Rom kämpft um den Rhein

Teil II

Caesars Kriege gegen die Belger 57 v.Chr.- 51 v.Chr.

Der Krieg gegen die Nervier - Schlachtfeld an der Selle

ROM KÄMPFT UM DEN RHEIN

TEIL II

CAESARS KRIEGE GEGEN DIE BELGER 57 V.CHR. - 51 V.CHR

Walter Krüger

Meiner Frau Ingrid

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Caesar plant eine neue Provinz Gallien

Westeuropa am Ende des Jahres 58 v.Chr.

Caesars Eroberungspläne 57 v.Chr.

Caesars Kriegsgründe

Was unternahmen die Belger?

Der belgische Stammesverband

Herkunft – Quellen

Die räumliche Einordnung

Belger und Kelten

Die römische Bedrohung wird konkret

Caesar überfällt die Suessionen

Die Bildung der belgischen Koalition

Der Überfall auf die belgische Koalition

Die Spaltung der Koalition

Die Schlacht an der Aisne

Die Trennung vom römischen Heer

Der Sturm auf Noviodunum

Nach dem Sieg über die Suessionen

Caesar überfällt die Bellovaker

Der Stamm der Bellovaker

Bellovaker in der belgischen Koalition

Der Feldzug Caesars

Der Überfall auf die Ambianer

Der Stamm der Ambianer

Der Zug nach Amiens

Die Unterwerfung

Der Überfall auf die Nervier 57 v.Chr.

Der Stamm und sein Lebensraum

Die Verbündeten

Die Vorbereitungen auf einen römischen Angriff

Der Schlachtplan der Nervier

Das vermutete Schlachtfeld

Caesar und die Nervierschlacht

Der Verlauf der Schlacht

Nach der Schlacht

Die Ausgangslage Ende 57 v.Chr.

Kriege des Jahres 56 v.Chr.

Der Aufstand der Veneter und ihrer Verbündeten

Die Moriner und ihr Lebensraum

Die Moriner müssen sich 56 v.Chr. verteidigen

Die Geschichte des Kampfes 56 v.Chr.

Die Kriege des Jahres 55 v.Chr.

Die Moriner und der Britannienfeldzug

Überfälle auf die Nervier und Menapier

Die Krieger des Jahres 54 v.Chr.

Die Moriner und der 2.Britannienfeldzug

Der Landtag in Amiens

Versuch, die Standorte der Winterlager zu ermitteln

Die Angriffe auf die Winterlager

Die Nervier greifen Cicero an

Feldzug gegen die Nervier 53 v.Chr.

Die allgemeine Lage in den belgischen Gebieten

Der Überfall Caesars auf das Gebiet der Nervier

Der Landtag in Lutetia

Überfall auf die Menapier 53 v.Chr.

Der unterstellte Kriegsgrund

Die Strafexpedition Caesars

Der Einmarsch und die Verwüstungen

Der Keltenaufstand 52 v.Chr.

Die Zeit nach dem Aufstand

Aulus Hirtius und das VIII.Buch des De Bello Gallico

Hirtius strategische Überlegungen im Winter 51 v.Chr.

Wir folgen der Geschichte Hirtius

Der Bellovakeraufstand 51 v.Chr.

Die Nachwirkungen des Aufstands 52 v.Chr.

Die Überraschungsangriffe Caesars im Winter 51v.Ch

Wo befanden sich die Lager der Bellovaker?

Kann man Schlussfolgerungen ziehen?

Der Bellovakeraufstand aus militärischer Sicht

Schlussfolgerungen aus den militärischen Aktionen

Schlussfolgerungen aus der Geografie

Wie bewegten sich die Römer

Versuch einer endgültigen Ortsbestimmung

Caesar setzt seinen Vormarsch fort

Die Unterwerfung der Belger

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

Der Titel des Buches heißt „Rom kämpft um den Rhein“. Es erscheint in drei Teilen, die hintereinander veröffentlicht werden. Sie tragen folgende Untertitel:

Teil I - Caesars Kriege 58 v.Chr. gegen Helvetier und Sweben

Teil II - Caesars Kriege gegen die Belger 57 v.Chr. - 51 v.Chr.

Teil III - Caesars Kriege am Niederrhein 57 v.Chr. - 52 v.Chr.

In ihrer Gesamtheit sollen diese Bücher von wichtigen Ereignissen berichten, die sich während des sogenannten Gallischen Krieges, der von 58 v.Chr. bis 50 v.Chr. dauerte, zugetragen haben. Ausgelöst wurde dieser Krieg von Gaius Julius Caesar (100 v.Chr. - 44 v.Chr.). Als Statthalter der römischen Provinz Gallia Transalpina und ausgestattet mit einem über fünf Jahre gültigen Kommando überschritt er 58 v.Chr. die nördliche Provinzgrenze und fiel in keltische Gebiete ein, um sie zu unterwerfen. Caesar selbst hat diesen Krieg ausführlich in seinem Buch „De Bello Gallico“ beschrieben. Da er Akteur und Autor in einer Person war, sind seine Kommentare entsprechend seines persönlichen Weltbildes und seiner persönlichen Ansichten das Ergebnis einer nicht ungefährlichen Gratwanderung zwischen Wunschträumen und Wirklichkeit. Sein Buch ist jedoch die einzige Quelle eines Zeitgenossen. Eine andere oder gar bessere gibt es nicht. Nachfolgende Historiker und Autoren haben stets auf diese Quelle zurückgreifen müssen. Da die betroffenen Völker, die Kelten, die Belger und die Germanen keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben, konnten Caesars Kommentare fast unangetastet überdauern.

Jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigt, steht vor der schweren Entscheidung über die Glaubwürdigkeit der von Caesar beschriebenen Ereignisse. Eine Trennung in richtige und falsche Fakten wäre zu einfach, denn es gibt viele Zwischenstufen. Insofern ist der Umgang mit diesen Fakten stets ein subjektiv gefärbter Prozess. Zeitgeist und Weltbild des Autors spielen in ihn hinein. Am Ende stehen Caesars Kommentare selten in Frage, aber deren Interpretation führt möglicherweise zu neuen Erkenntnissen. Das Buch „Rom kämpft um den Rhein“ will die Commentarii de Bello Gallico nicht nacherzählen. Es behandelt nur einige, wenn auch bedeutende, Ausschnitte seines Krieges.

Im Teil I, der bereits erschienen ist, wird auf die fadenscheinigen Begründungen eingegangen, die Caesar für seine Feldzüge beschreibt. Der Schwerpunkt dieses Krieges ist die Veränderung der Einflussgebiete an der nördliche Provinzgrenze. Er vertreibt die Helvetier (Tiguriner) aus den haeduischen und sequanischen Stammesgebieten, behält diese zugleich als römischen Besitz ein und besiegt Ariovist, den König der Sweben nahe Mühlhausen im Elsass, um dessen Eingreifen in römische Angelegenheiten auf Dauer zu verhindern. Caesar kämpfte demnach im ersten Kriegsjahr nicht gegen Kelten (von den Römern Gallier genannt), sondern gegen germanische Stämme. Und er stand zum ersten Male am Rhein. Zog sich aber wieder zurück.

Im hier vorliegenden Teil II wird der Eroberungsfeldzug Caesars in den belgischen Stammesgebieten beschrieben. Weitab von der römischen Provinz Gallia Transalpina und weitab von den Konflikten im dortigen Grenzvorland wird sichtbar, dass es Caesar weder um den Schutz römischer Interessen noch angegriffener römischer Bundesgenossen ging, sondern ausschließlich um die Eroberung fremder Territorien. Anfänglich noch zögerlich, lässt er nunmehr die Maske fallen und strebt offen danach, eine neue Provinz zu erobern, die alle Gebiete Westeuropas von den Pyrenäen und den Westalpen bis an den Rhein umfasst. Mit der Unterwerfung der belgischen Stämme, der nördlichen Nachbarn der Kelten, bekäme Caesar den wichtigsten Wasserweg zwischen dem Rhein und der britannischen Insel sowie die Häfen und reichen Ressourcen des belgischen Hinterlandes in die Hände. Die Unterwerfung der Belger war die Voraussetzung für den weiteren Vorstoß zum Rhein, der von Germanen bewohnt wurde.

Der Krieg gegen die Belger dauerte fast ebenso lange wie der gesamte Gallische Krieg, sieben Jahre. Aus Caesars Buch wurden alle Abschnitte, die dort verstreut entsprechend den Jahresberichten enthalten sind, ausgewählt und als zusammenhängende, nur diese Stammesgemeinschaft betreffende, historische Abhandlung wiedergegeben. Sozusagen eine Geschichte der Belger von 57 v.Chr. bis 51 v.Chr. Und es erstaunt, dass die Feldzüge ab 57 v.Chr. wiederum nicht keltische, sondern belgische Stämme, trafen. Bereits der Titel seines Buches müsste deshalb Anstoß erregen. Der „Gallische Krieg“. Anders gesagt: Der Krieg Caesars in Gallien. „Gallia est omnis divisa in partes tres, quarum….“ so beginnt er sein erstes Buch. Zu keiner Zeit hat es ein Land, ein Volk, eine Landschaft, eine sprachliche, kulturelle oder politische Einheit gegeben, die eine solche Bezeichnung verdient hätte. „Gallien“ ist eine Erfindung Caesars. Er bezieht diese Bezeichnung nicht auf ein Gebiet, das nur von Galliern (Kelten) bewohnt war, sondern auf das, was er für seine neue Provinz im Auge hatte, ungeachtet dessen, dass auch andere Ethnien darin leben würden. In den Jahren 27 v.Chr. bis 16 v.Chr. (Neuer Pauly) wurde seine Eroberung in drei kaiserlich-prätorische Provinzen Gallia Belgica, Gallia Lugdunensis und Gallia Aquitania geteilt. Zwischen Belgern, Kelten und Aquitaniern wurde eindeutig unterschieden. Der Begriff Gallien wurde als verbindendes Glied benutzt, hatte demnach nur eine administrative Bedeutung.

Und dennoch hat sich Caesars Begriff Gallien mit dem entsprechenden Inhalt Jahrhundertelang gehalten und für erhebliche Konflikte gesorgt. Die französischen Herrscher beriefen sich auf ihn und kämpften gegen Deutschland um den Rhein als Staatsgrenze. Und noch heute gibt es genügend Historiker, sowohl französische als auch deutsche, die den Rhein vor und während der Römerzeit als ethnische Grenze betrachten und alles, was links davon lebte, als keltisch bezeichnen. Die archäologischen Forschungen über die Zeit der römischen Eroberung sind bemerkenswert. Sie erlauben uns, ziemlich genaue Vorstellungen zur Lebensweise und Kultur der damaligen Bewohner zu entwickeln. Was sie nicht können, ist die Bestimmung ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Deshalb ist jede kritische Auseinandersetzung mit Caesars Werk zugleich mit einem dauerhaften Streit über die Rolle des Rheins als ethnische Grenze zwischen Kelten und Germanen verbunden. Darauf wird im nachfolgenden Text öfters Bezug genommen. Die Idee zu dem Buch „Rom kämpft um den Rhein“ entstand nach der Fertigstellung meines Buches: „Die Kimbern und Teutonen kamen nicht aus Jütland“. Bereits in dieser Arbeit rückte der niederrheinische Großraum in den Mittelpunkt meines Interesses. Dort siedelte ich die germanisch sprechenden Stämme, zusammengefasst unter der Bezeichnung Teutonen, an. Deren Kern bildeten die Eburonen und Sugambrer. Caesars Aussage über die Abstammung der Atuatuker von den Kimbern und Teutonen war eine wichtige Anregung.

„Belgica“, diese Bezeichnung Caesars, gilt für einen Verband, der sich aus mehreren Stämmen zusammensetzte, die sich von der Gemeinschaft, die sich Germanen nannte, abgrenzen ließ. Von den Germanen im Osten, Norden und Nordwesten umfasst, bildet Belgica eine Art Pufferzone zu den keltischen Stämmen. Caesar grenzt sie in Gebiet, Sprache, Einrichtungen und Gesetzen eindeutig von den Kelten ab. Die Belger waren eine starke Großgruppe im Nordwesten Europas, die von der Landschaft Champagne über die Picardie bis Artois reichte und im Norden den Hennegau einschloss. Ihre Lage am Kanal hatte dazu geführt, das sie sich auch hinüber nach Britannien bewegt und dort sogar gesiedelt hatten. Diese Lage und der relative Wohlstand der Region waren sehr bedeutend für Caesars Pläne. Eine neue Provinz bis an die Rhein erforderte die bedingungslose Unterwerfung dieses Großvolks. So entsteht eine zusammengefasste Darstellung der Geschichte des sieben Jahre dauernden Kampfes dieser Stämme gegen die Römer, in dem es um ihre Freiheit und Unabhängigkeit geht. Im Unterschied zu Caesars Buch, aus dem man sich stets in sprunghafter Weise die Ereignisse eines Stammes heraussuchen muss, entstehen übersichtliche Räume und Schauplätze mit den kontinuierlichen Handlungen der darin lebenden Bewohner.

Diese Geschichte ließ jedoch während der Bearbeitung viele Lücken, Widersprüche und Zweifel in den Handlungen und deren räumlicher Einordnung aufkommen. Es musste versucht werden, diese zu Lücken schließen, aufzuheben und zu entschärfen. Besondere Untersuchungen und Berechnungen wurden erforderlich, um die geografischen Räume annähernd nachzubilden, in denen sich die Handlungen vollzogen. Auf das Mittel, frei zu erzählen, was nicht belegt werden kann, wurde überwiegend, aber nicht ganz verzichtet. Der Neigung, die historischen Vorgänge nicht nur in der Sichtweise Caesars niederzuschreiben, sonder mehr auf die der Betroffenen einzugehen, wurde nachgegeben. Das ist durchaus ein schwieriges Unterfangen. Was Caesar überliefert, ist bereits eine Mischung aus Tatsachen und Wunschvorstellungen. Nur selten stellt er die Gegner vor oder lässt sie zu Worte kommen. Deren Ansichten und Handlungen können nur sichtbar gemacht werden, wenn man aus Caesars Schrift die Reaktionen auf seine Aktionen spiegelt. Es wurden teilweise Ergänzungen eingefügt, deren Inhalte nur eine vage Annäherung an die Wirklichkeit sein können.

Caesar plant eine neue Provinz Gallien

Westeuropa am Ende des Jahres 58 v.Chr.

Im Teil I des Buches „Rom kämpft um den Rhein“ wurde beschrieben, wie sich der Statthalter von Gallia Transalpina, Gaius Julius Caesar, unter einem fadenscheinigen Grund das Recht herausnahm, zum ersten Mal mit einem Heer die Nordgrenze der Provinz zu überschreiten. Er fiel in das Stammesgebiet der Sequaner ein und eröffnete dort einen Krieg gegen die Tiguriner (von ihm Helvetier genannt), der sich auch in das Stammesgebiet der Haeduer hineinzog. In der Schlacht nahe Bibracte, dem Hauptort der Haeduer, besiegte er die Tiguriner und ihre verbündeten Stämme. Doch zog Caesar es vor, nach diesem Sieg das Land der Tiguriner weder zu besetzen noch zu unterwerfen. Er verzichtete auch auf Tribute und andere Verpflichtungen. Offensichtlich genügte es ihm, diesen starken Stamm hinter dem Jura zu wissen und ihm sein Einflussgebiet an der Saône genommen zu haben.

Dieser Fluss verlängert ab Lyon (Lugdunum) die von Nord nach Süd fließende Rhone entlang der wichtigsten Nord-Süd-Verkehrsachse Westeuropas. Zwischen dem Stammesland der Haeduer und der römischen Provinz bestand nunmehr eine feste und gesicherte Verbindung auf dem Wasser und zu Lande und die Stämme der Sequaner und Lingonen gerieten unter römischen Einfluss.

Im Teil I wurde weiterhin dargelegt, dass sich Caesar mit dem Erreichten nicht zufrieden gab. In seinen Überlegungen bildete der Zugang vom Oberrheintal zum sequanischen Stammesgebiet über den wichtigen Fernweg, der von dort entlang des Doubs zur Saône und Rhone führte, einen Unsicherheitsfaktor. Dieses Gebiet wurde von dem swebischen König Ariovist (so von den Römern betitelt) beherrscht. Seit 71 v.Chr. hatte dieser mächtige Mann die Sequaner und Averner darin unterstützt, sich gegen die Vorherrschaft der Haeduer zu wehren und 61 v.Chr. in einer bedeutenden Schlacht diesem Drängen ein Ende gesetzt. Seitdem mussten sich die Haeduer verpflichten, Tribute an die Sieger zu zahlen und dies durch Geiseln, die bei den Sequanern verblieben, bekräftigen. Zum Zeitpunkt, als Caesar in den Stammesgebieten der Sequaner und Haeduer gegen die Tiguriner kämpfte, hielten sich keine Sweben mehr dort auf. Dennoch stürzte er den Fürsten der Haeduer, Dumnorix, der sein Gegner war, und setzte dessen romtreuen Bruder Diviciacus als neuen Fürsten ein. Mit diesem Mann heckte er den Plan aus, Ariovist anzugreifen. Der Grund, den er dafür anführte, die Tyrannei des Sweben über die Haeduer, war eigentlich mit der Ernennung Diviciacus als neuen Herrn dieses Stammes aufgehoben worden. Doch konstruierten sie alle möglichen zweifelhaften Vorwürfe für einen Kriegsgrund gegen Ariovist und fielen in das Land der Triboker, einem seiner Klientelstämme, ein. Selbst die Verhandlungen dort zwischen Caesar und Ariovist waren nur noch ein vorgetäuschtes Manöver, in dem er erkennen wollte, ob er die Sweben und ihre Verbündeten als unterlegen einschätzen und deshalb besiegen könne. Caesar zwang schließlich Ariovist, der immer wieder versuchte, dem Krieg auszuweichen, zur Schlacht. Ariovist verlor sie. Diese militärische Schwächung war dem Römer wichtig. Gleichzeitig musste er erkennen, dass seine Kraft nicht ausreichte, die swebischen Stämme am Rhein zu unterwerfen. So zog er sich nach dem Sieg schnell ohne Geiseln, ohne Tributforderungen, ohne Zwang zu Aufgeboten zurück in das Land der Sequaner. Die Vogesen betrachtete er von da an als Grenzgebiet zwischen seiner und Ariovists Einflusssphäre. Caesars Erwerbungen 58 v.Chr. sind in Abb.1 dargestellt.

Abb.1 Caesars Eroberungen keltischer Gebiete 58 v.Chr. und die Ziele 57 v.Chr.

Caesars Eroberungspläne 57 v.Chr.

Im Herbst 58 v.Chr. zog sich Caesar nicht in die Provinz zurück, nachdem er die Verhältnisse bei den nördlichen Nachbarn in seinem Sinne geklärt hatte, obwohl das Anliegen des Senats, lediglich Freunde des römischen Volkes vor Angriffen Fremder zu schützen, scheinbar erfüllt war. Doch Caesar hatte für fünf Jahre ein Kommando und war nicht bereit, dieses vorzeitig abzugeben. Er verbrachte den Winter in Gallia Cisalpina, einer Provinz, die er ebenfalls als Prokonsul verwaltete. Dort weilte er nicht, um an seinen „Commentarii de Bello Gallico“ zu schreiben, sondern um sich auf einen neuen Feldzug vorzubereiten. Im milden Klima Oberitaliens, noch trunken vom Erfolg gegen die Sweben und Tiguriner, überrascht von der Unterwürfigkeit der gallischen Stämme der Sequaner, Lingonen und Leuker, entwickelte er den Plan über die Ausweitung seiner neuen Provinz.

Längst hatte er sich mit Männern umgeben, die ihm die notwendigen Informationen über die Geografie, Völker, Stämme, Sprachen, Gesetze, Einrichtungen, Beziehungen und Führungspersönlichkeiten verschafften. Es dürfte nicht zu vermessen sein, sich Caesar vor einem großen Plan stehend vorzustellen, wie er vom Genfer See über den Rhein eine rote Grenzlinie bis zu dessen Mündung in die Nordsee zog und diesen Raum als sein neues Gallien bezeichnete. Der weitaus größte Teil dieses Territoriums wurde von Farbflächen bedeckt, die als Stammesgebiete der Kelten ausgewiesen waren. Im Süden setzte sich das Gebiet der Aquitanier und im Norden das der Belger davon ab. Die Gebiete der Kelten bezeichnete er als „eigentliches Gallien“.

Sein erster Vorstoß in das neue Land zeigte einen Pfeil entlang der Saône und des Doubs in Richtung des Rheinknies. Die Siege über die Tiguriner und Sweben im vergangenen Jahr bescherten ihm auch die beiden Stammesgebiete der Haeduer und Sequaner, die er als Protektorate Roms behandelte. In Besançon hatte er ein Verwaltungszentrum gegründet und es mit Winterlagern unter General Labienus gesichert. Diese militärische Macht bedrückte die unmittelbaren Nachbarn, die Lingonen und Senonen so sehr, dass sie keinen Widerstand gegen die Römer wagten.

Caesar musste abwägen, ob ein zweiter militärischer Vorstoß gegen die noch nicht unterworfenen keltischen Stämme gerichtet sein müsse. Die Nachrichten aus dem Hauptquartier in Besançon nahmen ihm diese Sorge. Sowohl die Lingonen als auch die Leuker, die nördlichen Nachbarn der Sequaner, zeigten sich unterwürfig. Das Bündnis der haeduischen Koalition, das bis in das Herz der Kelten reichte, und die Biturigen, Senonen und Parisier umfasste, hielt zu ihm und das bestärkte seinen Eindruck, dass er alle keltischen Gebiete bereits ohne Kampf unterworfen habe.

Deshalb richtete er sein Augenmerk auf die Belger, die nördlichen Nachbarn des eigentlichen Galliens (liber II, 3,2). Diese Stämme würden sich nicht kampflos ergeben wie die Kelten, so glaubte er. Dorthin müsse er mit all seiner militärischen Macht ziehen und die Eroberung der restlichen Gebiete bis zum Rhein vollenden. Schließlich stimmte er sich über dieses Ziel mit Labienus in Besançon ab und veranlasste, um ganz sicher zu gehen, die Aushebung von zwei neuen Legionen in seiner italienischen Provinz. Er gab ihnen die Bezeichnung XII und XIII. Jetzt konnte er dem ersten Pfeil zum Rhein weitere hinzufügen, die von Besançon und von Bibracte nach Norden zeigten, an die Marne. Die Fernwege für die Märsche waren vorhanden und gut ausgebaut. Jetzt galt es, die Versorgung der Truppen und ihre Ausrüstung zu sichern. Diese Aufgabe übertrug er Labienus. Eine offizielle Erklärung über einen Krieg gegen die Belger und dessen Gründe gab es nicht.

Caesars Kriegsgründe

Nach den Gesetzen der römischen Republik hatte Caesar keinen Grund, gegen die Belger einen Feldzug durchzuführen. Er formulierte ihn auch nicht. So wie bereits im Jahr 58 v.Chr. geschehen, ließ er auch diesmal eine andere Person für sich sprechen. Damals war es Diviciacus, der Haeduer, diesmal war es Labienus, sein wichtigster General und Stellvertreter. Der schrieb ihm angeblich:

Abb.2 Das Gebiet der Belger zwischen Germanen und Kelten

„…alle Belger, die wir als den dritten Teil Galliens bezeichnen, unternähmen eine Verschwörung gegen das römische Volk und tauschten Geiseln aus.“ (liber II, 1, 2)

Titus Labienus war ein treuer Anhänger Caesars und folgte ihm in den Krieg gegen die keltischen, belgischen und germanischen Stämme. Mit 32 Jahren übernahm er als Legat die Führung einer Legion und in Abwesenheit Caesars die des gesamten Heeres. Als hervorragend operierender Offizier erwarb er sich großen militärischen Ruhm und zugleich Reichtümer in den eroberten Landstrichen. Labienus formulierte für Caesar den Kriegsgrund: einen Aufstand der Belger gegen das römische Volk, d.h. er hatte die noch freien Belger bereits zu römischen Untertanen erklärt.

Caesars Feldzug gegen die Tiguriner und Sweben 58 v.Chr. konnte, wenn auch sehr zweifelhaft, immerhin noch damit begründet werden, dass ein Verbündeter Roms zu schützen seine Pflicht war In diesem Fall die Haeduer. Doch welcher Verbündeter Roms wurde von den Belgern bedroht? Dieser Stammesverband lebte mindestens 400km, getrennt durch große Gebiete der keltischen Stämme, von der nördlichen Grenze der Provinz Gallia Transalpina entfernt. Niemals wären Belger auf die Idee gekommen, einen Feldzug gegen das römische Volk zu unternehmen, besonders angesichts der Niederlagen solch berühmter Feldherren wie Divico und Ariovist. Caesar hatte, so zeigt es seine ungeschminkt platte und hohle Formulierung von einem Aufstand der Belger gegen Rom, keinen Grund, einen Krieg zu führen. Einzig sein Ehrgeiz, durch Krieg Ruhm und Macht zu erlangen, trieb ihn an. Das Fundament für diese Triebe legte er 58 v.Chr. mit der Unterwerfung der Sequaner und Haeduer, mit der Ergebenheitserklärung der Lingonen und Leuker und mit seiner Idee, eine neue Provinz zu schaffen.

Diese gedankliche Schöpfung einer neuen Provinz Gallien bot ihm die Möglichkeit, sie zeitlich und räumlich nach Belieben auszuformen. Er musste nicht sogleich alle Gebiete erobert haben, ehe er sie formal durch Senatsbeschluss in einer Provinz zusammenfassen würde. Nein, allein deren Bestehen in seinem Kopf genügte, alle kommenden Handlungen, die sich in der Realität dagegen stellten, als Aufruhr oder Aufstand gegen die befreundeten Haeduer und damit gegen Rom, einzustufen und militärisch einzugreifen. Wie sollte man sonst erklären oder begründen, dass er im Jahr 57 v.Chr. mit einem Krieg gegen die Belger begann, weil diese einen „Aufstand“ planten. Im Allgemeinen wird von einem Aufstand nur gesprochen, wenn sich ein Volk, ein Stamm, eine Gruppe gegen eine bestehende Herrschaft erhebt. Die Belger wurden zu Caesars Zeit von keiner fremden Macht beherrscht, noch längst nicht von Römern. Gegen wen sollten sich diese unabhängigen Stämme demnach erhoben haben? Sie rüsteten ganz selbstverständlich zur Verteidigung ihrer Unabhängigkeit auf, nachdem sie von den Feldzügen in den Gebieten südlich der Seine und Loire gehört hatten. Ihre engen Beziehungen zu den keltischen Nachbarn ermöglichten weite und umfassende Informationsströme von dort in die belgischen Lande.

Was unternahmen die Belger?

Caesar nennt das, was die Belger im Winter 58 v.Chr. bis 57 v.Chr. taten, eine Verschwörung gegen das römische Volk. So absurd diese Darstellung auch sein mag, gab es doch Bewegungen in diesem Stammesverband, die man als Ertüchtigung und Erhöhung der Wehrfähigkeit bezeichnen könnte. In aller Offenheit rüsteten sie zur Verteidigung ihrer Lebensräume gegen einem vorauszusehenden Angriff der Römer. Nachdem sie erleben mussten, wie sich die keltischen Stämme unterwarfen, sie aber dieser Haltung nicht folgen wollten, ahnten sie, dass Caesar sie aufsuchen und gewaltsam niederwerfen würde. Caesar formulierte das so:

„Erstens fürchteten sie, nach der Unterwerfung ganz Galliens (er meint an dieser Stelle das „eigentliche Gallien“) könne unser Heer auch zu ihnen kommen; zweitens würden sie von einigen Galliern aufgehetzt, und zwar von solchen, die keine Germanen länger in Gallien dulden wollten, doch ebenso empört waren, dass das römische Heer dort überwinterte und sich einniste;…“ (liber II, 1,3-4).

Aus diesen Texten spricht kein Wort der Achtung gegenüber Völkern, die bisher in Freiheit gelebt hatten und nun versklavt werden sollten. Die wahren Gründe für die Rüstungen bei den Belgern wollte er nicht sehen oder einfach nicht beim Namen nennen. Caesar erwartete, dass die belgischen Stämme allein beim Anblick seiner ungeheuren Massen an Soldaten ohne Gegenwehr die Unterwerfung anböten.

Inzwischen war bekannt geworden, dass, wer dieses Angebot an Caesar unterbreitete, für immer seine Souveränität und Unabhängigkeit, seine Lebensweise, seinen Besitz und seine Freiheit aufgäbe. Der überwiegende Teil des belgischen Stammesverbandes wollte das nicht. Und das hieß, sich zu verbünden und zu verteidigen, um in Freiheit zu überleben.

Denn was hieß das, sich den Römern freiwillig zu unterwerfen? Das bedeutete folgendes:

Sich dem römischen Volk auf Gnade und Ungnade zu ergeben;

Allen Bündnissen und Verschwörungen gegen Rom zu entsagen;

Geiseln zu stellen;

Unbedingten Gehorsam zu leisten;

Alle Städte und befestigten Anlagen kampflos zu öffnen;

Korn und sonstigen Nachschub zu liefern;

Dienst der wehrfähigen Männer in römischen Hilfstruppen zu leisten.

Caesars Politik gegen die Kelten und Germanen am Rhein schweißte die Belger zusammen und veranlasste sie zu gemeinschaftlichem Planen und Handeln.

Was waren das für Stämme? Welche bildeten den Stammesverband? Bevor auf den Zusammenstoß zwischen Belgern und Römern eingegangen wird, soll dieser ethnische Verband näher beleuchtet und erklärt werden.