Banken und Ethik

Über das Selbstverständnis einer Branche

F.A.Z.-eBook 28

Frankfurter Allgemeine Archiv

Projektleitung: Franz-Josef Gasterich

Produktionssteuerung: Christine Pfeiffer-Piechotta

Redaktion und Gestaltung: Hans Peter Trötscher

eBook-Produktion: rombach digitale manufaktur, Freiburg

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© 2014 F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main.

ISBN ePub 978-3-89843-290-0

Vorwort

Banker und Bankiers

Von Hans Peter Trötscher

„Was den Unterschied zwischen einem Bankier und einem Banker ausmacht? Der Bankier war ein vornehmer Mann, kein Vornehmtuer, er war also ein Herr, der die Kunst und die Geduld des Zuhörens beherrschte und so souverän war, seine eigene Meinung durch das, was er aufnahm, zu korrigieren. Er räumte den Ratgebern Zeit ein, und er nahm die Sorgen derer, die sich ihm anvertrauten, ernst. Er war kein Mann des schnellen Geldmachens, sondern suchte seinen Nutzen in der Beständigkeit einer Beziehung.

Ein Banker dagegen ist ein globaler Universeller. Er weiß nicht nur alles, er weiß auch alles besser; etwa von Abläufen in Produktion und Versand, von Forschung und Entwicklung, also von Dingen, von denen er von Haus aus nur wenig wissen kann. Hat er sich einmal eine Meinung gebildet, steht sie unverrückbar fest. Sie ist nicht mehr diskutierbar. Am liebsten verkehrt er nur unter Gleichgekleideten.“

Ludwig Poullain „Ungehaltene Rede“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15.7.2004

Unterzieht man die Worte Ludwig Pullains einer genauen Analyse, so wird deutlich, dass das Bankwesen in den vergangenen Jahrzehnten einige bedeutende Veränderungen durchgemacht hat, die ihm kaum zum Vorteil gereichen. Profitstreben war unter Bankleuten niemals verpönt. Sonst hätten sie schließlich ihren Beruf verfehlt. Verpönt war das schnelle Geld auf Kosten der Kunden. Damit war allerdings schon lange vor der Lehman-Krise des Jahres 2008 Schluss. Mit diesem Ereignis bekam der Begriff des Bankers eine neue Qualität.

Es war im moralischen Koordinatensystem vieler leitender Bankangestellter nicht nur in Ordnung, sich auf Kosten der Kunden zu bereichern, das Beuteschema wurde in der Folge auf sämtliche Steuerzahler, ob Kunde oder nicht, ausgeweitet. Möglich gemacht hat das die Politik, indem sie durch großzügige Auffangregelungen unverantwortlichen Bankern einen Blankoscheck für fortgesetzte hemmungslose Bereicherungen ausstellte. Die ersten reich bemessenen Boni an kläglich versagende Manager und Händler flossen schon wieder, als die betroffenen Banken noch aus dem Steuersäckel alimentiert wurden.

Dass die Kritik an solcher Mentalität unverstanden verhallte, spricht Bände. Was hat man nicht alles in jüngster Zeit über die Exzesse der Banker zu hören und zu lesen bekommen? Es wurden Zinssätze manipuliert, Kunden wissentlich geschädigt, bei Wechselkursen und bei Handel mit Klimazertifikaten im großen Stil betrogen, sogar der Goldpreis war nicht sicher. Letztlich dienten alle Betrügereien nur dem eigenen Vorteil und schädigten das Ansehen der Branche noch weiter. Einen wahrlich erschreckenden Einblick in die Bankerseele gewährte dabei ausgerechnet der Deutsche Bank-Vorstand Jürgen Fitschen, der sich beim hessischen Ministerpräsidenten darüber beschwerte, dass die Wirkung der vielen Razzien bei seinem Geldinstitut in der Öffentlichkeit so schlecht sei. Das Blaulicht ist also das Problem, nicht der Betrug.

Wenn Ludwig Poullain schon 2004 forderte, es müsse wieder mehr Bankiers und weniger Banker geben, kann man ihm heute mehr denn je zustimmen.

Von Golden Boys und kleinen Geldsoldaten

Wer stoppt die Gier der Banker?

Banker haben den Zins manipuliert, den Wechselkurs und womöglich sogar den Preis des Goldes. Mit solchen Leuten ist kein Staat zu machen.

Von Christian Siedenbiedel

Es hört einfach nicht auf. Die Meldungen über Manipulationen in den Banken lösen sich nur mit Nachrichten über gewaltige Strafzahlungen ab. Ein Rekord jagt den nächsten. Am Mittwoch brummte die Europäische Kommission sechs Großbanken 1,7 Milliarden Euro Strafe für Absprachen über Zinssätze auf – die bisher höchste Kartellstrafe.

Am Donnerstag wurde bekannt, dass die Untersuchung der Manipulation des Zinssatzes Libor ausgeweitet wird. Jetzt soll die Spitze der Deutschen Bank einbezogen werden. Mitarbeiter der Bank, die wegen der Manipulationen gefeuert worden waren, hatten im Arbeitsgerichtsprozess ihren Chef belastet: Der damalige Leiter des Geldhandels habe die Untersuchung des Skandals für beendet erklärt, um Anshu Jain (heute einer der Bankchefs) nicht zu beschädigen. Die Bank bestreitet das; wenn es aber stimmt, erreicht der Skandal eine neue Dimension.

Andere Branchen mögen auch ihre Skandale haben, aber nicht in dieser Häufung. Wer glaubt da noch, es sei die Schuld Einzelner, wie die Banken gern glauben machen möchten? Alles deutet darauf hin, dass die Probleme tiefer liegen. Ein Anzeichen für eine strukturelle Besonderheit findet sich in Untersuchungen zur Rekrutierung von jungen Leuten für das Bankgeschäft. Eine Studie von Deloitte zeigte anhand einer Umfrage unter Studenten, die Banker werden wollen: Sogenannte extrinsische Motive wie Bezahlung und Prestige waren für die Berufsentscheidung überdurchschnittlich wichtig – intrinsische Motive wie Spaß an der Arbeit spielten eine weniger wichtige Rolle (siehe Grafik).

Dazu passt eine Untersuchung der Ökonomen Stephen Cechetti und Enisse Kharroubi von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich: Offenbar finden nicht nur materiell interessierte Menschen die Banken als Arbeitgeber sehr interessant – umgekehrt ist es den Banken durch eine überdurchschnittliche Bezahlung gelungen, mehr der »High Potentials« (ehrgeizige junge Leute) an sich zu binden als andere Branchen.

Martin Hellwig, Direktor des Max-Planck-Instituts in Bonn, hält dabei vor allem die hohen variablen Gehälter in den Banken für eine Besonderheit, die Regelüberschreitungen begünstigt hat. »Die Boni hingen davon ab, wie erfolgreich man mit den Wetten war, die man einging«, sagt er. »Da lag ein gewisses ›corriger la fortune‹ nicht fern.«

Fälle aus den Skandalen, die publik wurden, lassen die These zumindest denkbar erscheinen. Zu den bekannten Beteiligten an der Libor-Manipulation gehörte Christian Bittar, Starhändler der Deutschen Bank. Er war zugleich ein Bonus-König: Allein für 2008 waren ihm 80 Millionen Euro zugesagt.

Hans-Peter Burghof, Bankenprofessor in Stuttgart, erzählt: In der Vergangenheit habe es oft die paradoxe Situation gegeben, dass in Banken gerade diejenigen kaltgestellt wurden, die strenger kontrollieren wollten. Und umgekehrt diejenigen beim Vorstand beliebt waren, die riesige Handelsgewinne einspielten – koste es, was es wolle. »Das strukturelle Problem, das dahinter steht, ist ein unheilvoller Anreiz in Banken, hohe Risiken einzugehen«, meint Burghof.

Ein großer Unterschied zwischen Banken und anderen Unternehmen ist, dass Banken in Krisen oft vom Steuerzahler gerettet werden. Daraus erklärt sich vieles. Das hat Auswirkungen auf das Verhalten der Bank als Ganzes – aber auch auf einzelne Mitarbeiter.

Eine Bank als Ganzes kann übertriebene Risiken eingehen, weil sie Gewinne kassiert, wenn alles gut läuft, und vom Steuerzahler aufgefangen wird, wenn es brennt. Ein einzelner Banker kann ähnlich kalkulieren: Dass er hohe Boni einstreicht, wenn er erfolgreich ist, und maximal gefeuert wird, wenn er scheitert. »Das sind die Gründe, warum wir eine Regulierung der Banken brauchen«, meint Burghof. »Und was da passiert ist, war längst noch nicht genug.«

Dabei würden die Banken nach der Finanzkrise so gern wieder zur Tagesordnung übergehen. Aber Wissenschaftler und Politiker sind skeptisch, ob die Probleme schon gelöst sind. Immerhin ist auffällig, wie gut in den Banken schon wieder verdient wird. Nach Angaben der Bankenaufsicht ist die Zahl der Einkommensmillionäre in den europäischen Banken 2012 um elf Prozent auf 3.529 gestiegen. Davon arbeiten 212 in Deutschland – hier betrug der Zuwachs sogar 25 Prozent.

Die Bandbreite der Forderungen in der Politik, was jetzt noch passieren muss, ist groß. Sie reicht von »richtig aufräumen in der Bankenbranche« (Gerhard Schick, Grüne) bis »Banken zerschlagen und Derivate verbieten« (Sahra Wagenknecht, Die Linke).

Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist noch nicht zufrieden mit der erreichten Regulierung. Im Interview mit dem »Handelsblatt« sagte er: »Die Kreativität der Banken, die Regulierung zu umgehen, ist weiterhin groß.« Und: »Es kann kein Ende der Regulierung geben.«

Die SPD, die mit der Forderung nach der »Bändigung der Banken« in den Wahlkampf gezogen ist, zeigt sich auch noch nicht überzeugt vom Kulturwandel: »Die Jahrzehnte der überzogenen Renditeerwartungen und Einladungen zur Zockerei lassen sich nicht in ein, zwei Jahren aus den Köpfen der Mitarbeiter löschen«, meint SPD-Finanzexperte Joachim Poß.

Auch die Bankenaufsicht Bafin und die Europäische Zentralbank sehen angesichts der Häufung von Manipulationsskandalen in Banken Handlungsbedarf. »Wenn die Vorwürfe sich bewahrheiten sollten, beschädigt das die Grundfunktionen einer marktwirtschaftlichen Ordnung«, sagt Jörg Asmussen, Mitglied des EZB-Direktoriums. Er bringt sogar die Möglichkeit ins Spiel, dass der Staat künftig die Feststellung von Preisen wie dem Libor übernehmen könnte, wenn die Banken das nicht hinkriegen. »Ein Weg wäre, die Festsetzung von Maßeinheiten als hoheitliche Aufgabe zu sehen – wie zu Beginn der Industrialisierung Meter und Kilo.« Elke König, die Präsidentin der Bankenaufsicht Bafin, bringt dagegen eine neue Kontrollstelle ins Gespräch: »Man könnte überlegen, ob es nicht eine Art der Handelsüberwachung bedarf, die allfälligen Transaktionen nachgeht.« Was hilft? Mehr Eigenkapital wurde den Banken schon vorgeschrieben. Richtige Richtung, meinen die Experten – aber die Vorschriften seien immer noch zu lasch. Der relative Anteil der Boni am Gehalt wurde von der EU-Kommission gedeckelt. Aber das ließe sich aushebeln. Sollte die Aufsicht unmittelbar den Banken stärker auf die Finger schauen? Diese Aufgabe übernimmt die EZB – und Interessen der beteiligten Staaten werden eine Rolle spielen.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 08.12.2013

Schuften bis zum bitteren Ende

Ein Praktikant arbeitet nächtelang und stirbt plötzlich. Der spektakuläre Fall wirft ein Schlaglicht auf einen Missstand – nicht nur im Investmentbanking.

Von Corinna Budras und Lena Schipper

Voller Ehrgeiz war der 21 Jahre alte deutsche BWL-Student bei der Investmentbank Bank of America Merrill Lynch in London gestartet. Nächtelang hat er durchgearbeitet, weil er herausragende Leistungen erbringen wollte. Dann starb er. Die Untersuchung der Ursachen dauert an, doch der Skandal ist in der Welt: »Sklaverei in der City«, titelte die Tageszeitung »The Independent«.

Damit ist die Geschichte jedoch allenfalls in Teilen erzählt. Solche tragischen Ereignisse haben stets viele Ursachen: ein extremes Arbeitsumfeld, gedankenlose, manchmal gar skrupellose Vorgesetzte, eine ungewöhnliche Persönlichkeitsstruktur, eine besondere Krankengeschichte oder auch nur ein dummer Zufall. Doch vor allem: Sie geschehen häufiger, als man denkt – und betreffen nicht nur die grelle Welt des Investmentbankings. Im vergangenen Jahr verursachte eine Ärztin aus Krefeld nach einer 26-Stunden-Schicht einen tödlichen Unfall, bei dem sie und eine andere Frau ihr Leben verloren. In Japan gibt es für den Tod durch Überarbeitung gar ein eigenes Wort – »Karoshi« – und für die Angehörigen einen Anspruch auf Schadensersatz. Der technologische Fortschritt, ursprünglich als Entlastung gedacht, tut sein Übriges: Paradoxerweise gibt es noch immer eine Hemmschwelle, einen Mitarbeiter nach 20 Uhr auf dem Festnetz anzurufen. Aber Handy oder E-Mails? Kein Problem.

Nicht alle spektakulären Fälle finden ihren Weg in die Öffentlichkeit, doch dann werfen sie ein Schlaglicht auf strukturelle Probleme. Nicht selten betrifft es das Investmentbanking, viel kommt in diesem Bereich zusammen: dicke Egos, Gruppendruck, gnadenlose Selbstüberschätzung. Banker reden viel und gerne über ihre Arbeit, über den Nervenkitzel bei milliardenschweren Transaktionen. Nur in der Zeitung wollen sie damit nicht stehen. Viele Arbeitsverträge verbieten den Kontakt zu Journalisten – und das aus gutem Grund. Der Charme der Branche besteht auch in ihrer abgehobenen, geradezu mysteriösen Aura. »Ein Praktikum im Bereich Fusionen und Übernahmen war sehr beliebt«, erzählt einer, der nach seinem Uni-Abschluss mehrere Jahre bei einer großen Investmentbank arbeitete. »Es hieß, die nehmen nur die allerbesten. Dadurch wurde es spannend. Man fragte sich plötzlich: Kann ich das?« In der Bank sorgten die Vorgesetzten mit psychologischen Tricks dafür, dass man sich über die Maßen einsetze. »Die erzählen einem: Du bist gut. Du bringst uns voran. Wir brauchen dich. Dann darf man mit zu einem Strategie-Meeting, einem Dax-Vorstand die Zahlen erläutern – danach fühlt man sich eine Woche lang wie der mächtigste Mann im Raum.«

»Das ist wie Sport«, bestätigt ein anderer, auch er ehemaliger Praktikant im Investmentbanking. »Es war ein Wettbewerb im Freundeskreis: Bin ich gut genug, um in diesen elitären Zirkel aufgenommen zu werden?« Die Lust am ständigen Vergleich nimmt teils absurde Züge an. »Einmal waren wir mit der Abteilung Gokart fahren«, erzählt er. »Da saßen die Partner, die Millionen verdienen, in diesen kleinen Autos und versuchten, schneller als der Praktikant zu sein.«

Dabei hat Investmentbanking in der breiten Öffentlichkeit schon lange seinen Glanz verloren. Seit der Finanzkrise entlassen Banken ihre Mitarbeiter, die Boni schrumpfen, die Arbeitszeiten sind mies, und die vormals selbsterklärten Herren des Universums landen in Umfragen über respektierte Berufsgruppen regelmäßig auf den letzten Plätzen. Man sollte meinen, die Banken hätten mittlerweile Nachwuchsprobleme. Aber weit gefehlt: Jedes Jahr aufs Neue unterziehen sich Tausende junger Leute einem zermürbenden Auswahlprozess, um einen der begehrten Praktikumsplätze in der Londoner City, an der New Yorker Wall Street oder auch im Frankfurter Bankenviertel zu ergattern. 17.000 Bewerber wollten allein in diesem Sommer ein Praktikum bei der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs machen. 350 durften kommen.