Eva Wodarz-Eichner, Karsten Eichner

DIE SCHILLER-STRATEGIE

EVA WODARZ-EICHNER
KARSTEN EICHNER

DIE SCHILLER-STRATEGIE

Die 33 Erfolgsgeheimnisse des Klassikers

Bibliografishe Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Eva Wodarz-Eichner, Karsten Eichner

Die Schiller-Strategie

Die 33 Erfolgsgeheimnisse des Klassikers

F.A.Z.-Institut für Management-,

Markt- und Medieninformationen GmbH

Frankfurt am Main 2010

ISBN 978-3-89981-426-2

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F.A.Z.-Institut für Management-,
Markt- und Medieninformationen GmbH
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60326 Frankfurt am Main

Gestaltung/Satz

 

Umschlag

F.A.Z., Verlagsgrafik

Titelbild

Karsten Schreurs, GROBI Grafik & Illustrationen

Satz Innen

Nicole Bergmann, Angela Kottke

 

INHALT

Prolog: Flucht in die Karriere

Vorwort

I      Visionen entwickeln

1     Entwickle Visionen für Dein Leben – und setze sie um

2     Sei leidenschaftlich: Nur mit ganzem Herzen kannst Du Großes vollbringen

3     Lass’ Deinen freien Geist nicht einengen: Sei unabhängig – sei mutig

4     Investiere klug in Deine Karriere

5     Sei nicht weltfremd: Nimm die Welt an, wie sie ist – und nutze die Gegebenheiten bestmöglich

II    Erfahrungen sammeln

6     Achte auf eine gute Ausbildung, aber auch auf genügend Freiräume

7     Erkenne Deine Stärken und konzentriere Dich darauf – Lote Deine Grenzen aus und suche Dir einen klugen Mentor

8     Erkenne die richtigen Wertmaßstäbe für Dein Leben und nutze jede Möglichkeit zur Weiterbildung – auch der des Herzens

9     Erkenne Deinen Wert – und verkaufe Dich nicht darunter

10   Wenn das nicht geht: Suche Dir ein Genre, das fair bezahlt wird

11   Bewahre Dir ein gutes Verhältnis zu Deiner Familie, aber höre nicht auf jeden vermeintlich guten Ratschlag

III   Mit Rückschlägen umgehen

12   Verfolge Deine Ideen – auch gegen mächtige Widerstände

13   Aber wisse auch, wann man diplomatisch sein muss

14   Lerne leere Versprechungen erkennen – und prüfe Deine Verträge sorgfältig

15   Sei selbstkritisch, aber fair

16   Meistere die Midlife-Crisis

17   Glaube an Dich, immer – auch in schwieriger Zeit

IV   Freunde finden, Netzwerke knüpfen

18   Reiß’ die anderen mit

19   Suche Dir echte Freunde, die Dir in der Not beistehen

20   Suche Dir Förderer und Gönner: Baue Dir ein Netzwerk auf

21   Baue Stein für Stein an Deiner Karriere – auch Ehrenämter können von Nutzen sein

22   Bilde „Dream Teams“ …

23   … auch in der Partnerschaft

24   Unterschätze nicht den Wert der Familie

25   Schaffe Dir einen Ort der Ruhe

V    Strategisch ans Ziel kommen

26   Betreibe Selbst-Marketing: Baue Dir ein gutes Image auf

27   Lass’ Dich coachen: Unterschätze nicht die Faktoren Aussehen, Sprache und Kleidung

28   Lass’ Dich inspirieren – wenn es sein muss, von faulen Äpfeln

29   Sei gewissenhaft – auch in kleinen Dingen

30   Treibe keinen Raubbau mit Deinem Körper: Nimm Dir Auszeiten

31   Genieße das Leben und den Erfolg: Lass’ Dich mit schönen Dingen belohnen

32   Plane Deine privaten Finanzen sorgfältig und sichere Deine Familie ab

33   Achte auf die Nachhaltigkeit Deines Tuns: Man soll sich später gern an Dich erinnern

Nachwort

Zeittafel

Literatur

Die Autoren

PROLOG: FLUCHT IN DIE KARRIERE

Thüringen, Dezember 1782: Der Schnee liegt hoch in diesem Winter. Schwarz recken die Bäume ihre kahlen Äste in den Himmel, an dem das rote Gold der Sonne allmählich verglüht. Nur wenige Menschen sind an dem kalten Abend unterwegs, und mühsam sucht sich eine Kutsche ihren Weg durch den festgestampften Schnee. Ein einziger Reisender sitzt im Wagen, tief in Gedanken versunken. Er starrt aus dem kleinen Fenster auf die verschneite Landschaft draußen, sieht nicht den Sonnenuntergang und nicht die ersten Lichter der herzoglichen Residenzstadt Meiningen irgendwo in der Dämmerung aufblitzen.

Noch ist nicht alles verloren. Nicht alles. Wenn auch seine neue Welt in Trümmern liegt – er, der gefeierte Dichter der „Räuber“, wieder einmal auf der Flucht … Schon einmal war er vor dem Herzog geflohen, hatte Stuttgart und sein altes Leben hinter sich gelassen. Mannheim, sein berühmtes Nationaltheater und das Publikum hatten damals auf ihn gewartet. Keine drei Monate war es her, und wieder ließ er alles zurück.

War es damals ein Fehler gewesen zu fliehen? Bei Nacht und Nebel, im Schutz eines Feuerwerks, das Herzog Karl Eugen von Württemberg zu Ehren seines Verwandten, des russischen Großfürsten Paul, abbrennen ließ. Ich sage, bei Strafe der Festungshaft schreibe Er keine Komödien mehr! Zwei Wochen Arrest hatte er damals schon hinter sich, und das schreckliche Beispiel des Dichters Christian Friedrich Daniel Schubart, der mit seinen freiheitlichen Schriften den Unwillen des Herzogs herausgefordert hatte und dafür im Kerker der Burg Hohenasperg lag, hat er ständig vor Augen. Flucht ist erlaubt, wenn man Tyrannen flieht. Er musste schreiben, musste!!! Und das war heute nicht anders als damals.

Entschlossen strafft der junge Mann in der Kutsche die Schultern. Nein, es war kein Fehler gewesen – damals, in der Nacht des 22. September 1782 nicht, und heute auch nicht. Mannheim und sein Publikum hatten ihn begeistert gefeiert, seine „Räuber“ bejubelt, das Stück, das er mit seinem Herzblut geschrieben hatte, und ihm – dem Dichter! – stehenden Beifall gezollt. Und zu Hause in Stuttgart warteten Arrest und Schreibverbot statt Anerkennung. Nicht mehr von Fürsten abhängen. Nur noch von der Gunst des Publikums. Dafür lohnte es. Dafür lohnte alles!

Am Himmel ist die rote Sonne verglüht, und allmählich sinkt die Nacht auf die stille Thüringer Landschaft. Wie lange war er jetzt unterwegs gewesen, seit er aufgebrochen war, um das Angebot Henriette von Wolzogens anzunehmen, in ihrem Gut in Bauerbach bei Meiningen zu leben? Einen Unterschlupf zu finden wie ein gehetztes Tier, Ruhe zu finden und ungestört arbeiten zu können – waren es sechs Tage oder sieben, tausend oder hunderttausend Stunden?

Fast zärtlich streichen Friedrich Schillers Hände über den Brief, den ihm die Mutter eines ehemaligen Kameraden aus der Stuttgarter Karlsschule geschickt hatte. Sie war von seinem Talent überzeugt, sie wusste um die Macht seiner Sprache und darum, dass es keine närrische Idee von ihm war, sein Leben dem Schreiben widmen zu wollen, sondern Vorsehung. Dichter sein ist mein Schicksal … Ihr Gut in dem kleinen thüringischen Dorf sollte seine Zuflucht werden, der Ort, wo Luise Millerin Gestalt annehmen würde.

Keiner würde ihn dort vermuten. Er war nicht in Mannheim in die Kutsche gestiegen, sondern zu Fuß bis nach Worms zur Poststation gegangen, weil der Herzog in Mannheim möglicherweise die Kutschen kontrollieren ließ und ihn suchte, den geflohenen Regimentsmedikus Schiller. Flucht ist erlaubt, wenn man Tyrannen flieht. Ein Tyrann – in gewisser Weise war Dalberg das auch. Freiherr Wolfgang Heribert von Dalberg, der Intendant des Mannheimer Nationaltheaters. Dalberg hat seine „Räuber“ auf die Bühne gebracht und ihn von der Mannheimer Freiheit begeistert, und dann hatte Dalberg es mit der Angst vor dem Herzog zu tun bekommen, als er seine Versprechen ernst genommen hatte und aus Stuttgart nach Mannheim geflohen war. Hatte angefangen, sein neues Stück zu kritisieren, Umarbeitungen zu fordern. Und einen Vorschuss hatte er auch verweigert. Meine Räuber mögen untergehen, mein Fiesko wird leben.

Mit seinem treuen Gefährten Andreas Streicher war er von Mannheim nach Frankfurt aufgebrochen, um seine Spur zu verwischen. Hatte in Mainz den ehrwürdigen alten Dom gesehen. Hatte in einem billigen Gasthof in Oggersheim gehaust und gearbeitet wie ein Besessener, um es Dalberg recht zu machen. Hatte sogar dem Herzog geschrieben, doch der zeigte sich hart. Seine Gnade habe Grenzen, seine Geduld auch. Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und würd’ er in Ketten geboren.

Die Lichter der Stadt Meiningen kommen näher, und endlich nimmt Schiller Notiz von ihnen. Sie strahlen warm in der schwarzen Nacht, und an der Poststation würde der Wagen der Wolzogens auf ihn warten, um ihn in das Haus in Bauerbach zu bringen. Dort würde er endlich Ruhe finden – keine Sorge darum, woher die nächste Mahlzeit käme. Der Herzog würde nachgeben müssen, wenn alle Welt dem großen Dichter Schiller huldigte. Ein freier Weltbürger. Keinem Herrn untertan. Seinem eigenen Schreiben zu leben.

Entschlossen greift Schiller nach seinem wenigen Gepäck, als die Kutsche vor der Meininger Poststation anhält. Er reißt den Schlag auf und ist mit einem Sprung draußen in der Thüringer Winternacht. Seine Zukunft hat begonnen.

VORWORT

Schiller lebt. Auch mehr als 200 Jahre nach seinem Tod ist der Ausnahme-Dichter äußerst präsent. Und nach wie vor hat uns der größte deutsche Dramatiker eine Menge zu sagen. Nicht nur in seinen Werken, die längst als Bühnenklassiker gelten und zum Standardrepertoire eines jeden Theaters gehören. Auch mit seinem ganzen Leben gibt Friedrich Schiller uns ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie wir unser Leben und unsere Karriere planen können.

Denn was viele nicht wissen: Hinter Schillers literarischem Erfolg steckte nicht nur Können, sondern auch eine ausgeklügelte Karrierestrategie. Schiller dachte für seine Zeit erstaunlich „modern“. Und er nutzte zeitlose Methoden und Erkenntnisse, die wir auch heute leicht im (Berufs-)Leben anwenden können. Selbst aus Schillers Fehlern können wir lernen – um es im eigenen Leben besser zu machen.

Schillers Leben gleicht auf den ersten Blick, modern gesprochen, einer wirren „Portfolio-Karriere“. Schiller studierte lustlos erst Jura, dann Medizin. Er schaffte seinen Abschluss nur mit Ach und Krach. Er arbeitete als Regimentsarzt, doch er war unglücklich im Beruf. Denn seine wahre Liebe galt der Schriftstellerei. Um seinen Traum zu verwirklichen, ist er desertiert, hat sich etliche Zeit als freier (und miserabel bezahlter) Theaterautor durchs Leben geschlagen. Später ist er dann, ohne einschlägiges Fachstudium, ein angesehener Geschichtsprofessor geworden, und auch seine Bekanntheit als Dichter nahm zu. Spät, sehr spät, stellte sich neben dem Ruhm schließlich auch der materielle Erfolg ein.

Aber vor allem sein Werk ist es, das Schiller unsterblich gemacht hat. Und Schiller, das wird auf den folgenden Seiten deutlich, hatte von früher Jugend an einen Plan: Er wollte literarischen Ruhm erringen – und verfolgte dieses Ziel mit äußerster Hartnäckigkeit, auch in scheinbar ausweglosen Situationen. Und dennoch, auch dies wird im Folgenden deutlich, war er kein verbissener und verbiesterter „Karriere-Typ“. Im Gegenteil: Schiller war stets für seine Freunde da. Ja, er brauchte geradezu die Geselligkeit, die fröhlichen Stunden im Kreise von Gleichgesinnten. Er spielte gern Karten, und er wusste stets einen guten Tropfen zu schätzen.

Und er war ein humorvoller und fürsorglicher Familienvater – sozusagen der Prototyp des „modernen Mannes“, der Elternzeit einreicht und die Erziehung der Kinder nicht nur seiner Frau überlässt. Die Familie, die Freunde gaben ihm Kraft für sein geradezu mörderisches Arbeitspensum. In den folgenden 33 Kapiteln, denen jeweils eine These voransteht, bekommt der Leser einen spannenden und zugleich unterhaltsamen Einblick in das bewegte Leben des Dichters – und einen Überblick über mögliche Strategien zum Erfolg.

Manch einer mag nun einwenden, dass doch Johann Wolfgang von Goethe in seinem Leben die viel größere Karriere gemacht habe, dass er der möglicherweise noch bekanntere Dichter sei. Gewiss! Goethe hatte auf den ersten Blick deutlich mehr Erfolg im Leben – mehr Geld, mehr Frauen, ein größeres Haus und eine sehr prestigeträchtige Position in der Regierung. Aber Goethe hatte auch einen viel leichteren Start. Er war bereits mit dem sprichwörtlichen „goldenen Löffel“ im Mund auf die Welt gekommen, bekam vom Vater die Ausbildung finanziert und konnte sich so manche Eskapaden leisten. Und er konnte in Ruhe seine ersten Werke schreiben, mit denen er wiederum so viel Erfolg hatte, dass ihm der Weimarer Herzog prompt einen interessanten Posten anbot, nur um ihn an seinen Hof zu locken. Kunst bringt Gunst – zumindest galt dies für Goethe.

Schiller aber hat sich seinen Erfolg erst mühsam erarbeiten müssen, Stück für Stück. Er hat zeitlebens gegen Widerstände gekämpft und gegen die Widrigkeiten des Alltags. Er hat in menschliche Abgründe geblickt, hat Intrigen erlebt, berufliche Niederlagen einstecken müssen und gesundheitliche Rückschläge erlebt. Und doch hat er nie aufgegeben, hat stets an sich geglaubt, ist seinen Weg weitergegangen. Sein „unperfekter“ Lebenslauf, sein beständiges Ringen um Erfolg, um Anerkennung, um Geld, um eine gesicherte Existenz ist uns daher viel näher – und weit mehr als von Goethe können wir daher von Schiller lernen.

Zugegeben: Nicht alles, was Schiller sich mühsam erkämpfte, geriet ihm auch zum Erfolg. Etliche Beispiele in diesem Buch sind auch Zeugnisse des Scheiterns. Des Scheiterns aus Unwissenheit. Des Scheiterns an Sachzwängen. Und häufig auch an überzogenen Erwartungen. Aber umso mehr können wir aus diesem Scheitern lernen. Und letztlich ein tröstliches Fazit ziehen: Auch Schiller hat Lehrgeld zahlen müssen. Doch auch er hat seine Karriere spät, aber nicht zu spät, erfolgreich in die richtigen Bahnen gelenkt. Und für uns zahlt sich Schillers Lehrgeld heute aus.

Anhand der folgenden 33 Thesen zeigt dieses Buch erstmalig unter diesem speziellen Blickwinkel, wie Schiller seine berufliche Karriere, seinen Erfolg und vor allem schon seinen Nachruhm akribisch geplant hat und wie wir heute davon profitieren können. En passant erhält der Leser dabei einen unterhaltsamen Einblick in das bewegte Leben des berühmten Dichters. Also ein echter Mehrfach-Nutzen – Schiller hätte diese Idee gewiss gefallen.

Wiesbaden, im September 2010

Eva Wodarz-Eichner und Karsten Eichner



1  ENTWICKLE VISIONEN FÜR DEIN LEBEN – UND SETZE SIE UM

„Schon 23, und noch nichts für die Unsterblichkeit getan!“

Don Carlos

Bauerbach, im Winter 1782/83: Er hatte alles gewagt, hatte sein Leben und seine Freiheit aufs Spiel gesetzt. Und er hatte alles gewonnen. Die Welt lag ihm zu Füßen – diese Welt, die nur auf seine Werke wartete. In der er als freier Bürger lebte, der keinem Fürsten untertan war. Die Götter waren ihm gnädig – er hatte alle Fesseln, die ihm der Herzog so gern angelegt hätte, abgeschüttelt; war geflohen aus Württemberg, wo Karl Eugen selbst die Gedanken seiner Untertanen kontrollieren wollte. Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire! Nein, es war nicht zu ertragen gewesen – aber er hatte richtig gehandelt. Und jetzt war er frei, ein freier Mann! Der nur für seine Schriftstellerei leben wollte …

Ein Lächeln geht über das Gesicht Schillers. Es lässt seine blassblauen Augen strahlen und verleiht ihm etwas Jungenhaftes, das seine Freunde so an ihm lieben. Es würde eine glänzende Zukunft werden, eine Zukunft als großer Dichter! Man würde ihn in einem Atemzug mit seinem Vorbild Goethe nennen …

Jäh erlischt das Strahlen in seinen Augen. Der dichterische Ruhm würde nicht von selbst kommen. Seine „Räuber“ waren ein großer Erfolg, eine Sensation auf der Mannheimer Bühne geworden. Aber davon konnte er nicht ewig zehren, es musste weitergehen! Ein Erfolgsstück nach dem anderen musste er schreiben, seine Gedanken in Lyrik und Abhandlungen fassen, die Menschheit erziehen zum Besseren, Höheren – denn nichts anderes war die Aufgabe des Dichters, nichts anderes war seine Aufgabe!

Hier, in diesem gottverlassenen Nest Bauerbach, hatte er endlich die Zeit und die nötige Sicherheit, sich ganz dem Schreiben zu widmen, und alles, was er schrieb, musste gut, musste brillant werden. Wenn er versagte, würde die Welt zu Recht über ihn lachen, den Schreiberling, der alles aufs Spiel gesetzt – und dabei seine Würde verloren hatte, wenn er erfolglos damit war …Wenn ich nicht dieses Jahr als ein Dichter vom ersten Rang figuriere, so erscheine ich wenigstens als Narr, und nunmehr ist das für mich eins. Er musste einfach Erfolg haben, musste! Es war allerhöchste Zeit. Schon 23, und noch nichts für die Unsterblichkeit getan!

Schiller untertreibt: Als er 1782 diesen Satz in einem Brief schreibt – später legt er ihn auch seinem „Don Carlos“ in den Mund –, ist er bereits ein bekannter Schriftsteller. Sein Drama „Die Räuber“ hat bei der Uraufführung im Mannheimer Nationaltheater einen beispiellosen Erfolg, der Name Schillers ist in aller Munde. Ein literarischer Newcomer mit einem riesigen Achtungserfolg, vergleichbar etwa einem Debütautor unserer Tage, der die Bestsellerlisten stürmt.

Doch Schiller will mehr – und er will es lieber heute als morgen. Ein einzelner kurzer Erfolg allein reicht ihm nicht. Sein Ziel, seine Vision ist ebenso unbescheiden wie ehrgeizig. Er will der Größte sein – größer noch als der umjubelte Goethe, der Säulenheilige des damaligen Literaturbetriebs. Und er will etwas schaffen, was von Dauer ist. Eben unsterblich.

Auch wenn man kein so hehres Ziel wie die „Unsterblichkeit“ hat, gibt es auch heute noch genügend Gründe, an einem großen (Lebens-)Ziel festzuhalten und diese Vision mit Hartnäckigkeit zu verfolgen. Das kann das über Jahre und Jahrzehnte gesteckte Ziel sein, einmal Bundeskanzler zu werden (Paradebeispiele dafür sind Helmut Kohl und Gerhard Schröder), der Wunsch, einmal im Vorstand eines Dax-Unternehmens zu sitzen, oder der Traum, ein berühmter TV-Star zu werden. Reine Zufallskarrieren sind selten, allen Versprechungen der Castingshows diverser Fernsehprogramme zum Trotz. Und ohne Visionen für das eigene Leben sind sie fast unmöglich.

Friedrich Schiller zeigt, was es heißt, seine Vision mit letzter Konsequenz zu verfolgen: Er will Dichter sein, koste es, was es wolle! Und es kostet ihn eine ganze Menge – seine Familie, seine Heimat, seinen Beruf, seine ganze gesicherte, wenn auch bescheidene Existenz. Er riskiert seine Freiheit, seine Ehre, seine Gesundheit, möglicherweise sogar sein Leben – denn man wusste, dass der Herzog Fahnenflüchtige durchaus auch mit Gewalt in sein Land zurückholte, um sie dort ohne Federlesens in den Kerker zu werfen.

Der Preis, den Schiller zahlt, ist extrem hoch; doch er weiß genau, warum er ihn zahlt. Er ist sich sicher, später einmal allein von seiner Feder leben zu können – als erster Berufsschriftsteller Deutschlands. Er ist kein Träumer, kein Phantast, trotz des offen geäußerten Wunsches nach „Unsterblichkeit“. Er kennt seine Stärken, und er glaubt an sie, allen Rückschlägen zum Trotz. Er weiß, dass er eine reelle Chance hat, es zu schaffen.

Und er hat es geschafft. Schiller ist auch heute noch aktuell, seine Stücke gehören zum Repertoire eines jeden Theaters. Die Schiller-Feiern 1859 und 1905 glichen wahren Nationalfeiern. Und nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz (die er selbst übrigens nie besucht hat) gilt er als „Nationaldichter“ – vor allem dank des Dramas „Wilhelm Tell“, eines aufrührerischen Stücks, das er in des Herzogs Diensten niemals hätte schreiben können.

Ein solcher Erfolg ist nicht auf ausgetretenen Pfaden zu erreichen, sondern nur durch einen radikalen Schnitt, eine grundsätzliche Richtungsentscheidung in seinem Leben. Das weiß auch Friedrich Schiller, und er richtet sein Handeln entsprechend aus. Denn sein Landesherr, Herzog Karl Eugen von Württemberg – so viel ist ihm schnell klar – will nach den revolutionären „Räubern“ kein weiteres Stück seines Untertanen: „Bei Strafe der Festungshaft sage ich Ihm: Schreibe Er keine Komödien mehr!“, lässt er barsch ausrichten. Das vorzeitige Ende einer Karriere?

Manch einer hätte unterwegs aufgegeben, seine Visionen ad acta gelegt oder nicht einmal den ersten Schritt gewagt. Hätte sich mit dem Erreichten oder dem leicht Erreichbaren begnügt. Wie Schiller mit seiner Stelle als Regimentsmedikus: Immerhin einer gesicherten Existenz mit einem gewissen Ansehen und einem schmalen, aber auskömmlichen Salär. Vielleicht auch mit bescheidenen Erfolgen – so wie Schiller möglicherweise nebenberuflich ein zahmer Lustspiel-Autor von des Herzogs Gnaden hätte werden können: kurz umjubelt von der höfischen Gesellschaft in Stuttgart und Ludwigsburg, aber schon nach wenigen Jahren vergessen.

Schillers Vision reicht weiter. Er glaubt an sein Talent, seine Begabung, seine Berufung als Autor. Er weiß, welche Macht seine Sprache über die Menschen hat; dass es ihm gelingen würde, die Menschen zu erreichen, zu begeistern. Und dies seit mittlerweile mehr als 200 Jahren. Die Vision Friedrich Schillers hat ihm tatsächlich Unsterblichkeit beschert – und uns einige der besten Dramen in deutscher Sprache.

Schiller hat seine Lebensvision schon früh entwickelt und mit Anfang 20 begonnen, sie in die Tat umzusetzen – in einem Alter, in dem heute mancher erst lustlos sein Studium beginnt. Und auch wir sollten uns zumindest hin und wieder fragen: Läuft unser Leben in der richtigen Bahn? Haben wir eine Vision für unser Leben, und wenn ja, wie sieht diese aus? Und was können wir tun, sie auch Wirklichkeit werden zu lassen – wenn nicht mit einer großen Kraftanstrengung, dann doch zumindest Schritt für Schritt?

Doch trotz aller Hartnäckigkeit auf dem Weg dahin sollten wir auch immer einmal wieder Zwischenbilanz ziehen: Wie weit sind wir bereits vorangekommen? Was können wir in nächster Zeit konkret tun? Und – ganz wichtig: Stimmt die ganze Richtung noch? Oder hat sich die Vision möglicherweise längst geändert, muss unser Koordinatensystem neu ausgerichtet werden? Und damit vielleicht auch die Anstrengungen, die zum Erfolg führen sollen? Das große Ziel vom erfüllten Leben muss ja nicht immer gleich mit einer spektakulären Flucht beginnen.

„Wenn ich denke, (…) dass vielleicht in hundert und mehr Jahren – wenn auch mein Staub schon lange verweht ist, man mein Andenken segnet und mir noch im Grabe Tränen und Bewunderung zollt – dann (…) freue ich mich meines Dichterberufes und versöhne mich mit Gott und meinem oft harten Verhängnis.“

An Henriette von Wolzogen in Bauerbach, 1784

2  SEI LEIDENSCHAFTLICH: NUR MIT GANZEM HERZEN KANNST DU GROSSES VOLLBRINGEN

„Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken Himmlische, dein Heiligtum.“

Ode an die Freude

Dresden-Loschwitz, 1785: Das musste das Glück in seiner edelsten Gestalt sein – er war umgeben von Freunden, von Menschen, die ihn verstanden. Die dafür gesorgt hatten, dass er frei von materiellen Sorgen schreiben und leben konnte, und die ihm so manche frohe Stunde schenkten. Es war eine Seelenverwandtschaft, die ihn mit Christian Gottfried Körner, Ludwig Ferdinand Huber und den Verlobten der beiden, den Schwestern Minna und Dora Stock, verband.

Als er dachte, dass alles aus war, dass es nicht mehr weitergehen würde, hatten ihm die vier ihre Freundschaft angeboten wie ein Geschenk: Sein Vertrag als Mannheimer Theaterdichter war nicht verlängert worden, und drückende Schulden lasteten auf ihm. Und in diese Situation kamen die vier unbekannten Freunde, die sein Werk liebten, den Dichter verehrten und ihm hinauf halfen auf eine weitere Stufe zum dichterischen Olymp – weil sie es ihm möglich machten, zu schreiben, zu arbeiten, das zu tun, das ihm einzig sinnvoll erschien. Ein Liebling der Götter, wer solche Freunde hatte!

Welche Gnade des Schicksals, welches Glück, dass diese unvergleichliche Freundschaft sofort geboren wurde, als er und die vier sich zum ersten Mal gegenüberstanden; welche Freude! Wahre Götterfunken hatten ihrer aller Herzen entzündet …

Schiller kann sein Glück immer noch kaum fassen. Immer, wenn er in einer scheinbar aussichtslosen Lage steckte, schickte ihm die Vorsehung Menschen, auf die er sich verlassen konnte; Menschen, die ihn unterstützten und die für ihn da waren. Konnte es eine größere, eine schönere Freude geben?

Es ist ein heiterer, ein glücklicher Abend, als die Freunde bei einer Bouteille Rotwein zusammensitzen. Schiller ist es, der in seinem Überschwang so kräftig mit dem Glas anstößt, dass sich der Wein über die kostbare, zum ersten Mal aufgelegte Damasttischdecke ergießt. Die Freunde tun es ihm lachend nach – und der Dichter greift nach Papier und Feder, um seinen überschwänglichen Gefühlen in einem der schönsten Gedichte der deutschen Sprache Ausdruck zu verleihen: der „Ode an die Freude“ …

Schiller war ein leidenschaftlicher Mensch, im Privatleben wie bei der Arbeit. Er liebte leidenschaftlich, er hasste leidenschaftlich, er schrieb leidenschaftlich – wenn auch für unseren Geschmack heute manchmal mit etwas zu viel Pathos. Eines kann man ihm zumindest nicht vorwerfen – das, was ihm sein Studienfreund Scharffenstein in Stuttgart nach den ersten im Freundeskreis vorgetragenen Versen an den Kopf geworfen hatte: „Alles angelesen, alles unechte Gefühle.“ Für die ersten literarischen Gehversuche mochte das vielleicht noch stimmen, nicht jedoch für den späteren Schriftsteller, und eigentlich auch schon nicht mehr für den Schüler Schiller, der ein rechter Feuerkopf war und bei der Obrigkeit gern aneckte. Eine Konstante zog sich von Jugend an durch Schillers Leben: Alles, was er tat, tat er von ganzem Herzen.