsichtigtes Zusammenprallen, vor allem unter Männern, als völlig normal betrachtet. Wenn der Zusammenstoß zweier Körper nicht allzu heftig erfolgt, wird sich niemand darüber aufregen. Man läuft, stößt jemanden an (oder war er es, der angestoßen hat?) und geht wortlos weiter. Manchmal wird man auch einfach unsanft zur Seite geschubst, so als wäre man eine Kuh, die lästig im Wege steht. Wie eine Kuh sollte man auch reagieren – tolerant, „unberührt“, und ohne sich persönlich beleidigt zu fühlen. Das „Herumgeschubse“ ist weder als bewusste Missachtung, Respektlosigkeit oder gar Aggression aufzufassen, sondern ganz normaler, wenn auch gewöhnungsbedürftiger Alltag vor Ort (s. S. 149).
Bestechung/Schmiergelder: Korruption ist ein immenses Problem, allerdings sind Ausländer davon i. d. R. nicht betroffen (s. auch das Kapitel „Korruption und Bürokratie: Eine Bruderschaft der Mogelei?“ S. 160). Der Reisende wird nur in Ausnahmefällen mit Schmiergeldforderungen konfrontiert werden, wenn überhaupt. Die Bestechung von Beamten ist selbstverständlich illegal und wer sich darauf einlässt, sollte genau wissen, was er/sie tut. Man begibt sich auf einen unrechten Pfad, von dem man nicht weiß, wo er hinführt. Theoretisch könnte ein Bestechungsversuch mit Gefängnis bestraft werden.
Blickkontakt: Das intensive Beobachten oder Anstarren von Personen hat keine unterschwellige aggressive Bedeutung. Inder starren gerne und man kann es ihnen gleichtun. Frauen sollten unnötigen Blickkontakt zu fremden Männern allerdings meiden, er könnte als Interesse und eine Art „Einladung“ aufgefasst werden.
Blumen: Blumen finden bei hinduistischen Gebetsritualen Verwendung, vor allem die gelben und orangefarbenen Ringelblumen. Blumengirlanden schmücken Götterbilder und -statuen ebenso wie die Bilder verstorbener Verwandter. Das Schenken von Blumensträußen (wie im europäischen Kulturkreis verbreitet) ist dagegen nicht üblich, außer bei einigen Anlässen in modernen, urbanen Kreisen, z. B. zum Valentinstag. Speziell der Valentinstag ist aber auch von einigen fundamentalistisch-hinduistischen Gruppierungen als „unindisch“ verpönt.
Drängeln: Inder drängeln in Warteschlangen gerne, es kann ihnen gar nicht schnell genug gehen. Drängelt sich jemand vor, kann man ihn ruhig darauf aufmerksam machen und ihn zurück auf seine Position bitten. Die meisten Drängler werden schuldbewusst Folge leisten. Andererseits kann man selber auch drängeln und kaum jemand wird es einem übel nehmen. Oft werden Ausländer aus Höflichkeit und Gastfreundschaft vorgelassen (siehe auch das Kapitel „Geduld contra Ungelduld“ auf S. 150).
Drogen: Von Drogenkauf oder -konsum ist dringend abzuraten. In indischen Gefängnissen herrschen oft mittelalterliche Zustände und die Mühlen der Justiz mahlen sehr langsam. Bei den Sadhus, hinduistischen Asketen, gehört der Haschischkonsum zwar zum religiösen Ritual und wird geduldet, Ausländer können sich aber nicht darauf berufen.
Einladungen/Gastgeschenke: Inder laden Ausländer gerne zu sich nach Hause ein, und das Zusammensein wird meist ganz informell betrachtet. Es geht weniger steif zu als bei Treffen von sich relativ fremden Menschen im Westen (s. auch das Kapitel „Zu Gast: ‚Iss, trink, hab’ Spaß‘“ S. 182). Aus Höflichkeit sollte die Kleidung nicht zu schludrig oder gar schmutzig sein. Gastgeschenke werden nicht unbedingt erwartet, sind aber auch nicht fehl am Platze. Am üblichsten sind Süßigkeiten, die die meisten Inder mit Heißhunger verschlingen. Besonders beliebt sind Süßigkeiten aus dem Westen (Schokolade, Pralinen o. Ä.), die in Indien nicht erhältlich oder sehr teuer sind.
Ess- und Trinksitten: Die meisten Inder sind sehr ungezwungene Esser. Schmatzen oder Rülpsen gehört mit zum Genuss. Mit Ausnahme des Tabus bezüglich der linken Hand (siehe „Hand, unreine“ auf S. 20) braucht man sich über die Etikette keine großen Sorgen zu machen.
Feiern: Der indische Kalender ist gespickt mit Feiertagen und Festlichkeiten. Ausländer werden gerne eingeladen und sind willkommen, an (öffentlichen) Festen teilzunehmen. Es kann vorkommen, dass man direkt von der Straße in eine Hochzeitsgesellschaft eingeladen wird. Gegenleistungen werden in der Regel nicht erwartet. Bei Hochzeiten von Bekannten übergibt man üblicherweise einen Briefumschlag mit Geld. Traditionell sollte die enthaltene Summe immer auf 1 enden – also 501 Rupien, 1001 Rupien etc. Eine runde Summe gilt als unglückverheißend oder unpassend. (1-Rupien-Münzen oder -Scheine sind heute zwar fast wertlos, aber noch in Umlauf – beinahe nur aus nostalgischen Gründen. Die Scheine wurden sogar kürzlich neu aufgelegt, sind aber dennoch sehr selten. Wahrscheinlich muss man sich sein Exemplar bei einer Bank besorgen.) Die Summe der Hochzeitsgabe richtet sich nach dem sozialen Stand der Heiratenden bzw. dem Aufwand für die Hochzeit. Am unteren Ende der Gesellschaft sind ein paar Hunderter – diskret in einem Briefumschlag verpackt – ausreichend. In der oberen Gesellschaft werden daraus ein paar Tausender; Familienangehörige geben oft sogar sehr große Summen. Hochzeitsfeiern in der Oberschicht verschlingen oft viele Millionen von Rupien. Vielleicht sollte man einmal die Kosten der Hochzeit zu schätzen versuchen und diese Summe durch die Zahl der Gäste teilen.
Fotografieren: An Bahnhöfen ist das Fotografieren offiziell verboten, auch in vielen Tempeln, Museen oder anderen Anlagen. Man beachte eventuelle Verbotsschilder. Da heute aber etwa zwei Drittel aller Inder ein Smartphone besitzen und die meisten von ihnen sehr fotografierfreudig sind, werden die Verbote oft missachtet. Die meisten Inder lassen sich auch nur allzu gerne fotografieren und bitten den Reisenden oft sogar: „One photo, please!“ Generell sollte man aus Höflichkeit um Fotografiererlaubnis bitten (s. S. 143).
Gastfreundschaft: Hier brillieren die Inder – es gibt wohl kaum ein Volk, das Gäste so herzlich und freundlich aufnimmt wie sie. Man wird häufig eingeladen, von den Ärmsten des Landes bis zu den Reichsten. Für Einladungen darf man ruhig offen sein, in den allermeisten Fällen sind sie gut gemeint. Oft ergeben sich andauernde Freundschaften daraus. Etwas Vorsicht ist allerdings alleinreisenden Frauen anzuraten, was natürlich nicht nur für Indien gilt. In diesem Falle kommt es darauf an, die Situation und die Einladenden kritisch einzuschätzen. Einladungen von Familien dürften problemlos sein.
Wer sich länger im Lande aufhält und viele Jahre dort verbringt, wird von der indischen Gesellschaft quasi aufgesogen, absorbiert – man wird zu einem Teil des gesamtindischen bunten Menschenmosaiks. Voraussetzung ist natürlich, dass man offen dafür ist und sich nicht permanent als etwas Besseres fühlt und aneckt. Kaum eine Gesellschaft ist aufnahmebereiter Fremden gegenüber als die indische.
Geduld: Vieles in Indien läuft etwas langsamer als bei uns, viele Aktionen sind komplizierter (z. B. auf Ämtern), und Züge oder Busse kommen auch nicht immer pünktlich. Viel Geduld sollte im Gepäck mit dabei sein.
Gesprächsthemen, kritische: Religion ist ein heikles Thema, das so manchen Unmut heraufbeschwören kann. Kritische Kommentare zur Religionsauffassung sollte man sich besser sparen. Religiöse Toleranz wird in der Regel sehr groß geschrieben, und ohne diese hätte sich das Vielreligionenland Indien wahrscheinlich schon längst zerfleischt. Besonders Hindus sind beispielhaft tolerant in Glaubensangelegenheiten. Christen sind gut angesehen, zumindest so lange sie nicht missionieren und Hindus zu „bekehren“ trachten. Unter Moslems sind Christen oft sogar höher angesehen als die Hindus, die hinter vorgehaltener Hand gelegentlich als Götzen- oder Kuhanbeter verunglimpft werden. Wer sich als Atheist outet, wird zwar eine Menge Verwunderung oder Unverständnis ernten, aber keinerlei Zorn oder Aggression. So paradox es klingt, selbst der Atheismus hat im Hinduismus, der vielleicht umfassendsten, weitgefächertsten aller Religionen, seinen Platz.
Auch sollte man sich auf die Negativaspekte des Landes (Schmutz, Armut etc.) nicht allzu sehr einschießen. Auf Politiker und mit ihnen verbundene Korruption kann man schon eher schimpfen, da machen die meisten Inder gerne mit. Solange keine Überheblichkeit oder Besserwisserei im Spiel ist, kann man zum Thema Politik durchaus etwas beisteuern. Ähnlich ist es bei Themen wie Kastensystem, Stellung der Frau in der Gesellschaft o. Ä. Solange man ehrliches Interesse und den Willen zum Lernen zeigt, kann durchaus auch so manch heikles Thema angesprochen werden.
Hakenkreuz (Swastika): Das Hakenkreuz ist ein altes Glückssymbol des Hinduismus, Buddhismus und Jainismus, das oft an Tempeln, an Hauswänden, auf Lastwagen oder Kleidungsstücken zu sehen ist. Beim hinduistischen und jainistischen Hakenkreuz stehen die Haken am Ende des Kreuzes manchmal nach links ab, manchmal nach rechts; bei buddhistischen meist nach rechts. Das Hakenkreuz war in vielen alten Kulturen Asiens und auch Europas als Symbol verbreitet – möglicherweise am frühesten in Indien. Hakenkreuze in Indien stehen in keinerlei Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus.
Hand, unreine: Die linke Hand gilt als unrein, da damit als „unsauber“ empfundene Körperteile berührt werden und insbesondere die Reinigung nach dem Stuhlgang erfolgt. Essen wird in Indien immer nur mit der rechten Hand angefasst, was auch von Ausländern beherzigt werden sollte, wenn sie nicht unangenehm auffallen wollen.
Handeln/Feilschen: Auf Märkten und an Straßenständen sollte, nein muss gehandelt werden. Manchmal kann man den Preis auf die Hälfte der zuerst genannten Summe drücken; eine Faustregel gibt es aber nicht (s. auch das Kapitel „Auf dem Basar: Handeln und Feilschen“ S. 198). In vielen Geschäften oder Kaufhäusern westlicher Art sind die Waren mit Preisen ausgezeichnet und Handeln ist fehl am Platze. Viele Waren sind auf der Packung mit einem Stempelaufdruck versehen, der besagt „M.R.P. xxx Rs. including all local taxes“. M.R.P bedeutet „Maximum Retail Price“ (maximaler Endverkaufspreis). Der Aufdruck gibt somit an, zu welchem Preis die Ware inklusive aller örtlichen Steuern maximal verkauft werden darf.
Hitler: Der Diktator genießt in Indien einen legendären Ruf, die wenigsten Inder wissen, wie es unter seiner Herrschaft tatsächlich zuging. Hitler ist der bekannteste Deutsche in Indien und wird verehrt. Mit ihm verknüpft werden Begriffe wie „Arier“, „Hakenkreuz (Swastika)“, Ordnung, Disziplin und militärische Macht – Begriffe, die in Indien gut ankommen, einerseits, weil sie mit Indien in Verbindung gebracht werden, andererseits, weil sie nicht vorhanden, aber erwünscht sind. Sein tyrannischer Aspekt ist aber auch nicht unbekannt und so werden Menschen, die andere herumkommandieren oder niedermachen, oft als „Hitler“ tituliert. Auf dem indischen Fernsehsender Zee TV läuft seit Jahren die Seifenoper „Hitler Didi“, frei übersetzt „Die tyrannische Tante“.
Gegen die Hitler-Verehrung anzureden oder sich darüber aufzuregen ist ein sinnloses Unterfangen. Nur wenigen Gebildeten kann man verständlich machen, welch Unheil „Germany’s greatest man“ (so viele Inder) über Deutschland und die Welt gebracht hat.
Homosexualität: Nach langem juristischen Hin und Her hob das höchste indische Gericht im Jahr 2018 den Paragrafen 377 auf, der bis dahin homosexuelle Aktivität unter Strafe gestellt hatte. Heiraten können homosexuelle Paare allerdings nicht. Indiens LGBT-Gemeinde zeigt sich zunehmend selbstbewusst – zumindest in den großen Städten – und gelegentlich werden Schwulenparaden abgehalten. Dennoch sieht das Gros der Gesellschaft auf Homosexuelle herab und teilweise müssen sie mit Spott oder – je nach Bildungsgrad des Umfelds – gar mit Aggressionen rechnen. Es empfiehlt sich also nicht, sich als schwul oder lesbisch zu „outen“. Einer der prominentesten offen Homosexuellen Indiens ist Mahendra Singh Gohil, der Nachkomme des Maharaja von Rajpipla (Bundesstaat Gujarat). Sein Bekenntnis führte sowohl zu seiner Enterbung als auch zu einem Auftritt bei Oprah Winfrey.
Hygiene: Hier zeigt sich Indien von seiner schwächsten Seite. Die hygienischen Verhältnisse in der Öffentlichkeit lassen sehr zu wünschen übrig. Inder sind an den allgegenwärtigen Schmutz gewöhnt und scheinen ihn kaum wahrzunehmen. Mit der persönlichen körperlichen Hygiene nimmt man es weitaus genauer und zwei tägliche Duschen oder Bäder gehören zum Alltagsritual. Dem Reisenden wird nichts anderes übrig bleiben, als sich wohl oder übel an den Anblick von Müll und Schmutz zu gewöhnen (siehe das Kapitel „Die indische Hygiene: Der wunde Punkt?“ S. 151).
Kasten, die: Die hinduistische Gesellschaft ist in vier hierarchisch angeordnete Kasten unterteilt, unter denen noch die „Kastenlosen“ stehen, einst so etwas wie der Bodensatz der traditionellen (Kasten-)Gesellschaft. Offiziell hat die Kastenzugehörigkeit heute keine Bedeutung mehr – mit Ausnahme der staatlichen „Reservierungen“ (arakshan), d. h. Förderungsprogramme für die „Kastenlosen“, die im politisch korrekten Jargon dalit genannt werden, „Unterdrückte“. Da die „Kastenlosen“ jahrtausendelang unterdrückt wurden, gesteht man ihnen heute einige Privilegien zu, z. B. eine erleichterte Aufnahme in den Staatsdienst. Viele Stellen im öffentlichen Dienst sind – unabhängig vom Bildungsstand – für „Kastenlose“ reserviert. Das verärgert verständlicherweise zahlreiche besser Qualifizierte, die somit u. U. ohne Arbeit bleiben. Wenn auch nach dem Buchstaben des Gesetzes keine Diskriminierung herrscht, so sind im privaten Bereich Kastendünkel immer noch weit verbreitet. Geheiratet wird meist nur innerhalb der eigenen Kaste, wobei die „Unterkaste“ (gotra, eine weitere Unterteilung innerhalb der Kasten) aber eine andere zu sein hat. Personen derselben gotra gelten als „Verwandte“ und ihre Vermählung wäre unstatthaft. In größeren Städten und unter Gebildeten oder unabhängig Denkenden kommt es vermehrt zu Ehen über die Kastengrenzen hinweg. In konservativen Regionen aber kann eine solche Verbindung zu einem „Kastenkrieg“ oder Gewalt führen. Fragen nach der Kaste eines Gesprächspartners sollten nur gestellt werden, wenn deutlich wird, dass der Fragesteller sich intensiv mit dem Hinduismus befasst und nicht bloß von trivialem Interesse geleitet ist.
Kinder: Kinder sind das wichtigste Ziel einer Ehe und werden oft abgöttisch geliebt – Jungen allerdings mehr als Mädchen. Ehepaare, die bewusst kinderlos bleiben, gibt es praktisch nicht. Jungen sind besonders willkommen, da sie den Familiennamen weiterführen und im Alter als eine Art Rentensystem fungieren. Die Geburt eines Mädchens gilt als weniger erfreulich, weil für ihre Heirat eine hohe Mitgift aufgebracht werden muss. Lediglich in der Oberschicht oder in sehr gebildeten, modern eingestellten Familien wird die Geburt eines Mädchens gleichermaßen begrüßt wie die eines Jungen.
Kleidung: Aufgrund weitreichender Armut sind verständlicherweise nicht alle Inder adrett gekleidet. Ausländer, die sich nachlässig oder ungepflegt kleiden, verlieren einen Teil des Respekts, den man (weißen) Ausländern ansonsten generell entgegenbringt. Man ist dann nicht sonderlich gut angesehen, auch wenn sich die meisten Inder aus Höflichkeit nichts anmerken lassen. Ungeliebt sind Leute in schmuddeliger „Hippie-Aufmachung“, in zerfranster, abgerissener Kleidung, womöglich barfuß etc. Zwar gibt es Abermillionen Inder, die nicht gerade für eine Seifenreklame Modell stehen könnten, nur sind deren Lebensumstände auch nicht so behaglich. Man schaue sich um, wie sich „gute“ Mittelklasse-Inder/innen kleiden: sehr konservativ, alle relativ uniform. Nur nicht auffallen, lautet die Devise.
Westler mit Dreadlocks sind von den Indern schwer einzuordnen: Einerseits ähnelt ihr Haar dem der Sadhus, der hinduistischen Wanderheiligen, andererseits erinnert es aber auch an Hippies, und mit denen wird in Indien nicht „Love and Peace“ assoziiert, sondern Drogenkonsum und sexuelle Ausschweifung. Wer sich schlampig oder schrill kleidet, wird es generell etwas schwerer haben, von Indern nach Hause eingeladen zu werden. In „besseren“ Kreisen stehen die Chancen dabei wohl schlechter als in der Unterklasse, in den Städten schlechter als in den Dörfern. Die „einfachen“ Leute scheinen in dieser Beziehung am wenigsten voreingenommen. Ganz allgemein aber dürften Inder in dieser Beziehung toleranter und nachsichtiger sein als es ihre Zeitgenossen im Westen Indern gegenüber wären (s. S. 146).
Körpersprache: Inder haben eine expressive Gestik und Mimik, die anfangs sehr verwirrend sein kann. Am auffälligsten ist die Geste für „Ja“, die unserem „Nein“, ähnelt, ein seitwärts geneigtes Schlenkern, Wackeln oder Rollen des Kopfes. Sehr bildhaft ist die Geste für „pinkeln gehen“ beim Mann: Dazu spreizt „mann“ einfach den kleinen Finger von der Faust ab.
Kriminalität: Nach außen macht Indien einen sehr chaotischen Eindruck, was zu dem Gedanken verleitet, es sei ein sehr gefährliches Land. Das ist es nicht. Die Gefahr, einer Straftat zum Opfer zu fallen, ist nicht höher als in Europa, eher geringer. Hierbei reden wir natürlich vom Durchschnitt – in einem Land mit so großer kultureller und sozioökonomischer Diversität bestehen selbstverständlich auch in Sachen Kriminalität erhebliche regionale Unterschiede. Westliche Reisende genießen in der Regel großen Respekt und werden von Ganoven eher verschont als ihre eigenen Landsleute.
Kritik: Es gibt viel zu kritisieren an Indien, Inder tun dies andauernd. Anders wirkt es, wenn ein Ausländer sich negativ über das Land auslässt, das er nur besucht. Kritik sollte nur dann angebracht werden, wenn man das Gefühl hat, das Gegenüber ist verständig und aufgeschlossen genug, sachlich und höflich vorgebrachte Kritik zu verdauen – ansonsten hält man sich besser bedeckt. Der Reisende sollte seine Kritik zudem gründlich durchdenken, bevor er sie äußert. Nicht alles was uns „normal“ und „richtig“ erscheint, trifft in einem anderen kulturellen Kontext genauso zu (s. S. 145).
Kühe/Rindfleisch: Die Kuh ist das heilige Tier der Hindus (und der Jains) und wird oft mit einer allesgebenden, nährenden Mutter verglichen (s. S. 41). Mit dem Aufstieg der hinduistisch geprägten BJP (Bharatiya Janata Party, Indische Volkspartei) und anderer hinduistischer Gruppierungen ist das Schlachten von Kühen in den letzten Jahren in einer zunehmenden Zahl von Bundesstaaten verboten worden. Wer dort „beef“ ordert, bekommt Büffelfleisch. Rindfleisch ist nur auf illegalem Weg erhältlich. In den letzten Jahren sind einige Moslems, die mit Rindfleisch bzw. mutmaßlichem Rindfleisch ertappt wurden, von aufgebrachten Hindus gelyncht worden.
Erlaubt ist das Schlachten von Kühen derzeit nur in den Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Assam, Goa, Karnataka, Kerala, Meghalaya, Mizoram, Nagaland, Telangana und Tripura.
Lärm: Irritierend auf Ausländer wirkt häufig Lärm an Orten, wo sich Gäste nach westlicher Auffassung eigentlich rücksichtsvoll verhalten sollten z. B in Hotels, Restaurants etc. Indische Kinder kennen in der Regel keine Ermahnungen, ruhig zu sein, um andere Leute nicht zu stören. Besonders laut sind indische Reisegruppen oder reisende Großfamilien in Hotels. Man ruft oder brüllt hemmungslos durch die Korridore oder unterhält sich lautstark aus mehreren Zimmern heraus durch die geöffneten Türen. Als Hotelgast wird man vielleicht gelegentlich das Zimmer wechseln müssen. Am ruhigsten geht es oft in Hotels zu, in denen besser situierte Geschäftsleute übernachten.
Leichenverbrennungen/Totenrituale: Hindus verbrennen ihre Toten. Ausnahmen bestehen bei kleinen Kindern und Sadhus oder anderen „heiligen“ Männern, die beerdigt werden. Die Totenrituale gehen meist mit relativ wenig Zeremoniell und großer Gefasstheit der Angehörigen vonstatten. Der Tod wird generell weniger verdrängt als im Westen, er wird als unabänderliches Ende des Lebenszyklus akzeptiert. Der hinduistische Glaube an die Wiedergeburt bzw. der muslimische Glaube an einen gerechten Allah spielen sicher eine Rolle dabei. An den Verbrennungsstätten in Varanasi (Benares) kann man beobachten, wie sich frisch verheiratete Hochzeitspaare in Sichtweite der schwelenden Scheiterhaufen segnen lassen – aus westlicher Sicht vielleicht ein makaberer oder morbider Gedanke.
Das Fotografieren der Leichenverbrennungsstätten in Varanasi, eine der großen „Touristenattraktionen“ des Landes, ist nicht gestattet. Gelegentlich bieten Schlepper an, das Fotografieren gegen Zahlung einer kleinen Summe zu ermöglichen. Andernorts kann oft fotografiert werden, man sollte sich dazu im Vorfeld mit den Angehörigen des Verstorbenen absprechen.
Müll: Öffentlicher Raum wird als „eigener Raum“ betrachtet, mit dem man anstellen kann, was man will. Meine Intepretation oder Auslegung: Niemand sagt einem indischen Kind „Das kannst du doch nicht hierhin schmeißen, wenn das alle Leute täten …“. Man kann es auch mangelnden Bürgersinn nennen, aber das läuft auf dasselbe hinaus. Meine Interpretation ist meines Erachtens klarer als der vage Begriff „Bürgersinn“. Zudem befasst sich der Hinduismus sehr mit spiritueller Reinheit, sodass für die physische Reinheit, insbesondere im öffentlichen Bereich, nicht mehr viel Aufmerksamkeit übrig bleibt. Mangelnde Müllbeseitigung seitens der Behörden erledigt das Übrige, und folglich ist Müll fast überall präsent. Papierkörbe oder Mülleimer sind Raritäten, und zwangsläufig wird auch der Reisende so manchen Abfall in einen Gulli oder auf die Straße werfen müssen (s. S. 155).
Notdurft: Vor allem auf dem Land, in Kleinstädten oder in Dörfern wird die Notdurft gelegentlich am Straßenrand beziehungsweise an etwas abgelegeneren Stellen am Rand des öffentlichen Raums verrichtet. Viele Inder besitzen daheim keine eigene Toilette und haben keinen Zugang zu einer öffentlichen Toilette. Das Thema hatte in den letzten Jahren unter Premierministerin Narendra Modi große Priorität in der Politik. Liefe es nach Plan, sollte seit dem Jahr 2019 jeder Bürger Zugang zu einer Toilette haben, sei es eine eigene oder eine öffentliche, aber Plan und Erfüllung sind (nicht nur) in Indien oft zweierlei Dinge.
Patriotismus: Jahrhundertelange Fremdherrschaft und besonders der Freiheitskampf gegen die britische Kolonialmacht und die lange herbeigesehnte Unabhängigkeit im Jahre 1947 haben starke patriotische Gefühle wachsen lassen. Auch wenn viele Inder die Missstände im Land vehement kritisieren, so ist Kritik durch Außenstehende nicht gern gehört.
Sehr stolz hingegen sind die meisten Inder auf ihre „Kultur“, was in einem so vielgestaltigen Land allerdings ein etwas schwammiger Begriff ist. Oft wird man als Reisender gefragt: „Welche Kultur gefällt Ihnen besser, die indische oder die westliche?“ Das Thema wäre zu diffizil, um es mit einem Fremden auszudiskutieren, ein kurzes Loblied auf die positiven Seiten Indiens genügt vollkommen.
Politik, Politiker: Die Politik wird als die Ursache aller Missstände im Lande angesehen. Politiker, über die überwiegend positiv gesprochen wird, sind Ausnahmeerscheinungen.
Prostitution: Illegal, aber dennoch weit verbreitet. Von Billigprostituierten, die sich entlang der Highways an Lastwagenfahrer verkaufen, bis zu superteuren Callgirls präsentiert sich eine weite Palette an Prostituierten, darunter auch nicht wenige Minderjährige. Vereinzelt gibt es ganze Kasten, deren Frauen traditionell als Prostituierte arbeiten. Außer vielleicht in Goa, wo einige indische und ausländische Prostituierte (aus den GUS-Staaten) aktiv sind, wird man als Tourist kaum mit der Szene in Berührung kommen.
Pünktlichkeit: Mit der Pünktlichkeit wird es oft nicht sehr genau genommen, es sei denn im mittleren oder höheren Geschäftsbereich, wo man schon eher mit der Einhaltung von Terminen rechnen kann. Der Grad der Pünktlichkeit steht nicht selten in Relation zum Bildungsstand. Auf dem Lande geht es generell laxer zu als in der Stadt. Stundenlage Verspätungen bei privaten Verabredungen sind möglich. Als Ausländer sollte man pünktlich erscheinen, es sei denn, man ahnt von vornherein oder weiß aus Erfahrung, dass aus einem pünktlichen Treffen nichts werden wird.
Rauchen: Das Rauchen in der Öffentlichkeit wie auch in Restaurants und Büros ist offiziell verboten. In der Öffentlichkeit zumindest hält man sich kaum daran, es sei denn, ein Polizist ist in Sichtweite. Selbst dann ist mit Strafverfolgung kaum zu rechnen, schlimmstenfalls – wenn überhaupt – mit einer Forderung nach einem kleinen Schmiergeld.
Reden: Inder sind in der Regel gute und gewitzte Rhetoriker; wer gut reden und argumentieren kann, erntet dafür Anerkennung und Bewunderung. Dabei ist es meist nicht wichtig, ob die Aussagen stimmen oder nicht; die Redekunst allein suggeriert oft schon Bildung und Sachkenntnis. Auch Touristen, die zungenfertig reden können, werden in so mancher Angelegenheit (Konflikte, Bitten um Erlaubnisse o. Ä.) relativ gute Aussichten auf ein positives Ergebnis haben.
Religion: Die Religion spielt eine tragende Rolle im Leben fast aller Inder. Atheismus ist so gut wie unbekannt und wird mit Argwohn oder Unverständnis betrachtet. Religiöse Feiertage werden mit Inbrunst zelebriert; viele Gläubige unternehmen lange und aufwendige Pilgerfahrten und Gänge zu Tempeln, Schreinen oder Moscheen sind beinahe alltäglich. Die Religion durchdringt jeden Lebensaspekt. Ausländer können an den Riten in der Regel problemlos teilnehmen, werden sogar herzlich dazu eingeladen. Ausnahmen bestehen bei den Feuertempeln der Parsen, die für Nicht-Parsen unzugänglich sind, und in einigen Jain-Tempeln, deren Allerheiligstes nicht von Ausländern besucht werden darf. Auch bei manchen Hindu-Tempeln wird Nicht-Hindus der Zutritt verwehrt, so z. B. im Jagannath-Tempel in Puri oder einigen Tempeln in Kerala. Vor Betreten von Heiligtümern sind die Schuhe auszuziehen, da sie als unrein gelten.
Respekt: Indien ist eine sehr hierarchische Gesellschaft und von „unten“ nach „oben“ muss Respekt gezollt werden. Das kann bedeuten: von Kindern zu Eltern, von Jüngeren zu Alten, von Angestellten zu Höhergestellen etc. In ländlichen, konservativen Regionen haben „Niederkastige“ noch Respekt vor „Höherkastigen“ zu zeigen und dürfen z. B. nicht deren Häuser betreten oder aus demselben Brunnen Wasser schöpfen. Eine Respektsverletzung kann persönliche Racheakte oder – im Falle der Kasten – handgreifliche Auseinandersetzungen zur Folge haben. Als Tourist kann man die Kompliziertheit und Vielschichtigkeit der indischen Gesellschaft nicht ohne Weiteres verstehen, aber wie überall kommt man mit einem höflichen, respektvollen Verhalten am besten durch.
Schlepper/Guides: In allen einschlägigen Touristenorten finden sich Schlepper, die von den Kommissionen leben, die ihnen Geschäfte, Hotels oder sogar Drogendealer für das Heranbringen von Kunden zahlen. Bei geballtem und häufigem Auftreten können die Schlepper zur Last werden. Am besten ignoriert man sie vollständig und gibt nicht mal ein kurzes „Nein“ als Antwort. So wird man sie am ehesten los. Wer auch nur „Nein, danke“ sagt, der bietet eine größere Angriffsfläche und wird noch länger belästigt werden – in Indien wird „Nein, danke!“ oft als „Mal sehen, vielleicht.“ ausgelegt.
Schuhe: Schuhe gelten als unrein und sollten vor Betreten eines Hauses oder einer religiösen Stätte ausgezogen und an der Schwelle abgelegt werden.
Sex: Das Thema Sex ist stark tabuisiert und wird weitgehend aus der Öffentlichkeit verdrängt – Sex gilt als „schmutziges“ Thema (s. auch das Kapitel „Psst, Sex: das große Tabu und die Folgen“ S. 71). In der Idealvorstellung sind Ehepartner bis zur Heirat unerfahren und Paare bleiben ein Leben lang zusammen. Die Realität sieht oft anders aus und die starke Tabuisierung scheint den Reiz noch zu steigern. Unter dem Deckmantel des Tabus brodelt es. Die Medien, die ihre Leser oder Zuschauer nur allzu gerne mit reißerischen Sex-Stories bombardieren, tragen ihren Teil dazu bei. Vergewaltigung ist die am schnellsten wachsende Verbrechenssparte in Indien.
Spucken: In Indien wird ordentlich gespuckt und sich darüber aufzuregen, ist zwecklos. Man muss sich wohl oder übel daran gewöhnen.
Stirnmal: Das Stirnmal oder tika ist nicht – wie häufig angenommen – ein Kastenmal. Verheiratete Frauen kleben sich einen farbigen Punkt (hergestellt aus einer Art Filz) auf die Stirn, einfach nur zur Verschönerung. Bei Tempelbesuchen wird den Gläubigen von den Priestern ein Stirnmal aus rotem Pulver auf die Stirn (über den Augen, am mythologischen „dritten Auge“) aufgetragen.
Tempel, heilige Stätten: Vor Betreten sind die Schuhe auszuziehen. Das Tragen von freizügiger Kleidung (vor allem bei Frauen), schlampiger oder schmutziger („Hippie-“)Kleidung, Strandkleidung o. Ä. ist nicht statthaft. Bei Besuchen von Sikh-Tempeln muss der Kopf bedeckt sein; zu diesem Zweck wird den Besuchern am Eingang ein Kopftuch ausgehändigt. Zu beachten sind eventuelle Verbotsschilder, die darauf hinweisen, dass Ausländer oder Andersgläubige nicht zugelassen sind.
Tiere: Außer der „heiligen“ Kuh (s. S. 25) werden Tiere oft nicht sehr rücksichtsvoll behandelt – man merkt es am verängstigten Verhalten vieler Hunde, die allzu oft mit dem Prügelstock Bekanntschaft gemacht haben. Nach dem Gesetz ist es zwar verboten, Tiere zur Unterhaltung einzusetzen (z. B. tanzende Affen, Schlangenbeschwörung o. Ä.), das Gesetz bewirkt aber nicht viel. Sich über Tierquälerei aufzuregen ist meist zwecklos, da die Auffassungen in Indien zu diesem Thema zu unterschiedlich von denen in Europa sind und Einsicht nicht zu erwarten ist. Sehr „eindrucksvoll“ ist in dieser Beziehung der Besuch eines indischen Schlachthofs. Schlachthöfe sind oft Teil von Märkten. Es geht nicht sehr zimperlich zu. Die Schlachter sind übrigens fast ausnahmslos Moslems – selbst karnivore Hindus würden diese Arbeit nicht verrichten wollen.
Trinkgeld: Bei Beförderung durch Taxis oder Rikschas, Motor-Rikschas etc. wird üblicherweise kein Trinkgeld gegeben. Ebenfalls kein Trinkgeld gibt man in vielen kleinen, einfachen Lokalen, in denen die Rechnung am Ausgang beim Kassierer bezahlt wird. In gehobenen Restaurants wird Trinkgeld gegeben; ca. 5–10 % sind üblich. Wohnt man länger in einem Hotel und hat sich gut umsorgt gefühlt, so kann man den Angestellten am Ende ein paar Scheine zukommen lassen – etwa 100 bis 500 Rupien können es sein oder mehr, abhängig auch vom Standard des Hotels und dem eigenen Ermessen.
Vegetarier: Viele Hindus sind Vegetarier, dazu so gut wie alle Jains (die Anhänger des Jainismus) und einige Sikhs. Der Anteil der Vegetarier an der Gesamtbevölkerung liegt je nach Bundesstaat bei 1–75 %. Den höchsten Anteil weisen die Bundesstaaten Rajasthan (75 %), Haryana (69 %), Punjab (67 %) und Gujarat (62 %) auf; prozentual die wenigsten Vegetarier finden sich im Bundesstaat Telangana, in Kerala, Andhra Pradesh, Orissa und Kerala (jeweils 1–3 %) sowie im Nordosten des Landes. Aufgrund des hohen Anteils an Vegetariern bietet Indien die wohl beste und vielfältigste vegetarische Küche der Welt. Ein großer Teil der Restaurants ist rein vegetarisch und in manchen Gebieten ist es schwer, Fleischgerichte zu bekommen. Vegetarisches Essen wird meist kurz als „veg“ bezeichnet, nicht-vegetarisches als „non-veg“. In einigen Gebieten gibt es noch die etwas altmodische Bezeichnung „Hindu Restaurant“ für vegetarische Restaurants und „Military Restaurant“ für Restaurants mit Fleischgerichten. Letztere Bezeichnung stammt vom Gedanken, dass Soldaten – oder Mitglieder der Kriegerkaste – ruhig Fleisch genießen sollen, da es sie angeblich aggressiver und kampfbereiter macht.
Extrainfo 1 (s. S. 8):