Eine grauenvolle Prophezeiung erschütterte eines Tages das prächtige Reich der Engel, Erator. Ira, die Kugel der Vorhersehung gebar der liebevollen Königin Goldheart und ihrem starken Heerführer Lord Tallhelm aber auch die rettende Lösung. Seraphim, halb Mensch, halb Engel, ist die Auserwählte, welche dazu auserkoren wurde, Lord Alfan, Satan persönlich, zu besiegen und zu töten.
Ein junger Engel sollte sie von der Erde holen und ins Reich der Engel bringen. Diese Aufgabe fiel niemand geringeres zu als Storm. Ein hitzköpfiger Kadettenspross, welcher bekannt war für seine Wutausbrüche und Feindseligkeit. Hinzu kam, dass er sich ziemlich oft mit seinem Rivalen Talas, welcher der gleichen Einheit von Kadetten angehörte, wie er selbst, stritt und verprügelte. Des Öfteren war er auch der Spot seiner Truppe, da er im Gegensatz zu anderen Engel keine Gabe besaß und dies ihn somit zu einem Außenseiter machte.
Angekommen auf der Erde, musste er sich zuerst mit der Tatsache beschäftigen, dass die Auserwählte keinen blassen Schimmer von irgendetwas hatte. Weder von ihrer Engelsseite, noch von ihrem Schicksal, geschweige denn, dass es Engel wirklich gab. Es kommt zu einem ziemlich kurzen Handgefecht zwischen Storm und der Auserwählten, in dem Seraphim unterlegen ist und kurzerhand einfach von Storm nach Erator entführt wird.
Zurück im Reich der Engel, muss Storm die mittlerweile bewusstlose Seraphim zum Palast bringen, was alles andere als leicht ist, da er sich bei ihrer Ankunft den Flügel verletzt hat. Im Palast schließlich angekommen, sieht er sich direkt mit zwei Sachen konfrontiert. Erstens, Königin Goldheart und Heerführer Lord Tallhelm haben eine Affäre miteinander. Zweitens, er hat die „Ehre“ die Auserwählte mit der Geschichte, den Bräuchen und dem Engeldasein vertraut zu machen und wird somit ungewollt zu Seraphims Referenzperson.
Ihr erstes Aufeinandertreffen hat somit die Folge, dass beide sich am Anfang nicht sonderlich gut miteinander verstanden. Doch Seraphims gutmütiger Charakter war stärker als Storms Dickschädel und ziemlich schnell schafft sie es, zu ihm durchzudringen. Storm findet einen Freund in ihr und langsam, aber sicher, fängt er an sich ihr zu öffnen, denn Storm hat ein grauenvolles Geheimnis. Diese Offenheit verändert Storm, welche jede zu spüren bekommt, sowohl die Königin und Lord Tallhelm, als auch seine Team-Kameraden und ganz besonders seine Mutter, welche schon seit Jahren keinen Draht mehr zu ihrem Sohn hat.
Schnell gewöhnt Seraphim sich an ihr neues Leben und schließt auch Freundschaft mit der anfänglich sehr schüchternen Rose, die später Seraphims beste Freundin wird.
Unterdessen scheinen die Schuldgefühle seines Geheimnisses Storm von innen heraus aufzufressen und er schafft es nicht länger, seine stolze Fassade aufrecht zu erhalten und gesteht Seraphim alles. Wie eine Erlösung erscheint ihm dieses Geständnis und es scheint ein Wunder bezweckt zu haben. Denn es schienen jene Gefühle gewesen zu sein, die seine Kräfte gehemmt hatten, welche nun erwacht sind. Seine Kräfte, die Naturgewalten zu kontrollieren, insbesondere das Wetter.
Doch die schöne Idylle hält nicht für lange, denn auch Lord Alfan hat von der Prophezeiung Wind bekommen. Unerklärt taucht er plötzlich in Erator auf und trifft auch noch gleich auf Seraphim und Storm. Seraphim, die noch immer nicht ganz ihrer Kräfte bewusst ist, unterliegt in diesem Kampf, bei dem Storm lebensgefährlich verletzt wird. Alfan zieht sich vorerst zurück und Lord Tallhelm trifft ein. Alle geben die Hoffnung auf, dass Storm es schaffen wird, doch Seraphim weigert sich dies zu glauben und beißt sich daran fest. Ihr fester Wille ist schließlich der Auslöser, dass ihre Engelsseite erwacht und sie schafft es Storm vor dem Tod zu bewahren.
Alles scheint sich wieder zum Besseren zu wenden, doch nun sehen sich Seraphim und Storm mit einem anderen Problem konfrontiert. Sie haben Gefühle für den jeweils anderen entwickelt und wissen nicht, wie sie es sich gegenseitig gestehen sollten. Doch ein wunderschönes Fest, schöne Musik und gute Stimmung leitet dies in die Wege. Auf dem Erntedank-Fest der Engel tauchen Seraphim und Storm als Paar auf, nachdem Storm sich überredet hatte, Seraphim zu fragen, um mit ihm auszugehen. Auf der Tanzfläche gestehen sie sich gegenseitig ihre Liebe und küssen sich.
Aber wie so oft, wurde diese Idylle zerstört als der Palast lichterloh in Flammen aufging und trotz aller Versuche bis auf die Grundmauern abbrannte. Alles deutete daraufhin, dass Lord Alfan einen Handlanger haben musste, welcher für das Unglück verantwortlich war. Und alle Indizien führten zu niemand anderen als Talas, Storms größtem Kontrahenten und Rivalen.
Die Lage spitzt sich langsam zu und dann erfährt Seraphim, dass ihre beste Freundin Rose entführt wurde von Lord Alfan. Trotz aller Proteste von Tallhelm, macht sie sich mit Storm auf den Weg, ihre beste Freundin zu retten. Die einzige informationsreiche Hilfe die sie bekommt, sind vom bronzenen Engel und die Dimension der Toten, in die sie sich astralprojektzieren kann. Dort trifft sie auf niemand anderen als Storms Vater. Beide warnen sie vor Lord Alfan, welcher skrupellos ist, um den Sieg zu erlangen.
Am Orte der Übergabe, der Erde, treffen Seraphim und Storm auf ihren Widersacher Lord Alfan, doch dieser ist nicht alleine. Eine Horde aus grauenvollen Wesen der Dunkelheit umzingelt die Auserwählte und ihre Freunde. Doch Alfan hatte Seraphim unterschätzt und schon bald muss er den Kampf mit ihr selber führen. Alfan ist ihr weit überlegen und schafft es Seraphim, Storm und Rose zu besiegen. In dem Moment tauchen Lord Tallhelm und das gesamte Heer von Erator auf. Auch mit ihnen macht Alfan kurzen Prozess und es scheint, als würde Alfan siegen, als dann aber plötzlich wie aus dem Nichts der rebellische Pegasus Lightshade auftaucht und Seraphim mit seinen magischen Kräften vor dem Tod bewahrte. Alfan ist sprachlos und will sich zurückziehen, da nun nicht nur die Auserwählte, sondern auch das Heer wieder Hoffnung und Kraft hatte. Alfan flüchtet, doch Seraphim schafft es noch ihn zu verwunden und hat ihm mit Pfeil und Bogen ein Auge genommen.
Wenige Tage später findet die Hochzeit von Lord Tallhelm und Königin Goldheart statt und jeder ist glücklich, auch Seraphim. Doch als sich ihr Blick mit dem von Talas, dem vermeintlichem Verräter traf, wurde ihr klar, dass dieser Kampf noch lange nicht gewonnen war und noch viel Leid mit sich tragen würde.
Bereits erschienen:
An der Wiege der Zukunft – ISBN-13: 978-3-837-09964-5
Auf dem Weg in die Zukunft – ISBN-13: 978-3-842-36315-1
Zwischen Zukunft und Vergangenheit – ISBN-13: 978-3-734-74548-5
In Vorbereitung:
Zukunft am Scheideweg
Volk ohne Zukunft
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Es war ein schöner Spätsommer Frühmittag. Die Sonne stand hoch am strahlend blauen Himmel. Eine leichte Brise wehte. Die Grillen surrten. Kleine Mücken flogen umher. Es roch nach Stroh und gemähtem Gras. Es war ein wunderbarer Tag hier im Reich der Engel.
„Langer Ausschlag!“
„Geblockt!“
„Verdammt!“
Eine starke Staubwolke wurde hochgewirbelt, als ein Engel mit rabenschwarzem Haar aus der Luft gerissen und auf den Boden katapultiert wurde.
„Acht zu Null für mich!“, lachte ein Mädchen und flog mit sachten Flügelbewegungen zu ihm runter. Sie hielt ihm die Hand hin, um ihm beim Aufstehen zu helfen.
Der Junge stand aber ohne ihre Hilfe auf und rieb sich die von ihrem Tritt schmerzende Seite, als er mit funkelnden blauen Augen meinte: „Ich habe dich doch nur wieder gewinnen lassen!“
„Ach, ist das so?“, lachte das Mädchen und strich sich ihr langes braunes Haar aus dem Gesicht hinters Ohr. Ihre Augen funkelten ebenso amüsiert wie die des Jungen, nur in einem saftigen Grün.
Ihr Name lautete Seraphim.
„Ja, das ist so“, erwiderte der Junge keck und baute sich vor ihr auf. Er hörte auf den Namen Storm.
„Dass ihr immer einen Wettkampf daraus machen müsst“, lachte Rose und gesellte sich zu ihren Freunden.
Rose war etwas größer als Seraphim, hatte dunkles braunes Haar, fast genauso dunkle braune Augen und einen gesunden, südlichen, von der Sonne gebräunten, Teint.
„Das Training soll doch Spaß machen“, meinten Seraphim und Storm gleichzeitig.
„Das Training soll euch auf den Kampf vorbereiten!“, donnerte die kraftvolle Stimme ihres Trainers über den Platz. Lord Tallhelm hatte die Bande im Auge behalten. Der Lord war wahrlich von kraftvoller Statur. Seine Rüstung, die Seraphim stets mit denen der Gladiatoren aus dem alten Rom verglich, brachte dies noch stärker zur Geltung und hob ihn von den anderen Engeln stark ab.
„Ja, Sir“, meinten die drei Jugendlichen und widmeten sich sofort wieder ihrem Training zu.
Seit dem Kampf mit Lord Alfan waren mittlerweile einige Wochen vergangen.
Die Hochzeit von Königin Goldheart und Heerführer Lord Tallhelm hatte die Angst des Volkes etwas gemildert.
Der übliche Alltag war wieder eingekehrt.
Aber es war wie die Ruhe vor dem Sturm, die Anspannung blieb. Man wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde. Nicht mehr lange und Lord Alfan würde wieder zuschlagen und diesmal, würde er sie nicht unterschätzen. Nein, dieses Mal würde er es ihnen nicht so leicht machen. Er wird kommen und alles in die Wege leiten was nötig ist, um zu bekommen, was er möchte. Die Herrschaft über Erator, das Reich der Engel und somit auch völlige Kontrolle über die Heimat der Menschen.
Aufgrund der letzten Geschehnisse, hatte die Königin veranlasst, dass nun jeder im Volk, egal ob Mann oder Frau, an einem speziellen Training Teil nehmen sollte. Auch Kinder ab 10 Jahren mussten mitmachen. Jeder sollte sich zu verteidigen wissen. Seraphim pflegte zu sagen, dass dies ein „Selbstverteidigungs-Kurs“ war, womit sie nicht ganz Unrecht hatte.
Um es genau zu formulieren, handelte es sich um die Grundausbildung, die die Kadetten absolvieren mussten um überhaupt aufgenommen zu werden. Dies beinhaltete körperliche Nahkampf-Techniken, Ringen, sowie das Erlernen ein Schwert zu halten und damit umzugehen. Auch Bogenschießen zählte hierzu.
Da es aber geradezu unmöglich war das gesamte Volk gleichzeitig zu rekrutieren und auszubilden, und es nicht möglich war erfahrene Soldaten von ihren Posten abzuziehen, da diese für den Schutz des Königreiches Wache hielten und patrouillierten, ging diese Aufgabe an die Kadetten weiter. Diese wurden von Lord Tallhelm in kleine Gruppen eingeteilt, welche jeweils einen Teil des Volkes ausbildeten. Regelmäßig wurde gewechselt und abgelöst.
Obschon es sinnvoller gewesen wäre, ihre zwei mächtigsten Kadetten - Seraphim und Storm - für ein solches Verfahren zu trennen, blieben die Zwei in der gleichen Truppe. Zusammen mit Fire, August, Talas und Jul unterrichteten sie in etwa 60 andere Männer, Frauen und Kinder. Unter ihnen auch Rose.
*
Es war später Morgen und die Sonne ging langsam in den Mittag über.
Alles schien auf den ersten Blick in Ordnung zu sein. Aber dem war nicht so. Der Grund hierfür lautete Talas, der vermeintliche Verräter.
Zwar hatten weder Seraphim, noch Storm irgendjemandem etwas von ihrem Verdacht erzählt. Ihnen fehlten einfach handfeste Beweise, um dieser Anschuldigung Kraft zu geben.
Talas konnte nichts mehr in ihrer Nähe tun oder sagen, ohne dass einer von beiden ihn im Auge behielt und jedes seiner Worte vernahm.
Talas schien dies jedoch nicht allzu sehr zu stören und er beachtete es nicht sonderlich viel. Er ignorierte gekonnt die giftigen Blicke, die ihm zugeworfen wurden. Er war noch immer der selbstverliebte, überhebliche, ichbefangener Egomane, der jeder kannte.
„So!“, rief Lord Tallhelm über den Platz und klatschte in die Hände, um das Ende des Trainings einzuläuten. Dabei blickte er hoch zur Sonne und verkündete das Ende des Trainings für den Morgen: „Mittagszeit!“
Nach dem harten Training waren diese Worte wie eine Erlösung für jeden einzelnen. Die Engel erhoben sich alle in die Lüfte um nach Hause zu fliegen, oder um zur Kantine zu gelangen.
Lord Tallhelm sah ihnen allen genügsam hinterher. Was er gesehen hatte, sah schon nicht schlecht aus. Aber um in die Schlacht zu ziehen, reichte es natürlich nicht. Das Training gab dem Volk trotzdem das Gefühl, auch selbst etwas an der Situation ändern zu können. Sie fühlten sich nicht mehr schutzlos ausgeliefert. Sie konnten sich nun auch selber wehren.
*
„Oh gütiger Himmel! Ich hab so starken Muskelkater!“, stöhnte Rose gequält, als sie sich in der Essens-Kantine neben Seraphim auf ihren Platz fallen ließ. „Ich glaube, ich muss gleich sterben!“
Seraphim musste kichern.
Storm lachte schallend: „Du übertreibst!“
Rose fuhr sich über die verschwitzte Stirn.
„Ihr habt gut reden!“, lachte sie. „Ihr seid das gewöhnt und auch alle total sportlich und athletisch!“
Seraphim winkte ab: „Ach was!“
„Wie schafft ihr das nur?“, fragte Rose und guckte ihre restlichen Freunde, welche allesamt vor Kraft nur so strotzten, an.
„Hartes Training“, meinte Storm grinsend und kassierte von Seraphim einen leichten Seitenhieb. Er lachte.
„Du tust dich aber ziemlich gut“, munterte Fire Rose auf, als er sich den Drei gegenüber hinsetzte. „Wenn man bedenkt dass du noch niemals zuvor ein Schwert in der Hand gehalten hast“
„Ach was!“, wehrte Rose verlegen ab.
„Ich meine es ernst!“, sagte Fire.
Die Wangen des dunkelhaarigen Mädchens bekamen einen leicht rosigen Ton.
„Auf jeden Fall besser als so manch anderer, der das Training nicht richtig ernst nimmt“, meinte Seraphim und blickte über die Schulter zur Talas‘ flankierter Seite.
Summer hing wie übliche an Talas wie eine Klette. Ständig warf sie ihr langes wunderschönes schwarz gelocktes Haar über die Schulter, zupfte an ihrem brauchfreien, fast durchsichtigen Top rum. Legte dieses Unschuldslächeln auf und klimperte übertrieben mit den stark getuschten Wimpern. So schön sie auch war, umso oberflächlicher und falsch war sie.
Sie hatte bereits bei ihrer ersten Begegnung mit Seraphim ihr den Krieg erklärt und ihr mehr als verständlich klar gemacht, dass sie Seraphim nicht ausstehen konnte.
In Summers Augen war Seraphim eine Konkurrentin und somit ihre Feindin.
„Wundert mich, dass Lord Tallhelm sie noch nicht auf ihr Outfit angesprochen hat“, meinte Storm. „Das sind doch keine angebrachten Klamotten um zu trainieren!“
„Wir haben ja aber auch wirklich Wichtigeres zu tun, als auf das Aussehen zu achten“, kommentierte Rose.
„Da hast du auch wieder recht“, stimmte Storm Rose bei und fuhr seiner Freundin eine Strähne hinters Ohr. „Aber mein Mädchen sieht immer toll aus!“
Seraphim lief rot an und senkte den Blick.
Es war noch gar nicht so lange her, dass sie und Storm sich ihre Liebe gestanden hatten und zusammen gekommen waren. In dieser kurzen Zeit, hatte er ihr schon so oft Komplimente gemacht, dass sie es bereits gewöhnt sein müsste. Aber Seraphim konnte nur jedes mit Verlegenheit die Schmeichelei annehmen.
Storm fand ihre Verlegenheit ziemlich niedlich und musste jedes Mal schmunzeln, wenn sie dann ihren Blick leicht senkte um ihr glühendes Gesicht zu verbergen. Er hob ihr Kinn dann immer mit zwei Fingern hoch, so dass sie ihn ansehen musste, bevor er sich zu ihr beugte und sie sanft auf die Lippen küsste.
Seraphim war glücklich.
Und Storm war es auch.
Rose freute sich, dass die beiden zusammen gefunden hatten. Sie gaben für sie das perfekte Paar ab.
Aber nicht jeder freute sich über die Beziehung von den Beiden.
„Holt euch ein Zimmer!“
Genervt sahen Seraphim und Storm in ein grinsendes Gesicht.
Talas setzte sich soeben an ihren Tisch an.
„Eifersüchtig?“, knurrte Storm.
„Auf dich?“, lachte Talas. „Nicht mal in tausend Jahren!“
„Wenn es dich dann stört, kannst du ja abhauen!“, zischte Storm.
„Wie wäre es, wenn ihr anstelle verduftet?“, protzte Summer und umarmte Talas von hinten, schmiegte ihre dünnen Arme um ihn.
Sie warf Seraphim einen giftigen Blick zu, mit dem – wenn Blicke töten könnten - Seraphim zu Asche zerfallen wäre.
Dass Summer in Storm verschossen war, war Seraphim nicht unbekannt. Er hatte sie vor einer Weile abblitzen lassen und das hatte sie nicht gut vertragen. Storm interessierte sich einfach nicht für Summer und das machte sie umso wütender.
Warum sie nun aber mit Talas zusammen war, war jedem ein Rätsel.
Vielleicht um ihn eifersüchtig zu machen? Oder um Talas einfach zu einer ihrer Trophäen und Anhänger zu machen?
„Wir kämpfen doch alle auf der gleichen Seite“, sagte Talas und beugte sich leicht über den Tisch zu Seraphim rüber. „Oder etwa nicht, Seraphim?“
„Ich weiß ja nicht auf welcher Seite du stehst, aber auf der Richtigen garantiert nicht!“, knurrte Storm und ballte die Fäuste.
Die Anspannung zwischen den Jugendlichen stieg erheblich an.
Im unterirdischen Bunker, welcher als Kantine diente, wurde es still und jeder drehte sich zu Seraphim, Storm, Summer und Talas.
Storm und Talas waren beide Hitzköpfe und es reichte ein Funke, dass beide wie Tiere aneinander gingen und sich gegenseitig versuchten die Köpfe einzuschlagen. Dies konnte schon mal gefährlich werden.
„Leute, beruhigt euch“, versuchte Fire sie zu beschwichtigen.
Rose sah leicht ängstlich hin und her.
„Was soll das bedeuten?“, sprang Talas auf. „Wer hat denn Lord Alfan entkommen lassen?“
„Willst du etwa Seraphim die Schuld an allem geben, du Bastard?“, schrie Storm und schnellte hoch.
„Wessen sonst?“, zickte nun Summer.
„Es war eine Falle! Niemand hätte damit gerechnet! Was hättest du erwartet? Wir können froh sein, dass es noch gut für uns ausgegangen ist!“, fuhr Seraphim die Schwarzhaarige an.
„Seraphim“ Rose berührte ihre Freundin an der Schulter, um sie zu beruhigen. „Du hast alles richtig gemacht. Lass dich nicht entmutigen. Du und Storm habt mich schließlich gerettet!“
„Wenn du blöde Kuh dich nicht fangen gelassen hättest, wäre es gar nicht so weit gekommen!“, feixte Summer nun Rose an.
„Willst du was auf deine dämliche Fresse bekommen?“, knurrte Talas und packte Storm am Kragen.
„Kannst ja mal versuchen!“, zischte Storm und umklammerte Talas Handgelenk.
„Das nimmst du zurück!“, schrie Seraphim und mit einer Handgeste schleuderte sie Summer quer durch den Raum.
Rose kreischte erschrocken auf und schlug die Hände vor den Mund.
Fire packte Seraphim am Arm, bevor sie auf Summer losgehen konnte.
Talas und Storm blickten auf, als sie den Krach der zurückschallenden Druckwelle hörten.
„Miststück!“, kreischte Summer hysterisch und rappelte sich auf, klopfte sich ihre Flügel und ihre Kleider ab.
„Glaubst du Rose trägt Schuld daran, dass das hier gerade alles passiert?“, schrie Seraphim ihr entgegen, während Fire sie zurück hielt.
„Beruhige dich!“, meinte der rothaarige Junge.
„Keiner hier hat Schuld dass der Krieg vor der Tür steht! Wenn du bei einem die Schuld suchst, dann bei Lord Alfan!“, schrie Seraphim weiter.
„Du bist doch die sogenannte Auserwählte! Warum hast du ihn dann entkommen lassen?“, konterte Summer und die Luft wurde ziemlich dick. „Wenn du ihn erledigt hättest, so wie es deine Aufgabe und dein Schicksal ist, dann würde es gar nicht zu einer verdammten Schlacht kommen! Und es gäbe überhaupt kein Krieg!“
„Ich wollte ihn ja aufhalten!“
„Warum hast du es dann nicht getan?“
„Schluss jetzt!“, ertönte eine hohe kraftvolle Stimme.
Augenblicklich wurde es still und die Anspannung schien wie auf Eis gelegt.
Alle Blicke wanderten zur Eingangstür.
In einem leuchtenden Kleid eingehüllt stand hier nun die Königin. An ihrer Seite, wie immer, ihr Heerführer, Lebensgefährte und Trainer der Kadetten: Lord Tallhelm.
Beide betraten das Gemäuer und jeder verneigte sich respektvoll vor ihnen.
„Es sind nicht die Zeiten um zu streiten“, meinte Königin Goldheart und schritt auf Seraphim zu.
Etwas beschämt guckte das Mädchen zu Boden.
Es war nicht ihre Art sofort aufbrausend zu werden. Eigentlich war sie ja ein ruhiger Mensch. Aber hier war schon das Problem, sie war kein normaler Mensch mehr.
Seit sie ihre Kräfte gefunden hatte und der Engel in ihr erwacht war, hatte sich alles verändert. Nicht nur dass sie nun Raum und Zeit kontrollieren konnte und ihre Flügel es ihr ermöglichten zu fliegen. Auch ihre körperlichen Kräfte waren gewachsen, sie war schneller und stärker als zuvor. Weiterhin war auch ihre Gefühlswelt beeinflusst worden. Emotionen verspürte sie stärker als früher. Wenn sie glücklich war, lachte sie laut. Wenn sie traurig war, liefen sofort die Tränen. Dies führte zu starken emotionalen Schwankungen.
Ein kurzer Blick der Königin reichte, damit sich Storm und Talas sofort los ließen. Sie lieferten sich aber einen visuellen Kampf, wer wen hasserfüllter ansehen konnte. Wie zwei streitende kleine Kinder, die man gerade auseinander gezerrt hatte.
Die Königin widmete sich an die Auserwählte: „Ich muss mit dir sprechen. Unter vier Augen“
Seraphim nickte stumm und folgte der Königin unverzüglich nach draußen.
Beide erhoben sich in die Luft.
Man hörte noch kurz, wie Lord Tallhelm sich aufregte. Doch sie waren bereits zu weit weg, um die Worte zu entschlüsseln, die alles, aber nichts Gutes bedeuteten.
Seraphim wusste ja selber, dass ihr Handeln nicht korrekt gewesen war, aber es ging eben mit ihr durch. Vor allem in solch anstrengenden Zeiten wie jetzt.
„Wie es wohl ist, wenn alles vorbei ist?“, fragte sie sich, als die Königin sie zu dem bereits teilweise wieder aufgerichteten Palast geleitete.
Die Grundmauern, sowie der Kreissaal und ein Teil der Bibliothek hatten wieder seine ursprüngliche Form angenommen. Die Arbeiter schufteten Tag und Nacht daran um den Hauptsitz und das Herz ihres Reiches wieder aufzurichten so schnell es ging.
Seraphim wagte sich nach ihrer Missetat nicht zu fragen, was die Königin denn mit ihr zu besprechen hätte.
Erst als sie im großen Kreissaal landeten, welcher noch keine Fenster besaß, drehte die Königin sich wieder zu dem Mädchen um. Ihre Mimik verriet, dass etwas nicht stimmte.
Seraphim wurde nervös.
Die Königin war etwas blass um die Nase.
„Seraphim“, fing sie schwach an, räusperte sich und setzte noch einmal an. „Seraphim, ich befürchte wir haben gewaltige Probleme“
„Etwa mit Lord Alfan?“, fragte das Mädchen.
„Wenn es doch nur das wäre“, meinte die Königin niedergeschlagen und trat zu Ira, der Kugel der Weisheit. Diese wurde zum Glück beim Brand nicht zerstört und konnte aus den Trümmern geborgen werden, was für die Königin eine ziemliche Erleichterung war.
„Was denn noch?“, fragte Seraphim und trat ebenfalls näher an die Kugel ran, welche jedoch ruhig auf ihrem Sockel ruhte.
Die Königin blickte Seraphim traurig an, als sie dann meinte: „Es geht um Storm“
Dem Mädchen rutschte das Herz fast in die Hose.
„S-Storm?“, keuchte sie. „W-was ist mit ihm?“
Ohne Worte strich die Königin über ihre Kugel. Feiner Goldstaub wirbelte hoch. Sanft begann die Kugel zu schweben und ein holografisches Bild spiegelte sich in der Luft wieder.
Es wunderte Seraphim nicht allzu sehr, dass es Lord Alfan war, den sie sahen. Aber hinter dem Lord stand noch jemand, eingehüllt in einen schwarzen Kapuzenumhang.
„Der Verräter?“, murmelte Seraphim und guckte die Königin fragend an.
In dem Moment strich die Person hinter Lord Alfan die Kapuze zurück und ein vertrautes Gesicht kam zum Vorschein.
Storm.
Seraphim entfuhr ein Schrei und sie presste sich die Hand auf den Mund, starrte auf das Abbild ihres Freundes.
Ihr Blick ging entsetzt zur Königin, als sie eine Antwort verlangte: „Was hat das zu bedeuten? Warum steht Storm da an der Seite dieses Monsters?“
„Ich weiß es selbst nicht“, gab die Königin zu. „Ich habe niemandem davon erzählt, nicht einmal Tallhelm. Ich wollte es dir alleine zeigen. Seraphim, wir wissen, dass wir einen Verräter in unserer Mitte haben und…“
„Aber das ist unmöglich Storm!“, platzte Seraphim dazwischen. „So etwas würde er nie tun! Er ist die treuste Seele die ich kenne und er verabscheut Lord Alfan mehr als alles andere was ich kenne! Er würde sich nie auf dessen Seite stellen! Lieber würde er sterben als an seiner Seite zu stehen!“
„Das weiß ich doch“, versuchte die Königin das aufgebrachte Mädchen zu beruhigen. „Darum verstehe ich es ja selbst nicht. Iras Prophezeiungen wechseln ständig, dass man nicht mehr weiß, was einen erwartet. Wir haben nichts, Seraphim! Wir wissen gar nicht wo wir stehen! Oder was Lord Alfan vorhat!“
Seraphim überlegte, als ihr die Worte vom bronzenen Engel wieder einfielen.
An jenem Tag, wo sie bei ihm war und Lord Alfan Rose entführt hatte.
„Der bronzene Engel hat gemeint, Lord Alfan wäre in der Lage Ira auszutricksen. Er meinte, ändert sich sein Plan, ändert sich die Prophezeiung und somit auch die Zukunft.“, sprach Seraphim und sie glaubte dem Mann. „Lord Alfan hätte viele Pläne, hat er gesagt“
„Das ist mir auch schon in den Sinn gekommen“, murmelte die Königin. „Aber Ira besitzt eine höhere Macht, als alles was ich kenne. Ihre Macht übersteigt deine und meine, ja auch die von Lord Alfan, bei weitem. Es ist auszuschließen, dass Ira sich von solch einfachen Tricks hintergehen lässt!“
Seraphim nickte nur stumm und blickte wieder zu dem Hologramm.
Storm an der Seite von Lord Alfan? Storm als Verräter?
Sie konnte und wollte es nicht wahr haben.
Die Königin schien von Ira überzeugt zu sein, doch Seraphim glaubte eher den Worten des bronzenen Engels, auch wenn dies nur Worte waren und es somit etwas schwer nach zu vollziehen war. Seraphim war der festen Überzeugung, dass Ira manipuliert wurde.
Die Königin konnte doch nicht allen Ernstes denken Storm wäre der Verräter, oder?
Er!
Er, der ihr bereits so viel half!
Er, der gegen Lord Alfan gekämpft hatte, an ihrer Seite.
Er, der fast von Alfan getötet wurde und jemanden an ihn verloren hatte! Einen solchen Hass gegen ihn hatte!
Er, der vermutlich ihr zweiter silberner Engel wurde!
So einer konnte doch unmöglich auf der Seite dieses Wahnsinnigen stehen!
Nein, diese Rolle fiel einem anderen viel besser zu.
Seraphim hasste den Gedanken, aber Talas war in ihren Augen der Verräter.
Sie wollte der Königin schon davon erzählen, aber welchen Beweis hatte sie? Gar keinen, nur eine Vermutung und Storms Bezeugung. Aber aufgrund vom Verdacht der Königin, würde dies nun vermutlich nicht mehr zählen.
Obschon Talas an jenem Tag, die Waffen entfernt hatte und beim Palastbrand verschwunden war, reichte dies nicht aus. Viele Engel waren in der Nacht des Brandes geflüchtet, vielleicht hatten sie ihn ja bloß nicht gesehen. Und nach der ersten Schlacht, waren alle Waffen wieder an ihrem Platz, ohne dass auch nur irgendjemand, außer Storm und Seraphim, ihr Verschwinden aufgefallen war.
Hier stand nun Wort gegen Wort.
Und die Königin hatte als „Beweis“ die Prophezeiung der Kugel.
Seraphim fing an Ira zu hassen, denn bis jetzt hatte die ihr nicht ziemlich viel geholfen. Zwar hatte Ira die Engel von der kommenden Gefahr gewarnt, hatte die Engel zu Seraphim geführt und sie als die Auserwählte offenbart. Aber ansonsten? Nichts was Seraphim weiter helfen konnte.
„Wir werden einfach alles im Auge behalten“, sagte die Königin entschlossen, als sie Seraphims skeptische Miene sah. Das Mädchen nickte.
Alles im Auge behalten.
Sie würde Talas weiterhin ganz genau im Auge behalten.
„Aber bis wir uns sicher sind“, meinte die Königin. „Zu niemandem ein Wort. Niemandem!“
*
Nach diesem Gespräch fühlte Seraphim sich nicht in der Lage Storm direkt unter die Augen zu treten.
Die Worte der Königin hatten doch etwas Schweres an sich. Sollte sie vielleicht jemandem davon erzählen? Nein.
Nein, die Königin hatte befohlen es nicht weiter zu sagen.
Seraphim war innerlich hin und her gerissen, zwischen ihrer Pflicht das Reich der Engel zu beschützen und damit den Verräter und Lord Alfan auszuschalten und ihren Gefühlen für Storm, der laut der Königin jetzt tatsächlich auch auf der ungeschriebenen Liste stand, vielleicht der Verräter zu sein.
„Was soll ich bloß tun?“, fragte Seraphim sich, als sie ziellos durch die Gegend flog um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Die Frage wäre wohl eher: Was konnte sie tun?
Nichts.
Was denn auch? Storm fragen ob er der Verräter war, weil Ira es so gesagt hatte?
Was würde Storm nur von ihr denken?
Sie liebte ihn, sie liebte ihn wirklich sehr, doch dieser Gedanke machte sie einfach wahnsinnig.
Von Anfang an hatte sie gewusst, dass das alles nicht leicht werden würde, dass eine große Last auf ihren Schultern ruhte. Aber dass sie überhaupt keine Anhaltspunkte hatte, das hatte sie nicht erwartet.
Seraphim blickte sich um und schmunzelte.
Das Reich der Engel strahlte wie üblichen in seiner vollen Pracht. Es herrschte eine gemütliche Spät-Sommer-Idylle. Hier wurde es nie sehr kalt, aber auch nie sonderlich warm. Trotzdem waren hier alle Jahreszeiten stark vertreten, sowohl der Sommer und Frühling mit seinen prachtvollen Farben, wie auch der Herbst und der Winter mit Regen und einer dicken Schneeschicht.
Die ersten Bäume trugen bereits welke Blätter. Anders als auf der Erde, war hier der Wechsel der Jahreszeiten ziemlich deutlich zu sehen.
Die Engel konnten den Herbstanfang kaum abwarten.
Seraphim fiel auf, dass sie zu sehr abdriftete und sie konzentrierte sich wieder.
„Vielleicht ist es aber auch gut, manchmal abzuschalten“, murmelte sie und setzte zur Landung an, um sich die Beine zu vertreten.
Obwohl sie nun Flügel hatte und das Fliegen über alles Spaß machte, fehlte ihr das Laufen.
Sie streckte sich ausgiebig und sah sich erst mal um wo sie war.
„Na toll“, meinte sie, als ihr das verrückte Haus mit dem heruntergekommenen Vorgarten ins Auge fiel. „Was suche ich denn hier?“
Es war noch nicht allzu lange her, dass sie den bronzenen Engel besucht hatte.
Der hatte ihr und Storm damals ja nicht sonderlich viel weiter geholfen.
Unfreundlich war er obendrein auch noch gewesen. Aber wenn Seraphim so zurück dachte, war sie auch nicht gerade nett zu ihm gewesen. Ihre Meinung hatte sie ihm ja auch gleich lautstark als Abschied mitgeteilt.
Sie seufzte: „Vielleicht kann er mir ja dieses Mal weiter helfen“
Sie konnte nicht glauben, dass sie tatsächlich mit diesem Gedanken spielte, aber sie konnte im Moment jede Hilfe gebrauchen, die sie nur bekommen konnte. Sie ging zur Tür und klopfte. Keine Antwort.
Von Storm wusste das Mädchen, dass der bronzene Engel niemals aus dem Haus ging, also musste er da sein.
Sie klopfte etwas fester und die Tür schwang ein Stück auf.
„Hallo?“, fragte Seraphim vorsichtig, öffnete die Tür ganz und sah das Chaos was sich ihr bat, welches aber nichts Ungewöhnliches war. „Jemand da?“
Keine Antwort.
War der Kerl aber vielleicht ausnahmsweise mal ausgegangen?
Seraphim wollte gerade gehen, da sie nicht gerne rumspionierte, als sie ein Niesen aus dem hinteren Teil des Hauses vernahm.
„Hallo?“, rief Seraphim nochmal und betrat die enge Stube.
Sie musste aufpassen, denn die Decke war sehr niedrig und jetzt wo sie ihre Flügel hatte, stießen die mit den Trägern gegen die verstaubten fettigen Balken, welche die Zimmerdecke hielten.
Das Mädchen bannte sich ihren Weg fort durch das Getümmel. Passte auf nicht gegen die Balken zu stoßen oder über Bücher und sonstigen Kram zu stolpern.
Sie kam in eine Art Küche. Zumindest sah es so aus, als hätte dieser Raum vor sehr langer Zeit mal als solcher gedient. Nun stapelte sich hier nur noch schmutzige Wäsche, Abwasch, angefangenes Essen und abermals unzählige von Büchern.
Ein paar Fliegen flogen umher und der Geruch von verfaulter Nahrung lag in der Luft, dass sich einem der Magen umdrehte.
Angewidert hielt Seraphim sich eine Hand vor Mund und Nase, doch es half nicht sonderlich viel gegen den Gestank.
„Hat man dir nicht beigebracht, dass man anklopft?“
Seraphim wirbelte herum und erblickte den Herrn des Hauses. Er hatte eine verwaschene Latzhose an, ein Holzhackerhemd darunter, dazu schmutzige Stiefel.
„Die Tür ging von selbst auf “, entschuldigte sich das Mädchen.
Der Mann knurrte etwas Unverständliches vor sich, als er sich eine Gießkanne schnappte und zur Hintertür hinausging.
Seraphim folgte ihm zögernd und bemerkte, dass sie sich in einem Gewächshaus befand, wo die Pflanzen noch exotischer aussahen, als im gesamten Königreich. Das Dach war auf und die Sonnenstrahlen fielen herein.
Seraphim runzelte die Stirn.
Das Gewächshaus war ziemlich groß, warum sah sie es von draußen nicht?
„Ein Verbergungszauber “, meinte der Engel.
„Was?“, Seraphim sah ihn fragend an.
„Ein Verbergungszauber“, wiederholte der Engel nur. „Das Gewächshaus ist nur für Leute sichtbar und betretbar, die durch die Tür da kommen.“ Der Mann deutete zu der Hintertür seines Hauses.
„Verstehe“, murmelte Seraphim, fragte aber nicht, warum der Mann diese Magie an wandte. Vielleicht lag es einfach an seiner Art. Vielleicht wollte er weiterhin geheimnisvoll, makaber und unheimlich bleiben und seine Leidenschaft für Gartenarbeiten nicht preisgeben.
„Nun, du bist sicher nicht hier um mir bei der Gartenarbeit zu helfen, oder brichst du gerne in fremde Häuser ein?“, kam der Engel nun auf das eigentliche Thema.
„Ich bin nicht eingebrochen!“, knurrte Seraphim. „Ich bin nur ganz zufällig hier vorbei gekommen“
„Es gibt keine Zufälle“, meinte der Engel. „Also, was willst du? Meine Zeit ist begrenzt“
„Ja klar, deine Zeit ist begrenzt“, dachte Seraphim und verdrehte die Augen, als sie dann aber fragte: „Es gibt ein paar Probleme und ich habe gedacht, Sie könnten mir da vielleicht weiter helfen“
„Wie kommst du denn darauf?“
„Sie sind doch der bronzene Engel. Der Engel des Wissens!“
„Der war ich mal vor langer Zeit. Heute bin ich nur noch ein bescheidener Mann, welcher nur seine Ruhe haben möchte“, erwiderte der Engel und fischte einige welke Blätter aus dem Blumenbeet einer Strelitzie.
Seraphim verdrehte erneut die Augen, als sie meinte: „Ihr habt beim letzten Mal behauptet dass Ira sich irren könnte!“
„Hab ich das?“
„Ja, haben Sie.“, sagte Seraphim etwas barsch. „Ich wollte wissen, ob Sie da richtig liegen und wie groß die Möglichkeit besteht, dass dies der Fall sein könnte“
Der Mann guckte sie ausdruckslos an, ließ seinen Blick über sie gleiten.
Seraphim erwiderte seinen Blick ernst.
„Du kannst echt nervig sein, weißt du das?“
Seraphim zuckte bloß mit den Schultern, als sie ihre Frage wiederholte: „Kann dies der Fall sein?“
Der Mann stützte die Hände in die Hüfte und lachte: „Sag bloß, es steckt laut der Kugel jemand in der Klemme?“
„Nicht wirklich“, meinte Seraphim nach kurzem Zögern.
„Nicht wirklich?“
„Kann sich Ira wirklich irren? Die Königin ist nicht der Überzeugung“
„Die Kugel hat sich noch nie geirrt“
Seraphim klappte die Kinnlade runter. Ihr Herz machte einen Satz.
„A-aber“, fing sie an. „Ihr habt gesagt…“
„Außer einmal“, fügte der Engel hinzu. „Bei Lord Alfans Verrat!“
„I-ich verstehe nicht recht“, gestand Seraphim.
Der Engel seufzte, dann drückte er ihr eine Gießkanne in die Hand und meinte: „Komm mit, ich denke wir müssen deinen Horizont erweitern, du Spatzenhirn.“
Die Auswirkungen der Schlacht blieben nicht nur in der Welt der Engel. Auch die Menschen bekamen es hautnah zu spüren.
Der Himmel hatte sich verdunkelt. Sturme wüteten, Tsunamis überschwemmten die Küsten, Orkane rissen Bäume und Häuser nieder, Erdbeben machten alles dem Boden gleich, ganze Wälder brannten ab.
Die Natur geriet auch hier völlig aus den Fugen und die Menschen waren ihren ungeheuren Kräften schutzlos ausgeliefert.
Noch niemals zuvor hatte eine Schlacht von Engeln derartige verheerende Konsequenzen für die Menschen mit sich gezogen.
„Jesus, mein Herr, gib Ströme der Gnade aus deinen heiligen Wunden und das Feuer deiner göttlichen Liebe aus deinem heiligsten Herzen mir und den Meinen, die ja die Deinen sind! Bewahre sie in der Liebe und Gnade! Gib Ströme der Gnade aus diesen deinen heiligen Wunden und das Feuer deiner Liebe, oh mein Jesus, dem Heiligen Vater und all deinen Dienern. Gib ihnen das Feuer deiner Liebe, das all die Liebe zum Weltlichen verdrängt, damit sie in deiner Liebe ihre anvertrauten Seelen zu dir führen können!“
Ein ohrenbetäubender Donner ertönte und die Frau in der schwarzen Robe mit dem schwarz-weißen Kopftuch zuckte zusammen.
Der Boden machte einen Ruck und leichter Staub rieselte von der Decke.
Die Frau, welche eine Äbtissin war, kniff die Augen noch fester zusammen, drückte ihre Handflächen noch stärker gegeneinander, dass der Rosenkreuz dazwischen schmerzhaft in die Haut stach.
„Nimm den Fluch der Sünde und ihre Folgen von all denen, die dir Liebe und Barmherzigkeit erweisen! Um der Liebe dieses deines heiligsten Herzens Willen heile ihre Wunden an Leib und Seele! Bewahre uns davor Herr, im Sumpf der Sünde unterzugehen und erweise uns Barmherzigkeit! Besonders erbarme dich aller, die heute aus diesem Leben scheiden müssen!“
Erneut donnerte es und die Schwester zuckte abermals zusammen, betete aber tapfer weiter: „Gib, oh Herz voll Liebe, allen die Gnade der Reue, und lass sie alsbald bei dir im Paradiese sein! Dein Erbarmen ist ohne Grenzen! Gib allen die Gnade der Bekehrung, wie du sie dem Saulus gegeben hast! Gib, dass sie dich erkennen. Mein Jesus, durch deine heiligen Wunden darf ich alles erhoffen. Verzeih ihnen, sie wissen nicht, was sie tun!“
Die Frau machte das Kreuz und beendete das Gebet: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.“
„Äbtissin!“, rief plötzlich eine andere Ordensschwester.
Die Frau, welche das Gebet gesprochen hatte, drehte sich um und guckte die deutlich jüngere Frau an.
„Wir haben alle Obdachlosen aus der Umgebung aufgenommen, doch wir haben nicht genügend Decken“, sagte die Jüngere.
„Auf dem Dachboden müssten noch welche sein“, murmelte die Schwester und stand auf.
Beide stiegen die Treppen hoch.
„Sagt mir Äbtissin, ist dies eine Sündflut? Haben wir gesündigt?“, fragte die Jüngere.
Die Ordensschwester umfasste ihr Kreuz und murmelt: „Ihr solltet beten, Maria-Sophie, dass Gott sich unser gnädig erweist und dieses heilige Haus vor den Katastrophen bewahrt“
Sie betraten den Dachboden, wo unzählige von Kisten, Kerzen und Staturen rumstanden.
„Hier“, meinte die Äbtissin und hob eine Kiste hoch.
Maria-Sophie kam ihr zur Hilfe und nahm die anderen beiden.
Ein erneuter Donnerschlag. Ein Klirren. Die beiden Frauen schrien auf. Ein Fenster war gesplittert und der Regen kam nun herein.