Benthe war ein schönes Kind
Published by BEKKERpublishing, 2016.
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Benthe war ein schönes Kind
KEIN EINFACHER FALL FÜR DIE KOMMISSARIN – DENN... | Benthe war ein schönes Kind | Kriminalroman
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
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Ein CassiopeiaPress Buch: ALFREDBOOKS, CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author/ Titelbild: Nach einem motiv von Pixabay mit Steve Mayer, 2016
© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
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Lene Schelm wird in den äußersten Zuständigkeitsbereich der Tellheimer Kripo gerufen. Ein nach 15 Jahren aus der Haft entlassener Mörder schießt bei einer Prügelei den Vater seines Opfers in den Bauch und kann fliehen.
Lene erkennt rasch, dass es sich hier um mehr als eine Aktion empörter Dörfler handelt, die keinen „Mörder“ in ihrem Ort dulden wollen. Die Gründe reichen bis in die Zeit des Mordes an der „schönen Benthe“, zum Teil sogar noch weiter in die Vergangenheit zurück. Um eine schwere Körperverletzung „von heute“ aufzuklären, muss Lene erst ein Fehlurteil „von gestern“ korrigieren...
Ein neuer Kriminalfall für die „Kommissarin“!
Johannes (Hannes) Lipsch (43): Nach 15 Jahren aus der Haft entlassener Mörder
Peter Stein (51): Oberkommissar (S) in Niederdaupen
Ludwig Elbern (40): Obermeister (S) in Niederdaupen
Cyprian Möhring (45): Pfarrer von St. Ansgar in Niederdaupen
Heiner Fossack (50): Vater der ermordeten Benthe
Rita Pelzer (32): Angestellte im Golfhotel An der Lante
Marlene (Lene) Schelm (43): Erste KHK in Tellheim
Ellen König (38): KHK und Lenes Vertreterin
Jule Springer (33): KOK im Tellheimer Referat R - 11
Christine (Tine) Dellbusch (29): KK im Tellheimer Referat R – 11
Jörg Steiner (55): Direktor der Tellheimer Kripo
Nadine Golowski (45): Rechtsmedizinerin und Steiners Freundin
Caroline (Caro) Heynen (62): Lenes Vorgängerin
Paul Hase (40): Staatsanwalt in Tellheim, lebt mit Jule Springer zusammen
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Alle Namen und Taten, Personen und Ereignisse, Geschäfte und Organisationen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Lene Schelm seufzte nicht einmal, als das Telefon klingelte. Sie hatte es nicht anders erwartet. Viele Kollegen schoben Dutzende von Bereitschaftsdiensten an den Wochenenden und musste nicht einmal raus, Marlene Schelm hatte Bereitschaft und konnte von Glück sagen, wenn sie wenigstens in Ruhe frühstücken durfte. Immerhin hatte sie schon ihren zweiten Becher Kaffee ohne Störung austrinken und einen Teil der Samstagszeitung lesen können.
„Tut mir aufrichtig leid, Kollegin. Ich mache es wirklich nicht mit Absicht“, sagte der KvD bekümmert. Lenes Pech mit den Bereitschaftsdiensten hatte sich im Polizeipräsidium herumgesprochen, wozu sie absichtsvoll und eifrig beigetragen hatte. Denn richtig ärgerlich war es, wenn sie raus musste und Freund Jochen noch faul im Bett lag. Wenn sich diese aus Lenes Sicht viel zu seltenen abendlichen und nächtlichen Gelegenheiten ergaben, lehnte sie Bereitschaft hartnäckig ab – und wer wollte einer Kollegin, die sprichwörtlich viel Pech mit ihren Diensten hatte, dann ein Nein verübeln? Aber heute musste Jochen in Berlin bleiben, seine Frau hatte darauf bestanden, dass sie zusammen auf einen Ball gingen und glückliches Ehepaar spielten. Ärgerlich, aber das zählte nun mal zu dem Preis, den Lene Schelm und Freund Jochen Pauly dafür zahlten, dass Jochens Frau so genau gar nicht wissen wollte, was ihn eigentlich so häufig in den Südwesten nach Tellheim zog.
„Wohin geht es denn?“ muffelte Lene.
„Nach Niederdaupen. Polizeirevier an der Kirche.“
„Hat man den Messwein geklaut?“
„Nein, Mordversuch. Der Täter ist flüchtig.“
„Weiter weg habt ihr nichts für mich gefunden?“
Niederdaupen war der nordöstlichste Punkt, für den die Kripo Tellheim zuständig war. Der Ortsteil Oberdaupen fiel schon in die Zuständigkeit der Kollegen aus Guntersburg.
„Wen haben Sie denn noch in die Pampa geschickt?“ erkundigte sich Lene gereizt.
„Ihre Kollegin Springer. Sie kommt gleich bei Ihnen vorbei.“ Der KvD räusperte sich: „Haben Sie Winterreifen aufgezogen?“
„Warum denn das?“
„Da oben hat es noch einmal geschneit. Ziemlich kräftig sogar.“
„Mir bleibt auch nichts erspart.“
Die Kollegin Jule Springer brachte eine gute und eine schlechte Nachricht mit: „Die Straßenverhältnisse ins Vorgebirge sind grauenhaft. Außerdem ist Neuschnee angesagt. Wir können auf keinen Fall jeden Tag hin- und zurückfahren. Niederdaupen hat keinen Gasthof und erst recht kein Hotel. Aber zwischen Nieder- und Oberdaupen gibt es einen Golfplatz „An der Lante“ mit einem Wellness-Hotel. Dort habe ich noch zwei Doppelzimmer für uns bestellen können.“
„Zwei Doppelzimmer?“
„Eines für dich und deinen Jochen, und eines für mich, wenn es der Hase nicht länger aushält.“ Jules Hase hatte zwei Beine, hieß mit Vornamen Paul und war von Beruf Staatsanwalt, der mit der Oberkommissarin Jule Springer zusammenlebte und auf alle seine Heiratsanträge bisher hören musste: „Unverändert gilt: Bett ja, Standesamt nein.“ Jule liebte ihren Hasen, aber auch ihre Selbständigkeit und Unabhängigkeit.
Schnell ein Köfferchen für mehrere Tage zu packen war Lene gewohnt, auf Jules eindringlichen Rat nahm sie dicke Schuhe, warme Socken und Handschuhe mit, dazu Schal und Strickmütze.
Keine fünfzig Meter hinter dem Tellheimer Stadtausgangsschild begann das Winterchaos. Kein Schnee geräumt, nicht gestreut oder gesalzt, am Himmel dicke dunkelgraue Schneewolken. In der Flussniederung hatten sie in diesem Jahr vom Winter wenig gespürt, aber im Vorland sollte es schlimm aussehen, und für die Hochebene vor dem Mittelgebirge, für den Lantener Wald, versprach das Fernsehen jeden Abend „Ski und Rodel gut“. Richtige Freude kam da nur bei den Liftbesitzern auf. Wer jeden Tag zum Job hinunter musste in die Ebene und jede Abend wieder zurück, der fluchte. Das Land stieg treppenartig an, auf den ebenen Flächen wurde eifrig Landwirtschaft betrieben, und erst die letzte Steigung und ein großer Teil der Hochfläche war mit Wald bedeckt, der früher einmal zur Burg Lanten gehörte, die der Umgebung den Namen gegeben hatte. Lene lächelte in sich hinein, als sie an dem Hinweisschild vorbeifuhren „Nach Wiesenbrück – 10 Kilometer und etwas kleiner darunter Gut Höllenstein, 8 Kilometer.
Vor Jahren war sie diese Strecke zum „Höllenstein“ häufiger gefahren, nachdem eine Ethnologin aus dem Saarland sie um Hilfe gebeten hatte. Von Michelle Rodihn hatte Lene lange nichts mehr gehört ... dann wachte sie aus ihrer Träumerei auf, weil die vor ihr fahrende Jule scharf bremste und am Straßenrand anhielt. Lene blieb neben ihr stehen und schaute sich näher an, auf was Jules Zeigefinger wies. Der Mann war mit dem Fahrrad bös gestürzt und lag jetzt ein Stück vor ihnen bewegungslos auf der linken Straßenseite unter seinem Rad. Lene stieg aus und lief hinüber zum Verunglückten. Er schien bei Bewusstsein zu sein, hatte die Augen offen und sah ihr aufmerksam entgegen. Ein Arm war unfachmännisch verbunden, die Binde zum Teil durchgeblutet. Mehrere Wunden im Gesicht und am Kinn waren mit Pflaster bedeckt. Der Mann war vor seinem Sturz bei einem Unfall oder einer Schlägerei ziemlich verwundet worden.
„Soll ich einen Notarztwagen rufen?“ fragte sie. Jule stellte Warndreieck und Warn-Blinker auf.
„Ja, bitte, aber nicht nach Guntersburg.“
„Warum nicht?“
„Die Bullen aus Niederdaupen waren dabei und haben mich zusammengeschlagen. Und jetzt suchen die mich. Keine Polizei aus Nieder- oder Oberdaupen, das würde ich nicht überleben.“ Er brachte es selten nüchtern und sachlich vor.
„Und wer hat Sie verbunden?“ Jule deutete auf die Pflaster und Verbände.
„Pater Cyprian von St. Ansgar in Niederdaupen. Er ist auf meiner Seite.“
„Wie heißen Sie eigentlich?“
„Johannes Lipsch. Alle im Dorf nennen mich aber Hannes Lipsch.“
„Aber Pater Cyprian dürfte wissen, wo Sie sind?“
„Ja, aber bitte nur er.“
Der Mann hatte trotz seiner Verletzungen und Schmerzen so ernst und so klar gesprochen, dass Lene ihm glaubte. Sie rief einen Notarztwagen und holte aus ihrem Auto eine Decke, mit der sie Lipsch zudeckte. Auf die Beine stellen konnten beide Frauen ihn nicht; bei der geringsten Bewegung trat ihm das Wasser in die Augen.
Lene setzte sich zu Jule ins Auto. „Ich habe einen Notarzt gerufen. Du fährst hinter dem NAW her, aber nicht nach Guntersburg. Keine Meldung an die Zentrale. Der Knabe muss incomunicado bleiben. Er ist völlig klar im Kopf und hat mächtig Angst vor den Kollegen aus Niederdaupen. Ich schaue jetzt kurz bei den Kollegen am Kirchplatz rein und fahre dann weiter zum Hotel. Du lieferst den Knaben – er heißt übrigens Johannes Lipsch in eine Klinik ein und sorgst dafür, dass die keine Meldung an die Unfallzentrale machen. Dann kommst du zum Hotel und bei einem guten Essen erzähle ich dir, was meiner Meinung nach hier abläuft.“
„Das hört sich alles sehr geheimnisvoll an, Lene.“
„Gut möglich, dass ich nur Gespenster sehe. Aber der Name Lipsch kommt mir sehr bekannt vor. Bloß woher?“
„Nicht verzagen, Arne fragen.“
Der Kollege, Hauptkommissar Arne Wilster saß ausnahmsweise nicht an seinem Schreibtisch im Archiv des Polizeipräsidiums, sondern war zum Mittagessen bei seiner Nachbarin eingeladen.
„Johannes Lipsch.“
„Okay. Wird am Montag sofort erledigt.“
„Grüße die Nadel von mir.“
Arnes Assistentin hieß Anja Stich, wurde aber wegen ihrer spitzen Zunge, spitzen Bemerkungen und unstillbaren Neugier die Nadel genannt.
„Mach ich.“
Der Notarzt kam sehr rasch und Lene machte ihm klar, das der Verletzte nicht nach Guntersburg, sondern in eine Tellheimer Klinik gebracht wurde. „Ja, den Ärger mit Ihrer Zentrale und der Krankenkasse regele ich. Lene Schelm, Erste im Tellheimer Ersten.“
Das Erste K, die früher so genannte Mordkommission, hieß jetzt R – 11, aber der Name für die Leiterin „Erste im Ersten“ hatte sich gehalten. Lipsch hatte sich bei dem Sturz mit dem Fahrrad ein Bein gebrochen, es war gut, dass sie ihre Versuche nicht fortgesetzt hatten, ihn auf die Füße zu stellen.
Woher kannte sie nur den Namen Lipsch?
Niederdaupen war ein so trostloses wie hässliches Kaff. Eine von Schlaglöchern übersäte Straße erweiterte sich kaum merklich, was den „Dorfplatz“ darstellen sollte. Auf einer Seite stand die Kirche, ein vor Hässlichkeit strotzender neogotischer Bau, daneben ein älteres Gebäude, das das Pfarrhaus sein mochte. Dem schloss sich rechts ein moderner Zweckbau an, so scheußlich wie die Kirche, in dem Polizei, Kreissparkasse und „Bürgeramt“ plus Dienstwohnung des Ortsvorstehers untergebracht waren. Gegenüber, auf der anderen Seite des Platzes, stand das wichtigste Gebäude des Ortes, die Schenke