Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Copyright
1
Der Hund, auf den wir setzen wollen, sieht eher aus wie eine Ratte.
»Aber er rennt wie eine gesengte Sau«, meint Rube – an den Füßen ausgelatschte Schuhe, aber im Gesicht immer ein Lächeln wie Flanell. Gleich wird er es einschalten. Da ist es schon. Netter Typ, mein Bruder. Ruben Wolfe.
Es ist Winter und wir sind am Boden, wie immer.
Wir stehen zuunterst auf der offenen, staubigen Tribüne. Ein Mädchen trippelt vorbei.
Ich denke: Jesus!
Rube sagt es: »Jesus!«
Und das ist der ganze Unterschied zwischen uns beiden, während wir ihr durchatmend nachsehen, beide ganz bei der Sache, beide voller Verlangen.
Mädchen wie dieses sind nicht gerade die Regel beim Hunderennen.
Die Mädchen, die man hier normalerweise zu sehen kriegt, sind entweder kettenrauchende Zwergmäuse oder kuchenmampfende Pferdeärsche. Oder biersaufende Schlampen.
Diese eine ist ein seltener Vogel. Ich hätte auf sie gesetzt, wenn sie gelaufen wäre. Sie ist fantastisch.
So bleibt mir nichts als die normale Säuernis, wenn ich Beine sehe, die ich nicht anfassen kann, Lippen, die nicht für mich lächeln, Hüften, die nicht für mich schaukeln. Und Herzen, die nicht für mich schlagen.
Ich stecke meine Hand in die Tasche und hole einen Zehner raus, um mich abzulenken.
Es kann zwar nichts schaden, ab und zu einen Blick auf ein Mädchen zu werfen, führt aber immer nur zu Verletzungen. Ein einziger Blick von weitem – schon tun dir die Augen weh. Alles, was du dagegen tun kannst, ist, irgendwas zu sagen wie: »Setzen wir dieses Geld jetzt, Rube, oder was?«
An diesem grauen Tag in dieser herrlichen, lüsternen Stadt, in der wir zu Hause sind.
»Rube?«, frage ich also.
Stille.
»Rube?«
Wind. Rollende, leere Büchsen. Ein paar Kerle hinter uns qualmen und rotzen vor sich hin.
»Rube, setzen wir jetzt oder nicht?«
Ich boxe ihn auf den Arm. Mit der Rückhand.
Jetzt sieht er mich an und grinst.
»Okay«, sagt er, und wir sehen uns nach jemand um, der für uns setzt.
Jemand über der Altersgrenze. Normalerweise kein Problem hier. Irgendwelche alten Schlaffis, denen die Ritze hinten halb aus der Hose guckt, finden sich dafür immer. Meistens wollen sie allerdings Prozente, wenn der Köter gewinnt, auf den wir gesetzt haben. Obwohl uns keiner der Kerle mehr finden würde, wenn wir das wollen. Andererseits haben wir auch nicht viel Spaß daran, diese armen, alten Bitte-hilf-mir-Alkoholiker über die Nudel zu schieben. Auch wenn es sie nicht gerade umgebracht hätte. Aber schließlich soll doch jeder profitieren… Der Witz ist nur, es ist noch nie passiert, wir haben noch nie was gewonnen.
»Come on!« Ruben steht auf und wir gehen los – ich die Mädchenbeine im Blick.
Ich denke: Jesus.
Ruben sagt: »Jesus.«
Aber er meint nicht das Mädchen.
Am Wettschalter gibt es ein kleines Problem – Cops! Was du Scheiße machen die Cops hier, denke ich. »Was du Scheiße machen die Cops hier«, sagt Ruben. Nicht dass ich Cops hasse. In Wahrheit tun sie mir sogar immer ein bisschen Leid. Diese abartigen Hüte! All dieses lächerliche Cowboygebammel um ihre Hüften! Und dass sie gleichzeitig taff und zugänglich sein sollen, und dazu immer mit Schnurrbart (die Männer), damit es aussieht, als wenn sie irgendwas zu sagen haben. Und all die Chin-ups und Sit-ups, die sie auf der Polizeischule machen müssen, bevor sie die Lizenz kriegen, sich wieder einen Bauch zulegen und den Leuten erzählen zu dürfen, dass auch in ihrer Familie einer bei einem Autounfall zermantscht worden ist. Meine Liste ist noch länger, also höre ich lieber von selbst auf.
»Sieh dir mal den Bullen mit dem Hotdog an«, sagt Ruben und deutet zum Schalter.
Es interessiert ihn offenbar überhaupt nicht, dass die beiden Cops hier rumhängen wie ein schlechter Geruch. Im Gegenteil. Er geht direkt auf den mit dem Schnurrbart zu, der gerade das Teil mit Soße in sich reinschiebt. Der andere Cop ist eine Frau, eine brünette, die langen Haare unter ihre Mütze gesteckt. (Bis auf ein paar Fransen über den Augen, die wohl verführerisch wirken sollen.)
Wir stehen vor ihnen und es fängt an.
Ruben L. Wolfe: »Wie geht’s denn heute so, Constable?«
Der Cop mit dem Fastfood: »Nicht schlecht, Kumpel, und dir?«
Rube: »Ist er gut, der Fraß?«
Cop, den Fraß verschlingend: »Ist er, Kumpel. Spaß dran, zuzusehen?«
Rube: »Und wie! Was kostet die hier?«
Cop, immer schluckend: »Dollar achtzig.«
Rube, lächelnd: »Das ist glatter Nepp.«
Cop, abbeißend: »Ich weiß.«
Rube, jetzt breit grinsend: »Sie sollten die hochnehmen dafür.«
Cop, mit einem Klecks Soße auf der Unterlippe: »Vielleicht. Oder dich.«
Rube, während er auf den Klecks Soße zeigt: »Und wofür?«
Cop, während er die Soße wegwischt: »Ganz klar für Klugscheißerei.«
Rube, während er sich demonstrativ im Schritt kratzt und mit dem Kinn auf die Frau zeigt: »Und wo hast du die aufgegabelt?«
Cop, jetzt auch witzelnd: »In der Kantine.«
Rube, während er sich immer weiter kratzt: »Für wie viel?« Cop, während er mit seinem Hotdog fertig wird: »Dollar sechzig.«
Rube: »Das ist Nepp.«
Cop, sich straffend: »Sieh dich vor!«
Rube, während er sein Flanellhemd und die Hose glatt zieht: »Haben sie für die Soße extra was verlangt?«
Cop, spielt den Verlegenen: »Nichts.«
Rube: »Wirklich?«
Cop: »Na ja, zwanzig Cent.«
Rube: »Zwanzig Cent! Für Soße?«
Cop, anscheinend sauer auf sich selbst: »Ich weiß.«
Rube, ernst und ehrlich, oder jedenfalls eines von beidem: »Das hätten Sie verweigern sollen, aus Prinzip. Haben Sie denn keine Selbstachtung?«
Cop: »Was willst du eigentlich von mir?«
Rube: »Nichts. Gar nichts.«
Cop: »Sicher?«
In dem Moment fangen die Frau und ich an, betretene Blicke zu wechseln. Ich überlege, wie sie wohl ohne Uniform aussieht, nur in Unterwäsche.
Rube beantwortet die Frage der Cops: »Sicher, Sir. Ich hab ganz und gar nichts vor. Mein Bruder und ich sind gerade dabei, diesen wundervollen grauen Tag in dieser herrlichen Stadt zu genießen. Und den schnellen Tieren im Stadion zuzusehen, wie sie ihre Runden drehen.«
Ein Showstar, mein Bruder. Voll Müll. »Ist das ein Verbrechen, Sir?« Cop, fertig mit Essen: »Und warum quatschst du uns so voll?«
Seine Begleiterin und ich sehen uns an. Sie trägt sehr aufregende Unterwäsche, stell ich mir vor.
Rube: »Na ja, wir wollten.«
Cop, prüfend: »Was wolltet ihr?«
Sie sieht geil aus, supergeil. Sie liegt gerade in der Badewanne, blubbernd, steht auf, lächelt jemand an. Mich. Es rafft mich.
Rube grinst den Cop an: »Wir wollten Sie fragen, ob Sie nicht für uns auf einen Hund setzen wollen.«
Die Frau aus der Badewanne: »Spinnt ihr?«
Ich, während ich meinen Kopf aus ihrem Badewasser reiße: »Ja genau. Hast du sie noch alle, Rube?«
Rube, während er mir den Mund zuhält: »Seit wann heiße ich Rube?«
Ich, wieder zurück in der Wirklichkeit: »Entschuldige, James, alter Wichser.«
Cop, während er seine Tüte noch mit der Soße drin zerknautscht: »Wichser? Was soll das denn jetzt heißen?« Rube, völlig ruhig: »Allmächtiger Gott, kann das wahr sein? Kann ein Mensch so bescheuert sein?«
Die Frau, vielleicht fünf Fuß neun groß, gut trainiert, viermal die Woche, schätze ich, im Polizeifitness: »Du siehst jeden Morgen einen im Spiegel.«
Sie zwinkert mir zu. Sie ist einfach super – und ich bin sprachlos.
Rube: »Richtig, Schätzchen.«
Sie, unglaublich sexy: »Wer ist hier das Schätzchen, Schatz?«
Rube ignoriert sie. Er wendet sich wieder dem Was-solldas-Wichser-Cop zu. »Also, wollen Sie jetzt für uns setzen, oder nicht?«
Wichser-Cop: »Bitte!?«
Ich, zu allen, aber alles andere als laut: »Der ist wirklich zu dämlich. Lächerlich.«
Alle hier haben nichts weiter vor, als zu wetten!
Die Frau zu mir: Hey, Lover Boy. Versuch’s mal mit mir! Ich: Sehr gern.
Aber das bilde ich mir nur wieder ein, natürlich.
Der Cop: »Okay.«
Rube, geschockt: »Was?«
Der Cop: »Ich setze für euch.«
Rube, stotternd: »Ehrlich?«
Der Cop, um Eindruck zu schinden: »Ehrlich. Mach ich doch immer, Cassy?«
Die Hundert-Prozent-Frau, völlig cool: »Mach, was du willst.«
Ich: »Ist das copmäßig korrekt?«
Rube, ungläubig: »Bist du mental total in Ordnung?«
(Sonst nennt er mich Spasti zu solchen Gelegenheiten.
Sicher denkt er, das hier klingt nach mehr Niveau.)
Ich: »Doch, bin ich aber.«
Alle drei auf einmal: »Halt die Klappe!«
Diese Bastarde.
Der Wichser-Cop: »Welche Nummer hat der Hund?«
Rube, sehr zufrieden mit sich: »Drei.«
Wichser-Cop: »Und wie heißt er?«
Rube: »Du Bastard.«
Cop: »Bitte?«
Rube: »Ich schwöre. Sehen Sie in unser Programm.«
Wir alle starren in das Programm.
Ich: »Wie kommt der hier rein mit so einem Namen?« Rube: »Das hier ist kein Profirennen. Alles, was vier Beine hat, kann heute laufen. Ein Wunder, dass nicht auch noch ein paar Pudel dabei sind.« Er sieht mich ernsthaft an. »Unser Typ kann aber richtig rennen. Auf mein Wort.«
Wichser-Cop: »Der eher wie’ne Ratte aussieht?«
Die Frau: »Er soll ja rennen wie eine gesengte Sau.« Jedenfalls, als der Cop unser Geld nimmt, losgeht, seine Fresstüte in die Tonne fallen lässt und die Wette macht, passieren folgende Dinge: Rube grinst selbstzufrieden, die Bullenfrau legt ihre Hand auf ihren süßen Mund, und ich, Cameron Wolfe, stelle mir vor, wie ich es mit ihr treibe – im Bett meiner Schwester und in allen Stellungen. Unglaublich, oder? Trotzdem. Was soll man machen?
Als der Bulle zurückkommt, sagt er: »Ich hab noch zehn draufgelegt, auf eigene Kappe.«
»Sie werden nicht enttäuscht sein.« Rube nickt und nimmt unseren Wettschein entgegen. Dann sagt er: »Ich denke, ich werde Sie demnächst anzeigen – Wetten machen für Minderjährige! Es ist un-mög-lich!«
(Noch nie hat mein Bruder das Wort »unmöglich« einfach so ausgesprochen. Er sagt immer »un-mög-lich«.)
»Ach so«, sagt der Cop, »und wo, wenn ich fragen darf?«
»Bei den Bullen«, sagt Rube, und wir alle grinsen und gehen rüber zur Haupttribüne. Wie setzen uns und warten auf den Start.
»Ich rate eurem Bastard zu gewinnen«, verkündet der Cop. Aber keiner hört hin. Die Luft ist zum Schneiden dick. All die Trainer, die Wetter, Diebe, Buchmacher, Dickwänste, fetten Weiber, Kettenraucher, Alkoholiker, korrupten Cops und minderjährigen Jüngelchen warten und streuen ihre Hoffnungen auf die Bahn, jeder seine eigenen.
»Er sieht wirklich aus wie’ne Ratte«, sage ich, als unser Greyhound dürr und frettchengleich an uns vorbeihoppelt. »Aber was sind eigentlich gesengte Säue?«
»Keine Ahnung«, sagt der Cop.
»Was gesengte Säue auch immer sind, sie sind schnell«, sagt Rube.
Der Cop und Rube sind inzwischen unzertrennlich. Der eine hat eine Uniform, Schnurrbart und schwarze, angeklatschte Haare, der andere steckt in Räuberzivil, stinkt nach süßem Noname-Cologne und hat welliges braunblondes Haar, das ihm bis auf die Schultern fällt. Seine Augen glühen wie ausgetretenes Feuer, seine Nase trieft und seine Fingernägel sind abgekaut, abgekaute Klauen. Überflüssig zu sagen, dass der zweite mein Bruder ist. Durch und durch einer von uns – einer von den Wolfes, ein Wolf, ein Hund.
Und dann ist da noch die Frau.
Und ich.
Sabbernd. Lechzend.
»Und ab geht’s!«
Irgendein Wichser ist am Lautsprecher. Er rattert die Namen der anderen Hunde runter, ich kann sie kaum verstehen. Da sind: Kaugummi am Stiefel, Lexikon, Nichtsbringer, Satansbraten, Hund, und sie liegen alle vor Du Bastard, der am Ende des Feldes trippelt, wie ein Hamster mit einer Mausefall am Arsch.
Die Leute werden langsam munter.
Sie brüllen.
Die Copfrau sieht großartig aus.
Die Masse kreischt: »Go, Sexilon! Go, Sexilon!«
Ein paar Leute korrigieren: »Es heißt Lexikon!«
»Was?«
»Lexikon.«
»Oh. Go, Sexilon!«
»Vergiss es!«
Die Leute klatschen und brüllen weiter.
Sie sieht großartig aus, sage ich dir. Einfach großartig. Die Brünette.
Und dann befreit sich unsere Ratte von der Mausefalle und gewinnt Boden.
Rube und der Cop sind glücklich. Sie schreien, sie singen geradezu: »Go, Du Bastard, go!«
Alle Hunde hetzen die absurde Kaninchenattrappe um die Bahn und die Menge rast wie ein Haufen entflohener Sträflinge.
Rasend.
Hoffend.
Wissend, sie werden gleich wieder eingefangen.
Klammernd. Wie die Blöden klammern sie sich an diesen kurzen Moment der Befreiung. Es ist so traurig, dass man nur wegsehen kann.
»Go, Satansbraten! Go, Nichtsbringer!«
Rube und sein Cop: »Go, Du Bastard! Go, Du Bastard.« Wir sehen unsere Ratte auf der Außenbahn heranfliegen, die Spitze einnehmen – und wieder auf den vierten Platz zurückfallen, als er den Takt verliert.
»Oh, Bastard!«, winselt Rube und nennt den armen Hund nicht mal mehr bei seinem Namen – aber der Hund strampelt wie ein Verrückter und holt wieder auf. Er rennt gut, unser Bastard. Er kommt auf den zweiten Platz, und das bringt Rube dazu, auf unseren Wettschein zu sehen und dem Cop eine Frage zu stellen: »Haben Sie auf Platz oder auf Sieg gesetzt?«
Ein Blick auf dessen Gesicht, und uns allen ist klar – auf Sieg. Alles oder nichts.
»Sie sind aber auch zu gar nichts zu gebrauchen«, lacht Rube und haut dem Mann auf die Schulter.
»Klar«, sagt der Cop. Und jetzt ist er nicht mehr der Wichser, sondern ein Kumpel, der wie alle für einen Moment die Welt vergessen hat, weil ein paar Köter über eine Bahn rasen.
Er heißt übrigens Gary, bisschen schwul, der Name, aber was macht das?
Wir verabschieden uns, und ich träume ein letztes Mal von Cassy, der Polizistin, und vergleiche sie mit all den anderen weiblichen Wesen, die in der lüsternen Seele meiner Jugend verewigt sind.
Ich denke an Cassy den ganzen Weg nach Hause, wo uns der übliche Samstagabend erwartet: Schwester Sarah geht aus. Bruder Steve bleibt zu Haus und verhält sich still. Dad, Mr Wolfe, liest die Zeitung. Mum, Mrs Wolfe, geht früh ins Bett. Ruben und ich werden das übliche Gespräch vorm Einschlafen führen.
»Ich fand sie toll«, sage ich noch auf der Veranda.
»Ich weiß«, sagt Rube und macht mir die Tür auf.
»Hey, Rube, bist du wach?«
»Rate mal. Ich liege seit zwei lausigen Minuten in die-
sem Bett.«
»Viel länger.«
»Nicht länger.«
»Doch.«
»Nein, du mieser Molch. Was willst du eigentlich von
mir? Kannst du mir das mal sagen?«
»Du bist dran mit Lichtausmachen.«
»Kommt nicht infrage.«
»Wär aber fair, ich war als Erster drin und du bist näher
am Schalter.«
»Ach so? Aber ich bin älter und du solltest die Älteren
achten und das Licht selber ausmachen.«
»Was für ein Haufen von -«
»Dann bleibt es an.«
Es bleibt für zehn Minuten an und dann, was glaubst
du? Ich mache es aus.
»Du Arsch«, teile ich Rube mit.
»Danke.«
2
Um drei wird es plötzlich laut. Es ist Schwester Sarah, die sich im Bad die Seele aus dem Leib kotzt. Ich geh nachsehen. Sie ist in ihrem roten Top, kniet vorm Klo, hält sich dran fest, umarmt es zärtlich, verschmilzt damit.
Sie hat dickes Haar, das ihren Kopf umflutet, wie bei allen Wolfes, und als ich sie mit meinen brennenden, verplierten Augen betrachte, entdecke ich in ihren wirren Locken was von der Kotze. Mit Klopapier fische ich es raus, dann mache ich ein Handtuch nass und wische ihr alles ab. Kotze stinkt. Ich hasse den Geruch.
»Dad?«
»Dad?«
Sie steckt ihren Kopf in das Klobecken zurück und flennt. »Bist du das, Dad?«
Jammernd und um Fassung ringend, zieht sie mich auf die Knie runter und hängt sich an mich.
»Tut mir so Leid, Dad, tut mir so Leid.«
»Ich bin’s«, sage ich, »Cameron.«
»Lüg nicht, Dad, bitte lüg nicht.« Speichel läuft ihr in den Ausschnitt. Ihre Jeans schneiden sie in die Hüften, schlitzen sie auf. Ich frage mich, warum sie nicht blutet.
Und ihre Schuhe; sie haben ihr in die geschwollenen Knöchel gebissen. Meine Schwester!
»Lüg nicht«, wiederholt sie, also höre ich auf.
Ich höre auf zu lügen und sage: »Okay, Sarah. Ich bin’s, Dad. Wir bringen dich jetzt ins Bett.«
Und sie kriegt es tatsächlich fertig, aufzustehen und in ihr Zimmer zu humpeln. Ich ziehe meiner Schwester die Schuhe aus, bevor sie ihr die Füße ganz und gar abschnüren.
Sie murmelt vor sich hin.
Gestammelte Worte fallen ihr aus dem Mund.
Ich lasse mich auf dem Fußboden neben ihrem Bett nieder.
»Ich bin krank«, sagt sie, »kaputt.« Sie murmelt vor sich hin und endlich sackt sie um, schon im Schlaf.
Schlafen, denke ich, das wird ihr gut tun.
Zuletzt sagt sie noch: »Danke, Dad. Ich meine, danke, Cameron.«
Dann rutschen ihre Hände von meinen Schultern.
Ich lächele vor mich hin, so gut, wie einer noch lächeln kann, der selbst zitternd, verkrampft und geschafft im Zimmer seiner Schwester sitzt, die eben mit einer Alkoholvergiftung nach Hause gekommen ist. Ich frage mich, was mit ihr los ist. Ich frage mich, warum sie sich das antut. Ist sie einsam? Unglücklich? In Panik? Wäre gut, wenn ich sagen könnte, ich verstehe es. Aber was würde das ändern? Ebenso gut könnte ich fragen, warum Rube und ich zu diesen Hunderennen gehen. Jedenfalls nicht weil wir krank im Kopf sind oder so was. Das alles ist einfach so. Wir gehen zum Rennen. Sarah lässt sich voll laufen. Sie hatte mal einen Typ, aber der hat sie sitzen lassen.
Stopp, befehle ich mir, hör auf, über all das nachzudenken. Aber irgendwie kann ich nicht. Immer wenn ich versuche, meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, dauert es nicht lange, und ich lande doch wieder bei meiner Familie.
Dad – der Klempner, er hatte vor kurzem einen schweren Arbeitsunfall und seitdem gibt’s keine Aufträge mehr. Ja doch, die Versicherung hat gezahlt, aber davon hat er noch lange keine Arbeit.
Mrs Wolfe geht bei fremden Leuten putzen und neuerdings auch noch im Krankenhaus.
Bruder Steve denkt nur an eins: wie er von zu Hause wegkommt.
Dann Rube und ich, die jungen Wölfe.
»Cam?«
Sarahs Stimme, samt einer Wolke von Whiskey, Coke und diversen anderen Cocktails, dringt aus ihrem Mund ins Zimmer, weht zu mir.
»Cam’ron.«
Dann schläft sie wieder weg.
Dann kommt Rube.
Er sieht Sarah und murmelt ein »Huh?«. »Kannst du mal das Klo spülen?«
Rube macht es. Ich höre das Wasser rauschen wie die tasmanischen Blowholes, unten im Süden.
Ich bleibe sitzen bis um sechs, halte Wache. Dann stehe ich auf und geh rüber in unser Zimmer.
Ich hätte Sarah vielleicht auf die Wange küssen sollen, aber ich tu’s nicht. Stattdessen versuche ich, mein Haar glatt zu drücken. Aber es denkt nicht dran, unten zu bleiben. Es steht in alle Richtungen ab.
Als ich richtig aufstehe, um sieben, sehe ich noch mal nach Sarah, nicht dass sie wie einer dieser Superstars in ihrer eigenen Kotze erstickt ist. Sie ist es nicht, aber ihr Zimmer versetzt dir einen Schock.
Es stinkt nach:
Saft.
Rauch.
Kater.
Und mittendrin Sarah, verdreckt, wie hingekackt. Tageslicht schießt durchs Fenster. Sonntag.
Ich gehe raus, hol mir Frühstück, barfuß und nur in Turnhosen und T-Shirt, und seh mir die letzte Folge von »Rage« an, ohne Ton. Dann kommt ein Bürofilm, Typen in Schlips und Kragen und mit Einstecktüchern.
»Cam.«
Das ist Steve.