Erster Teil
Das wahre Glück des Menschen ist eine zarte Blume, tausenderlei
Ungeziefer umschwirret sie, ein unreiner Hauch tötet sie. Zum
Gärtner ist ihr der Mensch gesetzt, sein Lohn ist Seligkeit, aber
wie Wenige verstehen ihre Kunst, wie Viele setzen mit eigener Hand
in der Blume innersten Kranz der Blume giftigsten Feind; wie Viele
sehen sorglos zu, wie das Ungeziefer sich ansetzt, haben ihre Lust
daran, wie dasselbe nagt und frißt, die Blume erblaßt! Wohl dem,
welchem zu rechter Zeit das Auge aufgeht, welcher mit rascher Hand
die Blume wahret, den Feind tötet; er wahret seines Herzens
Frieden, er gewinnt seiner Seele Heil, und beide hängen zusammen
wie Leib und Seele, wie Diesseits und Jenseits.
Im Bernbiet liegt mancher schöne Hof, mancher reiche Bauernort, und
auf den Höfen wohnt manch würdiges Ehepaar, in ächter Gottesfurcht
und tüchtiger Kinderzucht weithin berühmt, und ein Reichtum liegt
da aufgespeichert in Spycher und Kammer, in Kasten und in Kisten,
von welchem die luftige neumodische Welt, welche alles zu Geld
macht, weil sie viel Geld braucht, keinen Begriff hat. Bei allem
diesem Vorrat liegt eine Summe Geld im Hause für eigene und fremde
Notfälle, die in manchem Herrenhause jahraus, jahrein nicht zu
finden wäre. Diese Summe hat sehr oft keine bleibende Stätte. Wie
eine Art von Hausgeist, aber keine böse, wandert es im Hause herum,
ist bald hier, bald dort, bald allenthalben: bald im Keller, bald
im Spycher, bald im Stübchen, bald im Schnitztrog und manchmal an
allen vier Orten zu gleicher Zeit und noch an ein halb Dutzend
andern. Wenn ein Stück Land feil wird, das zum Hofe sich schickt,
so wird es gekauft und bar bezahlt. Vater und Großvater sind auch
nie einem Menschen etwas schuldig geblieben, und was sie kauften,
zahlten sie bar und zwar mit eigenem Gelde. Und wenn Verwandschaft
oder in der Freundschaft und in der Gemeinde ein braver Mann in
Geldverlegenheit war oder einen Schick zu machen wußte, so wanderte
dieses Geld hierhin und dorthin, und zwar nicht als eine Anwendung,
sondern als augenblickliche Aushülfe, auf unbestimmte Zeit, und
zwar ohne Schrift und Zins, auf Treu und Glauben hin und auf die
himmlische Rechnung, und zwar eben deswegen so, weil sie noch an
ein jenseits glaubten, wie recht ist.
In die Kirche und auf den Markt geht in ehrbarem Halblein der Mann,
und die Erste des Morgens und die Letzte des Abends schaltet die
Frau im Hause, und keine Speise kömmt auf den Tisch, welche sie
nicht selbst gekocht, und keine Melchter in den Schweinstrog, in
die sie nicht mit blankem Arme gefahren wäre bis auf den
Grund.
Wer solche adeliche Ehrbarkeit sehen möchte, der gehe nach Liebiwyl
(wir meinen nicht das in der Gemeinde Köniz, wissen auch nicht, ob
sie dort gefunden würde). Dort steht ein schöner Bauerhof hell an
der Sonne, weithin glitzern die Fenster, und alle Jahre wird mit
der Feuerspritze das Haus gewaschen. Wie neu sieht es daher aus und
ist doch schon vierzig Jahre alt, und wie gut das Waschen selbst
den Häusern tut, davon ist es ein täglich Exempel.
Eine bequeme Laube, schön ausgeschnitzt, sieht unterm Dach hervor;
rings ums Haus läuft eine Terasse, ums Stallwerk aus kleinen, eng
gefügten Steinen, ums Stubenwerk aus mächtig großen Platten. Schöne
Birn- und andere Bäume stehen ums Haus, üppig grünt es ringsum; ein
Hügel schirmt gegen den Bysluft, aber aus den Fenstern sieht man
die Berge, die so kühn und ehrenfest Trotz bieten dem Wandel der
Zeiten, dem Wandel der Menschen.
Wenn Abend ist, so sieht der Besucher neben der Türe auf einer Bank
einen Mann sitzen, der ein Pfeifchen raucht und dem man es ansieht,
daß er tief in den sechziger Jahren steht. Unter der Türe sieht er
zuweilen eine lange Gestalt mit freundlichem Gesichte und
reinlichem Wesen, welche dem Mann etwas zu sagen oder etwas zu
fragen hat, das ist des Mannes Frau. Hinten im Schopf tränkt ein
hübscher Junge, schlank und keck, die schönen Braunen, während ein
älterer Bruder Stroh in den Stall trägt, und aus dem Garten hebt
sich aus Kraut und Blumen herauf zuweilen ein lustiges
Meitschigsicht und frägt die Mutter, ob es etwa kommen solle und
helfen, oder schimpft über Wären im Kabis, über Katzen im Salat,
über Mehltau an den Rosen und frägt den Vater, was gut sei dagegen.
Diensten und Tauner kommen allgemach vom Feld heim, ein Huhn nach
dem andern geht zSädel, während der Tauber seinem Täubchen noch gar
emsig den Hof macht.
Ein solches Bild hätte man fast alle Abende vor Augen gehabt, wenn
einer vor fünf oder sechs Jahren vor jenem Hause zu Liebiwyl
stillegestanden wäre, und wenn er dann die Nachbaren oder eine alte
Frau, welche etwas unterm Fürtuch gehabt, gefragt hätte, was das
für Leute wären, so hätte er in Kürze ungefähr Folgendes
vernommen.
Das seien bsunderbar gute und grausam reiche Leute. Als sie vor
ungefähr dreißig Jahren Hochzeit gehabt hätten, da seien sie das
schönste Paar gewesen, welches seit langem in einer Kirche
gestanden. Mehr als hundert Wägelein hätten sie zum Hochzeit
begleitet, und noch Viele seien auf den Rossen gekommen, was
dazumal viel mehr der Brauch gewesen als jetzt, ja sogar das
Weibervolk hätte man zuweilen auf Rossen gesehen und bsonderbar an
Hochzeiten. Das Hochzeit habe drei Tage gedauert, und an Essen und
Trinken sei nichts gespart worden, man hätte landauf, landab davon
geredet. Aber dann hätte es auch Hochzeitgeschenke gegeben, daß es
ihnen selbst darob übel gegruset hätte. Zwei Tage lang hätten sie
mit Abnehmen nicht fertig werden können und noch Leute zur Hülfe
anstellen müssen; aber ein berühmterer Bauernort sei auch noch nie
gewesen das Land auf, das Land ab.
Einen solchen Hof, von den schönsten einen und ganz bezahlt und
manchtausend Pfund Gülten dazu, das finde man nicht allenthalben.
Sie hätten es aber nicht für sich alleine, die wüßten noch, daß die
Reichen Verwalter Gottes seien und von dem erhaltenen Pfund
Rechnung stellen mußten. Wenn jemand sie zu Gevatter bitte, so sei
es nie Nein, und die meinten nicht, seit das Holz so teuer sei,
hätten arme Leute keines mehr nötig. Die Diensten hätten ihre Sache
wie nicht bald an einem andern Ort; da meinte man noch nicht, es
müsse alles an einem Tage gearbeitet sein und dazu sei es schade um
ein jegliches Tröpflein gute Milch, welches ihnen vor die Augen
komme.
Kurzum das seien rechte Leute, und einen Frieden hätten sie unter
sich, wie man sonst selten antreffe; da sei das Jahr aus, das Jahr
ein lauter Liebe und Güte, es hätte noch niemand gehört, daß eins
dem Andern ein böses Wort gegeben. Wenn es unter der Sonne Leute
gebe, welche es hätten, wie sie wollten, und nichts zu wünschen, so
seien es die; öppe glücklichere Leute werde man nicht
antreffen.
So urteilten die Leute und hatten dem Anschein nach vollkommen
recht, und doch war auch hier wahr, daß jedermann seine Bürde
schwer finde und daß den meisten Lebensbürden die Eigenschaft
anwohne, daß sie immer schwerer werden, je länger man als Bürde und
ununterbrochen sie trage, daß ihre Last zu einer Unerträglichkeit
sich zu steigern vermöge, in welcher jedes andere Gefühl, jedes
Glück und jede Freude untergeht. Allerdings hatten sie sehr lange,
was man so sagt, recht glücklich mit einander gelebt; doch war es
auch wahr geblieben, daß an allen Orten etwas sei, aber dieses
Etwas blieb nur vorübergehend, ward nicht zur andauernden
Empfindung und kam nie vor die Leute.
Es ist kurios, wie das, was die Menschen im Allgemeinen so oft
gegen einander aufregt, so gerne trennend ebenfalls zwischen
Eheleute kömmt; ich meine das zeitliche Gut. Nur wo ein Instrument
rein gestimmt ist, klingt es bei kundiger Berührung rein wider, wo
aber das Instrument unrein geworden, antwortet es mißtönend auch
der kundigsten Hand, auch bei der leisesten Berührung. Es scheint,
das Verhältnis zweier Eheleute, wo Beide ein Interesse haben,
Beiden das Gut gemeinsam gehört, Beide jeglichen Schaden gemeinsam
fühlen, sollte dem Zwiespalt vorbeugen, aber eben das ist, was ich
meine: Friede und Zwiespalt liegen nicht in den Verhältnissen,
sondern in den Herzen. Man wird mir etwas zugeben, man wird sagen:
ja, wo alles Vermögen vom Manne kommt, wo er alleine alles verdient
und das Weib nichts mitgebracht hat, da geschieht so etwas gerne,
oder wo vom Weib alles kömmt und von dessen Sache der Mann lebt,
ebenfalls; da wird das rechte Maß selten gefunden, und das Eine
meint, es möge alles erleiden, und das Andere, man sollte es bei
jedem Kreuzer zeigen, wem es gehöre und wem man es verdanke. Oder,
wird man sagen, wo ein Mann haushälterisch ist und das Weib
vertunlich, wo der Mann alles zu Ehren ziehen möchte und das Weib
von nichts den Wert kennt und alles an die Kleider hängen möchte,
oder wo der Mann gutmeinend ist, das Weib aber den Geizteufel im
Leibe hat, wo der Mann will, was Recht und Brauch ist, das Weib
aber Kaffeebohnen zählt und niemand was gönnt, da muß es Streit
geben, da kann es nicht anders sein.
Allerdings, so ists. Aber es gibt nicht bloß Streit, sondern noch
Schlimmeres als Streit, andauernden Zwiespalt, und zwar nicht bloß
wegen Lastern, sondern noch weit mehr wegen Eigentümlichkeiten, und
zwar auch da, wo man in der Hauptsache durchaus einig ist.
Unsere Eheleute waren Beide von Haus aus reich, Keines hatte dem
Andern etwas vorzuhalten. Er hatte den Hof geerbt mit wenig
Schulden, sie ungefähr vierzig, oder fünfzigtausend Pfund
eingebracht. Beide waren haushälterisch, gaben wenig Geld für
Unnützes aus, zogen alles bestmöglichst zu Ehren, gingen wenig von
Haus, waren dabei guten Herzens, dienstbar, hülfreich und
wohltätig. Nach altländlicher Sitte hatten sie auch das Geld
gemein, die Frau ging über das Schublädli so gut wie der Mann, und
vom Auf, schreiben der täglichen Ausgaben und Einnahmen war keine
Rede. Zu diesem Schublädli hatten sie nur einen Schlüssel, und wenn
eins denselben von dem Andern forderte, so fragte nie eins das
Andere, für was es Geld nehmen wolle.
Christen, der Mann, hatte eine behagliche Natur; wenn er an der
Arbeit war, so tat es ihm selten einer zuvor an Fleiß und Geschick,
aber Mühe kostete es ihn, an die Arbeit zu gehen.
Er schob nicht ungern von einem Tag zum andern auf, und was sich
ihm heute nicht schicken wollte, schickte sich ihm selten schon
morgen. Es mochte Wetter sein, wie es wollte, so fing er nie eine
der großen Sommerarbeiten im Lauf einer Woche an. Wenn alles um ihn
her zappelte, so sagte er ganz kaltblütig, wenn das Wetter gut
bleibe, so wolle er am nächsten Montag auch anfangen, aber so in
der Mitte der Woche möge er nicht; der Vater hätte es auch nie
getan, und das sei ein Mann gewesen, es wäre gut, es würde noch
viele solche geben. Wenn es aber am nächsten Montag nicht schön
Wetter war, so wartete er ruhig noch eine Woche ab. Er hätte noch
nie gesehen, daß man im schlechten Wetter gutes Heu mache, und wenn
es genug geregnet hätte, so werde es auch wieder gut Wetter werden.
So kam es dann allerdings, daß er gewöhnlich zuletzt fertig ward
mit einer Arbeit und zu vielem keine Zeit fand. Er meinte aber,
wenn man schon seine Leute nicht eis Tags töte, so zürnten sie
einem deswegen nicht, und wenn das Vieh auch nicht sei was
Menschen, so solle man doch auch Verstand gegen dasselbe haben,
wofür hätte man ihn sonst. Es sei Mancher, er gönne keine Ruhe
weder Menschen noch Vieh, aber er sehe nicht, daß die gar weit
kämen; was sie erzappelten, könnten sie dem Doktor geben oder dem
Schinder. Die Tiere, welche er hatte, waren ihm alle lieb, und wenn
er eins fortgeben sollte, so wars, als wollte man einen Plätz von
seinem Herzen damit. Er löste daher aus seinem Stall nicht viel,
und mit den höchsten Preisen machte man ihm nichts feil, wenn es
ihm eben ins Herz gewachsen war.
Daneben, wenn er jemand etwas fahren, mit einem Pferd einen Dienst
leisten sollte, so sagte er niemand ab, war dienstfertig in alle
Wege, nur Geld schenkte er nicht gerne. Es hielt ihn überhaupt
hart, es auszugeben. Man wüßte nicht, wie hart es ginge, bis man es
hätte, sagte er, und wenn man es einmal fort hätte, so hätte es
eine Nase, bis man wieder dazu käme.
Anders war darin Änneli, seine Frau. Die war ein rasches Mädchen
gewesen und hatte sich dreimal umgedreht, während eine Andere
einmal. Kuraschiert ging sie an alles hin, und an den Fingern blieb
ihr nichts kleben. Sie war in ihrer Jugend viel gerühmt worden von
wegen ihrer Gleitigkeit; so ging es ihr bis ins Alter nach, daß sie
gerne voran war in allem. Es gehe in einem zu, sagte sie, und wie
viel Zeit man gewinne das Jahr hindurch, wenn man alles rasch
angriffe, wüßte man nicht, man könnte es mit fast ds Halb weniger
Leuten machen. Z'gyzen begehre sie nicht, Gott solle sie davor
behüten; aber wenn man Kinder hätte, so müsse man immer daran
denken, daß sich einst das Gut verteile, und wenn man es mit dem
ganzen Gut bösdings machen könnte, wie sollten es dann die Kinder
machen mit dem halben oder einem Viertel? Dann kämen ihr auch immer
die vielen armen Leute in den Sinn, denen man helfen sollte, für
die hatte man nie zu viel. Und allerdings war Änneli bsunderbar gut
und konnte niemandem etwas absagen; die Kleider gab sie fast vom
Leibe, äsiges Zeug, was man wollte, ja selbst Geld schlüpfte ihr
durch die Finger, wenn sie gerade im Sack hatte. Zu allen
Tageszeiten sah man arme Leute, besonders Weiber mit Säcklein,
kommen und gehen. Böse Leute redeten ihr nach, einesteils sei sie
gerne eine berühmte Frau und besser als andere Weiber, andernteils
höre sie gerne, was in andern Häusern sich zutrage, und das arme
Weib kriege am meisten, welches am meisten Böses von den
Nachbarsweibern zu berichten wüßte. So redeten die andern Weiber.
Es war aber vielleicht nur Neid, weil sie nicht so gerne und aus
gutem Herzen gaben wie Änneli, daß sie ihr so etwas
andichteten.
So waren also Christen und Änneli in der Hauptsache einig und
gleich gesinnt. Beide wollten ihr Gut verwalten, daß sie es einst
vor Gott verantworten könnten, wollten gut sein und doch an die
Kinder denken, aber jedes hatte dabei seine eigentümliche Weise;
Christen wollte zusammenhalten, was er einmal hatte, Änneli wollte
sich um so rascher rühren und aus allem den rechten Nutzen ziehen,
damit sie dem Dürftigen um so treuer helfen könnte in seiner
Not.
So war die Art eines jeden, aber das Eine störte das Andere in
seiner Art viel weniger, als man hätte glauben sollen. Es schien
allerdings manchmal dem Christen, als ob seine Frau zu gut wäre und
jedem Klapperweib Glauben gebe, und als würde das, was sie auf
diese Weise unnütz ausgebe, ein artig Sümmchen ausmachen. Allein da
er nicht meinte, er müsse alles gleich sagen, was ihm in Sinn kam,
so hatte er Zeit zu vergleichenden Betrachtungen. So dachte er, ein
jeder Mensch hätte etwas an sich, und er wolle doch lieber, Seine
sei zu gut als zu bös, und daneben sei sie doch sparsam, für die
Hoffart brauche sie nichts; mit dem Haushalten möge sie nicht bald
eine, und wenn es Ernst gelte, schaffe sie für Zwei und brauche
nicht eine Jungfrau hinten und vornen. So möge es schon etwas
erleiden, und er könnte leicht eine haben, welche viel mehr
brauchte und dazu nicht verrichtete, was sein Änneli.
Änneli kam es allerdings manchmal bis in die Fingerspitzen, wenn
ein Metzger für eine Kuh bot, daß es ihr schien, sie dürfte das
Geld kaum nehmen, und die Kuh gab wenig Milch, nicht einmal gute
und nur kurze Zeit. Die Kuh war nichts als schön, und Christen
konnte doch nicht von ihr lassen, nahm das Geld nicht, behielt sie
im Stalle, wo sie nichts nutzte, als einer bessern den Platz zu
verschlagen und daß hie und da jemand sagte: Das sei die schönste
Kuh in manchem Dorfe weit herum, man könne weit laufen, ehe man
eine solche antreffe. Und manchmal kam es ihr vor, als sollte sie
aus der Haut fahren, wenn die Sonne so warm am Himmel stand, das
Korn so reif auf dem Felde, der Montag war aber noch nicht da, und
Christen saß behaglich ums Haus herum oder ging erst ans
Bändermachen, welche in andern Häusern längst fertig waren. Und
wenn dann endlich der Montag kam und mit ihm alle die vielen Leute,
welche Christen nötig glaubte, für welche alle Änneli kochen mußte,
und eine Wolke stand in einer Ecke am Himmel, und von wegen der
Wolke stand Christen mit allen seinen Leuten vom Morgenessen bis
zum Mittagessen ums Haus herum, werweisend, ob sie einhauen wollten
oder nicht, und sie kamen am Mittag alle wieder zum Essen, und kein
Halm war noch abgehauen, so wollte es Änneli fast über den Magen
kommen, und es legte sich wie ein Stein über ihr Herz.
Und dann dachte sie, es müsse jeder Mensch seine Fehler haben und
jeder seine Bürde, und wenn Christen nicht so wäre, so hätte sie
auch gar nichts und müßte fürchten, daß etwas viel Ärgeres käme.
Darum wollte sie sich auch nicht beklagen; andere Weiber hätten es
ja viel schlimmer, und während der Mann alles vertäte, sollten sie
nichts brauchen. Und was hätte sie davon, wenn ihr Christen in alle
Spitzen gestochen wäre und in allem der Erste, und er wäre dann
wüst gegen sie und gegen Andere, gönnte niemand etwas und dächte
nur ans Raxen und hätte kein Herz als nur fürs Geld und das
Fürschlagen? Sie wollte doch mit hundert Andern nicht tauschen, und
wenn Christen auch nicht der Erste hinterm Korn sei, so sei er auch
nicht der Erste hinterm Wirtshaustische, und wenn er auch oft der
Letzte im Heuet sei, so sei er doch nie der Letzte, der von einem
Markt heimkomme oder sonst von einer Lustbarkeit, und wenn man so
eins ins Andere rechne, so wüßte sie nur zu rühmen, und Sünde wäre
es, zu klagen, und Keinen wüßte sie, an welchen sie ihren Christen
tauschen möchte.
Wo das Gemüt der Menschen noch auf diese Weise rechnet, da weist es
sich nicht nur zurecht, sondern es ist auf dem Wege zur
Zufriedenheit mit seinem Schicksale, ist rechter Dankbarkeit gegen
Gott fähig, nimmt dem Mißgeschick seinen Stachel, den Fehlern der
Mitmenschen ihre Säure. Nur da, wo der Gesichtskreis sich
verengert, so daß man das Gute nicht mehr sieht, sondern nur das
Böse, wo das Gefühl sich schärft für das Unbeliebige und in
gleichem Maße der Sinn abnimmt für das Dankenswerte, nur da ist das
Unglück fertig und der Abgrund öffnet sich, aus welchem als
grauenvolles Gespenst die Zwietracht steigt. Wie der östreichische
Soldat auf die Haselbank, ist der arme Mensch mit seinen eigenen
Gedanken fast wie mit seinen Haaren gefesselt an das, was ihn
drückt, beschwert, kann nicht mehr loskommen, stöhnt, klöhnt,
zappelt, zanket, webert, wimmert, aber alles umsonst, er ist
angeschmiedet mit Fesseln, gegen welche keine Feile hilft. Menschen
können ihm nicht helfen, und Gott will es nicht, denn wer sich
hinstreckt auf diese Bank, der hat auch von Gott gelassen.
Christen und Änneli waren also allerdings glücklich und auf dem
Wege zu noch größerem Glück, weil sie sich und ihr Geschick wogen
mit der Wage der Dankbarkeit, welche der Mensch Gott schuldig
ist.
Nun geschah es freilich auch, daß dem Einen oder dem Andern ein
empfindlich Wort entfuhr, aber so verblümt, daß es unter
vielredenden Stadtleuten nicht einmal beachtet worden wäre. Daß
Christen zum Beispiel sagte, wenn Änneli es anbot, ein Schnäfeli
Fleisch ihm ins Hinterstübli zu stellen: »He, es ist mer gleich,
wenn du noch hast.« Das fühlte Änneli schon als Trumpf, weil sie
das Bewußtsein hatte, daß sie allerdings aus Erbarmen manches
weggegeben, was Christen auch genommen und vielleicht vermißt
hatte. Wenn aber Christen so drehte und an nichts hin wollte und
seine vielen Leute im Taglohn, aber nicht an der Arbeit hatte, so
gramselte es Änneli wohl in den Gliedern und es entfuhr ihm die
Frage: Wenn sie nichts zu tun wüßten, so wollte es sie an den Kabis
z'bschütten reisen. Christen empfand das übel, weil er wohl wußte,
daß sie viel genug zu tun hätten, wenn er nur daran hin könnte, und
daß seiner Frau so viele Leute, welche nichts täten und doch Lohn
und Essen wollten, katzenangst machen müßten.
Solche Worte kamen freilich selten, aber hier und da entrannen sie
doch. Es wurde darüber nicht geeifert und gezankt, wie es zuweilen
unter hochgebildeten Leuten der Fall ist, daß vor aller Welt um
einen halben Birnenstiel Mann und Frau sich zanken, bis die Frau in
Krämpfe fällt oder gar in Ohnmacht. Das, welches den Trumpf
erhalten, schwieg, wenn es ihn schon tief fühlte und er ihm weh
tat. Doch wie tief er auch ging, lang haftete er nicht, er eiterte
nicht. Hauptsächlich waren es zwei Gründe, welche es verhüteten,
daß solche eingegangene Trümpfe nicht böses Blut machten.
Ännelis Mutter wohnte bei ihnen. Das war eine gar verständige Frau
und hatte den Tochtermann sehr lieb. Sie war früher bei einem
andern Tochtermann gewesen, welcher sie roh und wüst behandelt
hatte. Sie hätte alles dargeben sollen und nichts brauchen, alles
annehmen und zu nichts was sagen. Hier hatte sie es, wie sie es
wollte. Christen zog sie zu Rat, als wenn sie seine eigene Mutter
wäre, hielt sie um ein Geringes, und wenn im Haus etwas Gutes zu
essen oder zu trinken war, so ruhte er nicht, bis die Mutter auch
davon hatte, wenn sie es auch nicht begehrte. Und wenn es ihr
irgendwo fehlte, so ging er ihr selbst zum Doktor und hielt diesem
an, er solle recht anwenden, es möge kosten was es wolle; wenn ihm
das Mutterli abgehen sollte, er wüßte nicht, wie es ferner machen.
So sah die Mutter deutlich, sie sei ihm nicht im Weg und er möge
ihr Leben und alles Gute so lange gönnen als Gott, und das ist
wahrhaftig nicht an allen Orten der Fall. Wenn nun das Mutterli
sah, daß ein Wort eingeschlagen hatte, Änneli bös war, vielleicht
gar weinte und ihr klagte, so was hätte sie nicht verdient und sie
halte es nicht mehr aus und sie wolle lieber sterben als länger so
dabei sein, so goß Mutterli nicht Öl ins Feuer, sondern sagte: »Du
gutes Kind, du weißt gar nicht, was Leiden ist, und weil du großes
Leiden nicht kennst, darum nimmst du ein klein Wörtchen so schwer
auf. Aber Änneli, Änneli, versündige dich nicht; es macht mir immer
Angst, wenn ich junge Weiber wegen so kleinen Dingen so nötlich tun
sehe, der liebe Gott suche sie mit schwerem Unglück heim, damit man
es erfahre, warum er einem das Weinen gegeben und wann er das
Klagen erlaubt. Wenn du gehabt hattest was ich, dann würdest du für
solche Kleinigkeit Gott danken und darin ein Zeichen sehen, daß er
dich recht lieb hat. Denk doch, wie ich es gehabt habe!« Und sie
erzählte Änneli eine Geschichte aus ihrem Leben, von ihrem Manne
oder ihrem Tochtermanne und wie sie sich da habe fassen müssen,
wenn Unglück und Elend nicht noch größer hätten werden sollen.
Freilich tönte das anfangs manchmal nicht gut bei Änneli, und sie
sagte: »Ich bin darum nicht Euch, und was habe ich davon, wenn Ihr
noch böser gehabt habt als ich, darum habe ich noch lange nicht
gut.« So sprach Änneli wohl, aber der Mutter Rede wirkte doch, es
setzte sich ihr Zorn, und ihre Liebe richtete sich wieder auf. Wenn
sie dann ganz wieder zufrieden war, so warf sie ihrer Mutter
scherzweise wohl vor, man sollte eigentlich meinen, Christen wäre
ihr Kind, denn sie hätte diesen lieber als sie, und er möge machen
und sagen, was er wolle, so sei alles recht. Sie glaube einmal,
wenn Christen ihr die Nase abbeißen wollte, sie zündete ihm
dazu.
Aber die Mutter redete auch Änneli z'best. Wenn sie dem Christen
einmal ein Wort ins Herz gejagt hatte und die Mutter sah, daß es
drin saß wie ein Splitter im Fleische, trappete sie Christen nach,
bis sie ihn in einer heimlichen Ecke hatte, und bat ihn, er solle
es nicht übel nehmen; er wisse wohl, Änneli sei ängstlicher Natur,
und sie hätte ihr das nie abgewöhnen können, gäb was sie probiert
hätte. Aber es bös meinen, das tue sie nie, und wenn er nur
zufrieden wäre, sie wisse, sie wäre es sicher auch gerne. Christen
war nicht so, daß wenn jemand sich unterzog, er dann um so wüster
tat, er wurde auch nicht um so aufbegehrischer, je demütiger einer
sich darstellte; die Art hatte er nicht, zu einem Ratsherrn hätte
er nicht getaugt. Er sei nicht böse, sagte er dann der
Schwiegermutter, aber es daure ihn, daß Änneli meine, sie müsse für
ihn sinnen. Alles auf einmal machen könne man nicht, und so
unbesinnt dreinfahren wie ein Muni in einen Krieshaufen, das möge
er nicht. Er hätte nie gesehen, daß viel dabei herauskomme. Aber er
wisse wohl, ein jeder hätte seine Art und daß Änneli es gut meine.
Darum wenn ihm schon zuweilen etwas eingehe, so trage er es ihr
nicht nach, man müsse mit einander Geduld haben, es hätte ein jeder
seine Fehler, und wofür sei man sonst in der Welt?
So mittelte, als guter Hausgeist, die Schwiegermutter die meisten
Streitigkeiten, oder, um es besser zu sagen, ebnete die kleinen
Spalten, welche sie zwischen den Herzen sah. Hier und da war wohl
eine Spalte, welche sie nicht sah oder welche sie nicht ebnen
konnte, ehe die Sonne unterging; die ebnete und schloß dann ein
anderer Geist.
Es war eine alte schöne Haussitte, welche durch Jahrhunderte eine
unendliche Kraft übte und alles, was Streitbares in den Herzen sich
ansetzte, alsobald zerstörte und tilgte, welche wie ein guter Geist
den Frieden erhielt, bei welchem Gottes Segen ist und welcher den
Kindern Häuser baut: wer zuletzt zu Bette kam, Mann oder Weib,
betete dem Andern hörbar das Vaterunser, und schwer mußte der
Schlaf sein, wenn das Erste nicht erwachte und nachbetete mit
Andacht und aus Herzensgrund. Wenn dann die Bitte kam: »Vergib mir
meine Schulden, wie ich vergebe meinen Schuldnern«, und es war
Streit oder vielmehr Spaltung zwischen Mann und Weib, so klang sie
wie eine Stimme Gottes in den Herzen, und die Worte zitterten im
Munde. Und wenn dann die andere noch kam: »Und führe mich nicht in
Versuchung, sondern erlöse mich von allem Bösen«, so versenkte und
tilgte schamrot vor Gott Jegliches, was es dem Andern nachgetragen,
und es schlossen sich die Herzen auf, und jedes nahm seine Schuld
auf sich, und jedes bat dem Andern ab, und jedes bekannte sein
Glück und seine Liebe und wie nur im Frieden ihm wohl sei, aber wie
der böse Geist an ihns komme, er wisse nicht wie, ihm schwarz mache
vor den Augen des Geistes und ihns treibe in die Trübnis des Zornes
und der Unzufriedenheit. Wie dann, wenn das Gebet komme, es ihm
wäre, als komme eine höhere Macht hinter den bösen Geist im Herzen,
setze mit scharfer Geißel ihm zu, daß er, wie er sich auch winde,
dahinfahren müsse, und dann sei ihm, als erwache es aus einer
Betäubung, als gehe eine Tür ihm auf, als sehe es aus wilder Nacht
in einen schönen sonnigen Garten, so daß ihm sei, als müßte es den
ersten Eltern so gewesen sein, als sie aus der Wildnis noch den
letzten Blick ins verlassene Paradies getan. Dann treibe es ihns
mit aller Gewalt diesem Garten zu, in aller Angst, es möchte ihm
gehen wie den ersten Eltern, die immer weiter davon wegkamen, und
Ruhe habe es nicht, bis es wieder drinnen sei, und dieser sonnige
Garten sei der Friede und das trauliche Verhältnis, und wenn es die
ganze Welt gewinnen könnte, an diesen Garten des Friedens tauschte
es sie nicht. So blühte ihnen neu ihr Glück wieder auf, und in
freudiger Demut bekannte jedes seine Fehler, bat ab seine Schuld,
versprach, recht rittermäßig zu kriegen gegen diesen bösen Feind,
der unabtreiblich immer wieder komme. In süßem Frieden schliefen
sie ein, und wenn dann ein junger Tag auf blühte am Himmel, so
erwachten sie mit neugestärkten Herzen Es war ihnen, als hätten sie
sich neu gefunden wie in den ersten Tagen ihrer Ehe; sie sehnten
sich nach einander, in geheimem Verständnis suchten sich ihre
Augen, und Christen trappete unvermerkt dem Änneli nach und Änneli
trat alle Augenblicke unter die Türe, zu sehen, wo doch Christen
sei.
So verstrichen Jahre, und die gute Mutter starb. Es war ein harter
Schlag für die Leute im Hause, ein guter Geist schied mit ihr, sie
mißten sie alle und lang. Christen sagte oft, eine solche
Schwiegermutter gebe es nicht mehr auf der Welt, er glaube es
nicht, und kein Tag verging, daß er nicht sagte: »D'Muetter het
allbets gseit – -«
Der andere gute Hausgeist aber, der starb nicht, sondern blieb bei
ihnen und einigte ihre Herzen immerfort und half ihnen auch tragen,
was das Leben sonst noch Schweres ihnen brachte. Denn es gibt in
jeglichem Leben harte Schläge, wie es in jeglichem Sommer Gewitter
gibt, und je schöner der Sommer ist, um so mächtiger donnern die
einzelnen Gewitter über die Erde.
Gott hatte sie mit Kindern gesegnet, ihre innigste Freude hatten
sie an ihren. Da kam die Hand des Herrn über sie, und hinter
einander nahm er ihnen die schönsten und liebsten, und es war
ihnen, als sollte keines mehr übrig bleiben, als sollten sie
alleine bleiben in der Welt. Es kam ihnen schwer an, sich zu
fassen, und lange, lange ging es, bis sie recht aufrichtig sagen
konnten: »Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der
Name des Herrn sei gelobt!« Sie versuchten es oft, aber sie
schämten sich und schwiegen, denn sie fühlten, daß das Herz ganz
anders redete, und sie wußten wohl, was Gott von solcher Zwietracht
zwischen Mund und Herzen halte. Aber sie trugen mit einander, und
wenn sie des Abends mit einander beteten und eins fing an: »Unser
Vater«, so stockte wohl die Stimme, und das Weinen kam, und das
Andere weinte mit, und lange konnte Keines wieder beten. Und doch
ließen sie nicht nach, bis es eins vermochte, und wenn auch jede
Bitte neues Weinen brachte und hinter jeglicher die verlornen
Kinder standen und das Reich und der Wille und das Brot, kurz
alles, alles an sie mahnte und bei den Schulden die Angst kam, ob
sie nicht etwas an ihnen versäumt, an ihnen sich versündigt hätten.
Konnten sie aber alles begwältigen, konnten sie sich durchringen,
wie Wanderer durch Klippen und Schlünde, bis zu dem Ende, konnten
sie mit einander beten: »Denn dein ist das Reich, dein die Kraft,
dein die Herrlichkeit« – dann kam Ruhe über sie, die Wellen der
Schmerzen sänftigten sich. Sie konnten sich denken die Kinder in
der Herrlichkeit des Vaters, bei der Großmutter, konnten sich
denken die Zeit, wo auch sie durch die Kraft des Vaters auferweckt
bei ihnen sein würden in des Vaters Reich in alle Ewigkeit. Dann
konnten sie mit einander reden von den gestorbenen Kindern und wie
sie so gut und lieb gewesen und was sie alles gesagt und wie es
gewesen wäre, als hätten sie ihren Tod geahnt. Von den toten kamen
sie auf die lebendigen, redeten von ihren Freuden und Hoffnungen
und wie sie den gestorbenen glichen und jeden Tag ihnen ähnlicher
würden und wie es ihnen wäre, als hätten die Kinder sie viel lieber
und mühten sich nach Kräften, die Lücke auszufüllen. Allmählig
wuchsen die lebendigen an die Stelle der toten, wurden gleichsam
die Blumen, welche der Toten Gräber deckten, den Augen der Eltern
verbargen.
Drei Kinder, wie gesagt, waren ihnen übrig geblieben, zwei Buben
und ein Mädchen. Der Jüngste war der Mutter Liebling, das Mädchen
des Vaters Herzkäfer, der Älteste allen lieb. Die Kinder hatten
überhaupt der Eltern Art und wuchsen in der Sitte des Hauses auf in
adelicher Ehrbarkeit. Mit gar vielem Lernen brauchten sie den Kopf
sich nicht zu zerbrechen, aber fest in der Bibel wurden sie; das
sei die Hauptsache, meinen Vater und Mutter, die hätte sie ohne
große Künste im Rechnen und Schreiben hieher gebracht.
Allerdings waren auch Beide in beiden Dingen keine Hexenmeister,
und wenn Christen seinen Namen schreiben sollte, so nahm er einen
Anlauf, als wenn er über einen zwölf Schuh breiten Graben springen
sollte, und wenn Änneli mit dem Ankenträger uneins war in ihren
Rechnungen, so wurde sie plötzlich einig mit ihm, sobald er die
Kreide nahm, und was er aufmachte, war ihr recht, sie wußte wohl
warum.
Etwas anders war es mit dem Arbeiten. Änneli musterte sie dazu und
meinte, sie lernten es nie zu früh und etwas Nützliches machen sei
besser als etwas Ungattliches, und etwas müsse gehen bei Kindern.
Christen aber meinte, so früh trage Arbeiten nichts ab, es erleide
nur den Kindern, und wenn sie später sollten, so möchten sie nicht;
wenn ihnen einmal der Verstand komme, so griffen sie von selbst an.
Einmal er habe es so gehabt, und es werde niemand sagen, daß er
nicht arbeiten könne und möge. Diese Verschiedenheit gab auch hie
und da einen Anlaß, daß sie einander vergeben und vergessen
konnten. Denn wenn Änneli musterte, so entrann Christen wohl
zuweilen ein: »He, ich wollte sie nicht zwängen; wenn sie möchten,
sie täten es schon.« Und wenn Christen mit Wohlgefallen dem
Nichtstun der Kinder zusah, so sagte wohl zuweilen Änneli: Es dünke
ihr, es sollte doch dem Einen oder dem Andern in Sinn kommen, etwas
Wichtigeres zu machen. Aber alles dieses tilgte der gute Hausgeist
wieder aus, tilgte alle Abende die Säure, die sich zuweilen in den
alternden Herzen ansetzen mochte.
Etwas ging auf die Kinder über, denn Kinder sind eine weiße Wand;
so weiß die Hände sind, welche über sie fahren, zuletzt werden doch
die Spuren derselben sichtbar. Christen, der Älteste, der sich
niemand besonders anschloß, war ein stilles Gemüt, ihn ließ man am
meisten gewähren; er sagte wenig, aber empfand viel, lebte mehr in
einem innern Leben als im äußern und schien daher untätig und
gleichgültig. Annelise war ein liebliches Mädchen, aber es konnte
tagelang von einer Arbeit sprechen, ehe es daran ging; war es
einmal daran, dann konnte es die beste Jungfrau beschämen, es
geschah aber selten. Die armen Leute hatten es nicht gerne, sie
hielten es für hochmütig und wüst, wenn es aber darum zu tun war,
einer armen Frau etwas zu bringen oder ihr zu wachen, so war
Annelise immer parat; auch die jungen Bursche hielten es für
hochmütig, weil es nicht anlässig war wie Andere, hielten es für
hoffärtig, weil ihm alles wohl stand und es immer zweg war, als
käme es aus einem Druckli. Resli, der Jüngste, war ein schöner
Bursche, rasch, tätig, gwirbig wie die Mutter; wie sie, wurde auch
er etwas ängstlich in der Arbeit, und während sein Vater einmal
handelte in seinem Stall, hatte er mit Täubchen, Kaninchen, Schafen
siebenmal schon gewechselt. In allen war etwas Schweigsames, Keines
redete viel, aber wenn sie redeten, so wollten sie in jedes Wort
viel legen. Und allerdings war jedes Wort, das eins zum Andern
fallen ließ, gerade wie ein Lichtstrahl, der hundertfältig
splittern kann. Nur der Älteste konnte viel reden, wenn irgend ein
Schlüssel, zum Beispiel ein gutes Glas Wein, ihm den Mund auftat;
dann zeigte er, daß vieles in ihm war, an das man nicht
dachte.
Je mehr Eigentümlichkeiten in einen Haushalt treten, desto bewegter
wird das Leben, wenn auch nicht von außen sichtbar, so doch im
Innern fühlbar. Wie lieb man einander auch hat, etwas stößt doch
auseinander, etwas hat jedes an sich, das am Andern mehr oder
weniger empfindlich sich reibt. Ein jedes hat sein eigentümliches
Gebiet, welches es wahren zu müssen glaubt vor jeglichem Eingriff,
ein jedes macht seine bestimmten Ansprüche, welche sich scheinbar
zufällig und bewußtlos ausbilden und deren Nichtbeachtung, auch
wenn es mit keinem Wort, keinem Blick verraten wird, tief kränkt.
Bei solchen Ansprüchen, je bewußt, loser sie entstanden sind, um so
mehr meint man, ihre Gewährung verstehe sich von selbst.
So hatte jedes dieser Kinder wie sein eigentümliches Wesen, so auch
seine eigenen Ansprüche, sowohl an die Eltern als an die
Geschwister, und ihre Nichtbeachtung trieb einen Splitter in sein
Herz, und je schweigsamer man nach der Haussitte über solche Dinge
war, um so leichter hatten solche Splitter geeitert.
So zum Beispiel war Christen kränklicher Art, zu entzündlichen
Krankheiten geneigt, die zuweilen Folgen hinterließen, welche einer
Auszehrung glichen. Christen forderte nun Rücksichten für diese
Schwäche, in der Arbeit, in der Speise, in der Pflege, in der
Benutzung des Arztes usw. Man tat alles Mögliche, aber da sein
Aussehen die Krankheiten nicht immer verriet, da er meinte, was er
innerlich empfand, sollte man ihm auch äußerlich ansehen, so konnte
es nicht fehlen, daß er sich zuweilen vernachlässigt glaubte,
meinte, man achte sich seiner nicht und wäre froh, wenn er weg
wäre.
Annelisi machte Ansprüche an die Welt, war ein lustig Ding, und wer
weiß, ob nicht im Hintergrund ihrer Seele der Wunsch schlummerte,
nicht schön Annelisi zu bleiben, sondern auch eine Bäuerin, wie die
Mutter eine war, zu werden. Sie war daher gerne in aller Ehrbarkeit
bei dieser, bei jener Lustbarkeit, und natürlich nicht gerne wie
ein Aschenbrödel, sondern so aufgestrübelt und aufgedonnert wie
jede Andere. Nun aber waren die Brüder nicht immer bereit zu ihrem
Begleit, und alleine mochte sie nicht gehen, und der Vater wollte
nicht immer Geld zu allem geben, was Annelisi nötig glaubte, und
die Mutter war gewöhnlich auf des Vaters Seite und sagte, sie sei
auch nicht Hudilump gewesen und hätte nirgends hintenab nehmen
müssen, aber solches hätte sie nie gehabt, ja nicht einmal davon
gehört. Sie hätte ihrer Mutter mit so was kommen sollen, jawolle!
So was tat dann Annelisi weh, und sie meinte manchmal, sie sollte
nur der Brüder wegen da sein und an ihr sei niemand etwas gelegen.
Nur z'arbeiten sei sie gut genug, wenn sie aber auch etwas wolle,
da sei niemand daheim.
Resli, der natürlich wohl wußte, daß er einmal den Hof erben werde,
der hätte gerne mehr gehandelt mit der Arbeit, mehr gehandelt, mehr
benutzt, und es schien ihm oft, als wenn niemand an ihn dächte, ja
als ob alle so viel brauchten und so wenig täten als möglich, nur
damit ihm nichts überbleibe. Er war gar nicht geizig, aber er war
ängstlich, und in dieser stillen Ängstlichkeit, welche er nicht
einmal zeigen durfte, kam er Vielen hochmütig vor, und Andere
hielten ihn für geizig, weil er sehr oft zu Hause war, um zu der
Sache zu sehen, während Andere herumhürscheten unnützerweise und
Geld brauchten.
Weder Vater noch Mutter kannten dieses innere Wesen; man lauscht es
sich selten ab, darum denkt man auch nicht daran, daß es in Andern
sei; aber die Mutter hatte von früher Jugend an die Kinder mit
ihrem versöhnenden Hausgeist bekannt gemacht, hatte sie das Unser
Vater so recht gelehrt, daß sie es nicht gedankenlos beteten, daß
es ihnen auch war erst wie ein tiefer See, in den sie allen Groll
versenkten, und dann wie eine hohe Leiter, auf welcher sie ins Land
des Friedens, in den Himmel stiegen. Besonders bei den Brüdern,
welche bei einander schliefen und meist zusammen beteten, hatte
dieses die Frucht, daß sehr selten die Sonne des Morgens den
Schatten noch sah, der bei ihrem Untergang das Herz des Einen oder
des Andern verdunkelt hatte. Bei Annelisi hielt es etwas härter,
weil keine bestimmte Gelegenheit ihr gegeben war, ihr Herz des
Grolles zu entleeren; wenn das Gebet sie allerdings versöhnlich
gestimmt hatte, so konnte sie ihre Gesinnung nicht ausdrücken,
nicht Frieden schließen, nicht durch ein Bekenntnis sich entlasten.
Gewöhnlich kam dann die Gutmütigkeit der Brüder zu Hülfe, die, wenn
sie einmal etwas abgeschlagen hatten, hintendrein reuig wurden und
eine Zeitlang um so gefälliger waren, oder die Schwäche des Vaters,
der gar gerne seinem lieben Meitschi hintendrein etwas kramete,
welches noch mehr kostete, als was Annelisi gern gehabt, aber nicht
bekommen hatte.
So lebte die Familie berühmt und im Wohlsein, bis ein Schlag,
äußerlich nicht von großer Bedeutung, ihr ganzes Glück zu
zertrümmern drohte.
Christen mußte nicht nur sächlich die Gemeindelasten tragen helfen,
sondern auch persönlich, das heißt er mußte Vogt werden,
öffentliche Verwaltungen übernehmen, sich auch in Behörden wählen
lassen. Dieses ist an sich selbst eine Last, es ist aber auch
bedeutende persönliche Verantwortlichkeit dabei, und seltsamerweise
ist an manchem Orte diese persönliche Verantwortlichkeit
unbezahlter Gemeindsbeamteten sehr groß, während den wohlbezahlten
Regierungsbeamteten gar keine auferlegt ist. Wo das System
herrscht, jeder Korporation dem Individuum gegenüber unrecht zu
geben, aus dem übel verstandenen Grundsatz persönlicher Freiheit,
und jeden Halunken zu begünstigen gegenüber dem rechtlichen Manne,
aus übel verstandener Humanität, da wird diese Verantwortlichkeit
zu einer förmlichen Gefahr zu einem Schwerte, das an einem
Pferdehaar über des Gemeindebeamteten Haupte hängt.