„Hier ist es, das Paradies, in dem ich einst lebte: Meer und Gebirge. Davon bleibt etwas ein ganzes Leben, noch vor der Wissenschaft, der Zivilisation und dem Bewusstsein. Und vielleicht werde ich dorthin zurückkehren, um in Frieden zu sterben.“ Driss Chraibi, einer der bekanntesten nordafrikanischen Schriftsteller, schrieb diesen Satz über seine Heimat: Marokko.
Wer nach Marokko kommt, hat Bilder im Kopf, nicht jeder dabei unbedingt „paradiesische“. Zauber, Mystik, Schätze … all das sind Assoziationen, die sich mit Marokko verbinden – aber auch Urlaub, Sonne, Meer. Das Land ist so vielfältig, dass es schwerfällt, sich ihm auf nur einer Ebene nähern zu wollen. So viele Gegensätze prallen aufeinander, Gegensätze, die das Leben in Marokko bestimmen: Das moderne Casablanca lächelt milde über das konservative Fes, die saftigen Wiesen des Nordens spotten der Wasserarmut im Süden. Orthodoxer Islam vermischt sich mit Heiligenglauben, islamische Baukunst mit Berberburgen.
Marokko besticht durch seine Gegensätze, im Positiven wie im Negativen. Der Reisende kann in den Genuss der großartigen Gastfreundschaft kommen oder aber, entnervt von „penetranten“ Bazarhändlern und falschen Stadtführern, den Urlaub frühzeitig abbrechen. Mit all diesen Gegensätzen wird man konfrontiert, und es ist oft gar nicht so einfach, richtig damit umzugehen.
Marokko ist ein Touristenland – ohne Zweifel. Jahr für Jahr kommen mehr Gäste hierher. Wo immer man ist, man findet Touristen oder Spuren derselben. Das Reisen wird durch diese Tatsache allerdings nicht leichter. Natürlich gibt es in Marokko – allem voran natürlich Agadir – eine touristische Infrastruktur, so dass man sich bisweilen an den Stränden der Costa Brava wähnt. Und dennoch: Das alltägliche Leben der Marokkaner ist wenig berührt von dieser Welt. Und setzt man einen Fuß außerhalb der Touristenmeile, muss man sich mit der marokkanischen Realität vertraut machen. Dazu gehört nicht zuletzt die Einsicht, dass Marokko, trotz aller zur Schau gestellten Moderne, auch ein Entwicklungsland ist: Rund ein Fünftel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, etwa 60 % der Bewohner Marokkos fühlen sich arm. Dieses Gefühl, arm zu sein, prägt vielerorts das Leben. Der Konkurrenzkampf ist hart, gerade im Tourismusgeschäft.
Wer sich in ein fremdes Land begibt, hat sich meist ein wenig in die (Reise-)Literatur des Landes eingelesen und/oder sich von Freunden und Bekannten Erlebtes erzählen lassen. Und dann kommt man an: Erste Eindrücke legen sich auf vorhandene Bilder, oft ganz anders als erwartet. Wer aus der klimatisierten, geregelten Atmosphäre des Flughafens, der Reisebusse oder der Autofähren ins quirlige Marokko stößt, fühlt sich schnell gestresst: von der Hitze, dem Staub, den vielen Schleppern, den Geräuschen und Gerüchen.
Und schon ist man mitten im Kulturschock: Das, was auf einen einströmt, stellt alles bisher Geglaubte in Frage. Vieles, was einem lieb und vertraut ist, scheint nicht mehr zu gelten. Erlernte und anerzogene Umgangsformen werden mit einem Handstreich weggefegt. Selbst Reisende, die schon häufiger in Marokko waren oder sich zuvor intensiv mit Marokko beschäftigt haben, die offen und ohne Angst dem Fremden entgegengehen, haben bisweilen das Gefühl, in einen (Horror-)Film geraten zu sein, fern jeder (europäischen) Realität: Kinderhorden, die einem brüllend und Steine werfend hinterherrennen, Taxifahrer, die einen bei Ankunft an einem Busbahnhof bestürmen, falsche Fremdenführer, die ahnungslose Touristen in Teppichläden zerren, Haschischhändler, die allzu offensiv ihren Stoff verkaufen wollen …
Woher kommt es, dass man sich – selbst nach längerem Aufenthalt – immer wieder überfordert und so vollkommen fremd fühlt? Zum einen liegt es natürlich daran, dass man sich nie vollständig von bestimmten Ideen, Vorstellungen und Gefühlen lösen kann. Zum anderen ist Marokko in seiner ganzen Vielfältigkeit eine wahre Attacke auf europäische Ideale und Vorstellungen. Und, Marokko ist kein einfaches Reiseland. Marokko – das bedeutet Stress, man braucht starke Nerven und jede Menge Geduld.
Natürlich kann man es vermeiden, dem Land zu begegnen: Es ist ganz leicht, in Marokko zu reisen, ohne dabei in Marokko zu sein. Manch ein Reiseveranstalter weiß den Kontakt des Urlaubers mit dem „wirklichen“ Land zu verhindern: Viele Gruppen, die von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit hetzen, können nur erahnen, was sich wirklich in Marokko verbirgt. Man schaut zu statt mitzuerleben. Am bildhaftesten zeigt sich dieses Phänomen am „Platz der Geköpften“, dem Platz der Gaukler und Quacksalber, dem Platz der Schlangenbeschwörer und Wahrsager, dem Djema’a el-Fna in Marrakesch. Den Platz säumen Dachterrassen voll Reisegruppen, ausgerüstet mit Videokameras, weit weg vom Geschehen. Marokko also als Kulisse, als Theater.
Marokko aber ist mehr, viel, viel mehr als diese Kulisse. Der wirkliche Reichtum Marokkos sind seine Menschen, und wer bereit ist, diese kennen zulernen, wird reich beschenkt werden. Damit man in der Lage ist, sich wirklich auf die Menschen einzulassen, braucht man Wissen über ihre Lebensweise, über die geschichtlichen, ethnischen, religiösen und kulturellen Hintergründe für ihre Denk- und Verhaltensweisen. Dieses Wissen, das notwendig ist, um den Kulturschock abzumildern, soll im vorliegenden Buch vermittelt werden. So ist Verständnis, Offenheit für das Andersartige und somit leichteres Reisen möglich. „KulturSchock Marokko“ ist gedacht für Menschen, die das finden wollen, was Marokko wirklich ist: ein Land voller Zauber und Mystik, voller Gegensätze und Schönheiten.
Vor allem aber ist Marokko ein Land, das trotz aller Strapazen denjenigen mit seiner Pracht belohnt, der bereit ist, diese zu suchen. Denn: „… ich würde sagen, dass Marokko einer Zimmerflucht gleicht, deren Türen sich öffnen, wenn man hindurchgeht. Man kommt nur weiter, wenn man das Land immer wieder besucht, sich immer aufs Neue wundert und die Neugier bewahrt, es zu verstehen und sich ihm zu nähern. Jede Tür eröffnet einen anderen Ausblick: auf einen Raum, ein Gesicht, eine Stimme, ein Geheimnis …“. So jedenfalls sieht es Tahar ben Jelloun, der wohl bekannteste marokkanische Schriftsteller.
Wer sich also mit mir auf die Reise machen möchte, der öffne Augen und Ohren, befreie sich von Klischees und Vorurteilen und versuche, mit Wissen und Verständnis dem bisweilen „seltsamen“ Marokko zu begegnen.
Muriel Brunswig
Die meisten Reisenden werden in der Regel mit Männern zu tun haben, weswegen in diesem Buch – außer natürlich in den Kapiteln, in denen es hauptsächlich um Frauen geht – auf die maskuline Form „der Marokkaner“ zurückgegriffen wird. In jedem Satz von „der/die Marokkaner/in“ zu sprechen, würde den Lesefluss stören. Ist im Folgenden also von „dem Marokkaner“ die Rede, ist dies, wenn aus dem Kontext nicht klar wird, dass es sich tatsächlich nur um einen Mann handeln kann, kollektiv für Frauen und Männer gemeint.
Zur Transkription: Bei der Übertragung der arabischen und berberischen Namen wurde eine in Deutschland allgemein übliche, wenn auch nicht wissenschaftliche Umschrift benutzt. Warum nicht die wissenschaftliche? Diese enthält jede Menge Sonderzeichen, die der Lesbarkeit des Textes nicht zuträglich sind. Es sind nun gerade bei Orts- oder Eigennamen in Marokko unterschiedliche Schreibweisen üblich. In diesem Buch werden die Orts- und Eigennamen in der Form übernommen, die in Marokko am weitesten verbreitet ist (was häufig mit der französischen Transkription identisch ist). U-Laute werden also mit ou wieder gegeben. Bei noch lebenden Personen wird die von ihnen gewählte Schreibweise ihres Namens verwendet.
Extrainfos im Buch
ergänzen den Text um anschauliche Zusatzmaterialien, die von der Autorin aus der Fülle der Internet-Quellen ausgewählt wurden. Sie können bequem über unsere spezielle Internetseite www.reise-know-how.de/kulturschock/marokko20 durch Eingabe der jeweiligen Extrainfo-Nummer (z. B „#1“) aufgerufen werden.
Vorwort
Hinweise zur Benutzung
Verhaltenstipps von A bis Z
Geschichtliche und ethnische Hintergründe
Der Versuch, eine jahrtausendealte Geschichte in wenigen Kapiteln zusammenzufassen
Von der Frühgeschichte bis zu den Byzantinern
Die Invasion aus dem Osten: die frühe Arabisierung und die ersten Versuche einer Islamisierung (682–1061)
Zwei große und zwei kleine Berberreiche: die Konsolidierung des Islams (1061–1554)
Die arabische Herrschaft: Saadier und Alawiden (1554–1911)
Die Invasion aus dem Norden: Marokko unter französischem Protektorat (1912–1956)
Die politische Entwicklung von der Unabhängigkeit bis zur Machtübernahme Muhammads VI. (1956–1999)
Marokko heute
Die Macht des Königs
Die Westsahara
Staatsfeiertage
Die heterogene Bevölkerung Marokkos
Die Unbekannten: die Berber
Die Zugewanderten: die Araber
Die Nachkommen früherer Sklaven: die Haratin
Die stets Außenstehenden: die Juden
Der Islam: einigendes Band im heterogenen Marokko
Allgemeine Grundlagen zur Religion des Islams
Frauen und Männer
Die Rolle der Frau im Koran
Die Sexualität im Islam
Die Situation der Frau in Marokko
Der sogenannte „Volksislam“ in Marokko
Von Magie, Geistern und Dämonen
Mystische Bruderschaften
Heiligenverehrung und Wallfahrten
Religiöse Feste
Der Fundamentalismus – eine Bedrohung für Marokko?
Alltagsleben und kulturelle Hintergründe
Soziales Leben und Alltagskultur
Einer für alle, alle für einen? Die Bedeutung von Stamm, Familie und Nachbarn
Das tägliche Leid: Einkommen, Kinderarbeit, Korruption und Arbeitslosigkeit
Die tägliche Freud: Kuskus, Tee und Haschischpfeifchen
Zwei Hochzeiten und ein Todesfall
Initiationsritus: die Beschneidung
Das Hammam: Dampfbad und Nachrichtenbörse
Henna: die segensreiche Paste
Stadtleben
Casablanca: Slums und Villenviertel
Überleben in der Stadt: Bettler, Schuhputzer und andere
Frauenpower in den Städten
Der städtische Suq
Landleben
Von Berghirten, Oasenbauern und Nomaden
Frauen auf dem Land
Der Wochenmarkt
Ksur und Kasbahs – Lebensformen im Süden
Der Fremde in Marokko
Das Bild deutscher Touristen in Marokko
Ein Kapitel über die Gastfreundschaft
Der Marokkaner und der Fremde: Wie vermeide ich grobe Patzer?
Ein paar Grundregeln
Zu Gast bei einer Familie
Reden ist Silber, Schweigen nichts wert
Ein Kapitel über die Moral
Praktische Hilfe für alle Fälle
Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln
Der Suqbesuch: Tipps zum Handeln und Überleben
Vom Umgang mit bettelnden Kindern
Ein Kapitel für allein reisende Frauen
Ausklang
Anhang
Glossar
Literaturtipps
Übersichtskarte
Register
Danksagung
Die Autorin
Bildnachweis
Aberglaube: Als Aberglaube würden Marokkaner ihren Hang zur Spiritualität niemals bezeichnen, denn sie leben ihrer Meinung nach streng nach den Regeln des Islam. Dennoch sind natürlich auch in Marokko vorislamische Glaubensvorstellungen im Alltag verankert. Geister, so nehmen viele Menschen an, sind in Marokko allgegenwärtig und die Zahl „Fünf“ gilt als ultimative Glückszahl. Wer sich also selbst vor bösen Geistern schützen möchte, kann dies mit der „Hand der Fatima“ (fünf ausgestreckte Finger) oder einem zuvor erworbenen Fünfzack – auch im marokkanischen Staatswappen zu finden – tun.
Alkohol: Da der Koran vom Genuss alkoholischer Getränke abrät, wird dieser auch nicht in der Öffentlichkeit getrunken. Alkohol kann zumeist nur in den Innenräumen oder geschlossenen Höfen von gehobenen Restaurants konsumiert werden.
Ansehen, Gesicht wahren: Die Ehre (arab. scharaf) gehört zu den schützenswertesten Gütern eines Marokkaners. Dies gilt vor allem in Bezug auf die „Reinheit“ von Frauen. Wer etwas erreichen möchte, sollte an die Ehre des Gesprächspartners appellieren, um einfacher ans Ziel zu kommen.
Armut und Bettelei: Da es zu den fünf Säulen des Islam gehört, Armen zu helfen, ist es für Marokkaner ganz selbstverständlich, bettelnden Menschen Geld zu geben. Da man damit einen Beitrag zur eigenen Glückseligkeit liefert, tut man nicht nur Gutes für andere, sondern auch für sich selbst. Ausländer sollten im Umgang mit Bettlern daher verständnisvoll vorgehen.
Baden/Nacktbaden: Wer Badeanzug, Bikini oder Badehose trägt, kann überall schwimmen gehen. Nacktbaden hingegen ist im ganzen Land streng verboten.
Baraka: Baraka bedeutet „Segen“. „Baraka Allahu fik“ kann mit „Allahs Segen möge mit Dir sein“ übersetzt werden. Es gehört zu den gebräuchlichsten Formen des täglichen Umgangs, einander Segen zu wünschen: Nach dem Essen signalisiert der Segen, dass man satt (durch das Essen gesegnet) ist, und es bedeutet eine Wertschätzung der Köchin, deren Speisen gesegnet waren.
Begrüßung/Verabschiedung: Die Begrüßung ist immer förmlich. Sie wird mit den Floskeln „Wie geht es Dir?“, „Wie geht es der Familie?“, „Was macht die Gesundheit?“, etc. eingeleitet. Die Verabschiedung hingegen ist eher formlos. Man steht auf, nickt den Anwesenden zu und geht. Bei formellen Begegnungen schüttelt man einander zur Verabschiedung die Hand.
Bekleidung: Kleider machen Leute. Man sollte niemals alte oder abgenutzte Kleidung tragen, denn dies gilt als respektlos. Vermieden werden sollten außerdem ärmellose T-Shirts und Shorts (beides gilt als Unterwäsche), bei Frauen des Weiteren tiefe Ausschnitte oder sehr eng anliegende Kleidung. Ein BH ist ein Muss, Röcke müssen zumindest bis zu den Knien reichen.
Beleidigungen: … muss man sich leider immer wieder anhören. Vor allem an Touristenorten kann es vorkommen, dass man beleidigt wird, wenn man nichts kaufen möchte. Dies ist ein Druckmittel, das nicht selten eingesetzt wird, um allzu unbedarfte Touristen zum Kauf zu bewegen. Das ist weder höflich noch nett. Als Tourist sollte man darauf nicht eingehen.
Berührungen/Körperkontakt: Zwischen Mann und Mann oder Frau und Frau ist es üblich, Hand in Hand zu gehen, sich zu umarmen und zu küssen. Zwischen Mann und Frau hingegen ist das – zumindest in der Öffentlichkeit – ein Tabu. Man sollte seinen Partner daher in der Öffentlichkeit nicht küssen.
Drogen: Das Rauchen des traditionellen Haschisch-Pfeifchens gilt nicht als Drogenkonsum. Der Besitz und die Herstellung von Shit, also dem getrockneten Harz der Cannabis-Pflanze, sind hingegen verboten. Marokko hat große Probleme mit dem Anbau, der Herstellung und dem illegalen Verkauf von Haschisch. Im Norden des Landes hat die Regierung so gut wie keinen Einfluss auf die Drogenbarone, die weitgehend autonom herrschen (s. S. 136).
Einkaufen/Märkte: Handeln gehört zum guten Ton. Wer dies nicht kann, wird es schwer haben in Marokko. Letzten Endes gibt es keine festen Preise (von Lebensmitteln in manchen Geschäften einmal abgesehen). Wer gut feilschen kann, zahlt weniger – und umgekehrt. Touristen zahlen oft aus Prinzip mehr als Einheimische (s. S. 170).
Einladungen: Im Gegensatz zu anderen orientalischen Ländern wird man in Marokko nicht ständig und überall zum Essen oder Teetrinken eingeladen. Es kommt dennoch viel häufiger vor als in Europa.
Man kann Einladungen ohne Bedenken annehmen, wenn sie ehrlich gemeint sind. In diesem Fall sollte man ein Gastgeschenk mitbringen – z. B. Süßigkeiten oder Obst.
Ess- und Trinksitten: Es wird mit der rechten Hand gegessen, die linke gilt als unrein. Besteck gibt es inzwischen – abgesehen von Privathaushalten – überall. Getrunken wird hinterher, und zwar traditionell zubereiteter Tee. Zum Kuskus gibt es häufig vergorene Milch zu trinken. Lecker!
Fahrer/Guides: Es gibt gute Guides, die wirkliche Goldstücke sind, „normale“ Guides – weder gut noch schlecht – und diejenigen, die nichts Besseres zu tun haben, als Touristen in einen Souvenir- oder Teppichladen zu schleppen, um Provisionen zu kassieren. Es gibt außerdem faux guides, sog. „falsche Guides“, die ohne Lizenz arbeiten.
An wen man gerät, hängt häufig davon ab, ob man ein gutes Gespür für Menschen hat und wo man die Dienstleister gebucht hat. Denn wer gut bezahlt wird, braucht die Provisionen gar nicht. „Staatlich geprüft“ bedeutet nicht unbedingt immer besser als ungeprüft. Daher gilt: Augen auf!
Festivals: Früher gab es nur das Festival der musique sacrale in Fes sowie das Gnaoua-Festival in Essaouira. Beides sind internationale Festivals, die Künstler und mit ihnen Touristen aus der ganzen Welt angelockt haben.
Festivals sind heute in Mode. Es gibt inzwischen viele in Marokko, allen voran das Filmfestival in Marrakesch, das internationale Stars und Sternchen anlockt. Aber auch die kleineren Veranstaltungen sind erlebenswert – ein Verzeichnis mit allen Veranstaltungsdaten und -orten findet man auf den Internetseiten der marokkanischen Fremdenverkehrsämter.
Fotografieren: Marokko steckt voller Fotomotive. Dennoch sollte man nicht einfach „drauflosschießen“. Menschen sind in der Regel fotoscheu oder möchten Geld fürs Ablichten. Akzeptieren Sie dies!
Freundschaften: Wer Freundschaften mit Marokkanern eingeht, sollte sich vor allem klar machen, dass sie selten uneigennützig sind. Freundschaften haben in einer stammes- und clanorientierten Gesellschaft, wie sie in Marokko besteht, einen anderen Stellenwert als bei uns, wo Freunde oftmals Familienersatz sind. Jemanden sehr gerne zu haben und dabei von ihm zu profitieren, ist kein Widerspruch. Wer das weiß und damit umgehen kann, wird wunderbare Freundschaften erleben. Freundschaften zwischen Mann und Frau sind so gut wie inexistent – egal, wie häufig das Gegenteil beteuert wird.
Geld: Dass bei uns in Mitteleuropa ein hoher Lebensstandard herrscht, ist allgemein bekannt. Dies demonstrieren auch die heimkehrenden Marokkaner, die nicht zugeben wollen, unter welch großen Schwierigkeiten sie in Europa oft leben und wie hart sie sich ihr Geld verdienen müssen.
Gesprächsthemen: Wer mit Bus und Bahn reist, wer alleine im Café sitzt oder im Hammam alleine badet, der wird interessierte Marokkaner finden, die liebend gerne das Gespräch suchen. Beliebte Themen sind natürlich die Familie, der Job und die Lebenslage der jeweiligen Personen. Sehr beliebt sind auch Themen wie Politik, Wirtschaftskrisen und natürlich die Eindrücke, die der Reisende vom Land hat. Elegant umgehen sollte man Kritik am König oder am Islam.
Daher werden Touristen grundsätzlich als reich angesehen und gelten als unfair, wenn Sie nicht alles dafür tun, den neuen (marokkanischen) „Freund“ nach Hause einzuladen. Wie viel das Leben hier wirklich kostet und wie schwer es auch für viele von uns ist, Geld zu verdienen, wird dabei häufig wissentlich oder unwissentlich übersehen. Europäer können es sich leisten, für eine Hotelnacht so viel auszugeben wie ein marokkanischer Lehrer im Monat verdient. Daher fehlt häufig jede Verhältnismäßigkeit und jedes richtige Verstehen.
Hand: Die rechte Hand gilt als rein, die linke nicht, denn mit dieser säubert man sich auf der Toilette, da Toilettenpapier nicht üblich ist. Erstaunlicherweise trägt man dennoch den Ehering links. Was uns das wohl sagen will? Nichts! Das Herz ist links – und dorthin gehört deshalb auch die Liebste!
Interessant ist für Reisende vielleicht der häufig zu sehende orangefarbene Abdruck von Händen auf Häuserwänden. Diese Hände gelten als Schutzsymbole (fünf Finger, siehe „Aberglaube“). Meist werden hennagefärbte Hände (s. u.) auf Häuserwände gedrückt, um das Haus so zu schützen – Handflächenabdrücke auf Marabouts (s. r.) gewähren denjenigen, die ihre Abdrücke auf dem Heiligengrab hinterlassen haben Baraka – den Segen des jeweiligen Heiligen.
Henna: … gilt als die Lieblingspflanze des Propheten. Entsprechend wird sie als Segen bringend angesehen und ist daher sehr beliebt. Vor allem an Feiertagen werden Hände und Füße von Mädchen und Frauen mit einer Hennapaste kunstvoll bemalt, Männer und männliche Jugendliche färben oftmals ihre Handinnenflächen.
Ausländer können sich in größeren Touristenzentren von professionellen Hinnaya (Hennamalerinnen) ebenfalls bemalen lassen.
Hierarchien: Insbesondere wenn man in einer kleineren Gruppe oder mit einem Guide unterwegs ist, wird man erfahren, wie wichtig Hierarchien sind. Jedem kommt eine eigene Aufgabe zu. Europäern drängt sich manchmal der Eindruck auf, als wären sich z. B. Guides zu schade, Koffer zu tragen. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass Kofferträger in der Hierarchie eindeutig unter den Guides stehen. Andererseits würde der Guide dem Kofferträger aber dessen Job abspenstig machen, wenn er den Koffer selbst tragen würde. So wahren die Menschen vor Ort ihre Aufgaben und jeder hat seinen Job. Als Gast sollte man sich den Gegebenheiten anpassen und die lokalen Strukturen akzeptieren.
Homosexualität: … gibt es selbstverständlich in Marokko nicht. So etwas machen nur die verdorbenen Ausländer. Diese Einstellung hat zur Folge, dass alles in absoluter Heimlichkeit geschehen muss und Homosexuelle, die „auffliegen“, mit Schimpf und Schande vertrieben werden. Das geht so weit, dass sie strafrechtlich verfolgt werden können. Homosexuelle Touristen sollten sich daher nicht als solche zu erkennen geben.
Kinder: Wer seine eigenen Kinder dabei hat, wird merken, wie groß die Liebe der Marokkaner zu Kindern ist. Überall ist man willkommen, überall wird man freudig begrüßt. Wer von marokkanischen Kindern bedrängt oder gar mit Steinen beworfen wird, wird feststellen, dass Wertvorstellungen in Marokko andere sind als bei uns. Aber wie auch immer man Kindern im Land begegnen wird: Sie hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Wer belästigt wird, sollte sich wehren und einheimische Erwachsene zu Hilfe holen und gegebenenfalls sogar bei der Polizei vorstellig werden.
Vorsicht: Es ist nicht angebracht, überall und immer Bonbons oder Geld zu verteilen! Sonst erlernen die Kinder das Betteln noch vor dem Rechnen!
Marabouts und Heiligenkult: Im islamischen Verständnis von Religion gibt es keine Heiligen – aber es gibt Menschen, die Allah näher sind als andere. Und diese – in Marokko auch Marabouts genannt – werden verehrt wie Heilige. Sehr weise Männer und Frauen erhalten nach ihrem Tod ein besonderes Kuppelgrab, das den gleichen Namen trägt wie sie: Marabout. Hierher pilgert man an bestimmten Feiertagen, um Baraka (s. S. 15) für sich zu erbitten.
Notdurft/Toilette: Statt Toilettenpapier werden in Marokko die Hand und frisches Wasser verwendet. Deshalb findet sich in jeder Toilette auch ein Wasserhahn. Toiletten, wie wir sie aus Europa kennen, sind inzwischen zwar häufig, aber noch nicht überall selbstverständlich.
An vielen Wänden in den Städten steht auf Arabisch geschrieben: Albul mamnu – Pinkeln verboten! Das macht man/n einfach nicht. Wenn er mal muss und keine Toilette aufsuchen kann, sollte er in die Hocke gehen und unter der Djellabah (ein traditionelles marokkanisches Gewand) hervorpinkeln. Frauen können dies nicht ganz so elegant und suchen deshalb besser eine Toilette auf.
Politik: Marokkaner sprechen gerne über Politik. Man kann sie ausfragen, mit ihnen diskutieren, disputieren – ja sogar Kritik an der politischen Führung üben. Niemals aber sollte man den König und seine Familie kritisieren, denn dies kann im schlimmsten Fall sogar mit einer Gefängnisstrafe enden! Diskussionen über den Palast sollte man wirklich erst dann führen, wenn man einander sehr gut kennt und vertraut. Allerdings gilt: Nachfragen, sich erklären lassen, Meinungen anhören – all dies ist möglich.
Prostitution: Gibt es offiziell genau wie Homosexualität natürlich nicht. Deshalb wird sie heimlich betrieben und nicht selten unter wenig schönen Umständen und Abhängigkeiten. Ein Mann oder eine Frau, die sich prostituieren (Männer nur für Männer), werden gesellschaftlich geächtet. Leider gibt es einen regelrechten Sextourismus, Berichten zufolge auch in seiner allerschlimmsten Form: der Kinderprostitution. Belegbar ist dies natürlich nicht. Es ist aber zu befürchten, dass es stimmt. Zu viele reden hinter vorgehaltener Hand darüber.
Ramadan: Im islamischen Fastenmonat geht alles langsamer und gemächlicher zu als im Rest des Jahres. Gegen Spätnachmittag werden die Menschen unruhig und bisweilen sehr ungeduldig, weil sie Hunger und Durst haben oder die Lust auf eine Zigarette sie plagt. In dieser Zeit sollte man als Gast im Land ein wenig Toleranz mitbringen und sofern man mit Fahrern oder Guides unterwegs ist, darauf achten, dass man sich bei Sonnenuntergang entweder schon am Bestimmungsort oder zumindest in der Nähe eines Restaurants befindet.
Rauchen: Sehr viele Marokkaner rauchen. Dies wird aber nicht wirklich gerne gesehen. Inzwischen gilt ein Rauchverbot in allen öffentlichen Gebäuden und in den meisten Restaurants. Zigaretten gibt es an jeder Ecke zu kaufen, und das für wenig Geld.
Religion: Der Islam ist in Marokko allgegenwärtig. Das liegt nicht nur daran, dass beinahe alle Marokkaner Muslime sind, sondern daran, dass das Leben eines Muslims den Gesetzen seiner Religion folgt, die durchaus nach außen getragen werden. Nichts geschieht ohne Gottes Wille, fünfmal am Tag ruft der Muezzin (das erst Mal schon früh um 4 Uhr), sodass jeder Tourist merken wird, wo er sich befindet: In einem islamischen Land! Die wenigen Juden und Christen, die in Marokko leben, tragen ihre Religion nicht nach außen. Sie leben aber nach ihren eigenen Regeln (s. S. 75).
Schuhe: Wie in jedem anderen islamischen Land auch, müssen Schuhe vor der Haustüre ausgezogen werden.
Sex: Ein Vorgeschmack aufs Paradies … unter Marokkanern natürlich nur in der Ehe erlaubt und tatsächlich von den meisten Frauen meist auch nur dort praktiziert. Dies gilt natürlich nicht für Sex mit Touristen. Viele Marokkaner und – nicht ganz so häufig – Marokkanerinnen nutzen Sex als Mittel, um ein Visum, eine Hochzeit, Geld oder andere Zuwendungen zu ergattern. Viele Europäer und Europäerinnen nutzen ihn, um ein besonderes Urlaubserlebnis zu haben, oder um die wunderschönen Worte zu hören, die einem verheißungsvoll dabei ins Ohr geflüstert werden. Außerdem empfinden es viele (Marokkaner und Europäer) ja auch als äußerst romantisch, mit einem/einer fremden (und somit attraktiven) Partner/Partnerin in einer herrlichen Umgebung die Nacht zu verbringen. Dass dies natürlich bei Frauen als absoluter Tabubruch gilt, Männer aber dafür als Helden gefeiert werden, ist ein weltweites Phänomen und nicht nur auf Marokko zu beschränken.
Souvenirs: Wer in Marokko auf den Märkten nichts findet, muss kaufimmun sein. Im Land wimmelt es nur so von Töpfer- und Lederwaren, Schmuck und Zierrat jeglicher Couleur. Diese jedoch müssen erst „erhandelt“ werden. Kaufen alleine geht nicht.
Sprache: Neben Arabisch bilden drei Berbersprachen sowie Französisch die Landessprachen. Im Norden kommt man sehr gut mit Spanisch durch, ansonsten im Notfall auch mit Englisch oder Deutsch.
Taxi: Man sollte darauf bestehen, dass das Taxameter läuft. Denn selbst, wenn der Fahrer den Nachtmodus eingeschaltet hat, ist dies immer noch günstiger, als ein Tarif auf Verhandlungsbasis. Manche Städte, wie Essaouira, haben fixe Tarife, egal wohin man fährt (z. B. Fahrten innerhalb des Zentrums 10 Dirham, außerhalb 15 Dirham). Man bringt diese am besten in seinem Hotel in Erfahrung.
Tiere: Der uns bisweilen wenig freundlich anmutende Umgang der Marokkaner mit Tieren liegt vor allem daran, dass Tiere in erster Linie als „Arbeitsgerät“ gesehen werden und nicht als Schmusegefährten. Man braucht sie zum Leben und geht entsprechend gut mit ihnen um. Aber wenn sie nicht wollen oder nicht können wie ihr Besitzer will, werden sie durchaus auch mit dem Stock geschlagen. Als unrein gelten Schweine. Man findet sie dementsprechend in Marokko nicht an.
Trinkgeld: … dient wie überall auf der Welt dem Ausdruck der eigenen Zufriedenheit. In Cafés und Restaurants sind sie jedoch ein Muss. Man sollte 10 %, mindestens aber einen Dirham geben.
Unterkunft: In Marokko gibt es nur eine Regel, an die man sich bei Unterkünften halten muss: Ausländer dürfen keine Marokkaner mit aufs Zimmer nehmen. Schon gar nicht, wenn diese dem anderen Geschlecht angehören. Gemischte Paare werden entsprechend keine Zimmer finden und müssen mitten in der Nacht mit Polizeibesuch rechnen – was vor allem für den Mann unangenehme Folgen haben kann.
Vegetarier/Ernährungsvorschriften: Auch wenn man in Marokko wenig Fleisch isst, so ist es für Vegetarier dennoch recht schwer, abwechslungsreich zu speisen. In den meisten Gerichten findet sich zumindest ein kleines Stück Fleisch und rein vegetarische Gerichte gibt es kaum. Selbst bei sogenannten „vegetarischen“ Tajines oder Kuskus wird meist Fleisch mitgekocht, beim Servieren dann aber entnommen.
Gegessen wird mit der rechten Hand . Im Kreise der Familie wird das Essen aus einem Topf bzw. von einer Platte entnommen. Gäste bekommen das größte Stück Fleisch, das meist vorher vom Hausherrn persönlich mit den Händen zerteilt wird. Da dies einer Ehre gleicht, sollte man das Fleisch auch annehmen.
Zeitverständnis und Pünktlichkeit: Die Europäer haben Uhren – die Marokkaner Zeit. Pünktlichkeit ist nicht wirklich eine Tugend der Marokkaner. Aber im Vergleich zu vielen anderen Ländern steht Marokko durchaus gut da. Sehr positiv zu erwähnen sind die Züge, die selten mehr als 15 oder 30 Minuten zu spät sind, sowie die Busse, die häufig pünktlich sind. Pünktlich gegessen wird selten, aber zum Gebet erscheinen alle zur richtigen Zeit.
Die Geschichte Marokkos war von Anfang an durch die Lage am Mittelmeer und die damit verbundenen Beziehungen gekennzeichnet. Und doch blieb die Lebensweise der hier ansässigen Menschen lange Zeit relativ unberührt von den fremden Mächten. Erst mit der Islamisierung und der damit einhergehenden Arabisierung fand zum ersten Mal eine Einflussnahme von außen statt, die das Leben in Marokko bis heute prägt.
Die ersten Skelette, die ein Zeugnis menschlichen Lebens in der Region des heutigen Marokko darstellen, wurden in der Nähe von Casablanca gefunden. Man schätzt ihr Alter auf 300.000 Jahre. Weitere Funde von etwa 100.000 und 50.000 Jahre alten Schädeln in der Nähe des heutigen Rabat lassen Rückschlüsse auf eine kontinuierliche Besiedlung zu.
Als die ersten Seefahrer ab 3500 v. u. Z. an die Mittelmeerküste des Maghreb (arab. Maghrib, der „Westen“) kamen, fanden sie die Region menschenleer. Die wenigen Bewohner des Landes lebten wahrscheinlich als Nomaden oder Halbnomaden im Landesinneren. Wenn es zu dieser frühen Zeit überhaupt schon dauerhafte Siedlungen gegeben hat, dann nur im Drâa- und Ziztal, wo die ökologischen Bedingungen dafür gegeben waren.
Es gibt keinerlei Funde aus vorphönizischer Zeit (ab 1100 v. u. Z.), die auf frühe Formen von Keramik- oder Metallverarbeitung hinweisen. Die ersten Zeugnisse menschlicher Kultur in Marokko sind Felszeichnungen aus dem 4. Jahrtausend v. u. Z., die man im Süden gefunden hat und die vor allem Tier- und Menschenmotive zum Inhalt haben, sowie Überreste der Megalith-Kultur (ab 3500 v. u. Z.) im Norden des Landes. Benannt wird diese Kultur nach ihren Steinmonumenten: Menhire (Steine, die aufrecht stehen), Dolmen (Grabkammern), Tumuli (Grabhügel) und Cromlechs (Steinkreise). Aber auch wenn die Megalith-Kultur zu den bedeutendsten Kulturen ganz Europas und des Mittelmeerraumes gehört, ist über die Erbauer der Steinmonumente, ihre Herkunft und Geschichte nicht mehr bekannt, als dass sie gute Seefahrer waren. Sie errichteten riesige Steinbauwerke mit Hilfe von Astrollen und bearbeiteten sie mit Steinwerkzeugen. Unbekannt ist die Bedeutung dieser Steinmonumente. Die Grabkammern weisen auf eine große religiöse Bedeutung des Todes hin, weitere Hinweise fehlen jedoch. Dass die Megalith-Kultur irgendeinen Einfluss auf die Bewohner Marokkos gehabt haben könnte, ist unwahrscheinlich.
Mit dem Auftauchen der Phönizier, einem Seefahrervolk, das sich wie kein zweites auf den Mittelmeerhandel verstand, erhält man zum ersten Mal nähere Informationen. Die Seefahrer, die ursprünglich aus der Region des heutigen Libanon stammten, durchfuhren etwa gegen 1100 v. u. Z. die Straße von Gibraltar und gründeten in der Folgezeit einige Handelsstützpunkte entlang der Meeresküsten. Auf marokkanischem Boden waren das Russadir (heute Melilla) und Lixus (heute Larache). Später entstanden unter der Herrschaft von Karthago, einer Kolonie, die sich von den Phöniziern unabhängig gemacht hatte, dann Tingis (heute Tanger), Rusibis (heute al-Jadida), Mogador (heute Essaouira) und Chellah (heute bei Rabat). Führende Historiker gehen davon aus, dass die Phönizier in regem Handel mit Berbern standen, obwohl es hierfür keinerlei Zeugnisse gibt. Haupthandelsgut war ab dem 6. Jahrhundert v. u. Z. die Purpurschnecke, aus deren Sekret man einen wertvollen roten Farbstoff herstellen konnte.
Mit den punischen Kriegen wurden die meisten Siedlungen wieder aufgegeben, der karthagische Einfluss an den Küstenregionen schwand, Karthago wurde 146 v. u. Z. zerstört. Einzelne Berberstämme (wahrscheinlich Masmuda) übernahmen die Rolle der einstigen Kolonisten und übten bescheidenen Einfluss auf die Region aus, ohne dabei überregional organisiert gewesen zu sein.
Zu dieser Zeit begann Rom, sich näher für diese Gegend zu interessieren. Grund dafür war die Konföderation mehrerer Berberstämme, die die Rolle der einstigen Kolonisten übernommen hatten. Aus Angst, diese Konföderation könnte sich mit den geschlagenen, aber dennoch keineswegs zerstörten Machthabern zusammentun, führte dazu, dass sich die Römer in Nordafrika Bündnispartner suchten, mit deren Hilfe sie die Macht der Karthager einzudämmen hofften. Sie nannten das Land „Land der Dunklen“, Mauretanien.
Dieses Mauretanien – welches nicht dem heutigen Land desselben Namens entspricht – umfasste das nördliche Marokko vom Atlantik bis ins heutige Algerien, und wurde 25 v. u. Z. zu einem römischen Kaiserreich, das von Yuba II. regiert wurde. Yuba war als Kind von Mauretanien nach Rom gebracht und dort zum Kaiser ausgebildet worden. Volubilis und Cherchell (in Algerien) wurden die Kaiserresidenzen, das Reich blühte auf und erlebte einen nie gesehenen wirtschaftlichen Aufschwung. Die wichtigsten Handelsgüter waren neben Getreide, Oliven und Pökelfleisch weiterhin die Purpurschnecke und Wildtiere, die man für die Gladiatorenspiele in Rom brauchte.
Nach der von Rom veranlassten Ermordung von Ptolemeus II., Sohn und Nachfolger Yubas II., im Jahre 2 unserer Zeitrechnung eskalierten in Nordafrika die Berberaufstände, welche die römische Herrschaft von Anfang an mitgeprägt hatten. In den 65 Jahren der Fremdherrschaft hatten viele von ihnen ihre nomadische Lebensweise aufgeben und mussten sich den neuen Herren unterwerfen. Nun fürchteten sie um ihren Unterhalt. Doch die Aufstände wurden niedergeschlagen, und zwei Jahre danach entstanden die römischen Provinzen Mauretania Caesariensis und Mauretania Tingitana, beide auf dem Gebiet des ehemaligen Kaiserreiches. Tanger wurde Hauptstadt der westlichen Provinz. Und wieder gab es eine Blütezeit, die sich jedoch auf die römischen Küstenstädte beschränkte; Einfluss auf das Landesinnere und somit auf seine Bewohner konnte die römische Herrschaft nicht nehmen. Lediglich Zulieferer und Arbeiter standen in losem Kontakt mit den Besatzern.
Um die Berberfürsten ruhig zu halten, ließ Rom ihnen hohe Zuwendungen zukommen. Als diese durch die Schwächung des römischen Reiches geringer ausfielen, kam es zu häufigen Überfällen der Berber auf römische Siedlungen. Außerdem übten germanische Stämme, die ab dem 4. und 5. Jahrhundert immer wieder in Nordafrika einfielen, zunehmenden Druck auf die Römer aus. Beides zusammen führte zur Beendigung der römischen Herrschaft in Marokko Anfang des 5. Jahrhunderts.
Den Römern folgten die Vandalen (lebten in Vandalusien, heute Andalusien), und damit hielt der christliche Glauben in Nordafrika Einzug. 429 überquerte der Vandale Geiserich die Straße von Gibraltar und eroberte Tanger mit Hilfe der Berber. Von hier aus zog er ostwärts. Nach seinem Tod zerfiel das kurzlebige Vandalenreich in Nordafrika, das die Byzantiner zu übernehmen versuchten. Doch sie blieben, zumindest auf dem Gebiet des heutigen Marokko, erfolglos. Die Berber hatten wieder die Herrschaft erlangt, ohne Reich und überregionale Ordnung, und hofften, dass dies nun immer so bleiben würde. Aber dann kamen die Araber und mit ihnen der Islam!
Während Byzanz versuchte, sich an der Küste Nordafrikas zu etablieren, entstand auf der arabischen Halbinsel wohl die nachhaltigste Bewegung, die je mit Nordafrika in Berührung kam: die islamische. Noch zu Lebzeiten des Propheten breitete sich der neue Glaube auf der gesamten Arabischen Halbinsel aus und erreichte im Jahr 635 Damaskus, das im Jahre 661 zur Hauptstadt des ersten weltlichen islamischen Reiches gekürt wurde.
Die frühen islamischen Machthaber hatten von Anfang an heftig gegen die Herrschaft der Byzantiner zu kämpfen, die denselben Raum für sich beanspruchten wie die umma, die islamische Gemeinschaft. Byzanz hatte sich gerade in Nordafrika etabliert, weswegen die Muslime diesen Landstrich zur Schwächung des Konkurrenzreiches erobern wollten.
Ägypten war das erste nordafrikanische Land, das unter das „Banner des Propheten“ kam. Der islamische Eroberungszug ging von hier aus weiter gen Westen und erreichte 663 das heutige Tunesien, wo man mit dem Bau der heiligen Stadt Kairuan begann. Diese sollte, fern von Mekka und Medina, zu einem westlichen islamischen Zentrum werden. Der Plan ging auf, und Kairuan wurde der Ausgangspunkt für die Eroberung der noch weiter westlich gelegenen Gebiete. Uqba ibn Nafi, der Gründer der heiligen Stadt und erste große Feldherr in Nordafrika, wagte von hier die frühesten Vorstöße bis an den Atlantik. Er wurde jedoch 683 von Berbern getötet, die sich gegen diese neuen Angriffe fremder Armeen wehrten. In den arabischen Annalen wird Uqba ibn Nafi deswegen als Märtyrer verehrt, ein Mann, der für die Verbreitung des heiligen Glaubens starb.
Nach dem Tod Uqba ibn Nafis kehrte für kurze Zeit Ruhe ein, die Macht in den bis dahin eroberten Gebieten wurde gefestigt, die Byzantiner wurden vertrieben und das wiederaufgebaute Karthago wurde zum zweiten Mal zerstört. Das Gebiet jedoch, welches das heutige Marokko darstellt, war quasi „araberfrei“. Der Widerstand der Berber, auf den die ersten arabischen Vortruppen gestoßen waren, blieb auch während des zweiten arabischen Vorstoßes bestehen: 698 machte sich Musa ibn Nusair, der Neffe des legendären Uqba, daran, den „äußersten Westen“, den Maghrib al-aqsa, wie Marokko auch heute noch in der Landessprache heißt, zu erobern. Er hatte weit mehr noch als sein Onkel mit dem Widerstand der Bevölkerung zu kämpfen: Unter der Führung der Seherin Kahina, schafften die Berber es, die Araber bis Tripolis zurückzudrängen.
Um Kahina winden sich Legenden. Diese erzählen von der Königin eines verwüsteten Landes, der Herrscherin über dreißigtausend Soldaten, die aus den Bergen zu ihr kamen, um mit ihr gemeinsam gegen die fremden Reiterhorden zu kämpfen. Sie soll eine Nachfahrin der libyschen Amazonen gewesen sein, eine ungewollte Tochter, die nur aus Liebe zu ihrem Vater das Bogenschießen erlernte … Kahina war aller Wahrscheinlichkeit nach jüdischer Abstammung. Ihre Ahnen hatten den jüdischen Glauben angenommen, den sie nun gegen die Eroberer verteidigte. Diese fürchteten schon bald die Klugheit und Kraft dieser Person. „Wer“, ließen sie fragen, „wer ist dieser Prinz, der mächtigste und gefürchtetste unter den Berbern?“ Als sie hörten, es sei eine Frau, glaubten sie, es handle sich um Dämonen.
Kahinas Kriegstaktik war einfach: Sie führte ihre Soldaten in die Berge und ließ die Ebenen abbrennen, damit die feindlichen Pferde und Reiter keine Nahrung fanden. Ihre Rechnung ging zumindest anfangs auf, denn die Araber zogen sich zurück. Dann aber wurde die Seherin, die Königin der Berber, getötet – ein Anschlag aus den eigenen Reihen. Die Geschichtsbücher sprechen von der Angst ihrer Mörder, sie könne alles Land zerstören; die Legenden sprechen von einem jungen Mann, der erst Kahinas Gefangener und später dann ihr Geliebter war. Es war der Neffe von Yazid, ihrem ärgstem Feind. Er selbst soll die Königin getötet haben, um seinen Onkel zu rächen. Gleich, welche Deutung stimmt: Nach dem Tod Kahinas nahm die arabische Invasion Marokkos ihren schicksalsträchtigen Lauf.
Die autochthone (alteingesessene) Bevölkerung Nordafrikas, gemeinhin als Berber bekannt, war nie eine einheitliche Ethnie, die in einer überregionalen Stammeskonföderation oder in Städten lebte. Jede Form der Organisation, die über die Dorfebene hinausging, war ihr fremd. In der Fachliteratur findet sich aus diesem Grund auch nicht selten der Begriff der „geordneten Anarchie“. Die eindringenden Araber hatten es deshalb recht leicht, die Bewohner der Region zu unterwerfen, denn ein einheitliches Heer, das sich ihnen entgegenstellten konnte, gab es nicht. Mit dem Tod der Kahina, bis heute bei den Berbern eine hochverehrte Frau, war der einzige wirklich organisierte Widerstand gebrochen, was nicht heißt, dass damit alle Widerstandsnester ausgehoben waren. In Guerilla-Taktik ging der Kampf weiter.
Das konnte indessen die Ausbreitung des Islams unter den Berbern nicht verhindern. Die Ursache dafür lag in der Lehre an sich: Der Islam verspricht allen Anhängern die völlige Gleichheit, unabhängig von Rasse, Geschlecht und sozialem Stand. Bald schon wurden Berber in die muslimischen Heere aufgenommen und mit hohen Aufgaben betraut. Welch kluger Schachzug! So war es auch ein Berber, Tariq ibn Ziyad, der zusammen mit einem Heer von 7000 Soldaten im Jahre 711 bei Gibraltar (arab. Djabal al-Tariq, „Berg des Tariq“ genannt) europäischen Boden betrat und mit der Eroberung Spaniens begann. Das Westgotenreich, Anfang des 8. Jahrhunderts aufgrund interner Machtkämpfe geschwächt, konnte dem muslimischen Heer keinen Widerstand entgegensetzen. Der Islam überrollte die Iberische Halbinsel geradezu und erreichte im Jahr 734 das Rhonetal!
Mit der durch den Islam versprochenen Gleichheit nahmen es die Araber nicht lange genau: Sie, als „reine“ Muslime, fühlten sich den „Afrikanern“ überlegen, weswegen sich die ersten Berber 740 zum Widerstand gegen diese Arroganz rüsteten. Sie übernahmen die Ideen der Kharidjiya,Einzelreiche,