„Auf Lachen steht der Tod!“
Österreichische Flüsterwitze
im Dritten Reich
Gesammelt von
Hanna Dauberger und Minni Schwarz
StudienVerlag
Innsbruck
Wien
Bozen
©2009 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck
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© der Werke von Johanna Dauberger und Minni Schwarz bei John Zube – Wir danken für
die freundliche Genehmigung der Wiederabdrucke.
Buchgestaltung nach Entwürfen von Kurt Höretzeder
Satz: Studienverlag/Roland Kubanda
Umschlag: Studienverlag/Vanessa Sonnewend
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-7065-5825-9
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Reinhard Müller
Vorbemerkung
Hanna Dauberger
Wien wehrt sich mit Witz!
Kurt Zube: Vorwort des Verlegers
Hanna Dauberger: Vorwort der Herausgeberin
Flüsterwitze aus den Jahren 1938 bis 1945
Minni Schwarz
Lachen verboten!
Flüsterwitze aus dem Jahr 1938
Flüsterwitze aus dem Jahr 1939
Flüsterwitze aus dem Jahr 1940
Flüsterwitze aus dem Jahr 1941
Flüsterwitze aus den Jahren 1942 bis 1945
Nachwort
Register
Mehr als andere Literaturgattungen, als andere Denk- und Erkenntnisformen, mehr als andere soziale Reaktionsweisen ist Witz den speziellen Bedingungen seiner Entstehungszeit verpflichtet und damit dem Wandel der Zeit unterworfen. Vieles an pointiert erzähltem Humor, an Witzen vergangener Jahrzehnte scheint uns heute banal oder un-witzig und dennoch als charakteristisches Zeugnis einer bestimmten Epoche. Natürlich erzeugen ähnliche Entstehungsbedingungen innerhalb eines Kulturraums ähnliche Witze. Dies bezeugt die Austauschbarkeit von Zeit und Ort bei Witzen, die im 20. Jahrhundert unter den Bedingungen von Zensur und Verfolgung entstanden sind. Viele der während des Nationalsozialismus heimlich erzählten, also geflüsterten Witze wurden nur leicht umgekleidet in den Staaten des ehemaligen Ostblocks erzählt, viele Flüsterwitze des Dritten Reichs waren aber ihrerseits bereits Abwandlungen von Witzen aus den bedrückenden Zeiten der Monarchie. Dennoch haben die Witze jeder Epoche auch ihre unverkennbaren Eigenheiten, weniger ersichtlich am einzelnen Witz, sondern in ihrer Summe. Absicht der hier präsentierten Sammlungen ist es, ein breites Reservoir an Flüsterwitzen aus Österreich während des Dritten Reichs vorzulegen, um sich selbst ein Bild vom Lachen dieser Zeit machen zu können. Dabei werden sicherlich manche Formulierung und manche Pointe heute Unbehagen, mindestens aber Kopfschütteln auslösen. In diesen Fällen sollte man bedenken, dass diese Witze unter der Angstglocke des nationalsozialistischen Regimes entstanden sind und weitererzählt wurden, dass also manche Derbheit, ja Rohheit nur Reaktion auf die Rohheit des Regimes war. Und vieles war Galgenhumor, später sogar im doppelten Sinn des Wortes. Bereits im so genannten Heimtückegesetz des Deutschen Reichs, im „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei zum Schutz der Parteiuniformen“ vom 20. Dezember 1934, hieß es im Paragraf 2, Absatz 1: „Wer öffentlich gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, über ihre Anordnungen oder die von ihnen geschaffenen Einrichtungen macht, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben, wird mit Gefängnis bestraft.“
Doch dieses Gesetz berührte die Österreicherinnen und Österreicher noch nicht. Sie lebten zwar seit dem 4. März 1933, um die Ausschaltung des Parlaments als ein symbolisches Datum zu nennen, auch unter einem autoritären Regime, in einer hausgemachten, aber in ihren Folgen mit der nationalsozialistischen wenig vergleichbaren Diktatur. Der in der Verfassung vom 24. April 1934 geschaffene Bundesstaat Österreich „auf christlicher und ständischer Grundlage“ wollte zwar keine Witze über sein eigenes Regime hören, hatte aber wenig gegen Witze über die Nationalsozialisten im benachbarten Deutschland und die seit Juni 1933 in der Illegalität befindlichen österreichischen Nationalsozialisten. Diese Witze hatten in Österreich durchaus Tradition; schon 1924 spottete die Wiener Zeitschrift „Der Götz von Berlichingen. Eine lustige Streitschrift gegen Alle“:
Was ist der Unterschied zwischen der Wüste Sahara und der Nationalsozialistischen Partei? – In der Wüste Sahara werden Kamele von Menschen geführt und in der Nationalsozialistischen Partei – sind lauter Minderjährige.
Damals machte man sich auch noch über den italienischen Faschismus lustig, hatten die Österreicher mit den Italienern doch noch ein Hühnchen wegen des nach dem Ersten Weltkrieg an sie verlorenen Südtirol zu rupfen:
Die Italiener lassen nach der Machtergreifung Benito Mussolinis in Südtirol alle deutschsprachigen In- und Aufschriften entfernen, darunter auch das Wort „Abort“. Schlägt ein Tiroler als Ersatz vor: „Wer muss – soll inni!“ (Wer muss, soll hinein).
In den Zwanzigerjahren hofften manche noch, dass der Streit zwischen Deutschland und Österreich bald beigelegt werde, wem die Ehre gebühre, dass Adolf Hitler nicht sein Staatsbürger ist. Die Witze, die man damals in Österreich über Nationalsozialisten hörte, konnte man noch frei erzählen, waren also keine Flüsterwitze wie die in den nachfolgenden Sammlungen präsentierten. Zum Vergleich seien einige von Johannes Kunz (geb. 1947) gesammelte Witze aus der Zeit vor 1938 wiedergegeben:1
Übermut und Überreizung
Gibt eine gefährliche Hakenkreuzung!
Man soll über die Bübereien der Hakenkreuzler nicht den Stab
brechen – man soll sie lieber mit dem Stab durchhauen!
Was ist ein Hakenkreuzler? – Der Hakenkreuzler ist meist im jugendlichen Alter zwischen vierzehn und siebzehn Jahren, ist indianerbüchel-romantisch angehaucht, frisst täglich schon zum Frühstück drei Juden und fünf Arbeiterführer, hat einen Freibrief zum Schießen auf Proletarier und ist das Herzbinkerl der Republik und ihrer k. u. k. Richter.
Pressemeldung: „Wie der ‚Blaue Montag‘ erfährt, galt die Sympathiekundgebung der Nationalsozialisten für die Metallarbeiter nur einer bestimmten Kategorie – nämlich den Revolverdrehern!“
Was ist der Unterschied zwischen einem Fass und der Nationalsozialistischen Partei? – Dem Fass geben die Reifen, der Nationalsozialistischen Partei die Unreifen den Halt!
Ein Tummelfeld der Nationalsozialisten war die Universität, und als ihr erstes Opfer in Österreich wurde der jüdische Philosophieprofessor Moritz Schlick am 22. Juni 1936 von einem nationalsozialistischen Studenten im Stiegengebäude der Wiener Universität erschossen. Vor diesem Hintergrund entstand die Parodie auf das bekannte Lied aus der 1848er-Revolution „Das Proletariat“ des deutschen Schneidergesellen Johann Christian Lüchow:
Was kommt heran mit Gummiknütteln?
Der Schlagring blinkt, die Fahne weht.
Es naht mit Schrein und Fäusteschütteln –
Die Universität!
Des Ruhmes Gipfel ist erklommen,
Und Gnade wurd’ umsonst erfleht,
Wenn über einen fünfzig kommen –
Die Universität!
Die Knüttel hoch, das Wissen nieder,
Dass es im Sturme abwärts geht!
Der neue Geist fasst Haupt und Glieder –
Der Universität!
Als erster war ein Jud gefallen,
Im Freiheitskampfe hingemäht!
Ein „Vivant sequens“ lässt erschallen –
Die Universität!
Was wird einst die Geschichte künden?!
Wer weiß, was dort zu lesen steht
Von Ruhmestaten und von Sünden –
Der Universität?
Typisch auch folgender Witz, zu dessen Verständnis man wissen muss, dass Am Steinhof eine in Österreich allen bekannte Nervenheilanstalt in Wien ist:
Pressemeldung: „Die energische Propaganda der Nationalsozialistischen Partei zur Säuberung unserer Hochschulen hat erfreuliche Erfolge zu verbuchen. So wird schon in allernächster Zeit in der Anstalt ‚Am Steinhof‘ ein rein völkisches Beobachtungszimmer eingerichtet werden!“
Die Annäherung zwischen italienischem Faschismus und deutschem Nationalsozialismus wurde ebenso immer öfter Gegenstand politischer Witze.
Was ist die Achse Berlin–Rom? – Der Spieß, an dem Österreich braun gebraten wird! (1936)
Und die Charakterisierung Adolf Hitlers (1933):
Vom Duce hat er die Montur,
Die römischen Allüren,
Vom Marx die Kollektivnatur,
Die Lust am Nivellieren.
Am Staat, der über Leichen geht,
Ist Machiavelli beteiligt,
Und St. Ignatius Pate steht
Beim Zweck, der alles heiligt.
Da man die Attribute nicht
Von der Substanz kann trennen,
Was, frag ich, ist am großen Licht
Noch original zu nennen?!
Im Mittelpunkt der antifaschistischen Witze jener Zeit, in der in Österreich das klerikale Ständestaat-Regime herrschte, stand jedoch der Nationalsozialismus in Deutschland.
Bei Versammlungen in früherer Zeit
Da ward beraten und beschlossen!
So reaktionär ist man nimmer heut:
Jetzt wird ganz einfach geschossen!
Ein jüdischer Geschäftsmann wird 1935 auf das Finanzamt vorgeladen. Da er die vorgeschriebene Steuer nicht zahlen will, streitet er mit dem Finanzbeamten herum und brüllt erbost: „Warten Se nur, bis de Nazis kommen!“ – „Was?“ ist der Finanzbeamte verblüfft, „das sagen ausgerechnet Sie, ein Jude?!“ – „Na, warum nicht“, triumphiert der jüdische Geschäftsmann, „soll ich Ihnen sagen, was wird stehn über dem Finanzamt? Wird stehn: ‚Für Juden verboten!‘.“
Kommt ein Deutscher aus dem Dritten Reich nach Wien und will einmal eines der berühmten Kaffeehäuser besuchen. „Ich möchte ’n Kännchen Kaffee“, bestellt er beim Ober. „Na was für an Kaffee wolln der gnä Herr?“ erkundigt sich der Ober, „an arischen, an nicht-arischen, an Hitler- oder an Dollfuß-Kaffee?“ „Können se mal die Unterschiede erklären“, bittet der Deutsche. „Also“, legt der Ober los, „a arischer Kaffee is mit Haut und a nicht-arischer ohne Haut, a Dollfuß-Kaffee is schwarz und a Hitler-Kaffee braun mit Milch, bittascheen!“ (1937)
1937 ist die Anschlussgefahr in Österreich bereits allgemeines Gesprächsthema. „Nie wird der Hitler in Österreich einmarschieren“, ereifert sich Blau gegenüber seinem Kompagnon, „denn das gäbe Krieg. Schau dir diese Weltkarte an. Dieser dunkelblaue Fleck ist Frankreich. Alles was da rot ist, ist die Sowjetunion. Und alles was da grün ist, das sind die USA. Und die vielen gelben Flecken bilden das Britische Empire. Na, und der winzige braune Fleck da ist Deutschland.“ „Ich weiß das“, sagt der Kompagnon, „und du weißt das. Aber weiß das der Hitler?!“
Und in Deutschland kursierte 1937 der Flüsterwitz:
Das Deutsche Reich hat drei Hauptstädte:
Berlin: die Hauptstadt des Dritten Reichs;
München: die Hauptstadt der Bewegung;
Wien: die Hauptstadt der Opposition.
Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 änderte sich die Lage österreichischer Witzerzählerinnen und Witzerzähler grundsätzlich. Jetzt galt auch in der so genannten Ostmark das „Heimtückegesetz“, und wer Pech hatte, wurde wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ angeklagt, wodurch auf Flüsterwitze nun sogar die Todesstrafe stand. Eine Sammlung von Urteilen gegen Österreicherinnen und Österreicher, die gegen das nationalsozialistische Regime gerichtete Witze erzählten, legte Franz Danimann (geb. 1920) vor, der damals selbst sechs Jahre inhaftiert war, darunter drei Jahre im Konzentrationslager Auschwitz (Oświęcim, Polen).2 Auch eine der beiden Herausgeberinnen nachfolgender Witze, Hanna Dauberger, berichtet in ihrem Vorwort von einer Frau, die wegen der Vervielfältigung von Flüsterwitzen hingerichtet wurde. Dennoch sollten diese Witze nicht überzogen als ein Instrument des Widerstandes interpretiert werden: Eine ganze Reihe dieser Flüsterwitze stammen sogar von Nationalsozialisten selber (beispielsweise die meisten der hier abgedruckten Witze über Ernst Röhm oder über den „Ariernachweis“). Allerdings kann man diese Witze, wie es der Herausgeber der Erstveröffentlichung formulierte, als „ein Dokument der Verachtung und Ablehnung“ sehen. Jedoch sind sie in jedem Fall eine bemerkenswerte Quelle der österreichischen Geschichte.
Die beiden hier vorgelegten Sammlungen von Flüsterwitzen, zusammen 552 Witze, können als verbürgt betrachtet werden.3 Charakteristischerweise gehören Beispiele jüdischen Witzes zu den Ausnahmen (Witze Nr. 62, 127, 140, 335, 356, 488 und 539), und Emigrantenwitze fehlen vollständig. Dies kann nicht verwundern, versuchten Nationalsozialisten doch beide Gruppen aus dem sozialen Leben zu beseitigen und hatten tragischerweise Erfolg damit. Auffallend ist aber in diesen Sammlungen, dass – quantitativ gesehen – der ländliche Flüsterwitz dem städtischen beinah gleichwertig ist. Ein noch gewichtigeres Argument für die Authentizität der Witze ist der Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung. Wohl noch 1945/46 entstanden, wurden die Sammlungen vom Anarchisten, Schriftsteller und Verleger Kurt Helmut Zube (Dirschau, Westpreußen, heute Tczew, Polen 1905 – Freiburg im Breisgau 1991) veröffentlicht, besser bekannt unter seinem Pseudonym K. H. Z. Solneman.4 Dieser lebte vom Januar 1935 bis April 1938 im Exil in Wien, musste aber nach dem so genannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich nach Berlin zurückkehren, wo der im Juli 1935 von den Nationalsozialisten Ausgebürgerte nunmehr als „Ausländer“ lebte. Im Frühjahr 1942 ging Zube als kaufmännischer Angestellter nach Böhmisch Leipa (heute Česká Lípa, Tschechische Republik) und von dort erneut nach Wien, wo er Geschäftsführer und Teilhaber einer Rollpapierfirma war. Am 15. Januar 1945 ausgebombt, zog Kurt Zube nach Sankt Konrad (Oberösterreich), wo er 1946 bis 1947 den „Weltweiten Verlag“ in der nahen Bezirkshauptstadt Gmunden betrieb; Anfang 1951 kehrte Kurt Zube mit seiner Ehefrau Maria, einer drohenden Ausweisung – diesmal aus Österreich – zuvorkommend, wieder nach Deutschland zurück. Die erste in diesem Buch wieder veröffentlichte Sammlung, „Wien wehrt sich mit Witz“,5 erschien anonym und stammt von der Wiener Schauspielerin Hanna Dauberger (geborene Johanna Kozumplik; Wien 1872 – Wien 1957). Ihre im Stil von Kürzesterzählungen geschriebenen Texte wurden leicht bearbeitet, da Dauberger etwa das für Witze wichtige Instrument der direkten Rede weitgehend vermied. Die zweite, nur geringfügig veränderte Sammlung stammt von der Österreicherin „Minni“ Hermine Schwarz, einer begeisterten Witzsammlerin, die ihren Witzschatz aus dem Dritten Reich in vier Heften unter dem Titel „Lachen verboten“ publizierte.6 Obwohl die 552 Witze dieser Veröffentlichungen von Hanna Dauberger und Minni Schwarz für fast alle Sammlungen von Flüsterwitzen aus dem Dritten Reich genutzt wurden, sind sie bislang nicht wieder aufgelegt wor-den. Die mit Nummern versehenen Witze dieser Sammlungen wurden vom Herausgeber durch Varianten (mit Buchstaben gekennzeichnet; 104 Witze) ergänzt, um das Bild österreichischer Flüsterwitze aus der Zeit des Dritten Reichs abzurunden. Erläuterungen und Hinweise beabsichtigen, einerseits die heute vielfach nicht mehr nachvollziehbaren Mehrdeutigkeiten den nach dieser Zeit Geborenen wieder zu erschließen, und andererseits den mit dem Österreichischen weniger Vertrauten sprachliche Barrieren zu nehmen. Kurze Hinweise zu in den Witzen auftauchenden historischen Personen wie Organisationen finden sich am Ende des Buchs.
Reinhard Müller
1 Vgl. Johannes Kunz: Hoffnungslos, aber nicht ernst. Der politische Witz in Österreich seit 1918. Wien–München–Zürich: Verlag Fritz Molden 1976, und Johannes Kunz: Der österreichische Witz. Das Standardwerk mit 1200 Witzen und Anekdoten. Eingeleitet von Fritz Muliar [d. i. Friedrich Stand]. Wien: Ibera & Molden Verlag 1995, S. 41–60.
2 Vgl. Franz Danimann: Flüsterwitze und Spottgedichte unterm Hakenkreuz. Wien–Köln– Graz: Hermann Böhlaus Nachf. 1983 (= Dokumente zu Alltag, Politik und Zeitgeschichte. Herausgegeben von Franz Richard Reiter. 1.), besonders S. 147–186.
3 Zu frühen Sammlungen vgl. Deutsche Flüsterwitze. Das Dritte Reich unterm Brennglas. Gesammelt und eingeleitet von Jörg Willenbacher [d. i. Franz Osterroth (1900–1986)]. Karlsbad [heute Karlovy Vary]: Verlagsanstalt „Graphia“ 1935 (= Braunes Deutschland. Bilder aus dem Dritten Reich. 2.), 82 S.; Nora von Winkler von Kapp (geb. Kapp von Gültstein, verheiratete Gräfin von Beroldingen, verheiratete Winkler; 1889–1953): Gigantowitsch oder Der entfesselte Proleteus. Über 150 Witze und G’schichten aus dem Dritten Reich. Erlebt, gesammelt und erzählt von Nora Winkler von Kapp. Partenkirchen (Obb.): Nora Winkler von Kapp 1945, 78 Bl. (Maschinenschrift, vervielfältigt); Vox populi [d. i. John Alexander Meier]: Geflüstertes. Die Hitlerei im Volksmund. (Verfasser dieses Buches ist das leidende und lachende deutsche Volk, dessen Naziwitze in zwölf Jahren der Unterdrückung John Alexander Meier sammelte, Kurt Sellin auswählte und zum Druck bereitete. Einleitung Paul Ronge. Die Bilder zeichnete Karl Bertsch.) Heidelberg: Freiheit-Verlag 1946, 149 S.; Richard Hermes: Witz contra Nazi. Hitler und sein tausendjähriges Reich. An 500 Anekdoten, Zoten, Absonderlichkeiten und Flüsterwitze, botanisiert und geketschert, vor den Luchsaugen der Gestapo verborgen, präpariert, aufgespießt und in ein „System“ gebracht. Mit gemütvollen Zeichnungen von Willy Thomsen. Hamburg: Morawe & Scheffelt 1946, 174 S.
4 Vgl. Uwe Timm (geb. 1932): Radikaler Geist: Kurt Zube, in Wolfgang Eckhardt: Kurt Zube (1905–1991). Nachlassverzeichnis. Einleitung Uwe Timm. Berlin: Karin Kramer Verlag 2006 (= Bibliothek der Freien. Anarchistische Bücherei im Haus der Demokratie. Findmittel und Bibliographien. 1.), S. 4–20. Für weitere Hinweise und die Erlaubnis zum Wiederabdruck der von seinem Vater verlegten Druckwerke danke ich John Zube.
5 Vgl. [Hanna Dauberger]: Wien wehrt sich mit Witz! Flüsterwitze aus den Jahren 1938– 1945. Wien–Gmunden–Zürich–New York: Im weltweiten Verlag (Kurt Zube) 1946, 32 S. (enthält die Witze Nr. 1–238).
6 Vgl. Lachen verboten! Flüster-Witze 1938–1945. Gesammelt von Minni Schwarz. Wien– Gmunden–Zürich–New York: Im weltweiten Verlag (Kurt Zube) 1947, Heft 1: 24 S. (enthält die Witze Nr. 239–363); Heft 2: 24 S. (enthält die Witze Nr. 364–442); Heft 3: 16 S. (enthält die Witze Nr. 443–490); Heft 4: 16 S. (enthält die Witze Nr. 491–552).
In beiläufig chronologischer Reihenfolge, nach ihrer Entstehung, wird hier von den vielhunderten, oft drastischen Witzen der Wiener gegen den Nazismus und seine verblendeten Anhänger eine Anzahl wiedergegeben.
Wenn auch viele von denen, die solche Witze erfanden und aussprachen, nicht just das waren, was man „aktive Kämpfer“ gegen den Nazismus nennt, wenn bei manchen solche Witze gar ablenkten vom wirklichen politischen und menschlichen Kampf gegen die Barbarei und wenn vor allem diese in ihrer grauenvollen Übersteigerung bereits hinausgewachsen war über den Bereich, wo Lächerlichkeit tötet, so dass der Witz letzten Endes schon kein Element der Negation des Bösen mehr, sondern nahezu – unbewusst – eine Ineinssetzung mit der Grausamkeit, dem Irrsinn, der Gehirnfinsternis ist, so hat doch auch die – freilich bequeme – Meinung etwas für sich, die Witze hätten irgendwie auf weitem Wege mitgeholfen, den Machtbau des Nazismus zu unterhöhlen, das Reich der Grausamkeit mehr und mehr der Verachtung preiszugeben und schließ-lich zu vernichten.
Es bleibt ferner zu bedenken, dass der Witz der Wiener, im Betrieb, in der Straßenbahn, unter Bekannten dem andern zugeflüstert, die einzige Waffe der Wiener – des Volkes – war. Weltmächte in gemeinsamer Anstrengung erst vermochten das Reich der Grausamkeit niederzuringen, um die Völker – damit auch Österreich – wieder zu befreien.
Nur aus den Witzen hört man die wahre Volkesstimme. So möge diese Sammlung als ein Dokument der Verachtung und Ablehnung gewertet werden.
Mit der Herausgabe dieser Sammlung hoffe ich, Österreich einen Dienst zu leisten, denn unsere Freunde im Ausland können aus ihr erkennen, dass das österreichische Volk im Kern immer anti-nazistisch eingestellt war.
Viele werden heute ja schon vergessen haben, was es damals hieß: politische Witze weiterzuerzählen oder sie gar zu sammeln!
Man spielte um seinen Kopf!
Ich kannte eine Frau, die erbarmungslos hingerichtet wurde, weil man gelegentlich einer Hausdurchsuchung das Karbonpapier fand, welches bewies, dass sie von solchen Witzen Durchschläge gemacht hatte.
Und doch sammelte ich weiter, immer wieder gewarnt von denen, die darum wussten. Denn wer und was könnte einen Sammler von seiner Leidenschaft zurückhalten?
1 Eine Kuh, eine Ziege und ein Esel in einem Schweizer Stall plaudern miteinander.
Die Kuh sagt: „Ich will auswandern und zu den Nazis gehen. Dort habe ich es sicher besser.“ Sie kommt aber bald ganz verhungert wieder heim und meint: „Hier werde ich wohl viel gemolken, aber ich hab doch meinen schönen Stall und mein gutes Fressen. Dort aber wird man nichts als gemolken und wieder gemolken und hat nichts zum Fressen.“
Darauf sagt die Ziege: „Nun will ich es versuchen.“ Aber auch sie kommt schon bald halb krepiert zurück und sagt: „Ich habe an der deutschen Grenze nur ein bisserl gemeckert und wurde sofort verhaftet.“
Sagt der Esel: „Jetzt werde ich es versuchen.“ Erst nach vielen Monaten kommt er zurück, und da nur auf Besuch. „Ja“, sagt er, „ihr habt es eben dumm angestellt. Ich aber bin sofort Parteileiter gewor-den, und jetzt werde ich Minister!“
In Abwandlungen in Deutschland bereits seit 1933 erzählt.
2 Dr. Goebbels wird vom Arzt viel Milch verordnet, und da fragt er
Hitler, wo er wohl eine gute Kuh herkriegen könne. Dieser empfiehlt ihm, sich aus der Ostmark eine zu holen. Dr. Goebbels führt selbst die Kuh ins Tausendjährige Reich, aber sie will absolut nicht über die Grenze mit ihm.
Nun fragt er wieder Hitler: „Was soll ich denn da machen?“
Und Hitler sagt: „Was, nicht einmal eine Kuh bringst du herüber? Da schau mich an, ich hab viele Millionen Ochsen herübergebracht!“
Ostmark: Von den Nationalsozialisten vor allem für Österreich gebrauchte Bezeichnung, die bis Kriegsbeginn 1939 auch im amtlichen Sprachgebrauch üblich war. Während der Name „Ostmark“ für das ehemalige Österreich bis Kriegsende vorherrschend blieb, untersagte das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda am 28. Januar 1942 die Verwendung der Bezeichnungen „Ostmark“ und „Reichsgau der Ostmark“ und forderte stattdessen die Bezeichnung „Alpen- und Donau-Reichsgaue“ ein.
3 Wie grüßt man in Wien?
Der Profitler – „Heil Hitler!“
Der Mann mit Sorgen –„Guten Morgen“.
Der Mann mit Courage – „Leck mich am Arsch!“
In Abwandlungen in Deutschland mindestens seit 1934/35 erzählt. – Siehe Witz 413.
4 Wie betet man in Wien?
„Lieber Gott mach mich blind,
Dass ich alles herrlich find!
Lieber Gott mach mich taub,
Dass ich allen Unsinn glaub!
Lieber Gott mach mich stumm,
Dass ich nicht nach Dachau kumm!
Bin blind ich, taub und stumm zugleich,
Dann bin ich reif fürs Dritte Reich.“
In Abwandlungen in Deutschland mindestens seit 1934 erzählt. – Dachau: erstes Konzentrationslager im Deutschen Reich, etwa 20 Kilometer nördlich von München, welches am 22. März 1933 in Betrieb genommen wurde. „Dachau“ wurde – wie „Auschwitz“ – zum Inbegriff für Konzentrations- und Vernichtungslager.
5 Ein Irrenarzt begrüßt einen Kollegen mit „Heil Hitler!“ – Sagt der andere: „Heil du ihn!“
In Deutschland mindestens seit 1936 erzählt. – Der „Deutsche Gruß“, auch „Hitlergruß“ genannt, wurde mit Rundschreiben an alle Reichsbehörden und Landesregierungen vom 13. Juli 1933 für den dienstlichen Gebrauch angeordnet. Er bestand „im Erheben des rechten Armes“ bis in Augenhöhe bei geöffneter Hand, wobei gemäß Erlasses vom 18. Dezember 1933 es freigestellt wurde, „zu dieser Grußbezeugung die Worte ‚Heil Hitler‘ oder ‚Heil‘ oder gar nichts zu sagen. Andere Worte sind aber gleichzeitig mit dem deutschen Gruß nicht zu sagen.“ Gerade die begleitenden Worte gaben Anlass zu Bespöttelungen, etwa zur verbreiteten Verballhornung „Drei Liter“ statt „Heil Hitler“. In der Deutschen Wehrmacht war der Deutsche Gruß zunächst nur dann obligatorisch, wenn keine Kopfbedeckung getragen wurde. Nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 (siehe Register: Stauffenberg) führte Hermann Göring als rangältester Offizier der Deutschen Wehrmacht „als ein Zeichen unverbrüchlicher Treue zum Führer und engster Verbundenheit zwischen Wehrmacht und Partei“ am 23. Juli 1944 den Deutschen Gruß als einzig erlaubte Ehrenbezeigung in der Wehrmacht ein; erst am 8. Mai 1945 wurde dieser wieder durch den militärischen Gruß ersetzt. – Siehe Witz 345.
6 Wie soll eine gut gebratene Gans sein? – Braun wie Hitler, gefüllt wie Göring, mit einem Schnabel wie Dr. Goebbels und so gut ausgeräumt wie Österreich!
Solche Vergleichswitze waren sehr beliebt; vgl. zum Beispiel die Witze 31, 139, 159, 423 und 543. Eine klassische Abwandlung:
a Wie ist eine echte Kuh? – Braun ist sie wie Hitler, hat eine Wampen wie der Göring und eine Goschen wie der Dr. Goebbels, und melken lässt sie sich so willig wie das österreichische Volk!
Wampe: (meist dicker) Bauch. – Gosche(n): Maul, Mund. – Joseph Goebbels, in den Witzen vielfach nur „Jupp“ genannt, war ein besonders beliebtes Spottsubjekt der Flüsterwitze: „Bumsbein“ (weil der amouröse Abenteurer und oberste Parteipropagandist hinkte; in Österreich ist „bumsen“ das gebräuchlichere Wort für „ficken“), „Reichslügenmaul“, „Reichsspruchbeutel“, „nachgedunkelter Schrumpfgermane“, „Mahatma Propagandhi“, „Wotans Mickymaus“; sein Propagandaapparat wurde als „System Klumpfuß“ verhöhnt.
7 Der liebe Gott begrüßt im Himmel neue Seelen, nur bei Hitler rührt er sich von seinem Thron nicht weg.
Fragt ihn der Petrus, warum er bei Hitler sitzen bleibt.
Sagt der liebe Gott: „Na, wenn ich aufstehe, er nimmt ihn mir doch gleich weg!“
In Deutschland bereits seit 1933 erzählt.
8 Die drei Oberen kommen inkognito nach Wien und werden auch wirklich nicht erkannt. – Warum?
Hitler ist einmal frisiert, Göring hat einmal kein Staberl in der Hand, und Dr. Goebbels hält einmal die Goschen!
In Abwandlungen in Deutschland bereits seit 1933 erzählt. – Mit „Staberl“ ist der Reichsmarschall-Stab Hermann Görings gemeint. – Gosche(n): Maul, Mund.
9 Wer sind die besten Patrioten? – Die Zehn-Pfennig-Fahrgäste: Die stehen dicht gedrängt hinter dem Führer.
Die hinter dem Straßenbahnführer gelegene Plattform der Wiener Straßenbahnen war – meist überfüllt – für jene Fahrgäste reserviert, die zum Kurzstreckentarif von zehn Pfennig fuhren. Solche Straßenbahn- und Hinter-dem-Führer-stehn-Witze sind fester Bestandteil von Flüsterwitzen; siehe beispielsweise Witze 160, 377, 377a und 477.
10 Die Chirurgen erzählen sich im Himmel von ihren Erfolgen in ihrer irdischen Praxis. Da sagt Billroth: „Hörts auf, den größten Erfolg hat ja doch der Hitler. Der hat neunzig Millionen Menschen das Hirn herausgenommen, ohne dass sie es gemerkt haben!“
Die Bevölkerungszahl Deutschlands hat sich von Anfang 1933 mit knapp 68,5 Millionen durch natürlichen Bevölkerungszuwachs, vor allem aber durch Okkupation auf über 89,5 Millionen Anfang 1940 erhöht.
11 Theaterprogramm:
Montag: Die Heilige und ihr Narr, mit Hitler und Riefenstahl.
Dienstag: Maskerade, mit Göring.
Mittwoch: Weh dem der lügt, mit Dr. Goebbels.
Donnerstag: 2 mal 2 ist 5, mit Schacht.
Freitag: ’s Nullerl, mit Seyß-Inquart.
Samstag: Ein Glas Wasser, fürs ganze Volk.
Sonntag: Die Räuber, mit der ganzen Gefolgschaft.
In Abwandlungen in Deutschland mindestens seit 1934/35 erzählt. – Das Wort „Theater“ darf bei dieser beliebten Form des Flüsterwitzes nicht zu genau genommen werden, doch handelt es sich bei der parodierten Sache selbst um ein Drama. „Die Heilige und ihr Narr“: Roman von Agnes Günther, zuerst verfilmt Deutschland 1928 unter der Regie von Wilhelm Dieterle; hier ist aber wohl die spätere Verfilmung gemeint: Uraufführung in Stuttgart am 25. Juli 1935, Regie: Hans Deppe. – „Maskerade. Schauspiel in vier Aufzügen“ (Stuttgart 1905), von Ludwig Fulda; hier ist wohl der gleichnamige österreichische Film gemeint, Uraufführung in Berlin am 21. August 1934, Regie: Willi Forst; ausgezeichnet auf der Biennale in Venedig 1935 mit der Großen Goldenen Medaille. – „Weh dem, der lügt! Lustspiel in fünf Akten“ von Franz Grillparzer, Uraufführung in Wien am 6. März 1838. – „Ranke Viljer. Satyrspil i fire Akter“ (auch unter dem Titel: 2 X 2 = 5; deutsch: „2 X 2 = 5. Satyrspiel in vier Akten“) von Gustav Wied, Uraufführung in Kopenhagen am 12. Februar 1907. – „’s Nullerl. Volksstück mit Gesang in fünf Aufzügen. Musik nach steirischen Motiven von Vincenz Pertl“ von Karl Morré, Uraufführung in Graz am 30. Oktober 1884; es gilt als das meistgespielte Theaterstück für Laienbühnen in Österreich. – „Le Verre d’eau, ou: Les Effets et les causes. Comédie en cinq actes“ (deutsch: „Das Glas Wasser, oder: Ursachen und Wirkungen. Lustspiel in fünf Akten“, Berlin 1841) von Eugène Scribe, Uraufführung in Paris am 17. November 1840; verfilmt unter dem Titel „Das Glas Wasser (Das Spiel der Königin)“ Deutschland 1922/23 unter der Regie von Ludwig Berger. – „Die Räuber. Schauspiel in fünf Akten“ von Friedrich Schiller, Uraufführung in Mannheim am 13. Januar 1782. – Derartige Programm-Witze (siehe zum Beispiel Witz 33) waren häufig. Während Lebensmittel im Dritten Reich bald rationiert wurden, erfreuten sich Vergnügungsveranstaltungen, insbesondere Filmvorführungen, selbst noch in den letzten Kriegsmonaten der massiven Förderung durch die nationalsozialistische Führung, um die Bevölkerung dem tristen Alltag zu entreißen. Typisch ist der Witz:
a Kommt ein Ausländer 1939 in ein Wiener Kolonialwarengeschäft, um einzukaufen.
„Haben Sie Butter?“– „Leider nein.“
„Haben Sie Eier?“ – „Leider auch nicht.“
„Haben Sie wenigstens Bohnenkaffee?“ – „Auch den nicht.“
„Ja was haben Sie denn überhaupt?“ – „Hier, ein paar Karten für die Vorstellung ‚Glückliches Volk‘!“
„Glückliches Volk“: Film des Propagandaamts der DAF; Uraufführung in Berlin am 1. Mai 1938; Regie: Otto Beiger.
12 Großvater, Vater und Sohn sprechen von den Kriegen. Der Sohn rühmt den modernen Krieg, der Vater den Weltkrieg, der Großvater aber sagt: „Am schönsten war’s halt doch im 66er-Jahr: Da hat ma auf die Preußen schießen können!“
Mit Weltkrieg ist natürlich der Erste Weltkrieg gemeint, mit dem Krieg im 66er-Jahr die Schlacht nahe Königgrätz (Hradec Králové) vom Juli 1866, in der die preußische Armee über die sächsisch-österreichische siegte. Die klassische Variante:
a Sagt ein Reichsdeutscher jovial zu einem Österreicher: „Hitler ist ein Geschenk Gottes an das deutsche Volk!“ – „Ach was“, entgegnet ihm der Österreicher, „der is nur unsere Rache für 1866!“
13 Ein Fremder fragt, warum Wien heute beflaggt ist. – „Na, Berlin ist doch gestern so bombardiert worden.“
14 In England ist ein so großer Mangel an Holz, dass die Engländer die Kleiderstoffe schon aus Wolle machen müssen.
Der durch den Krieg bedingte Mangel an Rohstoffen führte im Dritten Reich zu umfangreichen Anstrengungen, Ersatzstoffe zu entwickeln. So wurden Kleiderstoffe meist aus minderwertigen Ersatzstoffen hergestellt, nach einer in großen Teilen der Bevölkerung verbreiteten Annahme unter anderem auch aus Holz. Der Irrtum ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Zellstoffindustrie Holz sparen wollte und deshalb teilweise auf andere Rohstoffe auswich; so wurde seit Juli 1940 Kartoffelkraut als Zellstoffersatz verwendet, und seit November 1940 wurden als neuer Werkstoff Spinnfasern aus Hopfenreben gewonnen. Welche Bedeutung die Rohstoffquelle Holz hatte, mag man an der Propagandaaktion der nationalsozialistischen Presse seit 5. Juli 1944 ermessen: „Schützt den deutschen Wald! Jeder Baum ist eine kriegswichtige Rohstoffquelle!“. Diese Ersatzkultur ist ein klassischer Gegenstand der Flüsterwitze geworden; siehe beispielsweise die Witze 44, 52, 519, 546 und 549.
15 Eine Abwandlung: Habsburg, Irrsinn, Terror, Lüge, Elend, Revolver.
Auch die Abkürzungsmanie der nationalsozialistischen Bewegung – die Flut von Abkürzungen scheint überhaupt ein charakteristisches Merkmal totalitärer Systeme zu sein – gehört zum klassischen Repertoire von Flüsterwitzen. Einige Beispiele, durchwegs aus den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft:
Pg (Parteigenosse): Posten gefunden; Prima Großmutter; Partei-Genießer; Pech gehabt; Partei-Gegner.
BDM (Bund Deutscher Mädel): Bubi, drück mich; Bedarfsartikel deutscher Männer; Brauch deutsche Mädchen; Bald deutsche Mutter.
KdF (Kraft durch Freude): Kampf dem Formittag; Kampf der Furcht; Kampf dem Faschismus. Nach dem November-Pogrom („Reichskristallnacht“) kursierte angesichts der eingeschlagenen Schaufensterscheiben und geplünderten jüdischen Geschäfte seit November 1938 die Interpretation: Kauf durchs Fenster.
NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps): Nur Säufer, keine Kämpfer; Nationalsozialistische Keller-Krieger.
NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation): Nun sitzen Bonzen oben; Neppen, sammeln, beten, opfern. Man kann die NSBO auch umdrehen und von hinten lesen: Oben bleiben sie nicht!
NSDStB (Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund): Nach sehr dürftigem Studium Bonze.
Es gab auch komplizierte Zusammensetzungen wie: SA (Sturmabteilung), SS (Schutzstaffel), HJ (Hitler-Jugend), BDM (Bund Deutscher Mädel): Siehste, Adolf, solche Strolche haste jetzt bei deiner Meute. – Siehe Witze 281, 283, 421 und 500b.
16 Was ist der Unterschied zwischen dem Messias und Hitler? – Der Messias kommt nicht, und Hitler geht nicht.
17 Was ist der Unterschied zwischen der Sonne und Hitler? – Gar keiner: Beide gehen im Westen unter.
Zur Variierung des Witzes im Verlauf des Zweiten Weltkriegs siehe Witz 404.
18 Stalin schreibt ein Buch „Mein Sieg“ gegen Hitlers „Mein Kampf“.
Siehe Witz 496.
19 Ein Herr fragt einen andern, warum er sich fortwährend an seine Nase fasst. Der sagt, weil sie ihm so weh tut: „Ich war nämlich gerade beim Zahnarzt und habe mir einen Zahn ziehen lassen.“
„Ja, warum tut Ihnen dann da die Nase weh?“
„Na, weil er den Zahn durch die Nase gezogen hat, denn das Maul darf man doch jetzt nicht mehr aufmachen!“
In Abwandlungen in Deutschland mindestens seit 1935 erzählt.
20 Warum gibt es einen solchen Fleischmangel? – Nun, die Ochsen sind beim Militär, die Schweine bei der Partei und die Kälber bei der Hitler-Jugend.
Variante in der Kriegszeit:
a Es ist eine Lüge, dass es im Großdeutschen Reich Fleischmangel gäbe. – An der Regierung sind Schweine, in der Partei Ochsen und an der Front Schafe!
21 Hitler spendiert Molotov „Mein Kampf“ mit 37 Radierungen.
Dieser Witz illustriert die oft anzutreffende Mehrschichtigkeit von Flüsterwitzen. Auf Radierungen im Sinne von Streichungen (inklusive Umschreibungen) wird ebenso angespielt, wie auf den Umstand, dass die nationalsozialistische Propaganda Missliebiges (wie in Ungnade gefallene Personen auf Fotos) „radierte“, also wegretuschierte. Versteckt ist aber auch die Anspielung auf einen anderen Flüsterwitz:
a 1944 ist Berlin ein Kunstwerk: Eine Radierung von Winston Churchill nach Ideen von Adolf Hitler.
Der erste systematische Luftangriff mit Spreng- und Brandbomben auf die Innenstadt Berlins fand in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1942 statt. Siehe Witz 118.
22 Franzl fragt in der Elektrischen: „Muatta, wer is denn der, der immer die Karten abzwickt?“
„Der Schaffner.“
„Und wer is denn der, der dös Radl draht?“
„Der Führer.“
„Jessas, is des der, auf den der Vata ollaweil so schimpft?“
Die Elektrische: Straßenbahn, – ollaweil: immer.
23 Die Japaner denken bei ihren tiefen Verbeugungen: „I mi bucki, du mi lecki!“
Ich bücke mich, du kannst mich lecken!
24 Wie Mussolini jetzt heißt: In der Türkei – Efendi Ras Maham, bei uns – Mussallani Binnetto, und unser Rennweg heißt jetzt – Via Mussolini.
Ras Maham: Rasen wir heim (siehe Witz 533). – Mussallani Binnetto: Muss ich allein bin ich nicht da. – Rennweg: große Straße im 3. Wiener Gemeindebezirk (siehe Witz 528). – Der Witz spielt wie die meisten Witze über Benito Mussolini auf die den italienischen Kriegserklärungen rasch folgenden Rückzugsgefechte (wie in Äthiopien und Griechenland) an.
25 Die drei Ganzgroßen sind Fotografen geworden: Hitler vergrößert, Mussolini kopiert und Stalin wartet in der Dunkelkammer die Entwicklung ab.
In Abwandlungen in Deutschland mindestens seit 1935 erzählt.
26 Hitlers Geburtstag ist Nationalfeiertag. – Sein Sterbetag wird internationaler Feiertag sein.
Dieser Witz ist heute meist in seiner jüdischen Variante anzutreffen:
a Wird der Wunderrabbi von einem Gläubigen gefragt, wann Hitler sterben wird. „Das genaue Datum kann ich dir nicht sagen“, antwortet der Rabbi, nachdem er die Sache gründlich bedacht hat, „aber eines weiß ich: Es wird ein Feiertag sein!“
Apropos Feiertage:
b Die katholischen Marienfeste werden im Großdeutschen Reich jetzt umbenannt: „Maria Denunziata“, „Maria Haussuchung“ und „Maria Gefängnis“.
In Deutschland mindestens seit 1936 erzählt. – Mariä Verkündigung (annunciatio Mariæ; 25. März), Mariä Heimsuchung (visitatio Mariæ; 2. Juli) und Mariä Empfängnis (conceptio Mariæ; 8. Dezember). Dieser Witz wurde in Österreich bereits 1933 bis 1938 erzählt, damals auf das Ständestaat-Regime gemünzt.
27 Hitler will auch noch ins „Vaterunser“ kommen.
Der liebe Gott sagt: „Das geht ganz leicht. Wir werden beten: ‚Und erlöse uns von Adolf Hitler, Amen!‘.“
Häufig ist auch diese Variante anzutreffen:
a Der Text des „Vaterunser“ wurde nun endlich den Gegebenheiten des Dritten Reichs angepasst. Statt „et ne nos inducas in temptationem“ heißt es jetzt „et ne nos inducas in concentrationem“.
„Und führe uns nicht in Versuchung“ beziehungsweise „und führe uns nicht ins Konzentrationslager“.
28 Die Nazis haben mit den Tauben viel gemein: Auch sie sitzen auf den höchsten Spitzen, scheißen auf die Kirchen und lassen sich von den andern erhalten.
29 Buchstabierung von „Jude“: ltaliens und Deutschlands Ende.
In den meisten Frakturschriften, wie sie von den Nationalsozialisten als „Deutsche Schrift“ verwendet wurden, sind „I“ und „J“ identische Buchstaben. – Siehe Witz 481.
30 Gut, dass der Hitler im Weltkrieg schon Gefreiter war, sonst wäre er jetzt noch Gemeiner.
Gemeiner: Bezeichnung für Soldaten mit dem niedrigsten militärischen Rang, gefolgt von jenem des Gefreiten, also jenem Dienstgrad, zu dem Adolf Hitler im Ersten Weltkrieg avancierte. – Siehe Witz 507.
31 Wie muss ein echt deutscher Nazi sein: kinderreich wie Hitler, wahrheitsliebend wie Dr. Goebbels, bescheiden wie Göring, nüchtern wie Bürckel, treu wie Heß, geduldig wie das deutsche Volk, und heißen muss er Rosenberg.
Die von der nationalsozialistischen Propaganda dem „echt deutschen“ Nationalsozialisten zugeschriebenen Attribute trafen auf seine führenden Repräsentanten nicht zu: Adolf Hitler hatte keine Kinder, Joseph Goebbels war Chef der nationalsozialistischen Lügenpropaganda, Hermann Göring bekannt für seine – auch an der Körperfülle sichtbaren – Gierigkeit, Josef Bürckel ein Alkoholkranker, Rudolf Heß setzte sich nach Großbritannien ab (siehe Witz 414), und der führende nationalsozialistische Ideologe Alfred Rosenberg trug einen unter Juden verbreiteten Familiennamen. – Siehe Witz 6.
32 Hitler kommt vor die Himmelstür, und weil er nicht gleich eingelassen wird, so zieht er dem großen Bären schnell das Fell ab, montiert von der Waage das Eisen ab und entrahmt die Milchstraße – nur die Jungfrau, die hat er unberührt gelassen.
33 Kinorepertoire:
Der Herrscher, mit Adolf Hitler.
Maskerade, mit Göring.
Ein idealer Gatte, mit Dr. Goebbels.
Der Weg ins Freie, mit Heß.
So endete eine Liebe, mit Molotov und Ribbentrop.
Gebundene Hände, mit neunzig Millionen Gefolgschaft.
„Der Herrscher“: deutscher Industrie- und Familienfilm (nach Gerhart Hauptmanns Schauspiel „Vor Sonnenuntergang“), Uraufführung in Berlin am 17. März 1937, Regie: Veit Harlan; ausgezeichnet mit dem Nationalen Filmpreis 1937. – „Maskerade“: österreichischer Film, Uraufführung in Berlin am 21. August 1934, Regie: Willi Forst; ausgezeichnet auf der Biennale in Venedig 1935 mit der Großen Goldenen Medaille. – „Ein idealer Gatte“: deutsche Filmkomödie (nach Oscar Wildes Komödie „An Ideal Husband“), Uraufführung in Berlin am 6. September 1935, Regie: Herbert Selpin. – „Der Weg ins Freie“: deutscher Frauen- und Ehefilm, Uraufführung in Berlin am 7. Mai 1941, Regie: Rolf Hansen. – „So endete eine Liebe“: deutscher Historien- und Liebesfilm, Uraufführung in Berlin am 18. Oktober 1934, Regie: Karl Hartl. – „Gebundene Hände“, vermutlich Anspielung auf „Befreite Hände“: deutscher Frauenfilm, Uraufführung in München am 20. Dezember 1939, Regie: Hans Schweikart. Zugleich war „Gebundene Hände“ aus der Operette „Axel an der Himmelstür“ (Musik und Text: Ralph Benatzky) jener Schlager, mit dem Zarah Leander 1936 ihre deutsprachige Karriere als Sängerin begann, obwohl das Lied von einem wegen seiner jüdischen Frau zur Emigration Gezwungenen stammte. – Dass sich viele Flüsterwitze auf das Genre Film beziehen, ist kein Zufall: Joseph Goebbels erkannte schon früh die propagandistischen Möglichkeiten des Films, und während die Theater und Opern mit 1. September 1944 schließen mussten, wurden Filme bis kurz vor Kriegsende gezeigt; die letzte Film-Uraufführung im Dritten Reich fand am 30. März 1945 statt. – Zu einem klassischen Programm-Witz siehe Witz 11; verbreitet war auch folgender Witz:
a In Großdeutschland sind jetzt alle Kinos überfüllt, weil der Film „Ein Mann will nach Deutschland“ gezeigt wird. – Alle wollen den Mann sehen, der nach Deutschland will!
„Ein Mann will nach Deutschland“: deutscher Abenteuer- und Liebesfilm, Uraufführung in Berlin am 26. Juli 1934, Regie: Paul Wegener.
34 Ein Berliner rühmt die Schönheit Wiens und vor allem die herrliche Luft. – Da sagt ein Wiener: „Des glaub i gern, wo ma mit an jeden Schas nach Berlin gehn muss.“
Schas: Furz.
35 Hitler kommt mit einem Stoff zum Schneider; er soll ihm daraus einen Anzug machen. Der Schneider sagt: „Das ist viel zu wenig. Aber probieren Sie’s, vielleicht macht Ihnen ein anderer was draus.“
Hitler geht also zu einem andern. Der sagt auch: „Das ist viel zu wenig Stoff. Aber kommen S’ nach der Frühjahrsoffensive wieder, da wern S’ so klan sein, dass noch a Stückel raus kriegen.“
Frühjahrsoffensive: Die Frühjahrsoffensive der Roten Armee, 4. März bis 12. Mai 1944, endete mit der Rückeroberung der Krim und der restlichen Ukraine. Da der sowjetische Vormarsch vielfach schneller als der deutsche Rückzug war, kam es wiederholt zu Einkesselungen von Teilen der Deutschen Wehrmacht und zahlreichen Kriegsgefangenen.
36 Die neue Spinnstoffsammlung besteht aus den Hirngespinsten von Hitler und aus den Lumpen von der Partei.
Seit 28. Juli 1941 wurden so genannte Reichs-Spinnstoff-Sammlungen durchgeführt, bei denen Textilien aller Art, von Stoffabfällen über alte Teppiche bis zu Wäschestücken, gespendet wurden. Die jährlich wiederholten Altkleider- und Spinnstoffsammlungen dienten vor allem der Rohstoffbeschaffung, später auch zur Behebung der kriegsbedingten Produktionsmängel. Die letzte Spinnstoff-, Wäsche- und Kleidersammlung begann am 7. Mai 1944. Bis zuletzt wurde für diese Sammlungen geworben; so heißt es im „Börsenblatt“ vom 27. Januar 1945: „Gebt Kleider, Wäsche, Spinnstoffe aller Art, Uniformen und Ausrüstungsgegenstände für Wehrmacht und Volkssturm“. – „Lumpen“ zielt hier natürlich auf die Doppeldeutigkeit von Lappen und Gauner ab; siehe Witz 361. – Spinnstoff und Hirngespinste sind klassische Objekte der Flüsterwitz; siehe beispielsweise die Witze 129, 248 und 367.