Polly Adler

POLLYWOOD

Polly Adler

POLLYWOOD

und andere Geschichten
aus
dem Chaos der Liebe

Mit einem Vorwort von
Werner Schneyder

Der Verlag und die Autorin danken Claudia Molitoris, Manfred Klimek und Philipp Horak für die Fotos und die Gestaltung des Umschlags.

Besuchen Sie uns im Internet unter:
http://www.amalthea.at

Für Stella,
die immer an den richtigen Stellen lacht

Inhalt

Hormonelle Ausweglosigkeit Ein Vorwort von Werner Schneyder

Schluss mit lustig Eine Betriebsanleitung

1. Fresh Hell

Dear Problem-Lady!

Neigungsgruppe »La vie en rose«

Ins Türl, Blindgänger!

Das Testosteron-Striezelchen

Gladiator, kussfest

Die Geweihallergie der Ausdruckskünstlerin

Ihr lieben Männer!

Psychopathologie des Alltags

Vagina-Dialoge

Geringe Ausgeburten

Job-Description Klagemauer

Sechsspännig ins Armenhaus

Wege zum Glück

Stressfaktor Sex

Amour fou ohne Hoffnung

Das Millionen-Ding

Sozial mausetotes Gebiet

Der Tragöde in Tweed

www.awfulplasticsurgery.com

Mega-uncool

So lieb mit Lea

Der Gebärvater

Mickeys Empire

Soulmate-Sorbets

Murmeln mit Mutter Erde

Die Kartenmaus

Bitte eine Erdspalte!

Die Kammer des Schreckens

Nordkoreanische Dunkelhaft

Mein Rampenferkelchen

Rock ’n’ Roll in kleinen Dosen

Dämonen der Finsternis

Posttraumatisierte Stress-Disorder-Pandabären

Ein Ego wie das »Ambassador«

Der Mann mit dem Schoß

Lob der Echofrauen

Metrosexualität für Kinder

No sex, please

Innsbruck oder Kingshasa?

2. Das Nougatauge

Bestechendes Augenmaterial

Keine Rezeptecke in der »Spatzenpost«

Nicht in dich, du Depp

Urlaub von der Seele

Anna Karenina an Gummibärchen

Catch me, if you can

Angst vorm beige sein

Schützenparanoia

Tierkreiszeichen Nudelaug’

Loslassen ist nicht

Zickenalarm

Starke Schwächeanfälle

Vertschüss’ dich, Verstand!

Der Nuttenbrause-Karli

Nougats bis zum Abwinken

Ich Ulkschätzchen

Romantische Höllen

Masochismus hin und her

Der »Oil of Olaz«-Club

Duftkerzenparanoia

Abrüstungsmanöver

Das Leben, ein Überraschungsei

Der Fluch der Toskana

Gelassenheit im Handgepäck

Kein Sommermann

3. Pollywood oder Fahrten ins Blaue

»Hallô les gazelles!«

Kampftrinken mit einem Kosakenchor

Leicht belämmert

Divasein, aber richtig

Kir loyal auf Tanja

Ausdruckstöpfern

Nur Idioten sind glücklich

Die Extra Vergine-Gesellschaft

Bin ich Ihnen zu viril?

Das Herz, ein Einschusstrichter

Oiiiiiwe!

African Queen

S & M der Gefühle

Klirrendes Schweigen

Sex auf der »Titanic«

Pollywood

Schalömchen!

Last Exit Bullerbü

Knabbernossi-Gänge

Mein Freund Harvey

Das Pesto-Inferno

Fahrten ins Blaue

4. Sackhüpfen im Tretminenfeld der Liebe

Tod dem Mohair-Pullover

Schleusen auf!

Vor lau graut mir

Zu nett für’s Bett

Very Blind Date

Der ungarische Patient

Come home, stupid bitch!

Cyrano … verzweifelt gesucht

Eine Art sexuelles Paris

Im Fadenkreuz von uninspiriertem Lachs

Was ist schon Gerechtigkeit?

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Die freien Radikale

Ein Mann wie ein russisches Zinshaus

Alles supa im Bett?

Österreich ist frei!

Acht Hausfrauen aus Neulengbach

Eclairtant

Ein devoter Fußabstreifer

Ex-zesse

Völlig gaga

Unrasierte mater dolorosa

Der Cola-Light-Mann

Hotel Sally

Kommt nicht zu spät!

Hauptsache, du bist unglücklich

Raus aus der emotionalen Marktwirtschaft

Urvollepeinlich

Das Schicksal hat ein Burn-out

Reif für die Falschen

Glück ohne Rabatt

Guter Plan, sehr guter Plan

Hormonelle Ausweglosigkeit

Ein Vorwort von Werner Schneyder

Vor Jahren, als die »Zeitgeist«-Magazine über uns hereinbrachen, las ich darin den fiktiven Brief einer jungen Frau an ihre Freundin, in dem sie dieser abriet, die Beziehung zum Derzeitigen jetzt schon abzubrechen. Ob sie sich denn das wieder antun wolle, fragte sie die Freundin, dass ab morgen wieder dieser oder jener von ihr herunterrolle und dann wissen möchte, ob es ihr »ein bisschen Spaß« gemacht hätte. Mich frappierte die heitere Unverschämtheit der Autorin schon damals, die Leichtigkeit, die Ironie im Umgang mit der hormonellen Ausweglosigkeit.

Mittlerweile kenne ich nicht nur die Autorin persönlich, sondern auch ihr Geschöpf »Polly Adler«, ausersehen, alle Malaisen rund um die Liebe zu erleben, zu kennen, in ihrer gnadenlosen Komik darzustellen.

Liebe, oder das, was man gefährlich vereinfachend so nennt, wird ja pausenlos und vielfältig beschrieben. Das beginnt mit der Wissenschaft, das geht weiter über die Beziehungstragödien und -schnulzen in Wort und Bild, über nobelpreiswürdigen Geschlechterhass bis zu den widerwärtigen Stereotypen des Boulevardtheaters.

Verspottet wird Liebe selten, schon gar nicht mit Liebe, mit Mut zur Ausführung der erotischen Clownerie. Als deren Modelle wir uns wohl alle eignen.

Wir sind bei Polly Adler. Sie steht nicht für die – durchaus diskussionswürdige – These, dass Frau und Mann nicht zusammenpassen. Polly Adler erleidet – mit welchem Genuss auch immer –, dass Frau und Mann zu gut zusammenpassen, zueinander gezwungen sind. Mit allen dargestellten Nuancen.

Ich beneide die Schöpferin der Polly Adler nicht. Denn sie muss viel erlebt haben, eben auch Schmerzliches, um diesen scharfen Blick für Illusionen, irrige Träume, programmierte Reinfälle zu schulen. Man könnte sich als Leser schrecken, wie der Medizinstudent beim ersten Leichenzerschnipseln. Wenn’s nicht so lustig wäre.

Aber das muss ich doch anmerken: Ich lese aus den Polly-Adler-Episoden auch Traurigkeit heraus, Sehnsucht nach der Möglichkeit von Partnerschaft, in der alles anders ist. Aber wie sollte die aussehen? Wie zustande kommen? Welches Bild kann man sich von Polly Adler machen?

Das ist eine subjektive Entscheidung. Für mich ist sie attraktiv – nicht im Sinn von Hochglanz – überarbeitet, karrieregeil, modebewusst, genusssüchtig und wahnwitzig weiblich. Über ihr Vorleben möchte ich nichts vermuten. Nach dem, was die Autorin von ihr preisgibt, wäre das auch müßig bis albern. Garderobe und Make-up der Polly Adler sind ganz im Stil ihrer Erfinderin. Das ist unverfänglich. So kann ihr nichts passieren, wenn sie zugibt, verknallt zu sein.

Wien ist reich an Menschen, die »Schmäh führen« können, denen Pointen und Wortwitz im Café, beim Heurigen, auf der Straße nur so rausrutschen. Zu diesen Personen gehört die Autorin. Aber sie gehört eben auch zu den ganz wenigen, deren Schmäh den Transport ins Manuskript überlebt. Ohne Produktionsverkrampfung. Ohne Reibungsverlust.

Für einen Mann wie mich, der zur Pose neigt, ist das Polly-Adler-Panoptikum eine böse Lektüre. Denn was könnte man sich, wenn da alles so zu durchschauen ist, noch trauen? Jede Wortwahl in Extremsituationen, jede Färbung des Stimmtimbres, jede noch so elegante Lüge ist der Autorin bekannt.

Wäre es in meiner Biografie vorgesehen gewesen, die Dame einmal ernsthaft und so heiß wie möglich anzuflirten, wie oft wäre ich in Polly Adler-Geschichten vorgekommen? Beim bloßen Gedanken an diese Gefahr bricht mir im Nachhinein der Schweiß aus.

Ich beschließe hiermit, mich zu erkundigen, wie es Frauen bei der Lektüre ergeht. Dass sie über die Entblößungen der Männer lachen, versteht sich. Ob sie über die Frauen so ohne weiteres lachen können, mag ich nicht ganz glauben. Zu oft müssten sie sich ertappt fühlen. Sie haben wohl nur die Chance der Schadenfreude, dank der Annahme, es handle sich ja immer nur um die anderen. Was Männer betrifft, fühle ich mich befugt, einen Rat zu geben: Freunde, haltet euch von Polly Adler fern! Es ist imagemäßig existenzgefährdend, ihr zu nahe zu kommen. Ich empfehle nur, sie zu lesen.

Da kann einem nichts passieren.

Außer, dass man lachen muss.

Oft und sehr.

Schluss mit lustig

Eine Betriebsanleitung

Da saß sie, mitten am Tag in der U-Bahn, dieses bezaubernde Frauenzimmer und hielt mein kleines Bändchen in der Hand. Sie sah gut aus, schlank, dynamisch, astreines Jeansjäckchen, sicherlich bestens situiert in einem schick-zackigen Gewerbe, aber trotz allem ein warmherziger Mensch geblieben. Pilgramgasse, Kettenbrückengasse – kein Lacher, nicht einmal ein Anflug. Noch schlimmer: gelangweiltes Blättern. Knapp vor der Einfahrt Karlsplatz bohrte mir diese von mir eingangs so überschätzte Weibsperson eine eherne Lanze in meine empfindlichste Seelenzone – Eitelkeit heißt die Kanaille –, indem sie enerviert den Kopf schüttelte. Dann seufzte sie. Und zwar nicht zu kurz. Da verabschiedete sich meine Contenance.

»Kein gutes Buch?«, sagte ich in diesem von mir so verhassten Pieps-Timbre, das sich meiner stets in Krisen bemächtigte. »Na ja, …« »Das soll aber sehr lustig sein …«, entblödete ich mich jetzt nicht. »Geh’ bitte … immer desselbe.« »Um was geht’s denn?«, Arnie Schwarzenegger hätte in diesem Fall den Ang Lee-Filmtitel »Eat drink man woman« launig zum Einsatz gebracht. Aber der große Staatskünstler weilte leider im sonnigen Kalifornien. »Oberflächliches Zickenzeugs«, merkte meine Neo-Feindin an, »ich sag Ihnen was diese … wie heißt die Tante?« »Adler, Polly Adler.« »So heißen doch nur Papageien …« »Ich kenn’ keinen einzigen Papagei, der Adler heißt …« »Polly, es geht um Polly. Wurst. Also, wenn Sie mich fragen, braucht die nur eines …« »Ja?« »Ein Mannsbild und zwar ein g’standenes.« »Sind das die, die zwar bestellt, aber noch nicht nachg’liefert sind?« »Haha. Sie haben ja Humor!« »Immer wieder …« »So ein Mann würd’ der die Wadeln ordentlich nach vorne und dann … na ja … dann wär’ Ruhe im Bau.« »Und Schluss mit lustig?« Sie überflog mich prüfend mit ihrem Natternblick: »Sie werden’s auch noch billiger geben.« »Niemals«, piepste ich, »selbst wenn es mich teuer zu stehen kommt.« Letzter Dialog skizziert den Zugang zum Leben, das diesen Texten zuvor ging, kurz und grausam.

Und dann geht es in »Pollywood« noch darum, dass es in der Liebe wie beim Boxen ist. Man kann noch so viele frontale Haken verpasst kriegen, noch so oft den Boden unter den Füßen verlieren und die Sterne singen hören … aus irgendeinem Grund rappelt man sich dann doch immer wieder hoch und brüllt: »Hey, Leben, was hast du jetzt für mich in petto? Ich bin nämlich bereit für die nächste Runde!«

Dass Sie diesmal neben den Kolumnen auch Kurzgeschichten finden hat a) damit zu tun, dass das Leben zu kurz ist, um einen Roman zu schreiben, und b) neue Genres Vitaminstößen gleichkommen. Tun Sie mir noch einen Gefallen: Lachen Sie mir ein bisschen!

Ganz die Ihre
Polly Adler

1. Fresh Hell*

Ich schwor mir, mich nicht zu bessern. Und alle Fehler noch einmal zu machen, wenn ich könnte. Nur vielleicht noch ein bisschen früher.

Nichts lässt einen so alt aussehen wie das ohnehin zum Scheitern verurteilte Bemühen, jung zu bleiben.

Man fragt sich, wo sich meine Seele im früheren Leben so rumgetrieben hat. War ich a) Kleopatras G-String, b) Stalins Schnauzbart oder einfach nur c) eine rotzfreche Neandertalerin, die sich beim Beerensammeln häufig gehen ließ?

Es ist immer wieder Himmel-de-luxe, auf’s Neue zu entdecken, was man sich gerade bemüht hat, zu versäumen. Oder so ähnlich.

Dann seufzte er und sagte: »Women, they still keep me confused, but on a much higher level.«

* Mit der Frage »What fresh hell is this?«, pflegte die New Yorker Schriftstellerin Dorothy Parker, in vorauseilender Panik, ihr Telefon zu beantworten.

Dear Problem-Lady!

Ich habe auf meinem lachhaften Balkon einen Kräutergarten angelegt. Ich gehe regelmäßig schwimmen, um Rückenschmerzen vorzubeugen. Ich bin entsetzt, dass Peter Gabriel bei einem Fernsehauftritt wie ein glücklicher Vorsorge-Rentner wirkt. Mit so einer Kugelglatze. Andererseits war »Genesis« schon immer eine ziemlich uncoole Popgruppe. Vielleicht sehe ich auch schon so ähnlich aus. Minus der Vorsorge natürlich. Nur wagt keiner, es mir zu sagen.

Dear Problem-Lady! In jedem Fall mache ich jetzt an Wochenenden so Sachen wie Ausflüge auf’s Land mit lieben Freunden und lasse den Tag bei einer Weinprobe ausklingen. Diese lieben Freunde erzählen mir häufig von ihren physischen Problemen. Gicht, Arterienverkalkungen, etc. Man tauscht Adressen von Ärzten aus. Früher hatte man keine lieben Freunde, sondern Waffengeschwister für Exzesse aller Art. Noch bin ich keine Hundehalterin und besitze keinen Kombi. Noch bringe ich bei Karaoke-Veranstaltungen nicht »I did it my way« zum Vortrag. Aber viel fehlt nicht. Ich studiere die Sonderangebote in den Postwurf-Sendungen. Ich habe olle Silberrahmen auf meinem Kaminsims drapiert.

Dearest Problem-Lady! Verspießere ich mir unter der Hand? Darf ich mich ob dieser superuncoolen Attituden überhaupt noch ein bisschen gerne haben? Ist es jetzt wirklich Zeit geworden, erwachsen zu werden? Was sagen Sie da? »Wahre Coolness hat vor allem mit Gelassenheit zu tun …« Dear Problem-Lady, danke für diesen Satz, der mich auf dem steinigen Pfad der Erkenntnis ein ganzes Stück weiter gebracht hat. Schließlich wäre es ziemlich ungelassen, in meinem Alter in einem »Barbie-is-a-slut«-T-Shirt auf Kaschemmen-Tischen zu tanzen. Ich werde dieses T-Shirt sofort in den Humana-Container schleudern, großes India-nerinnenehrenwort, aber zwischendurch dem Leben noch immer ein ganz klein wenig die Zunge herausstrecken. »Es kommt immer auf die richtige Mischung an«, sagte schon der Barkeeper meines Vertrauens.

Neigungsgruppe
»La vie en rose«

Müssen Sie auch manchmal weinen, wenn Sie Krautfleckerln sehen? In jedem Fall machte mich das Tupperware voller Krautfleckerln, das am Morgen des Tages, an dem man mir schon wieder ein Jahr gestohlen hatte, auf meiner Computertastatur in der Redaktion stand, ziemlich rührselig. So war sie eben, die einzigartige A, ein empathisches Feuerwerk.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, meine Krautfleckerln wie ein Pentagon-Cerberus zu bewachen und mich im Ausdrucksrepertoire des freudigen Erstaunens zu üben. Nachdem mir nämlich drei Menschen herrischen Tones auf die Mailbox gekläfft hatten, dass ich mir gefälligst an diesem Abend nichts vorzunehmen hatte, ließ ich schon einmal beim Konditor meines Vertrauens eine Torte mit der Aufschrift »So eine Überraschung!« anfertigen.

Abends lockte mich BB in ihr Schuhlager mit Wohnmöglichkeit. Plötzlich hüpften zwanzig Menschen rotnasig aus der Kälte der Terrasse. Aus den Boxen schmetterte Jack Nicholson »La vie en rose«. Und dann brüllten sie alle: »Wir lassen dich fliegen, Polly, und zwar nach Paris!« Aus war’s mit meiner Fassung! Denn ich dachte daran, dass solche kunterbunten Wahlfamilien ein wahrer Luxus sind. Und dass diese »Uns-bleibt-immer-noch-Paris«-Neigungsgruppe nicht nur für Frivolitäten wie Paris, sondern auch für nächtliche Autopannen, Burn-out-Melodramoletten, Liebeskummer ersten Grades und sonstwas taugt. Und dann tanzten wir Ringelreiha zu »Forever young«; sangen »Müssen nur wollen« von »Wir sind Helden« und D spreizte ihren kleinen Finger gekonnt vom Weinglas, um zigfach zu zirpen: »Ich sag’s ja immer Kinder, Hände weg vom Alkohol!«, und D 2 schrie: »Ich bin nicht sexuell frustriert, sondern nur romantisch!«

Als ich Tage später wieder erwachte und mich daran erinnerte, dass irgendwo in dieser Stadt noch ein Kind einzusammeln war, schwor ich mir, mich nicht zu bessern. Und alle Fehler noch einmal zu machen, wenn ich könnte. Nur vielleicht noch ein bisschen früher.

Ins Türl, Blindgänger!

Statt »Tor, Tor!«, oder »Ins Türl, du Blindgänger«, brüllten wir »Feeeeesch!«, oder »Aber halloooo!« Die Fußball-EM taugte eben auch für die Nicht-Testosteron-Fraktion zur psychohygienischen Ventilisierung von angestauten Emotionen. Das Gros der Wadenkönige sah in der Regel so aus, dass eine Nonne dafür über die Klostermauer kraxeln würde. So gesehen hatten die Ballschlachten für uns die Funktion von Softpornos.

Eigentlich waren diese Damenabende ja aus machiavellistischen Motiven ins Leben gerufen worden. Networking, Sie verstehen. Männer hatten sich nach diesem Prinzip der Zusammenrottung über Jahrhunderte das Land aufgeteilt. Unter uns: Wir Mädels waren in dieser Disziplin noch mehr als ausbaufähig. Mich zum Beispiel interessierte Macht nämlich in etwa wie die Zeitung von gestern. Meine Dienstnehmerseele funktionierte wie die eines russischen Tanzbären: bekam ich Zucker, wurde ich übermütig; wurde die Peitsche ausgefahren, duckte ich mich zu Höchstleistungen.

Doch all das interessierte uns an diesem Abend sowas von nicht, denn irgendwann warf die Gastgeberin die Frage »Vaginal oder klitoral – welcher Orgasmus ist der hübschere?«, flockig ins Feld. »Den vaginalen kannst du nicht steuern«, erklärte die Historikerin der Runde, »penggg, der passiert dir einfach.« »Nicht steuern?«, konterte die Unternehmens-Saniererin, »Nein danke, das ist sicher nichts für mich.« »Also welcher kann jetzt mehr?«, wollte die junge Filmproduzentin von mir wissen »Sag’ schon!« »Worauf möchtest du nicht verzichten«, stellte ich eine Gegenfrage, »einen warmen Apfelstrudl vom Demel oder einen Sonnenuntergang in allen Pink-Schattierungen?« »Ich möchte beides.« »Siehst du. Da ist sie ja schon, meine Antwort.«

Alles in allem muss man sich vor Dankbarkeit krümmen, dass Männer kaum Ahnung haben, wie wir uns hinter ihrem Rücken benehmen. Denn sonst, da bin ich mir sicher, wäre die Menschheit schon ratzeputz ausgestorben. Mindestens.

Das Testosteron-Striezelchen

Drei Bürozimmer neben mir residiert ein Testosteron-Striezelchen, das zur Linderung eines kürzlich erlittenen Trennungsschmerzes auf einen einzigen Painkiller vertraut: Frauen. Irgendwie hat das muntere Testosteron-Striezelchen zwar die Hoffnung aufgegeben, alle Frauen auf diesem Planeten flachlegen zu können, aber es möchte sich später zumindest den Vorwurf ersparen, es nicht wenigstens versucht zu haben.

Dieses, ganz dem Kraus-Aphorismus »Geschlechtsverkehr ja, aber bitte keine Intimitäten« gewidmete Dasein, will das nachtaktive Kerlchen auch Querbeet bemurmelt wissen. Der Einfachheit halber wirft er morgens jetzt nur mehr Häppchen à la »Sofia, 27, Erleuchtungsstufe 3« oder »Xanadu, 33, streng aber herzlich« in die Menge. Nicht dass man dem Mann all den Eiweißabbau nicht gönnen würde, aber unlängst schrammte er nur knapp an Fünfstern-Grausamkeiten vorbei, als er mir am Gang zuflüsterte: »Ich spiele jetzt auch schon in deiner Liga. Evi, 49, aber hallo.« Ich dachte, die beste Rache ist es, sich auf das gleiche Niveau zu begeben und flüsterte: »Wie wär’s eigentlich, wenn du dich als Platzwart in Minimundus bewerben würdest? Meld’ dich einfach wieder, wenn du 20 Zentimeter gewachsen bist, dann können wir ja weiter plaudern.«

An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal bei all den prachtvollen 49-jährigen entschuldigen, die jetzt dabei sind, eine Fischvergiftung zu entwickeln, aber es geht hier nicht um 41, 38 oder eben 49, sondern um die Tatsache, dass Männer aus unersichtlichen Gründen der fixen Überzeugung sind, dass sie von jeglichen Reifungsprozessen verschont sind und ihre Würde nicht verlustig geht, wenn sie im Spätsommer ihres Lebens mit halben Autos, Tätowierungen, Feinripp-Tanktops und Frauen durchs Leben donnern, die Baudelaire für einen Badeort an der Côte d’Azur halten.

Denn nichts lässt einen so alt aussehen, wie das ohnehin zum Scheitern verurteilte Bemühen, jung zu bleiben.

Gladiator, kussfest

Ich malte mir die Lippen mit der Nummer 74 von Chanel aus. Der Lippenstift trug interessanterweise den Beinamen »Gladiator«. Früher führten die Dinger noch Untertitel wie »Schimmernder Haselnussnebel« oder »Verführung in Flammen«. Möglicherweise wollten die von Chanel sich bei der Zielgruppe der Alpha-Weibchen einfach nicht mehr lumpen lassen.

»Duhu«, sagte meine Tochter mit ihrer besten »Gianna-Naninni-hat-in-einem-Fass-Bourbon-genächtigt«-Stimme, »du, wie geht denn das?« »Was?« »Na, schau’: einerseits find ich’s recht cool, dass wir eine Abenteuerfamilie sind …« »Heißt was?« »Na, dass du abends immer unpünktlich nach Hause kommst, viele Freunde hast, die hier abhängen …« »Red’ bitte normal …« »Na ja, hier chillen und so. Dann möchte ich aber auch einmal ein bisschen so eine Spieß-Familie haben.« »Spießer …« »Mir doch egal … also ich möchte ein Haus mit Park, zwei Kinder und einen Mann, der mich fragt, wie mein Tag war. Geht das?« »Nur wenn du auch einen Abenteuermann ins kleine Glück boxen kannst.« »Wie erkennt man so einen?«

»Vor allem daran, dass er sich furchtlos auf das Abenteuer einlässt, dich nicht verändern zu wollen. Punkt zwei: Du machst was abenteuerlich Cooles und er ebenso, und dann kann man abends ruhig gemeinsam spießig sein.« »Bist du gerne manchmal spießig?« »Mit Hingabe. Letzten Samstag habe ich mir zum Beispiel Lavendel für den Wäscheschrank gekauft, ›The Hours‹ angesehen und zwei nette, unabenteuerliche Ehepaare zum Essen eingeladen.« »War’s sehr schlimm?« »Überhaupt nicht. Abgesehen davon, dass die eine Gattin nach einigen Getränken ständig den Satz ›An der Seite meines Mannes habe ich endlich meine Aufgabe gefunden‹ abgelassen hat.« »Vielleicht meint sie’s ja wirklich so.« »Dann sollte sie vor allem eines tun …« »Und zwar?« »Nicht drüber reden.«

Jetzt sah sie mich so an, dass eines sicher war: Der Lippenstift »Gladiator« musste sich um seine zukünftige Zielgruppe keine Sorgen machen.

Die Geweihallergie
der Ausdruckskünstlerin

Ich bin volle Kanne geehrt, dass diese allseits beliebte Kabarettistin Andrea H. mir ihr Schicksal so unvorsichtig auf dem Silbertablett serviert, indem sie mich zur Gestaltung eines Programms eingeladen hat. »Es soll lustig sein«, lautete ihre Auflage, »und man sollte es auch verstehen. Also nicht ganz so wie diese Kolumnen.« »Nema problema«, habe ich geträllert, »wir fahren gemeinsam auf’s Land, nur wir zwei, und dann tun wir ein bisserle brainsturmen und alles wird jut.«

Also Altaussee. Der Sommer zickt ja heuer in ganz Österreich, aber in Altaussee benimmt er sich wie eine menopausale Stummfilmdiva in voller Migräneblüte. Nach dem vierten Tag unablässigen Himmelgeflennes wurde die allseits beliebte Kabarettistin, die ansonsten auch nach Dienstschluss die Säle zum Scheppern bringt, von ziemlichen Stimmungseinbrüchen heimgesucht. Eine plötzlich auftretende Geweihallergie tat ihr Übriges. Ich glaube, die allseits beliebte Kabarettistin war der glücklichste Mensch, als sie wieder gen Wien aufbrach.

Ich, jetzt ganz allein. Schließlich hatte ich mir jegliche Besuche verboten, Schaffensdruck, etc. Während also der Rest der Welt an diversen Côtes auf Jachten herumtollte, grüne Drinks schlürfte und mit Sicherheit jede Menge einzigartigen Sex hatte, stieg ich mit meiner von bleigrauer Melancholie belasteten Kreativität in den Ring. Sollte ich mir beim ersten Trachten-schneider am Platz eine Schlinge aus handerbrochenem Leinen mit rosa Innenfutter anfertigen lassen, um all dieser Aussichtslosigkeit ein jähes Ende zu bereiten? Das Projekt war insofern zum Scheitern verurteilt, als dass auf dem Dachboden ein Siebenschläfer herumtapste, den ich unter keinen Umständen persönlich kennen lernen wollte.

Zwischendurch ereilten mich die hoffnungsfrohen Anrufe der allseits beliebten Kabarettistin, die immer mit der Frage endeten: »Und, wird’s auch lustig?« »Mindestens so lustig wie ein skandinavischer Problemfilm aus den Siebzigern«, antwortete ich ihr dann. Da lachte sie, denn Humor war ihr Geschäft.

Ihr lieben Männer!

»Und weißt du, wie die Herren Kleinkünstler über dich reden?«, sagte mein Freund F und schwieg bedeutungsvoll. »Na, wie denn?« »Na ja, so nach dem Motto: Wenn die Frau H und die Frau A ein Kabarett miteinander basteln, kann dem ja nur der pure Männerhass entsteigen.« »Ich will sie alle töten und zwar langsam.« »Ja ja, meine Liebe, etwas mehr Contenance. Dein Ruf ist nun einmal, na ja … aber lassen wir das.«

Ich rief Frau H an, die Ausdruckskünstlerin meines Vertrauens, und brüllte: »Weißt du, wie fies deine Gauklerkollegen sind?« Sie signalisierte das radikale Gegenteil von Erregung, um nicht zu sagen buddhistisches Desinteresse: »Geh bitte, der! Vergiss den! Dass ich Männerhasserin bin, hör’ ich schon seit der Zwischenkriegszeit. Mich regt das überhaupt nicht mehr auf.« »Mich schon. Ich liebe Männer, also nicht alle, aber doch einige, zumindest hab’ ich … aber ist ja wurscht. Nur weil man ein bisschen lustig ist, also eine gewisse der Aufklärung verpflichtete Ironie u.s.w. …« »Frauen sollen nicht so lustig sein«, unterbrach mich die Ausdruckskünstlerin, »das wird nicht so gern gesehen.«

Wie auch immer: Liebe Männer! Wenn ihr an diesem Ort oder sonstwo, wo ich meinen Griffel wetzen darf, von dem Gefühl beschlichen wurdet, dass man hier oder dort eure Manneswürde weit jenseits der Genfer Konventionen malträtiert hat, dann schickt mir ein bis zwei Plüschtiere … nein pardon, ich hasse Plüschtiere … lieber einen Strauß weiße Lilien. Und ich möchte nicht, dass mein Büro an die Aufbahrungshalle einer allzu früh abgedankten Bourbonen-Prinzessin gemahnt. Ich flüstere euch hier einmal eines: Manchmal, manchmal könnte ich vereinzelte Exemplare eurer Spezies in die Max-und-Moritz-Mühle katapultieren, aber ich möchte keinen einzigen Tag auf diesem Planeten ohne euch verbringen müssen.

Oh Gott, was ist nur los mit mir? Habe ich einen »Weltfrieden-warum-nicht«-Workshop besucht oder hat mir wer Ecstasy aus Bratislava in meinen Frühstückskaffee getan?

Psychopathologie des Alltags

Befremdende Graugrüne kennzeichnete C’s Gesicht. »Hast du Verwandte bei der VOEST? Sitzt Saturn im Chefsessel deines Sternzeichens? Was los?« Jetzt flüsterte C, unverständlicherweise, denn die Bar im »Bristol« war ohnehin von wohltuender Leere: »Es liegt alles noch so dort. Genauso.« »Keine Details, welches Stück?« pflegte der selige Aslan seinerzeit an der »Burg« seine Souffleuse zu fragen, und da ich jetzt auch an einer Zusammenhangsschwäche laborierte, tat ich es ihm einfach nach.

»Ich war in der Wohnung meiner Ex-Frau, Sachen abholen …« »Na bravo!« Die Anmerkung entbehrte nicht unterschwelliger Süffisanz, denn C hatte vor mehr als fünf Jahren seiner Ehe zwecks zwischengeschlechtlicher Neuorientierung Adieu gesagt. Die Selbstfindung war übrigens blond und sehr langbeinig. »Auf meinem Ex-Nachtkastl liegen dieselben Zeitungen und das Buch, so aufgeschlagen, wie ich es im Winter 2000 hinterlassen habe.« »Himmel! Was für ein Buch überhaupt?« »Freud und Psychopathologie des Alltags.« »Na wenigstens, und passend obendrein – stell’ dir vor, es wäre Donna Leon oder gar Grisham gewesen. Zu peinlich!« »In den Schränken und Schubladen – alles voll von meinem Zeugs. So, als ob ich jederzeit wieder um’s Eck biegen könnte.« »Diese arme Frau! Wie kann man nur seine besten Jahre dermaßen schwachsinnig verschleudern!« Zur Graugrüne gesellte sich jetzt bei C etwas Pikiertheit: »Es muss ja nicht jeder so radikal sein wie du.«

C hatte mich schon begleitet, als ich am Tag Zwei edles Ludwig Reiter-Schuhwerk Abtrünniger für die Obdachlosen in der Meldemannstraße deponiert habe. Nicht, weil ich so ein grundgütiger Mensch bin, sondern für meine geliebte Psychohygiene einfach keine großen Gesten zu scheuen gewillt bin. »Wenn du diese Gin Tonics hier ohne viel Fackeln brennst«, sagte ich jetzt, »würde ich mich zu der Ansage hinreißen lassen, dass man so einen Prachtkerl wie dich natürlich nicht so mir-nix-dir-nix loslassen kann.« »Deal done!«, schmetterte er und alle hatten was davon.

Vagina-Dialoge

»Die Hälfte der Welt«, brüllte die drahtige Wirkwaren-Zampana und hüpfte dabei wie ein aus dem Ruder geratenes Jojo-Bällchen auf und ab, »gehört uns. Und passt auf, ihr Männer da draußen, wir werden sie uns schon demnächst abholen.« Die anwesenden Damen erhoben ihre naturtrüben Obstsäfte und Prosecci und johlten ganz undamenhaft. Eine Werbe-Tycoonesse boxte mich in die Seiten: »Was is’, Frau Polly, ein bisserl mehr körpersprachliche Solidarität.« Ich winkte ermattet, mein Enthusiasmuspotenzial hatte ich auf dem gestrigen Robbie-Williams-Konzert angesichts des vortragenden Testosteron-Tierchens gänzlich erschöpft.

Und außerdem: Diese Art der Veranstaltungen, die neuerdings wie ein Virus um sich griff, begann mir gehörig auf den Geist zu gehen. Allerortens wurden Salons, Network-Plattformen und Get-togethers einberufen, die auf der Zusammenrottung von Karrierefrauen basierten. Männer hatten bei diesen geschlechtlichen Ghettoisierungskonzepten naturgemäß keinerlei Zutritt. Im Glanz ihrer Abwesenheit wurde ihnen bei diesen Vagina-Dialogen ein Rollenrepertoire irgendwo zwischen Lianen schwingendem Neandertaler und Würmchen zugedacht.

Als die Wirkwaren-Zampana beim Après mir zuflüsterte, dass sie demnächst zwecks Bräutigam-Schau nach Jamaika stechen würde und dann kicherte: »Once you go black, you never go back«, machte ich einen englischen Abgang, d. h. ich verdrückte mich ohne unnötige Verzögerung durch Grußformeln.