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Nur wenig ist über das Leben des chinesischen Philosophen und Generals SUN TSU bekannt, der zwischen ca. 534 v. Chr. und ca. 453 v. Chr. lebte. Einer Legende nach soll er als Sieger aus einer Schlacht im Reich Chu hervorgegangen sein, in der seine 30 000 Soldaten gegen eine zehnfache Übermacht siegten. Ungeachtet des Wahrheitsgehalts dieser Geschichte ist die Wirkung, die seine Schrift Über die Kriegskunst bis heute auf den Leser ausübt, unbestritten.

Zum Buch

„Jene, die wissen, wann sie kämpfen und wann sie nicht kämpfen sollen, werden siegen.“ Sun Tsu

Das früheste Buch über Strategie wurde vor mehr als 2500 Jahren auf Bambusstäbe geschrieben. Es stammt aus der Feder des Chinesen Sun Tsu, der sich als legendärer General im Dienste der Wu-Dynastie einen Namen machte. Seine strategischen Betrachtungen sind das faszinierende Zeugnis einer über Jahrtausende alten militärischen Erfahrung. Die pointierten Maximen über die richtige Kriegsführung, den überlegten Angriff und gekonnte taktische Manöver beeinflussten die asiatische Art der Kriegsführung bis in die jüngste Vergangenheit hinein, sind bei aller strategischer Meisterschaft in ihrem Fundament jedoch auf die Vermeidung von Kriegshandlungen und das friedliebende Miteinander angelegt.

Sun Tsus Aphorismen über die richtige Kriegsführung entspringen einer der ältesten Lehren der chinesischen Kultur: dem Daoismus.

Dieser Lehre gemäß liegt jeglichem Sein ein alldurchdringendes ordnendes Prinzip zugrunde. Der Einzelne erkennt es, wenn er sich auf die innere kosmologische Gesetzmäßigkeit von Werden und Vergehen einlässt. Nur durch Nicht-Eingreifen in dieses Prinzip kann das Individuum seinem eigenen „Dao“ folgen. Insofern lesen sich die Aphorismen nicht als eine Kampfschrift, die zu blind-destruktivem Aktionismus aufruft. Sie haben vielmehr den Charakter eines Leitfadens, der es dem Einzelnen ermöglicht, im Einklang mit anderen seinen Platz in der Welt einzunehmen.

Sun Tsu
Über die Kriegskunst

Sun Tsu

Über die
Kriegskunst

Wahrhaft siegt,
wer nicht kämpft

Aus dem Englischen von Patrick Lindley

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2013
Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2011
Aus dem Englischen übertragen von Patrick Lindley
nach der Ausgabe: The Art of War von Lionel Giles, London 1910
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Die Bilder im Innenteil stammen aus dem Werk:
Edoardo Fazzioli: Gemalte Wörter.
214 chinesische Schriftzeichen - vom Bild zum Begriff, marixverlag 2004
Bildnachweis:
mauritius-images GmbH, Mittenwald/Imagebroker/Karlheinz Irlmeier
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0096-9

www.marixverlag.de

Inhalt

Über dieses Buch

Vorwort des Übersetzers

Kapitel I:

Grundlagen und Pläne

Kapitel II:

Über die Kriegsführung

Kapitel III:

Der überlegte Angriff

Kapitel IV:

Taktische Überlegungen

Kapitel V:

Tatkraft

Kapitel VI:

Schwachpunkte und Stärke

Kapitel VII:

Manöver des Kampfes

Kapitel VIII:

Verschiedene Manövertaktiken

Kapitel IX:

Die Armee auf dem Marsch

Kapitel X:

Gelände

Kapitel XI:

Die neun Gegebenheiten

Kapitel XII:

Angriff mit Feuer

Kapitel XIII:

Der Einsatz von Spionen

DRACHE – LÓNG

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Über dieses Buch

Rund 500 Jahre vor Christi Geburt schrieb der chinesische General Sun Tsu (auch unter »Sun Tsu« oder »Sinzu« bekannt) für seinen Kaiser eine wissenschaftliche und gleichzeitig philosophische Abhandlung über die Kunst des Krieges. Seine Ansichten gliederte er in 13 Kapitel und innerhalb dieser Kapitel legte er jeweils zwischen 14 und 68 Thesen dar. Knapp, einleuchtend, nachvollziehbar.

Über das Leben des Generals Sun Tsu ist so gut wie nichts bekannt. Fest steht jedoch, dass der Mann, der seine Erkenntnisse auf Bambusstäbe niedergeschrieben hatte, kein Freund des Krieges war. Gleichzeitig jedoch war er sich dessen schieren Unvermeidlichkeit bewusst. Seine Folgerung: Wenn schon ein Staat Krieg führen muss, dann sollte er dies so gut wie möglich tun.

Seine Prämissen: Bewahre das Leben, und zwar so häufig wie möglich – der Tod ist unumkehrbar. Und: Zerstöre nichts, was du nicht auch für dich gewinnen könntest.

Sun Tzus Thesen beeinflussten die asiatische Kriegsführung über Jahrhunderte hinweg. Im 20. Jahrhundert entdeckte auch der Westen die Weisheiten des Generals aus der Provinz Ghi. Hier jedoch wurden sie weniger für bewaffnete Konflikte herangezogen als vielmehr für die »Schlachten des Alltags« – für die Geschäftswelt beispielsweise. So erlangte Sun Tsu an der New Yorker Wallstreet rund 2500 Jahre nach seinem Tod eine nicht für möglich gehaltene Popularität.

Und weil wir der Meinung sind, dass (fast) alle dieser Thesen auch heute noch bedenkens- wenn nicht sogar nachahmenswert sind, gibt es dieses Buch …

Vorwort des Übersetzers

Sun Tsu sagt:

Erkennt man die Notwendigkeit, eine Sache tun zu müssen, so darf man nicht zögern, sich ihr ganz und gar zu widmen. Wenn der Zwang das Handeln bestimmt, sollte der Handelnde in der Lage sein, sein Tun und Lassen jederzeit vor sich selbst rechtfertigen zu können, sodass der Zwang zum Handeln nicht auch noch zur Belastung der eigenen Seele wird.

Was also ist zu tun?

Das zu Tuende muss so gut, so genau, so gewissenhaft wie möglich vorbereitet und geplant werden. Nur wenn man sich darüber im Klaren ist, WAS man tut, wird man auch in der Lage sein, es GUT zu tun. Somit gilt es also im ersten Stadium der Planungen, den Sinn des Handelns, seinen Hintergrund und die entsprechenden Voraussetzungen festzulegen.

Im Falle des bewaffneten Konfliktes ist es notwendig zu erkennen, dass Krieg zwar ein Übel, jedoch ein unvermeidbares Übel darstellt. Seine Unvermeidlichkeit jedoch beinhaltet wiederum den Zwang zu handeln. Dies wiederum führt uns zur Erkenntnis, dass Krieg so gut wie möglich geführt werden sollte.

Im Frieden bereite dich auf den Krieg vor, im Krieg bereite dich auf den Frieden vor.

So lautet die Kernaussage, die hinter den Schriften des Sun Tsu auf all diejenigen wartet, die sie zu erkennen vermögen.

Das vorliegende Buch orientiert sich in seinen – vollkommen neu formulierten – Worten an der anerkannten Übersetzung des britischen China-Historikers Lionel Giles M. A., die dieser im Jahre 1910 verfasste und für die er sich etwa 1500 Jahre alter Papyrusrollen bediente, die in der verbotenen Stadt gefunden worden waren. Diese Übersetzung ist deshalb dem auf Bambus geschriebenen Original der Thesen des Sun Tsu so nahe, wie dies eben möglich zu sein scheint – die 13 Originalkapitel auf Bambus sind lange schon verschollen.

Zur Erläuterung, aber auch zur Unterhaltung des geneigten Lesers, wurden die Thesen des Sun Tsu zuweilen durch Kommentare ergänzt – seien es jene des Übersetzers, seien es solche, die von Nachkommen und Studierenden des Sun Tsu auf Papyrus geschrieben worden sind. Auch zu den Thesen des Sun Tsu passende Anekdoten, Legenden und Geschichten rund um die chinesische Militärhistorie sind enthalten und sollen im Kontext gelesen werden.

Es gab eine Zeit, da wurden die Thesen des Sun Tsu als allgegenwärtige Weisheit betrachtet und moderne Menschen bedienten sich ihrer, um ihre kleinen Kriege des Alltags zu rechtfertigen. Dies Vorgehen ist möglich dadurch, dass Sun Tzus Einsichten übertragbar sind und oftmals auch als Bilder gelesen werden können, als Bilder, die Geschehnisse illustrieren, die weit über Schlachtengetümmel und Blutvergießen hinaus ihre Bedeutung haben.

Jedoch sollte stets bedacht werden, dass Sun Tsu den Krieg nicht um seiner selbst willen beschrieb, dass die schnelle Beendigung desselben sein Credo war. Behält der geneigte Leser dies stets im Gedächtnis, so wird er sich nicht verzetteln im Bemühen, das Handwerk des Schlachtenlenkers anhand dieses Buches zu studieren, ohne Distanz zu bewahren. Krieg ist ein Übel, Frieden das Ziel und so kann der Krieg nur der Weg zum Ziel sein. Sun Tsu wusste dies. Wir sollten es auch wissen …

ZEIT – CHÉN

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Kapitel I

Grundlagen und Pläne

Kapitel 1., Erste These: (1.1)

Sun Tsu sagt:

Die Kunst des Krieges ist für den Staat von lebenswichtiger Bedeutung.

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Wenn Krieg geführt wird, sollen Ziele erreicht werden. Beide oder alle Kriegsparteien hegen Absichten, wollen Vorteile erringen. Ziele können mannigfacher Art sein – Land, Gold oder Arbeitskräfte lauten die populärsten unter ihnen.

Um ein Ziel zu erreichen, muss ein Weg gefunden werden. Das ist bildlich, aber auch durchaus auch wörtlich zu verstehen. Den Weg zum Erfolg zu finden und zu sichern, kann von existenzieller Bedeutung sein. Einen wirklichen Weg oder einen Pfad unkenntlich zu machen, eine Brücke zu zerstören, kann ebenso bedeutsam sein.

1.2.

Die Kunst der Kriegsführung ist eine Frage von Leben und Tod, ein Weg, der in die Sicherheit mündet oder aber in den Untergang führen wird. Fürderhin darf sie unter keinen Umständen zu gering geschätzt werden.

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Im Leben wie im Krieg sind Grundsätze von Bedeutung. Sie sind die Eckpfeiler unseres Handelns, sie sind die Stützen unseres Seins. Um unser Handeln rechtfertigen zu können – sei es unter den Gesichtspunkten des Erfolges oder unter dem Aspekt der Integrität – ist es für uns selbst, vor allem aber für diejenigen, die uns folgen, von größter Wichtigkeit, diese Eckpfeiler, diese Grundwerte festzulegen und zu erklären.

1.3.

Die Kunst des Krieges wird von fünf Gegebenheiten bestimmt, welche stets gleich bleiben. Von ihnen sollen wir wissen, wenn wir zu wissen trachten, wie das Schlachtfeld beschaffen ist.

1.4.

Diese Gegebenheiten aber heißen: Das Gesetz der Moral, Himmel, Erde, der Kommandant, Methode und Disziplin.

1.5.

Das Sittengesetz bewirkt eine vollständige Übereinstimmung der Menschen mit dem Manne, der sie führet …

1.6.

… sodass sie ihm aller mögliche Gefahren für Leib und Leben zu Trotze bedingungslos und unverzagt ins Felde folgen.

1.7.

Himmel aber bezeichnet Nacht und Tag, Kälte und Hitze, die Zeiten und Stunden von Jahr und Tag.

1.8.

Erde umfasst Entfernungen – ob groß oder klein; Gefahr und Sicherheit, offenes Feld und enge Passwege, die Möglichkeiten und Fährnisse von Leben oder Tod.

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Ein wichtiger Fels, ein Sinnbild für die Kunst des Krieges ist der Kommandant, sei es eines Heeres, einer Kompanie oder einer Einheit. Er muss in sich scheinbar widersprüchliche Tugenden vereinen, Tugenden, die ihm Zuneigung ebenso wie Treue einbringen, die seinen Soldaten Mut als auch die nötige Disziplin bescheren.

1.9.

Derjenige, der führet, er stehe für die Tugenden von Weisheit, Aufrichtigkeit, Güte, Mut und geradlinige Klarheit im Denken.

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Hat man sich mit dem Zwang zu handeln und den daraus sich ergebenden Notwendigkeiten, dem Mühsal und Forderungen an das Selbst vertraut gemacht, so ist es unabdingbar für den Verantwortlichen, sich auch mit den »niedrigen« Elementen der Kriegskunst zu befassen. Der Handelnde muss das Wohl und Wehe seiner Armee stetig im Blick behalten. Diejenigen, die von ihm an hervorragender und führender Statt eingesetzt werden, müssen ebenso einen Blick für das Große, Ganze haben, wie der Führende für die kleinsten Dinge.

1.10.

Unter Methode und Disziplin ist zunächst die Unterteilung der Armee in Divisionen von geeigneter Form und Größe zu verstehen, außerdem die Rangordnungen unter den Offizieren, die stete Passierbarkeit der Versorgungswege und fürderhin die stete Kontrolle der nötigen Ausgaben für die Kriegsführung.

1.11.

Diese fünf Schlüsselbegriffe sollten jedem General vertraut sein. Er, der um sie weiß, wird siegreich sein; er, der sie kennt, kann nicht scheitern.

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So sprach Sun Tsu und mit diesen Worten geleitet er den Lesenden in seine 13 Kapitel über die Kriegskunst. Nun aber, da der Leser vertraut ist mit dem Wesen des Generals und seinem Ideal, da spricht der General nur noch zu ihm, zum Lesenden, selbst:

1.12.

Wenn du also nach diesen Überlegungen vorgehen und bestimmen willst, wie die militärischen Bedingungen aussehen mögen, so gib deinem Geist die folgenden Fragen zum Vergleiche:

1.13.1.

Welcher der beiden Herrscher handelt im Gleichklang mit dem Gesetz der Moral?

1.13.2.

Welcher der beiden Führenden ist der Fähigere?

1.13.3.

Bei wem liegen die Vorteile von Himmel und Erde?

1.13.4.

Auf welcher Seite ist das Streben nach Disziplin stärker ausgeprägt?

1.13.5.

Welche Armee ist die stärkere?

1.13.6.

Auf welcher Seite sind Offiziere und Mannschaften besser ausgebildet?

1.13.7.

In welcher Armee herrscht größere Gewissheit darob, dass Verdienste angemessen belohnt und Missetaten gerecht bestraft werden?

1.14.

Wenn ich um diese sieben Bedingungen weiß, dann vermag ich Sieg oder Niederlage vorherzusagen.

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So sagt Sun Tsu, dass nichts unverzeihlicher wäre, als mit blindem Mute voranzustürmen. Zwar braucht der Sieg auch Eigenschaften wie Tollkühnheit und Raserei, doch sollten diese stets dem gemeinen Soldaten, niemals jedoch den Führenden zu Eigen sein. Wenn aber der einfache Kämpfer in die Schlacht gesandt wird und sein Blut ist heiß vor Kampfeslust, so soll der Mann, der ihn gesandt hat, stets um die Folgen der Raserei wissen und auch darum, dass Krieg ein Morden ist, das schwer zum Ende findet. So sollte mannigfacher Tod durch klugen Plan vermieden werden – nur wenn der Krieg ein schnelles Ende findet, wird noch Leben auf dem Felde sein.

1.15.

Der General, der auf diesen meinen Rat hört und nach ihm handelt, wird obsiegen und so belasse diesem den Befehl. Der aber, der meinen Rat nicht hört und nicht nach ihm handelt, wird eine Niederlage heraufziehen lassen, diesen musst du gehen heißen!

1.16.