»DER WEG VON IHREM
HERZEN BIS ZU IHRER TASCHE
IST SEHR WEIT

 

 

Aus dem Briefwechsel zwischen HEINRICH HEINE
und seinem Verleger JULIUS CAMPE

 

 

Herausgegeben und mit einer Einleitung von
Gerhard Höhn und Christian Liedtke

 

 

 

 

| Hoffmann und Campe |

1. Auflage 2007
Copyright © 2007 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
www.hoca.de


Frontispiz: Zeichnung von Johann Peter Lyser, 1830.
(Hoffmann und Campe, Archiv)

ISBN 978-3-455-40043-4

 

 

INHALT

EINLEITUNG
Eine »literairische Ehe« zu Beginn der Moderne.
Heinrich Heine und Julius Campe

9

 

»MARSCHALL« UND »KLABOTERMANN«
Ein unzerstörbarer Freundschaftspakt wird besiegelt

31

 

»DER TEUFEL HOLE SIE«
Der Streit zwischen Autor und Verleger beginnt

42

 

»JULIUS-CAMPEJADEN «
Alte Freunde werden zu öffentlichen Gegnern

53

 

»EIN KURZER SÄBEL UND EIN LANGES HERZ
Der Bundestagsbeschluß von 1835:
Neue verlegerische und literarische Strategien

67

 

»ZÄHNE ZEIGEN« UND »CON AMORE VERHANDELN«
Das kurze Ringen um die Gesamtausgabe

81

 

»VERRATHEN UND VERKAUFT«
Schwabenstreich und Hanseatenspiegel

90

 

»DAS BUCH IST EINER EXPLOSION GLEICH«
Börne und die Folgen

103

 

»WIR DÜRFEN AUF EINE SCHÖNE ZUKUNFT RECHNEN«
Heines poetisches Comeback

118

 

DAS »KINDISCHE STILLSCHWEIGEN«
Briefe ohne Antwort

133

 

»EIN MEISTERSTÜCK«
Romanzen aus der Matratzengruft

141

 

WER GEWINNT »DIES TRISTE SPIEL«?
Agonie und Knickerei

151

 

»UNSER CONTRACT STEHT FEST«
Der Schlußstein nach 30 Jahren

169

 

ANHANG
Zu dieser Ausgabe und zur Textgestalt

175

 

Quellen und Dokumente

180

 

Bücher und Banco
Von Honoraren und Wechselkursen

190

 

Zeittafel

194

 

Anmerkungen

201

 

Literaturverzeichnis

217

EINE »LITERAIRISCHE EHE«
ZU BEGINN DER MODERNE

Heinrich Heine und Julius Campe

War es Zufall, war es Schicksal, was sich Ende Januar 1826 in Hamburg zugetragen hat? Legenden ranken sich um die ungewöhnliche Begegnung zweier Männer, Stilisierungen haben die Zeugnisse der Zeitgenossen abgewandelt. Wie auch immer sich die Begegnung tatsächlich abgespielt haben mag: Das Zusammentreffen von Julius Campe und Heinrich Heine war eine Sternstunde der modernen deutschen Literatur. Zum einen trat ein wagemutiger frühkapitalistischer Verleger in Erscheinung, der über Jahrzehnte das Werk eines jungen und progressiven Autors betreuen und durchsetzen sollte – ein Prototyp des modernen Unternehmers traf auf einen Prototyp des modernen Berufsschriftstellers. Zum andern war die Begegnung so exemplarisch, weil die beiden zu Freunden gewordenen Geschäftspartner während ihres gesamten späteren Berufslebens über den ökonomischen Wert einer ganz neuartigen Ware erbittert gestritten und die neuen Marktgesetze manifest gemacht haben. Dreißig Jahre nach dem Ereignis hat Julius Campe folgende Eindrücke der ersten Begegnung mit seinem berühmtesten Autor festgehalten:

 

Mein erstes Zusammentreffen [mit Heine] war folgendermaßen: ich stand in meinem Laden und verkaufte, da trat ein junger Mann herein und forderte Heine’s Tragödien. Ich reichte ihm ein sauber gebundenes Exemplar. »Ach, das ist mir lieb, daß das Buch gebunden ist.« Während er das Exemplar besah, ging ich nach der Seite, wo die Dichter aufgestellt waren, brachte ihm die Gedichte desselben Verfassers. »Lieber Herr, fiel er mir hastig in das empfehlende Wort, die mag ich nicht – ich verachte sie!« – »Wie, sagte ich, Sie verachten sie? dann haben Sie es mit mir zu thun!« – »Lieber Herr, ich kenne sie besser, als Sie, denn ich habe sie geschrieben.« – »Nun, mein Herr Doctor, wenn Sie wieder ein Mal so etwas Wertloses produciren und Sie haben gerade keinen bessern Verleger, so bringen Sie sie mir und ich werde mir eine Ehre daraus machen, meine Firma darauf zu setzen.« – »Scherzen Sie nicht mit mir, ich könnte Sie auf die Probe stellen.« – »Sie würden dann erfahren, dass ich probehaltig bin.« – Am andern Tag kam Heine, bezog sich auf jenes Gespräch und sagte: »Sie waren gestern so freundlich, sich zu meinem Verleger anzubieten, in der That habe ich etwas druckfertig; haben Sie nicht gescherzt, so bin ich bereit, Ihnen mein Werk zu übergeben. Es sind Reisebilder, Harzreise, 77 Gedichte.« – »Es ist gut: Sie geben mir ein Buch, auf dessen Titel Ihr Name steht, und das 25 Bogen füllt. Wie viel Honorar nehmen Sie in Anspruch?« – »30 Louisdor. « – »Gut! Es wäre Ihnen genehm, wenn ich Ihnen die Zahlung leistete?« – »Oh, das wäre mir sehr genehm!« – Seit diesem Tage war Heine jeden Tag in meinem Laden und wir wurden intime Freunde.1

 

Heines überraschendes (Rollen-) Verhalten oder die Authentizität der Dialoge einmal dahingestellt – vieles springt bei dieser Schilderung bereits ins Auge, was für die lebenslange Verbindung der beiden typisch werden sollte. So fällt zuerst das spontane Einverständnis zwischen dem damals neunundzwanzigjährigen, stellungslosen Doctor juris und dem dreiunddreißigjährigen Verleger auf. Sofort erkennt Campe den literarischen Rang des schreibenden Akademikers, der in Berlin zwei vielversprechende, aber selten verkaufte Bücher publiziert hatte. Dann sticht die ›drohende‹ Bereitschaft des Verlegers hervor, seinen Autor auf Teufel komm raus zu verteidigen, für ihn durch dick und dünn zu gehen (»dann haben Sie es mit mir zu thun!«). Genauso verdient seine Entschlossenheit Beachtung, »probehaltig«, also standfest zu sein, hat sich doch Campe später tatsächlich für keinen anderen Autor so eingesetzt wie für sein Aushängeschild Heine. Ferner überrascht sein Bekenntnis zur »intimen« Freundschaft von der ersten Stunde an, die ihre ganze Beziehung prägen sollte. Schließlich versetzt die Regelung des Geschäftlichen in Erstaunen. Der Rhythmus ihrer gesamten späteren Korrespondenz wird von dem immer gleichen Ablauf bestimmt: Heine macht ein Angebot; der Verleger zeigt sich einverstanden; dann stellt sich die Frage des Umfangs, bevor der zentrale Punkt geklärt wird: das Honorar. Hier ist die Erinnerung bemerkenswert knapp und trocken: Wieviel? Soviel! Sofort? Bestens!

Verwunderlich ist jedoch, was Campe in seiner Erinnerung übergeht, wenn nicht verdrängt, nämlich auf welch schlimme Proben der »probehaltige« Verleger ständig gestellt worden ist, etwa durch die zähen Honorardiskussionen, die verspäteten Manuskriptlieferungen oder die Zensurfrage, allesamt Konfliktquellen, welche die Partnerschaft gelegentlich bis an den Rand des Bruches gebracht haben. Doch sie hielt allen Belastungen stand. Die eigenartige Begegnung in dem Buchladen in der Hamburger Bohnenstraße war der Beginn einer dreißigjährigen Erfolgsgeschichte. Das Zusammentreffen kam für beide genau zur rechten Zeit. Der junge Dichter hatte durch seine Tragödien und einen Gedichtband zwar schon einiges Aufsehen erregt, wirklich bekannt war er aber bislang nur in literarischen Zirkeln. In Campe fand er nun den umtriebigen Verleger, der ihm zu dauerhaftem Erfolg in ganz Deutschland verhelfen konnte. Dieser wiederum war noch auf der Suche nach einem eigenen, unverwechselbaren Profil für seine Firma, die er erst vor knapp drei Jahren übernommen hatte. Als Heine in seinen Laden trat und ihm die Reisebilder anbot, hatte er gefunden, wonach er suchte: »Erst durch Heine erhielt der Verlag ein Gesicht. Durch ihn wurde Hoffmann und Campe zu Hoffmann und Campe, zu einem Verlag mit einem literarischen und politischen Programm.«2

Wer war dieser Mann, der bis auf zwei Ausnahmen von den Reisebildern bis zu den Vermischten Schriften alle deutschsprachigen Bücher Heines gedruckt hat? Zeitzeugen beschrieben ihn als gedrungene Gestalt mit Stiernacken und abfallenden Schultern, mit markanten Gesichtszügen und hellen, entschlossen dreinschauenden Augen – insgesamt ein sehr norddeutscher Typ.3 Seine Persönlichkeit erscheint dagegen als eine originelle Mischung aus profiliertem Geschäftsinteresse und politischen Ambitionen, Kalkül und Witz, »Biederkeit und Durchtriebenheit« – eine für die Zeitgenossen verwirrende »Janusköpfigkeit«4, die sein Buchillustrator Johann Peter Lyser auf den Punkt brachte, als er ihn mit einem Heiligenschein aus Geldmünzen karikierte.5 Trotz aller Hochschätzung sah Heine sich sogar veranlaßt, seinen Schriftstellerkollegen Karl Immermann zu warnen: »Campe ist ein ächter Buchhändler – es ist alles damit gesagt; es ist eine Sünde wollte man generöse gegen ihn seyn. Sehen Sie sich vor.«6

In den hier ausgewählten Briefen an seinen Lieblingsautor charakterisiert Campe sich selbst als prinzipienfesten Mann mit starken Überzeugungen und hoher Pflichtauffassung, dessen Interesse über den Buchhandel weit hinausgeht. So ist er sich bewußt, als Verleger der jungen, oppositionellen Literatur über ein probates Mittel zu verfügen, »etwas wirken zu können« (S. 52). Dafür ist er bereit, Verfolgungen durch die Zensurbehörden und polizeiliche Verhöre in Kauf zu nehmen. Sein fortschrittlicher Patriotismus – 1813 nahm er als Freiwilliger im Lützowschen Freikorps an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teil – ließ ihn zum Vorkämpfer des deutschen Buchhandels werden, Ausdruck seines politischen Engagements für Fortschritt und Freiheit in Deutschland, das sich spätaufklärerischer Tradition verdankt.

Julius Campe wurde 1792 im niedersächsischen Deensen geboren und stammte aus einer Buchhändlerfamilie. Schon sein berühmter Onkel Joachim Heinrich Campe, Erfolgsautor und einer der bedeutendsten Reformpädagogen der Aufklärung7, war Verleger, wie seine Halbbrüder Friedrich in Nürnberg und August in Hamburg.8 Dort, in der von August geführten Sortiments- und Verlagsbuchhandlung Hoffmann und Campe, ging der dreizehnjährige Julius in die Lehre. 181 1 wurde er Gehilfe bei Maurer, einer der größten Buchhandlungen in Berlin. Nach dem Erlebnis der Befreiungskriege und insgesamt drei Jahren beim Militär prägte ihn vor allem ein zweijähriger Aufenthalt in Italien – eine Zeit, von der dieser gänzlich pragmatisch veranlagte Mann sein Leben lang in ungewöhnlich schwärmerischen Tönen sprach. Nach seiner Rückkehr wagte er den Schritt in die Selbständigkeit: 1 823 übernahm er die Firma seines einstigen Lehrherrn August, für die er nach eigenen Angaben zehn Jahre lang jeweils 10000 Mark Banco bezahlen mußte.

Das Verlagsprogramm des vergleichsweise kleinen Unternehmens bestand in der Hauptsache aus schöner Literatur, gefolgt von Sachbüchern sowie politischen und pädagogischen Schriften, Lehrbüchern und Hamburgensien.9 Erst Band 1 der Reisebilder, den Campe – wenn man seiner Erinnerung vertraut – dem jungen Autor blind abkaufte, verhalf dem Verlag, der bis 1826 lediglich regional bedeutsam war, zum Durchbruch und machte ihn zu dem Verlag der modernen, politisch engagierten Literatur in Deutschland. Denn das Buch markierte den Beginn einer neuen literaturgeschichtlichen Epoche; das spürten bereits Zeitgenossen wie Arnold Ruge: »Heine, wie er [...] mit den Reisebildern [...] auftritt, ist der Poet der neuesten Zeit. Mit ihm lebt in der Poesie eine Emancipation von dem alten Autoritätsglauben und ein neues Genre auf.«10 Mit Heine profilierte sich ein neuer Schriftstellertypus, für den der Verlag der Reisebilder das naturgemäße Forum wurde. Hier veröffentlichten fortan fast alle fortschrittlich eingestellten Autoren ihre Bücher: Heinrich Heine und Ludwig Börne, Autoren des Jungen Deutschland wie Karl Gutzkow und Ludolf Wienbarg, Vormärzlyriker wie Franz Dingelstedt, Ferdinand Freiligrath und Hoffmann von Fallersleben, aber auch Friedrich Hebbel und Karl Immermann – ein »Kabinett der Konterbande«11, wie Siegfried Lenz es treffend nannte.

 

Campes ausgefeilte Verlagsstrategie beruhte auf verschiedenen Taktiken, die auch Heines Erfolg absichern halfen. An erster Stelle stand der schnelle Umsatz: schnell säen, schnell ernten und schnell neu einsäen – das kapitalistische Grundgesetz. Das heißt, Campe sorgte für rasche Verbreitung seiner Titel – Novitäten eindeutig bevorzugt – und für deren kurzzeitige, aber massive Präsenz in den Buchhandlungen. Schon im darauffolgenden Frühjahr erfolgte Remittur, und die »Krebse«, wie die retournierten, unverkauften Exemplare genannt wurden, kamen zurück. Kurz: Campe wollte keine Ladenhüter. Im Zuge schneller Warenverwertung kam es ihm ferner darauf an, keinen gängigen Titel aus den Regalen verschwinden zu lassen, will sagen: prompt Neuauflagen zu planen und auch den günstigsten Zeitpunkt dafür abzuwarten. Dieses Bestreben klingt bereits in den ersten hier abgedruckten Verlegerbriefen an und kehrt in der ganzen Korrespondenz immer wieder. Das bedeutete aber nicht nur starken Streß für beide Seiten, sondern war auch Quelle großer Verärgerung: Der Geschäftsmann Campe mußte ständig auf termingerechte Ablieferung der Manuskripte drängen. Er war deshalb gezwungen, seinen oft sehr säumigen Autor auf zeitliche Absprachen festzunageln und permanent zur Produktion anzuhalten. Außerdem hatte Campe einen sechsten Sinn für den marktgerechten Zeitpunkt seiner Publikationen. So trieb er Heine zum Beispiel 1851 mit typischen Worten zur Arbeit an: Wenn »die ersten Oefen zu knistern beginnen« (S. 142), dann ist Romanzero-Zeit in Deutschland!

Überdies hatte Campe nicht nur eine gute »Nase«, sondern auch den richtigen soziologischen Blick auf das Lesepublikum. Er wußte genau, wer was zu welcher Gelegenheit lesen wird: Studenten und junge Männer, »die kein Geld haben«, das Buch der Lieder12, während Aristokraten die Reisebilder bevorzugen.13 Campe zeichneten nicht nur genaue Zielgruppenvorstellungen aus, sondern er kannte auch seine besten Zielländer; dazu gehörte vor allem Preußen mit seinen 14 Millionen Einwohnern – ein potentielles Publikum, das auch noch gebildeter war als die Leser anderer Bundesstaaten. Das wurde 1 851 deutlich, als es sich auf den Romanzero gestürzt und dreiviertel der Auflage an sich gerissen hatte. Für Heine mußte es jedoch wie ein Schock gewirkt haben, als ihn sein Verleger am 5. Mai 1853 belehrte, ausgerechnet Aristokraten würden seine Bücher kaufen, die Demokraten hätten dazu kein Geld, wie früher die Studenten!

Wollte ein Verleger in der repressiven Vormärzzeit seine Produkte mit oppositionellem Geist überhaupt in die Buchhandlungen und an die Leser bringen, war er zu wahren diplomatischen Meisterleistungen an Klugheit und Vorsicht gezwungen. Nicht zufällig hat Heine seinen listenreichen Verleger den »Odysseus des deutschen Buchhandels« genannt (S. 153). In der Tat entwickelte Campe, der mit der ländergebundenen Zensurpraxis gut vertraut war, passende Gegenmaßnahmen. So verlagerte er je nach Umständen immer wieder die Druckorte – am besten ins dänische Ausland –, suchte einen ›gemäßigten‹, verhandlungsbereiten Zensor oder gar einen bornierten Vertreter dieser für ihn sowieso nur verachtenswerten Spezies, die er als »arme Schlucker« und »arme Teufel« verspottete (S. 69). Der gewitzte Campe verfügte zudem über ausgezeichnete Vertriebswege, die ihm eine »Partisanen-Strategie« ermöglichten: Bei einer Neuerscheinung versandte er sehr schnell eine große Anzahl von Exemplaren an die Buchhändler, zögerte aber die offizielle Bekanntgabe der Publikation hinaus. Dadurch gewann er Zeit, und Gerüchte oder Zeitungsmeldungen über ein bevorstehendes Verbot des Buches – die er nicht selten selbst lancierte – wirkten als zusätzliche Reklame.