Der deutsche Biologe und Philosoph Hans Adolf Eduard Driesch studierte zunächst an der Universität Jena Zoologie. Er promovierte dann bei Ernst Haeckel. Die Universität Hamburg verlieh Driesch aufgrund seiner herausragenden wissenschaftlichen Arbeit den medizinischen, die Universität Nanking einen naturwissenschaftlichen Ehrendoktor.

Über das Buch:

Mit den »mystischen«, »irrationalen« Neigungen hat die Parapsychologie gar nichts zu tun. Sie ist Wissenschaft, ganz ebenso, wie Chemie und Geologie Wissenschaften sind. Unmittelbar »schauen« tut sie gar nichts, sie arbeitet positivistisch und induktiv. Sie findet Typen oder Formen des Weltgeschehens wie jede andere Wissenschaft; ihre Arbeit ist durchaus »rational«. Die Parapsychologie steht somit im Dienst echter Aufklärung, denn rational arbeiten heißt »aufklärend« arbeiten.

Es handelt sich um ein Standardwerk dieses Fachbereichs, das sich zu lesen lohnt.

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Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7543-9924-8

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Mit den »mystischen«, »irrationalen« Neigungen hat die Parapsychologie gar nichts zu tun. Sie ist Wissenschaft, ganz ebenso, wie Chemie und Geologie Wissenschaften sind. Unmittelbar »schauen« tut sie gar nichts, sie arbeitet positivistisch und induktiv. Sie findet Typen oder Formen des Weltgeschehens wie jede andere Wissenschaft; ihre Arbeit ist durchaus »rational«. Parapsychologie steht somit im Dienst echter Aufklärung, denn rational arbeiten heißt »aufklärend« arbeiten.

Eben weil die Parapsychologie echte Aufklärungsarbeit leistet, sollte man aufhören, sie »Okkultismus« zu nennen.

Leipzig, den 10. Juli 1932.

Hans Driesch

ERSTER TEIL
DIE METHODIK DER
PARAPSYCHOLOGIE

I. DIE MÖGLICHKEIT DER TÄUSCHUNG AUF DEM BODEN DER PARAPSYCHOLOGIE

Es gibt keine Wissenschaft, die nicht den Gefahren der Täuschung, ja des bewussten Betruges ausgesetzt wäre. Auf dem Boden der Biologie haben wir es im Lauf der letzten zwanzig Jahre ein paarmal erlebt, dass sehr bedeutsam erscheinende Forschungsergebnisse über die sogenannte »Vererbung erworbener Eigenschaften« dadurch völlig wertlos wurden, dass sich an bestimmten Stellen begründeter Verdacht eines Betrugs einstellte. Vielleicht betraf dieser Betrug nur diese Stellen; abgelehnt werden musste, aus Gründen wissenschaftlicher Sauberkeit, vielleicht zu Unrecht, das Ganze. Es ist nicht gesagt, dass der eigentliche Autor der in Rede stehenden Arbeiten betrog, vielleicht tat es ein Assistent oder ein Diener. Genug, es wurde betrogen; und das kann auf jedem Gebiet der Wissenschaft geschehen. Denn »der Mensch« ist leider ein der unbewussten und der bewussten Täuschung fähiges Wesen.

Aber auf dem Boden der eigentlichen Naturwissenschaft ist die Möglichkeit einer Täuschung doch immer nur einseitig, mag sie auch auf der einen allein in Frage kommenden Seite mehrere Personen, den eigentlichen Autor und die, welche ihn bei der Arbeit unterstützen, angeben können. Das Gebiet, von dem wir hier reden, die Parapsychologie, ist dagegen in der wenig erfreulichen Lage, mit einer zweiseitigen Täuschungsmöglichkeit, sei sie bewusst oder unbewusst, rechnen zu müssen: Der Autor der Untersuchung und seine Helfer können, wie bei jeder wissenschaftlichen Arbeit, täuschen; täuschen kann aber auch das Untersuchungsobjekt, also der Sensitive, das »Medium«, der »Metagnom« oder wie wir dieses Objekt nennen wollen. Täuschung seitens des Autors, zumal bewusste, wird ebenso selten sein wie auf naturwissenschaftlichem Gebiet engeren Sinnes; jedenfalls muss es ethisches Prinzip sein, jeden Autor für ehrlich zu halten bis zum ausdrücklichen Beweis des Gegenteils. Täuschung beider Art, bewusste und unbewusste, seitens des Untersuchungsobjekts ist aber leider schon häufig dagewesen, und sich gegen sie mit allergrößter Strenge zu schützen, muss eine der Hauptaufgaben einer Parapsychologie sein, die sich »Wissenschaft« will nennen dürfen.

Gewiss ist es für einen Untersuchungsleiter unangenehm, wenn ihm ein Getäuscht-, wohl gar ein echtes Betrogensein seitens seines Untersuchungsobjektes nachgewiesen, ja, wenn auch nur der Verdacht dieser Dinge ausgesprochen wird. Er fühlt sich dann ein wenig »blamiert«. Zu Unrecht, meine ich, tut er das. Sein guter Glaube wird ja doch nicht angezweifelt; nur dass er eben ein des Getäuschtwerdens fähiger Mensch ist, wird behauptet. Welcher Mensch aber wäre trotz größter subjektiver Gewissenhaftigkeit nicht fähig, getäuscht zu werden? Selbst die größten Forscher haben gelegentlich geirrt, was doch heißt, dass sie eben trotz ihrer Gewissenhaftigkeit einer Täuschung, im allgemeinsten Sinn des Wortes, zum Opfer fielen. Auf parapsychischem Gebiet aber, wo das Untersuchungsobjekt selbst aktiv zur Täuschung beitragen kann, wo nicht, wie in den normalen Naturwissenschaften, ein schlichter »Sachverhalt« zur Untersuchung steht, der der aktiven Täuschung unfähig ist, ist alles so unendlich viel schwieriger, dass es wahrlich kein schwerer Vorwurf ist, wenn einem Autor gegenüber der Verdacht des Getäuscht-, ja des Betrogenwordenseins laut wird. Unangenehm bleibt es, das gebe ich gern zu; die Selbstgefälligkeit wird ein wenig verletzt. Aber sollte die Wahrheitsliebe nicht mehr gelten?

Von einigen Seiten ist jüngst die Ansicht ausgesprochen worden, alle »Medien« sollten sich zusammentun und scharf gegen alle, wohl gar mit Prozessen, vorgehen, die es sich erlauben, Verdachtsmomente zu äußern. Das wäre der Tod einer wissenschaftlichen Parapsychologie. Die wahrhaft streng wissenschaftlich Denkenden würden ein Mitglied des Medien-»Verbandes« einfach ausschalten, seine Leistungen, mögen sie echt sein oder nicht, grundsätzlich nicht weiter beachten. Und für »Beleidigungs«-Prozesse ist hier wahrlich nicht der Ort, zumal die Äußerung eines Verdachtes ja doch nie ohne weiteres die Vermutung bewussten Betrugs bedeutet. Wissen wir doch, wie viel in dem unterbewussten, halb somnambulen Zustand, in dem sich die »Medien« während ihrer Leistungen meist befinden, getäuscht werden kann; gewissenhafte Medien haben oft selbst darum gebeten, normale »Nachhilfen« unterbewusster Art, für die ihr bewusstes Ich ja verantwortungsfrei ist, nach Kräften unmöglich zu machen. Aber freilich muss, wenn die Verdachtsmomente sehr stark sind, auch die Möglichkeit bewussten Betrugs, ohne die Gefahr eines Prozesses zu laufen, ausgesprochen werden dürfen. Das wirklich ethisch reine Medium wird sich gar nicht getroffen fühlen dadurch; es wird sein Kreuz zu tragen wissen in der Überzeugung, dass ja die Wahrheit doch einmal an den Tag kommen werde.

Freilich richte ich nun an die andere Seite die ebenso dringende Aufforderung, maßvoll zu sein in »skeptischen« Angriffen und von bewusstem Betrug nur zu reden, wenn gar keine andere Möglichkeit, nach gewissenhafter Selbstprüfung, für den Angreifer übrigbleibt. Und auch dann sollten höhnische Äußerungen über den Versuchsleiter streng unterbleiben.

Vorbildlich im »Stil« ist hier alle Polemik seitens der Briten. In Deutschland ist aber, sowohl auf Seiten der »Gläubigen« wie auf Seiten der Skeptiker, eine Verwilderung des Stils eingetreten, die beinahe der auf politischem Gebiet leider bei uns üblichen gleicht und nicht gerade dazu beiträgt, das Ansehen der deutschen Parapsychologie besonders zu heben.

Das Wort »fortiter in re, suaviter in modo« sollte, wenn irgendwo, dann auf diesem schwierigsten aller Forschungsgebiete gelten.

Ich dachte bisher an die Möglichkeit von Täuschung oder gar Betrug im Rahmen der eigentlichen Tatsachenforschung. Dass auf theoretischem Gebiet, wo nur der reine Irrtum in Frage steht, die Forderung gegenseitigen Anstandes erst recht gilt, sollte eigentlich keiner Worte bedürfen. Wenn »Animisten« und »Spiritisten« auf einem ganz und gar in den Kinderschuhen steckenden Wissensgebiet einander grob oder höhnisch anfahren, so wirkt das einfach lächerlich!

Viel könnte auf dem gesamten Gebiet der Parapsychologie die Presse zur Wahrung des polemischen Anstandes beitragen. Leider tut sie es nicht immer; gibt es doch Blätter, welche ganze Kübel des Spottes ausgießen, sobald von Parapsychologie - die sie meist mit der spezifischen spiritistischen Hypothese verwechseln — auch nur die Rede ist, häufig ohne sich mit der ernsten Literatur des Gebietes beschäftigt zu haben, und bisweilen sogar aus »politischen« Gründen.

II. DIE FORMEN MÖGLICHER TÄUSCHUNG

Ich komme zum eigentlichen Gegenstand des ersten Abschnittes dieser Schrift, der Darlegung der mannigfachen Täuschungsmöglichkeiten, gegen die sich der strenge Parapsychologe zu sichern hat. Sehr streng werde ich hier vorzugehen haben: selbst die kleinste Lücke, durch die ein Getäuschtwerden sich einschleichen könnte, gilt es zu verstopfen.

An erster Stelle werde ich von Täuschungsmöglichkeiten im Rahmen der Tatsachenerforschung, an zweiter von theoretischen Irrtumsmöglichkeiten reden. Der erste Abschnitt ist bei weitem der wichtigste.

Britische Forscher haben gelegentlich gesagt, der Parapsychologe habe über die Eigenschaften des Naturforschers, des Psychologen, des Psychiaters, des Untersuchungsrichters und des Taschenspielers gleichermaßen zu verfügen. Das ist richtig. Es zeigt aber auch, wie schwierig unsere Aufgabe ist; und ich brauche wohl nicht zu bemerken, dass alles Folgende nur gleichsam eine Abschlagszahlung, ein »Minimum« an Sicherung darstellen kann, aber absolut nicht auf Vollständigkeit Anspruch erhebt. Für jede Art von Ergänzung zu meinem Täuschungskatalog werde ich aufrichtig dankbar sein.

1. ALLGEMEINES

a) Experiment und Beobachtung

Alle Tatsachenforschung hat zwei Quellen des Wissenserwerbs: die bloße Beobachtung und das Experiment, d. h. die Beobachtung unter, wenigstens dem Wesentlichsten nach, »willkürlich« und absichtlich gesetzten bestimmten Bedingungen.

Bei Erörterungen der Sicherungsmöglichkeiten gegen Täuschung müssen nun, wie stets in der Wissenschaft, zunächst einmal Beobachtung und Experiment gesondert behandelt werden. Des weiteren aber kann eine ergebnisreiche Untersuchung auf unserem Gebiet überhaupt erst einsetzen, nachdem gerade über das parapsychologische Experiment und die parapsychologische Beobachtung einiges Allgemeine gesagt worden ist. Denn die Dinge liegen hier etwas anders als in den normalen Naturwissenschaften.

Wenn der Naturforscher auf normalem Boden experimentiert, sei es im Bereich des Unbelebten oder in dem des Belebten, so geht er an die Untersuchung heran mit der bestimmten Erwartung, dass sich »etwas« ereignen wird, und will wissen, was. Das »Etwas« kann, seltsam zu sagen, in einem ganz bestimmten Sinn »Nichts« sein, ist aber deshalb doch »Etwas«, weil es eben Nichts in bestimmtem Sinn ist: wenn also z. B. bei Regenerationsversuchen ein Organismus nach Amputation einer Gliedmaße »nicht« regeneriert, so überhäutet er entweder immerhin die Wunde oder er »stirbt«. Und das ist etwas, obschon es »nicht« das Erwartete ist. Dass er, etwa wenn er ein Säugetier ist, »nicht« regeneriert, ist bedeutsam. Und, was die Hauptsache ist, das »Nicht«-Ergebnis wird immer neu unter identischen Bedingungen geprüft und immer wieder bestätigt; es ist »Gesetz«.

Parapsychisch aber kann, und zwar unter identischen Bedingungen, soweit sie in der Hand des Experimentators liegen, »gelegentlich« etwas geschehen, »gelegentlich« aber restlos gar nichts. Kurz gesagt: Die Sicherheit und die Eindeutigkeit der Erwartung fehlen dem parapsychischen Experiment. Man wird sagen, der Unterschied vom »normalen« wissenschaftlichen Experiment sei nicht scharf, schon biologisch, seltener wohl auf anorganischem Boden, könne auch einmal in einer langen Versuchsreihe ein »bestimmtes Nichts« geschehen sein und dann plötzlich, trotz »identischer« Bedingungen, »soweit« der Experimentator sie in der Hand hat, doch etwas Positives, oder aber in langer Versuchsreihe ein bestimmtes Positives und dann etwas anderes Positives1). Gewiss ist solcher Einwand berechtigt. Man pflegt in diesen Fällen zu sagen, es habe eben eine große variable Fülle »innerer« Bedingungen des Organismus gegeben, die der Experimentator gar nicht in der Hand haben konnte - die er nun freilich allmählich »in die Hand« bekommt. Könnte nicht auch ein Säugetier »plötzlich einmal« doch regenerieren? Wir würden uns wundem — und dann weiterforschen. Ist nicht der Satz, dass Steinwände »nie« für elektromagnetische Strahlen durchlässig seien, durch die Röntgenstrahlen erschüttert worden?

Aber es bleibt dabei, dass parapsychisch, z. B. bei Versuchen über Gedankenübertragung, dieser Umstand viel schwerer wiegt. Negative Fälle - im Sinn des Ausbleibens eines bestimmten Erwarteten - sind also parapsychisch stets nur mit Vorbehalt als radikal negativ anzusehen, was später noch für kritische Betrachtungen von Bedeutung werden wird; sie sind es jedenfalls mit viel größerem Vorbehalt als auf biologischem oder, erst recht, anorganischem Gebiet, denn der »inneren Bedingungen« können wir parapsychisch noch weniger Herr werden als sonst.

b) Spontane und erwartende Beobachtung

Das bloß beobachtende Forschen müssen wir nun parapsychisch noch weiter sondern, nämlich in spontane und in erwartende Beobachtung; die zweite Art ist schon eine gewisse freilich sehr primitive Art des Experiments.

Alle echte Telepathie, etwa bei Todesgefahr, aller echte Spuk, wenn wir ihn zulassen, ist, im Anfang jedenfalls, durchaus nur spontan zu beobachten. Das heißt: Diese Dinge sind nach den Aussagen gewisser Personen einfach da und werden schlicht registriert; ebenso, wenn wir sie für tatsächlich halten, »Apporte«.

Gibt es nun aber einmal ein angebliches »Spukhaus«, gibt es einen Menschen, in dessen Gegenwart sich Apporte ereignet haben sollen, oder einen, der einmal telepathische Meldungen ausgesandt haben soll, so wird die Sache anders: erwartende Beobachtung stellt sich ein, man »experimentiert« wohl gar schon in rohester Form, in der Hoffnung, dass sich etwas ereignen »möchte«.

Hier haben denn in hohem Maße die zu erörternden Sicherungsmaßnahmen einzusetzen, während die Sicherung post factum, d. h. die nachträgliche Erwägung, ob wohl alles mit rechten Dingen vor sich gegangen sein »möchte«, wie sie bei Spontanphänomenen allein möglich ist, den Namen echter Sicherung natürlich überhaupt nicht verdient: nur »ob wohl« die Phänomene »echt« gewesen sein könnten, ist hier ja, bald mit mehr, bald mit weniger Wahrscheinlichkeit festzustellen - bei Spontantelepathie, wie sich zeigen wird, immerhin mit recht großer.

Es sollte keines Hinweises darauf bedürfen, dass das echte Experiment das vollendetste Mittel bei der Erforschung der Gesetze der empirischen Wirklichkeit ist: es erlaubt die größte Sicherung gegen Täuschung und es ist eben, seinem Wesen nach, beliebig wiederholbar: theoretisch stehen »unendlich viele« Fälle zur Untersuchung. Die erwartende Beobachtung ist daher um so wertvoller, je mehr sie sich dem Experiment zu nähern imstande ist; von ihr wird im folgenden viel zu reden sein. Die spontane Beobachtung kann nur in seltenen Fällen und dann aus ganz bestimmten, später darzulegenden Gründen, endgültige wissenschaftliche Bedeutung für sich beanspruchen. Führt sie zu erwartender Beobachtung und wohl gar zum Experiment, so liegt die Sache natürlich anders; aber dann ist sie nicht mehr »spontane« Beobachtung.

Es ist in manchen parapsychologischen Kreisen heute üblich, Experimente, ja wohl gar sorgfältig gesicherte erwartende Beobachtung als »übertrieben kritisch« beiseite zu stellen und alles Heil von der Mitteilung recht vieler spontaner Beobachtungsfälle zu erwarten.

Ich habe nun gar nichts gegen die Mitteilung solcher Fälle, falls sie nicht gar zu sehr auf bloßem Hörensagen beruhen. Ihre Mitteilung mag zu kritischen Untersuchungen anregen. Aber an und für sich bedeuten - von Spontantelepathie, wie sich zeigen wird, abgesehen - solche Fälle sehr wenig; sie bleiben Behauptungen, bis kritische Arbeit eingesetzt hat.

Und »übertriebene Kritik« - kann es die überhaupt geben? Andere Wissenschaften kennen sie jedenfalls nicht!

Ich stelle jetzt - strenge Definitionen einem späteren Abschnitt vorbehaltend — in vorläufiger Weise kurz zusammen, wie sich alles das, was parapsychologisch behauptet wurde, zu spontaner Beobachtung, erwartender Beobachtung und Experiment verhält. Ich fälle damit noch kein Urteil über die Tatsächlichkeit des Behauptens. Voraussetzen glaube ich zu dürfen, dass der Leser mit den in Frage kommenden Worten bestimmte Vorstellungen verbindet.

Aufgrund spontaner Beobachtung sind behauptet worden: alle Fälle echter Telepathie, viele Fälle von Gedankenerfassung, Hellsehen und Prophetie; ferner Spuk, Materialisationen, Apporte, Telekinesen, Phantome in erster Instanz, d. h. beim erstmaligen, unerwarteten Vorkommen.

Erwartender Beobachtung wurden unterzogen in sogenannten »Séancen«, oder auch, bei manchen physischen Phänomenen, zumal Spuk, durch »Kommissionen«: viele Fälle von Gedankenübertragung, Hellsehen und Prophetie, sehr oft unter »psychometrischer« Vermittlung; ferner Telekinesen, Materialisationen, Apporte, Spuk in zweiter Instanz, d. h. nachdem sie bei bestimmten Personen oder an bestimmten Örtlichkeiten spontan beobachtet waren, also der Vermutung Raum gaben, es »werde wohl« etwas eintreten.

Dem eigentlichen Experiment im engen Sinn des Wortes wurden nur bewusste (nicht spontane) Telepathie und Gedankenübertragung bis jetzt, in nicht gerade zahlreichen Fällen, unterzogen; allerneuestens auch, durch Osty, die Telekinese.

2. TÄUSCHUNGSMÖGLICHKEITEN IM BEREICH SPONTANER BEOBACHTUNG

Wir beschäftigen uns an erster Stelle mit den Sicherungen gegen bewusste und unterbewusste Täuschung bei spontaner Beobachtung von Geschehnissen, die für parapsychisch ausgegeben werden.

Wie schon gesagt wurde, handelt es sich hier nicht um »Sicherung« im eigentlichen Sinn des Wortes; denn man kann sich nicht »sichern« in Bezug auf etwas, von dem man nicht weiß, ja nicht einmal vermutet, dass es geschehen wird. Nur nachträglich könnte vielleicht die Echtheit des Ereignisses oder, besser gesagt, die Überzeugung von dieser Echtheit durch gewisse Erwägungen über die Bedingungen, unter denen das Ereignis stattfand, in höherem oder geringerem Grad gesichert werden. Es handelt sich ja eben nur um Beobachtung, das Experimentelle tritt nicht einmal in der schwachen Form der »erwartenden« Beobachtung ins Spiel.

a) Physische Phänomene

Bei spontanen, angeblich paranormalen physischen Geschehnissen, wie Telekinese, Materialisation, Phantom, Spuk, Apport, wird stets die nachträgliche Sicherungsmöglichkeit sehr gering sein. Es ist etwas berichtet worden, oder man hat es selbst gesehen oder gehört; das ist alles. Denn, wohlverstanden, es handelt sich in diesem Abschnitt ja um das, was wir »Phänomene in erster Instanz« genannt haben, es handelt sich um Geschehnisse bei ihrem erstmaligen, völlig unerwarteten Vorkommen. Wie die Dinge liegen, wenn nun aufgrund des Wissens um dieses erstmalige Vorkommen eine Wiederholung der Ereignisse »erwartet« wird, werden wir später sehen.

Man wird natürlich, wenn es sich um Berichte handelt, zunächst über die Vertrauenswürdigkeit des Berichterstatters reflektieren. Ist er ein Phantast oder ein nüchterner Mensch? Leidet er etwa an häufigen Halluzinationen? Würde das feststehen oder wäre er als Phantast, wohl gar als chronischer Lügner, allgemein bekannt, so würde man den Bericht gleich beiseite schieben. Sonst würde man wohl »erwarten« und weiter prüfen.

Hat man selber derartiges gesehen oder gehört - und hat selbst noch nie Halluzinationen gehabt so wird man den eigenen Seelenzustand prüfen: war man etwa erregt oder, weil es vielleicht dunkel war, ein wenig in Angst; oder war man ermüdet und in einem beinahe traumartigen Zustand?

Ist diese Art der Prüfung zugunsten der Echtheit des Phänomens oder wenigstens zugunsten der Möglichkeiten seiner Echtheit ausgefallen, wobei immer eine völlige »erkenntnistheoretische« Neutralität, eine »positivistische«, alles logisch als »möglich« zulassende Einstellung vorausgesetzt wird1), so geht man an objektive Prüfungen.

Beherberge das Spukhaus etwa Ratten? Oder ist es möglich, dass da »grober Unfug« verübt wurde, um Leute zu erschrecken, indem etwa Steine geworfen wurden? Sind, bei Telekinesen, verdächtige Drähte oder Fäden im Zimmer zu finden? War starker Wind? Konnte sich etwa aus diesem Grund ein Vorhang, eine Gardine lebhaft und seltsam bewegen?

Sind alle diese Prüfungen ohne die Erregung von Verdachtsmomenten geblieben, so wird zu erwartender Beobachtung übergegangen. Denn klar ist, dass diese Prüfungen auch bei gutem Ausfall nur eine sehr vorläufige Überzeugung von der Echtheit der Phänomene bei einer auch nur einigermaßen »kritischen« Person hervorrufen können. Sehr seltsam waren sie ja doch angesichts unseres allgemeinen Wissens um die empirische Wirklichkeit und ihre Gesetze. Das darf, ja das muss sich auch der durchaus neutral und »positivistisch« eingestellte Beobachter sagen.

b) Mentale Phänomene

Bei mentalen Geschehnissen liegen schon für die spontane Beobachtung die Dinge etwas günstiger, weil die Reflexion über die Bedingungen, unter denen sie statthatten, viel mehr ins besondere Einzelne gehen kann.

Echte Telepathie

Wir reden zunächst von der echten Telepathie.

Es handelt sich bei echter Spontantelepathie bekanntlich darum, dass eine Person, die sonst nicht irgendwie als »Medium« bekannt ist, eines Tages aussagt oder aufschreibt, sie habe, wachend oder träumend, ein seltsames Erlebnis betreffs des Schicksals oder des seelischen Zustandes eines anderen, oft weit entfernten Menschen gehabt, habe ihn etwa, ohne von seiner Krankheit oder seiner gefährlichen Lage etwas zu ahnen2), »gesehen« oder »gehört«, als er sich in Todesangst befand, oder habe auch bloß eine dumpfe, aber sehr starke »Ahnung« davon gehabt, dass ihm etwas passiere.

Solche spontanen Erlebnisse können mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Erfüllung der folgenden Bedingungen als echte Telepathie, das heißt als nicht auf »normalem« sinnes-physiologischem Weg erfolgte Erwerbungen eines Wissens um fremdseelische Zustände, gelten:

Erstens, wenn das Erlebnis vor seiner Bewahrheitung schriftlich niedergelegt oder vertrauenswürdigen anderen Personen mitgeteilt war, so dass eine Erinnerungstäuschung zum Positiven hin im Gefolge einer später erhaltenen Nachricht über das in Rede stehende Faktum, etwa einen Todesfall, ausgeschlossen ist. Dieser Punkt ist von den Forschern der Englischen Society for Psychical Research stets mit besonderer Sorgfalt beachtet worden3).

Zweitens, wenn die Person, welche die seltsame Vision oder Audition oder Ahnung erlebte, das Einzigartige, besonders Eindringliche ihres Erlebnisses betont und etwa sagt, es sei »ganz anders« gewesen als sonst irgendein Traum oder eine Ahnung während ihres bisherigen Lebens.

Drittens, wenn es der Fall wäre, dass das Erlebnis neben einer großen Zahl ähnlicher Erlebnisse seitens anderer Personen steht.

Viertens, wenn Koinzidenz besteht, und zwar sowohl Terminkoinzidenz wie Inhaltskoinzidenz, d. h., wenn das Erlebnis zeitlich, mehr oder weniger genau, mit dem Faktum, das seinen Inhalt bildete, zusammenfällt, und wenn das Faktum selbst inhaltlich, so wie es war, paranormal erfasst wurde.

Fünftens, was selbstverständlich ist, wenn die Entfernung zwischen dem »Sender« (Agenten) und dem »Empfänger« (Perzipienten) wirklich so groß ist, dass alles normale Sehen und Hören, auch bei vorhandener Überempfindlichkeit (»Hyperästhesie«) der Sinne, radikal ausgeschlossen ist.

Sind alle diese Bedingungen erfüllt, so darf das in Rede stehende Erlebnis als echt spontantelepathisch gelten. Ist auch nur eine der Bedingungen nicht erfüllt, so bleibt seine paranormale Tatsächlichkeit zweifelhaft.

Es gibt nun Geschehnisse, in denen alle von uns genannten Bedingungen erfüllt sind, und zwar gibt es sie, wie ein Blick in das Werk Phantasms of the Living und in seine Ergänzungen in den Proceedings of the S.P.R. zeigt, in großer Zahl.

Durch diesen letzten Umstand ist sofort die dritte unserer Bedingungen erfüllt: es gibt »eine große Zahl ähnlicher« Erlebnisse.