Dagmar Kumbier

Aufstellungsarbeit mit dem Inneren Team

Methoden- und Praxisbuch für Gruppen

Zu diesem Buch

Aufstellungen geben Anstöße, die nicht selten tief sitzende Blockaden beim Patienten lösen können. Nach einer gelungenen Aufstellungsarbeit hat der Patient ein konkretes Bild vor Augen und eine Landkarte für die nächsten Schritte vor sich. Dagmar Kumbier zeigt in diesem Buch, wir fruchtbar die Aufstellung des »Inneren Teams« für den therapeutischen Prozess genutzt werden kann. In mehrfacher Hinsicht betritt sie dabei Neuland und bereichert die traditionell systemische Methode durch die psychodynamische Fragestellung: Welche unbewusste innere Dynamik ist am Werk? Die Aufstellung des Inneren Teams führt Patientinnen und Patienten an verdrängte Teile ihrer Biografie heran und legt so die Basis für Veränderung und Wachstum. Mit vielen Beispielen aus der Praxis.

Die Reihe »Leben Lernen« stellt auf wissenschaftlicher Grundlage Ansätze und Erfahrungen moderner Psychotherapien und Beratungsformen vor; sie wendet sich an die Fachleute aus den helfenden Berufen, an psychologisch Interessierte und an alle nach Lösung ihrer Probleme Suchenden.

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Impressum

Leben Lernen 282

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Klett-Cotta

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© 2016 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Umschlag: Roland Sazinger, Stuttgart

unter Verwendung einer Zeichnung von © Dagmar Kumbier

Zeichnungen: Dagmar Kumbier

© der Abbildungen bei der Autorin

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Printausgabe: ISBN 978-3-608-89176-8

E-Book: ISBN 978-3-608-10962-7

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20329-5

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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Vorwort

Dieses neue, zweite Buch zur Psychotherapie mit dem Inneren Team von Dagmar Kumbier lässt mich staunen. Nie hätte ich gedacht, was daraus einmal werden würde, als ich in den neunziger Jahren damit begann, das Innere Team eines Menschen in und mithilfe einer Gruppe auf die Bühne zu bringen! Der Grundgedanke damals: Die Seele ist das Forum, auf dem diverse Mitspieler aufeinander treffen, miteinander ringen, rivalisieren und koalieren, sich gegenseitig in Schach halten, voneinander befremdet sind oder voneinander nichts wissen wollen, dann aber auch sich miteinander befreunden und ein Inneres Team bilden können. Ein Inneres Team im Geiste einer »Harmonie höherer Ordnung«, bei welcher beileibe nicht alle ein Herz und eine Seele sind, aber dennoch oder gerade deshalb, weil sie die Unterschiede willkommen heißen, zu einem synenergetischen Miteinander fähig werden und dem Leben mit vereinten Kräften begegnen können. Analog zu dem sozialen Gesetz, dass Menschen, die miteinander zu schaffen haben, einander zu schaffen machen, gilt das auch für die inneren Anteile eines Menschen. Und wenn er diesen seinen zerstrittenen Haufen zur Chefsache machen will, machen muss, dann ist er sehr gefordert und kann, punktuell und vorübergehend, manchmal auch generell und dauerhaft, daran verzweifeln. Wozu gibt es Coaching und Therapie? Sie sind dazu da, den Chef, die Chefin, bei der (Wieder-)Erlangung der inneren Führung zu unterstützen. Und wäre es nicht eine gute methodische Idee, das Psychodrama im Inneren auf einer Bühne mithilfe von empathischen Rollenspielern aufzuführen und damit sichtbar, hörbar, erlebbar, berührbar zu machen? Und dann vielleicht auch veränderbar?

Dagmar Kumbier hat diesen Grundgedanken aufgegriffen und aus der ursprünglichen, durchaus unbekümmerten, »erlebnisaktivierenden Methode in Gruppen« eine fundierte psychotherapeutische Vorgehensweise entwickelt und erprobt, die es nun in sich hat. Die Fundierung ist dreifach. Sie beruht, erstens, auf der Lehre vom Inneren Team, wie eben angedeutet. Folgerichtig sind es (fast) ausschließlich innere Anteile, die aufgestellt werden, folglich werden diese zunächst nach den Regeln der Kunst erhoben und visualisiert (das Innere Team ist ja ein »bildgebendes Verfahren«, und Dagmars Bilder sind einfach wunderbar). Folglich auch wird die Existenz eines Oberhauptes, eines integralen Ichs, unterstellt und spielführend in die Arbeit einbezogen. – Die zweite Fundierung bildet die Erfahrung mit verschiedenen Spielarten der Systemaufstellung, wie sie ursprünglich in der Familientherapie entwickelt wurden. Dagmar Kumbier sondiert diese Spielarten in kritischer Würdigung und folgt vor allem der zentralen Idee, dass es, faszinierend und zunächst geradezu mysteriös, geschehen kann, dass die entstehende emotionale Dynamik auf dem Aufstellungsfeld eine verborgene innere seelische Dynamik widerspiegelt und zutage fördert, und zwar oft an unerwarteten Stellen. Jedoch unterscheidet sich die hier dargelegte Aufstellungsarbeit auch in mancherlei Hinsicht dezidiert von den Ansätzen der Systemaufstellungen. So sind die Mitspieler auf der Bühne hier aufgefordert, ihre Rolle gemäß den Vorgaben des Protagonisten zu verstehen (und sich nicht, jedenfalls nicht sogleich, einer eigenen Dynamik zu überlassen). Und noch etwas ist anders – und das hat mit der dritten Fundierung zu tun: Kumbiers Aufstellungsarbeit ist geprägt von ihrer Identität als psychodynamische Psychotherapeutin. Sie suche daher nicht (wie die systemischen Kollegen) in erster Linie nach Lösungen, sondern sie wolle den unbewussten Knoten verstehen und lösen, der den Klienten in seinen Schwierigkeiten festhalte. In dieser Bekundung offenbart sich ein anderes Lösungsverständnis: eine »Lösung« ist, wenn sich innerlich etwas löst! Und damit sich der Knoten lösen kann, will das, was innerlich klemmt, verstanden und in seiner sinnhaften Bedeutung gewürdigt sein. Und wie die authentischen Praxisbeispiele in diesem Buch zeigen, lohnt es sich, dieses Verständnis zu erarbeiten, auf der kognitiven, der emotionalen und der aktionalen Ebene.

Ebenso prägnant wie berührend erweist es sich, dass die Mitglieder auf der inneren und jetzt äußeren Bühne alle etwas auf dem Herzen haben. Eine ungelebte Sehnsucht vielleicht, nicht selten auch eine schwere seelische Altlast. Und wir ahnen angesichts dieser eindrucksvollen Beispiele, in wie starkem Maße das menschliche Individuum ein Beziehungswesen ist, wie sich das frühe Beziehungsschicksal in den innerseelischen Beziehungen niederschlagen und wiederfinden kann.

Ja, in diesem Buch lernen wir nicht nur eine neue psychotherapeutische Methode kennen. Dies allein wäre es wert gewesen, denn durch das dreifache Fundament ist etwas faszinierend Neues entstanden, wie so oft, wenn aus sehr unterschiedlichen und voneinander getrennten Denkschulen eine Zusammenführung gelingt. – Nein, in Dagmar Kumbiers Buch lernen wir nicht nur eine neue Methode kennen, sondern, nahezu beiläufig und doch eindringlich, auch etwas über die Seele des Menschen. Und wie wir über den gestirnten Himmel über uns inzwischen einiges wissen und vieles noch nicht, so wissen wir über die menschliche Seele in uns auch vieles noch nicht. Aber, und diese Überzeugung wächst bei der Lektüre dieses Buches, wir kommen voran!

Hamburg, 1. November 2015

Friedemann Schulz von Thun

Einleitung

Bei einer Aufstellung wird das Anliegen eines Menschen mithilfe einer Gruppe räumlich inszeniert. Der Aufstellende bittet Teilnehmer der Gruppe, als Stellvertreter bestimmte Rollen zu übernehmen und auf der Bühne für Familienmitglieder, für Mitglieder des Teams, mit dem er zusammenarbeitet, für innere Anteile oder für verschiedene Aspekte dieses Themas zu stehen. Die Wahrnehmungen, Rückmeldungen und Interaktionen dieser Stellvertreter werden zum Spiegel der Dynamik, die dem Anliegen des Klienten zugrunde liegt, und die Aufstellungsbühne wird zum Labor, in dem diese Dynamik erkundet und bearbeitet werden kann.

Die Wurzeln dieser Arbeitsweise liegen im Psychodrama und in der humanistischen Familientherapie. Jacob L. Moreno ließ Klienten ihre Themen mithilfe von Rollenspielern auf der psychodramatischen Bühne inszenieren und bot ihnen die Möglichkeit, in diesem sicheren Rahmen neue Verhaltensweisen zu erproben. Virginia Satir stellte »Familienskulpturen« auf, in denen Familiendynamik nonverbal dargestellt und erfahrbar wurde. Bekannt wurde die Aufstellungsarbeit während der Achtziger- und Neunzigerjahre durch die Familienaufstellungen Bert Hellingers (Hellinger 1994). Hellinger gewann eine große Anhängerschaft, zunächst auch in Teilen der systemischen Familientherapie (Weber 1997). Zugleich wurde er für seinen autoritären Umgang mit Klienten, seinen selbstgewissen Umgang mit Deutungen und sein patriarchalisches Weltbild scharf kritisiert. Da Aufstellungsarbeit lange Jahre geradezu synonym mit dem Namen Hellinger verbunden wurde, geriet mit ihm zugleich auch diese in Verruf.

Inzwischen hat sich die Aufstellungsarbeit von dieser Verengung auf Hellinger wieder gelöst. Die systemische Familientherapie grenzt sich inzwischen von ihm ab und setzt sich zugleich kritisch und engagiert mit ihm auseinander (Weber, Schmidt, Simon 2013). Zugleich ist eine große Vielfalt an Aufstellungsformen aufgeblüht. In Wiesloch ist eine eigene Tradition systemisch-integrativer Aufstellungsarbeit entstanden (Drexler 2015), Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer haben mit der Systemischen Strukturaufstellung eine einflussreiche Form der systemischen Aufstellungsarbeit entwickelt, die sich in Haltung und Arbeitsweise grundlegend von Hellingers Ansatz unterscheidet (Daimler 2008, Varga von Kibéd & Sparrer 2014). Und auch Hellingers eigener Ansatz findet nicht nur orthodoxe Schüler, sondern ebenso Nachfolger, welche seine Arbeitsweise mit einem humanistischen und partnerschaftlichen Beziehungsangebot verbinden.

Zugleich wird das therapeutische Potenzial von Aufstellungsarbeit zunehmend ernst genommen und erforscht. Das groß angelegte DFG-Forschungsprojekt von Weinholdt und Kollegen weist bei erfahrenen und seriösen Therapeuten eine therapeutische Wirksamkeit von Aufstellungen nach (Weinhold et al. 2013 und 2014). Aufstellungen ersetzen keine längerfristige Therapie, und sie wirken wie jede therapeutische Intervention nicht bei allen Menschen gleichermaßen. Aber gemessen daran, wie kurz diese Art der Intervention ist, ist die therapeutische Wirksamkeit bemerkenswert ausgeprägt und bemerkenswert stabil. Die Zeiten, in denen Aufstellungen den einen als Weg zum Heil und den anderen als Scharlatanerie erschienen, scheinen sich also dem Ende zuzuneigen, die Diskussion über Aufstellungsarbeit hat sich versachlicht.

Ich selber habe die Aufstellungsarbeit Ende der 90er-Jahre zu Beginn meines therapeutischen Ausbildungsweges kennengelernt, und zwar in der Hellinger’schen Variante des Familienstellens. Ich war gleichermaßen fasziniert und empört. Einerseits hat mich die Potenz des ›Feldes‹ tief beeindruckt. Die Stellvertreter auf der Bühne wussten Dinge über die aufgestellten Familien, die nie benannt worden waren, und die Intensität, mit der sich die Dynamik des Systems in den Wahrnehmungen der Stellvertreter spiegelte, hat mich als Stellvertreterin wie als Aufstellende fasziniert. Auf der Aufstellungsbühne habe ich verstanden, in welchem Ausmaß und welcher Tiefe wir Menschen unserer Familie verbunden sind, wie stark die Bande von Loyalität und Bindung in Familiensystemen sind und wie zerstörerisch diese sein können, wie prägend unsere Position in der Familie ist und was es Menschen kostet, mit Familienmitgliedern zu brechen.

Zugleich war mir vieles zutiefst fremd. Die Arbeit auf der Bühne spiegelte nicht die Art, wie ich Wachstumsprozesse bei mir und bei anderen kennengelernt hatte. Umwege, Wut und die Erfahrung, dass Annäherungen trotz aller Bemühungen scheitern können, schien es nicht zu geben – ebenso wenig wie die Erfahrung, dass Versöhnung oft ein schmerzhafter und schwer errungener Prozess ist, der Zeit braucht. Neben der Anerkennung dessen, was Kinder ihren Eltern unabweisbar verdanken (nämlich ihre Existenz und ihr Überleben), fehlte mir die Anerkennung dessen, was Eltern ihren Kindern aber auch antun können – durch Vernachlässigung und Gewalt, Manipulation, Grenzüberschreitungen und Missbrauch, Verächtlichkeit und Sadismus. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Therapeuten zu wissen glaubten, was für ihre Klienten richtig ist, entsprach weder dem, was ich als Klientin selber suchte, noch den Werten und Überzeugungen, an die ich als Therapeutin glaubte. Und so wandte ich mich von der Aufstellungsarbeit ab und legte das Handwerkszeug als für mich ungeeignet zur Seite.

Fast zeitgleich lernte ich bei Friedemann Schulz von Thun die Arbeit mit dem Inneren Team (Schulz von Thun 1998) und dabei auch eine Arbeitsweise kennen, in der das Innere Team mithilfe einer Gruppe auf die Bühne gebracht wird (Schulz von Thun 1996, S. 123 ff.). Schulz von Thun nennt diese Arbeitsweise »Protagonist im Spiegel«: Der Protagonist sieht seine eigene innere Dynamik im Spiegel der Gruppe. Diese Arbeitsweise unterschied sich so sehr von der Aufstellungsarbeit, wie ich sie kennengelernt hatte, dass ich beides zunächst nicht in Verbindung brachte. Es wurden keine Familienmitglieder aufgestellt, sondern innere Anteile. Die Stellvertreter wurden nicht nur wortlos hingestellt, sondern eingedoppelt: Der Klient gab ihnen seine eigenen Worte, Gefühle und Bilder mit. Überhaupt behielt der Klient die Regie über das Geschehen. Er gab das Ziel vor, und häufig war dieses Ziel sehr konkret: zum Beispiel eine Entscheidung oder die Frage, wie er einer bestimmten Situation begegnen solle. Und er hörte zwar die Rückmeldungen der Stellvertreter und die Überlegungen des Leiters, aber er selber entschied, was für ihn passte und was auch nicht. Rolle des Leiters und der Stellvertreter war es, dem Klienten dabei zu helfen, seine innere Wahrheit zu erkunden und eine ihm gemäße Aufstellung seines Inneren Teams zu finden.

Ich begann diese Arbeitsweise zu lieben, arbeitete in meinen Seminaren und Workshops immer häufiger damit und war beeindruckt davon, was sich in 90 Minuten auf der Bühne bewegen ließ. Erst durch Rückmeldungen von Teilnehmern wurde mir bewusst, dass ich die Schulz von Thun’sche Arbeitsweise dabei grundlegend verändert und nicht nur meine frühen Erfahrungen mit Aufstellungsarbeit, sondern auch meine Erfahrungen als psychodynamische Psychotherapeutin integriert hatte. Ich hatte begonnen, mit den Mitteln der Aufstellungsbühne die unbewusste innere Dynamik hinter der expliziten Fragestellung zu suchen. Ich begab mich mit meinen Klienten auf die Suche nach den unbewussten Lebensthemen, die sie in ihre Schwierigkeiten geführt hatten und sie darin festhielten, und nutzte dabei das ›Feld‹, das in der Aufstellungsarbeit auf der Bühne entsteht.

Seither habe ich meine Methode der Aufstellungsarbeit ausgearbeitet und weiterentwickelt. Ich habe meine Arbeitsweise unabhängig von neueren systemischen Ansätzen entwickelt und kenne diese daher nicht sehr gut – aber meine Herangehensweise scheint sich trotz vieler Ähnlichkeiten deutlich vom Spektrum der systemischen Aufstellungsarbeit zu unterscheiden. Das musste ich schmerzhaft lernen, als ich auf einer systemischen Tagung eingeladen war, um meine Arbeitsweise vorzustellen. Ich wurde sehr freundlich und interessiert empfangen – und musste feststellen, dass meine Arbeitsweise nicht funktionierte. Das Aufstellungsfeld schien mir geradezu davonzugaloppieren, und ich verstand nicht mehr, was auf der Bühne passierte. Verwirrt und frustriert fuhr ich nach Hause – und merkte später, dass dieses Phänomen immer dann auftrat, wenn viele der Stellvertreter auf der Bühne sehr vertraut mit Ansätzen systemischer Aufstellungsarbeit waren. Seit ich die Gruppe vorher ›eiche‹, indem ich mein Bild von Aufstellungsarbeit vorstelle und den Teilnehmern erkläre, wie ich arbeite und welche Rolle ich den Stellvertretern zudenke, tritt diese Schwierigkeit nicht mehr auf. Dabei geht es nicht um die Frage, welche Art der Aufstellung ›besser‹ ist, sondern schlicht darum, dass Therapeutin, Klientin und Stellvertreter an einem Strang ziehen und dem gleichen Bild von Aufstellungsarbeit folgen.

Mein Bild von Aufstellungsarbeit ist geprägt von meiner Identität als psychodynamische Psychotherapeutin. Das bedeutet: Ich suche nicht (wie viele systemische Kollegen) in erster Linie nach Lösungen, sondern ich will den unbewussten Knoten verstehen und lösen, der den Klienten in seinen Schwierigkeiten festhält. Welche unbewusste innere Dynamik verhindert, dass er dieses Problem wie viele andere in seinem Leben lösen kann? Wieso kann er nicht tun, was er möchte oder als richtig erkennt? Ich stelle die innere Dynamik auf, und ich gehe davon aus, dass diese Dynamik, so leidvoll sie auch sein mag, einen Sinn hat. Sie spiegelt einen Teil der Geschichte des Klienten und hat eine Bedeutung vor dem Hintergrund dieser Geschichte. Sie stellt die bestmögliche Lösung dar, welche der Klient zu einem früheren Zeitpunkt seines Lebens gefunden hat. Als Psychodynamikerin gehe ich davon aus, dass Veränderung und Wachstum damit beginnen, diese unbewusste Bedeutung erlebbar und damit verstehbar zu machen. Mein Ziel ist daher nicht, ein leidvolles Bild unmittelbar aufzulösen – zunächst einmal will ich dieses Bild mithilfe der Aufstellung ergründen und verstehen. Ich verharre also in dem Bild und erkunde gemeinsam mit dem Klienten und den Stellvertretern seine Bedeutung.

Soweit mir bekannt ist, betrete ich mit dieser Verbindung von psychodynamischer Denkweise und Aufstellungsarbeit Neuland. In der psychodynamischen Psychotherapie wird die Aufstellungsarbeit bislang (in der wunderbaren Formulierung Karl Valentins) »nicht einmal ignoriert«, sie scheint außerhalb dessen zu liegen, was therapeutisch wahrgenommen und ernst genommen wird. Ich möchte zeigen, dass sich beides gut und mit Gewinn integrieren lässt, und dabei an das Konzept der Arbeit mit mehrfachen Bühnen anknüpfen, das ich aufbauend auf Luise Reddemann entwickelt habe (Kumbier 2013, S. 89 ff.).

Aufstellungen geben Anstöße. Manchmal können sie die entscheidende Blockade lösen. Manchmal setzen sie einen lang anhaltenden Prozess in Gang, der seine Wirkung ganz allmählich und leise entfaltet. Manchmal müssen die Anstöße noch Schritt für Schritt in den Alltag übertragen und »durchgearbeitet« (Freud 1914) werden, um zu einer nachhaltigen Veränderung zu kommen. Aber nach einer gelungenen Aufstellung hat der Klient ein Bild vor Augen und einen Veränderungsschritt emotional erlebt und verstanden. Ich möchte in diesem Buch darstellen, was das bedeutet. Naturgemäß kann ein Buch keine unmittelbare Erfahrung auf der Bühne vermitteln – aber es kann Geschichten erzählen. Ich danke den Protagonisten der Beispiele, die das Herzstück dieses Buches darstellen, für die Erlaubnis, ihre Geschichten erzählen zu dürfen! Alle Klienten haben ihre Falldarstellung gelesen und genehmigt, und ich habe alle nach ihren Nachklängen gefragt. Wie immer habe ich jeweils die prägnante Kerndynamik erhalten und alle biografischen Details, die Rückschlüsse auf die Person zulassen würden, weggelassen oder verfremdet. Ähnlichkeiten mit realen Personen wären daher reiner Zufall.

Als ich 2011 begann, ein Buch über psychotherapeutische Arbeit mit dem Inneren Team zu schreiben, war die Ursprungsidee ein Buch über Aufstellungsarbeit. Immer wieder hatten Teilnehmer nachgefragt, wo man Dinge nachlesen könne, und tatsächlich schien es mir lohnenswert, etwas darüber aufzuschreiben. Im Schreiben wurde mir deutlich, dass ich dafür im ersten Schritt darstellen musste, wie ich das Innere Team inzwischen verstehe. Denn die psychotherapeutische Arbeit und die Aufstellungsarbeit mit dem Inneren Team hatte mein Verständnis der inneren Dynamik ebenso wie meine praktische Arbeit grundlegend verändert.

Ich hatte auf der Aufstellungsbühne verstanden, wie wichtig die Unterscheidung zwischen erwachsenen, kindlichen und scheinerwachsenen Teammitgliedern ist, und von meinen Klienten gelernt, wie traumatische Erfahrungen und tief greifende Verstörungen die Dynamik im Inneren Team prägen. Ich hatte Ansätze von Richard Schwartz und Luise Reddemann eingearbeitet, und die Arbeit mit Imagination war zu einem zentralen Element meines Handwerkskoffers geworden. Und es schien naheliegend, nicht nur über Aufstellungsarbeit zu schreiben, sondern auch über den Einsatz des Inneren Teams in der Einzeltherapie. Als ich mit den Kapiteln über die Grundlagen des Inneren Teams und den Einsatz in der Einzeltherapie fertig war, war ein umfangreiches und in sich rundes Buch entstanden, und meine Lektorin Dr. Christine Treml und ich befanden, dass der Teil über Aufstellungsarbeit ein eigenes Buch wert sei.

Dieses halten Sie nunmehr in der Hand. Wenn ich mein Grundlagenbuch zur Psychotherapeutischen Arbeit mit dem Inneren Team häufig zitieren werde, dann ist dies nicht in erster Linie der Eigenwerbung geschuldet (auch wenn ich diesen Effekt gerne in Kauf nehme). Im ersten Buch sind viele Grundgedanken dargestellt, die meine Arbeit prägen. (So ist beispielsweise meine Art der Aufstellung sehr von meinem Verständnis der Rolle des Oberhaupts im Inneren Team geprägt.) Ich werde mich in diesem Buch auf die Methodik und Praxis der Aufstellungsarbeit konzentrieren und die Grundlagen so weit darstellen, wie es zum Verständnis dieser Arbeit nötig ist. Für interessierte Leser werde ich auf das Grundlagenbuch verweisen, um die Möglichkeit zu geben, gezielt zu vertiefen.

Das Buch wendet sich erstens an Aufstellungsinteressierte und möchte eine neue Facette von Aufstellungsarbeit darstellen. Zweitens wendet es sich an Psychotherapeuten und Berater, die mit dem Inneren Team arbeiten. Denn das Verständnis der Prozesse auf der Aufstellungsbühne kann die Arbeit mit dem Inneren Team vertiefen, auch wenn Sie mangels Interesse, Gruppe oder passendem Setting nicht mit Aufstellungen arbeiten werden. Und drittens wendet es sich an Leserinnen und Leser, welche die Dynamik im Inneren Team und die Dynamik von Leid und Veränderungsprozessen besser verstehen wollen.

Ich werde als Erstes meine Arbeitsweise vom Feld der systemischen Aufstellungsarbeit abgrenzen und Unterschiede und Zusammenhänge skizzieren. In Kapitel 2 folgt eine kurze Einführung in das Innere Team und dessen Erhebung. Hier werden für Leserinnen und Leser, welche das Innere Team nicht kennen, die Grundlagen dargestellt und für kundige Leser skizziert, wie das Innere Team mit Blick auf die Bühne erhoben wird. Kapitel 3 beschreibt den Aufbau der Bühne, und Kapitel 4 widmet sich dem Geschehen auf der Bühne: Wie läuft die Aufstellung ab, woran können sich Therapeut und Klient orientieren und welche Interventionsmöglichkeiten haben sich bewährt? In Kapitel 5 geht es um die Wirkweise von Aufstellungen und um ihre Mehrdeutigkeit, in denen sie Träumen verwandt sind. Kapitel 6 beschreibt, wie die Bühne wieder abgebaut wird, wie Klient und Stellvertreter aus der Aufstellung herausgeführt werden und wie das gemeinsam Erlebte mit der Gruppe ausgewertet werden kann, und Kapitel 7 wirft einen Blick auf die Frage, ob und wie man Aufstellungsarbeit in der Einzeltherapie einsetzen kann. Am Ende des Buches folgt eine Übersicht über die Beispiele, auf die ich im Text immer wieder verweisen werde. Da meine innere Sprachästhetin einen ausgesprochenen Widerwillen gegen das geschlechtsneutrale Binnen-»I« hat, wechsle ich fallbezogen und unsystematisch zwischen männlichen und weiblichen Formen.

Kapitel 1

›Systemische Aufstellung‹ und ›psychodynamische Aufstellung des Inneren Teams‹

1.1 Was ist eine Aufstellung?

Was ist eine Aufstellung? Ist jede Methode, bei der ein Thema mithilfe einer Gruppe räumlich inszeniert wird, eine Aufstellung? Wenn nein: Was ist das Spezifische?

In dem lesenswerten Buch von Gunthard Weber, Gunther Schmidt und Fritz Simon zu Aufstellungsarbeit »nach Hellinger« schlägt Fritz Simon vor, das Phänomen der »repräsentierenden Wahrnehmung« zum Kriterium für Aufstellungsarbeit zu machen: »Wenn man dieses Phänomen nutzt, wie immer man auch damit umgehen mag, dann würde ich sagen, sind das Aufstellungen« (Weber, Schmidt & Simon 2013, S. 197). Der Begriff der »repräsentierenden Wahrnehmung« stammt von Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer und beschreibt das faszinierende Phänomen, dass die Stellvertreter in einer Aufstellung Dinge über das aufgestellte System wissen, die ihnen nicht erzählt worden sind und die zuweilen nicht einmal der Aufstellende selber weiß. So können sich Krankheiten aufgestellter Familienmitglieder (Rheuma, Amputationen, Narkolepsie, Schwindel) in körperlichen Symptomen der Stellvertreter spiegeln, oder diese haben Bilder, die zur Biografie der aufgestellten Personen passen und auf Details verweisen, die sie nicht wissen können. Peter Schlötter (2005) hat in seiner Dissertation nachgewiesen, dass unterschiedliche Menschen am gleichen Platz einer Aufstellung ähnliche Gefühle und Fantasien äußern, und damit gezeigt, dass diese Wahrnehmungen tatsächlich zum Aufstellungsfeld gehören.

Auch wenn es inzwischen einen wissenschaftlichen Erklärungsversuch mithilfe der Theorie der Spiegelneurone gibt (siehe S. 50 ff.), hat die Intensität, mit der sich die Tiefenschichten des aufgestellten Systems in den Wahrnehmungen der Stellvertreter spiegeln, etwas »wirklich Magisches« (Weber, Schmidt & Simon 2013, S. 43). Tatsächlich macht es einen grundlegenden Unterschied, ob diese Form der Wahrnehmung in einer räumlichen Inszenierung erfragt und genutzt wird oder nicht, ob sich der Prozess auf die Wahrnehmungen des Aufstellungsfeldes verlässt oder ob er sich anders organisiert. Eines der Verdienste Bert Hellingers dürfte darin liegen, dass er der Erste war, der diese Kraft des Aufstellungsfeldes systematisch genutzt hat.

Simon unterscheidet dabei zwei unterschiedliche Herangehensweisen an Aufstellungsarbeit (Weber, Schmidt & Simon 2013, S. 48, 65 ff.). Im einen Fall verstehe sich der Aufstellungsleiter als »Heiler«, in diesem Kontext ähnle Aufstellungsarbeit traditionellen Heilungsritualen. Das Setting sei hier hierarchisch, der Leiter nehme die Rolle des Wissenden ein, der das System neu organisiere. Die Gruppe werde zum Zeugen der Inszenierung eines Übergangsrituals, das eine stark suggestive Wirkung habe. Im guten Fall könne dies hochwirksam und sehr heilsam sein. Zugleich bestehe durch die Nähe zu Religion und Schamanismus die Gefahr von Machtmissbrauch und Sektenbildung und es sei schwer, Nützlichkeit und Verträglichkeit wissenschaftlich zu überprüfen. In diesen Bereich gehöre (im Guten wie im Schwierigen) die Aufstellungsarbeit von Bert Hellinger.